Zahme Xenien 6 Lasset walten, lasset gelten, Was ich wunderlich verkündigt! Dürftet ihr den Guten schelten, Der mit seiner Zeit gesündigt? Nichts wird rechts und links mich kränken, Folg ich kühn dem raschen Flug; Wollte jemand anders denken, Ist der Weg ja breit genug. Schwärmt ihr doch zu ganzen Scharen Lieber als in wenig Paaren, Laßt mir keine Seite leer! Sumst umher, es wird euch glücken! Einzeln stechen auch die Mücken, Braucht nicht gleich ein ganzes Heer. Da ich viel allein verbleibe, Pflege weniges zu sagen; Da ich aber gerne schreibe, Mögen's meine Leser tragen! Sollte heißen: gern diktiere, Und das ist doch auch ein Sprechen, Wo ich keine Zeit verliere; Niemand wird mich unterbrechen. Wie im Auge mit fliegenden Mücken, So ist's mit Sorgen ganz genau; Wenn wir in die schöne Welt hineinblicken, Da schwebt ein Spinnewebengrau; Es überzieht nicht, es zieht nur vorüber, Das Bild ist gestört, wenn nur nicht trüber; Die klare Welt bleibt klare Welt: Im Auge nur ist's schlecht bestellt. Trage dein Übel, wie du magst, Klage niemand dein Mißgeschick; Wie du dem Freunde ein Unglück klagst, Gibt er dir gleich ein Dutzend zurück! In keiner Gilde kann man sein, Man wisse denn zu schultern fein; Das, was sie lieben, was sie hassen, Das muß man eben geschehen lassen; Das, was sie wissen, läßt man gelten, Was sie nicht wissen, muß man schelten, Althergebrachtes weiterführen, Das Neue klüglich retardieren; Dann werden sie dir zugestehn, Auch nebenher deinen Weg zu gehn. Doch würden sie, könnt es gelingen, Zum Widerruf dich pfäffisch zwingen. Hemmet ihr verschmähten Freier Nicht die schlechtgestimmte Leier, So verzweifl' ich ganz und gar; Isis zeigt sich ohne Schleier, Doch der Mensch, er hat den Star. Die geschichtlichen Symbole – Törig, wer sie wichtig hält; Immer forschet er ins Hohle Und versäumt die reiche Welt. Suche nicht verborgne Weihe! Unterm Schleier laß das Starre! Willst du leben, guter Narre, Sieh nur hinter dich ins Freie. Einheit ewigen Lichts zu spalten, Müssen wir für törig halten, Wenn euch Irrtum schon genügt. Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Weiß man klüglich sie zu gatten, Ist das Farbenreich besiegt. Die beiden lieben sich gar fein, Mögen nicht ohne einander sein. Wie eins im andern sich verliert, Manch buntes Kind sich ausgebiert, Im eignen Auge schaue mit Lust, Was Plato von Anbeginn gewußt; Denn das ist der Natur Gehalt, Daß außen gilt, was innen galt. Freunde, flieht die dunkle Kammer, Wo man euch das Licht verzwickt Und mit kümmerlichstem Jammer Sich verschrobnen Bildern bückt. Abergläubische Verehrer Gab's die Jahre her genug, In den Köpfen eurer Lehrer Laßt Gespenst und Wahn und Trug. Wenn der Blick an heitern Tagen Sich zur Himmelsbläue lenkt, Beim Sirok der Sonnenwagen Purpurrot sich niedersenkt, Da gebt der Natur die Ehre, Froh, an Aug und Herz gesund, Und erkennt der Farbenlehre Allgemeinen, ewigen Grund. Das wirst du sie nicht überreden, Sie rechnen dich ja zu den Blöden, Von blöden Augen, blöden Sinnen; Die Finsternis im Lichte drinnen, Die kannst du ewig nicht erfassen; Mußt das den Herren überlassen, Die's zu beweisen sind erbötig. Gott sei den guten Schülern gnädig! Mit Widerlegen, Bedingen, Begrimmen Bemüht und brüstet mancher sich; Ich kann daraus nichts weiter gewinnen, Als daß er anders denkt wie ich. Wie man die Könige verletzt, Wird der Granit auch abgesetzt; Und Gneis, der Sohn, ist nun Papa! Auch dessen Untergang ist nah: Denn Plutos Gabel drohet schon Dem Urgrund Revolution; Basalt, der schwarze Teufelsmohr, Aus tiefster Hölle bricht hervor, Zerspaltet Fels, Gestein und Erden, Omega muß zum Alpha werden. Und so wäre denn die liebe Welt Geognostisch auch auf den Kopf gestellt. Kaum wendet der edle Werner den Rücken, Zerstört man das Poseidaonische Reich; Wenn alle sich vor Hephästos bücken, Ich kann es nicht sogleich; Ich weiß nur in der Folge zu schätzen. Schon hab ich manches Credo verpaßt; Mir sind sie alle gleich verhaßt, Neue Götter und Götzen. Ursprünglich eignen Sinn Laß