[276] Das siebende Buch.

Die (1) Einteilung.


Manoah krunkte noch. Er lag noch zu Bette. Ja die Gefahr gantz unterzuliegen wuchs an / als Simson wieder heim kahm. Die Krankheit hatte nunmehr albereit sechszig Tage sein Leben bestritten. Hierdurch waren die Kräfte geschwächet / der Lebenssaft vertruknet / die Leibesgestalt dermaßen verändert / ja verfallen / daß man ihn kaum kante. Zudem stund er mit dem einen Fuße schon im drei und sechszigsten Jahre seines Alters. Daher war vermuhtlich / daß sich mit ihm / ehe noch drei Tage verlieffen / eine plötzliche Veränderung entweder zum Leben / oder zum Tode begeben würde.

(2) Dieser gefährliche Stafeltag des drei und sechszigsten seiner Krankheit schien ihm den eusersten Hauptsturm zu dreuen. Dieses sorgliche Stufenjahr des drei und sechszigsten seines Alters schien ihm seiner Krankheit letzten und härtesten Stoß anzukündigen. Konten seine noch übrigen Kräfte diesem widerstehen / so hatte sein Leben keine Gefahr. Könten sie diesen abwehren / so hatte man Hofnung zur völligen Besserung. Müsten sie aber seiner Gewalt weichen / so war alle Hofnung verlohren. Müsten sie gantz unterliegen / so war es üm sein Leben getahn.

(3) Dieses drei und sechszigste Lebensjahr ist auch gewislich das Allergefährlichste / ja oft das allerunglüklichste. Selten streicht es ohne harten Anstoß vorüber. Selten leuft es ohne sonderliche Widerwärtigkeit zu Ende. Gemeiniglich gehet es mit schweeren Unglüksfällen schwanger. Gemeiniglich ist es / bei gekränkten und geschwächten Kräften / das letzte. Diesem Wühtriche des Lebens / wie es bei den Vernunftweisen heisset / haben viel große / viel berühmte Männer / durch ihren Tod / seinen Zol abstatten müssen. In diesem Stufenjahre musten Aristoteles /Virgiel / und mehr andere fürtrefliche Leute das Leben einbüßen. Daher war auch Keiser August [277] über die maße froh / als er dieses gefährliche / ja töhtliche Jahr überlebet.

(4) Eben so gefährlich / eben so sorglich ist der drei und sechszigste Tag eines Kranken; zuvoraus wan er / wie alhier bei dem Manoah / in das drei und sechszigste Lebensjahr einfället: welches man billich ein Todesjahr nennen möchte. Darüm hing dan dieses Alten und Kranken Leben freilich an einem seidenen Faden. Darüm stund er freilich in euserster Gefahr dasselbe zu verlieren. Und eben dieses urteilete der Artzt selbsten; der gleich dazumahl / als Simson angelanget / dessen kranken Vater besuchete.

(5) Simson hörete diesem Urteile mit sonderlicher Aufmärkung zu. Es war ihm was neues / was fremdes; darvon er noch nie gehöret. Es ging über seinen Verstand. Darüm war er lüstern mehr zu wissen. Darüm baht er den Artzt ihn eigendlich zu berichten /was es mit diesen Stufenjahren / und Staffeltagen für eine Beschaffenheit hette. Die Aertzte pflegen ihrer Kunst Geheimnisse sonsten nicht leichtlich zu offenbahren Gleichwohl durfte dieser dem Simson / als dem algemeinen Richter des Volks Gottes / solches nicht abschlagen. Er fing dan seinen Bericht folgender Gestalt an.

(6) »Man pfleget« / sagte der Artzt / »das gantze Menschliche Leben / oder die Jahre desselben / gemeiniglich durch zweierlei Jahrzahlen zu schichten und einzuteilen. Diese seind Sieben /und Neun. Die Jahre selbst / die durch solche Zahlen gezehlet oder ausgerechnet werden / nennet man Wechseljahre: Weil sich darinnen die Beschaffenheit Menschlichen Leibes / und Glükkes /auch wohl des Gerüchtes schier allezeit verwechselt oder verändert; also daß die Menschen / in allen und ieden Sieben / oder Neun Jahren / entweder große Krankheiten / oder Gefährligkeiten / und Schaden sowohl an Gühtern / als an Leibern / oder auch Verleumdungen und Abbruch an ihren Ehren und Ehrlichem Nahmen ausstehen / auch wohl gar unterliegen müssen / oder aber allen diesen Unheilen plötzlich entgehen.

(7) Doch alle diese Widerwärtigkeiten widerfahren einem mehr und mit mehrer Erhöbligkeit / als dem andern; nachdem [278] er von Gebuhrt / oder durch eigne Verwahrlosung / weichlicher / und schwächer an Leibeskräften / unbehuhtsamer in seiner Lebensweise / unfürsichtiger in seinem Handel und Wandel / in seinem Tuhn und Lassen / ja selbst im Gebähte zu GOTT /und im Glauben schläfriger und nachlässiger erfunden wird.

(8) Einem von Gebuhrt schwächlichem / zährtlichem / weichlichem / und süchlichem Menschen werden seine Wechseljahre weit schweerer und gefährlicher fallen / als einem hart- stark- und gesund-gebohrnem. Ja diese Gefährligkeit wird noch viel grösser sein / wan jener solche seine angebohrne Schwächligkeit / durch unordentliches / unmäßiges /und unbehuhtsames Leben im Essen und Trinken /durch Nachhängung seiner Gemühtstriften / seiner Begierden und fleischliehen Lüste / noch darzu vermehret.

(9) Die Erfahrung lehret es uns genugsam / daß mancher / ob er schon noch so stark und hart von Gebuhrt ist / in einem Wechseljahre / wo nicht imErsten / nähmlich dem Siebenden Lebensjahre / wo nicht im zweiten / nähmlich demVierzehenden Lebensjahre / wo nicht imDritten / nähmlich dem Ein und zwanzig sten Lebensjahre / wo nicht im Vierden /nähmlich dem Acht und zwanzigsten Lebensjahre / doch endlich in einem / oder mehren der folgenden durch Sieben / fortgezehltenWechseljahre / gar gewis in eine so schweere Krankheit gefallen / daß er / wan er nicht straks / in der ersten / doch in der folgenden / das Leben eingebüßet: weil er nähmlich / durch eine ungemäßigte /oder wohllüstige / oder auch unfürsichtige nicht behuhtsam genug gehandhabte Lebensweise / seine angebohrne gesunde Stärke zu viel gekränket; indem er eben dadurch eine große Mänge bösen Geblühtes /und anderer unreiner Feuchtigkeiten gesamlet.

(10) Aber in den jungen Kindern / denen auch die Zeit üm den vierzigsten Tag nach der Gebuhrt für gefährlich gehalten wird / verhält es sich mit den Wechseljahren etwas anders. Ich habe selbsten befunden / daß bei etlichen das Wechseljahr im Vierden / bei andern / imSiebenden / [279] noch bei andern im Neunden /wieder bei andern im Vierzehenden Jahre ihres Alters sich zu erkennen gegeben / und ihnen alsdan die meiste Gefahr gedreuet.

(11) Unter allen diesen Wechseljahren wirddas Siebende Neunzählige oder Neunjährige / das ist das drei und sechszigste Jahr des Menschlichen Alters /für das gefährlichste gehalten: weil alle beide Zahlen der Wechseljahre / nähmlich Sieben und Neun / durch die Rechnung Sieben mahl Neun / welches Drei und sechszig machet /darinnen zusammen kommen. Und dieses nennet man ins gemein / von seinem Steigen durch gemeldte zwo Zahlen / gleich als durch Stufen oder Staffeln / entweder schlechthin dasStufen- oder Staffel-jahr / oder aber mit dem Zusatze / das Hohe oder Große Stufenjahr. Eben so gefährlich hält man auch das Neunde Neunzählige oder Neunjährige Wechseljahr / das ist das Ein und achtzigste Lebensjahr: welches gleichmäßigdas Hohe oder lieber Höchste und Gröste Stufenjahr genennet / und durch Neun mahl Neun / welches Ein und achtzig giebet / gerechnet wird / ja also die zweite Zahl der Wechseljahre / nähmlich Neun / neunmahl begreiffet.

(12) Wiewohl nun uns / als Kindern des Almächtigen GOttes / nicht geziemen wil die Zeit solcher Wechsel- oder Stufen-jahre so gar abergleubisch zu beobachten / daß man darfür erschrökken / und sich fürchten wolte: so ist es dannoch unserem Glauben / noch dem Gesetze GOttes nicht zuwider / daß man sich / in seiner Lebensweise / dar nachrichte / ja sich durch unmäßigen und unfürsichtigen Gebrauch des Tranks und der Speisen / auch anderer dergleichen Dinge / das Geblüht zu entstellen /und zu verderben / oder viel anderer böser Feuchtigkeiten zu samlen / hühte; damit / in unsern Leibern /hierdurch der Zunder zu Krankheiten gegen solche böse Jahre nicht entstehe / noch die Gefahr / welche sie uns dreuen / verärgert werde.

(13) Diese Gefahr in Verwechselung der Jahre / da die Krankheiten oder dergleichen Unheile / mit grösserer Gewalt / wiederzukommen pflegen /rühret auch gewislich nirgend [280] anders her / als von des Unflahts und Schleimes / auch unreinen Geblühtes überschwänglicher Mänge; die sich in gewissen Jahren zuvor bei dem Menschen gesamlet / und imWechsel- oder Stufen-jahre auf einmahl zu rühren / und gleich als Höfen dermassen zu erhöben und aufzuwallen beginnet / daß sie die heftigsten Anstösse veruhrsachet. Und dieses kan anders nicht sein. Auf eine so überheufte Mänge der bösen Feuchtigkeiten / dadurch die Gefäße des Menschlichen Leibes dermaßen überfüllet werden / daß sie dieselben länger nicht fassen / noch ertragen können / müssen nohtwendig Krankheiten folgen.

(14) Darüm ist auch / neben der vorgemeldten guhten Lebensweise / noch dieses zu beobachten / daß man / gegen die Wechselzeit / den übermäßigen bösen Zeug / entweder durch Artzneien / als da seind die Treib- und Bräch-mittel / darunter die Treibmittel gleichwohl die sichersten und besten / indem die Brächmittel den schwachen Leibern zu heftig / oder aber durch Aderlaßen / austreibe. Und dieses beides geschiehet am allerfügligsten zur Herbst- oder Frühlings-zeit; da ohne dis aller Schwadder im Leibe gänge wird.

(15) Hierdurch können wir vielen Beschweerligkeiten und gefährlichen Unfällen / die uns etwan imSiebenden Jahre / oder wan das Wechsel- oder Stufen-Jahr eintritt / zustoßen möchten / zuvorkommen / ja oftmahls die angedreuete / und unter den Gliedern zum Ausbruche schon bereit stehende Krankheit gar verhühten. Zum wenigsten werden wir alsdan ihre Kraft so einknöbeln / daß wir uns keines gefährlichen oder töhtlichen Sturmes von ihr zu befahren haben.

