[237] [239]Das sechste Buch.

Die (1) Einteilung.


Israel lebete bisnochzu zaumloß. Ihm fehlete der Zaum / der es ehmahls zeumete. Ihm gebrach der Halfter / der ihm half; der Zügel / der es zog / der es lenkte / der es beherschete. Ihm mangelte bisnochzu ein algemeines Heupt. Einiedes Geschlächt / ja schier einieder Kopf wandelte für sich / handelte nach eigenem Guhtdünken. Einieder Stam hatte seinen sonderlichen Staht / seine sonderlichen Heupter / seine sonderlichen Rahtschläge. Und in dieser Sonderung war der algemeine Stahtsleib ein rechter verworrener / verdorbener / uneiniger Klump: da immer ein Glied dem andern zuwider / immer ein Stam vom andern gesondert / immer ein Geschlächt vom andern getrennet /und also alles in Uneinigkeit war. Daher kahm es auch / daß bisnochzu aus solcher Unterschiedligkeit /ja Widrigkeit / und Mänge der Rahtschläge kein Schlus hatte können gefasset werden das so schweere Lastjoch der Filister / das diesen Stahtsleib drükte / von ihm abzuwältzen.

(2) Solchen Unheilen zu steuren muste das sämtliche Volk GOttes wieder einen Fürsten haben. Ein algemeines Oberhaupt war ihm zum höchsten nöhtig. Durch dieses allein konte der enteinigte Staht wieder vereiniget / dessen Glieder wieder angegliedert / dessen zwölf Brüderstämme in unzertrenter Brüderschaft erhalten / und sein endlicher Sturtzfal verhühtet werden. Ein solches zu wehlen waren dan die Aeltesten geneugt. Aller Gedanken kahmen itzund auf dieses Ziel zusammen. Alle Stämme des Israels waren hierinnen einträchtig. Alle stimmeten unter der Bohtmäßigkeit eines Richters zu stehen / einhällig zusammen. Ein höheres Heupt / mit höherer Gewalt /lies auch noch zur Zeit ihr Zustand / unter der Filister angemaßten Herschaft nicht zu. Dieses alles würkete GOTT / der sein Volk niemahls gantz verlies / niemahls gantz versties / unangesehen es seinem Willen widerstrebete.

[239] (3) Weil nun Simsons Tapferkeit überal erschollen: weil seine fürtreflichen Siege die Ohren und Gemühter des gantzen Israels erfüllet; so fielen /durch Göttlichen Antrieb / straks alle Stimmen auf ihn. Alle Aeltesten stimmeten einmühtig / einmündig / einhällig / man solte diesen Held erwehlen. Simson allein / der schon so viel herliche Tahten / und ihren algemeinen Feinden einen so märklichen Abbruch getahn / sei würdig den Israelischen Richterstuhl / der so manches Jahr ledig gestanden / zu bekleiden.

(4) Nach volzogener Wahl warden von stunden an etliche Gesanten abgefärtiget dem neuerwehlten Richter solches anzudienen. Dieser war eben zu Zarea. Dahin hatte er sich straks nach gehaltener jüngsten Schlacht / begeben. Dahinwärts ging auch der Gesanten Reise. Niemand war froher / als Simsons Vater / da er diese Zeitung bekahm. Er lag eben krank zu Bette / und befand sich so schwach / daß er in etlichen Tagen nicht aufstehen können. Aber itzund schien er wieder Kraft zu schöpfen. Itzund stund er auf / und hielt mit den Abgefärtigten des Stahts das Mittagsmahl. »Ach!« sprach er / »nun wil ich gerne sterben. Nun begehre ich nicht länger zu leben. Nun habe ich genug gelebet; nachdem ich dasselbe / was mir GOtt von meinem Sohne verkündigen laßen / erfüllet sehe.«

(5) Hierauf traht dan Simson das Richteramt an / darzu er von GOTT selbst schon vor seiner Gebührt bestimmet worden. Er setzte sich auf den Richterstuhl. Er nahm die Stahtsgeschäfte zur Hand. Er hielt das Volk an nach dem Gesetze GOttes zu leben. Dieses war seine Richtschnuhr. Hiernach trachtete er den verfallenen Staht wieder aufzurichten Hiernach suchte er desselben auseinandergewichene Teile wieder in ihre Fugen zu bringen. Hiernach gab er Urteile. Hiernach richteten sich alle seine Stahtsabschiede. Hiernach warden alle Stahtshandlungen geführet / alle Schlüsse geschlossen / ja alles / was die gemeine Wohlfahrt betraf / erörtert.

(6) Bisher hatte er / durch seine Tapferkeit / den Hochmuht der Filister zur eusersten Demuht zu eingeknöbelt. Er hatte ihnen / durch so viel Niederlagen / ein Gebis in den Mund geleget. Er hatte sie dermaßen gezeumet / daß sie sich / aus [240] Furcht gar vertilget zu werden / nicht rühren durften. Und hierdurch schöpfte sein Volk wieder Luft. Hierdurch keumete desselben Glüksäligkeit wieder auf. Hierdurch gewan es neue Kräfte / neuen Muht / neues Vermögen.

(7) Diese Glüksäligkeit nun zu erhalten begab sichSimson zur Ruhe. Er hörete auf die Feinde des Stahts zu befeden. Er vetfolgete die Filister nicht mehr. Er fochte sie weiter nicht an: wiewohl er /aus Gewohnheit zu siegen / niemahls die Unterlage zu leiden versichert zu sein schien. Es war ihm genug /daß er sie so weit gedemühtiget / daß sie nicht wider ihn aufstehen / noch den Staht beleidigen durften. Er hatte Ruhmes genug / daß er den Lauf ihrer Wühterei gehämmet; daß er den Knöbel / damit sie den algemeinen Staht Israels bisher geknöbelt gehalten /ihnen selbst in den Mund geworfen.

(8) Die Glüksäligkeit eines Stahts fußet auf keiner andern Grundfeste / dan der Vorsichtigkeit desselben / der ihn beherschet. Dan wie diese die Mutter ist aller heilsamen Rahtschläge / so ist sie auch die Grundlegerin / die Stützerin / und Erhalterin alles glüklichen Wohlstandes. Darüm erwehlte sie dan dieser neue Stahtsrichter zu seiner Beisitzerin / zu seiner Rahtgeberin: auf derer Raht die Taht folgete. Sie widerriet den Krieg / und riet ihm an den Frieden / als den ersten Grundstein eines durch Waffen zum Glüksstande nunmehr gebrachten Stahts. Simson gab Gehöhr. Er folgete der Rahtgeberin. Er nahm den Raht an. Er täht was sie riet / und trug sich / durch solche Vorsichtigkeit geleitet / gantz friedlich. Auch schienen ihn nunmehr seine vielen Stahtsgeschäfte selbst hierzu anzutreiben.

(9) Wer nicht zu frieden ist / wan er seinen Feind untergedrükt / und denselben gantz zu vertilgen trachtet / der lesset sich die Tohrheit / den Ubermuht / und den Ehrgeitz reiten; die ihm seine verdienten Siegesgepränge vielmahls zu Wasser / und seinen erworbenen Ehrenruhm zur Schande machen. Nach etlichen mit höchsten Ehren erhaltenen Siegen / immer auf neue Siege gleichsam erpicht sein / ist eben so viel /als wan iemand im Glüksspiele / nachdem er etliche mahl einen reichen [241] Gewin getahn / noch immer zu spielen anhält: da et dan oftmahls alles / was er hat /und das gewonnene darzu verspielet. Wie vielmahls hat einem unersätlichen Uberwinder / nach zween oder drei ruhmherlichen Siegen / das gleichsam gezörgete Glük dermaßen den Rükken zugekehret /daß er alles mit Schanden verlohren / oder aber /durch oftwiederhohlete Siege / nichts / als ein geschwächtes Vermögen / erhalten!

(10) Mit einem Worte / Simson wehlete / bei Anträhtung seines Richteramtes / den erstrittenen Frieden lieber / als den ferneren Streit. Er war mit dem vergnügt / daß er / durch seine schon erhaltene Siege / die Filister dermaßen in die Schuhle geführet / daß sie gelernet ihn zu fürchten; daß sie gestehen musten / er sei derselbe / der er in der Taht war. Und darüm schien es unnöhtig ihnen / durch mehr Meisterstükke seiner Stärke / die Macht / die er hatte /blikken zu laßen.

(11) Wer es so weit gebracht / daß seine Feinde /mit tiefster Ehrerbietigkeit / ihn für ihren Meister erkennen / und wan er sich unter ihnen nur sehen lesset / ob er schon sonsten nichts tuht / für seiner Tapferkeit erschrökken / der hat in Wahrheit Ehre genug. Ja ich darf wohl sagen / daß er alsdan mehr Ruhmes darvon träget / als wan er ihnen / durch seine Faust / den gewaltigen Nachdruk seiner Tapferkeit zu kosten giebet / und derselben Wahrzeichen zugleich eindrükket.

(12) Simson hatte / durch seine Tapferkeit /die Filister in ein solches Schrökken gejagt; er hatte sie so weich und schmeidig / ja so bändig und bange gemacht / daß er / in ihrem Lande / gantz sicher / und ohne Befahrung angefallen zu werden / herümging. Ja er täht solches unter ihnen / in ihren Städten selbst / ohne Scheu: indem er wohl wuste / daß sie ihn alle scheueten / daß sie ihn alle fürchteten / und keiner das Hertz hette sich an ihm zu vergreiffen. Es war auch in Wahrheit keiner / der ihm bloß allein nahen /oder nur freimühtig unter die Augen sehen durfte; weil sie alle seinen Anblik meideten.

(13) Und solches tähten sie vielleicht darüm /damit er die Märkzeichen der Furcht / die ihnen seine Gegenwart eindrükte / an ihren Gesichtern nicht märkte: oder aber aus [242] Beisorge / sie möchten ihm /durch die Schaamröhte wegen ihrer so schändlichen Verzagtheit in neulicher Schlacht / die Zeichen seines Sieges üm so viel scheinbahrer machen. Anders konte man auch aus ihren so schüchternen Gebährden nicht urteilen.

(14) Hingegen waren die Weibsbilder üm so viel kühner. Diese trahten ihm behertzt zu Gesichte. Die Strahlen ihrer Augen durften auch den Blitzen der seinigen selbst Kampf anbieten. Sie spieleten / wo nicht frech / doch unerschrokken auf ihn zu; indem sie versichert waren seiner Tapferkeit / wie unüberwindlich sie sonsten war / obzusiegen. Und also verlachten sie gleichsam seine Stärke; derer Kraft die Macht ihrer Schönheit zu entkräften vermochte.

(15) Wan die Schönheit einer Juno zu strahlen beginnet / mus Jupiter zu blitzen aufhören. Seine Donnerkeule seind zu stumpf der Schärfe dieser Liebespfeile zu widerstehen. Kein Herkules vermag sich für den Liebesblikken einer Omfale / einerMalide / einer Melite / einer Pirene / einerJole / einer Hebe / einer Filone / einer Megare / einer Astidamie / einer Astiochie /einer Deianire / noch auch der funfzig Königlichen Töchter des Tespius / die er alle / bis auf eine / in einer Nacht zu erkennen gleichals gezwungen ward / wie stark er auch immermehr ist / zu beschirmen. Seine selbsteiserne Keule fället zu leicht ihren so schweeren Nachdruk zu hintertreiben.

