16/4465. An Sophie Sander Die angenehmen Gaben, mit denen meine sonst frugale Tafel sich, durch Ihre gütige Vorsorge, mehr als einmal geziert sah, haben mir einige sonderbare Betrachtungen abgenöthigt. Da wir nicht zweifeln auf einen hohen Grad von Cultur gelangt zu seyn, bemerken wir, mit Verwunderung, daß wir, auf gewisse Weise, uns wieder den Sitten barbarischer und roher Völker nähern. Denn wie unter diesen, hie und da, der Mann sich gerade zu der Zeit von seiner lieben Ehehälfte pflegen läßt, wenn er ihr vorzüglich aufwarten sollte, so scheint es bey uns Sitte zu werden, daß der Pathe den Gevatter beschenkt, anstatt daß sonst das umgekehrte herkömmlich war. Indessen, da man sich in solche Fälle zu schicken weiß, so kann ich versichern daß die übersendeten Leckerbissen trefflich geschmeckt haben; nur wollte der erste Fisch, wahrscheinlich weil ich ihn noch nicht zu essen verstand, und er, wegen seiner Vortrefflichkeit, mit einigem Heißhunger genossen worden, mir nicht zum besten bekommen. Bey dem zweyten bin ich nun schon mehr in Übung und die dazu servirten geschärften Saucen werden ihn schon zu bändigen wissen. In Pyrmont habe ich Ihrer viel gedacht und es ist mir beynahe anschaulich geworden, wie es möglich sey daß dieser Ort so wundersam artige Gevatterinnen hervorbringe und bilde. Ihre werthen Verwandten und freundlichen Nichten lernte ich kennen. Übrigens habe ichs der Frau von Breitenbauch nicht gut aufgenommen, daß sie durch Weimar gegangen ist, ohne mir von ihrer Gegenwart Nachricht zu geben. Ihrem lieben Gatten, der hoffnungsvollen Emilie und Ihnen selbst die besten Wünsche. Weimar den 15. Jan. 1802. Goethe.