(16) Von dieser Wahrnehmung der gewissen Jahrzahl in Veränderung des Menschlichen Lebens scheinet bei etlichen Forstmeistern oder Holtzförstern / die Gewohnheit entsprossen zu sein / daß sie / nach der ersten sonderbahren Wechselzeit der noch weichlichen Kinder / dieselben Beume / dieweiches Holtz haben / als Weiden / Ellern /Papelbeume / und dergleichen / gemeiniglich im vierden Jahre behauen und fällen laßen: welches hingegen an denen / die hartes Holtz haben / als da seind die Eichen / Eschen / und solcher Ahrt Beume / nach [281] der gemeinen Wechselzeit des schon härteren und stärkeren Menschlichen Lebens / nähmlich imsiebenden Jahre / geschiehet.

(17) Andere / nicht weis ich aus was für einem Grunde / pflegen die Jahre des Menschlichen Lebens / vom Jugendlichen Alter ab / bis in das abgelebte Greuse / fürnähmlich auf zweierlei Weise zu schichten. Unter die erste Schicht /welche die glüklichen Jahre begreiffet / stellen sie das 21 / 22 / 23 / 26 / 29 / darnach das 33 / 34 / 35 / 38 /41 / 46 / 47 / 50 / und 54: unter die andere Schicht aber / darinnen die unglüklichen Jahre stehen / das 23 / 30 / 32 / 36 / 42 / 44 / 48 / darnach das 54 / 56 / 60 / und dan das 72. In denen der ersten Schicht sol der Mensch Glük in allem Handel / und auf Reisen haben / Heil und Gesundheit besitzen / auch zu Ehren und Würden erhoben werden. In denen aber der andern Schicht sol ihm nichts / als Unglük / Traurigkeit /Feindschaft / Has / Neid / Armuht / Verlust /Schmertzen / Angst / Noht / Krankheiten / ja der Tod selbsten zustoßen.«

(18) Mitten in diesem des Artztes Berichte bekahm der kranke Manoah eine sonderliche Lust in sei nem Garten frische Luft zu schöpfen. Darüm begehrte er / mit seinem Bette / dahin getragen zu werden. Der Artzt lies solches zu; weil der Himmel heiter / die Luft mäßigwarm und stille / ja das Wetter überaus angenehm / und der Kranke selbst wieder etwas besser war. Diese Besserung schien von der Freude / die er über seines Sohnes Wiederkunft bekommen / entsprossen zu sein. Ja er war so freudig / so lustig / und so guhtes Muhtes / daß er aller Schmertzen vergaß.

(19) Simson hatte seinem Vater / unter andern /erzehlet / was ihm zu Gaza begegnet: wie er die Gazer betrogen: wie er ihr verschlossenes Stadttohr / samt seinen Seulen ausgehoben / und nach Hebron darvon getragen: ja wie er es alda / sie zu höhnen / auf einen hohen Berggüpfel zur Schaue gesetzt /und den Augen aller herümwohnenden öffendlich sehen laßen Dieses hatte den alten Vater dermaßen ergetzet / daß er sich / wie mat und krank er war /gleichwohl nicht enthalten können überlaut zu lachen. Ja es lag ihm fort und fort im Sinne. [282] Wan er ein wenig stil gelegen / hub er unversehens an zu fragen: »Wan werden die Gazer ihr Stadttohr wieder hohlen? wan werden sie die Lükke / die mein Sohn in ihre Stadtmauer gemacht / wieder zuflikken?«

(20) Man hatte ihn / im Garten / eben unter einen dikbelaubten / blühenden großen Rosenstok gesetzt: darvon der eingezogene lieblichsüße Geruch sein Herz erfrischete / die schlanklangen über das Bette hin bogenweise hangenden Reiser vol Zukkerrosen sein Gesicht ergetzeten / und ihn zugleich / in ihrem anmuhtigen Schatten / für den Strahlen der Sonne beschirmeten. Gerade gegenüber / im Gesichte des Manoah / stund ein Gartenbette vol Liljen: welche / mit ihren lieblichprächtigen Königsstäben / der Rosen zierlichherlichen Keiserkrohnen / durch einen recht anmuhtigen Anblik / zu winken schienen.

(21) Alhier war es / da des alten Kranken Leben wieder gelabet / sein Hertz wieder behertzet / seine Kraft wieder gekräftiget ward. Alhier war es / da er frische Luft / frischen Athem / neuen Muht / ja gleichsam neues Bluht schöpfete. Alhier war es / da er seinem Sohne den Scheidesegen / da er dem Simson seinen Letzten Willen hinterlies.

(22) »Mein Segen« / sprach er / »segnet milder /gehet reicher / beweget sich stärker / als der Segen deiner Vorväter. Ich segene dich / mein Sohn / im Nahmen des Gesegneten. Ich verkündige dir / was mir der HERR in den Mund giebet. Du bist unter deinen Brüdern der Stärkeste. Du bist in Israel der Herlichste. Du wirst herlich hervorbrächen / wie die Sonne. Der HERR der Herligkeit wird deinen Nahmen verherlichen. Deine Stärke wird die Starken entstärken / die Gewaltigen überwältigen / die Wühtriche deines Volks dämpfen. Aus der Rüstkammer der Almacht bist du gerüstet. Gerüstet bist du mit Stärke / zum Heile des Volks Gottes. Gerüstet bist du mit Macht und Kraft / zur Erlösung des gantzen Israels

(23) Hierzu hat der Himmel dich erkohren. Hierzu hat Gott selbsten dich bestimmet. Du bist das auserwehlte Rüstzeug des Allerhöchsten. Dein Arm /durch seinen Arm gestärket / wird den Arm der Heiden zerbrächen. Du wirst Tahten tuhn / die [283] [285]kein Sterblicher vor dir getahn / noch nach dir tuhn wird. Doch diese deine unvergleichliche Kraft wirst du / in einer Frauen Schoße / verlieren. Diese deine unüberwindliche Stärke wird dir ein Weib rauben. Dieses träget die Schuld / daß zu der Zeit in Israel die Sonne nicht mehr scheinet. Endlich wird gleichwohl deine Kraft sich wieder finden. Du wirst dich kräftiglich rächen / und dein Tod wird der Filister Tod sein.

(24) »Ich werde sterben / und mich zu meinen Vätern versamlen. Meine Seele wird auffahren zu meinem und deinem Erlöser. Sie ist schon auf der Fahrt. Baldbald wird der Engel / ihr Begleiter / kommen. Darüm begrabe meinen entseelten Leib in der Höhle zwischen Zarea und Estaol. Alda sol unser Erbbegräbnis sein. Nun segene dich der Almächtige / mit mächtiger Stärke! Dich segene der GOtt Abrahams! Dich segne der GOtt Isaaks! Dich segene der GOtt Israels! Der Segen des HERRN segene dich ewiglich!«

(25) Nach Volendung dieses letzten Segens lies Manoah sich wieder in seine Kammer tragen. Simson begleitete zwar ihn / mit dem Artzte. Weil er aber begunte zu schlummern / schieden sie bald von ihm. Es war ihm in langer Zeit kein Schlaf in die Augen gekommen. Daher ward es rahtsam befunden ihn allein und in der Stille zu laßen; damit der ankommende Schlaf üm so viel eher einkehrete. Der Artzt wolte zwar seinen Abschied nehmen: aber Simson hielt ihn auf. Weil er seinen Bericht von den Wechsel- und Stufenjahren / mit großer Vergnügung / angehöret; so war er begierig nun auch etwas von den Wechseltagen zu vernehmen. Und zu dem Ende gingen sie beide wieder in den Garten.

(26) Alhier war es / da der Artzt seinen getahnen Bericht von den Wechseljahren / damit er auf denselben von den Wechseltagen üm so viel füglicher kommen möchte / mit kurtzen Worten wiederhohlete. Nach dieser Wiederhohlung beschrieb er erstlich dieselben Tage / welche die Aertzte / bei währenden Krankheiten in obacht zu nehmen pflegen. Darnach kahm er auch auf die Uhrsachen derselben; die nicht aus dem Einflusse der Sterne / sondern aus der Ahrt der Krankheit / und [285] des Geblühts / oder der Feuchtigkeiten Eigenschaft herrühreten. Und also fuhr er dan folgender Gestalt fort.

(27) »Die Wechseltage« / sprach er / »seind dieselben Tage der Krankheit / darinnen sie sich schnäl verändert / entweder zum Leben / oder zum Tode: indem die guhten / und bösen Stunden gleichsam abwechseln / und entweder die Krankheit / oder die Natur des Kranken / die allezeit für das Leben / und wider den Tod streitet / nach langwierigem unterlichem Gefechte / den Sieg plötzlich davon träget.

(28) Diese Veränderung oder Abwechselung geschiehet gemeiniglich entweder am Vierden Tage der Krankheit / von demselben Tage / da sie sich am ersten geeusert / anzurechnen /oder aber am Siebenden / oder auch wohl am Neunden / ja selbst am Vierzehenden; nachdem die Krankheit bald geschwinder und schnäller / bald langsamer und träger zu sein pfleget.

(29) Die Würkung solcher Wechselzeiten /oder vielmehr Abwechslungen der Krankheiten in denselben / schreiben die Sterndeuter dem Lauffe der Schweifsterne zu. Ja sie wollen / weil der Mohn seinen vollen Schein bald eher / bald spähter erreichet / daß die Zufälle der Krankheit auf keine gewisse Zeit abwechselten / oder sich veränderten. Wan aber der Mohn / amWechseltage / mit den gühtigen und glüklichen Schweif- oder Ir-sternen des Jupiters / und derVenus / in seinem eigenen Hause lieffe; so sei es ein Zeichen / daß die Veränderung oder Abwechselung zur Besserung gedeien / und der Kranke der Gefahr entkommen würde. Hingegen wan der Mohn alsdan / in seinem Hause / mit dem boßhaftigen Irsterne des Saturns / und der Sonne befunden würde / sei es eine Anzeigung / daß die Veränderung / wo nicht zum Tode / doch gewis zu einer langwierigen Krankheit ausschlagen werde.

(30) Aber ausser dem / daß die Sterne hier / in der untern Welt / nicht selbst würken / sondern die verborgenen bald kräftigen / bald unkräftigen Würkungen der Zeugemutter aller Dinge nur anzeigen / und zuvor verkündigen / scheinet es auch abergleubisch zu sein / wan man auf ihren Stand oder Lauf [286] garzugenau acht schlagen / und auf ihre guhte Anzeigungen sich alzusehr verlaßen / ja die Bösen alzusehr fürchten wolte: wiewohl ich / diese gantz in den Wind zu schlagen / auch nicht rahte. Und eben darüm wil ich lieber bei der Rechnung bewährter Aertzte / die ich /aus der Erfahrung / viel gewisser befunden / bleiben /als mich an so ungewissen oder vielmehr undeutlichen Zeichen / zumahl weil das Sternbuch unsern blöden und blintzlenden Augen vielzudunkel und unleserlich ist / vergaffen.

(31) Auch wil ich dannenher die Uhrsache solcher Abwechselungen oder Veränderungen der Krankheiten zu gewissen Zeiten nicht den Sternen beimässen; sondern der Eigenschaft und Ahrt der Krankheit / und des Menschlichen Leibes selbst / wie auch der bösen oder guhten Beschaffenheit des Geblühts / und anderer Feuchtigkeiten / die im Menschlichen Leibe sich /vermittelst einer bösen Weise zu leben / in übermäßiger Mänge / gesamlet.