(16) Und darüm war es kein Wunder / daßSimson / der sonsten / durch seinen bloßen Anblikdie Filister überwand / durch die Hertzentzükkenden Blikke der Filisterinnen sich selbst überwunden sahe. Kein Wunder war es /daß sein Hertz / welches sonsten an Standhaftigkeit und Härte keines Hertzen wiche / durch die Sonnen schöner Angesichter zur Liebe beweget / und dermaßen erweichet ward / daß ihm das Bildnis so lieblicher Strahlen eingepräget blieb.

(17) Mit einem Worte: Simsons Eselskinbakken / damit er nicht lange zuvor tausend Filister erschlagen / und zweitausend verjaget / konte nunmehr sein Hertz für dem Einbruche nur einer einigenFilisterin keines weges beschirmen. Diese wohnete zu Gaza / in einer von den damahligen drei[243] Riesenstädten. Sie war eine solche / welche die Kunstgriffe der Mansbilder Hertzen zu fangen meisterlich gelernet. Hiermit nährete sie sich. Dieses war ihr Handwerk. Hierinnen bestund alles / was sie wuste.

(18) Sie war eben / als eine Spinne / die ihr Spingewebe aus tausend Eitelkeiten zu weben / und denjenigen / der mit dem unvorsichtigen Fluge seiner Augen darinnen hängen blieb / so ahrtig und so fest zu verstrükken wuste / daß er nicht eher loß gelaßen ward / sie hette ihn dan zuvor / wie eine Flüge / gantz ausgemärgelt. Und hierbei war sie so beschwatzt / ja pfif so süße / daß sie der albernen Jugend einbildete /sie sei ein leibhafter Himmel vol allerlei Wohllüste; da sie doch in der Taht anders nichts war / als ein lebendiges Grab / als ein beseeltes Aas vol allerlei Unlust und stünkenden Unflahts.

(19) Sie stund dazumahl / als Simson nachGaza kahm / eben in ihrer Haustühre. Da lokasete sie / durch geule Blikke / die Vorübergänger. Da beitzete / da reitzete sie dieselben / mit flinkernden Augen / mit lächlendem Munde / mit munterem Wesen / wie ein Meerweib mit singender schmeuchlender Zunge /sich in das Wohllustmeer ihrer Liebe zu verfügen. Da warf sie ihr Garn / von falschen Schönheiten gestrükket / bald hier- bald dort-hin aus. Da suchte sie /durch den Kloben ihres Schmukkes / bald diesen /bald jenen zu erwischen.

(20) Ihr Haar lag üm die Stirne herum geringelt. Ihre Lokken hingen längst den Wangen gekrüllet hinunter. Und diese hatten ihren Schnee / und ihren Purpur nicht von sich selbst / sondern vom Anstriche solcher Farben entlehnet. Darüm muste derselben Glantz auch alle morgen erneuert werden / die alte häsliche runtzlichte Haut darunter zu verbärgen. Hiermit schmükte ja schmünkte vielmehr ihr Angesicht diese Tausendkünstlerin ihren Buhlern die Bahne zur Unzucht zu glätten / und sie üm so viel eher in den gefährlichen Strudel der geulen Wohllust zu stürtzen.

(21) Also pflegte sie das Bild der Schönheit über die Furchen der Häsligkeit hinzumahlen. Also überfärbete sie alle Oerter ihres Leibes / da das Alter die Straßen zur Verachtung gebahnet. Also trachtete sie ihren Buhlern den Anblik üm so viel [244] anmuhtiger / ja zugleich üm so viel eiteler und geuler zu machen. Und eben darüm hatte sie auch über den Busem nur einen dünnen durchsichtigen Flohr gezogen. Ja eben darüm war dieser Busem voran mit einem lieblichen Bluhmenstrause bestekt; der das Auge lüsterner machte die Zuneugungen in dasselbe Wohllusttahl einzuleiten.

(22) Aber der arme Simson wuste das wenigste von allen diesen Betrügereien. Er wuste nicht / daß unter solcher falschen und nur gekünstelten Schönheit ein so häslicher Schandbalg / ein so garstiger Unflaht verborgen sei. Er gedachte nicht / daß diese gefärbete Spieltokke so ein abscheuliches Gespänst / so ein betrüglicher Irwisch sei; der ihn / ie mehr er mit unverwanten Augen darauf zublikte / ie eher und tieffer in den abwegigen Sumpf / in den schlüpfrigen Mohrast der Unzucht hinein führen würde. Er wähnete / daß alles Gold sei / was dem Golde gleich gleisset. Er hatte die Einbildung / es sei auf der gantzen Welt nichts schöners / nichts lieblichers / nichts anmuhtigers / als dieses dem Scheine nach erfreuliche / doch in der Wahrheit abscheuliche greuliche Weibesbild.

(23) Zu solcher Einbildung trieb ihn der falsche / ja wo nicht gar blinde / doch geule Blik seiner Augen; der zugleich sein gantzes in Liebe neugebohrnes Hertz mit sich schleppete / dasselbe dieser des Todes Leibeignen leibeigen zu machen. Und also wardSimson dermaßen verliebt / daß er mit nichten vermochte vorbeizugehen. Ob schon seine Füße fortschritten / so blieben doch zum wenigsten seine Gedanken zurük. Ja sein Auge blieb an dieser eingebildeten Schönheit gleichsam kleben. Es war eben als ein hartmeulichter Gaul / der keinen Zaum fühlet. Unmüglich war es dasselbe von dar abzulenken / dahin es / seine Weide zu hohlen / unnachläslich gerichtet blieb.

(24) Und darüm drähete Simson sein Angesicht allezeit üm / das Angesicht / das ihm so gar schön /und so gar lieblich vorkahm / zu betrachten. Auch schien es ihm / in dieser Betrachtung / immer schöner und schöner zu werden. Ja er geriet darinnen so weit /daß er ein solches Frauenbild / dem doch die heilige Schrift den allerschändlichsten Nahmen giebet / gar für eine Göttin der Liebe zu halten begunte. Endlich[245] ward er so entzükt / daß er stokstille stehen blieb: indem seine heftige Leidenschaft nicht gestatten wolte sich von einer solchen Sonne / die ihn so liebreich anzuscheinen schien / zu entfernen.

(25) Hier gliche Simson dem Segelsteine. Dieser kehret und drähet sich / ja siehet gleichsam / wie jener nach seiner Geliebten / allezeit nach dem Eisen zu. Und dan stehet er stokstille / gleichals wolte er einen Versuch tuhn das Geliebte zu sich zu ziehen /und mit ihm sich vereinigen. Unser Held konte nicht leben / ohne diese gewähnte Schöne: welche wir billich mit einem häslichen rustigen Eisen / das durch die Kunst geglättet / das Auge beitzet / vergleichen. Ach! wie wenig Joseffe findet man / welche der Lokbeitze solcher Unzüchtigen / die so manchen Jüngling anfallen / und oftmahls üm Seele / Guht /und Bluht bringen / zu entfliehen vermögen!

(26) Der guhte Simson / wie stark er sonst war / so schwach war er itzund dieser Anlokkerin / dieser Tausendkünstlerin zu widerstehen. Er muste mit an den Reihen. Er / der so viel Siege / mit unsterblichen Ehren / erstritten / muste nunmehr eine solche / die nicht währt war / daß sie den Erdbodem betraht / über sich siegen laßen. Er / der mit so vielen Siegesgeprängen verherlichet war / muste nunmehr einem ohnmächtigen verächtlichen Frauenbilde zur Siegespracht dienen. Er muste zurükkehren. Er muste seinem Gemühtstriebe gehorchen. Er muste seinen Begierden folgen. Die Heftigkeit seiner Liebe zwang ihn bei derselben / die ihn verliebt gemacht / ein zukehren.

(27) Etliche meinen / diese Frau / bei welcherSimson alhier einkehrete / sei eine Gastgäberin gewesen. Gasthöfe seind oftmahls Schuhlen der Unzucht. Was für ein Wunder ist es dan / daß sie ein solches unzüchtiges Weib war; daß sie die Künste / die Griffe / die Ränke die Jugend brünstig zu machen so überauswohl gelernet? Der Umgang mit so mancherlei Menschen / die bei ihr zur Herberge gelegen / hatte sie ohne zweifel in dieser falschen Kunst / darvonSimson / der ohne Falsch / ohne Betrug war / noch sehr wenig wuste / zur volkommenen Meisterin gemacht.

(28) Und also ging der Gebeitzete hin / wie ein einfältiges [246] Schaf / zur Schlachtbank; wie eine gekörnete Taube / zum Falstrükke; wie ein geaseter Fisch zur Angel / da er / mit dem Aase / den Tod einschlukket. Die Einbildung / die er hatte / sie würde sein Ansuchen begünstigen / war ihm zu diesem Gange gleich als ein Spohren. Das liebliche Lächlen / die freundlichen Anblikke / die holdsäligen Gebährden / damit sie seinem ersten Anblikke begegnet / überredeten ihn gäntzlich / er würde die Tühre zum Eingange geöfnet / und sie selbsten seine Begierden zu sättigen geneugt antreffen.

(29) Aber der guhte Simson erfuhr es gantz anders. Er ward zum höchsten bestürtzt / als er dieselbe / die ihm kurtz zuvor mit den alleranmuhtigsten Blikken begegnet / itzund so gar verkehret / so gar fremde / so gar hofärtig befand. Sie empfing ihn gantz kaltsinnig. Ihre Gebährden waren ernsthaftig / ja selbst mürrisch und stürrisch. Sie sahe ihn nicht einmahl an. Sie vergaß aller Freundligkeit / aller Ehrerbietigkeit darzu. Sie beobachtete weder das Ansehen / das einem Richter von Israel zukahm / noch die Ehre /die einem solchen weltberufenen Helden / als Simson war / gebührete. Er war ihr nicht so viel währt /daß sie ihn niederzusitzen genöhtiget hette.

(30) Sie sahe / daß sie so einen fetten Buhler bekommen. Sie märkte / daß ein so großer Held sich in sie verliebet. Sie wuste sehr wohl / wer Simson war. Darüm erhub sie sich über diesen Sieg. Darüm ward sie stoltz und aufgeblasen. Darüm nahm sie das Wesen der Eingezogenheit an. Hierdurch vermeinte sie seiner Liebe sich würdig zu machen. Hierdurch gedachte sie in seinen Augen üm so viel ansehnlicher / üm so viel währter zu scheinen. Ja hierdurch verhofte sie ihre Wahren üm so viel teuerer zu verkauffen. Dieses letztere war auch ihr einigstes Augenmärk /das sie / durch solche Verstellungen / zu erreichen vorhatte.

