19/5237. An Charlotte von Schiller Ihr Brief, meine liebe verehrte Freundin, hat mich in meiner Jenaischen Einsamkeit sehr angenehm überrascht. Ich habe freylich keine so schönen Berge und Wälder zunächst um mich, wie die Ihrigen sind; doch wissen Sie wohl, wenn man einige hundert Schritte geht, so ist man in ganz anmuthigen Gegenden. In Carlsbad ist es mir und meiner Gesellschaft ganz gut gegangen und ich finde mich auch gegenwärtig sehr viel besser als vor der Cur. Wir wollen dieses gute Herbstwetter noch zu genießen suchen, um mit desto mehr Sicherheit dem Winter entgegen zu gehen. Da ich mich deshalb so viel als möglich in der freyen Lust aufzuhalten gedenke, so wird, wenn das Glück gut ist, Mittwoch den 1. October unsre erste Zusammenkunft seyn. Bis dahin sind Sie ja wohl wieder in Weimar. Ich wünsche uns allen gute Gesundheit, damit wir ununterbrochen unsre Reise fortsetzen können, die ich diesmal mit Ihnen über Berg und Thal, Erd' und Meer zu machen gedenke. Da wir uns so lange in dem Beweglichen aufgehalten haben, so ist es wohl billig, daß wir auch einmal uns zum Stehenden und Festen wenden, Die Gegenstände sind interessant genug und es läßt sich manches erfreuliche und unterrichtende anknüpfen. Ich lebe also, wie ich jetzt erst merke, zwischen zwey Vogelschießen in der Mitte, dem Weimarischen und dem Rudolstädtischen. Ich könne aber auch nicht sagen, daß ich besonders tentirt wäre, mich in diesen Schwarm zu mischen. D. Meyer hat es sehr leid gethan, Sie nicht zu treffen. Er hat es sehr leid ausgebildet und brachte sein junges, hübsches, wunderliches Weibchen mit, von dem ich allerley zu erzählen habe. Von Ihrem Herr Schwager habe ich lange nichts gehört; doch hoffe ich, daß er in der Besserung immer fortschreitet. Grüßen Sie mir Ihre lieben Kleinen vielmals und lassen Sie uns gesund und froh wieder zusammen kommen. Jena den 29. August 1806. Goethe.