(32) Dan die Angebohrenheit oder Natur des Menschen ringet und streitet mit der Krankheit fort und fort / und wolte sie gern überwinden / und austreiben. Daherbegiebt es sich auch / wan eine von beiden sich mat und müde gestritten / und den Streit länger nicht ausstehen mag / daß sie plötzlich darnieder fallen /und dem stärkeren Teile den vollen Sieg überlaßen mus. Fället dieser der Menschlichen Angebohrenheit zu / so folget eine schnälle Besserung. Bekömt ihn aber die Krankheit / alsdan greiffet sie den Menschen viel häftiger an / und imfal jene / dieser zu widerstehen / gantz keine Kraft mehr hat / erwürget sie ihn gar. Und solches geschiehet in geschwinden Krankheiten / gemeiniglich entweder auf den Siebenden / oder Neunden / oder auch / wan der Streit am längsten währet / auf den Vierzehenden Tag.

(33) In hiesigem Streite begegnet dem Menschlichen Leibe schier eben dasselbe / was sich mit einer belägerten Festung / die auf das häftigste bestürmet wird / begiebet. Wan dieselbe mit starken Mauren /mit tapfren Kriegsleuten / mit Kriegs- und Lebens-mitteln / welche genug seind der anstürmenden Gewalt des Feindes zu widerstehen / versehen ist; alsdan hat [287] es mit ihr / erobert zu werden / so leichtlich keine Gefahr: zumahl wan noch darzu vor der Belägerung das unnütze Völklein / das sonst nirgendzu dienet /als die Lebensmittel aufzehren zu helfen / und den Streitenden verhinderlich zu sein / wie des Unflahts übermaße vor der Krankheit / ausgeschaffet worden /und in der Belägerung selbsten / wan es an ein Kneipen gehet / ihrer Besatzung ein mächtiger Entsatz /wie der Natur des Kranken ein kräftiges Stärk- und anderes Artzneimittel / von aussen zu Hülfe komt.

(34) Wan aber gemeldte Festung mit erwähnter Kriegsbereitschaft und Nohtdurft übel versehen ist /und noch darzu keinen Entsatz bekommen kan; alsdan vermag sie sich nicht lange zu halten / und mus sich /nach einem oder dem andern feindlichen Sturme / wie ein übelbeschaffener schwacher Leib / dem überdas auch seine Stärkung / durch heilsame Mittel / mangelt / mit dem ersten ergeben.

(35) Gleichwie auch der Feind / eine Festung zu bestürmen / zuweilen eine Zeit lang aufhöret / aber sobald er verschnoben / und neue Kräfte geschöpfet /mit voller Gewalt / und gemeiniglich viel häftiger /als zuvor iemahls / den Sturm aufs neue beginnet / ja solcher gestalt anhält / daß die Belägerten / Macht-und Kraft-loß gemacht / sich länger nicht halten /noch wehren können: also pfleget sich zu Zeiten das Toben und Wühten in geschwinden Krankheiten / wie ein häftiger Windsturm / auch wohl eine kleine Weile zu legen / doch bald wieder / mit so starkem Nachdrukke / zu erhöben / daß der Menschliche Leib sein Leben nährlich bis an den siebenden Tag erhalten kan: da dan der Streit brächen / und die Uberwindung entweder der Natur des Menschen / zu desselben Genäsung / oder aber der Krankheit / zu dessen Ertöhtung / heimfallen mus.

(36) Weil nun die verborgene Kraft der siebenden Zahl in vielen geschaffenen Dingen / durch eine Veränderung zum Guhten so wohl / als zum Bösen / sich eusert / auch bei den Gotsgelehrten selbst in sonderliche Betrachtung komt / ja gar für heilig gehalten wird; so stehet es dan weisen Aertzten / ja allen Menschen freilich zu auf den siebenden Tag / nicht [288] nur in Krankheiten / sondern auch anderwärts / ein wachendes Auge zu werfen.

(37) Daß aber etliche gewisse Zahlen der Tage / Mohnden / und Jahre / so wohl zur Zeit der Gesundheit / als Krankheit / was sonderliches / es sei Glük oder Unglük / Guhtes oder Böses / mit sich bringen / lehret uns die Erfahrung. An denen / die aus Hunger / oder aus Mangel der Speisen verschmachten / befindet es sich / daß sie am Siebenden Tage gemeiniglich sterben. Ja wan sie schon etwas zu trinken bekommen / und dadurch ihr Leben länger fristen; so kan es doch über den Neunden Tag nicht tauren: weil man an diesem Tage den Lebenssaft / samt allen andern Feuchtigkeiten / ausgetruknet / die Lebensgeister verschwunden /und die angebohrne Wärme sich verlohren zu haben siehet.

(38) Ich wil mehr sagen: GOtt selbsten scheinetdie Siebende Zahl / und den Siebenden Tag selbst dadurch geheiliget zu haben; weil Er am Siebenden Tage der allerersten Woche der Zeit von den Werken der Schöpfung geruhet / und überdas auch uns diesen Siebenden Tag in ieder Woche allezeit zu heiligen / und zu feiren befohlen. Gleichwohl ist die Siebende Zahl /noch auch der Siebende Tag nicht gantz heilig / noch gantz vollkommen. Daher sagte Lamech / des Metusaels Sohn / und des Jubals / des ersten Geigers und Pfeiffers / wie auch des Tubalkains / des ersten Kunstarbeiters im Ertz und Eisen /Vater / nachdem er den Kain / und seinen eignen Handleiter getöhtet / zu seinen Weibern / der Ada und Zilla: Kain sol Siebenmahl gerochen werden; aber Lamech Sieben und siebenzig mahl: das ist / diese Rache wird weit volkommener sein / als Kains.«

(39) Hier fing Simson dem Artzte das Wort auf /und fragte: warüm dan die siebende Zahl / noch auch der siebende Tag nicht für gantz heilig / noch für gantz volkommen zu rechnen sei? Weil Adam und Eva / gab der Artzt zur Antwort / das Ende dieses geheiligten siebenden Tages nach der Zeit wieder entheiliget. Dan als Gott / in den ersten sechs Tagen der Zeit / Himmel und Erde geschaffen / und den siebenden / weil Er daran geruhet / gesegnet und geheiliget;[289] da sei dieser geheiligte siebende Tag /durch gemeldte zween erste Menschen / nachmahls im Paradiese fast gegen den Abend / wieder entheiliget worden; indem sie / durch die Schlange / verführet /von der verbohtenen Frucht gegässen / und auf alle ihre Nachkommen den Fluch und das ewige Verderben gebracht. Und also ginge noch itzund dem siebenden Tage ieder Woche / in allen natürlichen Würkungen / von seiner Heiligkeit und Volkommenheit etwas ab.

(40) »Der Mohn« / fuhr der Artzt fort / »komt auch auf ieden Siebenden Tag in ein anderes Zeichen des Tierkreuses / und volbringet also allezeit in sieben Tagen ein Vierteil seines Lauffes. Nähmlich wan er etwan auf einen Freitag in ein wässerichtes Zeichen geträhten / dan komt er auf den nächstkünftigen Donnerstag / gegen den Freitag / wieder in ein Truknes. Daher ist dieser Lehrsatz der Witterung bei den Sterndeutern und Ahrtforschern entstanden: Wan es an einem Freitage regnet /bringet uns der andere nächstfolgende truknes Wetter. Dieses trift auch meisten teils ein.

(41) Doch dieser Siebende Tag ieder Woche in des Mohnes Lauffe wird ebenmäßig nicht vol gerechnet: weil in iedem Vierteil oder Kreuse des Mohnes / nähmlich an iedem Siebenden Tage seines Lauffes / zum wenigsten vier Stunden / oder zum höchsten sechse fehlen. Und ob schon die Sternkündiger in der Zahl der Stunden mishällig seind / so kommen sie doch darinnen / daß dieser siebende Tag ein guhtes Teil verliere / sämtlich überein. Eben also gehet / imWechsel der Krankheiten / iedem siebendem Tage / iedem siebenden Mohnden / ja iedem siebenden Jahre stähts etwas ab.

(42) Und daher komt es / daß die berühmtesten Aertzte zwar die erste und zweite Woche sieben Tage vol rechnen / und am siebenden und vierzehenden Tage den Wechsel der Krankheiten / wie auch imsiebenden und Vierzehenden Mohnden und Jahre den Wechsel der Natur und des Alters betrachten: weil dem ersten siebendem Tage nur wenig / und dem an dern der zweiten Woche noch mehr nicht /als die Helfte des Tages abgehet. [290] Aber die dritteWoche zehlen sie nicht sieben Tage vol /indem sie einen gantzen darvon abkürtzen; also daß sie nicht dem ein und zwanzigsten / sondern dem zwanzigsten Tage /Mohnden / und Jahre den Wechsel der Krankheit / der Natur / und des Alters zuschreiben: weil alhier / in der dritten Woche / mehr als ein halber / ja schier ein gantzer Tag fehlet.

(43) Ja wie sie den Vierzehenden Tag gleichsam zweimahl zu zehlen pflegen / einmahl am Ende der zweiten / und das andere mahl im Anfange der dritten Woche / dergestalt daß er der Letzte der Zweiten / und der Erste der Dritten zugleich sei: so rechnen sie zwar fort inder fünften Woche den sieben und zwanzigsten Tag des Wechsels / und in der Sechsten den Vier und dreissigsten; aber sie kürtzen dieser sechsten Woche / die sonst / mit dem zwei und vierzigsten / wie die Dritte mit dem Ein und zwanzigsten / wan der siebende Tag ieder Woche vol were / sich schlüßen solte / wieder einen gantzen Tag ab / gleichwie sie der Dritten getahn / und setzen die Wechselzeit der Krankheit auf den Vierzigsten Tag; so auch dieselbe der Natur / und des Alters in den vierzigsten Mohnd / und das vierzigste Jahr.

(44) Eben auf diese Weise verfahren sie mit der Neunden Woche: darinnen sie / weil iede dritte Woche / nach ihrer Rechnung / einen Tag verlieret /an stat der sieben Tage / gleichmäßig nurSechse zehlen / und also dieser gantzen Neunwöchendlichen Zeit / die mit dem Neunden Wechseltage / den man eigendlich den Großen Staffeltag nennet / sich schlüßet / nicht Neunmahl Sieben Tage vol / das ist Drei und sechszig / sondern drei gantzer Tage weniger / nähmlich nur sechszig zueignen.

(45) Gleich also und nicht anders machen sie es mit den Mohnden / und Jahren: indem sie zu demselben Menschlichen Alter / da die Große Wechsel- oder vielmehr Stufen-zeit einfället / nicht Neunmahl Sieben Mohnden / oder Jahre vol / das ist Drei und sechszig / sondern drei [291] Mohnden /oder Jahre weniger / nähmlich nur Sechszig zu rechnen pflegen.

(46) Hierbei mus ich auch nohtwendig melden /daß dieselben Aertzte / welche / wider die gemeine Gewohnheit / den Wechsel der Krankheiten / unter andern / vom Drei und sechszigsten Tage / drei gantzer Tage zurück / auf den Sechszigsten verschoben / einen Unterscheid zwischen den Guhten / und Bösen Wechseltagen zu machen pflegen. Guhte nennen sie eigendlich dieselben / die GOtt gesegnet und sie selbsten / durch Sieben / auf itztangeführte Weise / nach eigener Erfahrung / ausgerechnet.

(47) Ja sie dürfen wohl gar bejahen erfahren zu haben / daß am 7. 14. 20. 27. 34. 40. 47. 54. und 60Tage / ob es schon bisweilen / mit Krankheiten /und andern Widerwärtigkeiten / sehr hart und gefährlich zugegangen / gleichwohl selten iemand gestorben / oder in Weltlichen Händeln so unglüklich gewesen /daß er den kürtzern gezogen / und sein Anschlag ihm nicht endlich gelungen.

