Ein glückliches Pfarrhaus

»'s Letzt ist's Best!« lautet ein schwäbisches Sprichwort, das nicht allenthalben anwendbar ist. Auf Wilhelms Reise aber paßte es gut: das Pfarrhaus in Bergzimmern, mit dem er seine Familienreise schloß, mußte ihm den freundlichsten Eindruck zurücklassen, wie Kindern, denen man den klugen Rat gibt: »Iß zuerst dein Brot und nachher den Kuchen, so meinst du, du habest lauter Kuchen gegessen.« Ein schönes Pfarrhaus war es eben nicht, und die Einrichtung war mehr als einfach, aber Blumen und Sonnenschein genug, und das geschäftige, glückselige Pfarrfrauchen, die immer noch so oft errötete wie vor sechzehn Jahren, war Blume und Sonnenschein zugleich, wenn auch längst keine Frühlingsblume mehr.

Es war eine alte und doch wieder eine nagelneue Liebe, die Eduard vor drei Jahren, als er endlich zu Amt und Brot gekommen war, zu der stillen Emma geführt. In Emmas Herzen war sein Bild seit jenem Morgen unverdrängt geblieben; aber es war eine so gar stille Liebe, die sie nicht sich selbst und nicht einmal Gott bekannte. Von Eduard können wir nun nicht dasselbe rühmen; bei jener Wasserfahrt war die schüchterne kindische Emma nur ein Gegenstand seiner Protektion, und er hatte sie höchstens einmal mit dem Gedanken beehrt, das könne später ein nettes Mädchen geben. Gar manche liebliche Gestalt, manch blonde und braune Schönheit war indes seinem beweglichen Herzen gefährlich geworden, und doch kehrte allmählich immer wieder ihr sanftes Bild in seiner stillen Jungfräulichkeit, eine verschlossene Knospe, in seinen Träumen wieder, und als am Ende all die glänzenden Erscheinungen vorübergezogen waren, da fand er, daß dies jungfräuliche Bild geblieben. Als aber Emmas Mutter nach ihres Gatten Tode seines Vaters Haushalt übernahm, kam diese zu entfernten Verwandten, und Eduard dachte ihrer selten mehr.

Als er aber nun endlich und endlich, dem Schwabenalter nahe, zum Ziele gekommen war und die Pfarre in Bergzimmern dringend einer Frau Pfarrerin bedurfte, da fiel ihm [72] unter allen Töchtern des Landes eben doch wieder die schüchterne Emma ein, die nun in der alten Heimat mit ihrer Mutter lebte, vom Leben vergessen, wie sie dachte, in anspruchsloser Heiterkeit. Und er fand sie wieder, nicht mehr in erster Jugend, aber in unverwelkter Lieblichkeit, fast unberührt von der Zeit; die verschlossene Knospe öffnete sich ihm, und er fand, daß sie sein Bild gehegt hatte, fast ohne es zu wissen, daß sie aber in der langen Zeit der Einsamkeit nicht ein krankhaftes Schmachten und Sehnen genährt hatte, sondern sich geschmückt wie die Blume des Tales, auf die nur der blaue Himmel niederschaut, in keuscher Lieblichkeit mit sanftem und stillem Geiste.

Emma war's wie ein Traum, als Eduard, der stattliche junge Pfarrherr, um sie warb, und ihre erste Antwort war der schüchterne Einwurf: »Ich bin eben zu alt.« Daß sie jung geblieben sei in ihrer mädchenhaften Anmut, in der frischen Gesundheit eines reinen Herzens, das wollte sie nicht glauben; aber sie fühlte es allmählich an dem Gefühl jungen Glückes, das ihre Seele überströmte.

Noch jetzt hätte die Pfarrfrau von Bergzimmern, die doch schon die Dreißig überschritten hatte, sich für ein Mädchen geben können, wenn man sie jemals ohne eins ihrer zwei Kinder gesehen hätte, den kleinen Martin an der Schürze, das niedliche Julchen auf den Armen. Das waren ein Paar wunderbare Kinder! Der Martin, obgleich erst zwei Jahre alt, sagte schon so erstaunliche Dinge; er nannte den Mond einen lieben Gottskopf oder nahm des Papas Pfeife in den Mund und sagte: »ich Papa«, daß seine Mutter immer den Vater und verstohlen den Gast ansehen mußte, ob sie es auch gehört. Seine Reden und Taten gaben noch lange Gesprächsstoff, nachdem er zu Bette gebracht war. Und das Julchen! Gewiß und wahrhaftig, sie hatte schon mit vierzehn Tagen gelächelt, die Wartefrau konnte es bezeugen, und die Art, wie sie jetzt schon mit ihren Händchen krabselte und wie sie nach Farben sah und wie sie der Mutter Stimme kannte, die war weit über ihr Alter und berechtigte zu den schönsten Hoffnungen, den kühnsten Erwartungen.

[73] Viel zu tun hatte Frau Emma, erstaunlich viel, sie entschuldigte sich immer damit und meinte, sie verstehe wohl noch nicht, es einzurichten; aber hell und freundlich und ordentlich wie ihre Zimmer war ihre ganze Erscheinung, und sie war so glückselig und dankbar für ihr ganzes Dasein, daß niemand je den Eindruck bekam, daß ihr etwas sauer geschehe. Ein recht gesprächiges Pfarrfrauchen war aus dem stillen Mädchen geworden, und niemand hätte geglaubt, daß sie bei ihrer Schüchternheit ein so gutes, sicheres Hausregiment führen könnte.

Wilhelm sonnte und labte sich recht an diesem fröhlichen Hausstand; er ergötzte sich an der immer neuen Überraschung Eduards über die Vorzüge seiner Frau, an dem bescheidenen [74] Selbstgefühl, mit dem er diese Vorzüge als sein besonderes Verdienst wegen seiner guten Wahl in Anspruch nahm; er bewunderte gehörig die seltenen Talente der Kleinen und empfahl sich durch einen Hampelmann, eine Trompete und eine Kinderklapper, die fast den Rest seiner Reisekasse erschöpften, vollständig in die Gunst der Mutter und der Kinder und schritt dann getrost und fröhlich seiner Heimat zu.

»Und ich will glücklich sein, mein Haus soll mir freundlich werden, und meine Kinder sollen sich ihrer Heimat freuen lernen,« war der Endbeschluß, den er nach Hause zurücktrug; »keine Liebe, keine Geduld und Treue soll mir zu viel sein, die Blumen zu pflegen, die unter Küchengewächs zu ersticken drohen.«

Und seine Arbeit war nicht vergeblich. Was der Vater allein nicht vermochte, das gelang allmählich dem jungen, frischen Lebenshauch, der mit den Kindern das allzunüchterne Haus durchströmte und der mit fröhlichen Klängen das knarrende Räderwerk eines allzu geordneten Haushalts übertönte.

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