Christoph Martin Wieland
Peregrinus Proteus

Erster Band

Vorrede
[5] Vorrede zur ersten Ausgabe von 1791.

Ich habe mich schon, bei einer andern Gelegenheit 1, etwas von einer kleinen Naturgabe verlauten lassen, die ich (ohne Ruhm zu melden) mit dem berühmten Geisterseher Swedenborg gemein habe, und vermöge deren mein Geist zu gewissen Zeiten sich in die Gesellschaft verstorbener Menschen versetzen, und, nach Belieben, ihre Unterredungen mit einander ungesehen behorchen, oder auch wohl, wenn sie dazu geneigt sind, sich selbst in Gespräche mit ihnen einlassen kann.

Ich gestehe, daß mir diese Gabe zuweilen eine sehr angenehme Unterhaltung verschafft: und da ich sie weder zu Stiftung einer neuen Religion, noch zu Beschleunigung des tausendjährigen Reichs 2, noch zu irgend einem andern, dem geistlichen oder weltlichen Arme verdächtigen Gebrauch, sondern bloß zur Gemüthsergötzung meiner Freunde, und höchstens zu dem unschuldigen Zweck, Menschenkunde und Menschenliebe zu befördern 3, anwende; so hoffe ich, für[5] diesen kleinen Vorzug (wenn es einer ist) Verzeihung zu erhalten, und mit dem Titel eines Geistersehers, der in unsern Tagen viel von seiner ehemaligen Würde verloren hat, gütigst verschont zu werden.

Es ist noch nicht lange, daß ich das Vergnügen hatte, eine solche Unterredung zwischen zwei Geistern von nicht gemeinem Schlage aufzuhaschen, die meine Aufmerksamkeit um so mehr erregte, da diese Geister in ihrem ehemaligen Leben nicht zum besten mit einander standen, und der eine von ihnen mein sehr guter Freund ist.

Der letztere (um die Leser nicht unnöthig rathen zu lassen) war ein gewisser Lucian 4 – keiner von den zwei oder drei Heiligen Lucianen, die mit einem goldnen Cirkel um den Kopf in den Martyrologien figuriren; auch nicht Lucian der Mönch, noch Lucian der Pfarrer zu Kafar-Gamala, der im Jahre des Heils 415 so glücklich war, von St. Gamaliel im Traume benachrichtiget zu werden, wo die Gebeine des heiligen Stephanus zu finden seyen; noch Lucian der Marcionit, noch Lucian von Samosata, der Arianer, von dem eine eigene Nebenlinie dieser unglücklichen Familie den Namen der Lucianischen führt – sondern Lucian der Dialogenmacher, der sich ehemals mit seinen Freunden Momus und Menippus über die Thorheiten der Götter und der Menschen lustig machte, übrigens aber (diesen einzigen Fehler ausgenommen) eine [6] so ehrliche und genialische Seele war und noch diese Stunde ist, als jemals eine sich von einem Weibe gebären ließ.

Der andere war eine nicht weniger merkwürdige Person, wiewohl er in seinem Erdeleben in allem den ausgemachtesten Antipoden meines Freundes Lucian vorstellte, und eine so zweideutige Rolle spielte, daß er bei den einen mit dem Ruf eines Halbgottes aus der Welt ging, während die andern nicht einig werden konnten, ob der Narr oder der Bösewicht, der Betrüger oder der Schwärmer in seinem Charakter die Oberhand gehabt habe. Alles in dem Leben dieses Mannes war excentrisch und außerordentlich: sein Tod war es noch mehr; denn er starb freiwillig und feierlich auf einem Scheiterhaufen, den er vor den Augen einer großen Menge von Zuschauern aus allen Enden der Welt, in der Gegend von Olympia, mit eigner Hand angezündet hatte.

Lucian, der ein Augenzeuge dieses beinahe unglaublichen Schauspiels gewesen war, wurde auch der Geschichtschreiber desselben, und glaubte, als ein erklärter Gegner aller Arten von philosophischen oder religiösen Gauklern, einen besondern Beruf zu haben, die schädlichen Eindrücke auszulöschen, welche Peregrin (so hieß dieser Wundermann, wiewohl er sich damals lieber Proteus nennen ließ) durch einen so außerordentlichen Heldentod auf die Gemüther [7] seiner Zeitgenossen gemacht hätte: und wie hätte er diesen Zweck besser erreichen können, als indem er sie zu überzeugen suchte, daß der Mann, den sie, nach einer so übermenschlichen That für den größten aller Weisen, für ein Muster der höchsten menschlichen Voll kommenheit, ja beinahe für einen Gott zu halten sich genöthigt glaubten, weder mehr noch weniger als der größte aller Narren, sein ganzes Leben das Leben eines von Sinnlichkeit und ausschweifender Einbildungskraft beherrschten halb wahnsinnigen Scharlatans, und sein Tod nichts mehr als der schicklichste Beschluß und die Krone eines solchen Lebens gewesen sey.

Ich habe an einem andern Orte die Gründe ausgeführt 5, welche mich überredeten, zu glauben daß Lucian nicht nur in allem, was er als Augenzeuge von diesem Peregrin berichtet, sondern auch in Erzählung derjenigen Umstände, die er von bloßem Hörensagen hatte, ehrlich zu Werke gegangen, und von dem Gedanken, seine Leser zu belügen und dem armen Phantasten wissentlich Unrecht zu thun, weit entfernt gewesen sey. Aber wie zuverlässig auch Lucians Aufrichtigkeit in dieser Sache immer seyn mag, so bleibt nicht nur die Glaubwürdigkeit der Gerüchte und Anekdoten, die auf Peregrins Unkosten in Syrien und anderer Orten herumgingen und jenem erzählt worden waren, zweifelhaft, sondern auch die Fragen: »ob Lucian in seinem [8] Urtheile von ihm so unparteiisch, als man es von einem ächten Kosmopoliten fordern kann, verfahre? und: ob Peregrin wirklich ein so verächtlicher Gaukler und Betrüger und doch (was sich mit diesem Charakter nicht recht vertragen will) zu gleicher Zeit ein so heißer Schwärmer und ausgemachter Phantast gewesen sey, als er ihn ausschreit?« – diese Fragen, sage ich, bleiben für Leser, welche einem Angeklagten, der sich selbst nicht mehr vertheidigen kann, eine desto schärfere Gerechtigkeit im Urtheilen über ihn schuldig zu seyn glauben, unauflösliche Probleme.

Man kann sich also vorstellen wie groß mein Vergnügen war, als ich durch einen glücklichen Zufall Gelegenheit bekam, die erste Unterredung, die zwischen Lucian und Peregrin im Lande der Seelen vorfiel, zu belauschen, und aus dem eignen Munde des letztern Aufschlüsse und Berichtigungen zu erhalten, wodurch das Mangelhafte in den Lucianischen Nachrichten ergänzt, das Dunkle und Unerklärbare ins Licht gesetzt, und das ganze moralische Räthsel des Lebens und Todes dieses sonderbaren Mannes, auf eine ziemlich befriedigende Art aufgelöset wird.

Wenn man sich erinnert, daß seit dem Tode beider redenden Personen beinahe sechzehnhundert Jahre verstrichen sind, so wird man vielleicht unglaublich finden, daß sie in einem so langen Zeitraum nicht eher Gelegenheit gehabt haben sollten, sich anzutreffen und gegen einander zu erklären. [9] Allein fürs erste sind sechzehn Jahrhunderte, nach dem Maßstabe woran die Geister die Zeit zu messen pflegen, kaum so viel als nach unserm Zeitmaße eben so viel Jahrzehnte: und dann traten bei Lucian und Peregrinen noch besondere Umstände ein, von denen (wiewohl sie zu den Geheimnissen des Geisterreichs gehören) uns vielleicht künftig etwas zu verrathen erlaubt seyn wird, die aber hier nicht an ihrem rechten Orte stehen würden.

Nach diesem kleinen Vorberichte würde mich nun nichts weiter hindern, die Unterredung zwischen den besagten beiden Geistern sogleich mitzutheilen, wenn ich voraussetzen könnte, daß der Inhalt der oben angezogenen Lucianischen Schrift (ohne welche diese ganze Unterredung unverständlich und ihre Mittheilung zwecklos seyn würde) entweder aus dem Original oder aus irgend einer Uebersetzung allen Lesern bekannt und gegenwärtig wäre. Da es aber billig ist, auf diejenigen, die sich nicht in diesem Falle befinden, Rücksicht zu nehmen: so hoffe ich diesen letztern durch folgenden Auszug aus Lucians Bericht von Peregrins Lebensende einen kleinen Dienst zu erweisen.

Inhalt
[10] Inhalt des sechzehnten Bandes.
Einleitung.

Veranlassung dieser Unterredungen zwischen Peregrin und Lucian. Etwas über das Recht oder Unrecht, Schwärmerei und Thorheit durch Spott heilen zu wollen. Peregrin nimmt davon Gelegenheit, sich gegen die harten Urtheile, welche Lucian in seiner Schrift von Peregrins Tode über ihn gefällt, und besonders gegen die Beschuldigungen eines darin redend eingeführten Ungenannten so zu vertheidigen, daß Lucians Wahrheitsliebe und Redlichkeit dabei ins Gedränge kommt. Da er indessen nicht zu läugnen begehrt, daß der Schein und zum Theil die auf bloßen Gerüchten und Verleumdungen beruhende öffentliche Meinung gegen ihn war, so wünscht er seinen neuen Freund durch eine reine offenherzige Beichte seines ganzen ehemaligen Lebens in den Stand zu setzen, ein richtigeres Urtheil von ihm zu fällen, hauptsächlich aber die zweideutigen und räthselhaften Stellen seiner Geschichte in ihr wahres Licht zu setzen. Lucian zeigt sich geneigt ihn anzuhören, und so beginnt Peregrin, im

[11]
I. Abschnitt.

seine Erzählung mit einer kurzen Nachricht von seiner Vaterstadt und Familie, um sogleich zur Schilderung der Lebensweise und des Charakters seines Großvaters Proteus, von welchem er erzogen wurde, überzugehen, und zu zeigen, wie theils durch diese Erziehung, theils durch zufällige Umstände schon in seinen frühesten Jahren der Grund zu seinem ganzen Charakter und zu den seltsamen Verirrungen seiner frühzeitig erhitzten und exaltierten Einbildungskraft gelegt worden. Wie er schon im ersten Jünglingsalter dazu gekommen, etwas Dämonisches in sich zu erkennen, und welchen Einfluß diese Entdeckung auf seine Ideen von seiner Bestimmung und dem, was für ihn das höchste Gut sey, gehabt habe. – Tod seines Großvaters, dessen Erbe er wird. Wahre Erzählung seines ersten Liebesabenteuers mit der schönen Kallippe, wodurch die schiefe und in wesentlichen Umständen verfälschte Art, wie der Ungenannte zu Elis davon spricht, berichtiget wird. Peregrin geht von Parium nach Athen. Ursachen der sonderbaren Lebensart, die er daselbst führt. Zweites unglückliches Abenteuer, welches ihm mit einem schönen Knaben zu Athen begegnet, und ihn schleunig nach Smyrna abzureisen bestimmt.

II. Abschnitt.

Gemüthszustand, worin Peregrin Athen verläßt. Wie sich sein Ideal von Glückseligkeit (Eudämonie) in ihm entwickelt, und durch eine natürliche Folge ein heftiges Verlangen daraus entsteht, vermittelst einer vermeinten erhabenen Art von Magie in die Gemeinschaft höherer Wesen zu kommen, und von einer Stufe dieses geistigen Lebens zur andern endlich zum unmittelbaren Anschauen und Genuß der höchsten[12] Urschönheit zu gelangen. Er wird zu Smyrna mit einem gewissen Menippus, und durch diesen mit dem Charakter und der Geschichte des Apollonius von Tyana, bekannt; auch erhält er von ihm die erste Nachricht von einer in der Gegend von Halikarnaß sich aufhaltenden vermeintlichen Tochter des Apollonius, welche sich unter dem Namen Dioklea in den Ruf gesetzt habe, im Besitz der höchsten Geheimnisse der theurgischen Magie zu seyn. Peregrin beschließt diese wundervolle Person durch sich selbst kennen zu lernen, geht nach Halikarnassus ab, und wird von Dioklea, einem von Apollonius im Traum erhaltnen Befehle zufolge, als ein zu hohen Dingen bestimmter Günstling der Venus Urania, deren Priesterin sie ist, aufgenommen. Sein Aufenthalt in Diokleens Felsenwohnung. Wunderbarer Anfang und Fortgang seiner Liebe zu dieser Göttin. Erste Theophanie, die ihm in ihrem Tempel widerfährt, mit ihren Folgen.

III. Abschnitt.

Peregrin wird mit einer zweiten Theophanie beglückt, und gelangt zur unmittelbaren Vereinigung mit der vermeinten Göttin. Wie er in ihrer Wohnung aufgenommen und durch welche Mittel er eine kurze Zeit in der seltsamsten aller Selbsttäuschungen unterhalten wird. Die Göttin verwandelt sich endlich in die Römerin Mamilia Quintilla, und macht unvermerkt ihrer ehemaligen Priesterin Platz, die sich Peregrinen in einem ganz neuen Lichte zeigt, ihm den Schlüssel zu allen zeither mit ihm vorgenommenen Mystificationen mittheilt, und sich mit abwechselndem Erfolg alle mögliche Mühe gibt, ihn von seiner Schwärmerei zu heilen und mit seiner gegenwärtigen Lage auszusöhnen. Nach mehr als Einem Rückfall versinkt Peregrin in eine peinvolle Schwermuth. Er erhält neue seine Eitelkeit nicht wenig kränkende Aufschlüsse über den Charakter und die Lebensgeschichte der Dioklea: aber die [13] Entdeckung eines neuen Talents an der letztern wirft ihn in die vorige Bezauberung zurück; bis endlich der schmähliche Ausgang eines von Mamilien veranstalteten Bacchanals ihn plötzlich auf die Entschließung bringt, sich der Gewalt dieser ihm zu mächtigen Zaubrerinnen durch eine heimliche Flucht zu entziehen, die er auch glücklich bewerkstelligt.

IV. Abschnitt.

Psychologische Darstellung der Gemüthsverfassung, worin Peregrin nach Smyrna zurück kam. Schwermuth und Verfinsterung, worein ihn das Gefühl der Leerheit stürzt, welche das Verschwinden der Bezauberungen, deren Spiel er gewesen war, in seiner Seele zurück läßt. Er wird zufälliger Weise (wie er glaubt) durch die Erscheinung eines unerklärbaren aber sehr interessanten Unbekannten aus diesem Zustand aufgerüttelt und in neue Erwartungen gesetzt, wohnt, ohne zu wissen wie es zugeht, einer Versammlung von Christianern zu Pergamus bei, und ein neues mystisches Leben beginnt von dieser Stunde an in ihm. Der Unbekannte fährt fort mächtig auf sein Gemüth zu wirken, spannt seine Erwartungen in dem magischen Helldunkel, worein er ihn einhüllt, immer höher, befiehlt ihm aber nach Parium zurückzukehren, wohin sein Vater ihn gerufen hatte, und daselbst ruhig auf denjenigen zu warten, der ihm zum Führer auf den rechten Weg zugeschickt werden sollte.

V. Abschnitt.

Die Unbekannten, in deren Händen Peregrin ohne sein Wissen sich befindet, fahren fort, ihn durch klüglich berechnete Umwege, Schritt für Schritt, dahin zu leiten, wo sie ihn haben wollen. Durch eine Veranstaltung dieser Art, die er für bloßen Zufall hält, findet er die erste Nachtherberge auf seiner Reise bei einer einsam auf dem Lande [14] lebenden Familie von Christianern, deren Liebenswürdigkeit, Eintracht, Gemüthsruhe, Einfalt der Seele und Unschuld der Sitten einen so tiefen Eindruck auf ihn macht, daß der Wunsch mit solchen Menschen zu leben das Ziel aller seiner Bestrebungen ist, zumal da dieser Eindruck durch die Erzählung seines Wirthes von dem Tode des Apostels Johannes (zu dessen Gemeine er gehörte) und durch die Schilderung, die ihm sein Wegweiser von dem Charakter des erhabenen Wesens macht, nach welchem sie sich nannten, verstärkt wird. Peregrin kommt in das väterliche Haus zurück und übernimmt die Besorgung der Handelsgeschäfte seines Vaters. Bald darauf entdeckt sich ihm in der Person seines ehemaligen Wegweisers Hegesias, ein Kaufmann von Aegina, und einer der thätigsten Agenten des Unbekannten. Hegesias erwirbt sich durch seine Kenntnisse und Handelsverbindungen das Vertrauen des Vaters, welchem er seine Gemeinschaft mit den Christianern verbirgt, um desto ungestörter an dem Sohne das von dem Unbekannten und ihm selbst angefangene Bekehrungswerk betreiben zu können. Peregrin erhält den ersten Grad der Weihe von ihm. Charakter des Hegesias, mit einer Digression über den Unterschied zwischen den damaligen Christianischen Brüdergemeinen und den Christianern unter den Constantinen und Theodosiern. Der Unbekannte, welcher fortan Kerinthus heißen wird, offenbart sich nun dem hinlänglich geprüften Peregrin etwas näher, und ertheilt ihm den zweiten Grad der Weihe, hüllt sich aber gar bald wieder in das heilige Dunkel ein, worin er ihm bisher immer erschienen war. Peregrin entdeckt, daß er erst in den zweiten Vorhof des Heiligthums vorgeschritten sey, und diese Entdeckung verdoppelt seinen brennenden Eifer, sich der höhern Grade, die er noch zu ersteigen hat, durch die willigste Unterwerfung unter jede Prüfung, Vorbereitung und Aufopferung würdig zu machen. Er kehrt aus Gehorsam zu seinen Geschäften nach Parium zurück, und macht den Brüdern ein voreiliges Geschenk von seinem [15] ganzen Vermögen. Sonderbares aber schlaues Benehmen des Hegesias bei dieser Gelegenheit, welches zu einigen der Entwicklung der Geschichte zuvorkommenden Anmerkungen über die schon damals immer sichtbarer werdende Abweichung der Christianer von dem Geist und Vorbild ihres Meisters Anlaß gibt.

[16]
Erster Theil
Tode des Peregrinus
Auszug aus Lucians Nachrichten vom
Tode des Peregrinus.

Die öffentlichen Kampfspiele zu Olympia, womit die zweihundert sechsunddreißigste Olympiade 6 begann, waren der Zeitpunkt, und eine Ebene in der Gegend dieser Stadt der Schauplatz, welchen der Philosoph Peregrinus, auch Proteus genannt, dazu ausersehen hatte, den Griechen und Ausländern aus allen Theilen der Welt, so diese Spiele zu Olympia zu besuchen pflegten, die außerordentlichste und schauerlichste aller Tragödien, das Schauspiel eines sich freiwillig verbrennenden Cynikers, zu geben.

Auch Lucian, wiewohl er die Olympischen Spiele schon dreimal gesehen hatte, hielt es der Mühe werth, einem solchen Schauspiel zu Liebe diese Reise zum viertenmale zu machen; und als er nach Elis (der nicht weit von Olympia gelegenen Hauptstadt der Republik dieses Namens) gekommen war, hörte er, indem er bei dem dortigen Gymnasion vorbei ging, einen cynischen Philosophen, um den sich eine Menge [3] Volks versammelt hatte, mit der brüllenden Stimme die zum Costum dieser Capuziner der alten Griechen gehörte, dem Peregrinus eine Lobrede halten, und sein Vorhaben, sich zu Olympia zu verbrennen, in der, seinem Orden eigenen, popularen und deklamatorischen Manier rechtfertigen. – Von nun an mag Lucian in seiner eigenen Person sprechen.

»Und man darf sich noch erfrechen (rief der Cyniker) einen Mann wie Proteus einer eiteln Ruhmsucht zu beschuldigen? O ihr Götter des Himmels und der Erde, der Flüsse und des Meeres, und du Vater Hercules! Wie? diesen Proteus, der in Syrien in Banden lag, ihn, der seiner Vaterstadt fünftausend Talente 7 schenkte, ihn, den die Römer aus ihrer Stadt vertrieben, ihn, der unverkennbarer ist als die Sonne, und der es mit Jupiter Olympius selbst aufnehmen könnte, – ihn beschuldigt man der Eitelkeit, weil er durchs Feuer aus dem Leben gehen will? – That etwa Hercules 8 nicht eben dasselbe? Starb Aesculap und Dionysos nicht durch einen Wetterstrahl? und stürzte sich nicht Empedokles 9 in den Flammenschlund des Aetna?«

Als Theagenes (so nannte sich der Schreier) dieß gesagt hatte, fragte ich einen der Umstehenden, was er mit seinem Feuer meinte, und was Hercules und Empedokles mit dem Proteus zu schaffen hätten? – Du weißt also nicht, versetzte er mit, daß Proteus sich nächstens zu Olympia verbrennen wird? – Sich verbrennen? rief ich mit Verwunderung: wie ist das gemeint? und warum will er sich verbrennen? – Aber wie mir jener antworten wollte, schrie der Cyniker wieder so abscheulich, daß ich kein Wort von dem andern verstehen [4] konnte. Ich hörte also nochmals den erstaunlichen Hyperbolen zu, die jener zum Lobe des Proteus in einem Strom von Worten ausgoß. Dem Diogenes und seinem Meister Antisthenes geschähe schon zu viel Ehre, sagte er, wenn man sie nur mit ihm vergleichen wollte. Dazu wäre nicht einmal Sokrates gut genug: kurz, er forderte endlich Jupitern selbst zum Kampf mit seinem Helden heraus; doch fand er zuletzt für besser, die Sachen zwischen ihnen ins Gleichgewicht zu bringen, und schloß seine Rede folgendermaßen: »Mit Einem Worte, die zwei größten Wunder der Welt sind Jupiter Olympische Jupiter und Proteus; jenen bildete die Kunst des Phidias, diesen die Natur selbst; und nun wird dieses herrliche Götterbild auf einem Feuerwagen zu den Göttern zurückkehren, und uns als Waisen zurücklassen!« – Der Mann schwitzte wie ein Braten, indem er dieß tolle Zeug vorbrachte aber bei den letzten Worten brach er auf eine so komische Art in Thränen aus, daß ich mich des Lachens kaum erwehren konnte; er machte sogar Anstalt sich die Haare auszuraufen, nahm sich aber doch in Acht, nicht gar zu stark zu ziehen. Endlich machten einige Cyniker dem Possenspiel ein Ende, indem sie den schluchzenden Redner unter vielen Trostsprüchen davon führten.

Er war aber kaum von der Kanzel herab gestiegen, so stieg schon ein Anderer wieder hinauf, um die Zuhörer nicht aus einander gehen zu lassen, bevor er dem noch flammenden Opfer seines Vorgängers eine Libation aufgegossen 10 hätte. Sein erstes war, daß er eine laute Lache aufschlug, wodurch er, wie man wohl sah, seinem Zwerchfell eine nöthige Erleichterung verschaffte. Hierauf fing er ungefähr also an: Hat der[5] Marktschreier Theagenes seine verwünschte Rede mit den Thränen des Heraklitus beschlossen, so fange ich umgekehrt die meinige mit dem Gelächter des Demokritus 11 an – und nun brach er von neuem in ein so anhaltendes Lachen aus, daß die meisten von uns Anwesenden sich nicht erwehren konnten ihm Gesellschaft zu leisten. Endlich nahm er sich wieder zusammen, und fuhr fort: »Was könnten wir auch anders thun, meine Herren, wenn wir so höchst lächerliches Zeug in einem solchen Tone verbringe hören, und sehen, wie bejahrte Männer, um eines verächtlichen kleinen Rühmchens willen, auf öffentlichem Markte nur nicht gar Burzelbäume machen? Damit ihr doch das Götterbild, das nächster Tage verbrannt werden soll, etwas näher kennen lernet, so höret mir zu; mir, der schon seit langer Zeit seinen Charakter studiert und sein Leben beobachtet, außerdem aber noch verschiedenes von seinen Mitbürgern und von Personen, die ihn nothwendig sehr genau kennen mußten, erkundiget hat.

Dieses große Wunder der Welt wurde in Armenien, da er kaum die Jahre der Mannbarkeit erreicht hatte, im Ehebruch ertappt, und genöthigt, mit einem Rettig im Hintern, 12 sich durch einen Sprung vom Dache zu retten, um nicht gar zu Tode geprügelt zu werden. Gleichwohl ließ er sich bald darauf wieder gelüsten, einen schönen Knaben zu verführen; und bloß die Armuth der Eltern, die sich mit dreitausend Drachmen abfinden ließen, war die Ursache, daß er der Schande, vor den Statthalter von Asien geführt zu werden, entging. Doch, ich übergehe alle seine Jugendstreiche dieser Art; denn damals war das Götterbild freilich noch ungeformter [6] Thon, und von seiner Ausbildung und Vollendung noch weit entfernt. Aber was er seinem Vater gethan, ist allerdings nicht zu übergehen, wiewohl ihr vermuthlich alle schon gehört haben werdet, daß er den alten Mann, weil er ihm mit sechzig Jahren schon zu lange lebte, erdrosselt haben soll. Da die Sache bald darauf ruchtbar wurde, sah er sich gezwungen, sich selbst aus seiner Vaterstadt zu verbannen, und von einem Lande ins andere unstät und flüchtig herum zu irren.

Um diese Zeit geschah es, daß er sich in der wundervollen Weisheit der Christianer unterrichten ließ, da er in Palästina Gelegenheit fand mit ihren Priestern und Schriftgelehrten bekannt zu werden. Es schlug so gut bei ihm an, daß seine Lehrer in kurzer Zeit nur Kinder gegen ihn waren. Er wurde gar bald selbst Prophet, Thiasarch, Synagogenmeister 13, mit Einem Worte alles in allem unter ihnen. Er erklärte und commentierte ihre Bücher, und schrieb deren selbst eine große Menge; kurz, er brachte es so weit, daß sie ihn für einen göttlichen Mann ansahen, sich Gesetze von ihm geben ließen, und ihn zu ihrem Vorsteher machten. – Es kam endlich dazu, daß Proteus bei Begehung ihrer Mysterien 14 ergriffen und ins Gefängniß geworfen wurde; ein Umstand, der nicht wenig beitrug, ihm auf sein ganzes Leben einen sonderbaren Stolz einzuflößen, und diese Liebe zum Wunderbaren und dieses unruhige Bestreben nach dem Ruhm eines außerordentlichen Mannes in ihm anzufachen, die seine herrschenden Leidenschaften wurden. Denn sobald er in Banden lag, versuchten die Christianer (die dieß als eine ihnen allen zugestoßene [7] große Widerwärtigkeit betrachteten) das Mögliche und Unmögliche, um ihn dem Gefängniß zu entreißen; und da es ihnen damit nicht gelingen wollte, ließen sie es ihm wenigstens an der sorgfältigsten Pflege und Wartung in keinem Stücke fehlen. Gleich mit Anbruch des Tages sah man schon eine Anzahl alter Weiblein, Wittwen 15 und junge Waisen sich um das Gefängniß her lagern; ja die vornehmsten unter ihnen bestachen sogar die Gefangenhüter, und brachten ganze Nächte bei ihm zu. Auch wurden reichliche Mahlzeiten 16 bei ihm zusammen getragen, und ihre heiligen Bücher gelesen; kurz, der theure Peregrin (wie er sich damals noch nannte) hieß ihnen ein zweiter Sokrates. Sogar aus verschiedenen Städten in Asien kamen einige, die von den dortigen Christianern abgesandt waren, ihm hülfreiche Hand zu leisten, seine Fürsprecher vor Gericht zu seyn, und ihn zu trösten. Denn diese Leute sind in allen dergleichen Fällen, die ihre ganze Gemeinheit betreffen, von einer unbegreiflichen Geschwindigkeit, und sparen dabei weder Mühe noch Kosten. Daher wurde auch Peregrinen seiner Gefangenschaft halber eine Menge Geld von ihnen zugeschickt, und er verschaffte sich unter diesem Titel ganz hübsche Einkünfte.

Uebrigens wurde er (als es zu gerichtlicher Entscheidung seines Schicksals kam) von dem damaligen Statthalter in Syrien wieder in Freiheit gesetzt; einem Manne, der die Philosophie liebte, und sobald er merkte wie es in dem Kopfe dieses Menschen aussah, und daß er Narrs genug war aus Eitelkeit und Begierde zum Nachruhm sterben zu wollen, ihn lieber fortschickte, ohne ihn auch nur einer Züchtigung werth [8] zu halten. Peregrin kehrte also in seine Heimath zurück, fand aber bald, daß das Gerücht von seinem Vatermorde noch immer unter der Asche glühte, und daß viele damit umgingen, ihm einen förmlichen Proceß deßwegen an den Hals zu werfen. Die Hälfte seines väterlichen Vermögens war über seinen Reisen aufgegangen, und der Rest bestand ungefähr in funfzehn Talenten an Feldgütern. Denn die sämmtliche Verlassenschaft des Alten war höchstens dreißigtausend Thaler werth, und nicht, wie Theagenes lächerlicher Weise geprahlt hatte, fünf Millionen; welches eine Summe wäre, wofür das ganze Städtchen Parium 17 und fünf andere benachbarte obendrein verkauft werden können. Wie gesagt also, der Verdacht seines Verbrechens war noch warm, und es hatte alles Ansehen, daß in kurzem ein Ankläger gegen ihn auftreten würde. Besonders war das gemeine Volk über ihn aufgebracht, und beklagte, daß ein so wackerer Mann, wie der Alte nach dem Zeugniß aller seiner Bekannten gewesen war, auf eine so gottlose Art aus der Welt gekommen seyn sollte. Nun sehe man, durch welche schlaue Erfindung der weise Proteus sich aus diesem bösen Handel zu ziehen wußte! Er hatte sich inzwischen einen großen Bart wachsen lassen, und ging gewöhnlich in einem schmutzigen Caput von grobem Tuch, mit einem Tornister auf den Schultern und einem Stecken in der Hand. In diesem tragischen Aufzug erschien er nun in der öffentlichen Versammlung der Parianer, und erklärte ihnen, daß er hiermit die ganze Verlassenschaft seines seligen Vaters dem Publicum überlassen haben wolle. Diese Freigebigkeit that auf den gemeinen Mann eine so gute Wirkung, daß sie in laute [9] Bezeugungen ihres Dankes und ihrer Bewunderung ausbrachen. Das heißt man einen Philosophen, schrien sie, einen wahren Patrioten, einen ächten Nachfolger des Diogenes und Krates! Nun war seinen Feinden der Mund gestopft, und wer sich hätte unterfangen wollen des Vatermordes noch zu erwähnen, würde auf der Stelle gesteiniget worden seyn. Indessen blieb ihm nach dieser Schenkung nichts anders übrig, als sich abermals aufs Landstreichen zu begeben: denn da konnte er auf einen reichlichen Zehrpfennig von den Christianern rechnen, die überall seine Trabanten machten, und es ihm an nichts mangeln ließen. Auf diese Weise brachte er sich noch eine Zeit lang durch die Welt. Da er es aber in der Folge auch mit diesen verdarb – man hatte ihn, glaube ich, etwas, das bei ihnen verboten ist, essen sehen 18 – und sie ihn deßwegen nicht mehr unter sich duldeten, gerieth er in so große Verlegenheit, daß er sich berechtigt glaubte, die Güter von der Stadt Parium zurückzufordern, die er ihr ehemals überlassen hatte. Er suchte beim Kaiser um ein Mandat deßwegen an: weil aber die Stadt durch Abgeordnete Gegenvorstellungen that, richtete er nichts aus, sondern wurde befehligt, es bei dem zu lassen, was er einmal aus eigener freier Bewegung verfügt habe.

Nunmehr unternahm er eine dritte Reise zum Agathobulus 19 nach Aegypten, wo er sich durch eine ganz neue und verwundrungswürdige Art von Tugendübung hervorthat: er ließ sich nämlich den Kopf bis zur Hälfte glatt abscheren, beschmierte sich das Gesicht mit Leim, that (um zu zeigen, daß dergleichen Handlungen unter die gleichgültigen gehörten) vor einer Menge Volks – was schon Diogenes öffentlich gethan [10] haben soll, geißelte sich selbst, und ließ sich von andern mit einer Ruthe den Hintern zerpeitschen, mehrerer noch ärgerer Bubenstreiche zu geschweigen, wodurch er sich in den Ruf eines außerordentlichen Menschen 20 zu setzen suchte. Nach dieser schönen Vorbereitung schiffte er nach Italien über, wo er kaum den Boden betrat, als er schon über alle Welt zu schimpfen und zu lästern anfing, am meisten über den Kaiser, 21 gegen den er sich die ärgsten Freiheiten um so getroster herausnahm, weil er wußte, daß es der sanfteste und leutseligste Herr war. Wie man leicht denken kann, bekümmerte sich dieser wenig um seine Lästerungen, und hielt es unter seiner Würde, einen Menschen, der von Philosophie Profession machte, Worte halber zu strafen, zumal da er das Lästern und Schmähen ordentlich als sein Handwerk trieb. Indessen half auch dieser Umstand seinen Ruf vermehren: denn es fehlte unter dem gemeinen Volke nicht an Einfältigen, bei denen er sich durch seine Tollheit in Credit setzte; so daß der Oberpolizeimeister ihn endlich, da er's gar zu arg machte, aus der Stadt hinaus bieten mußte, weil man, wie er sagte, solche Philosophen zu Rom nicht brauchen könnte. Aber auch dieß vermehrte nur seine Celebrität, weil jedermann von dem Philosophen sprach, der seiner kühnen Zunge und allzu großen Freimüthigkeit wegen aus der Stadt verwiesen worden sey, und diese Aehnlichkeit ihn mit einem Musonius, einem Dion, einem Epiktet, 22und wer sonst von dieser Classe das nämliche Schicksal erfahren hatte, in Eine Linie stellte.

In Griechenland, wohin er sich jetzt begab, spielte er keine bessere Rolle; denn bald ließ er seine Schmähsucht an den [11] Einwohnern von Elis aus, bald wollte er die Griechen bereden die Waffen gegen die Römer zu ergreifen, bald lästerte er über einen durch seine Gelehrsamkeit und Würden gleich erhabenen Mann, 23 der unter mehrern andern Verdiensten um Griechenland eine Wasserleitung nach Olympia auf seine Kosten geführt hatte, damit die Zuschauer der Kampfspiele nicht länger vor Durst verschmachten müßten. Diese Wohlthat machte ihm Peregrin zum Vorwurf, als ob er die Griechen dadurch weibisch gemacht hätte. Es gebühre sich, sagte er, daß die Zuschauer der Olympischen Spiele den Durst ertragen könnten, und der Schade sey so groß nicht, wenn auch manche an den hitzigen Krankheiten, die bisher wegen der Dürre dieser Gegend daselbst im Schwange gingen, drauf gehen müßten. Und das alles sagte er, während er sich das nämliche Wasser wohl belieben ließ; eine Unverschämtheit, wodurch die Anwesenden so erbittert wurden, daß alles zusammenlief und im Begriff war, ihn mit Steinen zuzudecken, so daß der tapfere Mann, um mit dem Leben davon zu kommen, zu Jupitern 24 seine Zuflucht nehmen mußte.«

In der nächst folgenden Olympiade erschien er wieder vor den Griechen, und zwar mit einer Rede, woran er in den verflossenen vier Jahren gearbeitet hatte, und worin er, unter Entschuldigung seiner letztmaligen Flucht, den Stifter des Wassers zu Olympia bis an den Himmel erhob. Wie er aber gewahr wurde, daß sich niemand mehr um ihn bekümmerte, und daß er kommen und gehen konnte ohne das mindeste Aufsehen zu erregen – denn seine Künste waren nun was Altes, und etwas Neues, wodurch er in Erstaunen setzen und die Aufmerksamkeit [12] und Bewunderung des Publicums hätte auf sich ziehen können, wußte er nicht aufzutreiben, da dieß doch vom Anfang an das Ziel seiner leidenschaftlichsten Begierde gewesen war – so gerieth er endlich auf diesen letzten tollen Einfall mit dem Scheiterhaufen, und kündigte den Griechen bereits an den letzten Olympischen Spielen an, daß er sich an den nächst folgenden verbrennen würde.

