Eine Rundreise

Abermals sind acht Jahre vergangen seit der Zeit, wo diese Briefe geschrieben wurden, und wir werfen zuerst einen Blick in das Pfarrhaus zu Wallburg, wo Wilhelm, der Pfarrer, eben im Begriff ist, eine kleine Reise anzutreten. Sein gutes, treuherziges Gesicht hat sich wenig verändert in der langen Zeit seit jener Wasserfahrt, es ist noch so gut hineinzusehen wie damals, und einen ernsten Ausdruck hat es immer gehabt.

Wilhelm ist reisefertig und schreitet mit verhaltener Ungeduld in der Stube auf und ab; endlich ruft er in die Küche: »Aber liebes Kind, bekomme ich den Kaffee nimmer? Du weißt, ich möchte gern noch in der Kühle fortkommen.«

Frau Friederike erschien in einem reinlichen, wenn auch durchaus nicht kleidsamen Morgenhabit. »Du mußt in der Tat noch warten,« sagte sie in etwas ärgerlichem Ton, »so ist's, wenn man nicht nach allem selbst sieht; da hat das dumme Ding, die Röse, gestern den Kaffeesatz nicht abgekocht, nun muß ich das zuvor tun, ehe ich den Kaffee machen kann.«

[44] »Aber hättest du denn nicht dies eine Mal reines Wasser nehmen können und etwas mehr Kaffee?« – »Ach, das verstehst du nicht. Ordnung muß sein, und man braucht, weiß Gott, Kaffee genug das ganze Jahr, seit auch die Wäscherinnen noch Mittagskaffee verlangen; das ginge mir ab, noch puren Kaffee zu kochen, warum nicht gar auch ohne Zichorie!«

Wilhelm faßte sich in Geduld und begann wieder: »Hör, Liebe, ich weiß nicht, wie ich Minna antreffe, ihren Briefen nach ist sie oft leidend; ich glaube, ein Landaufenthalt würde ihr gewiß gut tun; ich denke, ich lade sie auf einige Wochen ein.«

»Oh, wo denkst du hin? Das wäre jetzt sehr ungeschickt.« – »Es ist deine einzige Schwester,« sagte Wilhelm mit verstärkter Stimme, »der wir eine Erholung bieten können und die in acht Jahren ein einzig Mal bei uns war; sollte unser Haus keinen Raum mehr für sie haben?« – »Nun, so mach doch nicht gleich so einen Lärm! Sie kann ja meinetwegen wohl kommen. Solang' du fort bist, lasse ich das Haus putzen, dann will ich Lichter ziehen und Seife machen und danach die große Wäsche halten; dann muß ich das große Geschäft mit den Betten vornehmen – nach dem, nun ja, da könnte sie kommen. Es kommt dann freilich ganz ungeschickt in die Ernte, und lieber wäre mir's, sie käme ohne Kinder; denn du wirst sehen, die sind imstande und steigen mit den Füßen auf das Sofa!« – »Nun, wir wollen's wagen,« lächelte Wilhelm, »eine so gute Hausfrau wie du findet immer Mittel und Wege.« – »Ja, es ist wahr,« sagte Friederike geschmeichelt, »ich habe darin schon etwas geleistet, wenn ich nur an den Unfug mit Gästen denke, früher bei uns daheim; kein Wunder, daß sich mit der Mutter Tod die große Einbuße herausstellte.« – »Es sind viele Herzen froh geworden bei dem Unfug,« sagte Wilhelm mit weichem Ton, »und der Segen Gottes über einem gastlichen Hause besteht nicht in Geld allein.« – »Ja, aber ohne die unnötige Gastlichkeit hätte Mine nicht die dumme Heirat gemacht,« warf Friederike ein. Darauf wußte Wilhelm nichts zu erwidern.

Bis die Frau nach dem verspäteten Kaffee sah, ging er in die Kinderstube hinüber; die zwei Kleinsten lagen noch im [45] Schlaf, er erquickte sein Herz an den köstlichen Bildern. Das älteste Töchterchen, nach der Großmutter Dorothee genannt, war schon auf und streckte ihm die Ärmchen entgegen: »Bist du doch noch da, Vater? Ich hatte so Angst, du gehest ohne Abschied!« – »Nein, mein Herzchen,« sagte er und drückte das Köpfchen an sich und sah ihr in die tiefen blauen Augen, »zieh dich nur an, mein Kind, du darfst mich begleiten.« Während sie eilig sich wusch, sah er sich um im Zimmer; da war alles in guter Ordnung, die Betten der Kinder so rein, die Kleidchen hübsch beisammen. »Ein gutes Weib ist sie doch,« dachte er, wieder versöhnt, »und deine Seele soll nicht darben,« fügte er in Gedanken hinzu, wenn er seines Kindes Augen begegnete, das nun eilig sein Kleidchen überwarf und ihm hinüberfolgte.

»Aber wie unnötig, Dorchen, daß du schon auf bist,« schalt die Mutter, »ich kann dich unmöglich jetzt flechten, warum bleibst du doch nicht drüben?« – »Laß diesmal gut sein, Mutter,« bat Wilhelm, »begleite du mich ein Stück Wegs mit den Kindern!« – »Begleiten, ich, was fällt dir ein! Ich weiß ja gar nicht wo anfangen vor Geschäft, ich noch spazieren gehen! Und Dorle kann auch nicht, sie macht ihr Kleid abscheulich in dem nassen Grase.«

»Auch begleiten!« schrie der kleine Karl und sprang halbgekleidet herüber. »Um Gottes willen!« rief die Mutter, [46] »springt der Bube strümpfig herüber! Zerreißt ihr mir nicht ohne das schon Strümpfe genug? Gleich wieder ins Bett!«

Mit Mühe erkämpfte der Vater die Erlaubnis zur Begleitung für die Kleinen. Während er seinen Kaffee trank, von dem für das kleine Volk reichliche Bissen abfielen, zählte die Frau noch unendliche Schwierigkeiten auf, die sich vor seine beabsichtigte Reise türmten. »Wie's geht mit Kasualien, das weiß ich gar nicht. Der Vikar von Seeberg kann höchstens die Predigt übernehmen, mit dem Braunberger ist's gar nichts. Und die alte Sailerin und des Schneiders Ähne sollen beide ganz elend sein, die sind imstand und sterben gerade, solang' du fort bist! Du könntest noch ihre Lebensläufe schreiben und mir dalassen, damit kommt ein Fremder doch nicht zustande.« – »Gar zu fürsorglich,« sagte lächelnd Wilhelm, indem er seine Reisetasche überwarf und die bedenkliche Frau herzlich umarmte; »wir wollen die Leute doch nicht begraben, ehe sie gestorben sind. Behüt' dich Gott, liebes Weib! Das Haus gut zu hüten, darf ich dich nicht erst bitten, schaff dich nicht so ab, daß du mir hübsch gesund bleibst!« – »Ja, du hast gut reden,« sagte sie, indem etwas wie Bewegung durch den nüchternen, trockenen Ausdruck ihres Gesichtes ging. »Komm gesund wieder, aber nicht gar zu bald! Vor Mittwoch bin ich nicht fertig mit Putzen; und gib mir nicht so viel unnötiges Geld aus und laß nirgends schwarze Wäsche zurück. Vier Paar Socken hast du bei dir und zwei reine Hemden, außer denen auf dem Leib, und drei Sacktücher.« – »Und herzliche Grüße an die Deinigen, nicht wahr?«

»Natürlich, das versteht sich von selbst. Bring mir aber keine Gäste mit, ehe ich's vorher weiß!«

Noch ein guter, herzlicher Ehemannskuß, und Wilhelm zog seiner Wege, froh und recht erstaunt, daß er doch endlich in der Tat fortgekommen war. Die Kinder trippelten fröhlich nebenher, Dorchen hatte das Brüderchen angekleidet. Sie wollten ganz bei Papa bleiben, und es brauchte lange Unterhandlungen und vielfache Zugeständnisse und Versprechungen, bis sie sich bewegen ließen, umzukehren. Karl ließ sich mit einem [47] Endchen von der Wurst bestechen, die der Vater als Reiseproviant bei sich hatte; die kleine Dorothee aber, ein gar weichherziges Kind, hing in Tränen zerflossen an seinem Halse, und er sah sie noch, als er sich umwandte, schluchzend an dem grünen Rain sitzen, wo er die Kinder verlassen, bis sie sich endlich erhob und sorgsam ihre und Karls Kleidchen abstäubte, die vom Sitzen etwas schmutzig geworden. »Sie hat der Mutter Pünktlichkeit, und ein warmes, weiches, offenes Herz dabei,« sagte sich der Vater mit stiller Freude.

Und wie er so weiter schritt in der tauigen Frische und die duftige Ferne vor ihm lag, da erschien ihm auch die Heimat, von der er geschieden, in rosigerem Licht, und der leichte Morgenwind nahm manches weg, was im Alltagsleben seine Seele oft drückte. »Und ein gutes Weib ist sie doch,« wiederholte er sich in Gedanken, »eine treue sorgsame Mutter, eine emsige Hausfrau. Daß sie über der Sorge und Mühe des Werktages nie zum Sabbatfrieden in ihrem Herzen kam; daß sie ihre Seele nie geöffnet hat für die schöne, reiche Gotteswelt – das ist ja ihr Unglück, um das man sie beklagen muß und sie tragen mit doppelter Liebe. Und wer weiß,« fügte er getröstet hinzu, »welchen Einfluß später [48] die Kinder auf sie haben! Wie oft hat eine Mutter durch die Kinder schätzen und lieben gelernt, was sie ihr Leben lang gering geachtet! Es freut sie jetzt schon, obgleich sie's nicht merken läßt, wenn die Dorothee so hübsch und ausdrucksvoll die Gedichte hersagt, die sie bei mir gelernt; – ja, ja, wir können noch allerlei erleben.«

Immer heiterer ward er beim Weiterschreiten, so leichtfertig sogar, daß er bei der Erinnerung an einen Betrug fröhlich auflachte. »Es war freilich nicht recht,« fuhr er schmunzelnd in seinem stillen Selbstgespräch fort, »daß ich ihr die zwei Louisdor von der fremden Dame auf dem Schloß unterschlagen habe; das gute Weib freut sich über so etwas viel mehr als ich und war sehr verwundert, daß das Kleidchen für Marie die ganze Belohnung sein sollte für eine so vornehme Trauung. Das Geld wäre nun lange in der Sparkasse; aber sie wird aufschauen, wenn sie von der Residenz aus einen Samthut erhält, noch schöner als der der Pfarrerin von Seeberg; freilich wird sie schelten, aber ich weiß doch, daß sie's heimlich freut, nicht wegen des Putzes, den sie ja so selten braucht, aber es tut ihr wohl, zeigen zu können, daß ihr Mann sie in Ehren hält.«

In solchen Zwiegesprächen, die ihm das Leben wieder leicht machten und die Heimat lieb, und in freundlichen Unterredungen mit Vorübergehenden, mochte es nun ein altes Weib oder ein kleiner Junge, ein Bauer oder ein Handelsjude sein, hatte Wilhelm gegen Abend das erste Ziel der Rundreise erreicht, die er nach unendlichen Schwierigkeiten endlich durchgesetzt: das Haus seines Schwiegervaters.

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