(48) Auch haben sie angemärket / wan irgend / ausserhalb diesen Wechseltagen / heftige Krankheiten / und andere schwere Zufälle zum höchsten gefährlich sich angelaßen / daß gleichwohl der Neunde Tag dem Siebenden / unter den guhten Wechseltagen / der nächste gewesen: weil er einige Besserung / und Veränderung des Zustandes der Kranken mit sich gebracht.

(49) Hingegen nennen sie Böse Wechselta ge dieselben / darinnen der Zustand des Kranken gefährlicher wird / ja zum höchsten gefährlich / wan er /an einem dieser Tage / bei großer Angst / häftig zu Bluhten / zu Schwitzen / und ohnmächtig zu werden beginnet; da er dan gemeiniglich stirbet / und selten darvon komt. Solche Tage seind in ieder Woche der Dritte / und dan der Sechste: welche sie / ihrer eusersten gleich als wühterischen Boßheit wegen / alle beide / zuvoraus den Sechsten / als den zweimahl dritten / und allerärgsten Wühteriche des Lebens zu nennen pflegen.

(50) Von der Zahl dieser Bösen Wechseltage stammen her die zwei Bösen Wechseljahre / das Drei und sechszigste / [292] und / welches noch schlimmer ist /das Sechs und sechszigste: indem das vorgemeldte Große Stuffenjahr / welchesdas Sechszigste Menschlichen Lebens ist / in allen beiden / in jenem vom ersten Bösen Wechseltage / nähmlich dem Dritten ieder Woche / in diesem aber vomzweiten auch Bösen / ja zweifach bösem Wechseltage / dem Sechsten ieder Woche / den Zusatz bekömt. Daß aber das letztere Sechs und sechszigste Menschliche Lebensjahr das allerärgeste und böseste Wechseljahr sei / können wir dar aus abnehmen; weil in demselben / wie die Erfahrung bezeuget / die meisten aus vielen fürnehmen Geschlächtern ihr Leben einbüßen müssen.

(51) Diese Böse Wechseljahre / wie auchWechseltage scheinen uns von Gott zugeschikt /und zwar zur Strafe der Uberträhtung seines ersten Verbots / und der Entheiligung seines geheiligten Ruhetages durch die ersten Menschen: welches sich an einem ebenderselben / nähmlich an einem Siebenden Tage der Woche / nach etlicher Gottesgelehrten Meinung / üm zwei Uhr nach Mittage sol begeben haben.

(52) Und hieran können wir üm so viel weniger zweifeln; weil es gewis ist / daß wir / wan Adam und Eva sich hierdurch nicht versündiget hetten /gantz keinen Krankheiten / noch andern Unglükken und Widerwärtigkeiten unterworfen sein würden. Ja alle Tage / alle Mohnden / alle Jahre würden uns gantz glüklich / und gantz ersprüßlich zu allem Guhten sein; zuvoraus der Siebende gesegnete / geheiligte Tag / der auch noch itzund gesegnet bleibet / bis auf die letzten Stunden /denen unserer ersten Eltern in denselben begangene Sünde den Segen verwahrloset / und entzogen zu haben scheinet. Und dieses ist ausser Zweifel die Uhrsache / warüm etliche Aertzte dieses gleichsam entsegnete letzte Teil des Sie benden Tages / wie auch Mohndes /und Jahres zu der guhten Wechselzeit der Tage / Mohnden / und Jahre nicht rechnen wollen.«

(53) Hiermit endigte der Artzt seine Reden / und nachdem er den Simson / wie es mit seinem Vater / in den drei folgenden Tagen / solte gehalten werden / unterrichtet hatte / schieden [293] sie beide voneinander. Jener begab sich nach Hause: dieser aber blieb noch eine Zeit lang im Garten; damit er den nunmehr schlafenden Kranken in seiner Ruhe nicht stöhren möchte.

(54) Alhier war es / da er / in seinen Gedanken /alles betrachtete / was er vom Artzte gehöret. Sonderlich überwog er dasselbe / daß der Siebende Tag in der Krankheit / bis auf etliche seiner letzten / durch die ersten zween Menschen entheiligte Stunden / gleichsam der Ruhetag des Kranken / nach der Arbeit und dem Streite mit der Krankheit in den vorigen Sechs Tagen / sein solte; gleich also / wie der Siebende Tag der Schöpfung GOttes Ruhetag / nach seinen Werken / die er ebenmäßig in den vorigen Sechs Tagen / verrichtet / gewesen.

(55) Alhier war es / da er behertzigte / warüm man / nach dem Gesetze GOttes / Sechs Tage durch arbeiten / und am Siebenden ruhen und feiern; wie auch / warüm ein Leibeigner Knecht seinem Herrn Sechs Jahre dienen / und im Siebenden frei / und seiner Dienstbarkeit entledigt; ja warüm das Land Sechs Jahr seine Früchte tragen / und im Siebenden ledig liegen / und ruhen solte. Dieses und mehr anderes / das die Siebende Zahl betraf / war itzund seine Betrachtung.

(56) Eben in dem Augenblikke hatte sich Simson nach der Gartentühre zu begeben wieder in das Haus zu gehen / als ihm seine Mutter entgegen kahm. Diese rief ihm mit hastiger Stime zu: er solte flugsflugs hinein kommen. Der Vater sei wieder wakker. Er habe begehret ihn zu hohlen. Auf diese Worte beschleunigte Simson seine Schritte. Er ging hastig fort / und traht zu seinem Vater in die Kammer.

(57) Alda befand er / daß der Krankheit Sturm sich nochmehr geleget: daß der süße / wiewohl wenige Schlaf seinem Vatter gantz wohl bekommen; weil er nunmehr zu essen begehrte. Auch aß er die vorgesetzten Speisen mit solcher Lust / und mit solchem Schmakke / daß Sohn und Frau darüber eine hertzliche Freude schöpfeten.

(58) Aber der folgende Tag / welcher der Ein und sechszigste seiner Krankheit war / lies sich so guht nicht an. Der [294] Sturm / der sich / wie es schien / bisher nur darüm ein wenig geleget / damit er den Kranken / mit erhohlten Kräften / üm so viel häftiger bestürmen möchte / begunte wieder zu wühten. Er fing wieder an zu toben. Ja er grif den armen Manoah dermaßen an / daß man nicht anders vermeinte / dan sein letztes Broht würde nunmehr gebakken sein.

(59) Gleichwohl verzog sich der Streit des Kranken mit der Krankheit bis auf den Drei und sechszigsten Tag. An diesem Tage setzte /mit einem so gewaltigem Sturme / die Krankheit auf ihn zu / daß sie dem Tode das Tohr bei ihm einzuziehen angelweit öfnete. So verschied dan / an diesemBösen Wechsel- und Staffel-tage der ausgemärgelte schwache Manoah / eben in der Stunde / da der Sonne Schatten den Mittagsstrich verlies /und sich abendwärtshin zu lenken begunte.

(60) Niemahls wird die Ehliche Liebe mehr erkant /als wan zween Ehleute der Tod scheidet. Kein Auge weinet mehr / als dasselbe / das den Tod dieselben Augen / denen es / durch hertzliche Liebe getrieben /alle seine Blikke gewiedmet / zudrükken siehet. Kein Hertz seufzet mehr / als dasselbe / das ein solches Hertz / dem es sich / in treuer Liebe / zu eigen gegeben / mit den Augen zugleich brächen siehet.

(61) Manoah und seine Frau hatten einander hertzlich geliebet: darüm war es kein Wunder / daß ihr sein Tod so gar schmertzlich vorkahm. Sie verbarg zwar die Häftigkeit ihrer Betrübnis so viel / als sie konte / weil er noch lebete; damit sie ihm dadurch nicht etwan einen harten Tod veruhrsachte. Aber sobald sie vermärkte / daß die Seele war ausgefahren /und keine Hofnung das Leben zu erhalten mehr vorhanden war; da begunte sich ihre Traurigkeit erst recht zu eusern. Da weinete / da kärmete / da seufzete sie so häftig / daß es schien / als würde sie nimmermehr aufhören.

(62) Simson / wiewohl er selbst schier über die maße betrübet war / bemühete sich dannoch auf das euserste seiner Mutter einen kräftigen Trost einzusprächen. Aber es war ümsonst dieselbe zu trösten /die sich / mit ihrem Manoah / allen Trost verlohren zu haben so festiglich einbildete. Sie [295] begehrete nunmehr nicht länger zu leben / nachdem derselbe / dem zu liebe sie nur allein bisher gelebet / zu leben aufgehöret. Weil das eine Teil ihres Hertzens toht war / so begehrte sie des anderen Leben keines weges gefristet zu haben.

(63) Doch diese Betrübnis ging erst volkömlich an / als des Verstorbenen Leiche nunmehr solte zu Grabe getragen werden. Da war es erbärmlich anzusehen /wie diese Trübsälige schier in lauter Trähnen zerflos. Das Jammern / das Wimmern / das ächzen / das wehklagen hatte kein Ende. Ja sie fiel endlich vor dem Sarge gar in Ohnmacht nieder. Es währete schier eine Stunde / daß man in ihr keinen Ahtem mehr spührete. Alle Lebensgeister schienen als erstikt zu sein. Man hatte genug zu tuhn sie zu kühlen / sie mit Kraft- und Stärkwassern zu laben / ehe man es so weit brachte /daß sie wieder zu sich selbst zu kommen begunte.

(64) Der Leiche folgeten / neben dem Simson /nicht allein alle Bluhtsverwanten aus dem Stamme des Dans / sondern auch die Aeltesten und Fürnehmsten der andern Stämme des gantzen Israels selbsten. Und dieses tähten sie dem Simson / als ihrem algemeinen Richter / zur sonderlichen Ehre. Man setzte sie bei / auf begehren des Manoah / im Erbbegräbnisse seines Geschlächtes zwischen Zarea und Estaol. Und Simson betrauerte seinen Vater / samt allen seinen Bluhtsfreunden / sieben Tage lang.

(65) Als nun die Trauertage vorbei waren / setzte sich Simson wieder auf den Richterstuhl / das Gerichte / welches eine Zeit lang stil gestanden / wieder zu hägen. Auch machte er Anstalt den gantzen Staht von innen und von aussen in guhtem Frieden zu erhalten. Dahin strebeten alle seine Gedanken / alle seine Rahtschläge. Dahin zieleten alle seine Handlungen / alle seine Verfassungen. Ja er täht nichts / er verrichtete nichts / als was zur Befriedigung / und zum Wohlstande des gantzen Volks Gottes dienen mochte.

(66) Zwischen dessen hatte die übermäßige Traurigkeit seine Mutter ebenmäßig auf das Bette geworfen. Sie lag auch krank darnieder. Es war kein Wunder. Vom stähtigen Wachen bei ihrem kranken Ehgatten waren ihre Kräfte schon meistenteils[296] [298] verschmoltzen. Vom vielen Fasten war sie selbsten albereit so verfallen / daß sie fast anders nicht / als ein Schämen / aussahe. Hierzu kahm endlich die Angst / darein ihre häftige Betrübnis sie stürtzte. Und darüm hatte sie gantz keine Macht mehr dem Anfalle der Krankheit zu widerstehen.

