Fünf Jahre später
Minna an Mathilde
Endlich am Ziele! Endlich darf ich Dich, wenn auch nicht mehr als Brautjungfer, so doch als ehrbare Brautfrau, als meine liebe teilnehmende Gefährtin zu meiner Hochzeit einladen. Wir wollen sie am zwölften Juni feiern, acht Jahre nach jenem sonnigen Tage, wo wir uns zum erstenmal gesehen. Acht Jahre! Ach, sie dünken mir nicht lauter einzelne Tage, wie dem Erzvater Jakob seine sieben, es sind lange, schwere Jahre darunter.
Ich bin so müde von dem sauren Wege, den wir zu durchlaufen hatten, daß ich mich noch nicht recht des Zieles freuen kann, und ich muß mir die schönen ersten Zeiten recht lebendig zurückrufen, um meines Glückes wieder froh zu werden. Jene Wasserfahrt, weißt Du's, Liebe, und das erste Ständchen? Oh, es kamen noch schöne Stunden nach diesen: Im Walde, im Garten, selige Überraschungen, wo er oft rasch angesprengt kam auf seinem schäumenden Roß; wo er mich suchte auf meinen lieben einsamen Gängen, und wo in der Laube zum erstenmal unsre Herzen Worte fanden. – Du weißt ja längst schon alles. Es war so einzig schön bis zu dem Augenblick, wo ich mich dem Vater entdeckte und dieser von Arwed ernste Rechenschaft forderte, worauf er die Zukunft seines Kindes gründen wolle. Ach, wir hatten so glückselig im Augenblick gelebt, und Sorge für die Zukunft ist so gar nicht unsre Sache!
Und dann kamen die langen, trüben Zeiten, der schmerzliche Kampf zwischen Liebe und Pflicht. Oh, es ist ein schweres Gefühl, zu lieben ohne Elternsegen, das erste Leid, den ersten Zwiespalt in eine bis dahin so friedliche und frohe Heimat zu bringen! Und wie peinlich war mir wieder die Sorge, mit diesen Forderungen an eine solide Existenz ein Bleigewicht an Arweds hochstrebende Talente zu hängen, so oft mich auch der Vater versicherte: Wenn etwas Rechtes in ihm ist, so muß es herauskommen dir zuliebe. Dann der Zweifel an dem Geliebten [40] selbst, an dem Ernst seiner Liebe, die geheime Furcht, mit der ich seine Worte, seine Blicke beobachtete, ob sich kein leiser Überdruß darin zeige! O Mathilde, Arwed muß mir unendlich viel Liebe und Treue erweisen, er muß mich auf den Händen tragen durchs Leben, um mir alles zu vergüten, was ich für ihn gelitten!
Vor zwei Jahren, am Sterbebett der Mutter, bot ich den Eltern an, meiner Liebe zu entsagen; die gute, ach, die zu gute Mutter nahm mein Opfer nicht an. »Du sollst nicht in der Bewegung des Augenblicks deine Wünsche hingeben,« sagte sie; »bitte Arwed, daß er dir Vater und Mutter sein soll, und versprich du mir, daß du glücklich mit ihm sein willst; meinen Segen sollst du haben, liebes Kind, von hier und von dort.« Die gute Mutter! – Kann man auch versprechen, daß man glücklich sein wolle?
Doch warum mich quälen mit dem, was nun vorüber ist? Wir sind ja im Hafen, und wir werden so glücklich sein! Gewiß, gewiß, Arwed wird mir alles, alles ersetzen! Eine selige Stunde für jede Träne hat er mir verheißen. Es ist ein bescheidenes Los, das uns gefallen, aber:
»Ein Herz nur, ach, und eine Hütte!«
mehr haben wir ja nie gewünscht. Die Bedienstung, um die sich Arwed mir zuliebe bemühte und die uns die Güte Deines Mannes verschafft, reicht gewiß für alles Nötige, und einmal bahnt sich Arweds Talent sicher noch den Weg; hat er doch die Herausgabe seiner Gedichte erlangt, wenn auch zunächst noch mit Opfern; und eine Rezension von seinem Freunde Woldemar ist recht günstig. Er dichtet, Dir im Vertrauen gesagt, an einem großen Epos: Otto der Ruhmlose; das muß unser Glück begründen, wenn es vollendet ist.