»Und dieß ist nun also das wundervolle Abenteuer, mit dessen Ausführung er, wie es heißt, beschäftigt ist, indem er bereits eine Grube graben, und eine Menge Holz zusammen führen läßt, um uns das Schauspiel einer übermenschlichen Stärke der Seele zu geben.« u.s.w.

Wie wir (fährt Lucian in eigner Person fort) in Olympia angekommen waren, fanden wir die Galerie hinter dem Tempel mit einer Menge Leuten angefüllt, die theils übel, theils rühmlich von dem Vorhaben des Proteus sprachen. Endlich erschien in Begleitung einer Menge Volks mein Proteus selbst, und hielt eine Rede an das Volk, worin er sich über seinen ganzen Lebenslauf, über die mancherlei gefahrvollen Abenteuer, die ihm zugestoßen, und das viele Ungemach, das er der Philosophie zu Lieb' ausgestanden, umständlich vernehmen ließ. Er sprach lange; aber da ich der Menge und des Gedränges wegen zu weit entfernt war, konnte ich wenig davon verstehen, und fand endlich aus Furcht erdrückt zu werden (welches mehr als Einem begegnete), für das sicherste, mich auf die Seite zu machen, und den Sophisten seinem Schicksale zu überlassen, der nun einmal mit aller Gewalt sterben, und das Vergnügen haben wollte sich seine Leichenrede selbst zu halten. Indessen [13] hörte ich doch wie er sagte: er habe vor, einem goldnen Leben eine goldne Krone aufzusetzen; denn es gebühre sich, daß der Mann, der wie Hercules gelebt habe, auch wie Hercules sterbe, und in den Aether, woher er gekommen, zurückfließe. »Auch gedenke ich, sagte er, ein Wohlthäter der Menschen dadurch zu seyn, daß ich ihnen zeige, wie man den Tod verachten müsse; und ich darf also billig erwarten, daß alle Menschen meine Philokteten seyn werden 25

Diese letzten Worte verursachten eine große Bewegung unter den Umstehenden. Die Einfältigsten brachen in Thränen aus und riefen: erhalte dich für die Griechen! Andere, die mehr Stärke hatten, schrien: vollführe was du beschlossen hast! Dieser Zuruf schien den alten Kerl ziemlich aus der Fassung zu bringen; denn er mochte gehofft haben, daß ihn alle Anwesende zurückhalten und nöthigen würden, wider Willen bei Leben zu bleiben. Aber dieß leidige: »Vollführe was du beschlossen hast!« fiel ihm so ganz unerwartet auf die Brust, daß er noch blässer wurde als vorher, wiewohl er schon eine wahre Leichenfarbe gehabt hatte, und es wandelte ihn ein solches Zittern an, daß er zu reden aufhören mußte.

Du kannst dir vorstellen, wie lächerlich mir das ganze Gaukelspiel vorkam. Denn ein so unglücklicher Liebhaber des Ruhms, wie dieser, verdiente kein Mitleiden, da wohl schwerlich unter allen, die jemals von dieser Plagegöttin gehetzt wurden, Einer war, der weniger Ansprüche an ihre Gunst zu machen gehabt hätte. Indessen wurde er doch von vielen zurückbegleitet; und sein Dünkel fand eine stattliche Weide, wenn er über die Menge seiner Bewunderer hinsah, ohne daß der Thor bedachte, [14] daß auch die Elenden, die zum Galgen geführt werden, ein sehr zahlreiches Gefolge zu haben pflegen.

Die Olympischen Spiele waren nun vorüber, und weil eine so große Menge von Fremden auf einmal abging, daß kein Fuhrwerk mehr zu bekommen war, mußte ich wider Willen zurückbleiben. Peregrin, der die Sache immer von einem Tage zum andern aufgeschoben hatte, kündigte endlich die Nacht an, worin er uns seine Verbrennung zum Besten geben wollte. Ich verfügte mich also gegen Mitternacht in Begleitung eines meiner Freunde gerades Weges nach Harpine 26, wo der Scheiterhaufen stand. Wenn man von Olympia neben der großen Rennbahn ostwärts geht, hat man gerade zwanzig Stadien dahin zu gehen. Wie wir ankamen, fanden wir den Holzstoß in einer ellentiefen Grube aufgesetzt. Er bestand größtentheils aus Kienholz mit dürrem Reisig vermischt, damit das Ganze desto schneller in Flammen geriethe.

Sobald der Mond aufgegangen war (denn billig mußte auch Luna eine Zuschauerin dieser herrlichen That abgeben), erschien Peregrin in seinem gewöhnlichen Aufzug, und mit ihm die Häupter der Hunde, 27 vornehmlich der edle Theagenes, der eine brennende Fackel in der Hand trug, und die zweite Rolle bei dieser Komödie nicht übel spielte. Auch Proteus selbst war mit einer Fackel bewaffnet. Beide näherten sich von dieser und jener Seite dem Scheiterhaufen und zündeten ihn an. Proteus legte den Tornister, den cynischen Mantel und den berühmten Herculischen Knittel ab, und stand nun in einer ziemlich schmutzigen Tunica da. Hierauf ließ er sich eine Hand voll Weihrauch geben, warf sie ins Feuer, und rief, das[15] Gesicht gegen Mittag gerichtet (denn auch dieß gehörte zur Etikette des Schauspiels) – »O ihr mütterlichen und väterlichen Dämonen, nehmt mich freundlich auf!« – Mit diesen Worten sprang er ins Feuer, und wurde sogleich durch die rings umgebenden und aufsteigenden Flammen dem Aug' entzogen.

Peregrins geheime Geschichte
Einleitung
Einleitung.

Peregrin, Lucian.


Peregrin.


Täuschen mich meine Augen, oder ist es wirklich mein alter Gönner Lucian von Samosata, den ich nach so langer Zeit wieder sehe?


Lucian (ihn aufmerksam betrachtend).


Wir sind also bessere Bekannte als ich weiß. Und doch ist mir selbst als ob mir deine Züge nicht fremd wären; sie mahnen mich an jemand den ich einst gesehen habe, wiewohl ich mich nicht besinne an wen.


Peregrin.


Es sind freilich über sechzehnhundert Jahre, seitdem wir uns auf der Ebene zwischen Harpine und Olympia zum letztenmale sahen.


Lucian.


Wie? Was für Erinnerungen weckst du plötzlich in mir auf? Solltest du wohl gar der Philosoph Peregrinus Proteus [19] seyn, der den seltsamen Einfall hatte, sich freiwillig zu Olympia zu verbrennen?


Peregrin.


Eben der, dem du in deinen Werken ein nicht sehr beneidenswürdiges Denkmal gesetzt hast.

Lucian.


Närrisch genug, daß ich in meinem Kopfe hatte, du müßtest nothwendig über und über mit Brandblasen überdeckt und so schwarz wie ein Köhler seyn! Du hättest noch zehnmal vor mir vorbei gehen können, ohne daß ich dich in der glänzenden Figur, die du jetzt machst, erkannt hätte.


Peregrin.


Du dachtest wohl damals nicht, daß wir uns nach sechzehnhundert Jahren in Elysium wieder sehen würden?


Lucian.


Aufrichtig zu reden, nein. Schwärmen war nie meine Sache, wie du weißt.

Peregrin.


Und doch lehrt dich nun die Erfahrung, daß es nicht geschwärmt gewesen wäre, wenn du damals über diese Dinge gedacht hättest wie du jetzt denkst.


Lucian.


Um Vergebung! Wie oft sieht man sogar im gemeinen menschlichen Leben Dinge geschehen, welche nicht vorausgesehen zu haben dem klügsten Manne nicht zum Vorwurf gereichen kann! Die Natur hatte mich mit einem kalten Kopfe ausgesteuert; ich hätte das hitzige Fieber in einem hohen Grade haben müssen, um mir damals, als ich dich zu Harpine in [20] die Flammen springen sah, einzubilden, daß ich dich an einem andern Orte wie dieser und so wohlbehalten wiederfinden würde.


Peregrin.


Indessen beweisen deine Werke, daß es dir nicht an Einbildungskraft fehlte; oder vielmehr, daß nur wenige sich rühmen können, dich an Fruchtbarkeit und Stärke dieser Seelenkraft übertroffen zu haben.


Lucian.


Aber sie beweisen auch, dächte ich, daß ich die Imagination nie anders als zum Spielen gebrauchte. Im Scherz machte ich wohl mit ihrer Hülfe Reisen in den Mond und nach der Jupitersburg 28: aber daß ich im Ernst hätte glauben sollen, mit ihr über die Gränzen hinausfliegen zu können, die unsern fünf Sinnen, und folglich auch unsrer Vernunft, in jenem Leben von der Natur gesetzt waren, so etwas konnte eben so wenig in einen Kopf wie der meinige kommen, als der Gedanke, mir im Ernste einen Adlers- und einen Geyersflügel an die Arme zu binden und damit nach dem Monde zu fliegen.


Peregrin.


Dieß geb' ich dir willig zu; denn alles was daraus folgt, ist, daß es zu deiner eignen Art zu seyn gehörte, deine Einbildungskraft nur zum Scherz, zum Erfinden und Ausmalen abenteuerlicher Bilder, und zur Belustigung deiner Zuhörer oder Leser zu gebrauchen. Aber ich denke nicht, daß dir dieß ein Recht gab diejenigen zu verspotten, die einen ernsthaftern Gebrauch von der ihrigen machten, und, indem sie sich die [21] Bestimmung und das künftige Loos des Menschen ungefähr so einbildeten wie wir es wirklich befunden haben, durch die That bewiesen, daß eine gewisse Divinationskraft in unsrer Seele schlummert, die vielleicht (wie so viele andere Fähigkeiten) in den meisten Menschen nie erweckt wird, aber denen, in welchen sie erwacht und zu einem gewissen Grade von Lebhaftigkeit gelangt, ein Vorgefühl des Unsichtbaren und Zukünftigen gibt, das in einer feurigen und thätigen Seele natürlicherweise nicht ohne Wirkung bleiben kann.


Lucian.


Freund Peregrin, wenn es erlaubt ist über einen Thersites 29 zu spotten, der schöner als Phaon und Adonis zu seyn wähnt, oder einen Zwerg lächerlich zu finden, der sich unter einer sechs Schuh hohen Thür bückt, aus Furcht im Durchgehen die Stirne anzustoßen: so sehe ich nicht, warum es so unrecht seyn sollte, über einen Ehrenmann zu lachen, der, zum Beispiel, sich einbildete, vermittelst ich weiß nicht welches eigenen Sinnes das Gras wachsen zu hören, und den Umstand, daß das Gras wirklich gewachsen ist, als eine Bestätigung dieser ihm beiwohnenden Gabe geltend machen wollte.


Peregrin.


Und ich sehe eben so wenig, wie man ihm beweisen könnte, daß er diesen Sinn nicht habe, als warum man ihm seinen Wahn, wenn es auch Wahn wäre, nicht unverspottet lassen sollte, zumal wenn er sonst ein unschuldiger und guter Mensch ist.


[22] Lucian.


Es gibt wohl unter der ganzen unermeßlichen Last von Thorheiten, woran der Verstand der armen Erdenkinder krank ist, wenige, die nicht an sich selbst so unbedeutend und unschuldig sind oder scheinen, daß sie nicht mit gleichem Rechte sollten fordern können, unverspottet ihren Weg gehen zu dürfen: und doch sind eben diese kleinen unschuldigen Thorheiten zusammengenommen die Quellen der größten Uebel, von denen das Menschengeschlecht geplagt wird. Keine Thorheit, wie unschuldig sie auch scheinen mag, kann also einen Freibrief gegen den Spott verlangen, der beinahe das einzige wirksame Verwahrungsmittel gegen ihren schädlichen Einfluß ist.


Peregrin.


Gut! aber gestehe mir auch, daß gerade dieser große Hang der Menschen zur Thorheit, und diese fast allgemeine Bethörung, womit selbst diejenigen, die sich die klügsten dünken, unwissend angesteckt sind, es ihnen oft schwer macht, sich in ihren raschen Urtheilen über das, was thöricht oder nicht thöricht ist, vor Irrthum zu bewahren. Immer wird viel Behutsamkeit vonnöthen seyn, damit wir den Menschen, indem wir ihnen Gutes zu thun glauben, nicht Schaden zufügen, wenn unsre Arznei noch viel schlimmere Wirkungen thut, als das Uebel ist, dem wir abhelfen wollen. Welcher weise und gute Mann wird sich gern der beschämenden Reue aussetzen, eine Meinung, die den Menschen veredelt, die ihn über sich selbst erhebt und zu allem was schön und groß ist begeistert, als einen thörichten Wahn dem Spotte der Narren und Gecken Preis gegeben zu haben?


[23] Lucian.


Nicht alles was gleißt ist Gold, mein edler Freund, und manche Meinung, die kein guter Mensch ihrer selbst wegen anfechten würde, wird durch den thörichten Gebrauch, welchen alberne oder brennende Köpfe von ihr machen, belachenswürdig. Ueberhaupt, lieber Peregrin, hat mich ein ruhiger Blick auf die menschlichen Dinge in jenem Leben etwas mißtrauisch gegen alle hoch fliegenden Anmaßungen gewisser Leute, deren Absichten selten lange zweideutig bleiben, gemacht; und ich argwohne immer eine Natter unter den Blumen, wenn ich von Mysterien oder magischen Operationen höre, wodurch die menschliche Natur über sich selbst erhoben, wo nicht gar vergöttert werden soll. Meistens habe ich gesehen, daß diese Dinge nichts als goldfarbige Fliegen sind, womit Betrüger ihre Angeln bestecken und gutherzige Schwindelköpfe damit anlocken, um, wenn sie einmal in den Hamen gebissen haben, etwas weniger als Menschen, oder, rund heraus zu reden, Narren und blinde Werkzeuge ihrer geheimen Absichten aus ihnen zu machen. Wer zum Menschen geboren wurde, soll und kann nichts Edleres, Größeres und Besseres seyn als ein Mensch – und wohl ihm, wenn er weder mehr noch weniger seyn will!


Peregrin.


Aber, lieber Lucian, gerade um nicht weniger zu werden als ein Mensch, muß er sich bestreben mehr zu seyn. Unläugbar ist etwas Dämonisches in unsrer Natur; wir schweben zwischen Himmel und Erde in der Mitte, von der Vaterseite, so zu sagen, den höhern Naturen, von unsrer Mutter Erde Seite den Thieren des Feldes verwandt. Arbeitet sich der [24] Geist nicht immer empor, so wird der thierische Theil sich bald im Schlamme der Erde verfangen, und der Mensch, der nicht ein Gott zu werden strebt, wird sich am Ende in ein Thier verwandelt finden.


Lucian.


Es wäre denn, daß ihn die wohlthätige Natur, wie Mercur den Ulysses beim Homer, mit einem Moly 30 beschenkt hätte, durch dessen Tugend er allen solchen Bezauberungen Trotz bieten kann.


Peregrin.


Und wie nennest du diesen wundervollen Talisman? Denn so viel ich mich aus meinem Homer besinne, ist Moly nur der Name, den ihm die Götter gaben.


Lucian.


Verstand nenne ich ihn, lieber Peregrin, gemeinen, aber gesunden Menschenverstand.

Peregrin (indem er ihm scharf in die Augen sieht).


Und dieses Moly hätte dich in deinem Leben immer vor der Zauberruthe der schönen Circe verwahrt?

Lucian.


Vor ihren Verwandlungen allerdings: es setzte mich ungefähr in das nämliche Verhältniß mit ihr, worein Ulysses durch die Kraft seines Moly mit der Sonnentochter kam. Denn seinem Moly allein, so wie ich dem meinigen, hatte er es zu danken, daß er jenes Aristippische εχω ουκ εχομαι 31 sagen konnte, worauf in solchen Dingen alles ankommt, wie du weißt.


[25] Peregrin.


Daß du hier bist, beweiset viel für dich – aber Abschälungen 32 mag es doch gekostet haben!

Lucian.


Davon kann wohl niemand besser aus Erfahrung sprechen als Proteus.

Peregrin.


Die Luft, die wir hier athmen, lieber Lucian, macht uns zu Freunden, wie verschieden wir auch noch immer in unsrer Vorstellungsweise seyn mögen. Aber gestehe nur aufrichtig, du wunderst dich, wie ein so verächtlicher und nichtswürdiger Mensch, als du den armen Peregrin geschildert hast, eine Thür ins Elysium offen finden konnte?


Lucian.


Ich schilderte dich damals wie ich dich sah oder zu sehen glaubte. Freilich muß indessen entweder mit meinen Augen, oder mit deinem inwendigen Menschen eine große Veränderung vorgegangen seyn.


Peregrin.


Vermuthlich mit beiden. Aber doch bin ich's der Wahrheit schuldig, dir, wenn du Muße hast mich anzuhören, eine etwas bessere Meinung von dem, was ich in meinem Erdeleben war, beizubringen, als du der Nachwelt davon hinterlassen hast.


Lucian.


Ich bin zwar im Begriff eine kleine Reise in unser altes Mutterland zu machen; aber mein Geschäft ist nicht so dringend, daß es Eile erforderte. Ueberdieß können mir die [26] Nachrichten, die ich über gewisse Stellen deiner Lebensgeschichte von dir selbst am zuverlässigsten erhalten könnte, vielleicht bei dem, was der hauptsächlichste Gegenstand meiner Absendung ist, nicht ohne Nutzen seyn.


Peregrin.


Desto besser. Wenigstens gewinnest du immer so viel dabei, daß du nichts von mir hören wirst, als was ich selbst für Wahrheit halte.


Lucian.


Wir sind zwar sogar im Elysium nicht gänzlich von den geheimen Einflüssen der Eigenliebe frei: aber da es unmöglich ist, daß wir vorsetzlich gegen unser Gefühl und Bewußtseyn reden sollten, so bin ich gewiß, daß ich über alles, was du selbst am besten wissen kannst, die reine Wahrheit von dir erfahren werde. Die Quellen, woraus ich ehemals meine Nachrichten schöpfte, mögen wohl nicht immer die lautersten gewesen seyn, wiewohl ich allerdings den Willen hatte dir kein Unrecht zu thun.


Peregrin.


Wer weiß besser als du, wie wenig auf die Erzählungen und Urtheile der Sterblichen von einander zu bauen ist! Jene werden schon dadurch allein fast immer verfälscht, daß man diese, es sey nun unvermerkt oder mit Vorsatz, unter sie einmischt, und also den Sachen durch unsre Meinungen von ihnen fast immer eine falsche Farbe oder ein betrügliches Licht gibt. Selten ist der Erzähler ein Augenzeuge, noch seltner der Augenzeuge ganz unbefangen, ohne alle Parteilichkeit, vorgefaßte Meinung oder Nebenabsicht; fast immer vergrößert [27] oder verkleinert, verschönert oder verunstaltet er was er gesehen hat. Du, zum Beispiel, hattest den Willen mir kein Unrecht zu thun: aber ich war ein Christianer 33 gewesen, und du hieltest alle Christianer für Schwärmer oder Schelme; ich war in den Orden des Diogenes übergegangen, und dein Haß gegen die Cyniker ist bekannt genug, da du keine Gelegenheit versäumtest ihm die möglichste Publicität zu geben. Wie hättest du also den armen Peregrin, mit allem guten Willen ihm kein Unrecht zu thun, in keinem ungünstigen Lichte sehen sollen? Ihn, auf den der ehemalige Christianer und der nunmehrige Cyniker einen doppelten Schatten warf?


Lucian.


Was die Cyniker betrifft, so muß ich dich um Erlaubniß bitten zu bemerken, daß ich, anstatt ein Feind, vielmehr ein Bewunderer ihres Ordens, seiner ersten Stifter und der wenigen ächten Glieder, die ihm Ehre brachten, war. Mein Demonax und mein Dialog mit einem Cyniker sollten mich, dächte ich, über diesen Punkt hinlänglich gerechtfertiget haben. Vermuthlich würde ich auch mit den Christianern gelinder verfahren seyn, wenn ich jemals so glücklich gewesen wäre, nur einen einzigen edeln und liebenswürdigen Menschen aus dieser Secte kennen zu lernen.


Peregrin.


Dieß wäre eben nicht unmöglich gewesen; wiewohl ich gestehen muß, daß ein ächter Christianer zu unsrer Zeit beinah' eben so selten war als ein ächter Cyniker. – Aber dieß für jetzt bei Seite gesetzt, antworte mir, wenn ich bitten darf, nur auf eine einzige Frage.


[28] Lucian.


Sehr gern. Frage was du willst.

Peregrin.


Der Unbekannte, der zu Elis, von der öffentlichen Redekanzel herab, so viel schändliche Dinge von mir erzählt haben soll, war er eine wirkliche Person? oder hast du ihn vielleicht nur aufgestellt um deine Composition einfacher zu machen, und einem Einzigen in den Mund gelegt, was du vielleicht von verschiedenen Personen zu verschiedenen Zeiten über mich gehört hattest?


Lucian.


Gewissermaßen beides.

Peregrin.


Ich erinnere mich nun selbst wieder, daß mir Theagenes, sobald er nach Olympia kam, etwas von einem solchen Auftritt zu Elis erzählte, wo ihn sein übermäßiger und (wie ich glaube) nicht ganz lautrer Eifer für den Ruhm des cynischen Ordens antrieb, die Kanzel zu besteigen, um mir und meinem Vorhaben die Lobrede zu halten, die dir so anstößig war.


Lucian.


Der Unbekannte war kein Geschöpf von meiner Erfindung. Er schien, der Aussprache nach, ein Bithynier oder Paphlagonier von Geburt, ein Epikuräer von Profession, und übrigens ein Mann zu seyn, der viel gereist und kein Neuling in der Welt war. Die Heftigkeit, womit dieser Mann gegen dich declamierte, hätte mir seine Erzählung vielleicht verdächtig machen sollen: aber mein natürlicher Haß gegen einen jeden der etwas Außerordentliches seyn wollte, die nachtheilige[29] Meinung die ich bereits von dir hegte, und die Uebereinstimmung des Charakters, den er von dir machte, mit meiner eigenen vorgefaßten Meinung, und mit den Nachrichten, die ich aus andern Quellen erhalten hatte – alles dieß zusammen machte mich geneigt ihm zu glauben, und die Hitze, womit er gegen dich sprach, einer der meinigen ähnlichen Sinnesart zuzuschreiben. Hierzu kam noch, daß ich in dem Resultat seiner ganzen Erzählung den Schlüssel zu finden glaubte, der mir das Außerordentliche in deinem Leben, und besonders die seltsame Art wie du es zu endigen vorhattest, aufzuschließen schien. Indessen gestehe ich offenherzig, daß ich kein Bedenken trug, die Erzählung des Ungenannten mit verschiedenen Anekdoten, die ich zu verschiedenen Zeiten und Gelegenheiten aufgelesen hatte, vollständiger zu machen. Auch kann ich nicht läugnen, daß das Orakel des Bakis 34, welches ich ihn dem Spruch der Sibylle stehendes Fußes entgegen setzen ließ, eine Verschönerung von meiner eigenen Erfindung war.


Peregrin.


Man kann, denke ich, immer darauf rechnen, daß Schriftsteller, denen es mehr um Beifall als um strenge Wahrheit zu thun ist, sich eben kein Gewissen daraus machen werden, der Composition zu Liebe manchen Eingriff in die Rechte der letztern zu thun. Ein Bißchen Unwahrheit und Ungerechtigkeit mehr oder weniger, wenn es darauf ankommt einen witzigen Einfall anzubringen oder eine Periode zu ründen, ist eine sehr unbedeutende Kleinigkeit in ihren Augen. Wer das Unglück hat, der Gegenstand einer Philippika 35 zu seyn, muß freilich unter diesem hergebrachten Vorrecht witziger Schriftsteller [30] leiden: dafür aber befinden sich auch die Glücklichen, denen Lobreden zu Theil werden, desto besser dabei, und gewinnen oft, eben so unverdienterweise, doppelt und dreifach wieder, was jene verloren haben. Ich kann also, da du mein Bild von Theagenes vergolden, von dem Unbekannten hingegen mit Koth übertünchen ließest, immer eines gegen das andere aufgehen lassen: aber es bleibt mir noch eine andere kleine Beschwerde übrig, gegen welche es vielleicht schwerer seyn dürfte, deine Unparteilichkeit hinlänglich zu rechtfertigen.


Lucian.


Vermuthlich, daß ich so leicht über die Rede wegging, die du selbst wenige Tage vor der Ceremonie an die Versammlung zu Olympia hieltest?


Peregrin.


Und worin ich mich, wie du dich erinnern wirst, über alle zweideutigen Stellen meiner Lebensgeschichte umständlich genug vernehmen ließ. Wie kam es, daß der große Freund der Wahrheit – der so gewissenhaft war, von allem was der Unbekannte zu meinem Nachtheil vorgebracht hatte, kein Wort auf die Erde fallen zu lassen – von allem was ich selbst zu meiner Rechtfertigung sagte, und was als die letzte Erklärung eines Sterbenden doch immer einiger Aufmerksamkeit werth war, nicht ein einziges armes Wörtchen vom Boden aufzuheben würdigte? Denn daß die angeführte Entschuldigung – »du wärest, der Menge und des Gedränges wegen, zu weit entfernt gewesen, um etwas davon zu verstehen« – nicht [31] eine bloße Ausrede gewesen sey, werden sich unbefangene Leser schwerlich überreden lassen.


Lucian.


Aufrichtig zu reden, lieber Peregrin, ich zweifle sehr, ob du damals, wenn du von mir hättest reden oder schreiben sollen, gerechter gegen mich gewesen wärest als ich gegen dich. Wir waren beide zu ganz das was wir waren, ich zu kalt, du zu warm, du zu sehr Enthusiast, ich ein zu überzeugter Anhänger Epikurs, um einander in dem vortheilhaftesten Lichte zu sehen. Ein inniges Gefühl von Verachtung war mit dem Begriff eines Schwärmers (unter welchem ich mir unmöglich etwas andres als entweder einen Narren oder einen Spitzbuben denken konnte) zu genau in mir verbunden, um nicht, selbst auf eine instinctmäßige Weise, bei solchen Gelegenheiten auf mich zu wirken. Ich hatte weder Achtung noch Neugier genug für das, was du dem Volke vortrugst, um mich, mit Gefahr halb erdrückt zu werden, durch die Menge von Menschen, welch Kopf an Kopf um die Redekanzel herum standen, näher hin zu drängen – oder mich früh genug eines Platzes neben ihr zu versichern. Es war also die reine Wahrheit, da ich sagte ich hätte wenig oder nichts von deiner Rede verstanden, und erst, als viele, die es in dem erstickenden Gedränge nicht mehr aushalten konnten, sich mit Händen und Füßen wieder herausarbeiteten, fand ich Gelegenheit, nahe genug zu kommen um den Schluß derselben zu hören. Um so mehr wirst du mich demnach verbinden, guter Peregrin, wenn du mir durch die versprochnen Berichtigungen deiner Geschichte zu [32] einer unverfälschten Kenntniß deines Charakters verhelfen willst. Wenn dir's gefällt, so setzen wir uns dazu unter diesen Platanus, der jenem Sokratischen am Ufer des Ilyssus so ähnlich sieht.


Peregrin.


Sehr gern. Höre also, was ich dir von meiner Jugend, von meinen ersten Wanderungen, meiner Gemeinschaft mit den Christianern, meinem Uebergang zu den Cynikern, meinem Aufenthalt in Alexandrien, Rom und Athen, und endlich von den Bewegursachen, warum ich meinem irdischen Leben ein so außerordentliches Ende machte, mit aller Aufrichtigkeit, die eine natürliche Folge unsers gegenwärtigen Zustandes ist, erzählen werde. Es kommt, wie du weißt, bei den Menschen nicht weniger als bei den Pflanzen, sehr viel wo nicht alles darauf an, in welchem Boden und unter welchen Einflüssen die zartesten Fasern ihrer aufkeimenden Natur entwickelt und genährt worden sind. Du wirst mir also erlauben, lieber Lucian, meine Geschichte, wie jener Dichter die Zerstörung des Trojanischen Reichs, vom Ei anzufangen.

Erster Abschnitt
[33] Erster Abschnitt.

Peregrin.


Parium, wo ich geboren wurde, war eine Römische Pflanzstadt in der Provinz Mysien auf der östlichen Küste des Hellesponts, die durch ihre Lage an einem kleinen Busen der Propontis, der ihr zum Hafen diente, und durch die Betriebsamkeit ihrer Einwohner zu einer der blühendsten Städte dieser Gegenden geworden war. Mein Vater war ein Kaufmann, den seine Geschäfte zu häufigen Reisen veranlaßten; und da er weder Zeit noch Lust hatte, sich meiner Erziehung selbst anzunehmen, willigte er desto lieber ein, mich, sobald ich die weiblichen Zimmer verließ, der Aufsicht und Pflege meines mütterlichen Großvaters Proteus zu überlassen, der sich gewöhnlich auf seinem nahe bei der Stadt gelegenen Landgut aufhielt.

Nach dem Tode meiner Mutter, die ich am Eintritt in meine Jünglingsjahre verlor, wurde ich von ihrem Vater, mit Bewilligung des meinigen, an Kindesstatt angenommen, und erhielt dadurch den Beinamen Proteus 36; wiewohl ich mich in der Folge auf meinen Wanderungen, je nachdem es mir schicklicher war, bald des einen bald des andern Namens bediente. [34] Du siehest, lieber Lucian, daß ich wenigstens ziemlich unschuldig zu dem Namen gekommen bin, der dir zu einer mir nicht sehr rühmlichen Vergleichung meiner Wenigkeit mit Homers Aegyptischem Meergotte geholfen hat.


Lucian.


Desto besser, lieber Peregrinus Proteus, desto besser! Um so mehr habe ich Hoffnung, zu hören, daß du zu einigen andern noch weniger schmeichelhaften Beinamen, womit der Ruf deine Jugend angeschmutzt hat, eben so unschuldig gekommen bist.


Peregrin.


Du wirst – und kannst in der Lage, worin wir uns befinden – nichts als die reine Wahrheit von mir hören.


Lucian.


Das versteht sich. Also nur weiter, wenn ich bitten darf.

Peregrin.


Die Natur hatte mich zu einer glücklichen Gestalt und Gesichtsbildung mit einer sehr zarten Empfänglichkeit für sinnliche Eindrücke, und mit einer äußerst beweglichen, warmen und wirksamen Einbildungskraft beschenkt. Bei einer solchen Anlage konnte es wohl nicht anders seyn, als daß Homer, mit dessen Rhapsodien meine literarische Erziehung, der Gewohnheit nach, angefangen wurde, unbeschreiblich auf meine Imagination wirkte; vornehmlich alles Wunderbare, die Götterscenen auf dem Olymp und auf der Erde, und die Feerei der Odyssee. Mein Pädagog, der nichts als Wörter, Redensarten und Dialekte, grammatische und rhetorische Figuren, Mythologie, alte Geschichte und Geographie – und auch dieß alles [35] nur mit den Augen eines stumpfsinnigen Pedanten in dem Dichter sah, trug nichts dazu bei, die Art, wie dieser auf mich wirkte, zu begünstigen oder zu berichtigen, zu verstärken oder zu schwächen. Da er in meinem Gedächtniß alles fand, was seine stolzesten Erwartungen befriedigte, so pries er bei allen Gelegenheiten nur meine Gelehrigkeit an, und that sich nicht wenig darauf zu gut, daß ich eine Menge großer Stellen aus allen Gesängen, das ganze Verzeichniß der Schiffe, die Nekyomantie, den Tod der Freier und dergleichen, trotz einem Rhapsodisten von Profession herdeclamiren konnte, und nicht nur alle Trojaner, die von Diomedens oder Achillens Hand gefallen waren, mit Namen zu nennen, sondern sogar die Wunden, die jeder empfangen, so genau anzugeben wußte, als ob ich Feldarzt im Griechischen Lager gewesen wäre. Um alles Uebrige, und wie oder wodurch Homer zu viel oder zu wenig, zu meinem Vortheil oder Nachtheil, auf mich wirken möchte, blieb er um so unbekümmerter, da er von einem Schaden, den ich dadurch leiden könnte, eben so wenig als von der Behandlung, die in dem einen und andern Falle nöthig war, die leiseste Ahndung hatte.

Mein Großvater trug allzu viel zu der ersten Bildung meiner Seele bei, als daß ich mich überheben könnte, dich etwas genauer mit ihm bekannt zu machen. Er war einer von den eben so unschädlichen als unnützlichen Sterblichen, die, weil sie selbst wenig von der Welt fordern, sich berechtigt halten, noch etwas weniger für sie zu thun als sie von ihr erwarten. Im Genuß eines mäßigen aber seinen Aufwand noch immer übersteigenden Erbgutes hatte er binnen mehr[36] als siebzig Jahren, die er verlebte, oder, eigentlicher zu reden, verträumte, nie einen Finger gerührt es zu vergrößern, noch einen Augenblick dazu verwandt, eine Vergleichung zwischen ihm selbst und seinen reichern Nachbarn zum geringsten Nachtheil seiner Leibes- und Gemüthsruhe anzustellen. Er liebte zwar das Vergnügen, aber nur insofern es seiner Trägheit nicht zu viel kostete: und weil man, außer den Stunden der Mahlzeit und des Bades, doch nicht immer auf seinem Ruhebettchen oder an einer rieselnden Quelle schlummern, oder dem Lauf der Wolken und dem Tanz der Mücken in der Abendsonne zusehen kann; so hatte er sich zum Zeitvertreib eine Art von Philosophie und Literatur ausgewählt, die seiner Gemächlichkeit die zuträglichste war, und die Stelle dessen, was bei andern Menschen Beschäftigung des Geistes ist, bei ihm vertrat.

Der Zufall, der im menschlichen Leben so viel entscheidet, hatte ihn in seinen jüngern Jahren etlichemal mit dem berühmten Apollonius von Tyana 37 zusammengebracht, und die Eindrücke, die dieser außerordentliche Mann auf sein Gemüth machte, waren stark genug gewesen, um sich bis ins hohe Alter beinahe in immer gleichem Grade der Lebhaftigkeit zu erhalten. Der einzige Mann, von dem ich ihn jemals mit einer Art von Begeisterung sprechen hörte, war Apollonius. Apollonius war ihm das höchste Ideal menschlicher oder vielmehr übermenschlicher Vollkommenheit; denn es war aus dem Tone, worin er von ihm sprach, leicht zu merken, daß er ihn für irgend einen Mensch gewordnen Gott oder Genius hielt; und in der That hatte es dieser neue Pythagoras bei [37] allen seinen Handlungen und Reden darauf angelegt, eine solche Meinung von sich zu erwecken und zu unterhalten.