(31) Dergleichen Schandsäkke / die bei den Röhmern von den Verdiensten / bei den Griechen von den Verkaufungen / und bei uns vonden Vermietungen oder Verheurungen ihrer Leiber den Nahmen führen / suchen nichts anders / als mit einem reichen Schandenlohne die Säkke zu [247] spikken. Ie mehr sie / mit ihren Wahren / die sie feil bieten / oder mit ihrem Handwerke / bei ihrem Buhler verdienen oder gewinnen / üm so viel lieber ist er ihnen. Sonsten wissen sie von keiner Liebe: weil die Gewinsucht oder der Geldgeitz ihr Hertz so gar besässen / daß kein Fünklein der rechten Liebe darinnen stat findet.

(32) Und eben darüm verdienet dieselbe / die etwan aus einer reinen inbrünstig-getreuen Menschenliebe / mit ihrem Geliebten das Maß dieser Liebe zu überschreiten bewogen wird / mit nichten den Nahmen einer solchen unzüchtigen ehrlosen Mätze: die bloß allein aus einer schändlichen Geldliebe denen allen / die mit ihr zu buhlen suchen / wilfähret; indem sie ihnen ihren Leib feil bietet / verhandelt / verkauffet / vermietet / verheuret / gemein machet / und ihren schändlichen Wucher darmit treibet.

(33) Der Abschlag des Zimmets / durch das Uberführen desselben aus Ostindien in Europe mit gantzen Schiffen zu unserer Väter Zeiten veruhrsachet / machte die damahligen Verkeuffer / indem sie schier mehr Verlustes / als Gewinnes / daran sahen /so witzig / daß sie ihn in der folgezeit viel spaarsamer / und nur mit wenigen einzelen Pakken überkommen liessen. Ja man lies auch überdas / dieses Gewürtz inOstindien selbsten / üm so viel seltsamer und teurer zu machen / gantze Zimmetbüsche auf Zeilan und anderwärts wegbrennen.

(34) Dieses Stahtsgriffes der Kaufleute wuste sich hiesige Schandmähre / bei Verkauffung ihrer garstigen Wahren / meisterlich zu nütze zu machen. Sie befahrete sich / wan sie den Gewürtzladen ihrer Gunst dem Simson straks auf einmahl öfnete / und im Gunstausspenden gegen ihn zu milde were / daß er hernach ihre Wahren geringe schätzen / und sie / nach ihrem Wunsche / teuer genug nicht kauffen würde. Darüm hielt sie damit hinter dem Berge. Sie boht sie nur kärklich feil Ja sie stellete sich gar / als were sie nicht zu kauffe: oder doch / als achtete sie den Simson nicht Mannes genug sie / nach ihrem Währte / zu bezahlen.

(35) Ich wil mehr sagen: wie die Kaufleute den überflüßigen Zimmet / ihn seltsam und teuer zu ma chen / in Ostindien [248] dem Feuer gleichsam vorwarfen; fast eben also warf sie ein guhtes teil ihrer Freundligkeiten und Gunstblikke / die übrigen zum Aufschlage zu bringen / selbst vor die Hunde. Neben ihr / auf einer Tafel / befand sich eben ein Schoßhündlein. Dieses strählete / streichelte / ja hertzete sie. Damit spielete / zährtelte / schertzete sie. Darauf hatte sie / mit freundlichen Blikken / die Augen gerichtet. Unterdessen warf sie dem armen Simson sehr selten einen Seitenblik zu. Kaum mit einem Worte beantwortete sie seine Reden. Nährlich ein Lach fiel ihm zur Beute.

(36) Das Gold / die Demanten / die Perlen halten wir nur darüm so kostbar / so teuer / und in so hohem währte; weil sie die Schatzmutter so spaarsam / so kärklich mitteilet. Hingegen achten wir das Eisen /das Kupfer / das Blei üm so viel unwährter / wohlfeiler / und geringer / als überflüßiger es die mit Ertze geschwängerte Bergschachten zu geben pflegen: wiewohl das Eisen in etlichen Ländern der Morgenwelt /weil es die Morgensonne von dar / als ein solches /dessen fünstere Nachtfarbe mit ihrem Lichtglantze gleichsam stritte / nach Mitternacht zu verbannet zu haben scheinet / schier in gleichem Währte mit dem Golde gehalten wird.

(37) Die Zintokbeume / derer Rinde einen überauskräftigen Gewürtzschmak von Näglein / Zimmet / und Muskaten zu haben pfleget / seind darüm so teuer / so kostbar / so hochgeachtet / daß auch ihr hartes und schweeres Holtz selbst gegen Gold aufgewogen wird; weil sie so langsam aufwachsen / und so sehr selten /auch an wenig Oertern gefunden werden. Das Wasser / das tröpflings aus seines Brenofens Kolbe komt /wird allein für ungemein / und im hohen Währte gehalten. Dagegen ist gemein und unwährt dasselbe /das sich ströhmlings ergüßet.

(38) Daher lies dan diese verschlagene / durchtriebene / arglistige Tausendkünstlerin dem Simson ihre Gunst nur spaarsam / nur kärglich / nur sehr selten / und algemach / ja kaum tröpflings / kaum bröklings / und gleich als mit einzelen Sonnensteublein blikken; damit sie dieselbe bei ihm in [249] Hochachtung bringen / und als etwas ungemeines üm denselben ungemeinen Preis / den sie zu lösen verlangte / verkauffen möchte. Hingegen maß / ja gos sie dieselbe ihrem Spielhündlein gantz mildiglich / gantz überflüßig /gantz unnachläslich / ja ströhmlings / und hauffenweise / mit gerüttelt- geschüttelt-vollem Maße / gleich als verschwänderisch zu. Und hierdurch trachtete sieden Simson nur lüsterner / nur brünstiger / nur begieriger / und zugleich freigäbiger zu machen.

(39) Auch erreichte sie in Wahrheit ihr Ziel. Dieser Listgrif schlug ihr nicht fehl. Simson / wiewohl er sich verschmähet / und einem Hunde / dessen Glük er beneidete / nachgesetzt sahe / ward dannoch / durch das Liebkosen / damit sie dem Hündlein begegnete /mehr und mehr entzündet. Er ward immer brünstiger /immer verliebter / immer begieriger die Brunst seiner Liebe zu blüschen. Und dieser Liebkosung sahe er mit gedultigen Augen zu: indem er verhofte / die Reihe würde zuletzt auch an ihn kommen. Ja er frohlokte schon in seinem Hertzen / als ihr das Hündlein /mit einem lauten Schrei über den Knip / den sie ihm im Schertzen gegeben / unversehens entwischte. Nun gedachte er nicht weniger geachtet zu werden / als daß er die Vergünstigung / in des Hündleins Stelle zu trähten / erlangen würde. Nun verhiessen ihm seine Gedanken schon den Sieg. Nun lies er sich schon bedünken auf dem Wagen der Liebe sein Siegesgepränge zu halten.

(40) Aber es war noch weit vom Lachen. Dieser verheissene Sieg ging verlohren. An diesem Wagen der Liebe waren die Räder gelähmet / die Felgen zerstükket / die Speichen zerknikket. Die Siegespracht selbsten fiel in den Brunnen. Indem Simson vermeinte / sein geschwängerter kreuschender Hofnungsberg würde nunmehr seine wahre Glüksäligkeit gebähren; da kahm nicht zwar eine lächerliche Maus /sondern ein noch viel lächerlicher Affe hervor. Indem er itzund gedachte zur Liebkosung dieser Fraue gewehlet zu werden / da wehlete sie darzu einen Affen /der eben in ihrem Zimmer angeschlossen lag. Und also zog sie ihm / wie zuvor einen Hund / itzund gar einen Affen vor / ein solches Untier / das der gemeine[250] Man für einen misgebohrnen / oder vielmehr verfluchten Menschen zu halten pfleget.

(41) Hiermit kurtzweilete sie. Hiermit spielete /schertzete sie. Auf dessen kurtzweilige wunderseltsame Possen waren alle ihre Sinnen / und Gedanken /zusamt den Augen / gerichtet. Und bei dieser Kurtzweile schien sie des Simsons so gar vergessen zu haben / daß sie ihn nicht einmal ansahe: ungeachtet daß der Affe vielmahls mit dem Kopfe nach ihm zu nikte / und darbei überlaut kicherte / gleichals spottete er seiner.

(42) Nun begunte die Ungeduld sein Hertz gantz zu übermeistern. Ja die Verzweifelung benahm ihm die Hofnung / die er bisher gehabt die Widerspenstigkeit dieser Frauen endlich zu bändigen / so gar / daß er schier unsinnig zu werden schien. Nichts verdros ihn mehr / als daß er mit guhten Augen ansehen muste /daß sie einem Affen / einem so häslichen / so abscheulichem Viehe / mehr Gunst erwiese / dan ihm. Dieses entrüstete sein Gemüht über die maße: zuvoraus weil beide / sie und der Affe / seiner noch darzu spotteten.

(43) Zuweilen riet ihm der Zorn diesen Schimpf zu rächen. Zuweilen hub er den Arm schon auf den Affen ihr aus der Hand / und in tausend stükke zu reissen. Sobald er aber sie anschauete / stärkte sich seine Liebe dermaßen / daß sie den Zorn überwältigte. Und also ward er zu ohnmächtig dem Rahte des Zornes zu folgen. Zuletzt gab ihm die Vernunft ein / sich gar aus dem Staube zu machen. Dieser Raht war auch der beste. Hierdurch konte der weitere Schimpf vermieden / das Zunehmen seiner Liebe verhühtet / und das Abnehmen derselben befördert / ja er selbsten in Ruhe gebracht werden.

(44) Simson nahm dan seinen Abschied plötzlich. Plötzlich schied er von dannen. Unversehens verlies er dieselbe / die ihm so halsstarrig / so widerspänstig / so grausam begegnet. Seiner Worte waren wenig; doch schier einieder Klang derselben mit vielen spitzigen Stacheln erfüllet. Diese kützelten ihr das Ohr / ritzeten das Hertz / und reitzeten es zu einer genugsamen / doch schier zu spähten Reue. Gleichwohl lies sie sich dessen nichts märken. Sie verbarg ihr Anliegen. Sie fuhr [251] in ihren Verstellungen fort. Nicht ein einiges Zeichen solcher Reue lies sie blikken.

(45) Damit sie aber diesen Vogel noch ferner körnen möchte wieder auf ihren Vogelherd zu kommen; so warf sie ihm / im hinausgehen / nur etliche / doch gantz Hertzentzükkende Bliklein zu. Hiermit lokasete sie den guhten Simson dermaßen / daß er seine Füße schweerlich fortsetzen konte. Wie geschwinde /wie behände seine Tritte gewesen / als er zu ihr ging; so langsam / so unbehände waren sie itzund / da er von ihr schied. Dieselbe / derer Schönheit Bildnis sich so fest in sein Hertz eingedrükket / gantz aus den Augen zu lassen schien ihm unmüglich zu sein. Und darüm schweiffete er auch so langsam und so lange /gleich als verirret / hin und her / und konte das Ende der Gasse / da diese Schönheit sich aufhielt / nährlich finden.