(67) Der Artzt wendete zwar seinen besten Fleis an sie au genäsen. Sonderlich war er bemühet die Traurigkeit ihr aus dem Hertzen zu bannen. Und darüm verschrieb er ihr meistenteils fröhlichmachende Mittel. Aber diese Wühterin / diese Hänkerin saß bei ihr schon so tief eingewurtzelt / daß kein Artzneimittel /wie guht und kräftig es immermehr war / zu verfangen vermochte.

(68) Die guhte Frau blieb betrübt / wie zuvor. Sie konte durchaus nicht fröhlich sein. Es war unmüglich ihr einige Freude zu machen. Sie war eben als eine Turteltaube: welche / wan sie ihren Gatten verlohren /sich niemahls wieder auf einen grühnen Zweig setzet /und nicht eher zu trauren / als zu leben aufhöret. Freilich hatte sie keine Lust / keine Freude mehr an einigem Dinge. Freilich hörete sie zu trauren nicht auf /als da der Tod / mit dem Leben / zugleich das Trauren verjagte.

(69) So folgete dan dieselbe / die so ein unvergleichliches Lehrbild / so ein unbetrüglicher Spiegel der recht getreuen Ehlichen Liebe war / ihrem lieben Ehgatten bald nach. So schied dan diese so edle Seele / die man mit Klugheit gezieret / mit Keuschheit geschmükket / und mit allen herlichen Tugenden begabet sahe / bei ihrem Manoah ewig in Freuden zu leben / aus diesem vergänglichen trübsäligem Leben. So starb dan diese Gottseelige Frau in eben der Stunde / darinnen nur vor vierzehen Tagen derselbe / den sie / selbst nach seinem Tode / so hertzlich geliebet /gestorben.

(70) Kaum hatte sie diese Welt gesegnet / kaum hatte sich ihr schöner Geist / in ewiger Freiheit zu leben / aus seinem Gefängnisse loßgebrochen; da erfuhr es schon die gantze Stadt. Da lief das Gerüchte von ihrem Tode schon durch das gantze Land. Da bezeugten alle Frauen / denen zuerst / aus häftiger Bestürtzung / weder Trähnen / noch Worte flüssen wolten / ihr Wehleiden straks mit tausend Seufzern. Auf diese [298] folgete das Weinen / das Aechzen / das Kärmen / das Wehklagen. Selbst die Jungfrauen / selbst die jungen Mägdlein / die ihre Mutter schier in Trähnen zerschmältzen / und in Seufzer zergehen sahen / verfügten sich mit an den Trauerreihen.

(71) Es war niemand / der diese so Edele Frau nicht beklagte. Es war keiner / der nicht betauerte /daß dieser so helleuchtende Tugendspiegel / in dem sich noch manche Frau / ihr Gemüht darnach auszuschmükken / bespiegeln können / seinen Glantz der Welt so frühzeitig entzogen. Ja man durfte selbst rundaus sagen: mit ihr sei die Tugend der Frauen verblichen: mit ihr sei die Ehre / der Ruhm / die Zierde der Frauen verschwunden: mit ihr habe sich die Krohne des gantzen Frauenzimmers verlohren.

(72) Dieser Nachklang klung besser / drung gewaltiger durch Ohren und Hertzen hin / als derselbe / denSimsons treuloses Weib hinterlies. Zwischen diesem boßhaftigen Weibe / und der frommen Mutterdes Simsons war auch gewislich eben so ein großer Unterscheid / als zwischen Himmel und Hölle / zwischen Engel und Teufel. War Simsons Mutter ein Tugendspiegel / so war sein Weib ein Lasterspiegel / den die Höllischen Geister mit ihrem giftigem Ahtem behauchet.

(73) Ich wil mehr sagen: Simsons fromme Mutter / der es auch / neben den ausbündigsten Tugenden / gewislich an keiner ausbündigsten Schönheit fehlete / hat durch hiesige Gemühts- und Leibes-gaben einen solchen Ruhm bei der Nachwelt noch itzund verdienet / daß diese meine Feder sich nicht entziehen können ihm auch ein Zierfärblein anzustreichen / und in die lobsingende Stimmen mit einzuknarren.

(74) Wan die Gewohnheit Tugendhafte Menschen zu vergötlichen / oder dem Gestirne des Himmels einzuverleiben nicht verjahret were; so würde meine Feder sich nicht enthalten können ihren ruhmherlichen Nahmen dem Tierkreuse / zwischen das Leuen- und Wage-gestirn / einzuverleiben / oder vielmehr ihr Bildnis im fünften Himmelskreuse der hellflinkernden Schweifsterne / den sonsten Venus bestrahlet / zum ewigen Andenken abzureissen. Alhier solte dan dieses Tugendbild [299] unserem Frauenzimmer am Abende sowohl / als am Morgen / zur Tugend gleichsam vorleuchten.

(75) Wan unseren Frauen und Jungfrauen eine solche Vorleuchterin / und Ermahnerin ihrer Pflicht / sowohl wan sie zu Bette gingen / als wan sie aufstünden / täglich am Himmel vor Augen schwebete; so würde dadurch vielleicht die Tugend / wo nicht allen / doch vielen dermaßen eingeleuchtet und eingestrahlet werden / daß die Männer sich dessen zu erfreuen / und sie selbsten / wonicht / mit Simsons Mutter / einen ewigen / doch gleichwohl großen Nachruhm darvon hetten.

(76) Aber wir wollen den Leichnam dieser Gottsäligen Frau bis zu seiner Beerdigung liegen laßen / und indessen ihren großen Sohn auf seinem Richterstuhle betrachten. Alhier erschienen aus allen zwölf Stämmen des Israelischen Volkes / gemeiniglich dieselben / die einige Rechtssache wider iemand vorzutragen hatten / des Simsons / als ihres algemeinen Richters / Urteil und Erkäntnis darüber einzuhohlen.

(77) Unter denen erschien auch vor dem Simson / üm eben die Zeit / da seine Mutter den Geist aufgab / eine Filistische Frau. Diese rief eine Ebräerin aus dem Stamme des Naftali vor Recht. Sie beschuldigte dieselbe / daß sie ihre Tochter gestohlen. Und solches wahr zu machen / hatte sie etliche Zeugen / welche sie kenneten / bei sich. Hierbei berichtete sie: ihre Tochter sei dazumahl / da man sie entführet /zehen Jahr alt gewesen; und itzund / weil sie dieselbe schon vor fünf Jahren verlohren / ginge sie in das sechszehende.

(78) Nachdem nun Simson diese Filisterin gehöret / lies er sie / samt ihren bei sich habenden Zeugen / abträhten / und die Ebräische Frau / mit der entführten Tochter / vor sich fordern. Straks hielt er ihr vor / worinnen die Filisterin sie bezüchtiget. Ja er fragte sie zugleich: ob sie nicht wüste / daß im Gesetze Gottes geschrieben stünde / daß derselbe / der einen Menschen gestohlen /mit dem Tode solte gestraft werden?

(79) Hierauf gab die Ebräerin zur Antwort: ›wider dieses Gesetz hette sie keines weges gesündiget; darüm ginge sie auch [300] die Strafe nicht an. Sie hette nicht mehr getahn / als ihre Tochter / die ihr zehen Jahre zuvor / da sie noch ein kleines Kind gewesen / entwendet worden / wieder zu sich genommen; nachdem sie selbst von ohngefähr auf der Gasse zu Gaza zu ihr gelauffen / und mit lieblenden und freudigen Gebährden / daß sie ihre Tochter sei / zu erkennen / ja ihr selbst den Nahmen Mutter gegeben.

(80) Aber die Filisterin sei es‹ / fuhr sie fort / ›welche darwider gehandelt: weil sie dazumahl ihr Kind entweder selbst gestohlen / oder es von iemand /der es gestohlen / gekauffet / und also ihrem Mütterlichen Schoße gleichsowohl entwendet. Die Zeugen /welche die Filisterin wider sie zu gebrauchen gedächte / hielte sie nicht für gültig: weil sie zwar zeugen könten / daß sie ihr Kind bei der Fraue gesehen /aber nicht beweisen / daß es ihre Tochter sei.‹

(81) Unter diesen Reden verlies Simson weder der Mutter / noch der Tochter kein Auge. Er sahe sie alle beide scharf an. Er betrachtete sie / mit sonderlicher Aufmärkung. Weil er nun aus der Bildung und den Zügen ihrer Angesichter wohl erkante / daß sie einander gantz glichen; so urteilete er von Stunden an / daß die Ebräerin recht / und diese Tochter keine andere / dan dieselbe / der sie so eigendlich gliche / zur Mutter hette: zuvoraus als er noch darzu betrachtete /wie ungleich / wie unähnlich dagegen beiden die Filisterin sei: die auch nicht ein Zeichen / nicht ein Züglein hatte / dadurch man erweisen können /daß ihr das Mütterliche Recht zukähme.

(82) Zudem war aus allen Gebährden dieser Ebräerin genugsam abzunehmen / daß sie mit keiner Betrügerei ümginge. Ihr sahe die Aufrichtigkeit aus den Augen. Ja ihr gantzes Wesen zeigte sie an. Dagegen hatte Simson an der Filisterin / straks im ersten Anblikke / nichts / als eine verschalkte betrügerische Gebuhrtsahrt / erblikket: daraus er unschweer schlüßen können / daß sie hinter der Wahrheit hinwandelte; daß sie / mit künstlich gezierten Lügen /das Recht auf ihre Seite zu beugen / und also ihre Sache bei dem Richter zu erhalten gedächte.

[301] (83) Auf dieses des Simsons Augenurteil muste die Filisterin wieder hinein kommen.Simson hielt ihr vor: ›wan sie / ihrem Vorgeben nach / dieser streitigen Tochter rechte Mutter sei / wie es dan kähme / daß sie ihr weder in Gebährden / noch in der Bildung des Angesichtes so gar nicht / der Ebräerin aber dagegen gantz eigendlich gliche /dergestalt daß man wohl sagen möchte / sie sei ihr gleichsam aus den Augen geschnitten?‹

(84) Aber die Filisterin war so arglistig und verschmützt / daß sie auf diese Frage straks einen Fund wuste. ›Sie müste zwar gestehen‹ / gab sie zur Antwort / ›daß ihr diese Tochter nicht ähnlich sei: doch darüm könte man ihr das Recht / das sie an ihr hette / keines weges absprächen; weil sie ihrem verstorbenen Ehmanne sich üm so viel mehr und eigendlicher ähnlichte. Diesen‹ / fuhr sie fort / ›hette sie so lieb gehabt / daß ihr seine Gestalt und sein Wesen /als sie mit hiesiger Tochter schwanger gegangen /stähts vor Augen / und im Sinne geschwebet. Daher habe dan die Einbildung so stark in ihr gewürket /daß sie ein Kind / welches dem Vater / und nicht ihr selbsten geglichen / zur Welt gebohren.