Indessen fand doch mein Großvater keinen Beruf in sich, die Zahl der sieben Jünger zu vermehren, welche Apollonius vor seiner Reise nach Indien immer um sich zu haben pflegte. Alles was der vermeinte Gottmensch auf ihn wirkte, war, daß die Neugier für außerordentliche Dinge, die ein so wesentlicher Charakterzug aller trägen Menschen ist, eine bestimmtere Richtung bei ihm erhielt, und zu einer erklärten Liebhaberei für das wurde, was man in unsrer Zeit Pythagorische Philosophie nannte. Proteus, dessen Sache nicht war, in den Geist der Philosophie eines Pythagoras einzudringen, machte sich einen so weiten und willkürlichen Begriff von derselben, daß alles Aechte und Unächte Platz darin hatte, was dem Aegyptischen Hermes, dem Baktrianischen Zoroaster, dem Indischen Buddas, dem Hyperborischen Abaris, dem Thracischen Orpheus, und allen andern Wundermännern des Alterthums von der Sage zugeschrieben oder von verschmitzten Betrügern untergeschoben wurde. Er sammelte sich nach und nach einen ansehnlichen Schatz von großen und kleinen Büchern, theosophischen, astrologischen, traum- und zeichendeuterischen, magischen, mit Einem Worte, übernatürlichen Inhalts – auf Pergament, Aegyptischem und Serischem Papier, Palmblättern und Baumrinden geschrieben, – über Götter und Geister, – über die verschiednen Arten ihrer Erscheinungen und Einwirkungen, über ihre geheimen Namen und Signaturen, über die Mysterien, wodurch man sich die guten Geister gewogen und die bösen unterthänig machen könne – über die Kunst [38] Talismane und Zauberringe zu verfertigen, über den Stein der Weisen, die Sprache der Vögel – kurz über alle Schimären, womit Griechische und barbarische Beutelschneider 38, sogenannte Chaldäer, herumziehende Bettelpriester der Isis oder der großen Göttermutter, und andere Schlauköpfe von diesem Schlage, die gern betrogene Leichtgläubigkeit müßiger Thoren zu unterhalten und zinsbar zu machen wußten. Je seltsamer, dunkler und räthselhafter diese Schriften klangen, desto höher stieg ihr Werth bei ihm; und waren sie vollends in lauter Hieroglyphen geschrieben, so glaubte er ein paar Blätter, zumal wenn sie etwas mufficht rochen und ein Ansehn von moderndem Alterthum hatten, um hundert und mehr Drachmen noch sehr wohlfeil bezahlt zu haben.

Bei allem dem war es natürlich, daß die Indolenz des guten Proteus sich auch nach einer leichtern und verdaulichern Nahrung sehnte; und daher machten alle Arten von Wundergeschichten, Götter- und Heldenlegenden, Geistermährchen, Milesische Fabeln und dergleichen, keinen kleinen Theil seiner Bibliothek und seine gewöhnliche Erholung aus, wenn er sich an dem vergeblichen Versuch, in jenen geheimnißvollen Schriften klar zu sehen, ermüdet hatte. Glücklicherweise für ihn waren die Eindrücke, die diese Lesereien auf seine Einbildungskraft machten, flüchtig genug, daß er sie der Reihe nach zwanzigmal durchlesen konnte, und jedesmal wieder ungefähr eben so viel Reiz darin fand, als eine Seele wie die seinige nöthig hatte, um in diesen Mittelstand von Traum und Wachen versetzt zu werden, worin er seine einsamen Stunden am liebsten hinzubringen pflegte. Dieses [39] Mittel, sich selbst auf eine angenehme Art um seine Zeit zu betrügen, reichte um so eher zu, da in der That, ungeachtet er fast alle Gemeinschaft mit den Parianern abgebrochen hatte, wenige Tage oder Wochen im Jahre vergingen, wo er sich ganz allein gesehen hätte. Denn seine bald genug bekannt gewordene Neigung zu den geheimen Wissenschaften und Künsten zog ihm eine Menge Besuche von Fremden zu, die das Ihrige zu Befriedigung derselben beitragen wollten. Herumziehende Chaldäer und Magier, reisende Pythagoräer, und Leute, die mit der Art von Handschriften, auf die er so erpicht war, handelten, gingen bei ihm immer ab und zu; selten fehlte es ihm an dem einen oder andern Tischgenossen dieser Art, und es würde einem, der ihre Tischreden aufgeschrieben hätte, ein Leichtes gewesen seyn, in kurzer Zeit ganze Karren voll solcher Conversationen zusammen zu bringen, wie du eine in deinem Lügenfreunde verewiget hast. In den letzten Jahren seines Lebens ließ er sich von einem Hermetischen Adepten überreden, eine geheime Werkstätte in seinem Hause anzulegen, worin Tag und Nacht an dem großen Werke, das man in spätern Zeiten den Stein der Weisen nannte, gearbeitet wurde. Zu gutem Glücke starb er noch zeitig genug, um den Plan des Adepten zu vereiteln, der sich wahrscheinlich mit guter Art zum Erben des alten Mannes zu machen hoffte.

Du siehest leicht, lieber Lucian, was die Erziehung in dem Hause eines solchen Großvaters bei einem jungen Menschen mit einer Anlage wie die meinige natürlicherweise für Folgen haben mußte. Dazu kam noch, daß ich der Liebling [40] des alten Proteus war, und daß er sich eine eigne Freude daraus machte, mich so gut er konnte und wußte in den Geheimnissen seiner Philosophie zu iniziieren. Sein Museum stand mir immer offen; ich mußte ihm oft, wenn er auf seinem Ruhebette lag, vorlesen, und er fand großes Behagen daran, aus meiner Neugier für diese Dinge, und aus der Leichtigkeit womit ich mich in alles zu finden wußte, zu auguriren, daß dereinst (wie er sich ausdrückte) ein großer Mann aus mir werden würde. Das Einzige, was er nicht an mir bemerkte, war der Unterschied, der bei aller dieser anscheinenden Sympathie zwischen seiner und meiner Sinnesart vorwaltete. Ihm war das Wunderbare nichts als eine Puppe, womit seine immer kindisch bleibende Seele spielte; bei mir wurde es der Gegenstand der ganzen Energie meines Wesens. Was bei ihm Träumerei und Mährchen war, füllte mein Gemüth mit schwellenden Ahndungen und helldunkeln Gefühlen großer Realitäten, deren schwärmerische Verfolgung meine Gedanken Tag und Nacht beschäftigte. Er belustigte sich an philosophischen Bildern, Räthseln und Hieroglyphen, wie ein Kind an bunten Blumen oder Schmetterlingen Freude hat; ich bestrebte mich in ihren tiefsten Sinn einzudringen: kurz, er liebte das Außerordentliche, weil es den ewigen Schlummer seiner natürlichen Trägheit durch angenehme Träume unterbrach, und ich brannte schon als ein Mittelding von Knabe und Jüngling vor Begierde, diese außerordentlichen Dinge selbst zu erfahren und zu verrichten.


Lucian.


Oder, mit andern Worten, der Unterschied zwischen euch [41] war der: dein Großvater las die Geschichte der Abenteurer zum Zeitvertreib, und du machtest alle mögliche Anstalten selbst auf Abenteuer auszuziehen. Allerdings ein sehr wesentlicher Unterschied, und wovon du in deinem ganzen Leben die Folgen stark empfunden hast.


Peregrin.


Ohne mich jemals eine derselben gereuen zu lassen.

Lucian.


Um Verzeihung, daß ich dich unterbrochen habe! es soll ohne Noth nicht wieder geschehen. Fahre immer fort, ich bin lauter Ohr.


Peregrin.


In der Bibliothek meines Großvaters befand sich auch das Buch des Empedokles von der Natur, verschiedene Dialogen von Plato und einige kleine Schriften des Heraklitus. Weil es gerade die einzigen waren, die er nicht zu lesen pflegte, so mochten sie, dicht mit Staube bedeckt, hinter einem Vorhang von Spinneweben schon zwanzig oder dreißig Jahre ruhig gelegen haben, als ihm einst, da er um etwas Neues verlegen war, zufälligerweise Platons Gastmahl, als ein Werkchen, das sehr sinnreich und unterhaltend seyn sollte, vor die Stirne kam. Ich mußte es holen, und ihm, da er nach einer tüchtigen Mahlzeit aus dem Bade kam, an seinem Ruhebette vorlesen. So lange Phädrus, Pausanias, Eryximachus und Aristophanes ihre Meinungen von der Liebe vortrugen, ging es ziemlich gut; der letzte machte ihn sogar, mit seiner komischen Hypothese über die ursprüngliche Natur der Menschen und die wahre Ursache der verschiedenen Arten von Liebe, mehr [42] als einmal laut auflachen. Bei der eleganten Hymne, die der schöne Agathon dem Amor singt, fing er mitunter zu gähnen an: aber wie endlich Sokrates das Wort nimmt, und nach einer Disputation in seiner eignen Manier, die mein Alter sehr langweilig fand, der Gesellschaft den Unterricht mittheilt, den er ehemals von der Prophetin Diotima über die Liebe und die Kunst zu lieben empfangen zu haben vorgibt; schlief er unvermerkt so fest ein, daß ich Zeit hatte, diesen Theil des Symposions, der sich meiner ganzen Aufmerksamkeit bemächtigte, zwei-oder dreimal wieder zu lesen, bevor er wieder aufwachte. Ich selbst begab mich nicht eher zur Ruhe, bis ich noch in derselbigen Nacht diese Rede der Diotima heimlich abgeschrieben hatte; und als ich am folgenden Morgen, wie ich das Buch an seinen Ort zurücktrug, seine Mitverbannten in eben demselben Winkel liegen sah, und aus den bloßen Titeln und Namen der Verfasser von der Wichtigkeit des gefundenen Schatzes urtheilte, nahm ich sie alle mit, und verwandte von Stund' an keinen Augenblick, über den ich Meister war, auf etwas andres, als diese Schriften zu lesen, wieder zu lesen, zu durchdenken, zu vergleichen, und aus den Ideen, die sie in mir entwickelten, wo möglich ein Ganzes in mir selbst zu bilden. Mein bisheriges Leben schien mir dem Zustand eines Menschen zu gleichen, über dem, nachdem er lange bei schwachem Mondschein in einem dicht verwachsenen Walde herumtappte, die Morgendämmerung aufzugehen anfängt. Aber nun ward es auf einmal Tag und Sonnenschein in meiner Seele. Sie wurde anfangs dadurch geblendet, stärkte sich aber unvermerkt durch das Lichtbad selbst, worin [43] sie zu schwimmen glaubte, und erstaunte, sich auf einer Höhe zu finden, wo sie, von der reinsten Himmelsluft umflossen, in eine unermeßliche Welt voll Schönheit hinaus sah, und in dem Wonnegefühl ihrer eigenen Freiheit, Kraft und Größe sich wie vergöttert fühlte.


Lucian.


Deine Seele, lieber Peregrin, muß (mit der ehrwürdigen Prophetin Diotima zu reden) von einer ganz erstaunlichen Fruchtbarkeit gewesen seyn, da sie nur die Berührung eines Plato, Empedokles und Heraklitus nöthig hatte, um auf einmal von einer ganzen Welt voll Licht und Schönheit entbunden zu werden.


Peregrin.


Wenn dieß nicht Scherz wäre, Lucian, so würde ich sagen, die Einwirkung dieser Weisen auf mein Innerstes könnte eher mit einem Funken, den der Stahl aus einem Feuerstein schlägt, verglichen werden. Denn was sie in mir entzündeten, war im Grunde nur eine einzige aber unauslöschliche Flamme, die von diesem Augenblick an die Quelle alles Lichts und Lebens in mir wurde. Oder, um mich noch genauer auszudrücken, mir war, da diese Flamme in mir hervorbrach, als ob eine dunkle dichte Rinde, die mein Wesen bisher umschlossen hätte, plötzlich von mir abfiele; ich erblickte mich nicht mehr in einem Spiegel außer mir, sondern in mir selbst, erkannte mich selbst zum erstenmal , und bedurfte von diesem Augenblick an keines Pythagoras oder Platons mehr dazu; so wenig, als die Sonne einer fremden [44] Beleuchtung und Erhitzung bedarf, um lauter Licht und Feuer zu seyn.


Lucian.


Ich bekenne dir unverhohlen, Freund Peregrin, daß ich meines Orts noch einiges fremden Lichtes nöthig hätte, um zu verstehen was du mir hier offenbarest. Allem Ansehn nach muß mein Wesen seine alten Schalen und Rinden noch nicht alle durchbrochen haben.


Peregrin.


Das könnte leicht seyn, lieber Lucian. Doch vielleicht kann ich dir durch ein einziges Wort verständlicher werden. Du erinnerst dich vermuthlich, da du Platons Symposion gelesen hast, was Diotima von der Liebe als einem Dämon, das ist nach ihrer Erklärung, einem Mittelwesen zwischen der sterblichen und unsterblichen Natur, spricht. So einleuchtend mir diese Theorie war, die ich (wie beinahe alle Platonischen Begriffe) immer in mir geahndet zu haben glaubte, so sah ich doch anfangs diesen Dämon der Liebe noch außer mir; nur daß er mir, durch eine sonderbare Art von Täuschung, immer näher zu kommen, immer anschaulicher zu werden schien. Die Rinde, von der ich dir sagte, wurde immer dünner, und in eben diesem Maße ward es auch immer heller in meinem Inwendigen; kurz, sie wurde endlich so dünn, daß ein einziger Vers des Empedokles, der mir zufälliger Weise in die Augen fiel, genug war, sie ganz zu zersprengen. Nun fühlte ich mich gleichsam von mir selbst entbunden, fühlte, daß der Dämon der weisen Diotima in mir, oder vielmehr, daß ich selbst der Dämon sey, der keiner Vermittlung eines dritten, [45] sondern bloß des ihm eigenen ewigen Verlangens und Aufstrebens nach dem höchsten Schönen und Vollkommnen nöthig habe, um im Genuß desselben Eudämon, das ist, der reinsten Wonne, deren ein Dämon fähig ist, theilhaftig zu seyn, und im Genuß des Göttlichen sich selbst vergöttert zu fühlen.


Lucian.


Ich fange an zu besorgen, daß, um die erhabenen Dinge, die du mir sagst, zu fassen, ein eigener Sinn erfordert werde, womit die Natur mich zu versehen vergessen haben muß.


Peregrin.


Es ist nichts als die Rinde, die du noch nicht ganz durchbrochen hast, Lucian.

Lucian.


Wie es auch damit seyn mag, so muß ich dich bitten, wenn du in deiner Geschichte fortfahren willst, dich so nahe als dir immer möglich ist an meine Rinde zu halten, und eine Sprache mit mir zu reden die ich verstehe, wenn du willst daß es nicht eben so viel sey, als ob du bloß mit dir selbst sprächest.


Peregrin.


Was ich gesagt habe, schien mir die einfachste Sache von der Welt zu seyn. Aber sey ruhig, Lucian! es wird, so wie ich in meiner Erzählung fortfahre, immer heller um mich her werden, und ich bin nun nahe an einigen Begebenheiten meiner Jugend, die, wiewohl du sie ehemals in einem falschen Lichte gesehen hast, doch so beschaffen sind, daß man nur ein ganz gewöhnlicher Mensch zu seyn braucht, sowohl um solche [46] Abenteuer zu haben, als um zu begreifen wie es damit zuging.

Ich hatte kaum das achtzehnte Jahr zurückgelegt, als mein Großvater starb, nachdem er mich in seinem letzten Willen zum einzigen Erben seiner Verlassenschaft eingesetzt hatte. Ich sah mich nun im Besitz eines weit größern Vermögens, als ich brauchte um unabhängig zu leben; und mein erster Gedanke war, Parium zu verlassen, und mich auf Reisen zu begeben, nicht sowohl um das was man die Welt nennt zu sehen (die mich damals wenig kümmerte) als um Menschen zu suchen, die, wie ich, von der göttlichen Liebe der Vollkommenheit entbrannt, in dieser innigen Gemeinschaft und Vereinigung der Seelen mit mir leben könnten, die ich mir vermöge einer mir selbst unbekannten Vermischung des Instincts meines damaligen Alters mit dem Bedürfniß meines Herzens – als einen wesentlichen Theil der höchsten Eudämonie 39 vorstellte. Aber die Geschäfte, die ich meiner Erbschaft halben vorher abzuthun hatte, hielten mich, wegen Abwesenheit meines Vaters, unter dessen Vormundschaft ich stand, noch ein ganzes Jahr in Parium zurück; und in diesem Zeitraume begegnete mir das Abenteuer, das dein Ungenannter in der schönen Lobrede, die er mir zu Elea hielt, so übel verunstaltet hat, daß ich, wofern mein Name nicht dabei genannt wäre, nie hätte vermuthen können der unglückliche Held dieses Mährchens zu seyn.

Während der ersten Jahre meines Lebens, die ich unter der Aufsicht meiner Mutter zubrachte, befand sich ein junges Mädchen in unserm Hause, die, als das einzige Kind einer [47] verstorbenen Schwester meines Vaters, unter seiner Vormundschaft von meiner Mutter erzogen wurde. Sie war nur ein Jahr älter als ich, und da sie eine Tochter vom Hause vorstellte, so wurden wir unvermerkt gewohnt, uns als Bruder und Schwester zu betrachten. Die kindische Liebe, die sich zwischen uns entspann, war um so unbedeutender, da ich mit dem siebenten Jahre in das Haus meines Großvaters versetzt wurde, und von dieser Zeit an nur selten in die Stadt kam.

Kallippe (so hieß die Nichte meines Vaters) erwuchs indessen nach und nach zu dem schönsten Mädchen in Parium. Ich sah sie bis zum Tode meiner Mutter von Zeit zu Zeit; aber wiewohl ich etwas für sie empfand, das der Anlage zu einer künftigen Leidenschaft ähnlich sah, so war ich doch noch viel zu jung, um recht zu wissen was ich fühlte, oder auch etwas andres für sie zu fühlen, als was unsrer nahen Verwandtschaft ganz anständig war; Kallippe hingegen, die um diese Zeit schon das funfzehnte Jahr angetreten, hatte mit demselben auch die Sinnesart eines Mädchens von diesem Alter angenommen, und betrachtete mich als einen Knaben, dem man ohne alle Gefahr liebkosen könne.

Bald darauf glaubte mein Vater dieses einzige Kind einer Schwester, die er sehr geliebt hatte, aufs glücklichste versorgt zu haben, indem er sie an einen der reichsten und angesehensten Männer in Parium verheirathete, ohne weder auf die Untugenden seiner Gemüthsart und Sitten, noch auf den großen Abstand seiner Jahre von den ihrigen die geringste Rücksicht zu nehmen. Von dieser Zeit an verlor sich meine Base Kallippe [48] unvermerkt aus meinem Gesichtskreise; ich bekam sie nicht mehr zu sehen, und bekümmerte mich, in der Meinung daß sie mit ihrem Loose zufrieden sey, nicht weiter um sie, bis nach meines Großvaters Tode die Angelegenheiten seiner Verlassenschaft mich nöthigten, einige Monate in der Stadt zuzubringen.

Hier hörte ich, daß mein Vater seine Absicht, Kallippen glücklich zu machen, nicht leicht ärger hätte verfehlen können. Jedermann sprach von ihr als einer Frau, welche die schönsten Jahre ihres Lebens unter dem Druck eines unempfindlichen, finstern, kargen und eifersüchtigen Tyrannen zu schmachten verurtheilt sey; jedermann bedauerte sie, und alle Stimmen waren gegen den Mann, der einer solchen Frau übel zu begegnen fähig sey. Ich kannte den Lauf der Welt zu wenig, um etwas von der Sache zu begreifen; ich sann hin und her, verwarf aber meine Anschläge immer wieder als unschicklich und unausführbar. Vor allem schien mir nöthig, sie selbst zu sprechen: aber die kaltsinnige Höflichkeit und argwöhnische Vorsicht des alten Menekrates wußte es immer so einzurichten, daß ich keine Gelegenheit dazu finden konnte.

Endlich erfuhr ich von einer jungen Sklavin, der einzigen auf deren Treue Kallippe ein unumschränktes Vertrauen setzte, daß ihre Gebieterin nichts sehnlicher wünsche als mich zu sprechen, indem sie mir Sachen von der größten Wichtigkeit zu entdecken hätte. Bei einer solchen Uebereinstimmung unsrer Wünsche war es nur noch um die Ausführung, nämlich um eine geheime Zusammenkunft zu thun , die aber, in der Lage worin sich Kallippe befand, nothwendig so behutsam veranstaltet werden mußte, daß weder ihr Mann, noch [49] die Nachbarn noch die übrigen Hausgenossen auch nur die leiseste Ahndung davon haben könnten. Auch hier fehlte es nicht an meinem guten Willen: aber wenn Kallippe und ihre Sklavin nicht erfindsamer oder dreister als ich gewesen wären, so möchte es wohl immer dabei geblieben seyn; denn selbst das Gewöhnlichste, was in solchen Fällen zu thun ist, kam mir gar nicht in den Sinn. Dafür ließ ich mich desto williger von der weiblichen Klugheit leiten; und so wurde endlich, nachdem verschiedene andere Vorschläge als gefährlich oder unthulich verworfen worden, beschlossen, daß man eine kurze Abwesenheit des Menekrates benutzen wollte, um mich in der Stille der Nacht durch eine kleine Gartenthür in ein Cabinet zu bringen, wo ich meine Base finden würde.


Lucian.


Natürlicherweise gewinnt die Sache unter allen diesen Umständen eine ganz andere Gestalt; und doch, wenn der Zufall gegen uns ist, nehmen weder die Gesetze noch die Welt auf solche Umstände Rücksicht.


Peregrin.


Nur zu wahr. Aber für mich gab es keine Gesetze; oder vielmehr, da ich mein Gesetz in mir selbst hatte, so dachte ich nicht an die Gesetze von Parium. Und was ist das Urtheil der Welt einem Menschen, der nach dem Beifall höherer Zeugen strebt, die seinem innern Auge so gegenwärtig sind, als ob sie auch dem äußern sichtbar wären! Ich dachte nichts als eine Pflicht zu erfüllen, und in der Wahl der Mittel mich bloß der Nothwendigkeit zu unterwerfen, der die Götter selbst unterthan sind.


[50] Lucian.


So weit begreife ich alles. Was mich wundert ist bloß, ob ich den Erfolg errathen habe oder nicht. Die Gelegenheit ist eine gefährliche Versucherin, und ich glaube aus Erfahrung zu wissen, was in solchen Fällen möglich oder unmöglich ist.


Peregrin.


Die Schlüsse, die man aus seinen eignen Erfahrungen auf das, was andere in ähnlichen Fällen gethan haben oder thun werden, macht, sind schon trüglich; wie sehr müssen es erst die seyn, die man von dem was meistens geschieht, auf das was möglich ist, macht! Indessen zweifle ich keinen Augenblick, lieber Lucian, daß ich mit einer Art von Gewißheit sagen könnte, wie du dich an meiner Stelle aus der Sache gezogen hättest: aber daß du dieß mit eben so vieler Gewißheit von mir sagen könntest, daran zweifle ich, mit deiner Erlaubniß.


Lucian.


Du hast Recht, Peregrin! Ich war immer nur ein gewöhnlicher Mensch, und von einem gewöhnlichen Menschen läßt sich freilich nicht auf einen Dämon schließen. Und doch sollte mich's nicht befremden, wenn auch einem Dämon (zumal einem dessen Natur Lieben ist) in dem Körper eines blühenden Jünglings von achtzehn Jahren, der sich mit einer schönen, zärtlichen und betrübten jungen Base von neunzehn in der Stille der Nacht in einem Gartencabinet eingeschlossen findet, unvermerkt eben so zu Muthe würde, als wenn er ein Mensch wie andere wäre.


[51] Peregrin.


Auch in meinen Augen würde es kein großes Wunder seyn. Höre also was sich zutrug. Unsre Zusammenkunft ging durch die schlaue Veranstaltung der getreuen Sklavin glücklich von Statten. Die erste Ueberraschung war auf beiden Seiten nicht gering, da ich Kallippen zum erstenmal in der vollen Reife der Schönheit und Jugend, und sie den Knaben von vierzehn, den sie vor vier Jahren zum letztenmale gesehen hatte, in einen hochaufgeschoss'nen Jüngling verwandelt sah, an dessen Blüthe noch kein Wurm genagt hatte, und dem ein sonderbares Gemisch von Sanftheit und Feuer, von Heiterkeit und Ernst, das Ansehen eines weit reifern Alters gab, ohne dem, was die Jugend Empfehlendes hat, nachtheilig zu seyn. Die einzige Lampe, die das Cabinet beleuchtete, trug wohl auch das Ihrige bei, daß unser mit so geheimnißvollen Umständen verbundenes Wiedersehen mehr das Schauerliche einer unverhofften Erscheinung, als das Freudige einer veranstalteten Zusammenkunft hatte. Indessen faßten wir uns bald wieder, und Kallippe fing die Unterredung mit Entschuldigung und Rechtfertigung des sonderbaren Schrittes, wozu sie sich gezwungen sähe, an. Natürlich führte dieß zu einer umständlichen Ausführung der großen Beschwerden, die sie über ihren Tyrannen zu führen hatte; wobei die schöne Klägerin weder Redefiguren noch Thränen sparte, um das Mitleiden des jungen Menschen zu gewinnen, den sie zum Richter ihrer Leiden machen wollte. Sie schien alle Fragen, die ich an sie thun könnte, vorausgesehen zu haben, mit so vieler Leichtigkeit antwortete sie auf alles; und sie beschloß endlich mit verschiedenen [52] geheimen Aufträgen, theils an meinen abwesenden Vater, theils gewisse Familienumstände, die eine Beziehung auf ihre eigenen hatten, betreffend, welche eine zweite und dritte Zusammenkunft vorbereiteten und ganz ungezwungen herbeibrachten.

Hätte ich damals schon die Menschenkenntniß haben können, die uns eine Erfahrung von dreißig oder vierzig Jahren verschafft, so könnte mir vielleicht das Betragen der schönen Kallippe einigen Argwohn gegeben haben; und wäre ich gesinnt gewesen, wie beinahe jeder andere in meinem damaligen Alter, so würde ich mich an allen Grazien zu versündigen geglaubt haben, wenn ich eine so gute Gelegenheit aus den Händen hätte schlüpfen lassen. Aber bei mir war weder das eine noch das andere möglich. Wie sichtbar auch die Schlingen waren, die meiner unerfahrnen Unschuld gelegt wurden, ich sah sie nicht, weil ich nicht mehr Begriff von Schlingen hatte als eine neu ausgebrüteter Vogel; und vor Nachstellungen von mir hätte die schöne Kallippe nicht sicherer seyn können, wenn sie eine Priesterin der Diana oder meine leibliche Schwester gewesen wäre. Jede Frau oder Jungfrau war in meinen Augen ein heiliges Gefäß im Tempel der Natur, desto heiliger und unverletzlicher, je schöner sie war. Wie sehr mußte es mir also die Gemahlin des Menekrates seyn, die durch Anverwandtschaft, Schönheit und Unglück ein dreifaches Recht an meine Theilnehmung, meine Ehrfurcht und meine Dienste hatte!


Lucian.


Wunderbarer Mensch!

[53] Peregrin.


Ich sehe, mit deiner Erlaubniß, hier nichts Wunderbares; vielmehr wär' es ein Wunder gewesen, wenn ich anders gedacht hätte. Meine Erziehung hatte meinen Leib und meine Seele vor aller Verderbniß, zumal vor allzu früher Erweckung und willkürlicher Reizung des Instincts, verwahrt. Meine Einbildung war so rein wie meine Sinne; und die Liebe des höchsten Schönen, die in dieser Epoche meines Lebens die Seele aller meiner Gedanken und Neigungen war, gab dem Eindruck, welchen schöne Gestalten auf mich machten, eine vom Gewöhnlichen, was andere Erdensöhne erfahren, so verschiedene Tinctur, daß auch die Wirkung desselben nothwendig sehr verschieden seyn mußte. Uebrigens bitte ich dich nicht zu vergessen, daß ich mir kein Verdienst daraus zu machen begehre, sondern die Sache bloß erzähle wie sie war. Als ich mich von Kallippen entfernte, folgte mir zwar ihr Bild, aber ohne mir eine andere Unruhe zu verursachen, als die Sorge, ihre Aufträge so gut mir möglich war auszurichten.


Lucian.


Alles Feuer in deiner Natur mußte sich damals in die höchste Region deiner Einbildungskraft hinauf gezogen haben.


Peregrin.


Doch nicht so ganz; denn ich läugne nicht, Kallippe wurde, mit jedem Male daß ich sie sah, schöner und liebenswürdiger in meinen Augen: aber ich setzte noch immer nicht den geringsten Argwohn weder in mich selbst noch in sie, und fand nichts natürlicher, als daß mein Wohlgefallen und meine [54] Theilnahme an ihr immer lebhafter wurde, je liebenswürdiger sie mir erschien. War die Liebe zum Schönen meiner dämonischen Natur nicht eben so eigenthümlich als meiner Brust das Athemholen? Daß auch Kallippe immer wärmer, und immer sinnreicher wurde neue Ursachen und Wege zu neuen geheimen Zusammenkünften auszudenken, bemerkte ich zwar, hielt es aber für eine so natürliche Folge der rechtmäßigen Zuneigung zu einem nahen Anverwandten, den sie von Kindheit an wie einen Bruder anzusehen gewohnt war, daß es mir gar nicht als etwas Mögliches einfiel, wie die Tadelsucht selbst etwas daran zu tadeln finden könnte. Und war es ihr, in einer so verlass'nen Lage als die ihrige, am Ende zu verdenken, wenn sie schwer daran ging sich des einzigen Trostes wieder zu berauben, der ihr einige Erleichterung ihres traurigen Zustandes verschaffte. – »Deine Gegenwart, deine Reden sind Nepenthe 40 für mich, sagte sie mir einsmals beim Abschied, mit einer Stimme die wie Musengesang in meiner Seele widertönte. – Ich vergesse in diesen stillen Augenblicken der Freundschaft daß ich unglücklich bin: könntest du schon müde seyn, mir zuweilen eine Stunde zu schenken, die du nur dem Schlaf entziehest?« – Ich hätte mich für einen Barbaren gehalten, Lucian, wenn ich dessen fähig gewesen wäre.


Lucian.


Ich wahrlich auch! Aber gestehe, daß du um diese Zeit den unsichtbaren Pfeil schon in der Leber stecken hattest!


Peregrin.


Ich glaub' es selbst, Lucian; aber damals wußte, ahndete [55] ich sogar nichts davon: und was mich nothwendig sicher machen mußte, war, daß ich die Nacht, da wir uns wieder sehen sollten, immer mit eben so vieler Ruhe erwartete, als ich sie mit Vergnügen kommen sah.

Indessen darf ich einen neuen Umstand nicht unerwähnt lassen, der einige Veränderung in der Beschaffenheit unsrer Zusammenkünfte machen konnte. Weil Menekrates eine ziemliche Zeit lang nicht aus der Stadt kam, so wurde das Gartencabinet für unsern fernern Gebrauch zu gefährlich befunden. Nach langem Ueberlegen was zu thun sey, sagte endlich die Sklavin mit der Miene einer Person, die auf einmal das Wahre gefunden hat: ich weiß im ganzen Hause keinen Ort, wo wir so völlig vor jedem Ueberfalle sicher sind, als das Schlafzimmer meiner Gebieterin. – Da hast du Recht, versetzte Kallippe lächelnd; ich weiß nicht, warum es mir nicht sogleich in den Sinn kam! – Aber – sagte ich etwas betroffen, Menekrates? – O, der ist in Jahr und Tag mit keinem Fuße über die Schwelle gekommen, und – hat seine Ursachen dazu, sagte die Sklavin. Ich schwieg, und es blieb fürs nächstemal bei Kallippens Schlafzimmer.


Lucian.


Ein schöner und bequemer Ort, ohne Zweifel; aber, beim Jupiter! der schlüpfrigste, den dein Platonischer Dämon zwischen Himmel und Erde finden konnte!


Peregrin.


Du wirst mich auch gar zu unschuldig nennen, Lucian, – genug, mir fiel das nicht ein. Wäre Kallippe bei dem Vorschlage roth geworden, hätte sie einige Bedenklichkeit geäußert, [56] so möchte vielleicht auch in mir ein Zweifel über die Schicklichkeit der Sache rege geworden seyn: aber daß sie so unbefangen, so schnell und so ruhig ihren Beifall gab, ließ mich in meiner natürlichen Sicherheit. Ich liebte zwar Kallippen, aber mit einer so jungfräulichen Unwissenheit, daß ihr Schlafzimmer für mich nichts mehr war als jeder andere Ort. Und in der That hätte sie im innersten Heiligthum der Vesta nicht sichrer vor geheimen Absichten und Anschlägen auf ihre Unschuld von meiner Seite seyn können als in ihrem Schlafzimmer.


Lucian.


Was für ein schlauer kleiner Bube euer Dämon Amor ist, Peregrin! Wie er die guten arglosen Seelen durch seine kindisch unschuldige Miene zu locken weiß! Und doch wette ich, das Schlafzimmer war die Ursache alles Unheils.


Peregrin.


Höre nur. Beinahe hätte ich noch einen kleinen Umstand vergessen, der auch nicht ganz unwichtig war, wiewohl ich damals nicht auf ihn achtete. Die junge Sklavin war immer bei unsern Zusammenkünften gegenwärtig; anfangs ohne sich einen Augenblick ganz zu entfernen; bei der zweiten und dritten ging sie ab und zu; in der Folge blieb sie bald kürzer bald länger aus, oft eine halbe Stunde, auch noch länger: aber alles so ungezwungen und absichtlos, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr wurde.


Lucian.


Die Spitzbübin!

[57] Peregrin.


Es vergingen mehrere Tage, ehe ich wieder den gewöhnlichen Wink von ihr erhielt.

Lucian.


Auch das vielleicht nicht ohne Absicht – Aber du merktest immer nichts?

Peregrin.


Gewiß nicht, außer daß mir die Zeit doch länger vorkam als ich ungefähr gerechnet hatte. Ich fing an für Kallippen unruhig zu werden, als die Sklavin mir durch den gewöhnlichen Weg das zwischen uns abgeredete Zeichen gab. Es war eine ziemlich dunkele Nacht, und alles im Hause lag in tiefem Schlafe begraben, als ich durch den Garten zu einem niedrigen Fenster in das Haus herein gelassen wurde. Ich konnte mir selbst nicht recht sagen warum, aber zum erstenmale war mir's, als ob ich um diese Zeit nicht in diesem Hause seyn sollte. Diese kleine Unruhe verschwand zwar in dem Augenblicke, da mir die schöne Kallippe in ihrem Zimmer mit Augen voll Dank und Liebe entgegen kam; doch kehrte sie von Zeit zu Zeit wieder, wiewohl ich sie zu unterdrücken suchte. Kallippe ward es endlich gewahr. Sie fragte mich nach der Ursache einer Unruhe, die sie noch nie an mir bemerkt hatte, und ich gestand ihr, daß ich sie und mich weder in diesen Mauern noch in diesem Zimmer für sicher halten könne. – Ohne Zweifel schlagen unsre Herzen auch hier sympathetisch, sagte sie; du irrest dich nur in der Ursache. Auch mir, fuhr sie fort (und mit einem zärtlich wehmüthigen Tone, der alle meine Nerven in antwortende Schwingungen setzte), auch mir ahndet daß wir uns zum letztenmale [58] sehen. Nicht als ob wir hier das Mindeste zu befürchten hätten. Ich, liebster Proteus, zittre vor einer ganz andern Gefahr, der einzigen, die ich zu befürchten habe – ich darf, ich kann dich nicht länger sehen. Frage mich nicht nach der Ursache – denn du bist unter allen Sterblichen der letzte, der sie wissen darf.

Diese mir ganz neue Sprache setzte mich in Erstaunen: aber Kallippe ließ mir keine Zeit zu mir selbst zu kommen. Sie sagte mir, mit einem Ausdruck von Wahrheit und zugleich mit einer Sanftheit, die ihren Worten einen unbeschreiblichen Zauber gab, das Zärtlichste was die erste Liebe einem gefühlvollen jungen Weibe eingeben kann; und das Ende davon war die Wiederholung, daß wir uns zum letztenmal gesehen hätten. Wir müssen scheiden, rief sie mit erstickter Stimme, indem sie ihre schönen Arme um meinen Hals wand – Lebe wohl, Proteus! und erinnere dich zuweilen – der Unglücklichen, die dich deiner und ihrer Tugend aufopfert! – Lebe wohl!