(46) Indem er also / als ein Fisch / der durch den Anbis an der Angel fest hänget / herümschweiffete /riet ihm die Liebe / durch abermahligen Vorübergang / einen Versuch zu tuhn / ob er nicht endlich einmahl zur Erlangung seines Verlangens gelangen könte. Aber diesen Raht widerriet die Vernunft / die ihm zu Gemüht führete: er solte bedenken was für unerträgliche Schmertzen er ihm selbst über den Hals ziehen würde / wan man ihm itzund eben so unhöflich / als vorhin / begegnete. Zudem sei es seiner hohen Amtswürde nachteilig einem solchen leichtfärtigen Balge /gleich als unsinnig / nachzulauffen. Einen Richter von Israel geziemete mit nichten sein Ansehen solcher gestalt geringschätzig zu machen.

(47) Weil nun Simson denselben gantzen Tag verzog wiederzukommen / auch nicht einmahl auf der Gasse sich sehen lies; so befahrete sie sich / sie möchte ihn etwan / durch ihre Verstellungen / verzweifelt /oder wohl gar abkehrig gemacht haben. Darüm richtete sie einen Lokvogel ab / ihn wieder auf den Kloben zu lokken. Sie dingete einen verschlagenen Kupler /dem sie in den Mund gab / was er reden / und in die Ohren flisterte / was er tuhn solte. Diesen schikte sie ihm heimlich nach. Durch diesen verhofte sie den armen Simson wider in ihren Schlagbauer zu bringen.

[252] (48) Unterdessen butzte sie sich auf das schönste. Sie schmükte / ja schmünkte sich auf das zierlichste. Sie zog ihre köstlichsten Kleider an. Die Haarlokken musten gekreuselt / die Zöpfe mit güldenen Bändern bestrükket / der Hals mit Perlen ümhänget / die Aerme mit Spangen ümspannet / die Finger mit Ringen ümringet / ja alles auf das herlichste gezieret sein. Vor allen dingen beobachtete sie / daß ja der Busem seine völlige Blöße bekähme: damit in demselben die zweifache Milchsee üm so viel freier ströhmen / und ihre Wälle / der Buhler Hertzen zu überwältigen / üm so viel ungehinderter auf und nieder wallen könten.

(49) Sobald sie sich solcher gestalt geschniegelt /und auf allen Seiten wohlbespiegelt hatte; da traht sie vor das Fenster. Alda gedachte sie sich dem Simson / wan er irgend vorbei ginge / zu zeigen. Alda wolte sie denselben erwarten / nachdem sie im Hertzen ja so heftig / als er nach ihr / verlangte; wiewohl sie sich dessen nicht euserte. Ja sie verlangte nach ihm / nicht zwar seiner Liebe / sondern seines Geldes zu geniessen. Weil er ein solcher fürtreflicher Held /ein solcher ansehnlicher Man war; so gedachte sie /sein Geschenk zur Belohnung ihrer Gunst würde nicht weniger fürtreflich / nicht weniger ansehnlich sein. Und in diesen Gedanken wendete sie ihren besten Fleis an ein solches zu erlangen.

(50) Ihr abgeschikter Lokvogel hatte nunmehrden Simson angetroffen. Weil sie schon vor diesem zu Timnat miteinander bekant worden / konteSimson aus seiner unvermuhtlichen Ansprache keinen Verdacht schöpfen. So sprach er ihn dan kühnlich an. Und indem er ihn in schweermühtigen Gedanken sahe / fing er an nach der Uhrsache zu fragen.Simson gab eine dunkele Antwort. Er fragte weiter: ob seine Gedanken irgend zu Timnat weren? Ob er etwan an seine gewesene ungetreue Liebste gedächte? Durch diesen Umschweif geriet er endlich auf sein rechtes Ziel. Ei! sprach er / warüm solte man sich üm eine Liebste / die untreu geworden / viel bekümmern / da man leichtlich eine andere / die schöner und fürnehmer ist / zu finden vermag?

(51) Auf diese Worte spitzte Simson die Ohren. Er fragte [253] straks: ob er dan eine solche / die schöner und fürnehmer sei / kennete? Jener sagte / ja. Auch fing er an ihren Ruhm auf das höchste herauszustreichen. Ja er zog sie / ihrer Schönheit / Geschikligkeit /Eingezogenheit / und ihrem Verstande nach / schier allem Frauenzimmer der Filister vor. Simson ward lüstern zu wissen / wo sie wohnete. Jener beschrieb sie noch eigendlicher / und darzu die Gasse / da sie ihre Behausung hette; die nicht weit vom Markte stünde / und mit einer rohten Tühre versehen sei.

(52) Hieraus märkte Simson von Stunden an /daß diese / die jener so hoch gepriesen / eben dieselbe sei / die seiner itzigen Liebe die Wiege gebettet. Er war zum höchsten erfreuet / daß er einen angetroffen /der sie kennete. Und darüm fragte er immer weiter nach. Er war begierig immer mehr und mehr zu wissen. Er forschete fleissig nach ihrem Stande / nach ihrem Leben / nach ihrer Gelegenheit. Jener / der ein abgerichteter Schalk war / gebrauchte sich der Kunststükke seines Handwerkes gantz meisterlich. Er unterlies nichts / was zu ihrem Ruhme dienete / sie üm so viel hochgeachteter / und dem Simson den Mund üm so viel wässerichter zu machen.

(53) Nachdem er ihre Schönheiten und ihren Stand erhoben / kahm er auch auf ihre Tugenden. Diese schrieb er ihr meist alle zu. Nur von der Ehrbarkeit und Keuschheit schwieg er stille. In diesem Stükke konte / noch wolte sie dieser Schalk nicht preisen; damit er nicht lügenhaftig befunden / und Simsons Liebe / die bloß allein auf den eitelen geulen Genos zielete / nicht abkehrig gemacht würde. Er wuste wohl / daß Geulheit und Keuschheit sich nie zusammenstalleten. Darüm maß er ihr / an stat des Lobes der Zucht und Keuschheit / nur allein das Lob der Eingezogenheit zu: indem er sagte / sie liesse niemahls mehr / als einem Buhler / ihrer Liebe geniessen; und dieser müste noch darzu einer von den reichsten und fürnehmsten des Landes sein.

(54) Dieses war so viel gesagt / als daß es in der Danae Schoß / wolte man ihrer Liebe geniessen /an Wassers stat / Gold regnen müste. Verlanget ein Verliebter aus einem köstlichen Trinkbächer den Durst seiner Liebe zu leschen / so mus [254] er mit verguldeten oder mit Golde gefülleten Händen darnachzu langen. Die süße Kost der Liebe wird keinem in güldenen Geschirren vorgetragen / wo er sie nicht auch mit güldenen Scheiben vergült. Selbst der karge Filtz / imfal er alhier seine Vergnügung finden wil / legt die Kargheit ab / und nimt die Freigäbigkeit des Milden an. Wil er den Busem der Wohllust eröfnet schauen / so mus er seinen Geldkasten nicht zuschlüßen.

(55) Simson lies sich hierdurch nicht abschrökken. Er wolte der Reichsten / der Fürnehmsten einer mit sein. Er wolte mit keiner kargen / noch geitzigen lausichten Hand an die rohte Tühre klopfen. Weil ihm verdekter weise zu verstehen gegeben ward / wan man diese Tühre geöfnet zu sehen verlangte / müste man auch mit offenem Geldbeutel darvor erscheinen; so lies er sich hierzu in Wahrheit nicht feig / noch weigerich finden. Er scheuete die Unkosten nicht: indem er ihm einbildete dadurch in einen Himmel vol Wohllust zu gelangen / da er sich doch nur in eine Schündkuhle / ja Mistpfütze vol Wustes und Jammers stürtzete.

(56) Unter währendem Gespräche / brachte der Lokvogel / im Fortwandeln / den Simson unvermärkt vor dieselbe Walstat; da er albereit eine Schlacht verlohren / und diejenige / die sein Hertz gefangen hielt / über ihn gesieget. Gleichwohl lies er sich dessen nicht märken. Er verbarg die Heftigkeit seiner Liebe so viel / als er konte. Auch schwieg er von dem / was ihm alda begegnet / gantz stille. Sobald sie aber dem Fenster / darinnen sie lag / näher kahmen; da war er dannoch so mächtig nicht seinen Augen / mit verliebten Blikken darnachzu zu spielen /wie gern er solches getahn hätte / zu verbieten.

(57) Doch diese Blikke schossen gegen ihren Rükken an / den sie ihm eben zukehrete; und kahmen also vondar gantz leer wieder zurükgeprallet. Es schien /daß diese Tausendlistige dem Simson darüm ihr Gesicht entzog / oder es von ihm abkehrete; weil sie es eben damahls / da sie ihren Verkeuffer oder Kaufschlüßer mit ihm im Handel begriffen zu sein vermuhtete / für zuteilig achtete / sich / durch eine gestellete Ehrbarkeit / in grössere Hochachtung zu bringen.

(58) Weil nun Simson hierüber in die euserste Verzweifelung [255] geriet / so nahm er seine Zuflucht zu seinem Gefährten. Dieser / weil er mit ihr / wie er gesagt / in vertraulicher Kunde lebte / solte ihm ihre Gunst / samt der Vergünstigung eines freien Zutrittes / verschaffen. Und eben hierüm baht er ihn / mit wehmühtigem Hertzen. Auch versprach er / imfal er solches verschafte / mit einer ansehnlichen Verehrung dankbar zu sein.

(59) Eben hierauf zielete dieser Kupler. Eben hierüm war es ihm zu tuhn. Er stund straks bereit. Zu allem war er färtig. Von Stunden an lief er hin / und legte sein Gewärbe so getreulich / als eifrig ab. Inzwischen begab sich Simson an den bestimten Ort / da ihn der Kupler / in der Abenddemmerung / abzuhohlen versprochen. Dan diese Zeit ist eben dieselbe / da dergleichen unzüchtige Ziegen ihren neuen Bökken den Eingang verstatten; zum teile darüm / damit es vor ihren andern Buhlern verschwiegen / zum teile /daß ihre geschmünkte Schönheit / in der Fünsternis /verborgen bleiben möchte.

(60) Alhier war es / da ihm seine Gedanken dieselbe / die ihn selbst abwesend gefesselt hielt / schon in seinen Armen vorstelleten. Alhier war es / da er von weitem den Vorschmak der vermeinten Glüksäligkeit / die ihm über ein kleines mit ihrem gantzen Wesen solte zu teile werden / zu spühren begunte. Alhier war es / da er endlich die fröhliche Bohtschaft bekahm /daß die schöne Gazerin seiner wartete / daß ihm der Zugang zu ihr bereitet / ihre Gunst erworben / die Herberge bei ihr bestellet / ja alles / nach seinem eigenen Begehren / ausgelichtet sei.

(61) Wer war lustiger / als Simson / da ihm diese Worte das Ohr spitzig / das Hertze groß / und das Angesicht freudig machten. Wer war vergnügter /als er / der nunmehr zu seiner völligen Vergnügung eingeleitet werden solte. Ja ich darf schier sagen /oder doch zum wenigsten gedenken / daß ihn der Bringer dieser Zeitung so hoch nicht erfreuet hette /wan er ihm schon die Bohtschaft gebracht / er sei auf den Reichsstuhl eines mächtigen Königreichs erhoben zu werden / erkohren.

