21/6060. An Nikolaus Meyer Sie hatten uns, mein werthester Herr Rath, die Hoffnung gemacht, daß wir Ihre liebe Gattinn bey uns sehen sollten. Wir hofften nähere Nachricht von Ihrem Befinden zu erhalten, und abermals eine lebhaftere Communication zu eröffnen. Indem wir uns nun aber getäuscht finden, so frage ich für mich an und ersuche Sie, uns gelegentlich anzuzeigen, wie es mit Ihrer Gesundheit steht, und wie Sie mit Ihrem neuen Wohnort, sowohl in Betracht der Praxis als sonst zufrieden sind. Mögen Sie mir sonst erzählen, womit Sie sich beschäftigen und woran Sie Theil nehmen, so wird es mir sehr erfreulich seyn. Sie werden sich erinnern, mir früher eine Anzahl aus einem alten Codex durchgezeichneter Blätter mitgetheilt zu haben. Sie stellen wunderliche, uns bisjetzt unerklärte Figuren und Geschichten vor, und standen wahrscheinlich als Marginalien neben einem Gedicht. Bey den neuern Bemühungen um die Poesie des Mittelalters kommen dergleichen Alterthümer vorzüglich zur Sprache, und es wäre uns wünschenswerth etwas Näheres über jenen Codex zu erfahren, woraus diese Zeichnungen genommen sind. Wo befand er sich? und zu welcher Zeit? haben Sie ihn etwa selbst gesehen, oder haben Sie nur historische Nachrichten davon? Wer hat die Zeichnungen gemacht? Und wie wär es möglich, wenn der Codex noch aufzufinden wäre, am schnellsten Notiz von ihm zu erlangen? ja vielleicht eine Abschrift des neben den Figuren gestandenen Gedichts zu erhalten? Mögen Sie mir hierüber bald einige Nachrichten geben, so verbinden Sie mich ganz besonders. Eine Blechkapsel mit den Menkenschen Zeichnungen wird vorlängst angekommen seyn. Sind wir im Fall Ihnen irgend eine Gefälligkeit zu erzeigen, so geben Sie einen Wink. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und küssen Ihren wackern Knaben. Die meinigen grüßen zum schönsten. Weimar den 20. Nov. 1810. Goethe.