Ein so unvermutheter Sturm, auf mein Herz und meine Sinne zugleich, war zu stark um seine Wirkung zu verfehlen; aber es kam noch ein Umstand hinzu, der den Sieg der schönen Kallippe über den unerfahrnen Neuling entscheidend machen mußte. Sie war bei allen unsern Zusammenkünften immer äußerst anständig gekleidet gewesen. Dieß war sie, dem ersten Anblick nach, auch jetzt; nur für die heftigen Bewegungen des Schmerzes und der Liebe, denen sie sich in diesen Augenblicken des Scheidens überließ, zu leicht. Freilich war es eine sehr warme Sommernacht: aber für eine so zärtliche Abschiedsscene war eine Tunica, die ein einziger Seidenwurm [59] hätte gesponnen haben können, gar zu dünn; und als die zärtliche Kallippe ihre Arme um meinen Nacken wand, und in einem Augenblicke, wo der Gedanke eines ewigen Scheidens sie außer sich setzte, ihren Busen etwas zu heftig an den meinigen drückte, kam natürlicherweise eine so duftartige Hülle in eine Unordnung, die in einem solchen Moment ihren Reizen ein zu großes Uebergewicht über meine unverwahrten Sinne gab.

Was in diesem Augenblick in mir vorging, ist schwer zu beschreiben. Ein allgemeines Zittern überfiel mich, mir ward schwindlig und dunkel vor den Augen, und ich wäre, glaube ich, zu Boden getaumelt, wenn mich Kallippe nicht in ihren Armen aufgehalten, und zu ihrem Ruhebette geführt hätte, wo ich in kurzem wieder zu mir selber kam, indessen sie, den rechten Arm noch immer um meinen Leib geschlungen, Augen auf mich heftete, die alles Feuer der Liebe in mich zu ergießen schienen. Die Sklavin war bei dieser Scene nicht zugegen; Kallippe mußte meinen Zufall nicht für gefährlich genug gehalten haben, sie um Hülfe zu rufen.

Die Götter mögen wissen, wie das alles sich geendigt hätte, wenn nicht in diesem Augenblick ein großer Lärm im Hause uns auf einmal aus unserm Taumel gerissen und genöthigt hätte, auf das, was außer uns vorging, Acht zu geben. Wir sind verrathen, rief die bestürzte Kallippe, indem das Getümmel immer näher kam, und die donnernde Stimme des Menekrates sich bereits deutlich unterscheiden ließ. Ich sprang auf, und brauchte mich nicht einen Augenblick zu besinnen, [60] daß außer meinem plötzlichen Verschwinden kein Mittel sey die Dame und mich zu retten.


Lucian.


In solchen Fällen haben die Dämonen ohne Körper ein beneidenswürdiges Vorrecht.

Peregrin.


Ich lief an das Fenster, das in den Garten ging: aber, außerdem daß die Höhe für einen Sprung zu gefährlich war, sah ich den Garten von verschiedenen mit Knütteln und Stangen bewaffneten Sklaven besetzt, in deren Hände zu fallen noch gefährlicher schien. Ein anderes Fenster ging in einen kleinen Hof, der zu einem Holzbehältniß zugerichtet und mit einem Schindeldache versehen war, das nahe an Kallippens Fenster reichte, und von welchem es nicht unmöglich schien, durch einen Sprung auf das ziemlich flache Dach des niedrigen Seitengebäudes eines benachbarten Hauses zu kommen. Das Weitere mußte dem Zu fall überlassen werden. Menekrates pochte inzwischen, mit einem so lauten und herrischen Befehl aufzumachen, an der verschloss'nen Thür des Schlafzimmers, daß Kallippe, ohne den Verdacht zu vergrößern, nicht länger verziehen konnte sie zu öffnen. Ich wagte also den entscheidenden Sprung. Ich gelangte glücklich auf das benachbarte Dach, und von diesem in einen kleinen Garten, wo es mir nicht schwer fiel, über eine niedrige und baufällige Mauer in ein enges Gäßchen herabzuglitschen, an dessen Ausgang ich mich vor der Hinterthür meines eigenen Hauses, und einen Augenblick darauf in der Freiheit befand, von einer Gefahr, deren bloßer Gedanke alle meine Haare emporrichtete, [61] wieder zu Athem zu kommen. Allerdings war es viel Glück, daß ich meine so oft wiederholte Unvorsichtigkeit mit der bloßen Angst, noch immer wohlfeil genug, bezahlte: indessen verhielt sich die ganze Sache wie ich dir erzählt habe; die Prügel und der Rettig waren bloße Verzierungen womit dein Ungenannter das Geschichtchen seinen Zuhörern interessanter zu machen hoffte.


Lucian.


Wahrscheinlich wartete beides auf dich, wenn dir dein guter Dämon nicht noch so glücklich durchgeholfen hätte. Uebrigens sind diese Verzierungen, wie du wissen wirst, bei Geschichten dieser Art, wovon das Publicum meistens etwas, aber selten die wahren Umstände erfährt, zu gewöhnlich, als daß man dem Ungenannten ein großes Verbrechen daraus machen könnte, sie, vielleicht ohne historischen Grund, der bloßen Wahrscheinlichkeit zu Ehren hinzu gedichtet zu haben. – Aber wie erging es der armen Kallippe? Denn, wiewohl ich gestehe, daß sie mir in dieser ganzen Sache bei weitem nicht der unschuldigste Theil zu seyn scheint, so kann ich doch nicht umhin zu wünschen, daß sie nicht zu hart für eine so verzeihliche Schwachheit gebüßt haben möchte.


Peregrin.


Es war ein Glück für sie, daß ihre Sklavin die Geliebte eines Freigelass'nen war, welcher alles über den alten Menekrates vermochte, und sie, indem er sich für ihre Unschuld verbürgte, von der angedrohten Tortur rettete, die ihr ohne Zweifel das Geständniß der Wahrheit ausgepreßt haben würde. Kallippe, vielleicht nicht so unvorbereitet auf solche Scenen [62] als ich ihr zutraute, war Meisterin genug über sich selbst, um die Unwissende zu spielen; und da sich nichts fand, was gegen sie hätte zeugen können, so blieb sie am Ende noch berechtiget, Genugthuung von ihrem Unholde zu verlangen, dessen unzeitige Eifersucht ihren sanften Schlummer gestört und ihre unbefleckte Ehre angeschmitzt hatte. Zu gutem Glücke war mein Vater eben wieder nach Hause gekommen. Ich entdeckte ihm den ganzen Hergang; er nahm sich seiner beleidigten Nichte an: und da beide Theile ihre Ursachen hatten, die Sachen nicht aufs äußerste zu treiben und dem Gelispel der Parianer je eher je lieber ein Ende zu machen; so überließ Menekrates seiner Gemahlin die Freiheit, über sein Haus in der Stadt und über ihre Tugend nach eigenem Gutdünken zu schalten, und zog sich bald nachher auf eines seiner Landgüter zurück, während ich in aller Stille Anstalten traf, an eben demselben Tage nach Athen abzureisen.

Das sonderbare Vorgefühl, womit ich in die ehrwürdige Minervenstadt eintrat, – die Meinung von ihrem hohen Alterthume, das sich bis in die Götterzeit verlor, – die Heiligkeit eines Ortes, wo man keinen Schritt thun kann, ohne dem Denkmal eines Gottes oder Hero's oder merkwürdigen Menschen zu begegnen – die Erinnerung an ihren ehemaligen Glanz, an alles was sie einst war, und was Griechenland, und durch dieses die ganze Welt ihr zu danken hat, – im Gegensatz mit ihrer jetzigen Stille und Ruhe, stimmte in den ersten Tagen meines Aufenthalts zu Athen meine vorhin schon wunderbar genug gestimmte Seele in einen Ton von Melancholie und Feierlichkeit, der mit dem leichten [63] muntern Geiste der Athener einen starken Mißklang machte. Wenig um diese letztern und um alles Unbedeutende was sie thaten, da sie nichts Bedeutendes mehr zu thun hatten, bekümmert, entzog ich mich beinahe aller Gesellschaft, hielt mich immer an den einsamsten Orten auf, besuchte den Keramikus 41, die Akademie, die Pökile, das Lykeion, nur in den frühen oder nächtlichen Stunden, wenn sonst niemand da zu sehen war: kurz, anstatt wie andere Leute in dem wirklichen Athen zu leben, schwebte ich bloß wie ein abgeschiedener Geist über dem Grabe des großen und herrlichen Athen, das – nicht mehr war.

Die Schulen der Philosophen hatten damals keinen aufzuweisen, der sich über das Gewöhnliche merklich erhoben hätte. Sogar unter denen, die sich mit dem Pythagorischen und Platonischen Costum decorirten, fand ich nicht Einen, von dem ich mich im geringsten angezogen gefühlt hätte. Da die Stadt, ihrer Größe ungeachtet, nur sehr mittelmäßig, wie du weißt, bevölkert war, und die Athener alle mögliche Muße hatten, sich um alles zu bekümmern was sie nichts anging: so beschäftigte ich eine Zeit lang ihre Aufmerksamkeit und ihren Witz, und sie ließen es nicht an Epigrammen fehlen, zumal da ihnen meine Lebensweise mit meiner Jugend und Gestalt sehr lächerlich abzustechen schien. Weil ich aber, ohne darauf zu achten, bei meiner Weise blieb, und nach Verlauf weniger Wochen in einem der nächst gelegenen Flecken ein Landhaus miethete, hörte ich bald auf, etwas Neues für sie zu seyn; und so wie ich ihnen aus den Augen kam, kümmerte sich niemand mehr um mein Daseyn, bis ein kleines [64] Abenteuer, das dein Ungenannter zu Elea nicht vorbeigelassen, aber eben so übel zugerichtet hat wie die Liebesgeschichte mit Kallippen, mich auf eine sehr unangenehme Art wieder in Erinnerung bei ihnen brachte.

Der Zufall ließ mich einst in einem Gehölz am Fuße des Pentelikus einen Knaben von vierzehn bis funfzehn Jahren finden, der dürres Reisig zusammenlas, und dessen ungewöhnliche Schönheit meine ganze Aufmerksamkeit an sich zog. Ich ließ mich in ein Gespräch mit ihm ein, und bewunderte die Offenheit und Lebhaftigkeit seiner Antworten. Auf einmal fiel mir die Anekdote von der ersten Bekanntschaft ein, welche Sokrates einst mit einem eben so schönen Knaben in einem engen Gäßchen von Athen gemacht hatte, und daß unter der Leitung des Weisen und seines Genius aus diesem Knaben der berühmte Xenophon geworden war. Mein Waldknabe schien mir ein nicht weniger glückliches Naturell zu versprechen; ich beschloß an ihm zu thun was Sokrates an dem jungen Xenophon gethan hatte, vergaß aber unglücklicherweise, daß Sokrates damals ein Mann von funfzig Jahren war, und ich kaum zwanzig zählte. Die Reinheit meiner Seele und die Unschuld meiner Absichten ließen mich an diesen Unterschied nicht denken; und es fiel mir – mir, der das Urtheil anderer Leute nie in Anschlag brachte – so wenig ein, daß jemand an meinem guten Willen für diesen Knaben etwas Tadelhaftes finden könnte, als wenn ich einen Vogel aus dem Walde mit nach Hause gebracht hätte, um ihn singen zu lehren. Ich hing damals, ohne daß mich meine kleine Erfahrung mit der schönen Kallippe behutsamer über diesen [65] Punkt gemacht hätte, noch sehr stark an dem Platonischen Glauben, daß die äußere Schönheit ein Widerschein der innern sey; und meine rasche Einbildung weissagte sich in meinem jungen Xenophon vielleicht einen künftigen zweiten Pythagoras oder Apollonius, ohne es nur für möglich zu halten, daß es eben so wohl ein Alcibiades 42 oder Kallias seyn könnte. Aber außer dem Verdienste, das ich mir durch die Pflege einer so schönen Pflanze um die Menschheit zu machen hoffte, hatte ich noch die besondere Absicht, mir in ihm einen künftigen Gehülfen in den Mysterien der hohen Magie zu erziehen, die damals das große Ziel meiner Wünsche und Gedanken war, und wozu ich die Pythagorische und Platonische Philosophie, welcher ich seit einiger Zeit mit großem Fleiß obgelegen hatte, als eine Vorbereitung ansah. Die Schönheit und Unschuld des jungen Gabrias war eine sehr wesentliche Bedingung zu meinen Absichten, so wie seine Unwissenheit kein Hinderniß derselben war. Denn je reiner ich seine Seele von erkünstelten Begriffen und falscher Wissenschaft fand, desto geschickter war sie, die Ideen aufzufassen, zu welchen ich sie nach und nach zu erheben hoffte.

Die Neigung, die den Knaben gleich anfangs zu mir zu ziehen schien, verwandelte sich ziemlich schnell in eine so große Anhänglichkeit, daß er mich bat, ihn als einen Menschen zu betrachten der mir gänzlich angehöre. Von dieser Zeit an lebte er einige Wochen beständig mit mir in dem vorerwähnten kleinen Landhause. Es zeigte sich indessen immer mehr, daß meine Hoffnungen von der Anlage des jungen Gabrias zu voreilig gewesen waren. Seine Lebhaftigkeit war mit einem [66] Leichtsinn und einem Hang zum Muthwillen und zur Sinnlichkeit verbunden, der ihn zum untauglichsten aller Menschen machte, in Mysterien eingeweiht zu werden, deren erste Stufe die Reinigung der Seele von allen thierischen Neigungen ist.

Sobald ich mich hiervon überzeugt hielt, verging mir alle Lust mich weiter mit ihm abzugeben. Hätte ich keine andern Zwecke mit ihm gehabt, als ihn zu einem leidlichen Bürger von Athen zu bilden, so war freilich die Hoffnung dazu nichts weniger als verloren; er konnte sogar werden was seine Landsleute einen liebenswürdigen Menschen hießen; denn er war der angenehmste Plauderer von der Welt, hatte Witz und drollige Einfälle, machte auf einen Blick das Lächerliche an einer Person oder Sache ausfindig, und besaß die Gabe, anderer Leute Stimme, Gebärden, Gang und übrige Eigenheiten nachzuahmen, in einem ungewöhnlichen Grade: aber für meine Absichten war er unverbesserlich, und ich suchte mich also je eher je lieber von ihm loszumachen. Dennoch wußte er mich zwei- oder dreimal durch seine außerordentliche Liebe zu mir, die er meisterlich spielte und mit den zärtlichsten Liebkosungen begleitete, wieder dahin zu bringen, daß ich ihn noch länger bei mir duldete: bis endlich sein Betragen (welches einem weniger Unerfahrnen schon lange hätte verdächtig seyn müssen) keinen Zweifel mehr übrig ließ, daß er sich an mir eben so sehr betrogen habe als ich mich an ihm.

Er wurde noch an demselben Tage aus dem Hause geworfen; aber auch an demselben Tage meldete sich ein alter schlecht gekleideter Mann mit einer Miene von böser Vorbedeutung, [67] als Vater des jungen Gabrias, bei mir, beklagte sich mit großer Heftigkeit, daß ich seinen Sohn – das unschuldigste Kind von der Welt, eh' er in meine Hände gefallen sey – verführt hätte, und forderte Genugthuung deßwegen, wenn ich nicht wollte, daß er seine Klage gegen mich noch in dieser Nacht im Areopagus laut erschallen ließe. Ich merkte bald genug, daß ich einen Mann vor mir habe, dem es nicht um Versicherungen oder Beweise meiner Unschuld, sondern um mein Geld zu thun war; und alle Standhaftigkeit, die ich ihm entgegen setzte, wurde zum Schweigen gebracht, da er mir sagte, daß Gabrias bereit wäre, über Gewalt gegen mich zu klagen. – Wie schlecht diese Leute auch waren, so war ich ein Fremder, ohne Freunde, und konnte darauf rechnen, ganz Athen, vornehmlich die ganze Zunft der Philosophen, die sich eine falsche Rechnung auf mich gemacht hatten, wider mich zu haben. Aber auch ohne diese Rücksichten hätte ich lieber mein ganzes Vermögen hingegeben, ehe ich in einem solchen Handel vor Gericht erschienen wäre. Ich bequemte mich also, dem alten Bösewicht die Summe worauf er bestand, und die in der That nicht gering war, zu bezahlen, wie ich mich bequemt haben würde, mein Leben oder meine Freiheit von einem Seeräuber loszukaufen.

Dieser Zufall, der wie ein Blitz bei hellem Wetter auf mich herabstürzte, unterbrach das innere Geschäfte meiner Seele auf eine höchst schmerzliche Weise. Der Aufenthalt zu Athen wurde mir durch den Gedanken, was für Leute meinen guten Namen in ihrer Gewalt hätten, unerträglich; ich konnte mich nicht schnell und weit genug von Menschen [68] entfernen, die mir zu meinem Zwecke so wenig halfen, und unter welchen man solchen Bübereien ausgesetzt war. Ich packte also meine Sachen zusammen, und begab mich schon am dritten Tage nach dieser verhaßten Begebenheit an Bord eines Schiffes, das nach Smyrna abzugehen begriffen war.


Lucian.


Was du thatest um dir dieses Gesindel vom Halse zu schaffen, würde ich, und vermuthlich ein jeder anderer, an deinem Platze auch gethan haben; wiewohl vielleicht wenige seyn mögen, die zu einem so schlimmen Handel so unverschuldet gekommen wären wie du. Der Verfasser der Liebesgötter 43, zu denen ich eben so unschuldig Vater seyn muß, würde gesagt haben, du hättest deine Strafe durch deine Unschuld verdient: aber, meiner Meinung nach, verdientest du sie durch die Unvorsichtigkeit, dich mit einem dir unbekannten Athenischen Knaben – wenn er auch schöner als Ganymed und Adonis gewesen wäre – in einen Umgang einzulassen, der einen jungen Menschen von deinem Alter nothwendig verdächtig machen mußte; zumal da du den Vorwurf gegen dich hattest, ein Sonderling und ein Verächter der besten Gesellschaft zu seyn die vielleicht in der ganzen Welt zu finden war; denn dafür galten die Athener unsrer Zeit, und nicht ohne Grund, däucht mich. Uebrigens ist es sehr möglich, daß der Alte so ganz Unrecht nicht hatte, sich zu beschweren daß du seinen Sohn verführt habest.


Peregrin.


Wie so?

[69] Lucian.


Der Junge konnte wirklich, da du ihn im Walde antrafst, noch unschuldig und ohne die Sokratische Liebe die du so plötzlich auf ihn warfst, es noch lange geblieben seyn. Vermuthlich erzählte er zu Hause, was ihm mit dem schönen fremden Herrn im Walde begegnet sey. Sein Vater, ein dürftiger, schlecht denkender, und wo es auf Gewinn ankam wenig bedenklicher Mann, machte seine Glossen darüber. Natürlicherweise hatte er von einer so geistigen uninteressierten Liebe zu schönen Bübchen oder Mädchen, wie die deinige war, nicht die geringste Vorstellung noch Ahndung; er erkundigte sich vermuthlich nach dir, erfuhr daß etwas bei dem fremden Herrn zu gewinnen sey, machte nun seinen kleinen Plan auf den einen oder den andern Fall, und unterrichtete den Jungen wie er sich zu benehmen habe. Die Hoffnung eines namhaften Gewinns ist für Leute von diesem Schlag eine unwiderstehliche Verführung; und so hättest du dich denn doch, mit aller deiner Unschuld, als den Verführer des jungen Gabrias anzusehen.


Peregrin.


In diesem Sinne allerdings. Indessen war der weise Sokrates selbst, nach dem unverwerflichen Zeugnisse, welches ihm der schöne Alcibiades in ziemlich großer Gesellschaft darüber ertheilte, nicht reiner von diesem seinem Liebling, als ich von dem jungen Gabrias; wiewohl ich dich versichern kann, daß der berüchtigte Günstling Hadrians 44 ihm den Vorzug der Schönheit kaum hätte streitig machen können. Wäre ich gesinnt gewesen wie zehntausend andere, so hätte alles den gewöhnlichen [70] Gang genommen, und dein Unbekannter zu Elea würde wahrscheinlicherweise eine Verleumdung weniger gegen mich vorzubringen gehabt haben. Ich bezahlte also meine Tugend mit dreitausend Drachmen und einer Verwundung meiner Ehre, wovon ich die Narbe bis an meinen Tod behielt.


Lucian.


Deine Tugend, und – deinen Mangel an Klugheit, bitte ich hinzuzusetzen. Wer, ohne sich den Gesetzen dieser letztern, welche die große Tugend des gesellschaftlichen Lebens ist, zu unterwerfen, in seinem Betragen gegen andere bloß von seinem Herzen und von einer idealischen Vorstellungsart geleitet wird, läuft immer Gefahr ähnliche Erfahrungen zu machen.


Peregrin.


Diese Klugheit war freilich nie meine Tugend. Durch sie allein würde mein ganzes Leben eine andere Gestalt gewonnen haben, alle Abenteuer, woraus es zusammengeflochten ist, würden unterblieben, und Peregrin –


Lucian.


– würde, mit Einem Worte, nicht Peregrin gewesen seyn – welches, nach dem ewigen Beschluß der großen Pepromene 45, oder, wenn du lieber willst, vermöge der Natur der Dinge, eben so wenig möglich war, als daß Lucian unschuldiger Weise hätte in den Fall kommen können, aus dem Fenster des alten Rathsherrn Menekrates zu springen, oder einem Athenischen Sackträger dreitausend Drachmen dafür zu bezahlen, daß er seinem Jungen einen Kuß auf die Stirne gegeben hätte.

Zweiter Abschnitt
[71] Zweiter Abschnitt.

Peregrin.


Ich sollte nun in meiner Apologie, wenn ich es so nennen kann, auf den Tod meines Vaters und meine Gemeinschaft mit den Christianern kommen. Aber es verflossen einige Jahre zwischen diesen Begebenheiten und meinem Aufenthalt zu Athen. Willst du daß ich diese überspringen soll? oder hast du Geduld genug die Erzählung etlicher Geschichten anzuhören, die diese Zwischenzeit ausfüllten, und in der That zu besserer Uebersicht des Ganzen meines Lebens nicht gleichgültig sind, wiewohl dein Unbekannter nichts davon wußte?


Lucian.


Du bist mir, ohne dir eine Schmeichelei sagen zu wollen, aus dem was du mir bereits vertraut hast, interessant genug geworden, daß mir kein Umstand gleichgültig seyn kann, der deinen Charakter stärker oder von einer neuen Seite beleuchtet, und mir begreiflicher machen hilft, was ich in deinem Leben zweideutig, räthselhaft und übel zusammenhängend fand.


[72] Peregrin.


So mache dich immer auf eine sehr seltsame Geschichte gefaßt! Aber ehe ich dahin komme, wird es nöthig seyn noch ein paar Worte von der innern Verfassung zu sagen, worin ich mich befand, als ich den Entschluß nahm nach Asien überzugehen.

Seitdem mich der Dämon der Liebe, den die Wahrsagerin Diotima dem Sokrates offenbarte, auf die Entdeckung gebracht hatte, daß ich selbst ein eingekörperter Dämon dieser Art sey, schien mir nichts natürlicher, als das Verlangen, mich selbst und die Wesen meiner Gattung sowohl, als die höhern, mit denen meine Natur verwandt war, besser kennen zu lernen. Diese Kenntniß war die einzige die ich meiner würdig hielt, da sie mich geraden Weges zur Eudämonie führte, jener erhabenen Geisterwonne, die mir nichts Irdisches weder geben noch rauben konnte, und nach welcher zu streben mein angebornes Vorrecht war. Und was konnte diese Eudämonie anders seyn, als das Leben eines Dämons zu leben, mit Dämonen und Göttern umzugehen, und von einer Stufe des Schönen zur andern bis zum Anschauen und Genuß jener höchsten Urschönheit 46, jener himmlischen Venus zu gelangen, welche die Quelle und der Inbegriff alles Schönen und Vollkommnen ist?

Die große Frage blieb indessen immer: wie, auf welchem Wege, und durch was für Mittel dieß geschehen könne? und, wofern es mehrere Wege gäbe, welches der nächste und kürzeste wäre? Da es mir nun ausgemacht schien, daß unter den Alten Pythagoras und unter den Neuern Apollonius zu dieser [73] hohen Eudämonie, und vielleicht zur höchsten Stufe derselben, gekommen seyen: so war meine erste Sorge, mich mit diesen so bekannt zu machen, als es durch eignes Forschen in allem was sie hinterlassen, und durch vertrauten Umgang mit Personen, die in den Mysterien ihrer Weisheit wirklich eingeweiht wären, geschehen könnte. Die Hoffnung, Einen wenigstens von dieser Classe zu Athen zu finden, war mir fehl geschlagen: die wenigen Pythagoräer, die ich dort sah und hörte, schienen Leute zu seyn, die sich an den äußerlichen Formen ihres Ordens und an Ansprüchen begnügten, welche sie zu realisiren weder wußten noch begehrten. Ich sah mich also genöthigt die einsame Lebensart zu erwählen, die den Zerstreuung liebenden Athenern so lächerlich vorkam, und mich auf mein eigenes Forschen, und auf die Reinigungen und Uebungen der Seele einzuschränken, welche die natürliche Vorbereitung zu den höhern Stufen waren, die ich so sehnlich zu ersteigen wünschte.


Lucian.


Und fandest du denn, guter Peregrin, in ganz Athen keine ehrliche Glycerion, die dir die Wohlthat erweisen konnte, dich von allem diesem Unsinn auf einmal und von Grund aus zu entledigen? Denn, so viel ich merken kann, fehlte dir doch nichts als diese Cur.


Peregrin.


Um einen Arzt zu suchen oder zuzulassen, Lucian, muß man sich für krank halten, und davon war ich himmelweit entfernt. Auf dem Wege der Enthaltung, den ich ging, begegnet man keiner Glycerion, und wäre es geschehen, ich würde sie wie eine Empuse 47 geflohen haben.


[74] Lucian.


Sage mir nur noch dieß Einzige: da du doch deine ganze Existenz an eine Eudämonie setztest, die dich mit Dämonen und Göttern in Gemeinschaft bringen sollte, stieg dir nie ein Zweifel über das Daseyn dieser wunderbaren Wesen auf? Fragtest du dich nie selbst: woher weiß ich daß es Dämonen und Götter gibt?


Peregrin.


Nie in meinem ganzen Leben! so wenig als es mir je einfiel mich zu fragen, ob es eine Sonne in der Welt gebe?


Lucian.


Aber daß die Sonne da sey, sahest du –

Peregrin.


Mit dem körperlichen Auge, aber nicht gewisser, als den Gott der Sonne mit dem geistigen.

Lucian (den Kopf ein wenig schüttelnd).


Also weiter, Freund Peregrin!

Peregrin.


Es scheint, lieber Lucian, man müsse aus eigener Erfahrung wissen, was es ist, seine Seele mit lauter Idealen von Schönheit und Vollkommenheit angefüllt zu haben; welche innere Ruhe, welche Freiheit und Größe es gibt, auf alle Gegenstände der Wünsche und Leidenschaften der Menschen mit Verachtung herabzusehen, – im Getümmel aller dieser nach der Erde hin gebückten Geschöpfe seine eigene höhere Natur zu fühlen – und, während sie einen nie gesättigten Hunger mit thierischen oder wesenlosen Befriedigungen zu stillen suchen, sich am reinen Ambrosia der Götter, an Schönheit, Harmonie [75] und Vollkommenheit zu weiden – kurz, mitten in der Hülle der groben Sinnenwelt, in einer lichtvollen und gränzenlosen Welt von Geistern und Ideen zu leben: man muß, sage ich, vermuthlich aus Erfahrung wissen was für eine Existenz dieß ist, oder du würdest mich in diesem Zustande nicht so bedauernswürdig finden, als du zu thun scheinst. Aber solltest du nicht wenigstens dieß erfahren haben: daß es Träume gibt, die uns glücklicher machen, als wir wachend je gewesen sind, und deren wir uns, selbst nach dem Erwachen, noch immer mit Vergnügen erinnern?


Lucian.


Träume? – Allerdings! – Aber wie ging es dir denn auf der Fahrt nach Smyrna? Ihr hattet doch günstigen Wind und gutes Wetter?


Peregrin (lächelnd).


Sehr gutes. Wir kamen glücklich zu Smyrna an, und mein Genius wollte mir so wohl, daß ich gleich in den ersten Tagen die Bekanntschaft eines eisgrauen alten Mannes, Namens Menippus, machte, der keiner von den Unangesehensten in der Stadt war, und in seiner Jugend mit dem Weisen, den ich genauer zu kennen so begierig war, mit dem großen Apollonius, vielen Umgang gepflogen hatte.


Lucian.


Wie? doch nicht des Menippus, von dem uns der aberwitzige Damis in seine Reisen des Apollonius das abgeschmackteste aller Ammenmährchen erzählt, die Geschichte von der Empuse oder Lamie, die, um diesen Menippus in sich verliebt zu machen, die Gestalt einer schönen Frau aus Phönicien angenommen,[76] ein prächtiges Haus gemacht, und die Sache zwischen ihr und ihrem verblendeten Liebhaber bis zur Hochzeit getrieben habe; da denn der theure Wundermann Apollonius ganz unerwartet zum Hochzeitschmause gekommen, das ganze Zaubergastmahl sammt allem Gold- und Silbergeschirr und allen Bedienten verschwinden gemacht, und die arme in Thränen zerfließende Braut genöthigt habe, zitternd und zähnklappend zu gestehen, daß sie eines von den Gespenstern sey, womit die Ammen den unartigen Kindern zu drohen pflegen, und daß sie den holden Menippus bloß darum an sich gezogen, um ihn erst recht fett zu machen und dann lebendig aufzuessen, indem sie und die übrigen Lamien, ihre Schwestern, gar große Liebhaberinnen von jungen wohl genährten Mannspersonen seyen, weil sie so reines Blut hätten? War's etwa der?


Peregrin.


Eben der, Lucian, wiewohl er die Geschichte mit der Lamie, wie du leicht erachten kannst, etwas anders erzählte. Das angebliche Gespenst war weder mehr noch weniger als eine ausländische Hetäre, die schon seit mehrern Jahren zu Korinth unter dem Namen einer Phönizischen Dame junge Leute an sich gezogen, und auf die eine oder andere, oder auch auf beiderlei Art zugleich, so gut ausgezogen hatte, als es eine leibhafte Empuse nur immer hätte thun können. Menippus, der sich damals zu Korinth aufhielt und ein wohlgemachter athletenmäßiger junger Mensch war, hatte sich ebenfalls in den Netzen dieser schönen Menschenfresserin gefangen; und Apollonius, der ihn wenige Wochen zuvor in voller Blüthe und Jugendkraft gesehen hatte, brauchte weder ein Prophet noch[77] ein Halbgott zu seyn, um ihm die Verheerung, welche die Phönicierin an den Rosen seiner Wangen angerichtet hatte, auf den ersten Blick anzusehen. Er brachte den jungen Menschen, der ihm sehr ergeben war, ohne Mühe zum Geständniß, und Menippus mußte ihm versprechen, einem so gefährlichen Umgang zu entsagen. Aber die Phönicierin hatte keine Lust, sich einen Liebhaber rauben zu lassen, von dessen Wichtigkeit niemand besser urtheilen konnte als sie. Sie hatte wirklich eine heftige Leidenschaft für ihn gefaßt, und da sie schon ziemlich weit über ihre Rosenzeit hinaus war, und bereits einen großen Theil ihrer Reizungen von der Kunst borgen mußte, beschloß sie, weil ihr kein anderes Mittel übrig blieb, den Menippus durch den Antrag ihrer Hand und der Reichthümer, die sie auf Unkosten ihrer Liebhaber erworben hatte, an sich zu fesseln. Dieser ließ sich in einem Augenblick von Schwäche überwältigen. Die Phönicierin veranstaltete eine prächtige Hochzeit, und legte bei dieser Gelegenheit alles ihr Silber und alle ihre goldnen und mit Edelsteinen besetzten Becher und Trinkschalen aus, um ihren Geliebten durch die Größe seines Glücks zu desto lebhafterer Dankbarkeit aufzufordern. Alles ging so gut wie sie es nur wünschen konnte: als auf einmal der von allem unterrichtete Apollonius erschien, und der Hochzeitfreude ein Ende machte. Das, wodurch dieser außerordentliche Mann den größten Theil seiner Wunder wirkte (sagte Menippus) war die majestätische Länge und Schönheit seiner Gestalt, und die Magie seiner Beredsamkeit, die durch sein Ansehen und den Ton seiner Stimme eine hinreißende Gewalt bekam – kurz, ein Aeußerliches, wodurch er Königen und dem Kaiser[78] Domitian selbst eine Art von Ehrfurcht zu gebieten gewußt hatte. Was Wunder, daß eine so mancher Schuld sich bewußte Dirne, wie diese, von der unerwarteten Gegenwart und der donnernden Anrede eines solchen Mannes , der sie eine Lamie schalt und seinen Freund aus ihren Klauen, wie er sagte, zu retten gekommen war, zu Boden geworfen wurde? Das Gastmahl, das Gold und Silber und die Bedienten verschwanden freilich, aber auf ihren eigenen Wink. Die bestürzte Phönicierin fiel dem Apollonius zu Füßen: allein, was hätten ihre Bitten und Thränen über diesen Mann vermögen sollen? Er führte die angefangene Vergleichung ihres Charakters und ihrer bisherigen Lebensart mit dem, was von den Lamien oder Empusen gefabelt wird, ohne alle Schonung und mit Worten von solchem Nachdruck aus, daß das arme Weib beinahe selbst zweifelte ob sie nicht wirklich eine Lamie sey – und endigte damit, daß er den erschrocknen und beschämten Menipp, mit der Autorität, die er sich über seine jungen Freunde zu geben wußte, beim Arm ergriff und mit sich davon führte, indem er zugleich der verblüfften Lamie befahl, unverzüglich aus Korinth zu verschwinden, und sehr nachdrückliche Drohungen hinzu fügte, wofern sie sich unterstände jemals wieder einem seiner Freunde nachzustellen.


Lucian.


So habe ich mir diese Geschichte immer gedacht, und es ist bei diesem, wie bei allen andern Mährchen des Babyloniers Damis, ziemlich leicht, das Natürliche und Wahre von dem Wunderbaren, wodurch er es, dem Genie seines Landes gemäß, aufzustutzen sucht, zu unterscheiden.


[79] Peregrin.


Der alte Menippus erzählte mir eine Menge dergleichen Anekdoten, worauf der Schildknapp Damis und andere seines gleichen ihren Glauben gründeten, daß Apollonius wenigstens ein Halbgott, wo nicht gar ein ganzer Mensch gewordner Gott gewesen sey; welche aber, seiner Meinung nach, weiter nichts bewiesen, als daß er ein Mann von ungewöhnlich großem Genie und Charakter war – und damit sehr viel bewiesen. Es ist natürlich, sagte er, daß derjenige von gemeinen Menschen für mehr als ein Mensch gehalten wird, der das Größte was ein Mensch seyn kann, und also so weit über sie erhaben ist, daß ihnen schwindelt wenn sie an ihm hinauf sehen. Wir stritten uns öfters über diesen Punkt; denn ich konnte dem angenehmen Wahne, den Apollonius für eines der glänzendsten Beispiele eines vermenschten Dämons zu halten, ohne eine allgemeine Umkehrung meiner ganzen Vorstellungsart unmöglich entsagen; und Menippus, entweder weil er diese Bemerkung gemacht hatte, oder weil er nicht stark an seinen Meinungen hing, begnügte sich bei unsern Disputen über diese Dinge gemeiniglich, sich mit einem ungläubigen Vielleicht in die Sokratische Unwissenheit zurückzuziehen.