(62) Die Himlische Sonne war eben untergegangen / als Simson / mit seinem Geleitsmanne / sich dahin begab / da ihm seine vorgebildete irdische Sonne / selbst in der [256] Abenddemmerung / aufgehen solte. Ja sie ging ihm auch / sobald er in das Haus geträhten / mit freudigen und überausanmuhtigen Gebährden entgegen. Sie empfing ihn mit so süsser liebkosender Stimme; die dem Simson anders nicht /s als eines Engels Stimme / das Ohr kützelte / die Sinnen entrükte / das Hertz entzükte.

(63) Nunmehr waren alle seine Schmertzen ver schwunden. Alle Pein seines Hertzens hatte sich verlohren. Angst und Kummer: lagen begraben. Simson gedachte nun nicht mehr an das vorige Leiden. Er befand sich auf dem höchsten Güpfel der Freuden. Er lebte / wie ihm dünkte / mitten im Paradiese der Wohllust: da er sich doch / mitten in einem gefährlichen Irgarten / in den Strükken des Todes jämmerlich wältzete. Ja er wähnete gar / daß er alhier den Himmel auf Erden / das Himlische Wohlleben unter den Sterblichen / und die Säligkeit unter den Menschen besässe: da er sich doch in einen tieffen Abgrund vol Jammers / vol Elendes / vol allerlei Gefährligkeiten gestürtzet sahe.

(64) Kaum war er in dieses Haus eingekehret / da erfuhr es schon die gantze Stadt. Es war auch kein Wunder: weil iederman auf das Tuhn und Vorhaben eines so großen Heldens / den alle Filister fürchteten / achtung gab. Die Narben ihrer Wunden / welche sie von ihm empfangen / waren noch nicht verschwunden. Die Niederlagen / die ihnen seine Tapferkeit veruhrsachet / lagen ihnen noch stähts im Sinne. Und eben darüm befahreten sie sich fort und fort / er möchte mit neuen Anstalten sie zu überrumpeln schwanger gehen. Ja eben darüm blieben sie wach /dieselben zu vereiteln; oder vielmehr Gelegenheit zu suchen sich an ihm zu rächen.

(65) Weil sie sich dan dessen öffendlich nicht unterstehen durften / so trachteten sie es heimlich und hinterlistig auszurichten. Hierzu vermeinten sie nunmehr die rechte Zeit gefunden zu haben; indem sie ihn / mit den Banden der Geulheit gebunden / in den Armen der Wohllust eingeschlummert sahen: da er dan / ohne Befahrung einiges Unheils / leichtlich könte gegriffen / und mit geringer Mühe gar in den Todesschlaf versetzet werden.

[257] (66) Viel Weiber zu ehligen war dazumahl noch nicht verbohten. Beischläferinnen zu halten gediehe keinem zur Strafe. Selbst der geulen Lust / ausser der Ehe / den Zügel zu verhängen ward durch die Finger gesehen; sonderlich unter den Heiden: ohne Zweifel aus einsicht der Vermehrung Menschlichen Geschlächts / und die Einöden mit Völkern zu besetzen. Darüm rechneten es die Filister dem Simson für keine Schande / viel weniger für ein Laster zu / dadurch er sich etwan wider ihren Staht und desselben Satzungen verbrochen; indem er itzund / in ihrem Gebiete / die Grentzen der Keuschheit überschritte. Sonst würden sie hieraus Uhrsache gesucht haben ihn / unter dem Scheine der Strafe / frei und öffendlich / als darzu berechtiget / anzutasten: zuvoraus weil er sich in einem solchen zustande befand / da es unschweer geschehen konte.

(67) Nach langen Berahtschlagungen und Erwägungen dieser Sache / beschlossen endlich die Fi lister: man solte das Haus / darinnen Simson seiner Lust pflägete / rund herüm mit dem meisten Bürgervolke besetzen / und die Stadttohre mit starken Wachen versehen. Die gantze Nacht durch solte man stil sein / und auf ihn lauren bis an den Morgen. Sobald der Tag angebrochen / und er aufgestanden zu verreisen / solte man ihn mit gesamter Macht anfallen / und das gantze Filisterland / von den Drangsalen / darinnen es sich / so lange Simson lebete /jämmerlich abmärgelte / durch seinen Tod erlösen.

(69) So gesagt / so getahn. Alle Zugänge des gemeldten Hauses warden / in der Stille / mit den stärkesten und tapfersten aus der Bürgerschaft besetzet. In alle Stadttohre legte man genugsame Wachen. Man befahl allen / sonderlich denen in der nähe des ümringten Hauses / gantz kein Getümmel zu machen: damit Simson dadurch nicht etwan in Argwahn gebracht / und veranlaßet würde sich bei Zeiten aus dem Staube zu machen. Dieses alles bestelleten also / auf Befehl des daselbigen Fünffürstens / die Stahtsbedienten selbst: wiewohl sie sich straks darauf wieder nach ihren Häusern / und in ihre Betten begaben / unbesorgt was sich ferner zutragen würde.

(70) Aber wie vorsichtig sie vermeinten ihren Anschlag bestellet zu haben / wie stille sie sich hielten /dem Simson [258] deswegen keine Schwahnsfedern in das Ohr / und in die Gedanken zu stekken; eben so vergeblich hoften sie auf einen gewünschten Ausschlag. Ja es war gantz vergebens / gantz ümsonst /daß sie sich bemüheten demselben nach dem Leben zu stehen / der unter Gottes Beschirmung stund. Gott selbsten gab ihm ein / was man wider ihn vorhette. GOtt selbsten war es / der ihn warnete / der ihm riet sein Leben zu retten. Ja Gott selbsten gab seinen Feinden einen verkehrten Raht ein. Er selbst schlos ihnen die Augen zu / daß sie nicht sehen solten / wie Er den Simson aus ihren Greifsklauen zu führen gesonnen.

(71) Simson gab seiner Liebsten / was ihn ahnete / zu erkennen. Diese trachtete / mit süßen Worten /ihm solches aus dem Sinne zu schwatzen: weil sie sich befahrete / samt ihm / den Genos vielzufrüh zu verlieren. Aber es war ümsonst denselben mit Honige zu lokasen / den die Furcht bereit geflügelt. Es war vergebens denselben / den der Schrik jagte / durch süßes pfeiffen zum stande zu bringen. Es war unmüglich denselben / der seinen Feind auf sich zukommen sahe / wiewohl ihn noch so sehr dürstete / mit einem Labetrünklein aufzuhalten.

(72) Wo die Furcht verfolget zu werden sich einnistelt / da erstikket die Wurtzel aller unreiner Begierden; da verschwindet die Liebe zu allen eitelen Dingen; da vertreibet der Kummer alle Neugungen zu weltlichen Lüsten. Simson war nun nicht mehr be gierig ihres Busems zu geniessen. Er hatte vergessen verliebt zu sein. Er war nicht mehr lüstern nach der vergälleten Süßigkeit eiteler Liebe. Seine Gedanken giengen allein dahin / wie er die Nachstellungen seiner Feinde vereitelen / und sich selbst in Sicherheit versetzen möchte.

(73) Zu dem Ende stund er dan mitten in der Nacht auf / üm eben die Zeit / da es am fünstersten war / und der Schlaf am meisten herschete. Er begab sich / in aller Stille / straks nach dem Tohre zu / nirgend fand er einigen Menschen / der ihn belauerte. Vielleicht hatte sie alle der Schlaf / oder auch wohl die Furcht /daß sich keiner durfte blikken laßen / überfallen. Vielleicht hatten sie gedacht / es würde genug sein /wan sie gegen den morgen wach und wakker werenden Simson zu [259] fangen / sobald er aufgestanden /und wieder von dannen ginge.

(74) Hier möchte man sich nicht unbillig verwundern / daß derselbe / der sonsten seinem Feinde selbst so muhtig unter die Augen traht / itzund das Hertz nicht hatte stand zu halten. Ja wundern möchte man sich / daß Simson / der sich doch nicht lange zuvor wider ein wohlausgerüstetes Heer von dreitausend auserlesenen Filistern in den Streit einlaßen dürfen / und den Sieg darvon getragen / itzund für einer Hand vol Bürger / welche leichter zu überwinden waren / furchtsam die Flucht nahm.

(75) Es scheinet / daß er itzund / da er die Waffen der Geulheit erst abgeleget / sich nicht getrauen durfte der streitenden Tapferkeit anzumaßen. Es scheinet /daß er im Bette der Unzucht / daraus er erst aufstund /den Muht einen Kampf zu wagen verlohren. Es scheinet / weil er sich erst im Kohle der Schanden herümgewältzet / daß er sich so straks darnach nicht erkühnen durfte nach der Krohne der Ehren / nach dem Krantze des Ruhmes zu ringen. Ja es schien /weil er erst aus dem Grabe kahm / mit dem den Schoß einer Unzüchtigen die Heilige Schrift nicht unfüglich vergleichet / daß er sich seiner Kraft und Stärke verlustig / ja zu schwach fühlete mit fechtender Faust sein Leben zu beschirmen.

(76) Vielleicht schikte GOtt es auch selbsten also. Vielleicht wolte Derselbe / der allezeit Sorge trugSimsons Leben zu erhalten / nicht gestatten / daß er / im Stande seiner Schwachheit / sich wagen solte der Macht seiner Feinde den Klopf zu bieten. Vielleicht wolte GOtt / durch seinen Geist / in ihm / als in einem erst itzund verunreinigtem Werkzeuge seiner Macht / zu dem mahle / ja so lange / bis er wieder rein worden / so kräftiglich nicht würken. Und dieses hat Simson / dem seine Schwachheit und Gebrächlichkeit wohl bewust war / ohne. Zweifel gemärket. Daher lies er sich auch durch den Trieb und Willen GOttes williglich leiten. Daher enthielt er sich gehorsamlich dessen / davon ihn GOtt selbsten abhielt. Daher wolte / noch durfte er / nach einer Siegeskrohne zu streben / so verwägen / ja so tolkühne nicht sein. Und dieses war gleichsam [260] seine Strafe / die ihm die Vaterhand Gottes so gnädig auferlegte.

(77) Verliebte durften vor Alters keinen wiewohl nur schlechten Krantz auf dem Heupte tragen: weil ihr Heupt / das ein Sitz des Verstandes sein solte / durch sie zum Sitze des Unverstandes gemacht / dieser sonst gewöhnlichen Haupt- und Ehren-zierde nicht würdig geschätzet ward. Vielmehrmuste sich dan Simson itzund / da er die Tohrheit dermaßen sich reiten laßen / daß er / gar im Kampfe der Geulheit / einem leichtfärtigen Weibe die unflätige Siegeskrohne darreichen müssen / durch einen Heldenkampf nach einer herlichen Siegeskrohne zu trachten enthalten. Mit was für Tapferkeit hette seine Faust auch darüm dingen und ringen können; nachdem sie eben itzund im schändlichem Busen der Geulheit sich dermaßen abgemattet /daß sie einige Taht herlicher Tugend zu verrichten gantz ohnmächtig schien?