(85) Zudem hette sie sich‹ / fuhr sie weiter fort /›zur Zeit ihrer Leibesbürde / des Spiegels gantz geeusert. Und dieses hette sie darüm getahn; damit das Kind nicht nach ihr / weil ihr die Gabe der Schönheit / die ihr Man besässen / nur kärklich mitgeteilet worden / seine Gleichähnligkeit bekommen möchte. Ja ihr gantzes Verlangen / und ihr gantzer Vorsatz sei gewesen ein schönes Kind / es sei Tochter / oder Sohn / das ihrem Ehmanne gliche / zu gebähren. Daher hette sie sich auch gantz enthalten ihre eigne Gestalt /die etwas übel gerahten / im Spiegel / oder im Wasser / oder in dergleichen Dingen / darinnen sie sich selbst sehen können / zu schauen.‹

(86) Simson / wiewohl er scheinbarlich spührete / daß sie diese Reden / ihre Sache guht zu machen /nur erdichtet / lies sich doch dessen so straks nicht märken. Er fragte bloß allein / ›aus welcher Stadt sie bürtig?‹ Und als sie geantwortet / ›von Akkaron‹; da fing er wieder an / und sagte mit lächlendem Munde: »ich vermeinte / du werest von Sefir oder Kirjat Sanna [302] / und alda / bei den Vernunftmeistern /in die Schuhle gegangen; weil du von solchen Dingen / welche die Ahrtforschung betreffen / so eigendlich zu reden weist. Wan alle Mütter das wüsten / was du weist / und das tähten / was du getahn zu haben sagest; so würden sie nimmermehr übelgestaltete Kinder gebähren.

(87) Aber von wannen war deine Mutter?« fragteSimson weiter. »Diese war von Kirjat-Sanna« / antwortete die Frau. »Hat sie darüm« /fuhr er ferner fort / »weil sie auf einer Hohen Schuhle die Kunst schöhne Kinder zu erzielen gelernet / dich so wohlgebildet gebohren? Aber hast du dan« / fragte er wieder / »diese Tochter / die du für die deinige wilst gehalten haben / auch zu Akkaron verlohren?« Weil nun die Filisterin bekante / daß es nicht zu Akkaron / sondern zu Gaza / dahin sie dieselbe mit auf den Jahrmarkt genommen / geschehen sei; so urteilte Simson noch mehr / daß die Ebräerin /die eben alda ihre Tochter wieder gefunden zu haben gemeldet / ihn mit keiner Unwahrheit berichtet.

(88) Inzwischen war die Zeit dieses Gerichtstages verlauffen; indem der Abend herbeirükte. Darüm beschied auch Simson beide Teile des folgenden Tages wiederzukommen. So lies er dan die Filisterin alsobald von sich. Der Ebräerin aber befahl er noch ein wenig zu verziehen / und als jene hinaus war / die gantze Begäbnis ihrer verlohrnen /und wiedergefundenen Tochter / mit allen Umständen / zu erzehlen. Und dieses verrichtete sie folgender Gestalt.

(89) »Diese Tochter« / sagte sie / »war ohngefähr ein halbes Jahr alt / als ich / mit meinem säligen Ehmanne / nach Timnat reisen muste. Weil sie nun noch an der Brust lag / nahm ich sie mit: aber zu unsrem Unglükke. Dan wir hatten uns alda / in einer Herberge / kaum einen halben Tag aufgehalten / da war sie uns schon unter den Händen entstohlen. Niemand wolte wissen / wo sie geblieben. Wir forscheten zwar fleissig nach: aber wir bekahmen von ihr nicht das geringste zu hören. Also zogen wir betrübt wieder nach Hause.

(90) Uns schmertzte nichts mehr / als daß sie in der Unbeschnittenen Hand gerahten. Uns jammerte nichts mehr / als [303] daß sie in der Heidenschaft solte erzogen werden. Ja mein lieber Man zog ihm dieses so zu Hertzen / daß er / aus übermäßiger Betrübnis / kurtz darnach starb. Und also hatte mich gemeldte Reise (noch itzund wil mir / wan ich daran gedenke / das Hertz bärsten) zugleich üm mein Kind / und meinen Man gebracht. Also muste dan ich Man- und Kinderloß bis in das zehende Jahr mein Leben traurig zubringen.

(91) In diesem Jahre war mir das Glük / oder vielmehr das Göttliche Verhängnis so günstig / daß ich dasselbe Liebepfand / das mir mein frommer Man /wiewohl ichs als verlohren schätzte / hinterlies / zuGaza wiedergefunden. Dieses mein liebes Kind kahm alda / auf dem Markte / mit voneinandergeschlagenen Armen mir entgegen gelauffen. Es ümfassete mich. Es drükte mich. Es hertzete meine Hände. Ich wuste zuerst nicht / wie mir geschahe. Ich stund bestürtzt. Ich war verwundert. Ich gedachte das Wenigste nicht / daß es mein eigenes Kind sei / welches ich fast vor zehen Jahren zu Timnat verlohren.

(92) Aber sobald es den Mund öfnete / sobald es mich Mutter nennete; da ward ich erst gewahr /daß es meine verlohrne Tochter were. Nach der Zeit habe zwar ich sie vielmahls gefraget / woran oder woher sie mich gekennet? Doch hat sie hierauf anders nichts zu antworten gewust / als daß es das Hertz ihr gesaget / und weil sie von einer Magd erfahren / daß sie diese Filisterin / welche sich für ihre Mutter ausgiebet / zu Timnat von einer Gastwürtin gekauffet.

(93) So unversehens und wider alles Vermuhten /kahm ich dan dazumahl wieder an meine Tochter: welche mir so lieb ist / daß ich für großen Schmertzen / wan sie mir noch einmahl solte genommen werden /gewislich sterben würde. Darüm wil ich nicht hoffen /daß mir das Recht ab- und dieser Filisterin zufallen werde. Wan dieses geschehen solte / so würden wir alle beide / mein Kind so wohl / als ich / unsern letzten Lebenstag bald sehen.«

(94) Weil nun Simson aus diesen Reden der Ebräerin in seiner Meinung / daß ihr das Mütterliche Recht über die streitige Tochter zukähme / noch vielmehr bekräftiget worden; [304] so versicherte er sie seines Schutzes / seines Beistandes wider die heillose Filisterin. Ja er tröstete sie zugleich mit gantz bewäglichen Worten: indem er sich erboht nicht allein ihr Verteidiger / und Vorsprächer / sondern auch selbst ihr Vater zu sein. Sie solte nur itzund /sagte er / guhtes Muhtes nach Hause gehen / und sich versichert halten / daß ihr der morgende Tag ein bessers Urteil / als sie vielleicht nicht gedächte / mitbringen würde.

(95) Indessen war die tausendlistige Filisterin auf allerlei Ränke bedacht gewesen / diesen großen Richter auf ihre Seite zu bringen. Sie hatte beschlossen ihn noch selbigen Abend allein und in geheim zu sprächen. Wan sie dieses erlangte / verhofte sie zugleich ihr Verlangen ihn mit glatten Worten zu überreden erlanget zu haben. Und zu dem Ende schikte sie einen köstlichen Stahtsrok zur Verehrung voran. Hierdurch wolte sie ihr den Weg bahnen zu einem üm so viel gemächlicherm Zutritte. Hierdurch vermeinte sie sein Hertz zu überrumpeln / und zur Bewilligung ihres Begehrens anzulokken.

(96) Aber ihr Anschlag schlug fehl. Ihre Ränke ränkten ihr nichts. Ihre Gabe war vergebens. Der Richter blieb aufrichtig. Er lies sich nicht teuschen. Er war durch keine List zu überlistigen / durch kein Geschenk zu blenden / durch keine Verehrung zu betöhren. Die Satzungen seines Gottes stunden in seinem Busem eingebusemet. Sie waren mit lebendigen Buchstaben in sein Hertz eingeätzet. Hiernach richtete sich sein Gericht. Hiernach klung der Klang seines Urteils. Hiernach sprach er seinen Rechtsspruch aus.

(97) Als Simson aus dem Richtersaale traht /ward ihm angemeldet / daß eine Verehrung auf ihn wartete. Die Filisterin hette gleich itzund ihm einen köstlichen Stahtsrok zugeschikt. Uber eine Weile würde sie selbst folgen / ihn zu sprächen. Weil er nun von stunden an märkte / was es bedeutete; so befahl er den Rok bis auf Morgen zu bewahren. Auch solte man der Filisterin sagen: es sei ihm diesen Abend sie zu sprächen nicht gelegen. Hette sie etwas zu erinnern / das könte sie vor Gerichte tuhn.

[305] (98) Man mahlet der Gerechtigkeit Bild geblendet: nicht darüm / daß derselbe / der sie handhabet / sich durch Geschenke sol blenden laßen. Vielmehr sol er blind sein von sich selbst; doch also / daß er nicht ansehe / ob derselbe / den er vor sich hat / arm oder reich / klein oder groß / Freund oder Feind sei; sondern einem ieden das Recht mit gleicher Wage zuwäge.

(99) Auf diese letzte Weise war Simson auch blind. Er sahe kein Geschenk / keine Verehrung an. Geschenke zu nehmen / und das Recht zu beugen /war ihm ein Greuel. Der Ekel darvor war ihm angebohren. Es war seiner Großmühtigkeit zuwider. Auch wolte dieses keinen Richter des Volks GOttes geziemen.

(100) Des folgenden Tages ging das Gerichte wieder an. Simson hatte sich kaum gesetzt / als er schon befahl erst die Filisterin / darnach auch die Ebräerin / mit ihrer Tochter / zu rufen. Diese waren die allerersten / über welche der Rechtsausspruch geschehen solte. Die Filisterin / nachdem sie ihre Klage wieder erneuert / gab ihren Zeugen einen Wink / daß sie auch reden solten. Aber Simson kahm ihnen zuvor / und fragte sie: ›ob sie diese gegenwärtige Tochter bei der Filisterin zu Akkaron gesehen / und wie lange sie dieselbe bei ihr gekennet?‹ Hierauf gaben sie dan sämtlich zur Antwort: ›sie kenneten dieselbe sehr wohl / und hetten sie bei dieser Fraue schon dazumahl / da sie noch an ihrer Amme Brust gelegen / auch bei neun Jahr darnach / ja so lange / bis sie ihr gestohlen worden / allezeit gesehen.‹

(101) Weil Simson aus ihren Worten verstund /daß eine Amme diese Tochter geseuget; so fuhr er zu fragen fort: ›ob dan diese Frau ihre rechte Mutter nicht sei / weil sie dieselbe durch eine Fremde stillen laßen?‹ Die Zeugen gaben zur Antwort: ›daß sie besser nicht wüsten / als daß sie ihre Mutter sei; weil sie ins gemein darfür wäre gehalten worden.‹ »Aber ich frage« / fing Simson abermahl an: »ob ihr es gewis wisset / und auch zugleich beweisen und bezeugen könnet?« »Anders können wir es nicht beweisen« /antworteten sie wieder / »als daraus / daß wir es von den Leuten also gehöret.«

(102) »Auf hörensagen bauet man kein Schlos« /fing ihnen [306] Simson das Wort auf. »Hierauf ist wenig zu fußen. Hierdurch wird so mancher betrogen. Der Grund ist zu schlüpfericht. Der Bodem ist zu lukker / zu weich / zu sumpficht. Derselbe Grund darauf die Wahrheit sich gründen sol / mus fester / muß derber / mus dichter sein. Aber habet ihr dan nicht auch gehöret« / fing er wieder an zu fragen / »daß eben diese Frau / dieselbe / die sie für ihre Tochter ausgiebet / zu Timnat / da sie nur ein halbes Jahr alt war / gekauffet?« Auf diese Frage sahen sie einander an /und wusten nicht / was sie antworten solten. Doch endlich kahm das langsame Nein heraus.