Ich fragte ihn einst, wie es käme, daß ein Weiser von so außerordentlicher Art, wie Apollonius, keine Schüler, die seiner würdig wären, hinterlassen, und daß dieser zweite, oder vielleicht zum zweitenmal in die Welt gekommene Pythagoras auf die Pythagoräer unsrer Zeit so wenig gewirkt habe? Menippus schien dieß für eine Bestätigung und natürliche Folge seiner Meinung von der Person des Apollonius anzusehen.[80] Ein ungewöhnlich großer Mann, sagte er, hat eben deßwegen wohl dumpfe Anstauner, abergläubische Verehrer, kindische Nachahmer und mechanische Widerhaller seiner Worte, aber keine Söhne und Erben seines Geistes, seiner Naturgaben und seines Charakters. Indessen, wenn man einer Sage, die seit einiger Zeit sich verbreitet, glauben dürfte, so befände sich in der Gegend von Halikarnassus eine Art von Prophetin oder Magierin, die eine Ausnahme hiervon machte. Man spricht sehr verschieden von dem was sie seyn soll. Einige geben sie für eine Aegyptische oder Syrische Priesterin aus; nach andern ist sie nichts Geringer's als die Erythräische Sibylle 48, die nach einer Verschwindung von tausend Jahren sich wieder sehen läßt; die meisten aber halten sie für eine Tochter des Apollonius, dem sie ungemein ähnlich seyn soll, und geben ihr, um ihren Ursprung noch mehr zu verherrlichen, ich weiß nicht welche Göttin oder Nymphe zur Mutter, mit welcher er sie, nach seiner Verschwindung aus den Augen der Menschen, in einer der glücklichen Inseln 49, wohin er sich ohne zu sterben zurückgezogen, erzeugt haben soll. Kurz, diese Dioklea, wie sie sich nennt, ist eine sehr geheimnißvolle Person: aber darin stimmen alle Gerüchte von ihr überein, daß ihr nichts Vergangenes noch Künftiges unbekannt sey, daß sie mit den Göttern umgehe, viele Wunderkuren verrichtet habe, und überhaupt ganz unbegreifliche Dinge zu thun im Stande sey. Wenn mich, setzte er hinzu, mein hohes Alter nicht an Smryna fesselte, so hätte ich selbst die Reise nach Halikarnaß gemacht, um diese wundervolle Person kennen zu lernen, und zu sehen, ob sie dem Apollonius, [81] dessen Bild keine Zeit aus meinem Gedächtniß auslöschen kann, wirklich so ähnlich ist als man sagt. – Besitzest du, fragte ich ihn, keine Bildsäule oder Büste von ihm? – Mehr als Eine, erwiederte er, und führte mich sogleich in ein Museum, wo er mir unter andern Brustbildern großer Männer verschiedene zeigte, die den Apollonius vorstellen sollten, aber an deren jedem er vieles auszusetzen hatte. Ich drückte diejenige, die er für die ähnlichste erklärte, tief in meine Seele, und beschloß bei mir selbst (wiewohl ich ihm nichts davon merken ließ), daß sich der Mond nicht zweimal ändern sollte, ehe ich mich durch meine eigenen Augen überzeugt hätte was an der Sache wäre.

Ich machte die Reise von Smyrna nach Halikarnaß zu Lande, und mit solcher Eilfertigkeit, daß ich zu Ephesus nicht einmal so lange verweilte, um den Dianentempel zu sehen, dem ich zu einer andern Zeit eine große Reise zu Liebe gethan hätte. Je näher ich dem Ziel meiner Reise kam, je öfter hörte ich von der weisen Dioklea, oder Apollonia, wie sie von vielen genannt wurde, sprechen. Man erzählte seltsame und (wie es zu gehen pflegt) übertriebene Dinge von ihren Orakeln und Wundern, von ihrem einsamen Aufenthalt in einem heiligen Walde der Venus Urania, von ihrer Felsenwohnung, in welche keinem Menschen den Fuß zu setzen erlaubt sey, und wo sie von unsichtbaren Nymphen bedient werde, und wie übel es gewissen Verwegenen bekommen sey, die sich aus Vorwitz oder einer andern sträflichen Absicht hätten erfrechen wollen, ohne ihre Erlaubniß in ihre geheimnißvolle Wohnung einzudringen. Alles was ich hörte, vermehrte [82] mein Verlangen, mit dieser Tochter des Apollonius (wofür ich sie, ungesehen und ununtersucht, zu erkennen geneigt war) so bald als möglich genauer bekannt zu werden. Besonders war ich über den heiligen Hain der Venus Urania, worin sie sich aufhielt, erfreut: denn ich schloß daraus, daß sie mit dieser Gottheit, zu deren Anschauen zu gelangen schon lange das Ziel aller meiner Bestrebungen war, in unmittelbarer Verbindung stehen müßte. Die Schwierigkeit war nur, wie ich Zutritt bei ihr erhalten könnte, da meine Fremdheit, mein Geschlecht und meine Jugend meinen Wünschen nicht geringe Hindernisse entgegen setzten. Nach vielem Hin- und Hersinnen schien mir das schicklichste zu seyn, ihr mein Anliegen schriftlich vorzutragen. Ich machte ihr, mit Verschweigung meines Namens, in wenigen aber starken Zügen eine Abschilderung von mir selbst; entdeckte ihr das mich unumschränkt beherrschende Verlangen, in den Mysterien der höchsten und heiligsten Magie iniziiert zu werden, und wie weit ich es in der Vorbereitung dazu gebracht zu haben glaubte; und, um ihre Zuneigung desto eher zu gewinnen, setzte ich hinzu (wie es denn auch die reine Wahrheit war), daß ich der himmlischen Venus, als der ewigen Quelle und Fülle des höchsten und unvergänglichen Schönen, schon seit mehreren Jahren ein heiliges Gelübde gethan hätte, mich von aller irdischen Liebe und allem sinnlichen Liebesgenuß rein zu erhalten, und meine Seele sowohl als meinen Leib in unbefleckter Unschuld für ihren Dienst, dem ich mich gänzlich gewidmet hätte, aufzubewahren. Alles dieses vorausgeschickt, legte ich ihr diese zwei Fragen vor: ob mein Verlangen der [83] Göttin angenehm sey? und, was ich in diesem Falle weiter zu thun hätte?

In einer Entfernung von vierzig bis funfzig Schritten von dem Felsen, worin Dioklea sich aufhielt, lief eine hohe und dichte Hecke von wilden Myrten um denselben, deren Pforte immer verschlossen blieb. Vor dieser Pforte lag ein großer Sphinx von weißem Marmor, in dessen offnen Mund alle, welche die Prophetin um etwas befragen oder ersuchen wollten, ein Papier steckten, worauf ihr Anliegen kurz und deutlich ausgedrückt war. Aber so wie man ihre Antworten oder ihre Hülfe unentgeltlich erhielt, so war auch die Erlaubniß, sich durch dieses Mittel an sie zu wenden, auf eine einzige Stunde eines gewissen Tages in jeder Woche eingeschränkt, und die Erhörung hing gänzlich von der Willkühr der Göttin oder ihrer Priesterin ab. Auch durfte niemand, der sich einer Uebelthat oder Verunreinigung, wodurch er der Göttin mißfällig seyn könnte, bewußt war, den Graben überschreiten, der den heiligen Bezirk von dem übrigen Walde absonderte; und man pflegte sich daher gewöhnlich eines Knaben unter zwölf Jahren zu bedienen, um die Briefe oder die Zettel dem Sphinx in den Mund zu stecken.

Ich hatte mir jenseits des Grabens ein Zelt aufschlagen lassen, wohin ein einziger alter Diener, der bei mir war, meine unentbehrlichsten Bedürfnisse bringen mußte. Aber von dem Augenblick an, da ich meinen Brief an Dioklea abgelegt hatte, brachte ich den ganzen Tag in dem Innern des Hains zu, dessen heilige Dunkelheit und Stille das schicklichste Mittel war, die Abgeschiedenheit oder den Pythagorischen Tod 50, wodurch [84] ich in das dämonische Leben übergehen mußte, zu befördern, und mein Inneres dem himmlischen Lichte aufzuschließen, worin ich zum unmittelbaren Anschauen der göttlichen Dinge zu gelangen versichert war. Eine unzählige Menge schneeweißer Tauben schienen die einzigen Bewohner dieses Hains zu seyn, deren Farbe das Symbol der Reinheit, so wie ihr sanftes Girren (der einzige Laut der die tiefe Stille belebte) mir ein Bild des sehnenden Verlangens der Seele war, sich mit der höchsten Schönheit zu vereinigen. Die damalige Jahrszeit (es war im Anfang des Sommers), der reine Himmel dieses schönen Landes, dem wenige in der Welt zu vergleichen sind, die durch die lieblichste Kühlung gemilderte Wärme, alles trug das Seinige bei, einen Jüngling von zwanzig Jahren, der so sonderbar gestimmt war, in diese Art von wachenden Träumen zu versetzen, wo, unter einem Schlummer der Sinne den das Flattern eines Schmetterlings erwecken kann, das Zauberspiel der begeisterten Einbildung zum Anschauen und die leiseste Ahndung der Seele zur Empfindung wird, – wo wir in vorbei blitzenden Augenblicken sehen und hören, was keine Zunge beschreiben, kein Apelles malen, kein Günstling der Musen in Töne setzen kann, – und das, was wir in diesen unbegreiflichen Augenblicken erfahren, es uns vielleicht durch unser ganzes Leben unmöglich macht, dem Gedanken Raum zu geben, daß es Täuschung gewesen seyn könnte.


Lucian.


Eine glücklichere Stimmung hätte in der That die göttliche [85] Dioklea oder Apollonia ihrem künftigen Schüler nicht wünschen können!


Peregrin.


Nachdem ich den größten Theil des Tages und der Nacht auf diese Weise vorbei geträumt hatte, war ich endlich in einer süßen Ermattung unter einigen Lorberbäumen mitten im Hain eingeschlafen. Beim Erwachen fand ich die Antwort der Tochter des Apollonius auf meinem Schooße liegen. Wie groß war mein Erstaunen, als ich, der in meinem Briefe nicht genannt war und schwerlich in ganz Karien von jemand gekannt seyn konnte, die Aufschrift erblickte: An Peregrinus Proteus von Parium. Es konnte nur durch die Entzückung, in welche mich der Inhalt setzte, übertroffen werden. »Mein Verlangen war der Göttin angenehm, und noch heute sollte ich mich in der ersten Stunde nach Mitternacht vor der Pforte einfinden, die in den innersten Bezirk des heiligen Haines führte.«

Ich erlasse dir, lieber Lucian, die Beschreibung alles dessen, was bis zu dieser feierlichen ersten Stunde nach Mitternacht in mir vorging. Du kennst nun bereits deinen Mann so gut, als ein Geist aus deiner Classe ihn zu kennen fähig ist; und überdieß habe ich dir noch so viele sonderbare Dinge bis zu dem Augenblick meiner Verlüftung (wie es dein Unbekannter zu nennen beliebt hat) zu erzählen, daß ich mich, wo es nur immer ohne Nachtheil der Sache geschehen kann, der möglichsten Kürze werde befleißigen müssen.


Lucian.


Du kannst wenigstens auf einen willigen und dankbaren [86] Hörer rechnen, Peregrin. So lange du meine Aufmerksamkeit unvermerkt immer höher spannst, werde ich deine Erzählung nie zu umständlich finden.


Peregrin.


Nachdem ich mich in der heiligen Quelle, die aus einem Felsen des Hains hervor sprudelte, dreimal gewaschen, und ein schneeweißes Kleid angezogen hatte, begab ich mich an den bestimmten Ort, und wartete mit klopfendem Herzen bis die Pforte sich öffnen würde. Sie öffnete sich endlich, und schloß sich sogleich wieder hinter mir zu. Ich befand mich zwischen zweien mehr als mannshohen Myrtenwänden, in einem sehr langen Gange, der mich zu einem Rosenhain führte, wo die schönsten Rosen, die ich jemals sah, in unendlicher Menge und Mannichfaltigkeit der Formen an hoch aufgeschoss'nen und zierlich durch einander geschlungenen Büschen in voller Blüthe standen, und, im Glanze des beinahe vollen Mondes, durch die anmuthigste Vermischung von Licht und Dämmerung, und den Abstich starker Schlaglichter mit schwarzen Schatten, eine beinahe magische Wirkung auf mich thaten. Ich schien mir in die Sphäre verzückt zu seyn, die der eigene Wohnsitz der Göttin der Schönheit und Liebe ist; der Glanz, der mich umfloß, war der Wiederschein ihres Lächelns, und die Luft, die ich einsog, der Rosenathem ihres himmlischen Mundes. Das Wonnegefühl, wovon mein ganzes Wesen durchdrungen war, befreite mich von aller Bangigkeit; mir war als ob ich keinen Körper mehr hätte, ich fühlte mich lauter Seele, und noch nie war ich mir so lebhaft und innig meiner dämonischen Natur bewußt gewesen.

[87] In diesem Zustande irrte oder schwebte ich vielmehr unter den zauberischen Rosengebüschen umher, als eine ehrwürdige Gestalt langsam auf mich zu kam, in welcher ich, so wie sie sich näherte (es sey nun daß es Täuschung oder Wahrheit war), immer mehr und mehr die auffallendste Aehnlichkeit mit dem Bilde des Apollonius, und der Abschilderung, die mir der alte Menipp von ihm gemacht hatte, entdeckte. Es war eine Frau von hohem schlankem Wuchs und feiner Gestalt, dem Ansehen nach zwischen dreißig und vierzig, von einer schönen Gesichtsbildung, worin gerade so viel Weiblichkeit war, als erfordert wurde, den Ernst ihrer edeln, beinahe männlichen Züge angenehm zu machen. Sie war, über eine lange weiße schmal gefaltete Tunica, die ein breiter funkelnder Gürtel unter dem Busen zusammenhielt, in ein himmelblaues, mit silbernen Sternen durchwirktes Gewand gekleidet, dessen weite Aermel bis auf die halbe Hand herabhingen. Ihre schwarzen Haare, um die Stirn mit einer weißen priesterlichen Binde umschlungen, wallten in langen dichten Locken um ihre Schultern den Rücken hinab. Ich blieb stehen, indem sie mit Grazie und Würde langsam auf mich zu ging, und da sie in einer Entfernung von drei oder vier Schritten still hielt, näherte ich mich ihr ehrerbietig und sagte: ich glaubte mich nicht irren zu können, wenn ich die Tochter des großen Apollonius und die Erbin seiner erhabenen Weisheit in ihr verehrte; wer ich selbst wäre, hätte ich nicht nöthig derjenigen zu sagen, die mich in diesem Lande Unbekannten sogar ungesehen schon gekannt hätte. Sie erwiederte: »Ich würde mich nicht mehr hierüber wundern, wenn sie mir sagte, daß [88] ihr in der ersten Nacht meiner Ankunft zu Halikarnaß Apollonius im Traum erschienen sey, und sie angewiesen habe, mir zur Befriedigung meiner Wünsche behülflich zu seyn.« – Ich gestehe, daß sich meine Eigenliebe durch diese Eröffnung nicht wenig geschmeichelt fand; denn sie versicherte mich der Wahrheit meiner Meinung von mir selbst und aller meiner Lieblingsideen, und ich schien mir nun mit meinen stolzesten Ansprüchen nach nichts zu streben, als wozu ich gleichsam durch meine Geburt berechtigt war.

Dioklea führte mich hierauf aus dem Rosenwäldchen in einen Gang, der mit einer doppelten Reihe hoher Pomeranzenbäume besetzt war, und auf einer sanft emporsteigenden Anhöhe zu einem marmornen Tempel führte. Wir setzten uns unter dem vordern Säulengang auf eine Bank, und sie wußte mich, wiewohl sie wenig sprach, unvermerkt dahin zu bringen, daß ich ihr eine umständliche Erzählung der Geschichte meines Lebens machte. Bald darauf, als ich mit meiner Erzählung fertig war, stand sie auf, nahm mich bei der Hand, führte mich an der linken Seite der Anhöhe auf einem durch Gebüsche sich windenden Pfade herab, und, indem sie mich mit einem leisen Druck der Hand versicherte, daß ich bald wieder von ihr hören würde, sah ich mich unversehens wieder vor der Pforte, durch die ich herein gekommen war. Sie öffnete und schloß sich, wie das erstemal, von selbst, Dioklea war verschwunden, und ich befand mich in der Verfassung eines aus dem schönsten Traum erwachenden Menschen in dem äußern Bezirke des Hains allein.


[89] Lucian.


Deine Dioklea legitimirt sich als eine ächte Tochter des großen Apollonius; denn sie konnte ein wenig hexen, wie es scheint. Ich gestehe daß du meine Neugier gewaltig aufgeregt hast.


Peregrin.


Du wirst dich nicht betrogen finden, wenn du von einem solchen Anfange nichts Alltägliches erwartest.

Die Sonne hatte die Hälfte ihres Laufs zurückgelegt, als ich, nach einem leichten Mahle, unter dem angenehmen Gewirre von Gedanken, Ahndungen und Träumereien, die das Abenteuer der vergangenen Nacht in meiner Seele theils zurückgelassen theils erweckt hatte, einschlummerte, und nicht eher wieder erwachte, als nachdem sie bereits untergegangen war. Wie ich die Augen aufschlug, sah ich einen nackten Knaben von neun bis zehn Jahren vor mir stehen, dessen Schönheit mir mehr als menschlich schien. Mit Rosen bekränzt, in der Hand einen Lilienstängel, der mich an Anakreons Amor erinnerte, winkte er mir mit einem lieblich unschuldigen Lächeln, ihm zu folgen. Er ging immer schweigend vor mir her, und führte mich durch ein Gewinde unbekannter Büsche, auf einem durch Kunst geebneten schneckenförmig steigenden Pfad an einem Felsen hinauf. Auf einmal standen wir am Eingang einer hohen gewölbten Grotte, die von einer einzigen Lampe erleuchtet war, und in ihrer Vertiefung mit jedem Schritte niedriger und enger wurde. Mein kleiner Führer öffnete eine Thür, und ich befand mich in einem mit Marmor zierlich ausgelegten Vorsaale, durch dessen [90] innere Oeffnung ich in einem größern schön erleuchteten Gemach eine kleine Tafel gedeckt sah.

Indem ich mich nach meinem verschwundnen Führer umsah, kam mir die Tochter des Apollonius entgegen. Du bist mir zu gut empfohlen worden, Proteus – sagte sie mit einem leisen Lächeln, das den Ernst ihrer Züge sehr angenehm erheiterte und ihrer Miene etwas Einladendes gab – als daß es mir erlaubt wäre, dich nicht als einen Gast zu betrachten, den mir Apollonius zugeschickt hat. Und hiermit nahm sie mich bei der Hand und führte mich zu einem vergoldeten Stuhl, wo ich mich an der kleinen Tafel ihr gegenüber setzen mußte. Sie war leichter und einfacher als gestern, aber äußerst edel angezogen, und hatte mit ihrer priesterlichen Binde um die Stirn das Ansehen einer Vestalin in ihrer Hauskleidung. Die kleine Tafel war niedlich besetzt, und eine einzige junge Nymphe, lieblich und unentfaltet wie eine Rosenknospe, verrichtete den Dienst, der dabei nöthig war.

Während ich mit aller Eßlust eines Menschen von meinem damaligen Alter, der seit etlichen Tagen nur sehr leichte Mahlzeiten gethan hatte, dem Gastmahl meiner freundlichen Wirthin Ehre machte, sprach sie mit mir von meiner Reise, von den Schönheiten der Stadt Smyrna, und von dem Dianentempel zu Ephesus; und es schien ihren Beifall zu haben, daß ich, vor lauter Verlangen bald zu Halikarnaß zu seyn, keine Zeit gehabt hatte, dieses Wunder der Welt in Augenschein zu nehmen. Als die Tafel abgetragen war, goß sie etwas Wein in eine goldene Schale, machte der Göttin [91] eine Libation damit, und, nachdem sie die Schale wieder gefüllt hatte, brachte sie mir den gewöhnlichen Gast- und Freundschaftstrunk in einem Weine zu, der nur dem Nektar der Götter weichen konnte. Wir standen endlich auf; und während uns die junge Nymphe Wasser zum Waschen in einem vergoldeten Becken reichte, verschwand die Tafel, ohne daß ich sah wohin sie gekommen war.

Eine Anmerkung, die ich erst lange hernach machte, war, daß Dioklea bei allem Wunderwürdigen, das ihren Aufenthalt von der Wohnung gewöhnlicher Sterblichen unterschied, gerade so aussah als ob nichts Alltäglicher's seyn könnte als diese Dinge, und daß sie meine wenige Befremdung darüber eben so wenig zu bemerken schien. Bald nachdem wir von Tische aufgestanden waren, öffnete sie eine Thür, die auf eine kleine Terrasse führte, von welcher man über einen Theil dieser anmuthigen Wildniß, und weiter hin durch eine Oeffnung des Waldes in die See, wie ins Unendliche, hinaus sah. Hier setzten wir uns wieder, und die junge Nymphe brachte ihr eine Laute. Dioklea spielte einige sanfte melodische Stücke, und endigte mit einem Hymnus an Venus Urania, der meine Seele mit heiligen Gefühlen durchdrang; ich glaubte, die hohe Theano oder ihre Tochter Myja 51 dem still horchenden Pythagoras und seinen Freunden himmlische Ruhe zusingen zu hören. Nach dieser Pythagorischen Vorbereitung zum Schlafengehen gab sie die Laute zurück, führte mich in ein kleines, nur vom Mondschein schwach erhelltes Schlafgemach, das für mich zubereitet war, wünschte mir mit feierlicher Miene einen gesunden und heiligen Schlummer, und entfernte sich.

[92] Was dir vielleicht sonderbarer als alle diese Feerei vorkommen wird, ist dieß: daß ich das alles, wie gesagt, ohne Erstaunen oder Verwunderung, als etwas das meine Erwartung nicht übertraf, kurz als die natürlichste und schicklichste Sache von der Welt aufnahm. Die ganze Wirkung, die es auf mich that, war, mich gleichsam unter Gewährleistung aller meiner Sinne gewiß zu machen, daß ich wirklich bei der Tochter des Apollonius, der Erbin seiner Weisheit und erhabenen Geheimnisse, sey. Dieß vorausgesetzt, hätte alles noch weit außerordentlicher bei ihr seyn können, ohne daß ich einen Augenblick stutzig dar über geworden wäre. Meine Einbildung war von früher Jugend an mit allen Arten des Wunderbaren vertraut, und was im gemeinen Laufe der Dinge wunderbar heißt, war, nach meiner Vorstellungsart, in dem höhern Kreise, zu welchem Dioklea gehörte, natürlich. Ich überließ mich also mit dem ruhigsten Zutrauen der Freude über eine Aufnahme, die alles was ich erwarten konnte übertraf, und schlief in Hoffnungen ein, die der Traumgott selbst mit aller seiner gränzenlosen Macht nicht hätte übertreffen können.

Als ich mit dem Tag erwachte, war das erste was mir in die Augen fiel, ein wunderschönes Gemälde, welches in einem prächtigen Rahmen von vergoldetem Schnitzwerk eine ganze Wand meines Schlafgemachs einnahm. Es stellte Venus und Adonis vor: jene, in dem Augenblicke, wie sie, von einer rosenfarbnen Wolke umgeben, auf einer Anhöhe des Idalischen Hains aus ihrem Schwanenwagen steigt, indem eine von ihren Grazien die Zügel hält, und die beiden andern, mit der Göttin die schönste Gruppe machend, ihr im Aussteigen [93] behülflich sind; diesen, wie er, zu ihren Füßen liegend, mit dem wärmsten Ausdruck der anbetenden Liebe zu ihr emporschaut, in einer Stellung als ob er die Arme gegen sie ausbreiten wollte, aber plötzlich von einem heiligen Schauer zurückgehalten würde.

Es wäre schwer die Bewegungen zu beschreiben, die dieser unerwartete und meinen eigenen innern Zustand mir so lebhaft vorspiegelnde Anblick in meinem ganzen Wesen hervorbrachte. Genug, dieses Gemälde beschäftigte mich einige Stunden lang um so angenehmer, da ich es als ein Unterpfand betrachtete, daß ich dem Ziele meiner Wünsche nahe sey. Indessen, wie groß und blendend mir auch die Schönheit der Göttin anfangs vorkam, so verlor sie doch bei so oft wiederholtem Anschauen und Betrachten unvermerkt, und schien mir zuletzt weit unter dem Ideale zu bleiben, das ich in meiner Seele trug. Nicht als ob ich mir wirklich schönere Formen, oder im Ganzen ein vollkommneres Bild von ihr hätte einbilden können: sondern weil ihm die Glorie, worin ich sie mir dachte, alles das Unaussprechliche, Himmlische und Göttliche, das sich nicht malen läßt, fehlte, – oder vielmehr, weil das gemalte Bild die ganze Wirkung nicht auf mich that, die ich von einer Erscheinung der Göttin selbst erwartete. Indessen kam ich doch von Zeit zu Zeit zu ihm zurück, um den Gedanken an ihm zu nähren, was Adonis beim Anschauen der gegenwärtigen Göttin empfunden haben müsse, da der bloße gefärbte Schatten des Bildes, das ein Maler sich von ihr vorstellen konnte, schon so viel Anziehendes und Liebeathmendes hatte.


[94] Lucian.


Wie sehr, guter Peregrin, bestätigt dein Beispiel die große Wahrheit, daß es nicht die Dinge selbst, sondern unsre durch die Individualität bestimmten Vorstellungen von ihnen sind, was die Wirkung auf uns macht, die wir den Dingen selbst zuschreiben, weil wir sie unaufhörlich mit unsern Vorstellungen verwechseln!


Peregrin.


Ich sollte an diesem Morgen auf mehr als Eine Art überrascht werden. Indem ich verschiedene schöne Stücke, womit dieses Gemach ausgeziert war, durchging, ward ich auf einem kleinen Ecktische von Ebenholz eines elfenbeinernen Kästchens gewahr, worin ein goldner Schlüssel steckte. Da ich dieß für eine Erlaubniß ansah es zu öffnen, so schloß ich es auf, und fand – eine mit goldnen Buchstaben beschriebene Rolle von purpurfarbnem Pergament darin, welche die Ueberschrift hatte: Apollonius von Theophanien. 52 Du kannst dir vorstellen, mit welchem Entzücken, und zugleich mit wie viel Ehrerbietung und Glauben ich diesen kostbaren Schatz in die Hand nahm, und wie begierig ich zu lesen anfing. Ich war noch nicht weit gekommen, als mir Dioklea durch die junge Nymphe wissen ließ, sie wäre verhindert mich diesen Morgen zu sehen; ich würde aber etwas gefunden haben, das meine Muße hinlänglich beschäftigen könnte, und ich möchte es übrigens in allen Stücken so halten, als ob ich in meinem eigenen Hause wäre. Ich steckte also die Rolle in meinen Busen, und begab mich in eine Laube des Rosenhains, der nahe an Diokleens Felsenwohnung lag. Bald darauf erschien[95] der Knabe, der gestern mein Führer gewesen war, wieder, setzte ein aus Golddrath geflochtenes Körbchen, worin mein Frühstück war, auf einen kleinen Marmortisch, und schwand wieder aus meinen Augen, ohne ein Wort zu sagen. Ich brachte den ganzen Morgen mit Lesen und Wiederlesen der gefundnen Handschrift zu, die mir zwar in ihrer bildervollen mystischen Sprache nicht viel Deutliches offenbarte, aber eben darum mein Gemüth nur desto lebhafter in Bewegung setzte. Unvermerkt überschlich mich die Mittagshitze bei dieser süßen Beschäftigung, und ich schlummerte unter den seltsamsten Träumereien ein.

Als die schwülsten Stunden des Tages vorüber waren, ließ sich mein stummer Aufwärter wieder sehen, um mich in ein zierliches marmornes Bad zu führen, wo er mich stillschweigend mit allem bediente was man in einem Bade verlangen kann; denn bei Diokleen zeichnete sich alles durch Vollkommenheit aus. Wie endlich der Tag sich zu neigen anfing, ließ sie mir sagen, sie erwarte mich in der Grotte, wo sie in der heißen Jahrszeit den Abend zuzubringen pflegte. Sie empfing mich mit einem Ausdruck von Wohlwollen, der den Ernst ihrer Miene unvermerkt erheiterte. Das Buch des Apollonius von Theophanien wurde bald der Gegenstand unsers Gespräches; und da ich ihr auf die Frage, »ob ich alles darin verstanden hätte?« mit einem zögernden Nein antwortete, nahm sie davon Gelegenheit, mir über das, was mir nothwendig darin dunkel seyn müßte, so viel Licht zu geben, als ich dermalen ertragen könnte. Sie unterschied zweierlei Arten von Theophanien. Die Götter, sagte sie, sind von jeher [96] einigen besonders von ihnen geliebten Menschen sichtbar geworden: zuweilen ohne Zuthun der letztern, aus bloßem Antrieb ihres eignen freien Wohlwollens; zuweilen auf Veranlassung der Menschen, und durch die Mittel dazu bewogen, welche die theurgische Magie in ihrer Gewalt hat. Nicht als ob es nicht immer von den Göttern abhinge, sich mehr oder weniger, oder gar nicht mitzutheilen; sondern weil es möglich ist auf die Neigung ihres Willens selbst zu wirken, und sie durch die Allgewalt der Liebe zur Gegenliebe zu nöthigen. In jedem Fall aber ist es unmöglich anders zu dieser Mittheilung zu gelangen, als stufenweise, und durch Mittel, wodurch sie selbst, in eben dem Maße, wie wir uns zu ihnen erheben, sich zu uns herablassen. Die höchsten und wohlthätigsten Götter haben sich daher immer in menschlicher Gestalt gezeigt; und bloß hierauf gründet sich die Verehrung, die wir ihren Bildern, als Denkmälern ehemaliger Theophanien, und weil sie diese Gestalt gewissermaßen zu ihrer eigenen gemacht haben, schuldig sind. Nicht selten sind diese Bilder – nach Maßgabe der Stärke, womit die Seele durch ihr unverwandtes Anschauen sich von allen andern Bildern abzuscheiden, und in einem einzigen reinen Gedanken des Herzens sich die unsichtbare Gottheit selbst anschaulich zu machen fähig ist – Canäle außerordentlicher Gnaden der Götter gewesen; und es ist daher immer wohl gethan, sich dieses Mittels zu bedienen, was auch der Erfolg seyn mag; der zwar immer von der Willkür der Gottheit, aber gewiß sehr viel von der Beschaffenheit des Subjects und der Energie [97] der Gefühle abhängt, wodurch wir uns zu ihnen aufschwingen und sie zu uns herunter ziehen.

Diese Theorie – von welcher ich dir hier bloß einen leichten Umriß mache – hatte desto mehr Einleuchtendes für mich, da sie mit meinen eigenen Vorstellungen sehr gut zusammenstimmte, und mir zu einer vollgültigen Bestätigung derselben diente. Dioklea setzte noch verschiedenes hinzu, das mir einen hohen Begriff von ihren Einsichten in die göttliche Magie gab, und sprach unter andern mit Verachtung von gewissen Mitteln, wodurch manche angebliche Theurgen die Götter zum Erscheinen nöthigen zu können vorgäben. Es sey zwar nicht zu läugnen, sagte sie, daß es, zum Beispiel, gewisse auserlesene Wohlgerüche gebe, die ihnen angenehm seyen; denn sie liebten das Reinste und Vollkommenste in jeder Art: aber sie durch Räucherungen oder Zauberlieder anziehen zu wollen, sey ein kindischer Gedanke, und es werde nie ein anderes Mittel, sie zu uns zu ziehen, geben, als eben das, wodurch wir uns zu ihnen aufschwängen, nämlich das heißeste Verlangen einer von jeder andern Begierde und Leidenschaft gereinigten Seele. Vielleicht hätten jene vermeinten Theurgen gehört, die Götter pflegten ihre Gegenwart zuweilen durch himmlische Wohlgerüche oder Harmonien oder ein überirdisches Licht anzukündigen, und hätten hieraus, ohne Grund, den Schluß gezogen, daß man sie durch Fumigationen und Epoden 53 herbeilocken könne: immer sey es gewiß, daß die unächte Magie sich solcher Behelfe zu Bewirkung betrüglicher Theophanien und Geistererscheinungen bediene, aber eben darum [98] enthielten sich die wahren Theurgen dieser zweideutigen Mittel gänzlich.

Als sie zu reden aufgehört hatte, bat ich sie sehr inständig, mir, wofern sie mich dessen nicht unwürdig hielte, das Heiligthum der Göttin nicht länger zu verschließen, an dessen Schwelle sie mich vermuthlich bei unsrer ersten Zusammenkunft geführt hätte. Sie antwortete: dieser Tempel sey allen Profanen unzugangbar; aber mir sollte er, wie billig, noch in dieser Nacht geöffnet werden.

Bald darauf befahl sie unsre Abendmahlzeit zu bringen, welche, ganz nach Pythagorischer Weise, bloß aus einigen leichten Speisen und auserlesenen Früchten bestand; auch wurde bloßes Wasser aus krystallenen Bechern dazu getrunken, aber das reinste, leichteste und frischeste, das ich je getrunken hatte. Nach der Mahlzeit hörten wir in einiger Entfernung eine äußerst sanfte und herzerhöhende Musik von Instrumenten und Stimmen, ohne zu sehen wo sie herkam. Wir setzten uns auf eine Bank im Rosenhain, und hörten ihr eine Weile zu. Endlich wurde sie immer schwächer und schwächer, bis sie ganz in die Lüfte zu zerfließen schien. Wie wir nichts mehr hörten, stand Dioklea auf. Es ist Zeit, sagte sie, dein Verlangen zu befriedigen! – Du wirst das heilige Bild der Göttin sehen, und auf sie allein wird es ankommen, wie viel oder wenig sie dir durch dieses Mittel von sich selbst erblicken lassen will. Von nun an bis zum Aufgang der Sonne versiegelt das heilige Schweigen unsre Lippen!

Ich bückte ihr meinen Dank und meinen Gehorsam zu, und wir gingen mit langsamen Schritten den Pomeranzengang [99] zum Tempel hinauf. Als wir ankamen, fanden wir unter den Säulen rechter Hand drei junge Nymphen in langem weißem Gewande, und auf der Linken drei zwölfjährige Knaben, ebenfalls weiß gekleidet, auf uns warten. Dioklea schloß die äußere Pforte auf, und wir traten in eine Halle, in deren Mitte eine vergoldete Thür unmittelbar in den Tempel führte. Zu beiden Seiten war ein Gemach, zum Ankleiden der Personen, die in den Tempel eingehen durften, bestimmt. Dioklea begab sich mit den drei Nymphen in das eine, und winkte mir, den Knaben in das andere zu folgen. Alles was hier zu thun war, wurde stillschweigend verrichtet. Ich wusch vor allem mein Gesicht und meine Hände. Hierauf zogen sie mir mein Oberkleid ab, bekleideten mich mit einem langen Rock von weißer glänzender Seide, und gürteten mich mit einem breiten Gürtel von glattem Goldstoff mit den feinsten Perlen gestickt. Als ich angekleidet war, führten sie mich heraus, bückten sich, die Arme über die Brust gefaltet, vor mir und verschwanden.

