5/1443. An Charlotte von Stein Die liebe süse Ordnung meiner Tage und Stunden ist ganz aufgehoben und in dem Zirckel eines neuen Lebens mit fortgerissen, fühl ich mich mir selbst fremde. Man ist wie immer sehr freundlich und auf alle Weise gefällig gegen mich, und ich thue das Meinige dagegen. Dein Brief liebste Lotte rief mich wieder ganz zu dir hinüber, ich lebe nur bey dir und durch dich. Die Herzoginn sitzt schon vielleicht sechs Wochen, lässt sich tragen, und niemand glaubt ihre Kranckheit, man hält es für Verstellung und niemand kann doch sagen warum oder wozu. Der Herzog ist auch nicht recht, er macht sich starck, und kann es nicht ganz verläugnen. Der Prinz ist gar gut, er hat recht viel Kenntnisse und Verstand, mit ihm ist angenehm leben. Die Oberhofmeisterinn find' ich wenig verändert, wir haben schon wieder redlich geschwäzt. Von der Diede hab ich eine Abneigung die ich nicht überwinden kan, ich weis nicht warum, es kan sich legen, genug iezt wenn sie da ist kan ich nicht den Mund aufthun, es sey denn von gleichgültigen Sachen. Der Mensch ist eine wunderliche Zusammensetzung. Adieu Liebste. Sehnlich erwart ich mehr von dir durch Seeger. Es ist spät. Adieu. Sonnabends d. 30. März. Gotha. G.