(103) »Oh! ihr seid keine wahrhaftige Zeugen« /fuhr Simson fort. »Ich seh es euch an den Augen an /daß ihr die Wahrheit nicht bezeuget. Eure Gebährden verrahten euch. Euer gantzes Wesen giebt eure Falschheit kund. Euer Zaudern auf diese Frage zu antworten kömt mir gantz verdächtig vor. Darüm gilt euer Zeugnis nichts. Darüm kan ich euch zu Zeugen nicht annehmen.

(104) Aber was gedenkestdu« / sprach er die Filisterin an / »daß du solche falsche Zeugen vor den Richterstuhl des Volks Gottes hast bringen dürfen? Was meinestdu / du Ehrloses Weib? Meinestdu etwan / man werde / dir zu liebe / wider die Satzungen des Gottes Israels handeln? Bildestdu dir etwan ein / ich werde gleich also tuhn / wie diese deine Zeugen; weil du mit Geschenken mich zu verleiten / zu verbastern / und zu bestechen dich erkühnest? Doch diese Kühnheit / dieser Frefel sol dir übel bekommen.«

(105) Hiermit befahl er die Tühre des Gerichtssaales zu öfnen. Hiermit geboht er / alles Volk / das im Vorhofe stund / einzulaßen; damit iederman sehen und hören möchte / mit was für einem arglistigen Frevel diese Filisterin den Richter des Volks Gottes ein unrechtfärtiges Urteil zu sprächen zu verführen sich unterstanden. Ja weil sich die Mänge so groß befand / daß im Saale selbsten nicht Raumes genug war; so lies er endlich auch alle Fenster aufmachen; damit die übrigen von aussen hinein sehen / und alles / was im Gerichte vorginge / vernehmen könten.

[307] (106) Unterdessen suchte die Filisterin sich zu entschuldigen. Sie trachtete sich weis zu brennen /und ihre Sache zu beschönen. Aber Simson geboht ihr zu schweigen. Er wolte sie weiter nicht hören. »Ich habe« / sprach er / »deinen Lügen lange genug mit Geduld zugehöret. Ich habe lange genug durch die Finger gesehen. Aber nun ist es Zeit / daß du mich auch hörest. Nun ist es Zeit / daß auch ich rede; daß ich dich vor dieser gantzen Gemeine zu schanden mache. O du Gottloses Weib! Du boßhaftiges Weib! Du häslicher / ja garstiger Schandbalg!

(107) Hastdu nicht diese Tochter von einer Würtin zu Timnat / welche sie ihrer rechten Mutter / die hier zugegen stehet / gestohlen / vor funfzehen Jahren gekauft? und darfst mir gleichwohl noch vorlügen / du seist ihre Mutter. Hastdu mir nicht Geschenke geschikt mich dadurch anzureitzen ein unrechtmäßiges Urteil zu fällen? und gleichwohl wilstdu noch unschuldig sein. Gleichwohl wilstdu dich noch viel weis brennen. Meinestdu vielleicht / daß dein Geschenk deine böse Sache guht machen könne? Vielmehr hastdu sie dadurch verärgert und schlimmer gemacht.

(108) Wisse / daß ich Simson bin; der ein Todfeind des Geitzes / des Eigennutzes / und aller Laster /die daraus entsprüßen / von Jugend auf gewesen. Wisse / daß ich ein Richter in Israel bin; dem GOtt selbst verbohten Geschenke zu nehmen. Ja wisse /daß du / durch dein Geschenk / mich bewägen wollen eine schweere Schuld nicht nur auf mich / sondern auch auf den gantzen Staht des Israels zu laden: auf welche die Strafe gewis / mit schweeren Schlägen / würde gefolget sein.

(109) Also hastdu dich nicht allein an mir verbrochen. Dein Verbrächen erstrekt sich viel weiter. Es leuft wider unsern gantzen Staht: indem du ihn in das Verderben zu stürtzen gesuchet. Was verdient nun wohl eine solche Verbrächerin / die sich wider ein gantzes Volk verbrochen? Mit was für Strafe solte man dich wohl ansehen? Sprich dein Urteil selbst. Werestdu nicht währt / daß man dich steinigen liesse? Verdientestdu nicht / daß man dich verbrennete? Aber damit du sehest / daß [308] man dir / als einer Fremden / die unsers GOttes Satzungen nicht weis / so scharf nicht mitfahren wolle; so sei dir das Leben geschenket.

(110) Doch damit diese gantze Gemeine vernehme / daß ich unschuldig sei; so wil ich / in ihrer Gegenwart / öffendlich bezeugen / daß ich dein Geschenk nicht selbst empfangen. Du hast es mir heimlich und mit List / bei meinem Abwesen / in mein Haus geschikt. Ich habe nichts darüm gewust / als da es mir ward angesagt. Auch ist es mir noch nicht zu Gesichte gekommen: weil ichs zu sehen mich weigerte. Aber itzund wil ichs sehen; damit du zugleich sehest / was ich mit ihm zu tuhn beschlossen.«

(111) Hiermit befahl er den Stahtsrok / den die Filisterin des vorigen Abends in sein Haus geschikt / zu hohlen. Sobald er ankahm / nahm er ihn in die Hand / und hielt ihn / mit erhobenen Armen / den Augen des Volks vor. »Dieser« / sprach er / »ist dasselbe Geschenk / das meine Sinne verrükken / meinen Verstand verkehren / und mein Gesicht benebeln solte; damit ich nicht sehen / noch märken möchte /was Recht oder Unrecht / was Gleich oder Ungleich were / und ein Urteil fällete / das meinem Wissen und Gewissen zuwider. Aber GOtt hat mich bewahret /daß ich ihn nicht eher gesehen / noch angerühret / als itzund vor euren Augen.«

(112) Kaum waren diese Reden aus seinem Munde / da gab er den Rok schon wieder von sich / und befahl dem Hänker / der hierzu berufen war / denselben / vor dem Gerichtsstuhle / mit dem Gerichtsschwehrte zu zerstükken / und die Stükken unter das Volk / in die Rappuse / zu werfen. Da ging es an ein grabbeln und krabbeln. Einieder war begierig ein Stüklein darvon zu haben; damit er dasselbe / zum Gedächtnisse dieser rühmlichen so wohl / als seltsamen Taht / bewahren möchte.

(113) »Hiermit ist zwar das Gerichte vergnüget« /sagte Simson zur Filisterin. »Aber nun mustdu auch diese Frau / welcher du ihre Tochter so lange vorenthalten hast / vergnügen. Vorerst wil sich geziemen ihr eine Abbitte zu tuhn. Darnach wird dir auferlegt ihr auch eine Geldbuße von zwanzig Sekkeln Silbers zu geben. Und hiermit hast du deinen Abschied.[309] [311] Vergreif dich hinfort in dergleichen Dingen nicht mehr. Gehe hin / und werde frömmer.«

(114) Wiewohl Simson mit der Filisterin zimlich gnädig verfahren / so war sie doch mit diesem Abschiede nicht zu frieden. Die Abbitte zu tuhn weigerte sie sich zwar nicht. Aber von der Geldstrafe wolte sie nicht hören. Ja sie durfte wohl selbst Erstattung ihrer getahnen Unkosten fordern. Sie wendete vor / daß sie diese Tochter nicht gestohlen / sondern /unwissende woher sie gekommen / gekauft. Sie hette zwantzig Sekkel Silbers darfür bezahlet. Auch were viel auf die Amme gegangen / die sie ihr ein halbes Jahr halten müssen. Zudem hette sie ihr fast zehen Jahr lang Kost und Kleider gegeben / und sie ehrlich unterhalten. Daher solte sie billich die zwanzig Sekkel Silbers / und was sie ihr nach der Zeit gemeldte zehen Jahr über gekostet / wieder haben.

(115) Hierauf gab ihr Simson zur Antwort: ›ob sie schon diese Tochter nicht gestohlen; so habe sie doch dieselbe gantze zehen Jahr ihrer Mutter / zusamt der Lust / welche sie in solcher Zeit an ihr haben können / entzogen. Die Hählerin sei so guht / als die Stählerin. Sie solte zu frieden sein / daß sie so ein gnädiges Urteil / das er sonst niemanden / der aus Israels Stämmen bürtig / würde zuerkant haben / bekommen. Die Geldstrafe sei ihr einmahl zugewiesen. Er könte darvon nichts erlaßen: vielweniger der Mutter dieser gestohlenen Tochter zuerkennen / daß sie ihr die angewendeten Unkosten wiedererstatten solte. Doch könten sie sich untereinander selbsten anders vergleichen / das möchten sie tuhn. Er sei dessen wohl zu frieden. Inzwischen solte sie gleichwohl aus der Hand des Gerichtes nicht eher gelaßen werden /als bis sie die Mutter vergnüget.‹

(116) Der Ruf von einem so klugen / so weisen /und so weislich ausgeführtem Urteile lief straks alle Stämme des Israels durch. Ja es erschol selbsten in die ümliegenden fremden Länder. Hatte man denSimson / seiner unvergleichlichen Tapferkeit / seiner übermenschlichen Stärke / ja seiner tapferen Heldentahten wegen / bisher gerühmet / und gefürchtet; so rühmete / so ehrete / so fürchtete man ihn itzund /seiner [311] so übertreflichen Klugheit / und überirdischen Weisheit wegen in Gerichtlichen Sachen / noch vielmehr. Ja er bekahm hierdurch ein solches Ansehen /daß ihm / auf seinen bloßen Wink / schier alles gehorchte.

(117) Die Filister selbsten / wiewohl sie seine geschwohrne Feinde waren / warden gezwungen ihn zu ehren. Sie musten ihn preisen. Auch selbst die selbe Filistische Frau / wider welche dieses Urteil ergangen war / muste gleichwohl seinen fürtreflichen Verstand loben / seine hohe Weisheit erhöben / und seine scharfsinnige Klugkeit rühmen. Ja er ward so überaus und überal berühmt / daß ihn die mächtigsten Fürsten und Könige für den unvergleichlichsten Stahtsman / und fürtreflichsten Gerichtshalter in der gantzen Welt ehreten / und sich vielmahls / in fürfallenden schweeren Stahts- und Gerichtsgeschäften /Rahtes bei ihm erhohleten. Einen so großen Nahmen bekahm dan Simson durch diesen Gerichtshandel. Einen so ruhmherlichen Ruf erwarb ihm seine so fürtrefliche Stahts- und Gerichts-kunde.

(118) Und dieses war auch die Uhrsache / warüm kein Feind des Israelischen Stahts / weil Simson lebete / sich rühren durfte. Er herschete dan in vollem Frieden. Kein Krieg hielt ihn von seinen Stahts- und Gerichts-geschäften ab. Er hatte beide Hände stähts frei dasselbe / was die Wohlfahrt des Stahts betraf /ungehindert auszuwürken. So ging dan zu seiner Zeit unter dem Volke GOttes Recht und Gerechtigkeit wieder in vollem Schwange. So küsseten sich dan alda Eintracht und Treue miteinander. So stund dan der Staht / nachdem er so lange Zeit gewakkelt / wieder auf festen Füssen.

(119) Glüklich ist dasselbe Land / dessen Staht mit Weisheit beherschet / und mit Vorsichtigkeit gehandhabet wird. Ja glüksälig und überglüksälig ist dasselbe Volk / dessen Stahtsheupt mit Tugenden gezieret /mit Klugheit begabet / ja mit Witz und Weisheit gekröhnet / seinen Stahtsstuhl besitzet. Hingegen ist es das allerunglüksäligste / wan derselbe / der es beherschen sol / ein Tohr ist; wan ihm die Tugend fehlet; wan er schläft / da er wachen sol; wan er im Luder lieget / da ihn zu herschen gebühret.