Bald darauf trat auch die Priesterin wieder heraus. Sie war, über ein rosenfarbnes Gewand das nur bis an die Knöchel reichte, in ein violett purpurnes Oberkleid mit langen weiten Aermeln gehüllt; ihre dichten Haare flossen losgebunden um ihre Schultern, und mitten auf der priesterlichen Binde um ihre Stirn funkelte ein Stern von citronfarbnen Diamanten. Sie hatte in diesem Aufzuge beinahe selbst das Ansehen einer Göttin, und noch nie war sie mir so schön und blendend vorgekommen. Die drei Nymphen erschienen in einer Art enge gefalteter Leibröcke von weißer Seide, mit [100] breiten rosenfarbnen Gürteln, und ihre Haare waren mit einem goldnen Bande aufgebunden, dessen Enden an beiden Seiten bis an die Knie herabhingen. Alle vier gingen mit zur Erde gesenktem Blicke vor mir vorbei; Dioklea öffnete mit einem goldnen Schlüssel die innere Pforte des Tempels, trat mit ihren Dienerinnen hinein, und schloß die Pforte wieder hinter sich zu. Nach einer kleinen Weile that sich diese wieder auf, sie kamen heraus und langsam auf mich zu, jede etwas in der Hand haltend, das sie aus dem Tempel mitgebracht hatte. Dioklea band mir eine der ihrigen ähnliche Binde um die Stirn; eine der Nymphen setzte mir einen Myrtenkranz auf, die zweite gab mir einen Lilienstängel in die rechte Hand, und die dritte einen Rosenzweig in die linke. Hierauf berührte die Priesterin jedes meiner Augen mit den drei Mittelfingern ihrer rechten Hand, winkte mir in den Tempel hineinzugehen, und schloß die Pforte hinter mir zu.


Lucian.


Wahrlich, viel Ceremonien, und mehr als zu viel um diese Mysterien verdächtig zu machen! Ich bin ungeduldig zu hören, wie sich das alles enden wird.


Peregrin.


Was auch der Zweck dieser Feierlichkeiten war, so viel ist gewiß, daß mir das Herz beim Eintritt in den Tempel merklich höher schlug. Ich blieb nahe an der Pforte stehen, und faßte mich zusammen so gut mir möglich war, indem ich mich umsah und den edeln Geschmack der innern Baukunst und Verzierung bewunderte, so viel ich davon bei dem Lichtstrom sehen konnte, der aus einer halbrunden Vertiefung hervorbrach, [101] wo die Göttin in einer hohen vergoldeten Blende stand. Vor ihr, etwas seitwärts nach der rechten Hand, kniete ein marmorner Amor mit einer goldnen Pfanne, an Form dem Horn der Amalthea ähnlich, aus welcher mit dem lieblichsten Wohlgeruch eine ungemein helle Flamme in der Dicke einer Zirbelnuß emporloderte, und dem geglätteten Marmorbilde der Göttin eine zum Verblenden täuschende Beleuchtung gab. Dieses Bild war merklich größer als alle Venusbilder die ich noch gesehen hatte, und verband in meinen Augen die Majestät einer Göttin mit einer Schönheit, welche gleich beim ersten Anblick alles, womit man sie hätte vergleichen können, auslöschte, und nichts Vollkommneres wünschen ließ. Eine unfreiwillige Gewalt warf mich vor ihm auf die Erde nieder, ich betete in ihm den sichtbaren Abglanz der höchsten geistigen Schönheit an, und fühlte in seinem Anschauen mein ganzes Wesen in die reinste Liebe aufgelöst. Doch ich will nicht versuchen, unbeschreibliche Empfindungen oder Täuschungen, wenn du willst, beschreiben zu wollen; denn in der That war es doch wohl Täuschung, daß ich zuletzt, ob schon nur einen Augenblick, die Göttin selbst in ihrer ganzen überirdischen Glorie vor mir zu sehen glaubte.


Lucian (lächelnd).


Das sollt' ich beinahe auch vermuthen. Aber was wurde zuletzt aus dem allen?

Peregrin.


Ich ward endlich gewahr, daß die Fackel Amors, die zu diesen Mysterien unentbehrlich war, in wenig Augenblicken erlöschen würde, und zog mich, noch früh genug um die Thür [102] des Tempels ohne Tappen zu finden, zurück, nachdem ich meinen Myrtenkranz nebst dem Rosenzweig und Lilienstängel zu den Füßen der Göttin niedergelegt hatte. Ich fand vor der Thür einen von den Knaben, der mir das feierliche Gewand wieder abnahm, und ich kehrte mit einem neuen Bilde in meiner Seele zurück, das, so zu sagen, ihre ganze Weite ausfüllte, aber, anstatt kalter Marmor zu seyn, von aller der Liebe belebt war, die –


Lucian.


– der kalte Marmor in dir angezündet hatte!

Peregrin (nach einer kleinen Pause).


Mein Zustand in dieser Nacht war wachend und schlafend ein immer währender Traum von meiner angebeteten Göttin. Bald lag ich wieder im Tempel zu ihren Füßen, bald wandelte ich an ihrer Seite im Hain von Amathunt, bald fand ich mich mit ihr in die himmlische Sphäre der Schönheit und Liebe verzückt, und sah und fühlte unaussprechliche Dinge. Diese Gemüthsverfassung wäre vielleicht bei jedem andern völlig erklärter Wahnsinn geworden: aber bei mir war sie durch alles Vorhergehende so gut vorbereitet, hing mit meinen herrschenden Ideen so schön zusammen, und war meiner ganzen Art zu seyn so angemessen, daß ich mich in meinem Leben nie so heiter, so gut und so glücklich gefühlt hatte. Kurz, mein Zustand war – bei aller Ueberspannung meiner Phantasie – der Begeisterung, worin sich jeder gefühlvolle und noch ungeschwächte Jüngling in den goldnen Tagen der ersten Liebe befindet, ähnlich genug, um im Grunde die natürlichste Sache von der Welt zu seyn.

[103] Ich brachte einen Theil des folgenden Morgens mit Diokleen in den Rosengebüschen zu. Sie sagte mir: daß ich von nun an den Tempel so oft besuchen könnte als ich wollte, ohne daß es dazu ihrer Gegenwart oder besonderer Feierlichkeiten vonnöthen hätte; sie würde mir zu diesem Ende einen eigenen Schlüssel zustellen, um davon freien Gebrauch zu machen; nur mit dem einzigen Vorbehalt, daß der Tempel nie vor Untergang der Sonne aufgeschlossen werden dürfte, und bei ihrem Aufgang wieder zugeschlossen seyn müßte. Die Göttin, setzte sie hinzu, hat Wohlgefallen an der hohen Reinheit deiner Empfindungen, die unter den Sterblichen einem Wunder ähnlich ist; und ich müßte mich sehr irren, oder dir ist ein Loos beschieden, das selbst unter den Söhnen der Weisen nur selten einem Glücklichen zu Theil wird, wiewohl mir nicht erlaubt ist dir mehr davon zu sagen.


Lucian.


Aha! Ich sehe sie kommen! – Dachte ich's doch gleich vom Anfange an!

Peregrin.


Ich errathe deinen Gedanken; aber nicht zu voreilig, Lucian! du könntest dich betrogen finden. Man ist mit den Leuten, in deren Gesellschaft ich dich gebracht habe, nicht so leicht im Klaren. Gedulde dich! das Drama nähert sich seiner Peripetie 54.

Mein gestriger erster Besuch des Tempels, und was dabei in mir vorgegangen, war natürlicher Weise der vornehmste Gegenstand, worüber sich Dioklea mit mir unterhielt. Sie fragte mich, ob ich jemals zu Knidos gewesen sey? und [104] da ich mit Nein antwortete, fuhr sie fort: du kennst also die berühmte Venus des Praxiteles nur dem Namen nach; aber vermuthlich hast du die Venus des Alkamenes zu Athen gesehen? – Oefters, war meine Antwort: allein, o wie wenig ist sie mit dieser zu vergleichen! oder vielmehr, wie unendlich ist der Unterschied zwischen dem was ich beim Anschauen der einen und der andern erfahren habe! – Jene, sagte Dioklea, flößte dir wohl nur kalte ruhige Bewunderung ein; aber diese? – »Ein Gefühl, das meine Brust zu zersprengen schien, das meine ganze Seele kaum zu ertragen vermochte. In jener sah ich nur das Symbol der höchsten Schönheit; in dieser erkannte und fühlte ich die gegenwärtige Göttin selbst.« – Bei allem dem, versetzte sie, muß ich dich erinnern gegen deine Phantasie auf der Hut zu seyn; sie arbeitet oft zur Unzeit der höhern Einwirkung entgegen, und weidet uns mit Schatten, da wir ohne ihre zu große Dienstfertigkeit das Wesen selbst haben könnten. Du glaubtest die Gegenwart der Göttin zu fühlen, und es war vielleicht bloße Täuschung. Das sicherste Mittel dich vor den Blendwerken der Einbildung zu verwahren, ist ihrer Geschäftigkeit Einhalt zu thun, und dich gänzlich den Gefühlen deines Herzens zu überlassen. Durch diese allein kannst du hoffen, die Göttin dir günstig zu machen. Das Herz, nicht die Einbildungskraft, ist das Organ, das ihrer Mittheilungen empfänglich ist. – Nach diesen Worten verließ sie mich, damit ich mir diese Lehren durch eigenes Nachdenken wahr machen könnte.

Um deine Geduld durch Erzählung des stufenweisen Wachsthums meiner vermuthlich beispiellosen Leidenschaft nicht auf [105] eine allzu große Probe zu stellen, will ich von dem Besuche, den ich in der folgenden Nacht im Tempel machte, nichts weiter sagen, als daß dießmal die Art, wie das Anschauen der Göttin auf meine Sinne wirkte, indem ich mich (nach dem Rathe der Tochter des Apollonius) den Empfindungen, die sie mir einflößte, gänzlich überlassen wollte – zuletzt so lebhaft wurde, daß sie mich erschreckte und gegen mich selbst mißtrauisch machte. Ich eilte in großer Unruhe aus dem Tempel hinweg, und beschloß mich der Göttin nicht wieder zu nähern, bis ich durch die sorgfältigste Reinigung meiner Seele alles Sinnliche von meiner Liebe abgewaschen hätte, welche, meiner Meinung nach, ganz rein und geistig seyn müßte, um mich der wirklichen Theophanie als des einzigen Zieles meiner Wünsche fähig zu machen. Ich konnte nicht von mir erhalten, mit einer so heiligen Jungfrau, als Dioklea in meinen Augen war, von dieser Entschließung zu sprechen, weil ich mir keine Worte zu finden getraute, das, was sie veranlaßt hatte, zart genug auszudrücken, um keine unziemlichen Vorstellungen in ihr zu veranlassen. Sie konnte indessen leicht bemerken, daß es nicht ganz richtig mit mir stehen müsse: ich war unruhig, tiefsinnig, zerstreut, und suchte die Einsamkeit um meine Gemüthsverfassung vor ihr zu verbergen, ohne zu bedenken, daß ich sie eben dadurch verrieth. Indessen that sie doch, als ob sie nichts davon gewahr würde, und vermied, nach dem Beispiel das ich ihr gab, alles was mich zu einer Erklärung hätte nöthigen können. So ging der Tag vorüber, und in der nächsten Nacht hatte ich wirklich so viel Gewalt über mich selbst, mir das Anschauen meiner geliebten [106] Göttin zu versagen, wiewohl ich mich mehr als zehnmal auf den Weg machte, und einmal schon bis an die äußere Pforte gekommen war.

Diese grausame Selbstpeinigung kostete mir eine schlaflose Nacht. Meine Unruhe wurde dadurch mehr vergrößert als vermindert, und ich sah am folgenden Tage so blaß und hohläugig aus, daß Dioklea sich nicht länger überheben konnte, Kenntniß davon zu nehmen. Was ist mit dir vorgegangen, Proteus? fragte sie mich: wo ist deine vorige Heiterkeit und Ruhe? Woher diese Blässe deines Gesichts? dieses trübe Feuer in deinen Augen? Und warum besuchtest du gestern den Tempel nicht, sondern schweiftest die ganze Nacht durch im Hain und in den Gärten umher? – Ich fand lange keine Antwort auf diese Frage. Endlich bemühte ich mich, nicht ohne große Verlegenheit und vieles Stocken, in so behutsamen Ausdrücken als ich (mit Gefahr ein wenig unverständlich zu seyn) nur immer finden konnte, ihr die Bedenklichkeiten zu er öffnen, die mir die Pflicht auferlegt hätten, mich freiwillig aus den Augen Göttin zu verbannen. Sie schien mir mit Erstaunen in die Augen zu sehen, wiewohl sie mich mehr als zu wohl verstanden hatte. Sie schwieg eine gute Weile. Endlich nahm sie mich lächelnd bei der Hand und sagte: du bist ein wenig wunderlich, Proteus, und die Göttin ist nur zu gütig gegen dich. Steht es etwa nicht in ihrer Willkür, durch welche Art von Einwirkung sie ihre Macht über dich beweisen will? Und wie sollten deine Sinne allein bei den entzückenden Einströmungen ihrer Gegenwart unempfindlich bleiben, da sie sogar die leblose Natur mit Wonnegefühlen durchschüttert? [107] Wie kannst du glauben, daß die Göttin etwas Unmögliches und Unnatürliches von dir fordern werde? – Ist die Liebe, die sie dir eingeflößt hat, nicht ihr eigenes Werk? Kann Liebe ohne Verlangen, Verlangen ohne Ausdruck seyn? Die reinste Liebe – Venus Urania kann keine andere erwecken! – veredelt und verfeinert die Sinne, erhöht und begeistert sie, aber vernichtet sie nicht.

Dioklea war, indem sie dieß sagte, lebhafter geworden als ich sie noch nie gesehen hatte: sie bemerkte dieß vielleicht in meinen Augen, und hielt auf einmal ein. – Soll ich dir sagen (fuhr sie nach einer ziemlich langen Pause in einem ruhigern Tone und mit einem kaum merklichen ironischen Lächeln fort), soll ich dir sagen, was ich von deiner Liebe denke? Sie täuscht dich! oder vielmehr, du täuschest dich selbst mit einer Art von phantasierter Liebe, die du gleichsam durch Kunst und durch theurgische Mittel in dir erzwingen willst, weil du dich durch sie zu einer Stufe von Vollkommenheit empor zu schwingen hoffest, die deiner stolzen Eigenliebe schmeichelt. Wahre Liebe ist zu stark an ihren Gegenstand geheftet, zu tief in ihn versenkt, um so viel auf sich selbst Acht zu geben, und so behutsam und ängstlich über unbedeutende Dinge zu seyn. Du bist vielleicht einer sich so rein und ganz hingebenden Liebe nicht fähig: aber, glaube mir, die Götter lassen sich mit weniger nicht abfinden; und wiewohl es möglich ist, durch ihre besondere Gunst zu jener Theilnehmung an ihrer Macht zu gelangen, die das einzige Ziel deiner Wünsche scheint, so gibt es doch kein Mittel ihnen diese Gunst wider ihren Willen abzunöthigen.

[108] Dioklea berührte mich durch diese Rede an einem sehr empfindlichen Theile; denn in der That war ich mir sehr wohl bewußt, mit den Absichten, die sie mir zuschrieb, zu ihr gekommen zu seyn: aber auf der andern Seite fühlte ich noch lebhafter, daß mir das Bild der Göttin eine Liebe eingehaucht hatte, die meine ganze Seele beschäftigte, und wovon das, was ich ehemals für Kallippen fühlte, kaum eine leise Ahndung genannt werden konnte. Da mich nun ihr Vorwurf von dieser Seite nicht traf, so antwortete ich mit einer Zuversicht, die ihr vermuthlich nicht unangenehm war: dießmal wäre wohl, wenn ich es sagen dürfte, sie selbst diejenige die sich irrte, wenn sie mich beschuldigte, daß meine Liebe bloßer Selbstbetrug, oder gar eine heuchlerische Maske eigennütziger Absichten sey. Ich erklärte mich so warm und lebhaft über diesen Punkt, daß sie genöthigt war, ihren Worten einen mildern Sinn zu geben, oder vielmehr zu behaupten, ich hätte den ihrigen nicht recht gefaßt. Dieser kleine Streit, der erste und letzte den wir mit einander hatten, endigte sich in einer Aussöhnung, wodurch wir bessere Freunde wurden als jemals, und brachte eine Lebhaftigkeit in die Unterhaltungen dieses Tages, die der Einförmigkeit unsrer Lebensart sehr zu Statten kam.

Meine Ungeduld die Göttin wieder zu sehen gab den Vorstellungen, welche Dioklea meinen vielleicht allzu zärtlichen Bedenklichkeiten entgegengesetzt hatte, so viel Gewicht, daß ich das Ende eines Spaziergangs, wozu sie mich nach der Abendmahlzeit einlud, kaum erwarten konnte, wiewohl sie sich's so angelegen seyn ließ mich angenehm zu unterhalten, daß sie [109] nicht wohl befürchten konnte mir lange Weile zu machen. Es war schon ziemlich spät, als sie sich von mir beurlaubte, und ich eilte nun mit geflügelten Schritten dem Tempel zu. Nie hatten die Nachtigallen, die in großer Menge ein dichtes Gehölze zur Linken des Tempels bewohnten, sich so sehr beeifert meine Aufmerksamkeit auf ihre lieblichen Wettgesänge zu ziehen; aber nie war es ihnen weniger gelungen. Meine ganze Seele war bereits in meinen Augen. Ich verdoppelte meine Schritte, schloß die Pforten des Tempels hastig auf, und – stand auf einmal wie versteinert, da ich Amors Fackel ohne Feuer und den Tempel so dunkel fand, daß die geöffnete Thür nicht Licht genug einließ, um das Bild der Göttin unterscheiden zu können.

Unter tausend Zweifeln und Besorgnissen, die sich über diese unerwartete Begebenheit in meinem Gemüthe drängten, behielt endlich der Gedanke die Oberhand, daß die Göttin mich vielleicht auf die Probe stellen wolle, ob ich fähig sey, sie auch ohne Beihülfe einer meine Sinne rührenden Gestalt eben so gegenwärtig zu denken, als ob sie in diesem Marmor vor meinen Augen stände. Aber wenn dieß ihre Absicht war, so ließ sie mir wenigstens nicht Zeit genug die Probe zu machen. Denn unversehens erfüllte den Tempel eine hell leuchtende Klarheit und ein leises Wehen der lieblichsten Rosendüfte; und statt der Bildsäule erblickte ich in einer helldunkeln Wolke, welche die ganze Vertiefung erfüllte, die Göttin selbst in lebendiger unaussprechlicher Schönheit und Glorie, zwischen ihren ewig jugendlichen Grazien, welche Hand in Hand wie in einem leicht schwebenden Tanze sich um sie her bewegend, [110] von Augenblick zu Augenblick ihre himmlischen Reize bald umschleierten bald wieder sichtbar machten. Ich stand in Entzückung und Anbetung verloren, als die Göttin, mit einem Lächeln das den ganzen Tempel zu erheitern schien, einen Blick voll Huld und Majestät auf mich warf und plötzlich wieder aus meinen Augen verschwand.


Lucian.


Freund Peregrin! – was willst du daß ich glauben soll?

Peregrin.


Daß ich dir nichts sage als was ich gesehen habe.

Lucian.


Gesehen nennst du es? Geträumt willst du sagen –

Peregrin.


Ich versichere dich, daß ich in diesem Augenblicke nicht mehr träume als damals.

Lucian.


So war es doch wenigstens einer von den wachenden Träumen, wovon du vorhin sprachest, wo man in vorbei blitzenden Augenblicken sieht, was kein besonnener Mensch, dessen Vernunft und Einbildung im gehörigen Gleichgewichte stehen, je mit gesunden Augen gesehen hat.


Peregrin.


Denke davon was du kannst, Lucian.

Lucian.


Bei allem dem müßten die geschworensten Gegner aller Täuschungen, Demokrit und Epikur selbst, gestehen, daß du in deinem Erdenleben mit einer beneidenswürdigen Imagination [111] ausgesteuert warst! – Aber wie lange dauerte diese himmlische Erscheinung?


Peregrin.


Diese Frage, lieber Lucian, ist schwerer zu beantworten als du glaubst. Erscheinungen dieser Art lassen sich mit keinem gewöhnlichen Zeitmaße messen; und wer, der mit einem solchen Gesichte beseligt wird, könnte daran denken dessen Dauer messen zu wollen, wenn es auch möglich wäre? Alles was ich dir davon sagen kann, ist, daß sie mir, als alles wieder verschwunden war, nur wenige Augenblicke gedauert zu haben schien, aber daß, meinem Gefühle nach, diese Augenblicke gegen die zwanzig Jahre, die ich bisher gelebt hatte, eine Ewigkeit gegen einen Augenblick waren.


Lucian.


Ich merke aus allen Umständen, daß du noch etwas im Rückhalt hast, das mir auf die eine oder andere Art aus dem Wunder helfen wird: denn alles, was dir in dem Zauberhaine der wundervollen Tochter des Apollonius begegnet ist, kannst du doch nicht wohl geträumt haben.


Peregrin.


Wenigstens würde ich nicht so unbescheiden gewesen seyn, dich mit einem so langen Traume aufzuhalten. Aber ich fühle selbst, daß es Zeit ist, dir aus dem Wunder zu helfen, wie du es nennst, und wenn es auch nicht anders geschehen könnte, als indem ich dich in ein neues noch weit größeres werfe.


Lucian.


Du wirst mich sehr verbinden: denn ich muß gestehen, [112] daß ich den Gemüthszustand, in welchen du mich hinein gezaubert hast, nicht lang' ertragen kann.


Peregrin.


Du glaubst mir wohl ohne Schwüre, daß Venus Urania nach dieser Erscheinung keinen inbrünstigern Anbeter in der weiten Welt hatte als mich. Das ganze System meiner theurgischen Schwärmerei hatte durch diese offenbare Theophanie eine neue Stütze erhalten, und war in diesen wenigen Augenblicken so verdichtet und über allen Zweifel hinausgesetzt worden, daß ich nun das Wunderbarste und Unglaublichste zu ertragen fähig seyn mußte. So wie die wonnevolle Erscheinung verschwunden war, wurde mir auch der wieder verfinsterte Tempel zu enge. Ich eilte ins Freie, um meiner von Entzücken fast erstickten Brust Luft zu machen. Diese Nacht kam natürlicherweise eben so wenig Schlaf in meine Augen als in der vorigen; aber die aufgehende Sonne überraschte mich, da ich sie noch weit entfernt glaubte.

Dioklea erblickte mich als ich vor ihrer Wohnung vorbei ging. Sie war schon völlig angekleidet, kam zu mir herab, und sagte: sie wäre so früh aufgestanden, weil sie nothwendiger Geschäfte wegen in die Stadt reisen müßte: aber, setzte sie mit Verwunderung hinzu, wie kommt es, daß ich dich zu einer solchen Tageszeit schon so munter finde? Ich erzählte ihr, mit aller Redseligkeit eines Menschen, der kein dringenderes Bedürfniß hatte als seinem zu vollen Herzen einige Erleichterung zu verschaffen, was mir diese Nacht im Tempel begegnet war. Ich mußte es ihr mehr als Einmal mit allen Umständen erzählen, bis ich sie von allen Zweifeln geheilt sah, daß meine[113] Phantasie die Schöpferin dieses schönen Gesichtes gewesen seyn könnte. Die Stärke meiner eigenen Ueberzeugung nöthigte ihr endlich auch die ihrige ab; sie freute sich meines Glückes, und trennte sich nun, wie sie sagte, mit desto leichterem Herzen auf einige Tage von mir, da sie so gewiß seyn könne, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr werden würde. Ich sollte mich inzwischen als denjenigen ansehen, der in dem ganzen Bezirke des heiligen Hains unumschränkt zu gebieten habe; alle, die von ihr abhingen, wären angewiesen, meine Winke eben so gehorsam wie die ihrigen zu befolgen: auch hätte sie dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlen würde, was ich nöthig haben oder wünschen könnte, ohne daß ich mich selbst deßwegen zu bekümmern brauchte. Nach diesen Worten umarmte sie mich mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin, bestieg mit einer ihrer Nymphen und einem Diener einen mit zwei schneeweißen Pferden bespannten Wagen, und verschwand in kurzem aus meinen ihr nachfolgenden Blicken.

Die Entfernung der Tochter des Apollonius hätte mir nie weniger unangenehm seyn können, als in meiner damaligen Verfassung. Der ekstatische, oder, wenn du willst, nympholeptische Zustand 55, worein mich die Erscheinung der vergangenen Nacht versetzt hatte, machte mir's zum Bedürfniß, mir selbst und meinen Empfindungen überlassen zu werden. Doch, was sage ich mir selbst? da mein ganzes Selbst in jenes himmlische Gesicht, das noch immer in ätherischer Klarheit vor mir schwebte, übergegangen war. – Nichts Aeußeres um mich her, nichts – als Diokleens Gegenwart, hätte mich in dieser süßen Entzückung stören können; denn sie würde mich freilich [114] unvermerkt verleitet haben, von dem Unaussprechlichen, das mein ganzes Wesen ausfüllte, zu sprechen; und wie wenig wäre das, was ich ihr von meiner Wonne hätte mittheilen können, gegen das gewesen, was mir selbst dadurch entgangen wäre!

Ich begab mich nun in den dunkelsten und stillsten Theil des Hains, und es gingen einige Stunden hin, ehe die in meiner Einbildung noch immer fortdauernde Vision durch ein fast unmerkliches Ermatten des Lichts und der Farben so viel von ihrer ersten Lebhaftigkeit verlor, daß ich wieder zu mir selbst kam, mich wieder da sah wo ich war, mich mit einer Art von süßem Erstaunen fragte, ob ich es sey, dessen Augen mit dem unmittelbaren Anschauen der Göttin beseligt worden? und mir selbst diese Frage mit der Gewißheit des innigsten Gefühls beantwortete. Die Gedanken, die jetzt mit außerordentlicher Klarheit und Leichtigkeit in mir aufstiegen, waren nicht mehr Gedanken eines Sterblichen; mit meiner Liebe zu Venus Urania hatte sich bereits meine Dämonisierung angefangen. Konnt' ich noch zweifeln ob diese Liebe der Göttin angenehm sey? Sie hatte mir ja den stärksten Beweis davon gegeben; hatte sich herabgelassen, mir in der einzigen Art von Erscheinung, die meine Sinne ertragen konnten; in der Gestalt der höchsten weiblichen Schönheit, sichtbar zu werden. – Sollte sie bei dieser ersten Gunst stehen bleiben wollen? Unfehlbar war dieses Gesicht nur ein Pfand noch vollkommnerer Mittheilungen; mit jedem höhern Grade derselben, hoffte ich, würde sich meine eigene dämonische Natur mehr enthüllen, bis ich endlich, von einer Stufe zur andern, zum reinen unmittelbaren [115] Anschauen ihres Wesens, und zum vollen Genuß aller Vorrechte des meinigen gelangen würde. – Welche Hoffnungen! Welche Aussichten! Wie ganz anders versprach ich mir selbst mir die Liebe der Göttin zu Nutze zu machen, als die Adonis und Endymionen der poetischen Fabel! Schon durchflog ich mit ihr in Gedanken das unermeßliche Weltall, durchschaute alle Geheimnisse der Pythagorischen Zahlen, hörte die Harmonie der Sphären, und begriff den tiefsten Sinn aller Hieroglyphen der Natur. Nichts was ein Dämon wissen kann, war mir verborgen, nichts was er wirken kann, unmöglich. – Welche Wonne, welch ein Vorgefühl neuer Kräfte, neuer weit ausgebreiteter Thätigkeit, lag in diesem vergötternden Gedanken! Und nun ergoß sich auf einmal die ganze Gutmüthigkeit meines Herzens in ihn. Ein neuer Prometheus, bildete ich schon in meiner allvermögenden Phantasie das Menschengeschlecht zu gutartigen und glücklichen Geschöpfen um; alles Elend verschwand von der Erde; ich rief Asträen wieder vom Himmel herab, stellte die Unschuld und Gleichheit des goldnen Alters wieder her, und beseligte es mit allem, was Künste, Musen und Grazien zur Ausschmückung und Veredlung des menschlichen Lebens beitragen können.


Lucian.


Armer Ikarus! wie hoch schwangst du dich auf deinen Wachsflügeln empor, und wie schmerzlich muß der Fall aus einer solchen Höhe gewesen seyn!


Peregrin.


Ahndest du schon meinen Fall, Lucian? – Ganz andre Ahndungen schwellten damals meinen Busen! Auch nicht der [116] kleinste Zweifel, nicht der leiseste Laut einer unglückweissagenden Vorempfindung, störte die Wonne meiner bezauberten Seele; und, wenn es wahr ist, daß kein wirklicher Genuß an das reicht was uns die Einbildung davon verspricht, so war dieser einsame Tag unstreitig der glücklichste meines Lebens.

Ich hatte inzwischen, ohne darauf Acht zu geben, den Ort mehr als Einmal verändert, und befand mich in einer Laube des Rosenwäldchens, wo ich endlich in der heißesten Stunde des Tages unvermerkt eingeschlummert war, als ich beim Erwachen einen Tisch mit verschiedenen Speisen und einem in Eis stehenden krystallnen Krug Wein vor mir sah, ohne gewahr worden zu seyn wie er hierher gebracht worden. Solltest du es glauben? aller seiner hohen dämonischen Schwärmerei zu Trotz, fiel der bezauberte Liebhaber der himmlischen Venus mit der Eßlust eines gemeinen Erdensohns über die anziehend duftenden Schüsseln her, und ließ, wiewohl sie für zwei mäßige Esser zureichend gewesen wären, nicht so viel übrig, daß ein Schooßhündchen davon hätte satt werden können.


Lucian.


Dieß ist gerade was mich von allen Symptomen deines damaligen Fiebers am wenigsten befremdet. Wiewohl man zu glauben pflegt, bezauberte Personen bedürften weder Speise noch Trank, so bin ich doch überzeugt, daß bei der verliebten Art von Bezauberung gerade das Gegentheil stattfindet, und daß von allen Arten der Liebe keine mehr Aufwand von Lebensgeistern verursacht, und also ihre öftere Ersetzung nothwendiger macht, als die Platonische. Vielleicht, da doch die Quelle [117] der Ahndungen an diesem Tage so reichlich bei dir floß, war diese außerordentliche Eßlust auch eine geheime Ahndung, daß du zu den neuen, vermuthlich nahe bevorstehenden Mittheilungen der Göttin einer solchen Vorbereitung nöthig haben könntest.


Peregrin.


Wie dem auch gewesen seyn mag, so zweifle ich nicht, daß Hippokrates oder Galenus diese Begebenheit sehr natürlich gefunden haben würden. Was ich dir übrigens für gewiß sagen kann, ist, daß die Schüsseln leer waren, bevor ich ein Wort davon wußte, und daß die erhabenen Träume meiner Phantasie sehr wenig durch dieses animalische Geschäft unterbrochen wurden. Wirklich habe ich in spätern Zeiten oft die Bemerkung gemacht, daß Seele und Leib bei der Art von Menschen, unter denen ich damals keiner der geringsten war, eine ganz eigene Wirthschaft zusammenführen. Bald treibt jedes seine Geschäfte für sich, ohne von dem andern die mindeste Kenntniß zu nehmen; bald vertauschen sie unvermerkt ihre Rollen mit einander; bald leben sie in offenbarer Fehde; aber ehe man sich's versieht, sind sie wieder so warme Freunde, daß nichts in der Welt ist, was sie nicht für einander zu thun oder zu leiden bereit wären. – Doch vergib, daß ich dich mit unnöthigen Bemerkungen aufhalte, da ich dir bloß meine Geschichte versprochen habe, und in der That einer seltsamen Auflösung der Räthsel nahe bin, womit ich dir eine Weile her den Kopf warm zu machen genöthigt war.

Ob es bloß eine Folge der natürlichen Veränderlichkeit [118] der menschlichen Seele war, die sich nicht lange in einer und eben derselben Stimmung erhalten kann, oder ob die beträchtliche Verstärkung, die der Strom meiner Lebensgeister so eben erhalten hatte, das Ihrige dazu beitrug, gewiß ist, daß die halcyonische Stille 56, welche in der erste Hälfte des Tages mein Gemüth, wie ein heitrer wolkenloser Himmel die Erde unter ihm, umgeben hatte, sich in der andern Hälfte unvermerkt verlor. Ein geheimer Drang, ein unruhiges Sehnen, das mit jeder Stunde des sich neigenden Tages zunahm, trieb mich hin und her, und ließ mich nirgends lange verweilen. Das Bild der Erscheinung, die ich in der letzten Nacht gehabt hatte, stand wieder mit neuer Lebhaftigkeit und mit neuen unbeschreiblichen Reizen vor meiner Stirne. Aber das ätherische Licht, worin es mir diesen Morgen vorschwebte, war nicht mehr. Ich sah die Göttin in einer Beleuchtung, die ihre Schönheit mehr zu verkörpern, ihren Reizungen einen Zauber zu geben schien, dessen Gewalt ich noch nie so lebhaft gefühlt hatte. Das Verlangen sie wieder zu sehen wurde immer feuriger, immer ungeduldiger. Oft breiteten sich meine Arme unfreiwillig aus sie zu umfangen. Ich sprach mit ihr, sagte ihr alles was die höchste Schwärmerei der ersten Liebe dem Liebhaber einer Göttin eingeben kann, schweifte im ganzen Hain umher, und befand mich immer unvorsetzlich vor der Thür des Tempels. Je näher die Sonne ihrem Niedergang kam, desto länger wurde mir jede Minute, welche sie noch über dem Horizont verweilte. Eine geheime Ahndung – die im Grunde wohl nichts andres war als das instinctmäßige Harren [119] dessen was wir sehnlich wünschen – hieß mich von dem Besuche, den ich diese Nacht wieder in dem Tempel machen wollte, irgend eine neue noch größere Gunst der Göttin hoffen. In jener ersten Erscheinung hatte sie bloß den Versuch gemacht, wie viel meine Sinne von ihrer Gegenwart ertragen könnten. Vielleicht, dachte ich, läßt sie sich dießmal länger, vielleicht in einem noch mildern Glanze sehen; vielleicht nähert sie sich mir, würdigt mich einer Anrede, läßt mich aus ihren eigenen göttlichen Lippen hören, was ich thun muß, um unmittelbarerer, vollkommnerer Mittheilungen würdig zu werden. Wahr ist's, daß ich mir von diesen Mittheilungen nur sehr dunkle, oder, besser zu reden, gar keine Vorstellungen machen konnte: aber die Wirkung dieses dunkeln Vorgefühls auf mein Gemüth war nur desto gewaltiger, und mein Wesen erlag beinahe unter der unnennbaren Wonne des Gedankens, von Venus Urania geliebt zu seyn – – so wie mir in der That die Sprache zu gebrechen anfängt, da ich dir mit einiger Wahrheit schildern möchte, was in diesem seltsamen Zustande mit mir vorging.


Lucian.


Es ist freilich schwer von unnennbaren Dingen zu sprechen, und von außerordentlichen Gefühlen einem andern, der in seinem Leben nichts Außerordentliches gefühlt hat, einen Begriff zu geben. Ich entbinde dich also eines vergeblichen Versuchs um so lieber, da du mir bereits genug gesagt hast, um sehr deutlich einzusehen, daß du, mit aller möglichen Bestrebung, dem Blinden, den du vor dir hast, keinen anschaulichern Begriff [120] von den Farben der unsichtbaren Gegenstände, die du ihm schilderst, mittheilen könntest.


Peregrin.


Ich verstehe den Wink, und werde in meiner nächsten Beschreibung, wo nicht so deutlich, doch wenigstens so kurz als möglich seyn.

Dritter Abschnitt
[121] Dritter Abschnitt.