(78) Aber wir beschuldigen vielleicht den tapferenSimson / daß er aus Furcht geflohen / zu viel; weil keine Furcht in ihm haftete. Warüm schreiben wir solche Flucht nicht lieber seiner Fürsichtigkeit zu? Diese Tugend blikket auch gewislich aus alle seinem Tuhn /wie unfürsichtig es zuweilen im ersten anblikke scheinet. Ob er schon itzund / als gebrächlich / den Fußstapfen der Wohllust / darinnen großmühtige Helden das Grab ihrer Tugend finden / ein wenig nachwandelte; so blieb er doch / als zugleich fürsichtig / darinnen so lange nicht / daß et die Spuhr der Tugend nicht alsobald wiedergefunden.

(79) Mit einem Worte / Simson gebrauchte sich des Wohllustwassers mehr und anders nicht / als bloß allein nach Nohtdurft seinen Liebedurst zu löschen. Sobald er dessen zur Vergnügung getrunken / flog er /wie eine Taube von der Tränke / frei und loß von aller haft / straks wieder darvon. Also begab er sich von den hulprigen so wohl / als gefährlichen Fahrgelösen der Fleischlichen Lust wieder auf die ebene sichere Bahne der Tugend.

(80) Auf solche Weise sonderte sich dan Simson von den unersätlichen lasterhaftigen Wohllustbeuchen ab. Diese trinken nicht nur / bis ihr Durst gelöschet. Sie sauffen gar mit großen [261] Schlükken. Ja sie stürtzen sich / aus unmäßiger Begierde / wohl selbst in den Wohllustbrunnen / alles Wasser zu verschlüngen / über Hals über Kopf gantz lüderlich hinein. Alda bleiben sie dan mit ihren Hertzen stähts als angefesselt / mit ihren Neugungen fort und fort gefangen / und müssen also / den Pfandschilling zu erlegen /zum öftern wiederkehren.

(81) Wie fürsichtig nun Simson handelte / da er in den Banden unkeuscher Liebe haftete; gleich so fürsichtig war er auch in Erwehlung der Flucht. Ihm stunden zwar die unvergleichlichen Meisterstükke seiner unüberwindlichen Stärke / damit er sich ehmahls der Welt berühmt gemacht / noch vor Augen. Er hatte zwar noch nicht vergessen / daß er allein / mit einem bloßen Eselskinbakken / vor weniger Zeit auf einmahl drei tausend Filister geschlagen. Er erinnerte sich noch seiner dazumahl unter dem freien Himmel aufgebaueten Siegesburg; üm derer Güpfel herüm eben so viel Ehrenfahnen / als er Filister erschlagen /nähmlich wohl tausend geflattert. Gleichwohl ward er hierdurch so vermässen nicht / daß er ihm eingebildet hette das Glük und den Sieg allezeit auf seiner Seite zu haben.

(82) Die Glükskugel kullert so bald hinter sich / als vorsich. Darum ist es keine Klugheit nach ehmahligen glüklich gerahtenen Tahten in gegenwärtigen wüchtigen Geschäften sich richten wollen. Zudem ist die Vermässenheit in gefährlichen Händeln vielmahls Uhrsache zur Unterlage. Ja die Kühnheit selbsten wird hierinnen zur Verwägenheit; es sei dan / daß der Noht-zwang uns darein wükkelt. Ohne denselben versuchen wir auch GOTT / und machen uns seines Beistandes verlustig. Wo uns dan dieser fehlet / da rennen wir spohrenstreichs in das Verderben.

(83) Und also wolte Simson / weil ihm die Dunkelheit der Nacht die Hand reichete / sich lieber aus dem Staube machen / als in einer verschlossenen und volkreichen Stadt / da zugleich Riesen wohneten / unfürsichtig in einen glüksfälligen Streit einlaßen. Er wehlete lieber das gewisse für das ungewisse. Die Hofnung / die ihn strählen konte den Sieg darvon zu tragen / [262] stund auf Ungewissem Fuße. Hingegen fußete die Fürsichtigkeit / die ihm zur Flucht riet / üm so viel fester.

(84) Er gelangte dan glüklich an das Stadttohr. Auch fand er alda keinen Menschen / der ihm den Ausgang verwehren konte. Doch das Tohr war zu. Selbst mit Schlössern und Rügeln stund es verwahret. Ohne Schlüssel sie zu öfnen fiel beschweerlich / zuvoraus bei so gar fünsterer Nacht. Auch wolte / noch konte Simson so lange nicht warten. Ein kleiner Verzug war hier gefährlich. Darüm entschlos er sich straks das Tohr / zusamt den Seulen / Ringeln / Rügeln / und Schlössern / auszuhöben.

(85) Zu dem Ende forderte / ja trieb er aus allen Gliedmaßen seines Leibes alle Kräfte / mit gewaltiger Bewägung / in die starken Arme zusammen. Diese fasseten / durch Hülfe der Hände / zuerst die eine /darnach die andere Tohrseule mit solcher Gewalt an /daß die Mauren / darinnen sie fest stunden / wakkelten / und mit greulichen Krachen voneinander barsten / auch teils einfielen / teils an den Seulen hängen blieben. Es war erschröklich anzusehen / als er iede Seule mit einem einigen Risse / mit einem einigen Schütteln dermaßen aus dem Grunde herausris / daß alles / was sie fest hielt / seiner mehr als menschlichen Stärke weichen muste.

(86) Ja viel erschröklicher und verwunderlicher schien es / als er noch darzu diese gantze Last des Tohres auf seine Schultern lud / und damit eben so färtig / als wan er irgendwohin lustwandelte / fortging vor Hebron sein Siegeszeichen aufzurichten. Er selbsten war der Siegeswagen / der es führete. Ja er selbsten war der Kutscher / und der Siegesheld zugleich: über dessen siegreichen Armen / die ihm den Durchgang / wo er am festesten versperret war / zu eröfnen wusten / der Himmel bestürtzt zu werden / die Erde zu böben / ja die Grundfeste des Abgrundes selbst zu erschüttern und zu erzittern schien.

(87) Also überlistigte Simson die Gazer. Also betrog das Wild die Jäger. Also brach es aus seiner Umstellung. Also entschnapte den Hungrigen ihr Wildbrahten; wiewohl sie ihn schon am Spisse zu haben vermeinten. Der Ausgebrochne war nunmehr /mit seiner Beute / schon weit von Gaza weg / alsdie Gazer mit Spiessen und Hauern sich versamleten ihn zu [263] [265]fangen. Der Himmel begunte kaum zu grauen / als die sämtliche Burgerschaft schon vordes Simsons Herberge war seiner Auskunft zu erwarten.

(88) Einieder / der keinen Raum auf der Gasse fand den armen Simson mit gewafneter Faust anzufallen / hatte sich / in der Nachbarschaft entweder auf ein Dach / oder in ein Fenster begeben / von dar mit Steinen auf ihn zu zu spielen. Ja es krübbelten die ümliegenden Heuser gleichsam von den so gar vielen Menschen. Vor denen waren auch in der Eile Schaubühnen aufgerichtet / für das Weibesvolk; damit es der Schlacht / die man halten solte / deszubesser zuschauen könte.

(89) Die Ungeduld über das lange Warten war der Wetzstein / daran ihre Wühterei sich schärfete. Sie begunten vor Zorne mit den Zähnen zu knirschen. Sie begunten Schwefeldämpfe / mit feurigen Flammen /aus Meulern und Nasen zu blasen. Allen sahe die Grausamkeit aus den Augen. Alle schwuhren den Simson / sobald er heraus kähme / zu zerstükken. Kein Glied wolten sie ihm gantz laßen. Sein Bluht wolten sie den Hunden zu läkken / sein Fleisch den Raben zu fressen / und seine Haut dem Gärber zu gärben geben.

(90) Endlich lieffen sie mit Ungestühm auf das Haus zu. Sie klopften / sie schlugen / sie schmiessen an die Tühre. Auch stiessen sie mit Füßen daran. Ja sie raseten / sie tobeten / sie wühteten darvor / als tolle Menschen. Der Verzug aufzutuhn war ihnen verdrüßlich. Das lange Zaudern machte sie grimmig. Zuletzt musten ihnen die Höbebeume zu Schlüsseln dienen. Man rante sie auf. Man drung mit Gewalt hinein. Man forderte den Simson: und / als sie Bericht empfangen / er sei lange weg / suchte man alle Winkel durch. Man stankerte alles aus / auch das heimliche Gemach selbst.

(91) Die arme Tröpfin fanden sie noch im Bette. Nicht eher war sie erwachet / als im Aufrennen der Tühre. So fest hatte sie geschlafen. Es war auch kein Wunder. Sie hatte die gantze Vornacht gewachet. Vom Kampfe der Geulheit lag sie noch ermüdet. Und darüm war ihr Vorsatz gewesen / ihrer Ruhe bis an den Mittag abzuwarten. Sie fing zwar an zu murren. Sie begunte sich unnütze zu machen. Sie erkühnte sich zu [265] schälten. Aber diese Pfeiffe muste sie bald einziehen. Der aufgereitzte Hans Alleman war in voller Wuht. Er geboht ihr zu schweigen. Er bedreuete sie. Er fing an ihr aufzurükken / was sie ungern hörete. Etliche hatten auch schon begonnen ihr Haus zu plündern.

(92) Weil sie den Simson alda nicht fanden /so schien es / als wolten sie ihr Mühtlein an dieser Fraue kühlen. Und zu dem Ende suchten sie auch die Schuld seines Entkommens ihr aufzubürden. Ja sie hetten ihr gewislich einen häslichen Schimpf bewiesen / wan nicht einer von den Stahtsbedienten / durch seine Darzwischenkunft / solches verhindert. Dieser /weil er vielleicht einer von Simsons Schwägern war / nahm sich ihrer straks an. Er schafte das gemeine Völklein straks aus dem Hause. Er befahl ihr kein Leid zu tuhn. Ja er bemühete sich so viel / daß sie ihre Ruhe behielt.

(93) Unterdessen kahm der Ruf an / das Stadttohr sei weg. Es were nirgend zu finden. Die Mauer / darinnen es gestanden / sei über einen Hauffen geworfen. Hieraus schlos man zur Stunde / Simson sei geflohen: er habe sich durchgebrochen / und das Tohr selbst mit darvon getragen. Alle stunden als vernarret. Iederman war bestürtzt. Schier niemand sprach ein Wort. Gleichwohl konten es etliche nicht gleuben. Es schien ihnen unmüglich zu sein. Sie hielten es für ein Mährlein. Darüm lieffen sie hin. Sie sahen darnach. Sie erblikten die klahre Taht. Sie fanden das gewisse Wahrzeichen der Flucht und Stärke des Simsons.

(94) Hatte sie der bloße Ruf bestürtzt gemacht / so warden sie es itzund noch vielmehr. Sie stunden entsetzt. Sie gingen / als vor den Kopf geschlagen. Sie schlichen / wie die Hühnerdiebe; wie Hunde mit gelähmten Lenden. Ja sie waren beschähmt. Sie durften die Augen nicht aufschlagen. Die Ohren hingen / als Lappen. Die Arme schlotterten / als Flachsrüsten. Der Schimpf schien zu groß. Die Schande war zu übermäßig. Niemand wuste / was er tuhn solte. Zuletzt verlohren sie sich einzeln. Mit stiller Trummel zogen sie heim. Und also ward ihre große Waffenrüstung / mit Schanden und Schaden / geendigt.

