Hänschen Däumeling Es lebt ein Schneider, leicht und dünn, mit seiner Frau gemütlich hin. Sie hatten auch ein Söhnchen schon, sehr klein und zierlich von Person. Er war nicht dicker wie die Pflaumen und grad so lang als wie mein Daumen. Drum, weil er so ein kleines Ding, nennt man ihn Hänschen Däumeling. Sein Mut jedoch ist ohne Tadel, sein Degen spitz wie eine Nadel; damit hat er an einer Wand drei Fliegen durch und durch gerannt. Drauf legt er sich im grünen Grase, um auszuruhn, auf Bauch und Nase. Ein Rabe, der spazierengeht, hat ihn mit einem Aug' erspäht. Er denkt: »Was ist das für ein Käfer?« Und rupft und zupft den kleinen Schläfer. Der dreht sich um und will den Frechen in seine dürren Waden stechen. »Kraha!« – lacht dieser – »wär nit übel! Gottlob! ich habe dicke Stiebel!« Grapps! packt er ihn, fliegt in die Höh und weit, weit über einen See. Die Eltern aber fragen bange: »Wo bleibt denn Hänschen nur so lange?« Sie suchen ihn in allen Taschen, in Stiefeln, Hauben, Büchsen, Flaschen. Sie rufen: »Herzchen!« rufen: »Liebchen!« Allein es kommt und kommt kein Bübchen. Der Rabe mit dem Hänschen flog auf einen Baum, erschrecklich hoch. Hier wünscht er ihm recht guten Morgen und läßt ihn für sich selber sorgen. Uhu! Im Astloch mit Geheule hockt eine alte Schleiereule. Und über ihm die dicke Spinne hat auch nichts Gut's mit ihm im Sinne. Schon sträubt die Eule sich und droht; das Hänschen sticht die Spinne tot. Schnell läßt er sich an ihrem Faden vom Baum herunter ohne Schaden. Juchhe! Hier unten in dem Moos Geht's lustig her und ist was los. Drei muntre Käfer trinken Met von allerbester Qualität. Da heißt es: Prost! und: Was wir lieben! Das Hänschen trinkt so viel wie sieben. Der Kopf wird schwer, die Beine knicken, bums! liegt das Hänschen auf dem Rücken. Das gibt'n Spaß! Die Käfer laufen mit ihm zu einem Ameishaufen. So was macht munter. O wie schnelle verläßt er diese Wimmelstelle! Er läuft und schlupft mit großer Freude in ein sehr enges Wohngebäude. »Nun ja!« – denkt sich der Jägersmann – »jetzt zieh ich meine Handschuh an!« Auweh! – Was war das für ein Stich!? Der Jägersmann schreit jämmerlich. Dem Hänschen wird's bedenklich doch; er möchte in ein Mäuseloch. »Ein Dieb, ein Dieb!« – so schreit die Maus und zieht ihn hinterwärts heraus. Und plötzlich geht's: Kraha Kraha!! Der böse Rab ist wieder da. Er faßt die Maus bei ihrem Schwänzchen und flattert weg mit Maus und Hänschen. »Die« – ruft der Jäger – »muß ich haben!« Bauz! – richtig trifft er Maus und Raben. Und Rabe, Maus und Hänselein plumbumsen in den See hinein. Sofort erscheint die kleine Sylphe Zephire, Königin im Schilfe, reicht ihm die Hand und lispelt fein: »Sprich, Prinz, willst du mein Liebster sein?« »Schön Dank!« – spricht er – »o Königin! Ich muß zu meinen Eltern hin!« »So geh ich mit dir!« – haucht Zephire – »mein Schifflein wartet vor der Türe!« Und wie sie so dahingefahren und mitten auf dem Wasser waren, da kommt ein dicker Hecht und: schwapp! schluckt er sie in den Bauch hinab. Ein Fischer, welcher grade fischt, hat aber gleich den Hecht erwischt. Er überbringt ihn Hänschens Mutter, die denkt: »Den braten wir in Butter!« Ratsch! wird der Bauch ihm aufgeschnitten, und sieh! wer kommt herausgeschritten? Ei! unser Hänschen, und galant führt er Zephiren an der Hand. Das wurde mal ein hübsches Paar! Sie lebten fröhlich manches Jahr. Und Hänschen ward ein Damenschneider und machte wunderschöne Kleider; und was er machte, saß. Er stieg auf eine Leiter und nahm genau das Maß.