Peregrin.


Die Sonne war nicht lange untergegangen, als ich mich nach den gewöhnlichen Vorbereitungen auf den Weg zum Tempel machte. Aber, wie groß meine Ungeduld nach diesem Augenblick gewesen war, so befiel mich doch, da ich unter den Säulengang trat und im Begriff war den Schlüssel in die Pforte zu stecken, ein so wunderbares Schaudern, daß ich wieder umkehren, und den langen Gang von Pomeranzenbäumen zwei- oder dreimal hin und her gehen mußte, bis ich Muth genug gefaßt hatte, die Pforte aufzuschließen.

Ich fand das Innerste des Tempels nur schwach beleuchtet, ohne zu sehen wo das Licht herkam; der Amor mit der Fackel fehlte, und die tiefe bogenförmige Blende, wo das Bild der Göttin zu stehen pflegte, war mit einem purpurnen Vorhang bedeckt.

Mit hochschlagendem Herzen stand ich in ehrfurchtsvoller Entfernung, die Augen auf den Vorhang geheftet, als er von zwei eben so schnell erscheinenden als verschwindenden Liebesgöttern plötzlich aufgezogen wurde, und die Göttin in ihrer gewöhnlichen Stellung meinen entzückten Augen zeigte. [122] Der einzige Unterschied war, daß sie nicht auf ihrem Fußgestelle, sondern auf einer kleinen, mit einem purpurnen Teppich belegten Erhöhung stand, zu welcher man auf zwei niedrigen Stufen emporstieg.

Während ich dieses Ideal der höchsten Schönheit mit einer Liebe und einem Verlangen, als ob ich es mit meinen Augen einsaugen wollte, betrachtete, schien mir's, die Statue belebe sich unvermerkt unter meinen Blicken; ihre Augen funkelten von einem überirdischen Lichte, ihr Busen schien sich zu heben, und eine liebliche Röthe alle Lilien ihrer nach dem schönsten Ebenmaße gebauten Glieder in Rosen zu verwandeln.

Du wirst mir gern glauben, daß mein Gefühl bei dieser Erscheinung – mochte sie nun Täuschung oder Wahrheit seyn – alle Beschreibung zu Schanden machen würde. Von einem unwiderstehlichen Zug überwältigt wagte ich es endlich, mich ihr mit zögernden Schritten zu nähern; ein unbeschreiblich süßer Blick schien mich dazu einzuladen, und in eben dem Augenblicke, da ich meinen unfreiwillig sich öffnenden Armen nicht länger gebieten konnte, breiteten sich die ihrigen gegen mich aus. Ich flog ihr entgegen, schlang jeden glühenden Arm um ihren Leib, fühlte ihren elastischen Busen den meinigen umwallen; dieses göttliche Feuer, das die ganze Natur beseelt, blitzte und strömte aus ihr mit einer Wollust, die ich nicht ertragen konnte, in mein ganzes Wesen über, alle meine Sinne taumelten, alle Bande meines Körpers lös'ten sich auf, meine Augen erloschen, und ich verlor alles Gefühl meiner selbst.


[123] Lucian.


Eine seltsame Geschichte! – und im Grunde doch die gemeinste von der Welt. Alles kommt bei diesen Dingen auf die vorhergehenden und begleitenden Umstände, und vornehmlich auf die Beschaffenheit und Stimmung des Subjects an. – Indessen muß ich gestehen, Peregrin, du warst ein glücklicher Erdensohn; und wäre deine Verbrennung zu Harpine die einzige Bedingung gewesen, unter welcher das Schicksal dir erlaubt hätte solche Erfahrungen zu machen, du hättest sie wahrlich nicht zu theuer bezahlt! Wenn die Sterblichen eines Genusses fähig sind, der ihnen das Glück sich zu vergöttern gibt, so ist es das, was du in diesen Augenblicken erfuhrst.


Peregrin.


Die Vergötterung, lieber Lucian, erfolgte erst, als sich der Todte, ohne zu wissen wie ihm geschah, auf einem zugleich äußerst weichen und elastischen Ruhebette – in den Armen der Göttin wiederfand. Aber über diese Mysterien versiegelt (mit der Hohenpriesterin Dioklea zu reden) das heilige Schweigen meine Lippen. Alles was ich dir schuldig zu seyn glaube, ist, dich nicht länger in der Ungewißheit zu lassen, wer diese irdische Venus Urania war, die den unbedeutenden Sohn eines Bürgers von Parium, mit einem solchen Aufwand von wunderbaren Anstalten und theurgischen Vorbereitungen, zu ihrem Adonis zu machen würdigte.

Ohne Zweifel mußt du schon selbst gefunden haben, daß dein Verdacht irre ging, da er auf die ehrwürdige Tochter des Apollonius fiel. Wäre die Priesterin und die Göttin nur eine und eben dieselbe Person gewesen, so müßte ich den Betrug [124] schon bei der ersten Theophanie, da sie mir mit ihren Grazien in der Wolke erschien, und noch deutlicher in dem Augenblicke, da ihre Bildsäule sich so unverhofft für mich belebte, nothwendig entdeckt haben, und sie hätte sich also dieser Mittel zu meiner Bezauberung nicht bedienen können. Denn, wiewohl Dioklea, den Mangel der Jugend abgerechnet, eine sehr schöne Frau genannt werden konnte, so sah sie doch der Bildsäule nicht gleich; hingegen war die Aehnlichkeit des Bildes mit der Göttin, die ich in den Wolken sah und in der Blende des Tempels umarmte, durchaus in allen Theilen, Formen und Zügen so vollkommen, daß das Leben allein den Unterschied zwischen dem einen und der andern machte.

Wisse also, Freund, daß der heilige Hain, die Felsenwohnung der Dioklea, die Gärten um sie her, und der Tempel der Venus Urania – einen Theil eines großen Landgutes ausmachten, welches, nebst vielen ansehnlichen Ländereien in Ionien, Karien, Lycien und auf der Insel Rhodus, das Eigenthum einer edlen Römerin war, die hier, im Mittelpunkt ihrer Besitzungen und in der vollkommensten Unabhängigkeit, den Rest ihrer Jugend, und die Reichthümer, die ihr ein betagter Gemahl hinterlassen hatte, nach einem eigenen, romantischen, aber (wie du gestehen wirst) nicht übel ausgedachten Plane zu genießen beschlossen hatte. Sie nannte sich Mamilia Quintilla, und würde in den Zeiten eines Caligula, Claudius oder Nero durch ihre außerordentliche Schönheit sich eben so leicht zu dem Range der Poppeen 57 und Messalinen erhoben haben, als es ihr unter der Regierung Hadrians gelang, sich – mit Aufopferung ihrer ersten Blüthe an einen [125] alten Römischen Ritter, der durch Handelschaft, Glück und Pachtung der Staatseinkünfte ganzer Provinzen in Asien ein unermeßliches Vermögen zusammengebracht hatte – in wenig Jahren zur Erbin desselben zu machen.

Wenn die Dame Mamilia Quintilla den besagten Kaiserinnen, außer der Schönheit, noch in einer andern Eigenschaft, die ihren Ruhm bei der Nachwelt mehr als zweideutig gemacht hat, ähnlich war, so ist wenigstens nicht zu läugnen, daß sie einen so sinnreichen Geschmack in der Art, wie sie ihre Lieblingsleidenschaft befriedigte, und so viel Feinheit in der Wahl der Personen, welche sie dazu vonnöthen hatte, zeigte, daß es nicht gerecht wäre, sie mit jenen übel berüchtigten Augusten, oder andern Römerinnen ihrer zahlreichen Classe, in eben dieselbe Linie zu stellen. Ihre Phantasie hatte, wie die meinige, in früher Jugend einen gewissen dichterischen Schwung bekommen: und da sie vermuthlich von den Tischfreunden ihres alten Tithons oft genug mit der Göttin von Cythere verglichen worden war; so mochte ihr, als sie sich mit zwanzig Jahren, in der Fülle des Lebens und der Schönheit frei, und im Stande sah jeder ihrer Neigungen und Launen ein Genüge zu thun, der Gedanke leicht genug gekommen seyn, sich einiger Vorrechte dieser Göttin anzumaßen, und die Freuden, welche sie zu empfangen und zu geben gleich geschickt und geneigt war, einer gewissen idealischen Vollkommenheit so nahe zu bringen, als es einer Sterblichen nur immer möglich seyn könnte.

In dieser Absicht hatte sie ihre Villa zu einem wahren Zauberpalast, und den weitläuftigen Bezirk, der zu derselben gehörte, zu lauter Idalischen Hainen 58 und zu einem zweiten [126] Daphne 59 umgeschaffen. Die prächtigen Gebäude, woraus die Villa bestand, waren mit einer zahllosen Menge wunderschöner Knaben zwischen acht und zwölf, und reizender Mädchen zwischen zwölf und sechzehn Jahren angefüllt, die sie aus allen Provinzen des Römischen Reichs mit der eigensinnigsten Auswahl hatte zusammen kaufen lassen. Kein Fürst konnte sich rühmen, schönere Stimmen und Instrumente, vollkommnere Tänzerinnen, bessere Köche, und geschicktere Künstler von allen Gattungen die dem Vergnügen und dem Luxus dienen, in seinen Diensten zu haben, als die schöne Mamilia; und sie hatte sich der letztern so gut zu bedienen gewußt, daß ihr Palast und ihre Gärten eben so vielen künstlichen Scenen glichen, wo alles zu jedem Schauspiel, jeder Theaterveränderung, die zu ihrer Absicht nöthig seyn konnten, aufs sinnreichste eingerichtet und vorbereitet war. Und wie es von Zeit zu Zeit solche Günstlinge der Glücksgöttin gibt, zu deren Vortheil alle Zufälle sich miteinander verabredet zu haben scheinen, so mußte es sich fügen, daß auch diese Römerin, deren Einbildung auf einen so romantischen Lebensgenuß gestimmt war, die einzige Griechin antraf, die ganz dazu gemacht war, ihr zu Ausführung ihrer feinsten und sonderbarsten Ideen behülflich zu seyn.

Doch, ich will mir nicht länger selbst durch eine nähere Erklärung zuvor eilen, die noch zeitig genug an ihrem rechten Orte kommen wird. In den Augenblicken, wo die Erzählung meiner Abenteuer stehen geblieben ist, war ich noch unendlich weit von dem leisesten Argwohn entfernt, daß ich in allem dem Außerordentlichen, was mir seit einigen Tagen begegnete, [127] nur das Spielzeug einer phantastisch-wollüstigen jungen Römerin und einer – alternden Griechischen Schauspielerin seyn könnte. Freilich würde jeder andere, der nicht so ganz unerfahren in den Angelegenheiten der Göttin von Cythere gewesen wäre als ich, durch eine solche Entwicklung des Lustspiels auf einmal ins Klare gekommen seyn: aber bei mir stieg gerade durch das, was jedem andern die Augen geöffnet hätte, die Täuschung auf den höchsten Grad. So glücklich, als ich in den Armen der schönen Mamilia war, konnte, meinem Gefühle nach, nur die Göttin der Liebe machen, und nur ein Halbgott konnte unter solchem Uebermaß von Wonne nicht erliegen. Wirklich wandte die schlaue Römerin alles an, mich nicht einen Augenblick aus dieser Berauschung aller Sinne zu mir selbst kommen zu lassen; und die Leichtigkeit, womit es ihr gelang, schien etwas so Neues für sie zu seyn, daß sie (ohne einige täuschende Künste von meiner Seite) endlich selbst versucht war, mich für etwas mehr als einen Sterblichen zu halten.

Indessen, da sogar die Götter von Zeit zu Zeit nöthig haben, der unverlöschbaren Flamme ihrer ewigen Jugend etwas Nektar und Ambrosia zuzugießen, so erschienen, vermuthlich auf irgend ein geheimes Zeichen, plötzlich eben die drei lieblichen Mädchen, die bei ihrer ersten Theophanie die Grazien vorgestellt hatten, und boten uns auf goldenen Schalen und in zierlichen Gefäßen von geschliffenem Krystall Erfrischungen an, die einen bei großer Frugalität auferzogenen Bürger von Parium sehr leicht in dem Wahn erhalten helfen konnten, daß er in die Wohnung der Liebesgöttin versetzt sey. [128] Die Grazien ließen uns wieder allein, und – kurz, Freund Lucian, als ich nach einem kleinen Schlummer wieder erwachte, war der Tag angebrochen, die Göttin verschwunden, und ich befand mich, ohne zu wissen wie, von einem Gewimmel kleiner Amoretten umschwärmt, in einem lauen Bade, dem vermuthlich einige Tropfen Rosenöl den ambrosischen Wohlgeruch mittheilen, der auch hier nicht fehlte, sich mit so vielen andern Umständen zu vereinigen, um meine Sinne in immer währender Trunkenheit und Täuschung zu erhalten.


Lucian.


In der That scheint die Circe, in deren Schlingen du gefallen warst, an Alles gedacht zu haben.

Peregrin.


Nachdem ich das Bad verlassen hatte, und in einem daranstoßenden kleinen Gemache mit einer sehr zierlichen Kleidung von Fuß auf angethan worden war, öffnete sich eine Thür, und ich befand mich in einem großen Parterre, in welches Flora alle ihre schönen Kinder zum Vergnügen der Göttin der Liebe versammelt hatte. Eine Menge kleiner Zephyre, die unter den Blumen umher schwärmten, hüpften mir mit Kränzen und Sträußen entgegen, und führten mich, in tausend lieblichen Gruppierungen vor mir hergaukelnd, durch einen kleinen Wald von immer blühenden Citronenbäumen, auf eine sanft emporsteigende Anhöhe, wo ein prächtiger doppelter Säulengang sich um einen großen Platz herumzog, in dessen Mitte ein Brunnen, mit Gruppen von vergoldetem Erze [129] geziert, das schönste Wasser in ein geräumiges Becken von Jaspis ausströmte.

Ich folgte meinen kleinen Führern in einem Zustande von Begeisterung, den du dir eher einbilden kannst, als ich ihn beschreiben könnte. In meinem Leben hatte ich mich nie so leicht gefühlt; mir war als ob ich mit schärfern Augen sähe und mit feinern Ohren hörte, oder vielmehr als ob ich jetzt erst zu leben anfinge, und mit jedem Augenblick ein neuer Sinn, eine neue Quelle geistiger Gefühle sich in mir aufthäte.


Lucian.


Eine sehr natürliche Folge der unmittelbaren Mittheilungen der Liebesgöttin bei einem zwanzigjährigen Neuling in ihren Mysterien, der durch sein ganzes bisheriges Leben, und vornehmlich durch die guten Dienste einer Tochter des Apollonius, vorbereitet war, auf eine so angenehme Art mit der Wahrheit selbst getäuscht zu werden!


Peregrin.


Im Grunde des Platzes erhob sich zwischen den zwei Bogen, die der Säulengang zu beiden Seiten machte, ein Pavillion von Frygischem Marmor, aus dessen weit offner Pforte mir zwei Chöre junger Nymphen singend und tanzend entgegen kamen, die mich in diesem Palast, als meiner künftigen Wohnung, willkommen hießen, und das Glück des neuen Adonis priesen. Sie entschlüpften mir wieder aus den Augen, und ganze Schwärme neuer Amorinen und Zephyretten hüpften von allen Seiten herbei, um mich in den schimmernden Marmorsälen und zierlichen Gemächern meiner neuen Wohnung [130] herum zu führen, welche mit dem Reichsten und Ausgesuchtesten, was alle der Wollust dienstbaren Künste zu Befriedigung des feinsten Geschmacks, der üppigsten Phantasie und der verwöhntesten Sinnlichkeit erfunden haben, bis zur Verschwendung angefüllt war. Aber weder das alles, noch die Menge der schönen Gemälde, Bildsäulen und Hermen, womit die Galerie ausgeziert war, konnten mehr als einen flüchtigen Ueberblick von mir erhalten: meine Augen suchten überall nur die Göttin, und suchten sie vergebens. Der einsamste Busch, die dunkelste Höhle, wo ich mich ungestört dem Anschauen ihres Bildes, das sich mir aus meiner eignen Seele entgegen spiegelte, und den süßen Erinnerungen, die keinem andern Gedanken Raum gaben, überlassen konnte, wäre mir tausendmal lieber gewesen als alle diese Herrlichkeiten.

Ich eilte also wieder in die Gärten, warf mich neben einer Quelle, die aus der Urne einer schönen marmornen Nymphe sprudelte, unter ein dichtes Gewölbe von hohen Bäumen und duftenden Gebüschen, und verlor mich im Gefühl meines Glückes, in einer Art von Entzückung, worüber vielleicht alle andere Bedürfnisse vergessen worden wären, wenn die Liebesgötter, die mir zugegeben waren, mich nicht zur gewöhnlichen Zeit zu mir selbst gebracht, und zu einer Tafel geführt hätten, die unter einem dichten Laubgewölbe für mich bereitet war. Die lieblichste Musik unterhielt mich, ohne daß ich sah woher sie kam, während ich meine durch die höchste Kunst des Komus gereizte und befriedigte Eßlust stillte, und dauerte, sich unvermerkt entfernend, noch lange fort, nachdem die Tafel und die Amorinen wieder verschwunden waren. [131] Endlich überschlich mich eine wollüstige Mattigkeit, und ich verschlummerte die heißen Stunden des Tages unter den geistigsten Träumen, die vermuthlich jemals ein aus den ersten Umarmungen seiner Göttin kommender Verliebter geträumt hat. Ich erwachte wieder um die Zeit, da die Sonne ungefähr noch den sechsten Theil ihrer täglichen Reise zu vollenden hat, und eilte mit aller Munterkeit und Ungeduld, die ein Vorrecht unverdorbener Jugend ist, meine angebetete Göttin so lange zu suchen bis sie sich finden ließe. Ein anmuthiger Schlangengang führte mich auf einem sanften Abhang unvermerkt in ein enges von buschigen Felsen umringtes Thal –


Lucian.


– dessen Beschreibung ich dir erlasse, wie romantisch es auch ohne Zweifel gewesen seyn wird.

Peregrin.


Daran thust du mir einen großen Gefallen, lieber Lucian; denn in der That sah ich von allen seinen romantischen Schönheiten so viel als nichts, weil ein ganz anderes Schauspiel sich meiner Augen bemächtigte, und, hätte ich ihrer auch so viele gehabt als Argus 60, sie alle zugleich angezogen und beschäftigt haben würde. In einer der Felsenwände, die dieß liebliche Thal von jeder andern Seite als der, woher ich hinein gekommen war, unzugangbar machten, hatte die Kunst eine hohe und geräumige Grotte, und in dieser Grotte ein so schönes, heimliches und einladendes Bad erschaffen, als sich irgend eine Göttin zu ihrer Erfrischung in den glühenden Tagen des Sommers nur immer wünschen könnte. In einem Gebüsche von Rosen und Myrten, das die Grotte umgab, [132] umherirrend, war ich ihr nahe genug gekommen, um durch ein leichtes Plätschern nach der Ursache desselben neugierig zu werden, und – wen anders als meine Göttin? in eben der Lage zu erblicken, worin eine nicht so gefällige Unsterbliche überrascht zu haben dem unglücklichen Aktäon 61 einst so übel bekam. Wiewohl ich nun, allem Ansehen nach, kein ähnliches Schicksal zu besorgen hatte, so hielt mich doch Ehrfurcht und Entzücken bei diesem unverhofften Anblick so gefesselt, daß ich mir kaum zu athmen getraute – aber glücklicher Weise war das Gebüsche zugleich so dunkel und so durchsichtig, daß ich sehen konnte ohne gesehen zu werden.


Lucian.


Man sollte denken, deine Augen müßten durch die Bildsäule, die der Göttin so ähnlich war, mit ihrer Gestalt schon so bekannt gewesen seyn –


Peregrin.


Bekannt? – O ja; aber was für ganz andere Augen hatte mir die letzte Nacht gegeben! Welch ein Unter schied! Nicht geringer, als ob einer in ein Buch schaute, dessen Charaktere ihm unbekannt wären, oder ob er die Sprache und die Zeichen verstände, worin es geschrieben ist.


Lucian.


Du hast Recht, Peregrin! daran dachte ich nicht, und das macht doch in der That, selbst für einen so kalten Anschauer der Schönheit als ich und meines gleichen, einen großen Unterschied.


Peregrin.


Zudem vereinigten sich hier noch verschiedene kleine Umstände, [133] die Schönheit der Göttin in ein Licht zu setzen, worin ich sie noch nie gesehen hatte. Die Grazien, die ich in immer abwechselnden Gruppierungen um sie her beschäftigt sah, waren bekleidet; zwar leicht und nymphenhaft, aber doch genug, um mit allen ihren Reizen eine Art von Schatten zu machen, der die unverhüllte Schönheit der Göttin desto mehr erhob. Ueberdieß war die Zeit dieser neuen Theophanie so schlau gewählt worden, daß ein Strom von Sonnenstrahlen zwischen den Felsenspalten gerade in die gegenüber liegende Grotte fiel, und eine Glorie auf die badende Göttin warf, die meine Bethörung hätte vollenden müssen, wenn noch etwas daran zu vollenden gewesen wäre.


Lucian.


Du glaubst also, daß auch diese Bade-Scene absichtlich angelegt war?

Peregrin.


Ohne Zweifel; denn ich hatte (wiewohl ich damals nicht darauf merkte) immer den einen oder andern sichtbaren oder unsichtbaren Amor neben mir, oder über mir, oder hinter mir, der auf alle meine Bewegungen Acht gab, und kraft dieser Vorsicht konnte Quintilla genau wissen, um welche Zeit ich ungefähr auf dem Spaziergang, den mir einer von ihnen gezeigt hatte, nicht weit von der Grotte anlangen würde.

Die Göttin wurde ihrer Rolle eher müde als ihr Zuschauer der seinigen; sie verließ das Bad meiner Rechnung nach sehr bald, und nachdem sie von ihren Grazien wieder angekleidet worden war, wurden plötzlich auf ein gegebenes Zeichen alle Gebüsche umher lebendig, und eine unzählige Menge [134] junger Nymphen und kleiner Amorinen eilte herbei, sie zurückzubegleiten. Ich entfernte mich so schnell ich konnte; und als ich eine Weile darauf von einer andern Seite gegen den Pavillon zurückging, fiel mir mitten in einem dunkeln Myrtenwäldchen ein kleiner Tempel in die Augen, vor dessen halb offner Pforte ein Amor, mit dem Zeigefinger auf den Lippen, stand. Er winkte mir, öffnete die Pforte, schloß sie hinter mir zu, und ich befand mich in einem Augenblick zu den Füßen der Göttin, die in halb sitzender Lage auf einem thronförmigen Ruhebette mich zu erwarten schien. Die Wollust selbst hatte dieses Gemach, wie zur Scene ihrer Siege, mit einem zauberischen Rosenlichte beleuchtet, dessen Quelle verborgen war; und ein Pausanias hätte etliche Blätter zu Beschreibung aller Wunder der Kunst, womit es ausgeziert war, verwenden können. Aber besorge nichts, Lucian; wiewohl das Ganze, auch bei einem unaufmerksamen Anblick, nothwendig eine wunderbare Wirkung that, so wurde ich doch nicht so viel von den Theilen gewahr, daß ich dir diese Wirkung begreiflich machen könnte; denn auch hier sah ich nur die Göttin.

Die in der letzten Nacht angefangene Einweihung in ihren Mysterien wurde in dieser vollendet: aber da ihr der Zwang ihrer Gottheit endlich lästig werden mochte, so verwandelte sich Venus Urania unvermerkt in die leibhafte Mamilia Quintilla; und, wiewohl in dem süßen Taumel, worin sie ihren Adonis zu erhalten wußte, selbst das Uebermaß ihrer Gunsterweisungen die Täuschung eine Zeit lang beförderte, so kam doch endlich der Augenblick, wo die Erscheinung der Grazien eben so erwünscht als nothwendig war.

[135] Sie erschienen auch wie gestern; aber mit ihrer Ankunft lösete sich, leider! der Zauber auf, der meine Vernunft seit einiger Zeit so seltsam gebunden hatte. Ein gewisses spöttelndes Lächeln, das ich in den Augen und Lippen derjenigen, die mir die Nektarschale anbot, überraschte, machte mich stutzen. Ich betrachtete sie mit einer mißtrauischen Aufmerksamkeit, heftete dann mit Bestürzung meine Augen auf die Göttin, und glaubte – o Himmel, welche Verwandlung! – in der Grazie nur eine Cypassis 62, und in der vermeinten Venus Urania nur eine sehr irdische Lais und Phryne zu entdecken.

Die plötzliche Veränderung, die bei diesem Gedanken in mir vorging, war zu groß, um einer Kennerin wie Mamilia unbemerkt zu bleiben: aber ohne das geringste Zeichen von Verdruß darüber sehen zu lassen, sagte sie bloß mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln zu mir: du bedarfst der Ruhe, mein Geliebter! – Und, auf einen Wink, den sie ihren Mädchen zuwarf, hüllte sie sich in einen großen Schleier ein, und verschwand mit ihnen aus meinen Augen.

Wie bedürftig ich auch (nach dem Urtheil der schönen Mamilia) der Ruhe seyn mochte, so war doch in dem Zustande, worein mich meine so plötzliche – wiewohl freilich sehr natürliche – Entzauberung geworfen hatte, für diese Nacht an keine Ruhe mehr zu denken. Der Fall eines Phaëton 63, mit welchen Farben ihn auch ein Dichter ausmalen könnte, gäbe nur ein schwaches Bild des Sturzes ab, den meine taumelnde Seele von der Spitze ihrer vergötternden Aussichten that, als der magische Nebel so auf einmal von meinen Augen niedersank. Keine Beschreibung könnte die Beschämung des betrognen [136] Dämons und den Unwillen erreichen, worin er über sich selbst entbrannte, der Held einer lächerlichen Posse, das Spielzeug einer Bande leichtfertiger Weibsstücke gewesen zu seyn, die sich zusammen verschworen hatten, ihren Muthwillen mit seiner Unschuld und Aufrichtigkeit zu treiben.

Da meine Unerfahrenheit mich in diesem Augenblicke noch unwissend darüber ließ, wie vielen Antheil vor zwei Tagen der Ueberfluß meiner Lebensgeister an meiner Bezauberung, und nun die Erschöpfung an der Auflösung derselben hatte: so war es bei einem Menschen von meiner Vorstellungsart nicht wohl anders möglich, als daß ich von einem Aeußersten ins andere fiel, mich selbst sowohl als die Gegenstände, denen meine Phantasie und mein Herz unwissender Weise eine idealische Vollkommenheit geliehen hatte, auf einmal tiefer als recht war herabwürdigte, und indem ich mir alles, was seit acht Tagen mit mir vorgegangen, mit den kleinsten Umständen ins Gedächtniß zurückrief, nicht begreifen konnte, wie es möglich gewesen sey, daß ich die Kunst, womit Dioklea und die vorgegebene Göttin mir ihre Schlingen gelegt hatten, nicht viel früher gewahr geworden. Der Unmuth, womit mich diese Gedanken erfüllten, machte mir die Scene meiner Entgötterung unerträglich; ich floh in den entlegensten Theil des Waldes, der die Gärten umgab, warf mich unter einen Baum, und hatte schon einige Stunden in dieser von meiner vorigen Wonne so stark abstechenden Gemüthslage hingebracht, als eine Erscheinung, deren ich mich gerade am wenigsten versah, den Lauf meiner kränkenden Betrachtungen hemmte.

Es war die Tochter des Apollonius selbst, die mit der [137] Ruhe und Unbefangenheit einer Person, welche keine Vorwürfe befürchtet weil sie keine verdient zu haben glaubt, auf mich zukam und mich anredete. Wie? sagte sie mit einer angenommenen Miene von Verwunderung, wie finde ich dich hier, Proteus? – Möchtest du mich nie gefunden haben! antwortete ich, mein Gesicht mit einem tiefen Seufzer von ihr wegwendend. – Ist's möglich, versetzte sie schalkhaft lächelnd, daß Proteus, nach allem was seit unsrer Trennung mit ihm vorging, eines so undankbaren Wunsches fähig seyn kann? – »Undankbaren? – Und du, kannst du nach dem schändlichen Betrug, den du mir gespielt hast, noch Dank erwarten?« – Seltsamer Mensch! Wenn du das Betrug nennest, wo ist der König, der sich nicht glücklich schätzte so betrogen zu werden? Du bist mir unbegreiflich, Proteus! »Und du, Dioklea, oder wie du heißen magst denn warum sollte nicht auch dein Name, wie alles andere an dir, falsch seyn? – kannst du läugnen, daß die Venus, in deren Arme du mich betrogen hast, eine –«

Dioklea ließ mich nicht vollenden was ich selbst nicht herauszusagen vermochte. Du bist in einer Laune, fiel sie ein, worin du nicht zu fühlen scheinst, was dir zu sagen, oder mir anzuhören geziemt. – Und mit diesen Worten entfernte sie sich mit ihrer gewöhnlichen Majestät, und ließ mich in einem Zustande von Verwirrung und Unzufriedenheit über meine eigenen Gefühle, den ich mir selbst nicht hätte erklären können. Genug, es zeigte sich bald, daß mein Unwille nicht lange gegen diese räthselhafte Frau aushalten konnte. Die Zuversicht mit der sie sich mir darstellte, ihr Anblick selbst, [138] der edle Anstand womit sie dem Ausbruch meines Unmuths Einhalt that, alles an ihr gebot mir eine unfreiwillige Ehrerbietung; und so wie sie sich entfernte, wurden alle die wunderbaren und zauberischen Eindrücke wieder rege, die sie von unsrer ersten Bekanntschaft an auf mich gemacht hatte. Kurz, sie erhielt wieder ihre vorige Gewalt über mich; und kaum hatte ich sie aus den Augen verloren, als ich in einer plötzlichen Anwandlung von Reue über mein ungebührliches Betragen aufsprang, und ihr, zwar nicht ohne innern Kampf, aber wie von einer stärkern Kraft fortgezogen, nachzugehen anfing.

Es währte eine ziemliche Weile, bis ich sie wieder zu Gesichte bekam. Sie saß, mit einer Nadelarbeit auf ihrem Schooße, unter einer Laube des Myrtenwäldchens, und schien nicht zu bemerken daß ich ihr immer näher rückte. Nachdem ich in einiger Verlegenheit eine Zeit lang hin und her um die Laube herumgegangen war, ohne daß sie sich nach mir umgesehen hätte, konnte ich mich nicht länger zurückhalten hineinzutreten, und mich stillschweigend ihr gegenüber zu setzen. Sie schien meine Gegenwart noch immer nicht zu achten, und diese stumme Scene dauerte so lange bis ich zu seufzen anfing. War das nicht ein Seufzer, Proteus? sagte sie in einem scherzenden Tone. Du bist in der That sehr zu bedauern, daß man dich wider deinen Willen dahin gebracht hat, ein chimärisches Glück gegen ein wirkliches, das alles was du dir jemals einbilden konntest übertrifft, zu vertauschen! – Ich glaube selbst, sagte ich, daß ich mich sehr glücklich finden würde, wenn ich so denken könnte, wie du es jetzt zu verlangen scheinst. [139] – Glaubst du das? versetzte sie mit einem kleinen Nasenrümpfen. Aber, fuhr sie in dem ernsthaften Tone, den ich an ihr gewohnt war, fort, indem sie aufstand und auf den Pavillion zuging, wir sind jetzt nicht aufgelegt, von einem so zarten Gegenstande zu sprechen. Die Gebieterin dieses Ortes, von deren Stand und Vermögen du dir aus allem was du hier siehest die richtigste Vorstellung machen kannst, ist durch unvermuthete Geschäfte nach Milet abgerufen worden, und hat mir aufgetragen, in ihrer Abwesenheit dafür zu sorgen, daß dir die Weile nicht lang werde. Wenn es dir nicht zuwider ist, wollen wir die Zeit bis zur Tafel mit Besehung der merkwürdigsten Dinge in dieser Villa hinbringen.

Hiermit nahm sie mich bei der Hand, führte mich in die Galerie, die ich zuvor nur flüchtig übersehen hatte, und zeigte mir, indem sie die mannichfaltigen Kunstwerke, welche Reichthum und Geschmack hier aufgehäuft hatten, mit mir betrachtete, so viele Kenntnisse in diesem Fache, und bei jeder Gelegenheit, die sich dazu anbot, so viel Weltkunde und Bekanntschaft mit allen merkwürdigen Personen der Zeiten Trajans und Hadrians, daß die Bewunderung, die sie mir einflößte, mit jeder Minute höher stieg, und alle Beschwerden, die ich gegen sie zu führen hatte, auf die Seite drängte. Kurz, Dioklea war so reich an Erfindung angenehmer Zerstreuungen, so unerschöpflich an Unterhaltung wenn wir uns allein befanden, und so aufmerksam, jeden leeren Zwischenraum mit Musik, Tänzen, Pantomimen, oder den übrigen Künsten, die hier für Mamiliens Vergnügen beschäftigt waren, auszufüllen, daß mir die drei Tage, welche die Dame des Hauses [140] abwesend war, wie einzelne Stunden vorbei kamen. Die Wolken, die mein Gemüth umzogen hatten, zerstreuten sich; meine Einbildung klärte sich wieder auf; die tausendfachen zauberischen Eindrücke, welche Natur und Kunst auf alle meine Sinne machten, gewannen unvermerkt die Oberhand, und ehe der zweite Tag vorüber war, befand ich mich wieder so lebendig und so hohen Muthes als jemals; mit dem einzigen Unterschiede, daß die Götternächte der Venus Mamilia einen Sinn, dessen geheime Forderungen mir so lange unverständlich geblieben waren, in eine Thätigkeit gesetzt hatten, die sich nicht so leicht beruhigen ließ, und sich nun des Einflusses und der Obermacht bemeisterte, in deren Besitz ehemals die Phantasie gewesen war. – Warum sollte ich dir, da ich doch einmal im Bekennen bin, nicht alle meine Verirrungen und Bethörungen gestehen? Zwei Tage Abwesenheit, die Ruhe einer einsamen Nacht, und der üppige Ueberfluß einer Römischen Tafel hatten der schönen Mamilia in meiner Einbildung ihre ganze Gottheit wiedergegeben; ich sehnte mich nach ihrer Zurückkunft: aber sie war abwesend, und die Tochter des Apollonius war gegenwärtig. Ihre ehemalige priesterliche Feierlichkeit war mit der Binde um ihre Stirn verschwunden; sie hatte sich allmählich ihrer natürlichen Lebhaftigkeit überlassen; und so wie sie alle Reize ihres Geistes vor mir entfaltete, schien sie sich auch nicht länger verbunden zu glauben, mir aus den eben so mannigfaltigen Reizen ihrer Person länger ein Geheimniß zu machen. Nie waren vielleicht die Grazien einem Weibe holder gewesen als ihr, und in der Kunst, die Gunstbezeugungen der Natur mit Anstand in das vortheilhafteste [141] Licht oder Helldunkel, und was der Zahn der Zeit etwa daran benagt haben mochte, in den schlauesten Schatten zu setzen, hatte sie schwerlich jemals ihres gleichen gehabt. Kurz, wiewohl sie die Hälfte ihrer Jahre hätte abgeben müssen um die Göttin der Jugend vorzustellen, so blieb ihr doch mehr, als für einen Neuling meiner Art nöthig war, um in einer dämmernden Rosenlaube oder in dem kleinen Tempel des Stillschweigens die Abwesenheit der Göttin Mamilia zu ersetzen.


Lucian.


Und sie machte sich vermuthlich eben so wenig Bedenken daraus, als der Neuling sich machte diese Untreue an seiner Göttin zu begehen?


Peregrin.