[266] (95) Nicht lange nach diesem schändlichen Abzuge gelangte Simson / mit seiner Beute / vor Hebron an. Alda war er gesonnen ihm eine Siegesburg zu stiften. Alda war sein Vorsatz ihm ein Sieges- und Ehren-Tohr aufzurichten: dessen gantze Last er bis hierher auf seinen Schultern getragen. Hierzu wehlete er nicht etwan ein lustiges niedriges Tahl / sondern einen hohen Berggüpfel. So erhoben / und in offener Luft solte sein Ehren- und der Gazer Schanden-zeichen stehen; damit es die Augen des gantzen Filisterlandes auch von Ferne beschauen könten.

(96) Auf diesem Berggüpfel lud er die Last des Gazischen Stadttohres ab. Alhier richtete er / als ein zweiter Jason / zum Denk- und Dank-mahle die Breter auf; mit denen er dem Schifbruche / darein ihndie Gazer zu stürtzen gedacht / entgangen war. Hierher / auf diese Höhe / setzte er den Weihtisch; darauf er dem Allerhöchsten für so gnädige Rettung seines Lebens den Weihrauch seiner Dankbarkeit anzündete. Ja alhier feierte er den Tag seines ihm von oben herab verliehenen Sieges.

(97) An Gedanken / und gespannetem Tuche gehet viel ab. Die Gazer gedachten / Simson sei nunmehr in ihrem Garnsakke so guht als gefangen; weil er in ihrer verschlossenen Stadt war. Sie vermeinten den Fisch so gewis in ihrer Wahte zu haben /daß er ihnen nicht entschlüpfen könte. Sie hatten die Einbildung / weil er so tief in ihre Reise gerahten / sei es unmüglich ihn zu verlieren. Darüm sagten sie schon: »harre! morgen wollen wir ihn greiffen / und erwürgen.« Aber zwischen Abend und Morgen fallen viel Glüksfälle. In dieser kurtzen Zeit ward jene Jungfrau eine Braut / und eine Leiche. In so wenig Stunden wird wohl eine gantze Stadt eingeäschert; die man darnach in so viel Jahren nicht wieder aufbauen kan.

(98) Kaum war die Helfte solcher Zeit verlauffen /da hatten die Gazer den Simson / den sie so fest in ihren Klauen zu haben wähneten / schon so schändlich verlohren / daß sie ihn darnach solchergestalt nimmermehr wieder in ihr Netze bekahmen. Ihr unfürsichtig erwehltes Morgenziel war noch halb zurük; da hatte seine tapfere Faust in ihren Garnsak albereit so einen weiten Ris gerissen / in ihre Wahte schon so eine große [267] Schnarre geschnarret / und in ihre Reise so einen breiten Bruch gebrochen / daß er aus allen ihren Hinterlagen ungehindert entschnapte.

(99) Auf Morgen harren / macht manchen Narren. Der Morgenverschub findet die Gelegenheit / die Heute zöpficht sich anbietet / mit einer Glatze. Ohne Morgenverschub gewan Alexander in wenigen Jahren so viel mächtige Königreiche; wie er selbst bekante. Hetten die Gazer ihren Anschlag nicht auf Morgen verschoben / so hette sie Simson so gar schändlich nicht teuschen können. Hetten sie nicht so lange gezaudert / geseumet / und ihren Anschlag verzügert; so hetten sie solchen Hohn / solche Schmaach / solchen Schimpf und Spot keines weges darvon getragen.

(100) Gleichwohl wolten die Stahtsbedienten ihren Irtuhm nicht bekennen. Sie wolten nicht gestehen /daß sie gefehlet. Und solchen Fehler zu beschönen /bürdeten sie alle Schuld der Bürgerschaft auf. Sie beschuldigten dieselben / welche den Simson zu bewachen bestimt worden / daß sie fährläßig gewesen; daß sie sich vielleicht nicht stille genug gehalten /oder auch wohl / da sie wachen sollen / geschlaffen. Ja sie bezüchtigten die Tohrwächter selbsten / daß sie darvon gelauffen / und das Stadttohr zum besten gegeben.

(101) Weil es nun Sachen waren von großer Wüchtigkeit / welche das Ansehen und die Ehre des algemeinen Stahts betrafen; so ließ der Fünffürst zuGaza von stunden an alle Landrähte / ja alle Befehlhaber der Stadt nicht allein / sondern auch des sämtlichen Stahts versamlen / hierüber zu erkennen Diese gaben zuerst etlichen ihrer Unterbedienten Befehl nachzuforschen / wie die Sache sich verhielte. Dar nach warden dieselben / die man als Verbrächer befunden / vor dem Stahtsrahte zu erscheinen / und Rechenschaft ihres Verhaltens wegen zu geben / getaget.

(102) Alhier ging es sehr scharf zu. Das kleineste Versehen muste den Nahmen des allergrösten Lasters haben. Das geringste Verbrächen ward zum allerhöchsten aufgemutzet. Doch diese Schärfe ging über niemand so gar scharf / als über die Tohrwächter; weil / durch ihre Verwahrlosung / das Stadtthor [268] selbsten gestohlen worden. Diese waren auch die ersten /die Haare laßen musten. Nicht alle zugleich warden abgehöret. Nur einen allein lies man auf einmahl einträhten. Nachdem man sie alle zum allergenauesten unterfraget / und wohl ausgefenstert hatte / schikte man sie / bis auf weiteren Bescheid / ins Gefängnis.

(103) Hierauf lies man auch die Bürger vorfordern: nicht zwar einzeln / noch auch alle zusammen auf einmahl; sondern Rottenweise / wie man sie vor Simsons Herberge Wache zu halten befehligt. Weil nun diese befanden warden üm die Zeit / da Simson das Reisaus genommen / alle geschlafen zu haben; die meisten in ihren Heusern selbst / die wenigsten auf dem Wachplatze: so ward jenen / weil sie / wider der Obrigkeit Befehl / von der Wache sich weggeschlichen / eine schwere Geld-buße / den andern aber das entführete Stadtthor entweder gantz von neuem bauen zu laßen / oder aber das Alte wiederzuschaffen zuerkennet.

(104) Des folgenden Tages ward auch das Urteil über die Tohrwächter gefället. Diese / weil sie nur arme Tropfen waren / aus denen kein Geld zu schmieden fiel / auch wider den gantzen Staht / dem sie einen so gar großen unauslöschlichen Schimpf zugezogen / sich gröblich versündiget / solten mit dem Leben büßen. Was es aber für eine Lebensbuße sein solte / darüber fielen zuerst mancherlei Urteile. Etliche verurteilten sie zur Steinigung: andere zum Feuer. Weil aber beide diese Lebensstrafen alzugemein / des Verbrächens Wüchtigkeit dagegen gantz ungemein war; so urteileten noch andere / man müste solchen Verbrächern auch eine gantz ungemeine Strafe / die man von neuem ausfinden solte / zuerkennen.

(105) Hierüber fielen abermal vielerlei Meinungen. Etliche vermeinten / man solte sie unter dem Schutte der Mauer / bei dem geraubeten Stadtthore / lebendig begraben. Andere rieten / weil sie von der Wache weggelaufen / ihnen solches gegen dergleichen Vorfal abzugewöhnen / man solte beide Beine den Redelsführern abhauen / den andern aber / die sich durch jene verführen laßen / nur lähmen. Noch andere wolten ihnen die Augen ausgestochen haben; weil sie /als blinde [269] Wächter / an stat das Thor zu bewachen /in ihren Heusern vielleicht geschlafen. Wieder andere stimmeten dahin / daß man / durch einen der grösten Steine des Mauerschuttes / ihnen den Kopf solte zerschmettern. Und hierzu könte man zwo Seulen nebeneinander aufrichten / und den gemeldten Stein / an ein paar oder mehr Stränge fest gebunden / gleich als einen Schlagtrümmel / zwischen denselben von oben herab dem unten stehendem Verbrächer auf den Kopf fallen laßen.

(106) Endlich warden itztgemeldte Meinungen nach Hofe geschikt des Fünffürstens Bedenken darüber einzuhohlen. Dieser lies wissen: weil alle Verbrächer nicht gleiche Schuld hetten / so könten sie auch nicht alle mit gleicher Strafe belegt werden. Darüm solte man sie schichten. Welche Schicht sich am meisten verbrochen zu haben befunden würde /darunter dan die Redelsführer oder Urhöber des Verbrächens zu zehlen weren / denen solte man die letztere Kopfstrafe zuerkennen. Die andern könte man spielen laßen / welchem die Füße solten abgehauen / oder aber nur gelähmet werden / und welchem die Augen auszustechen. Was die erste Strafahrt belangete / dieselbe würde den Stahtsrähten in Bedenken gestellet /ob man sich deren bedienen / oder nicht bedienen solte.

(107) Hiernach ward dan das Endurteil gefället /daß die fünf befundene Redelsführer oder Anfänger der Uberträhtung mit dem Falle des Mauersteines solten hingerichtet / die andern aber durch das Loß geschichtet / und / nach dem Befehle des Fünffürstens /mit denen Strafen / die auf sie fielen / belegt werden. Und also musten sie / teils mit dem Kopfe / teils mit den Füßen / teils mit den Augen ihre Schuld bezahlen. Alle musten büssen / bis auf einen. Dieser allein ging frei. Dieser ward darüm begnadiget: Weil er der letzte Man im Tohre gewesen / und nicht eher nach Hause gegangen / als da die andern schon alle darvon gelauffen.

(108) Zur Volziehung dieses Urteils ward der vierde Tag hiernach angesetzet. Eher konte sie nicht geschehen; weil auf die drei folgenden eben das Fladenfest des Korn- oder Brohtgötzens Dagons zu feiern einfiel. Dieses ward bei den Filistern so heilig gehalten / daß / bei währender Feier / nicht [270] die geringste Handarbeit / viel weniger ein Bluhtgerichte geschehen durfte: wiewohl der Götzendienst sonsten nicht sonderlich war. Man sahe fast anders nichts / als Wohlleben. Man täht schier anders nichts / als Prassen. Man trug große Fladen auf. Kuchen und dergleichen Gebaknes zu essen / und Wein darbei zu sauffen / war ihr meister Götzendienst. Wan man den Bauch tapfer gefüllet / dan fing man an zu spielen / zu tantzen / und vielerhand Kurtzweile zu treiben. Das hies alhier den Feiertag heiligen.

(109) Unterdessen ward den Mistähtigen auch erleubet in dieses Fladengottes Götzenhaus zu gehen /sich mit ihm / als dem Schutzgötzen der Stadt / der sie aber übel beschützet / indem er ihr Tohr wegrauben laßen / zu versühnen. Dahin kahmen sie zwar: aber vom Dagonsfladen bekahmen sie nichts. Die arme Tropfen musten von diesem Bauchgötzen mit eben so leerem Bauche wieder in ihr Gefängnis gehen / als sie von dannen gegangen. Sie musten sich mit dem / daß die Augen sich gesättigt / vergnügen laßen.