[312] (120) Die Filister hatten bisher anders nicht gemeinet / als Simson sei nur ein Wagehals / ein Ungeheuer. Sie hatten gewähnet / er sei nirgendzu geschikt / als mit einer tummen Kraft und Tolkühnheit Menschen zu erschlagen; als durch eine ungeheure Riesenstärke gantze Kriegsheere zu überwältigen /Mauren über einen Hauffen zu werfen / ja selbst durch Eisen und Stahl hinzudringen / und alles / was er in seine Feuste bekähme / ja nur anrührete / zu zerbrächen. Aber nunmehr erfuhren sie in der Taht / daß er die Kunst den Stahtszaum zu führen eben so wohl wüste; daß ihm die Weisheit Völker zu beherschen eben so wohl / als die Stärke sie zu vertilgen / beiwohnete.

(121) So war dan Simson ein volkommener Held / und ein volkommener Stahtsman zugleich. Ja er war ein solcher Stahtsman / der nicht auf seinen eigenen / sondern des Stahts Nutzen / nicht auf seinen eigenen / sondern des Landes Wohlstand sahe. Er war ein solcher / der einem ieden Recht schaffete; der in seinem Handel und Wandel die Gerechtigkeit vor Augen / und die Aufrichtigkeit im Hertzen hatte. Und darüm liebeten ihn auch die Seinigen. Darüm fürchteten ihn die Fremden. Ja darüm ehreten / lobeten / und rühmeten ihn alle.

(122) Aber bei hiesigem des Simsons Ruhme müssen wir gleichwohl der gestohlenen Tochter nicht vergessen. Diese haben wir bisher anders nicht als mit einem unachtsamen Auge / betrachtet. Aber nunmehr / da sie den Nahmen der schönen Naftalerin bekommen / werden wir lüstern gemacht sie was näher zu beschauen: zumahl weil Simsons Urteil / das er ihrentwegen ausgesprochen / sie weit und breit in Kunde gebracht.

(123) Sie war auch in Wahrheit einen solchen Nahmen / der manches Ohr kützelte / zu führen wohl währt. Sie verdiente gewislich das Lob und den Preis einer volkommenen Schönheit. Daher kahm es / daß so vieler Augen auf sie fielen. Einieder war begierig sie zu sehen. Einieder war lüstern sich mit ihren Blikken zu belustigen. Diese kahmen aus der schwartzen /doch anmuhtigen Fünsternis ihrer Augenhöhlen / eben als liechte Karfunkelstrahlen aus ihrer Bergschacht /geschossen. [313] Wan sie auftageten / flinkerten sie gleich so anmuhtig / als das liebliche Morgenroht / das aus der düstern Nacht hervorbricht.

(124) Niemahls war in Kedes ein solches paar helleuchtender Augensonnen / als dieses / aufgegangen. Niemahls hatte diese Stadt eine solche fürtrefliche Schönheit / über welche sich das gantze Volk des Israels verwunderte / gebohren. Wer sie nur sahe /der priese denselben Leib / der sie getragen / seelig. Ich wil mehr sagen: nicht nur die Augen hatten die Kraft der Anschauer Hertzen zu entzükken. Selbst der Mund / wo er nicht verliebt machte / zog doch alle zur Gunst.

(125) Dieser blühete wie eine liebliche Zukkerrose / mit schneeweissen Liljen ümgeben. Wan diese Tühre / dadurch sich das Hertz eröfnet / zuweilen ein Hertzwindichen aufsties / spitzte schon iederman die Ohren / ihre so anmuhtige Göttersprache zu vernehmen. Ich nenne die Reden dieser schönenNaftalerin eine Göttersprache; weil sie / eben wie jene / gantz selten / und gantz kurtzbündig / mit einem ausbündigen Verstande / sich hören liessen.

(126) Ja ihr gantzes Angesicht war gantz lieblich /gantz anmuhtig / und gantz zierlich gebildet. Es stund / als ein schöner Lustgarten / vol der schönsten Bluhmen: da die Augen aller Menschen einen stähtigen Lustwandel zu tuhn lüstern warden. Der Grund war schloßweis / ja viel weisser als der erstgefallene noch unbeträhtene Schnee. Nur auf den Wangen war er mit einer gelinden Röhte zährtlich überfärbet. Hierherüm hingen die schwartzen Haarlokken / die der weissen Haut einen höheren Glantz zu geben schienen / in überaus zierlichen Krümmen / bis auf den Hals: der unter dem Heupte / wie eine gerade Seule von dem allerglättesten reinweissestem Alabaster / zu stehen kahm.

(127) Aber alle diese Schönheiten von aussen /wiewohl sie gantz ungemein waren / übertraf die innerliche Schönheit der schönsten Seele bei weitem. Alda hatten alle Tugenden ihren eignen Sitz. Alda wohnete die Keuschheit / die fürnehmste der Jungfreulichen Tugenden. Da hausete die Schaamhaftigkeit. Da herbergete die Aufrichtigkeit. Da befand sich die [314] Leutsäligkeit / die Freundlichkeit / die unverfälschte Liebe gegen GOtt und Menschen.

(128) Vor allen Dingen leuchtete die Gottesfurcht /neben dem ausbündigen Verstande / den sie besaß /aus allem ihrem tuhn. Diese schien ihr von ihrer frommen Mutter gleich als angebohren: indem sie schon unter den Heiden einen Abscheu der Heidenschaft /schon unter den Götzendienern einen Ekel des Götzentuhms märklich blikken lies; wiewohl sie dazumahl noch ein Kind / und mitten im Götzendienste /der Kündigkeit des wahren Gottesdienstes beraubet zu sein schien. Und darüm war es kein Wunder / daß diese hohe Himmelstugend sich nach der Zeit / da sie des Himmels Schikkung wieder in ihr Vaterland / und zu ihren Väterlichen Gottesdiensten geführet / bei ihr so volkömlich euserte.

(129) Neben dieser Ertzmutter der Tugenden schmükten derselben erstgebohrne Zwillinge / die Gottsäligkeit und Frömmigkeit / ihre reine Seele. Hierzu gesellete sich eine recht hertzliche Demuht /die den Schein der Heuchelei gantz nicht kennete. Ja es war keine weder himlische / noch Irdische Tugend /die aus ihrem Wandel nicht blikte. Alles / was löblich / was rühmlich / was preislich war / dem strebete sie nach.

(130) Hierdurch begab es sich / daß sie so viel Aufwärter bekahm. Einieder bewarb sich üm ihre Gunst. Einieder trug Verlangen ihrer Liebe zu geniessen. Aber hierinn schien sie was karg zu sein; wiewohl sie sehr reich war an Liebsäligkeiten / ja selbst milde mit liebsäligen Blikken. Weil diese gleichsam aus Angewohnheit / oder vielmehr aus Angebohrenheit hersprosseten / so durfte keiner sich einbilden /daß sie ihn liebete / viel weniger / daß sie verliebt sei.

(131) Unter andern kahm zwar Simsons nächster Vetter bei ihr in die meiste Betrachtung. Dem erwiese sie zwar die meiste Gunst. Und solches täht sie bloß üm Simsons willen. Aber wan er von Liebe zu reden begunte; da hatte sie Schultzenohren. Sie stellete sich / als hörete sie nicht. Sie lies ihn uneingelaßen anklopfen. Alles / was er sie zu bewegen an wendete / war vergebens. Wan sie ja endlich / auf sein so inständiges Anhalten / antwortete; so war es doch nichts anders / als sie sei [315] noch zu jung; sie wüste sich in der Liebe Handel noch nicht zu schikken. Und dieses Entschuldigen geschahe mit solcher Höfligkeit /mit solcher Bescheidenheit / daß er es nicht übel aufnehmen konte.

(132) Der arme Verliebte lies gleichwohl nicht nach. Er hielt noch allezeit an. Er lies sich keinen Gang / keine Mühe verdrüßen. Er achtete keinen Abschlag. Weil er noch Gunst verspührete / lies er den Muht nicht sinken. Weil ihm kein Zutrit versaget ward / stärkte sich seine Hofnung noch immer. Aber Endlich / als so viel Zeit verlief / und er dannoch wenig mehr erwarb / ward er betrübt. Aus der Betrübnis entstund die Unlust zu schlafen / zu essen; und auf dieses alles folgete die Schwindsucht.

(133) In wenig Wochen nahm er so ab / daß man ihn kaum mehr kennete. Sein Angesicht vermagerte. Seine Augen sunken ein. Seine gantze Gestalt verfiel. Und solches währete so lange / bis er gantz von Kräften kahm / und nicht mehr weder gehen / noch stehen konte. Hierzu schlug endlich eine so heftige Hitze /welche die übrige Feuchtigkeit vollend verzehrete. Kein Kühltrank / kein Labetrank / kein Stärktrank /wie kräftig er war / vermochte diesen heftigen Stürmen zu widerstehen.

(134) Die Mutter der schönen Naftalerin / die ihn täglich besuchete / trachtete zwar das schier verflogene Leben ihm / durch einen kräftigen Trost / wiederzugeben. Sie verhies ihm ihre Tochter zur Bewilligung seines Ansuchens zu bereden. Zuletzt brachte sie die Tochter selbst mit: die /aus Mitleiden bewogen / ihm mit gantz lieb- und trost-reichen Worten begegnete. Ja sie gab ihm so viel zu verstehen / daß nunmehr dasselbe / was er suchete / so guht sei / als erlanget.

(135) Aber es war zu spähte. Es war vielzulange geharret. Der Lebensgeist saß ihm schon auf der Zunge. Seine Gedanken gingen nach dem Grabe zu. Um die Liebe war er nun nicht mehr bekümmert. Er sahe zwar seine Liebste mit traurigen Augen an. Doch die Sprache befand sich so schwach / daß man nicht vernehmen konte / was er sagte. Es schien / daß die Anwesenheit seiner Liebsten ihm das Leben fristete. Ja es [316] schien / daß der Tod sich für ihr scheuete; weil er / so lange sie gegenwärtig war / ihm den letzten Stoß nicht geben durfte.

(136) Kaum hatte sie ihren Abschied genommen; kaum war sie zur Kammer hinaus: da brachen ihm schon die Augen: da gab er / mit einem heftigen Seufzer / den Geist auf. Sobald er verschieden / bekahm sie diese traurige Zeitung: welche sie dermaßen bestürtzte / daß sie in etlichen Tagen nicht die geringste Speise genos. Es gereuete sie / daß sie ihn so lange vergebens anhalten laßen / und dadurch seinen so frühen Tod gleichsam veruhrsachet.

(137) So starb dan dieser junge Liebeschühler über den ersten Lehrstükken der Liebe. So verschied dan derselbe / der kaum anfing zu lernen / was Liebe sei. Sein Tod veruhrsachte manches Trauren / und auch manche Freude: jenes bei seinen Freunden; diese bei seinen Mitbuhlern: welche froh waren / daß der Tod denselben / der ihren freien Zugang bei der schönen Naftalerin verhindert / aus dem Wege gereumet: wiewohl diese Schöne niemand / in der Zeit ihrer Trauer / welche sie über einen solchen / den sie allen vorgezogen / angenommen / sich zu laßen beschlossen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek