40/168. An Theodor Kestner Hochwohlgeborner Insonders hochzuehrender Herr. Es ist noch dieselbige Stadt Leipzig in die ich, gerade nunmehr sind es sechzig Jahre, mit der Welt völlig unbekannt, voll Zutraun und Hoffnung eintrat; dieselben Straßen sind es noch, in denen ich auf- und abwandelte, dieselben Häuser, wo ich aus- und einging und vielleicht dieselben Zimmer, die mich als junges wunderliches Wesen so freundlich aufnahmen; sie sind es noch; wo nunmehr, nach einem solchen Zeitraum, von neu erworbenen Freunden eine ehrenhafte Feyer meiner Ansiedlung in der Nachbarschaft, als bedeutend für die Gegend und für mein Vaterland folgereich, in diesen letzten Tagen veranstaltet worden. Je mehr ich die Vergangenheit überschaue, wie sie sich zur Gegenwart herangebildet hat, desto mehr habe ich mich zu fassen und das Glück anzuerkennen das meinem unablässigen Streben geworden ist. Da der Trieb, das Gute und Wünschenswerthe zu verwirklichen, von jeher alle Welt in Thätigkeit setzte, so darf ich mich wohl erfreuen, daß gerade das meiner Natur gemäß war, was auf jene Zwecke hin deutete: denn wenn ich meine zufälligen und vorsetzlichen Einwirkungen auf die Außenwelt im Laufe meines Lebens betrachtete, so hätte ich oft zweifeln können, ob im Einzelnen, das was ich zu leisten wünschte, auch zu billigen sey; wenn aber zuletzt der Rechnungsabschluß, die Vergleichung des Sollen und Haben zu meinen Gunsten ausfällt, dergestalt, daß die Besten meiner Nation sich daran erfreuen und mit Eifer und Lebhaftigkeit auf die anmuthigste Weise es anerkennen: so habe ich weiter nichts zu wünschen, als nur die übrige Zeit, welche mir zu verweilen gegönnt ist, in einem solchen Gleichgewicht zu bleiben, daß ich weder an mir selbst, noch ein anderer an mir jemals irre werden könne. Nehmen Sie diese traulichen Äußerungen als Wirkung derjenigen Empfindungen an, welche Ihr ehrenvolles Schreiben und die anmuthigen Beylagen bey mir erregen mußten, und vertheilen die anliegenden Blättchen unter die wohlwollenden Freunde, denen ich auf's besonderste empfohlen zu seyn wünsche. Ew. Hochwohlgeb. gehorsamster Diener Weimar den 24. December 1825. J. W. v. Goethe.