Wir haben eine allerliebste Wohnung in einem Garten gemietet, etwas teuer und entlegen; aber die Heimat muß uns ja alles sein, darum richte ich mich auch in der Einrichtung ganz nach Arweds Wünschen. Eine schöne, harmonische Umgebung ist für einen Dichter Bedürfnis, daran kann ich nicht [41] sparen, nachher wollen wir denn schon recht einfach leben. Eine kleine Reise wollen wir uns auch nicht versagen; ich bin so lange nur in Gedanken gereist, und Arwed möchte mir gerne die schönen Stellen zeigen, wo er zuerst erfaßt wurde vom Hauch der Poesie. Nur wenige Wochen in die Schweiz, ehe wir uns einspinnen in unsre Hütte und Arwed auf die Kanzlei muß; – trostloser Gedanke!
Wilhelm, dem guten Vetter Wilhelm, haben wir zunächst für des Vaters Nachgiebigkeit zu danken. Es ist ein treues Herz, so oft wir auch über seine Philisterhaftigkeit gelacht haben. Es hätte ihn nur ein Wort von seiner Liebe, die ich so wohl erraten, bei dem Vater gekostet, so hätte es mir schlimmes Spiel gemacht, denn des Vaters Wünsche waren unschwer zu erraten; aber die gute Seele hätte lieber dem Vater weisgemacht, er verabscheue mich, nur um mir nichts zu erschweren. Ich glaube, er ist aus purer Güte noch imstande und wirbt um Friederike, die, soweit ihr Herz nicht im Küchendampf aufgegangen ist, ein sichtliches Interesse an ihm nimmt.
Was diese mir in den letzten Jahren mit ihrem nüchternen Gutachten, ihrer Geringschätzung Arweds zuleide getan hat, das vergütet sie jetzt durch ihre umsichtige Sorge für Aussteuer, Hochzeit und dergleichen, wiewohl es lauter Wettrennen mit Hindernissen sind.
Also komm gewiß, wenn es Dein gestrenger Herr erlaubt; ihn selbst einzuladen, hätte ich nicht den Mut, da unsre Hochzeit nicht zu den Weltereignissen gehört, die ihn bewegen könnten, einen Tag Urlaub zu nehmen.
Komm, meine Liebe, und bringe mir die Erinnerung der alten Tage mit und mein junges, hoffnungsreiches Herz! Oh, zweifle nicht, daß ich mich glücklich, überglücklich fühle! Aber Liebste, wenn ich nimmer leben sollte, bis Deine Lina erwachsen ist, so sag ihr als Vermächtnis ihrer Pate, sie solle nie, nie ein Glück erzwingen wollen gegen der Eltern Willen. Lebe wohl, zum letztenmal
Deine Minna Reinfeld.
[42] Friederike an Eduard
Lieber Eduard!
Obgleich Du ja bald zu Minens Hochzeit hierher kommst, so meint der Vater doch, ich solle Dir vorher noch mitteilen, daß ich seit gestern mit unserm Vetter Wilhelm, der, wie Du weißt, Pfarrer in Wallburg ist, versprochen bin. Ich bin recht glücklich, einen so rechtschaffenen Mann zu bekommen, auch der Vater ist sehr vergnügt darüber. Die nahe Verwandtschaft hat uns einiges Bedenken gemacht, aber Du weißt, daß Wilhelms Mutter ja nur eine Halbschwester von unserm Vater war. Auch ist in Wallburg Wassermangel, was ich gar nicht leicht nehme; aber Wilhelm meint, man werde einen Brunnen im Pfarrhof graben können; ich denke, die Kosten übernimmt die Herrschaft.
Mit der Hochzeit eilt es natürlich nicht, ich sehe noch gar nicht hinaus, wie wir mit den Sachen der Mine fertig werden, da alles auf mir allein liegt. Du könntest vielleicht einen Kalbsschlegel zur Hochzeit bestellen, ein Schwein schlachten wir selbst.
Mine ist für gar nichts, ich weiß nicht, was die für eine Hausfrau geben soll; sie schreibt die schönsten Briefe in einer Stube so voll Grust, daß ein Reiter samt dem Pferd darin verloren gehen könnte; ich muß allein für alles sorgen.
Nun behüte Dich Gott; Wilhelm grüßt Dich recht schön als seinen neuen Schwager; schicke Deine Waschkiste nimmer vor der Hochzeit, ich halte die große Wäsche nachher.
Wir grüßen Dich alle.
Deine treue Schwester Friederike.
N. S.
Die verwitwete Frau Pfarrer Müllerin kann dem Vater die Haushaltung führen, wenn ich nimmer daheim bin.
[43]