44/207. An Friedrich Jacob Soret Die Vortheile Ihrer Zuschriften, mein Theuerster, wie sie von Wilhelmsthal zu mir gelangten, gedenk ich nicht von Belvedere aus zu entbehren, es müßte denn dadurch für Sie eine allzu große Unbequemlichkeit erwachsen. Indem ich nun zu glücklicher Ankunft meine herzliche Beystimmung gebe, habe ich manches mitzutheilen. In mineralogischem und geologischem Sinne ist mir ein gar schätzbares Heftlein zugekommen: Die Lagerstätte des Goldes und Platin im Ural-Gebirge, von Dr. Moritz v. Engelhardt , von einem scharfsichtigen, einsichtigen, wohldenkenden, freyen Manne geschrieben, wodurch mein Wunsch erfüllt wird, daß wir nunmehr Gebirg und Gangart kennen lernen, welche durch Verwitterung, Zerbröckelung, Auflösung zu Verschüttungen und Zuschüttungen der allernächsten Thäler und Schluchten Veranlassung gegeben. In seinen ganzen Erklärungen ist nicht das mindeste Gewaltsame, sondern man sieht die Natur wie sie still wirkt und wie ich sie liebe. Diese Belehrung wäre nun zwar genugsam schön und gut gewesen, aber man wollte mich nicht blos unterrichten, sondern mir auch sinnlich imponiren; deshalb fügte man einen prächtig verguldeten Gypsabguß von dem Knollen gediegenen Goldes hinzu, welcher 1826 am Ural gefunden worden; das Gewicht desselben soll beynahe einen Viertelzentner betragen. Ich läugne nicht daß es mir sehr viel Vergnügen macht, ein solches Facsimile bey mir als Fetisch aufgestellt zu sehen, und hoffe mit Verlangen auf den Augenblick, wo ich Sie davorführen kann. Unsere botanischen Bemühungen erweitern sich immer mehr. Ich erwarte De Candolle's Théorie élémentaire, um an diesem Faden das Ganze nochmals ernstlich durchzugehen. Wundersam aber muß ich finden daß ich durch eine Revolution, mit der die bisherige Art den Wein zu bauen bedroht ist, auch auf dieses merkwürdigste aller Vegetabilien geführt und, mitten unter Weinbergen, genöthigt worden bin, die neuen Vorschläge des Mannes, eines kurzverstorbenen Bürgers von Berlin namens Kecht zu prüfen und auf physiologische Normsätze zurückzuführen. Hier nun finde ich des Mannes Gedanken probat und bin höchst neugierig, inwiefern diese neue Behandlungsweise bald oder nach und nach Eingang gewinnen kann. Es wäre das erste Mal nicht daß eine Laie eine ganze Gilde zu Schanden macht, aber auch nicht das erste Mal daß die Gilde des Laien gute Aper(us und Vorschläge unterdrückt. Vieles Wichtige kommt jedenfalls dabey zur Sprache. Den Anfang Ihrer geneigten Übersetzung hab ich mir nicht ausgebeten, wie ich denn auch alles was von mir in dieser Materie gedruckt worden bisher zu lesen vermied; ich wollte mich erst ganz mit dem gegenwärtigen Zustande des Wissens bekannt machen, mich daran prüfen, meine früheren Gedanken wieder hervorrufen, hiernach käme ich ganz frisch zu der Arbeit, wenn wir Original und Text zu vergleichen bey nächster Zusammenkunft unternehmen. Wollten Sie indessen Ihre Arbeit abgeschrieben wissen, so schicken Sie inliegendes Blatt an Registrator Schuchardt, dem ich dazu den Auftrag gebe. Er hat ohnehin jetzt Zeit und wünscht selbst einige Beschäftigung. Die schönen Hoffnungsbilder, die Sie mir zu Gunsten Dornsburg vor die Seele brachten, verschwinden leider alle nach und nach. Nun gibt mir jedoch Dr. Weller die schöne Aussicht daß es möglich wäre, Sie, mein Theuerster, bey mir zu sehen; nehmen Sie ja einen Tag wo das Barometer hoch steht, bey Ihnen wenigstens 27' 7''; um einiges tiefer wüthet der Westwind mehr als billig ist. Unsern gnädigsten Herrschaften empfehlen Sie mich auf das allerbeste und versichern dankbar, daß ich in Dornburg eines lange nicht gekannten körperlichen Wohlseyns genieße und daß der Geist auch wieder auf eine freyere Thätigkeit hoffen darf. Ihrem lieben Erbprinzen wünsche nicht weniger empfohlen zu seyn; möge auch er meiner treuen Anhänglichkeit gewiß verbleiben. Gräfin Line wünsche von Herzen in den besten für sie denkbaren Zuständen wiederzusehen und mich ihrer kindlichen Neigung zu erfreuen. In Hoffnung baldiger mündlicher Mittheilung treu gesinnt und ergeben Dornburg den 13. August 1828. J. W. v. Goethe.