dir nicht rauben! Woran die Menge glaubt, Ist leicht zu glauben. Natürlich mit Verstand Sei du beflissen; Was der Gescheite weiß, Ist schwer zu wissen. Je mehr man kennt, je mehr man weiß, Erkennt man: alles dreht im Kreis; Erst lehrt man jenes, lehrt man dies, Nun aber waltet ganz gewiß Im innern Erdenspatium Pyro-Hydrophylacium, Damit's der Erden Oberfläche An Feuer und Wasser nicht gebreche. Wo käme denn ein Ding sonst her, Wenn es nicht längst schon fertig wär? So ist denn, eh man sich's versah, Der Pater Kircher wieder da. Will mich jedoch des Worts nicht schämen: Wir tasten ewig an Problemen. Keine Gluten, keine Meere Geb ich in dem Innern zu; Doch allherrschend waltet Schwere, Nicht verdammt zu Tod und Ruh. Vom lebendigen Gott lebendig, Durch den Geist, der alles regt, Wechselt sie, nicht unbeständig, Immer in sich selbst bewegt. Seht nur hin! Ihr werdet's fassen! Wenn Merkur sich hebt und neigt, Wird im Anziehn, im Entlassen Atmosphäre schwer und leicht. Mir genügt nicht eure Lehre: Ebb und Flut der Atmosphäre – Denk sich's jeder, wie er kann! Will mich nur an Hermes halten; Denn des Barometers Walten Ist der Witterung Tyrann. Westen mag die Luft regieren, Sturm und Flut nach Osten führen, Wenn Merkur sich schläfrig zeigt; Aller Elemente Toben, Osther ist es aufgehoben, Wenn er aus dem Schlummer steigt. Das Leben wohnt in jedem Sterne: Er wandelt mit den andern gerne Die selbsterwählte reine Bahn; Im innern Erdenball pulsieren Die Kräfte, die zur Nacht uns führen Und wieder zu dem Tag heran. Wenn im Unendlichen dasselbe Sich wiederholend ewig fließt, Das tausendfältige Gewölbe Sich kräftig ineinander schließt, Strömt Lebenslust aus allen Dingen, Dem kleinsten wie dem größten Stern Und alles Drängen, alles Ringen Ist ewige Ruh in Gott dem Herrn. Nachts, wann gute Geister schweifen, Schlaf dir von der Stirne streifen, Mondenlicht und Sternenflimmern Dich mit ewigem All umschimmern, Scheinst du dir entkörpert schon, Wagest dich an Gottes Thron. Aber wenn der Tag die Welt Wieder auf die Füße stellt, Schwerlich möcht er dir's erfüllen Mit der Frühe bestem Willen; Zu Mittag schon wandelt sich Morgentraum gar wunderlich. Sei du im Leben wie im Wissen Durchaus der reinen Fahrt beflissen; Wenn Sturm und Strömung stoßen, zerrn, Sie werden doch nicht deine Herrn; Kompaß und Pol-Stern, Zeitenmesser Und Sonn und Mond verstehst du besser, Vollendest so nach deiner Art Mit stillen Freuden deine Fahrt. Besonders, wenn dich's nicht verdrießt, Wo sich der Weg im Kreise schließt; Der Weltumsegler freudig trifft Den Hafen, wo er ausgeschifft. Wie fruchtbar ist der kleinste Kreis, Wenn man ihn wohl zu pflegen weiß. Wenn Kindesblick begierig schaut, Er findet des Vaters Haus gebaut; Und wenn das Ohr sich erst vertraut, Ihm tönt der Muttersprache Laut; Gewahrt es dies und jenes nah, Man fabelt ihm, was fern geschah, Umsittigt ihn, wächst er heran; Er findet eben alles getan. Man rühmt ihm dies, man preist ihm das: Er wäre gar gern auch etwas; Wie er soll wirken, schaffen, lieben, Das steht ja alles schon geschrieben Und, was noch schlimmer ist, gedruckt; Da steht der junge Mensch verduckt, Und endlich wird ihm offenbar: Er sei nur, was ein andrer war. Gern wär ich Überliefrung los Und ganz original; Doch ist das Unternehmen groß Und führt in manche Qual. Als Autochthone rechnet ich Es mir zur höchsten Ehre, Wenn ich nicht gar zu wunderlich Selbst Überliefrung wäre. Vom Vater hab ich die Statur, Des Lebens ernstes Führen, Von Mütterchen die Frohnatur Und Lust zu fabulieren. Urahnherr war der Schönsten hold, Das spukt so hin und wieder, Urahnfrau liebte Schmuck und Gold, Das zuckt wohl durch die Glieder. Sind nun die Elemente nicht Aus dem Komplex zu trennen, Was ist denn an dem ganzen Wicht Original zu nennen? Teilen kann ich nicht das Leben, Nicht das Innen noch das Außen, Allen muß das Ganze geben, Um mit euch und mir zu hausen. Immer hab ich nur geschrieben, Wie ich fühle, wie ich's meine, Und so spalt ich mich, ihr Lieben, Und bin immerfort der eine.