(110) Der bestimte Tag zur Volziehung des Urteils war nunmehr angebrochen. Das Strafgerüste stund auf dem Markte schon färtig. Dessen Heusern lieffen gantze Heuser zu. Auch kein Dienstbohte / kein Kind blieb daheim. Einieder verlangte diese neue Strafahrt zu schauen. Die Dächer rund ümher stunden gedrüktvol Menschen. Die Fenster waren besetzt mit Frauenbildern. Auf dem Markte selbst war der Drang des Volkes so groß und so dichte / daß schier kein Apfel zur Erden konte. Gleichwohl musten sie denen weichen / üm derer willen sie zusammengelauffen.

(111) Die Verbrächer kahmen endlich an. Drei Stadtdiener gingen vorher. Diese machten Platz / da schier kein Platz war. Sie schwänkten die entblößten Schwerter. Sie trieben das Volk noch mehr in die änge. Sie machten den Drang noch gedrungener. Die Häscher folgeten / mit breiten Plötzen. Diese hielten die Mistähtigen an starken Strükken fest. Man gelangte zum Orte des Gerichts. Der Kreus ward geschlossen. Die Scharfrichter stunden bereit / sobald der Wink geschehen / ihr Werk zu verrichten.

[271] (112) Weil dreierlei Urteile solten volzogen werden / so waren auch drei Büttel / solches zu verrichten /vorhanden. Ja darüm hatte man auch die Mistähter in drei Teile geschieden. Dieselben fünfe / denen die Kopfstrafe zuerkant war / stunden mitten im Ringe /straks bei dem Gerüste. Die andern / denen die Füße teils solten abgekapt / teils gelähmet werden / befanden sich auf der rechten Seite. Der dritte Teil aber /dem man die Augen ausreissen solte / war auf die Linke gestellet. Alle drei Büttel solten ihr Werk zugleich verrichten.

(113) Sobald nun der Wink geschahe / fingen diese drei / ein ieder seinem eignen Teile / das Recht zu tuhn an. Ein Mistähter nach dem andern muste herhalten. Der fürnehmste der ersten Gattung ward nunmehr an beide Seulen des Gerüstes fest gemacht. Darauf zogen die Rakkerknechte den Stein mit langen Strükken in die höhe / und liessen ihn so plötzlich und mit solcher Gewalt wieder herunterfallen / daß der Kopf des untenstehenden Mistähters gantz zerschmettert ward / und Gehirn und Bluht herümsprützte. Eben also täht man mit den übrigen vieren / seinen Mitredelsführern.

(114) Inzwischen verrichteten auch die anderen zwee Büttel / mit ihren Folterknechten / das ihrige. Der eine machte den Seinigen die Füße bald lahm /bald gar üm eine Handbreite kürtzer. Der andere war geschäftig die Augen auszupohren. Und dieses täht er mit solcher Geschwindigkeit / daß der Augapfel heraus war / ehe man es gewahr ward. Also behielten zwar diese zwei Teile der Verbrächer das Leben: aber darbei gerieten sie in solchen Zustand / darinnen dem einen das Lauffen / dem andern das Sehen verbohten war.

(115) Bisher haben wir der bluhtigen Rache / oder vielmehr der Volziehung des Bluhturteils der Gazer / darzusie Simsons Heldentaht veruhrsachte / zugeschauet. Nun wollen wir auch beschauen / was ihm / durch solche Heldentaht / für ein unsterblicher ruhmherlicher Ehrennahme zugewachsen. Daß er hierdurch und durch mehr andere den Nahmen / den Ruhm / das Ansehen / die Pracht / die Herligkeit / ja alles zusammen / was einem großen Siegshelden zukomt / erworben ist freilich groß und hoch zu achten. Aber noch viel grösser / [272] [274]noch viel höher / ja zum allergrösten groß / zum allerhöchsten hoch mus man achten / daß er eben hierdurch den hohen Ehrennahmen eines Vorbildes des Sohnes GOttes selbsten erlanget. Dieses übertrift alle seine Siege / ja alle seine Siegesgepränge.

(116) Dem Großen Sohne des Großen Gottes /durch rühmliche Tahten gleichen / ist der allergröste Ruhm. Sein gleichähnliches Vorbild / in so vielen Stükken / zu sein gewürdiget werden / ist die allerhöchste Würde. Die Ehre Ihn gleichsam zum Nachfolger unsers Vorganges zu haben / ist die allerköstlichste / die allerherlichste Ehre. Wan es uns / den Fußstapfen des Sohnes Gottes nachgewandelt und Ihm gefolgel zu haben / preislich und rühmlich ist / ja selbst zur Seeligkeit gedeiet; wie viel mehr Preises und Ruhmes verdienet dan Simson / ja wie seelig wird wohl er sein / der solcher gestalt vorzuwandeln bestimt / ja vorgewandelt zu haben befunden worden /daß der Sohn GOttes selbst gleichsam ein Nachfolger und Nachwandler seines Handels und Wandels sein wolte?

(117) Der allerkünstlichste Mahler könte die Geschicht des Leidens / und der Höllenfahrt unsers Heilandes uns nicht eigendlicher vormahlen / als sieSimson alhier / durch seine Geschicht / bei zwölfhundert Jahre zuvor vorgebildet. Er / der große Held /und Israelische Heiland Simson komt gen Gaza. Das heisset eine Festung / eine Feste Burg / eine Behaltnis. Er bringet ein liebreiches Hertz mit. Dannoch trachten ihm die Gazer nach dem Leben. Sie sagen: morgen wollen wir ihn erwürgen. Zu dem Ende gehen sie zu rahte. Sie ümgeben ihn mit starken Wachen. Sie versperren die Stadttohre / und besetzen sie mit Wächtern; damit er ihnen ja nicht entschnappe. Unterdessen schläft er unbesorgt. Aber üm Mitternacht stehet er auf. Er gehet unerschrokken nach dem Tohre zu. Er stürmet / und höbet es aus. Er trägt es gar auf fünf Meilen darvon.Vor Hebron setzt er es auf einen hohen Berg /und richtet es zum Siegeszeichen auf.

(118) Eben also komt der Sohn GOttes und Heiland der Welt in die Welt. Er bringet ihr auch ein liebreiches Hertz mit. Aber die Welt / die Er so hertzlich liebet / hasset Ihn. Ja sie trachtet [274] Ihm gar nach dem Leben. Und was noch mehr ist / die Seinigen selbst / seine Bluhtsverwanten selbst / seine Brüder selbst findet Er so bluhtdürstig. Am Abende vor seinem Leiden sagen sie eben / wie dort die Gazer: morgen sol Er sterben. Darüber halten sie Raht. Darzu laßen sie Ihn bewachen. Auch bestellen sie darnach Wächter / nicht zwar / wie die zu Gaza / zu den Tohren ihrer Festung / sondern vor die Tühre der Burg und Festung seines steinernen Grabes; darinnen Er schläft / wie Simson in der Festung Gaza: damit Ihn seine Jünger nicht etwan wegraubeten. Diese Tühre versperren / ja versiegeln sie zugleich /Ihn ja nicht zu verlieren. Aber bald nach Mitternacht /da der Morgen wil anbrächen / erwachet und stehet Er auf. Ja Er bricht / als ein Uberwinder des Todes /durch die versperrete / versiegelte Tühre hin.

(119) Ich wil mehr sagen: Er wird auch ein almächtiger Durchbrächer / und Herzog des Lebens: indem Er selbst durch das Höllentohr hinbricht / desselben Riegel und Schlösser zerbricht / das Höllische Gaza stürmet / die Höllenburg zerstöhret / die Fürstentühmer und Gewaltigen alda überwältiget / sie öffendlich zur schaue träget / und Ihm zur Siegespracht dienen lesset / ja das Gefängnis gefangen führet / und solche seine Siegespracht nicht nur fünf Tage / wie Simson die Stadttohre von Gaza fünf Meilen wegtrug / sondern wohl achtmal fünf / das seind vierzig Tage / der Welt sehen lesset: da Er endlich / in seiner Himmelfahrt / den Raub / den Er seinen und unsern Feinden abgenommen / auf den hohen Himmelsberg führet; und sich alda / als ein ewiger Siegesfürst / der Tod und Teufel überwunden / und mit den zerbrochenen Siegeln seines Grabes die Sünde wieder versiegelt / ja uns dadurch eine ewige Erlösung erworben / zur Rechten der Majestäht GOttes setzet.

(120) Sobald Simson solches sein Siegs- und Ehren-tohr vor Hebron aufgerichtet / da lief fast die gantze Stadt dem Berggüpfel zu / dieses große Wunderwerk zu beschauen. Iederman war bestürtzt. Alle warden entzükt / als sie diese so ungeheure Last sahen. Es schien ungleublich zu sein / daß ein einiger Man so viel Stärke gehabt so einen weiten Weg sie zu [275] tragen. Gleichwohl musten sie dasselbe gleuben / was ihr Auge wahr zu sein befand. Die Tracht stund da; der Träger darbei: der den Gazern Trotz boht sie wieder von dannen zu tragen.

(121) Ja selbst von weit entlegenen Oertern lief das Volk / mit gantzen Schaaren / herzu. Auch die Lahmen und Kröpel / auch die Krükkengängler und Steltzner sahen die ferne des Weges / die Steilheit der Bergstraßen nicht an. Es war eben / als hette daselbsten ein sonderliches Heiligtuhm gestanden. Es war nicht anders / als hette man alhier / aus sonderlicher Andacht / eine Walfahrt verrichtet. So gar heuffig fand sich das neugierige / das lüsterne Volk ein.

(122) Auf hiesigem Berghügel lagen drei überausgroße Feldwakken / drei überausstarke Feldsteine /welche vor diesem die Hebronische Riesen hinauf gewältzet / in Gestalt eines Dreiekkes übereinander. Hierüber / als über die Wunderzeichen einer ungleublichen Stärke / hatten sich die Kinder Israels bisher höchlich verwundert. Aber als sie itzund dieses ungeheure Tohr / mit seinen zwo starken Seulen /daran auch ein Stükke der Gazischen Stadtmauer noch fest hing / erblikten; da waren sie noch viel höher verwundert / daß Simson so eine lastbare Bürde / die ungleich schweerer war / als einer von gemeldten drei Feldwakken / ja noch darzu einen so weiten Weg auf seinen Schultern tragen können.

(123) Nachdem nun dieser unvergleichliche Held /durch eine so sonderliche / so ungemeine Heldentaht /der Filister Ubermuht und Vermässenheit dermaßen gebändiget / daß sie sich hinfort / einigen Anschlag wider ihn vorzunehmen / weder heimlich /noch öffendlich unterstehen durften; da begab er sich wieder zu den Seinigen. Alda betrachtete er / in ruhiger Zufriedenheit / alle bisher ihm zugestoßene Gefährligkeiten: welche fort und fort anders nicht / als entweder mit Schaden / oder doch mit Schanden der Filister / wo nicht mit beiden zugleich / zu Ende gelauffen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek