Das brave Lenchen Auf einem Schlosse fern im Holz wohnt eine Frau gar reich und stolz. In einem Hüttchen arm und klein wohnt Lenchen und ihr Mütterlein. Das Mütterlein ist schwach und krank und ohne Geld und Speis und Trank. Da denkt das Lenchen: »Ach, ich lauf um Hilfe nach dem Schloß hinauf!« Es nimmt sich nichts wie einen Schnitt vom allerletzten Brote mit. Und wie es kommt bis an den Steg, sitzt da ein armer Hund am Weg. »Ach!« – ruft der Hund – »mein Herr ist tot; hätt' ich doch nur ein Stückchen Brot!« »Hier!« – spricht das Lenchen – »hast du was!« zieht's Brot hervor und gibt ihm das. Und wie es weiter fortgerannt, liegt da ein Fisch auf trocknem Sand. »Ach!« – ruft der Fisch und zappelt sehr – »wenn ich doch nur im Wasser wär!« Gleich bückt das Lenchen sich danach und trägt ihn wieder in den Bach. Dann ist es weiter fortgerannt, bis es die Frau im Schlosse fand. – »Ach, liebe Frau, erbarmt euch mein, ich hab ein krankes Mütterlein!« »Fort!« – schreit die Frau – »nichts gibt es hier!« und jagt das Lenchen vor die Tür. Das Lenchen sieht vor Tränen kaum und setzt sich stumm an einen Baum. Und horch, im hohlen Baum erklingt ein feines Stimmlein, welches singt: »Mach auf, mach auf, ich bitt gar schön, möcht gern die liebe Sonne sehn!« Im Baum da ist ein Löchlein rund, ist zugesteckt mit einem Spund. Den zieht das Lenchen aus und spricht: »So komm ans Licht, du armer Wicht!« Sieh da, und eine Schlange schmiegt sich aus dem Baum hervor und kriecht und schlingt und schlängelt mit Gezisch sich in das dichte Waldgebüsch, und raschelt da herum und kam und bracht ein Blümlein wundersam. O Krankentrost, du Blümlein rot, Herztulipan, hilf aus der Not! Das Lenchen nimmt das Blümlein an und eilt nach Haus so schnell es kann. Und wie es kommt bis über'n Steg, tritt ihm ein Räuber in den Weg. Dem armen Lenchen stockt das Blut, läßt's Blümlein fallen in die Flut. Da kommt der Hund und jagt zum Glück Den Räuber in den Wald zurück. Und unser Fisch ist auch nicht faul; er trägt die Blume in dem Maul. Jetzt läuft das Lenchen schnell hinein zum lieben kranken Mütterlein, legt's Blümlein ihr auf Herz und Mund, macht's Mütterlein sogleich gesund; heilt auch noch sonst viel kranke Leut und ist aus aller Not befreit. Der Räuber aber hat bei Nacht Die Frau im Schlosse totgemacht.