Er glaubte Mamilien keine Treue schuldig zu seyn. Aber die erfahrne Dioklea kannte die Männer zu gut, als daß sie ihm den Sieg, den er über ihre Weisheit erhielt, nicht schwer genug zu machen gewußt hätte, um den Werth desselben in seinen Augen zehnfach zu verdoppeln. – Soll ich dir noch mehr sagen? So lächerlich es in unserm dermaligen Stande seyn mag, von den Spielzeugen und Kurzweilen unsrer ehemaligen Kindheit mit einem gewissen Wohlbehagen zu sprechen, so kann ich mich doch der Tochter des Apollonius nicht ohne das Vergnügen erinnern, welches den Gedanken, irgend etwas Schönes oder Gutes in seiner höchsten Vollkommenheit genossen zu haben, natürlicherweise begleitet. Wie weit war die Römerin auch in diesem Stücke unter der seiner organisierten, seelenvollern, erfindungsreichern Griechin, die, von [142] allen Musen und Grazien mit ihren Gaben überschüttet, einige Jahre lang unter andern Namen, als Mimentänzerin die Augenlust und der angebetete Liebling der halben Welt gewesen war!


Lucian.


Du kannst dich nun verbrennen wenn du willst, Peregrin! Du hast gelebt, und in einer einzigen Woche auf der Villa Mamilia zu Halikarnaß des Lebens mehr genossen, als Millionen Menschen in der ganzen Zeit ihres Daseyns.


Peregrin.


Gut! Aber ehe wir zu jenem letzten und höchsten Lebensgenuß, zu meinem Verbrennen kommen, Lucian, wirst du wohl noch einige Scenen meines Lebensmimus (wie es Cäsar Augustus nannte) anhören müssen, die zur Vorbereitung dieses letzten Auftritts nothwendig waren.


Lucian.


Für jetzt bin ich nur begierig zu sehen, wie du dich aus den Händen zweier so gefährlichen Personen, als deine Venus Mamilia und ihre Priesterin zu seyn scheinen, retten wirst.


Peregrin.


Wiewohl Dioklea die priesterliche Maske mit der Gleichgültigkeit einer Schauspielerin, die ihre Theaterkleidung von sich wirft, abgelegt hatte, so war sie doch viel zu klug, meinen Enthusiasmus, durch dessen magische Wirkung sie Vortheile, die ihr nicht gleichgültig zu seyn schienen, über mich gewonnen hatte, geradezu bestreiten zu wollen. Sie suchte ihm nur eine andere Richtung zu geben, und unvermerkt den [143] Gedanken in mir zu veranlassen, daß es keine andere Göttinnen gebe als liebenswürdige Weiber, und keine höhere Magie als den Zauber ihrer Reizungen und des Instinkts der uns zu ihnen zieht; und diesem Plan zufolge fand sie für gut, mir in einer vertraulichen Stunde den Schlüssel zu dem ganzen Zauberspiele zu geben, dessen Held ich, ohne es zu merken, gewesen war.

Nachdem sie mir von Mamiliens Person und Charakter, und von ihrer eigenen Verbindung mit dieser Römerin, so viel als ich (ihrer Meinung nach) zu wissen brauchte, entdeckt hatte, sagte sie mir: diese Dame werde durch gewisse Kundschafter, welche sie zu Halikarnaß und an verschiedenen noch entferntern Orten halte, so gut bedient, daß sie schon am ersten Tage meiner Ankunft eine ziemlich genaue Beschreibung meiner Person erhalten habe. Da ihre Aufmerksamkeit dadurch nicht wenig gereizt worden sey, habe sie nicht nur alle meine Schritte aufs genaueste beobachten lassen, sondern auch bald Mittel gefunden, aus meinem alten Diener (einem arglosen und kurzsinnigen Phrygier) so viel von meinen Lebensumständen auszufischen, daß der Anschlag, sich meiner auf die eine oder andere Art zu bemächtigen, schon vor dem Empfang meines seltsamen Briefes an die göttliche Dioklea eine beschlossene Sache gewesen sey. Dieser Brief (sagte Dioklea), indem er die schöne Römerin mit einem Charakter bekannt machte, der allen möglichen Reiz der Neuheit und des Wunderbaren für sie hatte, trieb ihre Vorstellung von der Wichtigkeit deiner Eroberung auf den höchsten Grad, und zeigte uns zugleich den einzig möglichen Weg, auf welchem [144] sie zu machen war. Wie viel Dank wurde jetzt dem Unbekannten gesagt, der vor mehrern hundert Jahren einen Theil der Waldungen, welche zu Mamiliens Halikarnassischen Gütern gehörten, der Venus Urania geheiligt hatte! Wie glücklich pries man sich, daß man den Einfall gehabt hatte, der Göttin, statt ihres alten in Ruinen gefallnen Capellchens, den schönen marmornen Tempel aufzuführen, und ihn mit den Hauptgebäuden der Villa, besonders mit demjenigen, welches zu theatralischen Vorstellungen eingerichtet war, in unmittelbare Verbindung zu bringen! – Der Plan und die Ausführung gab sich nun von selbst; und die wenigen Tage, die du in dem heiligen Hain und bei mir in meiner Felsenwohnung zubrachtest, waren völlig hinreichend, alle zu unserem Zauberspiele nöthigen Maschinen in Bereitschaft zu setzen.

Du begreifst nun, fuhr Dioklea fort, wie natürlich es zuging, daß du auf deinen Brief ohne Namen eine Antwort mit der Aufschrift, an Peregrinus Proteus von Parium, auf deinem Schooße fandest, als du im Hain aus einem Schlafe erwachtest, der, ohne daß du es merktest, sehr genau beobachtet worden war. Mamilia, die vor Ungeduld brannte den wunderbaren Jüngling selbst in Augenschein zu nehmen, hatte ihn mit eigner Hand auf deinen Schooß gelegt. Der schlafende Endymion kann schwerlich seine Göttin stärker bezaubert haben als du die deinige, da sie dich, wie in einem süßen Traume, in der schönsten Beleuchtung des durch einige Zweige gebrochnen Mondlichtes, vor sich liegen sah. Du wirst mir, da du die Lebhaftigkeit dieser feurigen Römerin nun kennst, gern glauben, daß ich alle Mühe von der Welt hatte, sie wieder [145] wegzubringen, ehe sie sich, durch den Kuß den sie dir geben wollte, in Gefahr setzte, den schlummernden Träumer zur Unzeit aufzuwecken. Mir kostete diese Scene meinen Schlaf; denn ich mußte den ganzen Rest der Nacht an Mamiliens Bette zubringen, um die Ergießungen ihrer Leidenschaft anzuhören, und ihre Ungeduld durch die Beschreibung aller Maschinen, die zu ihrem Vortheile zusammenspielen sollten, einzuschläfern. Wir konnten nicht zweifeln, daß die bloße Versetzung in einen so romantischen, mit lauter schönen Gegenständen angefüllten Ort, verbunden mit dem Scheine des Wunderbaren, den alles von sich werfen sollte, auf einen Neuling, den seine eigene Schwärmerei und die ihm unbewußte Magie des noch mit seiner ganzen Stärke wirkenden Naturtriebes so ganz wehrlos in unsre Hände lieferte, schon sehr viel zur Beförderung unsers Anschlages thun würde. Aber das meiste kam doch auf den ersten Eindruck an, den die Tochter des Apollonius bei der ersten Zusammenkunft auf dich machen sollte; und daher wurden auch (wie du dich erinnern wirst) alle Umstände so gewählt und verbunden, daß sie die verlangte Wirkung thun mußten, und daß keiner hätte fehlen dürfen, ohne dieser etwas von ihrer Stärke zu benehmen. Alles mußte mit deinen enthusiastischen Ideen zusammen klingen, alles mußte sie wahr machen und immer höher spannen, alles in deinen Augen ungewöhnlich und wunderbar seyn und dir doch natürlich vorkommen, alles übereinstimmen deine Vernunft vollends zu betäuben, und deine bezauberte Seele mit ungewissen Erwartungen, neuen entzückenden Gefühlen, und dumpfer Ahndung der hohen Mysterien, die der Gegenstand deiner Wünsche [146] waren, anzufüllen. Bei einem so arglosen, so unerfahrnen, so schwärmerischen Jüngling war wenig zu besorgen, daß er das Maschinenspiel, wodurch er gefangen werden sollte, so leicht entdecken würde: aber du wirst dich nun auch hintennach erinnern, wie sorgfältig alles darauf angelegt war, dir eine solche Entdeckung unmöglich zu machen. Unsere Nymphen und Amoretten, die gewandtesten Geschöpfe von der Welt, waren jedes zu seiner Rolle aufs beste abgerichtet. Die Beschaffenheit des Ortes, und die Art, wie die Gärten der Villa von dem geheiligten Hain und dem Bezirke, der die Felsenwohnung umgibt, abgesondert sind, ließ dich nicht ahnden, daß eine solche Villa in der Nähe sey. Wiewohl der hintere Theil des Tempels, der dem Anschein nach an einen Felsen angelehnt ist, unmittelbar mit derselben zusammenhängt, so war diese Verbindung doch durch die dichten Gebüsche und hohen Bäume, die den Tempel umgeben, so gut versteckt, daß sie ohne eine sehr genaue Untersuchung schwerlich entdeckt werden konnte; und sowohl damit du hierzu keine Gelegenheit finden möchtest, als um die gute Wirkung der Theophanien, womit wir dich beglücken wollten, zu befördern, wurde dir gleich anfangs zum Gesetz gemacht, daß der Tempel nur nach Sonnenuntergang besucht werden dürfe. Die Bildsäule der Göttin war schon lange zuvor nach dem Modell der schönen Mamilia verfertigt worden, und eine jede andere, wäre es auch die Knidische selbst gewesen, würde zu unserer Absicht nichts getaugt haben. Ohne Zweifel wäre diese Absicht eben so wenig erreicht worden, wenn sie dir bei Tageslicht und an einem andern Orte, als das Bild irgend einer schönen Römerin, gezeigt [147] worden wäre. Aber nachdem die Idee der Göttin in deiner Phantasie nun einmal mit diesem Bilde zusammengeschmolzen war, und Mamilia, sogar im Marmor, schon beim zweiten Besuche deine Sinne so stark beunruhiget hatte: so durften wir es wagen, sie dir mit ihren Grazien in eigener leibhafter Person, wiewohl in Wolken und in einem übernatürlich scheinenden Lichte, erscheinen zu lassen, und konnten um so gewisser seyn, daß die abgezielte Täuschung bei dir erfolgen, und daß dir selbst der Taumel deiner Sinne als eine natürliche Folge der vermeinten Theophanie er scheinen werde, da du, zu allem Ueberfluß, durch die zwischen uns vorgefallenen Unterredungen (deren du dich vermuthlich noch besinnest) so trefflich zu dieser Scene vorbereitet warst. Denn du wirst nun leicht begreifen, warum ich zu eben der Zeit, da ich dich des Wohlgefallens der Göttin an der Reinheit deiner Empfindungen versicherte, mir so angelegen seyn ließ, dich zu überzeugen, daß es in ihrem Belieben stehe, durch welche Art von Einwirkung sie sich dir mittheilen wolle. – Spitzbübin! rief ich (wiewohl mit einer Umarmung, die ich ihrer reizend schalkhaften Miene nicht versagen konnte), ich erinnere mich noch deiner eigensten Worte: »ist die Liebe, die sie dir eingeflößt hat, nicht ihr eignes Werk? Kann Liebe ohne Verlangen, Verlangen ohne Ausdruck seyn? Die reinste Liebe – Venus Urania kann keine andere erwecken – veredelt und verfeinert die Sinne, erhöht und begeistert sie, aber vernichtet sie nicht.« – Du hast ein treffliches Gedächtniß, versetzte sie lächelnd: vermuthlich verstehst du nun auch, – nachdem wir dir den Schlüssel nicht nur zu dem was mit dir vorgenommen [148] wurde, sondern auch zu dem was in dir vorging, gegeben haben – was ich damit meinte, als ich zu zweifeln schien, »ob du auch einer so rein und ganz sich hingebenden Liebe, wie die Göttin verlange, fähig seyest?« – Und gleichwohl, bei allen diesen Täuschungen, glaubtest du nicht, als dir Mamilia mit ihren drei Mädchen in der helldunkeln Wolke von gemalter Leinwand erschien, die Göttin der Liebe selbst mit ihren ewig jugendlichen Grazien zu erblicken? und kannst du läugnen, daß dich diese vermeinte Theophanie unaussprechlich glücklich machte? – Weil ich sie für Theophanie hielt, fiel ich ihr ins Wort. O daß ihr mich doch ewig in diesem Wahne gelassen hättet! – Sey versichert, antwortete Dioklea, es wäre geschehen, wenn nicht die Natur selbst es unmöglich gemacht hätte, nach dem höchsten Grade von Genuß, dessen die Sinne fähig sind, noch länger getäuscht zu werden. Aber, wer wollte sich, wenn er so glücklich geworden ist als es ein Sterblicher seyn kann, noch beklagen, daß man ihn nicht gar zum Gott gemacht hat? Und zudem, hattest du nicht, in den Stunden da sich die Göttin in Mamilien verwandelte, Augenblicke, worin du dich wirklich vergöttert fühltest? – »O da war mir Mamilia noch immer die Göttin selbst.« – Und sollte sie es nicht, trotz aller Aufschlüsse die du bekommen hast, wieder werden können? sagte Dioklea.

Die Zurückkunft der schönen Römerin, die dieser sonderbaren Unterredung ein Ende machte, verfehlte die Wirkung nicht, welche die Tochter des Apollonius von ihren Reizungen und meiner starken Anlage, immer auf eine oder andere Art zu schwärmen und getäuscht zu werden, erwartete. Meine [149] Verführerinnen glaubten die außerordentlichen Mittel, die nun nicht länger zu gebrauchen waren, auch nicht länger nöthig zu haben. Sie hatten den Zauber, der vorher auf meiner Einbildungskraft lag, nun auf meine Sinne geworfen, und zweifelten nicht, in der fortwährenden Trunkenheit, worin sie mich durch immer abwechselnden Genuß der ausgesuchtesten Vergnügungen zu erhalten wußten, mich unvermerkt dahin zu bringen, daß meine vorige Denkungsart mir selbst endlich eben so lächerlich werden müßte als sie ihnen war. Kurz, sie hofften mich aus dem eifrigsten Verehrer und Nachahmer des Pythagoras und Apollonius in den ausgemachtesten Epikuräer zu verwandeln. Auch in den Künsten, die zu einer solchen Operation erfordert wurden, war Dioklea eine ausgelernte Meisterin; und hätte nur Mamilia mehr Gelehrigkeit für ihre Unterweisungen gehabt, so möchte es ihr, wo nicht auf eine sehr lange, doch gewiß auf eine weit längere Zeit gelungen seyn, mich in dem Taumel zu erhalten, der in den ersten Tagen nach ihrer Zurückkunft mein ganzes Daseyn in einem fortdauernden Moment von Genuß und Wonne verschlang. Aber diese kluge Mäßigung, die allen Befriedigungen der Sinne so nöthig ist, diese Kunst dem Ueberdruß von ferne schon zuvorzukommen, die Begierde immer lebendig zu erhalten, sie auf tausendfache Art zu ihrem desto größern Vergnügen zu hintergehen, sie in jedem Genuß einen noch vollkommnern ahnden zu lassen, und dieß alles auf eine so ungezwungene Art und mit so viel Grazie zu bewerkstelligen, daß es Natur scheint, – alle diese feinen Künste, worin Dioklea unübertrefflich war, vertrugen sich nicht mit der raschen Sinnesart der [150] feurigen Römerin. Der Zwang, den sie sich hätte auflegen müssen, um ihren Adonis wie einen Liebhaber, den man verlieren könnte, zu behandeln, war der Tod des Vergnügens in ihren Augen: kurz, sie betrug sich als ob sie wirklich die Göttin wäre, deren Rolle sie so gern spielte; und ihr Günstling hätte nichts Geringer's als der ewig junge Apollo oder der unerschöpfliche Sohn der Alkmena seyn müssen um nicht viel eher, als sie es vielleicht erwarten mochte, gesättigt, ermüdet, und wieder zu sich selbst gebracht zu werden.

Wie unangenehm die Gefühle und Betrachtungen seyn mußten, die auf dieses zweite Erwachen folgten, wird dir die Kenntniß, die du bereits von der eigenen Form meiner Seele, und der sonderbaren Vorstellungsart die ihr natürlich war, erlangt hast, anschaulicher machen, als ich es durch irgend eine Schilderung bewirken könnte. Diese Form, diese Vorstellungsart war mir zu wesentlich, um durch irgend eine zufällige Veränderung ausgelöscht zu werden. Die ungewohnte Trunkenheit, worein Mamiliens Zauberbecher meine Sinne gesetzt hatte, konnte unter keinen Umständen von langer Dauer seyn; und ihre verschwenderische Art zu lieben beschleunigte nur den Augenblick des Erwachens.

Mein erstes Gefühl in diesem schmerzlichen Augenblicke war die Höhe, von welcher ich gefallen war, und die Tiefe, worin ich lag. Aber glücklicherweise war es nicht der Sturz eines Ikarus, dessen mit Wachs zusammengeleimte Flügel an der Sonne schmolzen, sondern der Fall eines Platonischen Dämons aus den überhimmlischen Räumen in den Schlamm der gröbern Elemente. Wie groß auch meine Beschämung [151] darüber war, so fühlte ich doch, daß mich dieser Fall nur erniedriget und besudelt, nicht zerschmettert hatte. Die Schwingen meiner Seele waren nicht zerbrochen; ich konnte sie wieder loswinden, mich wieder in die reinen Lüfte, die ich gewohnt war, emporschwingen, und die Erfahrungen selbst, die mich jetzt demüthigten, konnten mir dazu dienen, mich künftig vor ähnlichen Verirrungen zu hüten, und das Ziel meiner innersten Wünsche desto sicherer zu erreichen.

Dieses Gefühl allein, oder vielmehr die Ahndung dieser Gedanken, und das dunkle Bewußtseyn der in mir liegenden Kräfte und Hülfsquellen war es, was mich in den ersten Augenblicken vor Verzweiflung bewahrte. Aber es fehlte viel, daß Gedanken wie diese gleich anfangs die Oberhand gehabt, und mit ihrer ganzen Stärke auf mich gewirkt hätten. Im Gegentheil, ich wurde finster, mißmuthig und übellaunisch; alles umher verlor seinen Reiz und Glanz, und nahm die Farbe meiner düstern Seele an; ich verachtete mich selbst, und zürnte bitterlich auf diejenigen, die mich dazu gebracht hatten. Und dennoch hatte dieses Seelenfieber seine Abwechslungen; und ich lernte nun verstehen, was Xenophons Araspes 64 mit dem Streit seiner beiden Seelen sagen wollte, denn ich erfuhr es in mir selbst. Ich schämte mich, wie ein anderer nektartrunkner Ixion 65, eine Theatergöttin für Venus Urania genommen zu haben, und erinnerte mich doch mit Entzücken der Augenblicke wo mich diese Täuschung zum glücklichsten aller Sterblichen machte. Ich betrachtete in den Stunden der bösen Laune die üppige Mamilia als eine zauberische Lamie, die mich bloß deßwegen nährte und liebkosete, um mir alles[152] Blut aus den Adern zu saugen; und bald darauf, wenn ein Becher voll unvermischten Weins von Thasos in der schönen Hand dieser Lamie dargeboten, und zuvor von ihren wollustathmenden Lippen beschlürft, meine Lebensgeister wieder in Schwingung setzte, war ich wieder schwach genug, eine irdische Venus in ihr zu sehen, und in ihren immer willigen Armen neuen Stoff zu der bittern Reue zu holen, die meine einsamen Stunden vergiftete.

Wie sehr ich mich auch eine Zeit lang bemühte, diesen peinvollen Zustand meines Gemüthes vor Mamilien und ihrer scharfsichtigen Freundin zu verbergen, so war es doch (wie du leicht denken kannst) eben so verlorne Mühe, als alles was diese Damen sagen und thun konnten, um die einmal aufgelöste Bezauberung der ersten Wonnetage wieder herzustellen. Die Römerin hoffte es durch Verdopplung dessen, was sie ihre Zärtlichkeit nannte, zu bewerkstelligen, beschleunigte aber dadurch die gegenseitige Wirkung. Die Tochter des Apollonius versuchte es auf einem andern Wege. Sie ließ meine Sinne unangefochten, machte bloß die Freundin und Rathgeberin, schien nichts Angelegneres zu haben als mich zu beruhigen und mit mir selbst auszusöhnen; und indem sie die Unterredung bei jeder Gelegenheit vom Gegenwärtigen ablenkte und ins Allgemeine spielte, suchte sie mir unvermerkt eine feine Aristippische Art zu philosophieren einleuchtend zu machen, die in ihrem Munde eine so einnehmende Gestalt annahm, daß die ganze Widerspänstigkeit eines zum Enthusiasten gebornen Menschen dazu erfordert wurde, nicht von ihr gewonnen zu werden. Sie erhielt indessen doch immer so viel, [153] daß die Grazien ihres Geistes, die sich in diesen Gesprächen in so mancherlei vortheilhaftem Lichte zeigen konnten, mir ihren Umgang immer unentbehrlicher und gar bald zu dem einzigen machten, was mich an diesen Ort fesselte. Wir verirrten uns unter diesen Gesprächen zuweilen in ihre Felsenwohnung, oder in das Rosenwäldchen, dessen Anblick so viel angenehme Erinnerungen in meiner Seele wieder anklingen machte; und nicht selten endigte sich dann unser Streit über die Verschiedenheit unsrer Grundbegriffe auf eine Art, die das Uebergewicht der Aristippischen Philosophie über die Platonische völlig zu entscheiden schien; wiewohl im Grunde nichts dadurch bewiesen wurde, als die Schwäche des Platonikers, und die große Fertigkeit seiner Gegnerin in dem, was man die Sophisterei ihres Geschlechts nennen möchte. Genug, sie verhalf der schlimmern Seele zu manchem schmählichen Sieg über die bessere: aber eben dieß stürzte mich unversehens in jenen gewaltsamen und qualvollen Zustand zurück, der von dem ewigen Widerspruch zwischen einer Art zu denken, deren Wahrheit man im Innersten fühlt, und einem Betragen, das man immer hintennach mißbilligen muß, die natürliche Folge ist.

Während dieses seltsame Verhältniß zwischen Diokleen und mir bestand, hatte Mamilia, deren Leidenschaften eben so schnell verbraus'ten als aufloderten, einen neuen Gegenstand für ihre launenvolle Phantasie gefunden. Sie war fast immer abwesend, und schien sich eine geraume Zeit gar nicht mehr um mich zu bekümmern. Ohne Zweifel trug die Ruhe, die sie uns ließ, viel dazu bei, daß auch jenes Verständniß mit [154] Diokleen, das im Grunde weder Liebe noch Freundschaft war, den Reiz ziemlich bald verlor, den es anfangs für mich gehabt hatte. Der leeren Stunden wurden immer mehrere, in welchen der Zweikampf der beiden Seelen sich erneuerte, und der Sieg sich endlich auf die Seite der bessern neigte, ohne daß Dioklea, die es auf der andern Seite an mancherlei Kriegslisten nicht fehlen ließ, mehr als einige Verzögerung ihrer gänzlichen Niederlage bewirken konnte. Ich sah mich mit Unwillen und Selbstverachtung wie in den Stall einer neuen Circe eingesperrt. Jeden Morgen stand ich von meinem weichen aber meist schlaflosen Lager mit dem Vorsatz zu entfliehen auf, und legte mich jede Nacht mit Grimm über mich selbst nieder, daß ich den Muth nicht gehabt hatte ihn auszuführen.

Einsmals, da ich mit der ersten Morgenröthe aufgestanden war, und in dem abgelegensten Theile des Waldes, der an Mamiliens Gärten stieß, verdrießlich und unentschlossen herum irrte, kam eine reizende weibliche Gestalt zwischen den Bäumen hervor geschlichen, die mich aufzusuchen schien, und in welcher ich bald eine der vermeinten Nymphen erkannte, die uns in Diokleens Felsenwohnung bedient hatten. Diese Sklavin, Myrto genannt, war eines von den Geschöpfen, die eine allgemeine Empfehlung an die ganze Welt in ihrem Gesichte tragen; und sie redete mich mit so vieler Anmuth und anscheinender Schüchternheit an, daß ich nicht stark genug war, die Unhöflichkeit zu begehen und ihr den Rücken zuzukehren, wie mein erster Gedanke gewesen war, da ich sie erkannte. Sie sagte mir, sie habe schon lange diese Gelegenheit [155] gesucht mich allein zu finden, um mir verschiedene Dinge, die mir nicht gleichgültig seyn könnten, zu entdecken; und nachdem wir uns in einem Gebüsche, wo wir nicht überrascht zu werden besorgen durften, gesetzt hatten, fing sie damit an, mir im engesten Vertrauen eine Menge geheimer Nachrichten von Mamilien mitzutheilen, die nicht sehr geschickt waren den Widerwillen zu mildern, den ich bereits gegen diese Venus Pandemos 66 gefaßt hatte. Aber was der guten Nymphe ganz besonders am Herzen lag, war die allzu günstige Meinung herunter zu stimmen, die ich von ihrer Gebieterin Dioklea zu hegen schien. Die umständliche Geschichte, die sie mir von ihr erzählte, würde uns zu weit von der meinigen entfernen; ich will also nur das Wesentlichste davon berühren.

Die sogenannte Dioklea war, unter den Namen Chelidonion, Dorkas, Philinna, Anagallis, und einer Menge anderer dieser Art, schon zwanzig Jahre in Griechenland, Italien und Gallien eine der bekanntesten Personen ihrer Classe gewesen, ehe sie zu Halikarnaß als Prophetin auftrat und sich Dioklea nennen ließ. Ein junger Thessalier hatte sie beinahe noch als Kind zu Korinth einem Manne abgekauft, der mit hübschen Mädchen handelte, und ein feines Sortiment von dieser schlüpfrigen Waare beisammen hatte. Ein paar Jahre hernach bekam ein alter Epikuräer zu Athen Lust zu ihr, als sie mit einer kleinen Truppe von herumziehenden Tänzern und Luftspringern in Gestalt einer Flötenspielerin vor seine Thüre kam: er nahm sie zu sich, und fand großes Belieben daran, die mannichfaltigen Talente, die er in dem Mädchen aufkeimen sah, auszubilden, und ihr die Maximen [156] von Klugheit und Wohlanständigkeit einzuprägen, durch deren Beobachtung sie sich in der Folge so weit über die meisten Personen ihrer Classe erhob. Nachdem sie noch durch verschiedene andere Hände gegangen war, und allerlei Abenteuer bestanden hatte, erschien sie zu Antiochia und Alexandria unter dem Namen Anagallis als die schönste und geschickteste Mimentänzerin, die man jemals in Syrien und Aegypten gesehen hatte. Sie zeigte sich nach und nach in dieser Eigenschaft in verschiedenen Provinzen des Römischen Reichs, und endlich in Rom selbst, wo sie einige der ersten Senatoren und Hofleute unter ihren Anbetern zählte. Nun erschien sie nicht mehr öffentlich auf dem Schauplatz, sondern lebte von den Einkünften ihrer Reize und Geschicklichkeiten, mit dem verschwenderischen Aufwand einer Person, die es in ihrer Gewalt zu haben glaubt, sich überall die Mächtigsten und Reichsten zinsbar zu machen. Indessen hörte sie unvermerkt auf neu und jung zu seyn, die Quellen ihres Aufwands flossen immer spärlicher, und sie fand sich endlich genöthiget, in Gallien, Sicilien und Griechenland ihre vorige Profession wieder auszuüben. Da sie aber die große Wirkung nicht mehr that, die sie in der glänzendsten Zeit ihrer Blüthe zu thun gewohnt worden war, so gab sie diese Lebensart wieder auf, veränderte ihren Namen, und gesellte sich zu einer in Pontus, Cappadocien und Syrien herumwandernden Bande von Isispriestern, deren Gewerbe sie durch ihre erfinderische Einbildungskraft und die Mannichfaltigkeit ihrer Talente sehr einträglich zu machen wußte. In dieser Epoche ihres Lebens, fuhr die Nymphe fort, war es, wo sie sich mit allen den goëtischen, [157] magischen und theurgischen Mysterien und Künsten vertraut machte, wodurch sie geschickt wurde, einige Zeit darauf, als die besagte Bande durch ein unangenehmes Abenteuer aus einander getrieben worden war, die Rolle einer vorgeblichen Tochter des göttlichen Apollonius zu spielen, und unter dem Schutze der Römerin Mamilia Quintilla, einer erklärten Liebhaberin alles Außerordentlichen, eine Art von Orakelbude in dem heiligen Hain der Venus Urania, der ein Zugehör ihrer Halikarnassischen Güter ist, aufzurichten. Der Name einer Erbin der Wissenschaften des großen Apollonius, der mystische Schleier worein sie sich hüllte, ihre sonderbare Lebensart, und die vielerlei Gerüchte, die sie von ihrer prophetischen Gabe, ihrem geheimen Umgang mit den Göttern, und den Wunderdingen die sie verrichtet hätte, unter das Volk zu bringen wußte, fing schon an in Karien und den benachbarten Gegenden zu wirken, und gab der Prophetin gute Hoffnung, in dem Aberglauben begüterter Thoren eine neue ergiebige Quelle von Einkünften zu finden: als die Entschließung der Dame Mamilia, diese Villa zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalte zu machen, der ganzen Sache eine andere Wendung gab. Dioklea wurde nun bekannter mit der edlen Römerin, und bemächtigte sich in kurzem ihrer Zuneigung in einem so hohen Grade, daß sie die vertrautesten Freundinnen wurden: und da die Prophetin kein Geheimniß mehr für ihre neue Freundin hatte, so wurde beschlossen, daß sie die angefangene Rolle, wiewohl mit verschiedenen Abänderungen die zu Mamiliens Absichten nöthig schienen, fortsetzen sollte. Die Mysterien der Venus Urania, zu deren Priesterin sie sich aufwarf, [158] schienen der wollüstigen Römerin eine Menge unterhaltender Scenen zu versprechen, wodurch sie das Einförmige des ländlichen Lebens zu vermannichfaltigen, und ihrem Hang zu romantischen Einfällen und sonderbaren Liebesabenteuern Nahrung zu geben hoffte. Dioklea ordnete alle Einrichtungen an, die in den Gebäuden und Gärten der Villa zu diesem Ende für dienlich gehalten wurden, alles ging nach Wunsch von Statten, und schon mancher Unvorsichtige hatte sich in den Schlingen gefangen, die der treuherzigen oder lüsternen Jugend hier überall gelegt waren, ehe mein Verhängniß, oder – um die Sache mit ihrem rechten Namen zu nennen, meine Thorheit mich, wiewohl auf meine eigene Weise, zu ihrem Nachfolger machte. Es wäre, setzte die geschwätzige Nymphe hinzu, zwischen den beiden Sirenen verabredet, daß Mamilia die Unglücklichen, die ihnen in die Klauen geriethen, sobald ihr die Phantasie zu ihnen vergangen wäre, ihrer dienstfertigen Freundin überließe. Dieses schreckliche Schicksal würde, wofern ich es nicht bereits erfahren hätte, auch das meinige seyn. Sie schilderte mir hierauf die Dame mit den vielen Namen als eine wahre Zaubrerin; es sey nicht anders möglich, sagte sie, das Weib müsse unerlaubte magische Mittel dazu gebrauchen, um die feinsten Männer so unbegreiflich zu verstricken, daß sie in einer Hetäre, die der halben Welt angehört habe, und die ohne die Hülfe der Färbekunst, des Pinsels und aller nur ersinnlichen Geheimnisse des Putztisches, der Kumäischen Sibylle gleich sehen würde, die liebenswürdigste Person ihres Geschlechtes zu umarmen glaubten. Aber dieß sey gewiß, daß ich mir vergeblich schmeicheln würde, jemals [159] diesen Ort verlassen zu können, so lange Dioklea mich zurück behalten wolle; und ich könnte versichert seyn, daß sie dieß so lange wolle, bis sie mich durch ihre verderblichen Liebkosungen zum Schatten abgemergelt, und in ein wahres Gespenst verwandelt haben werde.

Die Lebhaftigkeit, womit die schöne Myrto diese Uebertreibungen vorbrachte, hatte mir ihre Absicht bei der ganzen Vertraulichkeit schon verdächtig gemacht, als sie, nach einer kleinen Pause, mit dem Tone des zärtlichsten Mitleidens und mit aller Verführung, die sie in ihre schwarzen Augen legen konnte, fortfuhr: der Gedanke, daß ein so liebenswürdiger Mann wie ein Wachsbild an dem Zauberfeuer einer so schändlichen Empuse dahin schmelzen sollte 67, sey ihr unerträglich; sie hätte seit dem ersten Augenblicke, da sie mich in der Felsenwohnung gesehen, einen Antheil an mir genommen, der sie zu meiner genauen Beobachterin gemacht habe; sie finde mich eines bessern Looses würdig; und kurz, wenn ich ihre uneigennützige Freundschaft mit einiger Gegengunst belohnen wollte, so fühle sie sich stark genug, mir alle Annehmlichkeiten ihrer Lage in diesem Hause aufzuopfern, meine Flucht zu befördern, und mir, an welchen Orte der Welt es mir gefiele, zu folgen.


Lucian.


Das uneigennützige Nymphchen hätte also doch mit dem Rest, den die Empusen von dir übrig gelassen, großmüthig fürlieb genommen?


Peregrin.


Sie war noch uneigennütziger als du denkst; denn es [160] zeigte sich in der Folge, daß sie, wie ihr der Anschlag alles zu haben nicht gelingen wollte, bescheiden genug gewesen wäre, mich mit den Empusen zu theilen. Ich machte mich mit so guter Art als ich konnte von ihr los, indem ich ihr ein unverbrüchliches Stillschweigen über die Geheimnisse, die sie mir vertraut hatte, angeloben mußte. Die Flucht, womit ich schon mehrere Tage umging, war mit so wenig Schwierigkeiten verbunden, daß ich der Hülfe dieser Sklavin dazu nicht vonnöthen hatte. Aber, anstatt daß ihre geheimen Nachrichten von Diokleens bisherigem Lebenslauf, und die Furcht, die sie mir vor ihrer angeblichen Zauberei einzujagen hoffte, meine Lust zum Fliehen hätte vermehren sollen, fand ich mich nach dieser Unterredung weniger dazu geneigt als jemals. Ich konnte mich nicht entschließen, die Villa Mamilia zu verlassen, bevor mich Dioklea eine Probe ihrer so hoch gerühmten Geschicklichkeit in der pantomimischen Tanzkunst hätte sehen lassen. Ich ergriff die erste Gelegenheit, die sich anbot, um zu versuchen ob ich ihr Lust dazu machen könnte, ohne ihr merken zu lassen, daß ich mehr von ihrer Geschichte wisse, als sie mir selbst davon zu entdecken beliebt hatte. Es traf sich, daß einer von den Knaben und eines von den kleinen Mädchen, womit dieses Haus so reichlich bevölkert war, während wir bei Tische saßen, die Fabel von Amor und Psyche ganz artig für Kinder ihres Alters tanzten. Ich möchte wohl, sagte ich, nachdem wir ihnen eine Weile zugesehen hatten, ein so schönes Sujet von der berühmten Anagallis tanzen gesehen haben! Mein Wille war, indem ich dieß sagte, so unbefangen dazu auszusehen, daß Dioklea glauben müßte, ich dächte nicht mehr [161] noch weniger dabei, als wenn ich gewünscht hätte die Glycera des Menanders oder die Corinna des Ovidius gesehen zu haben: aber ich erröthete, zu meinem großen Verdruß, so plötzlich und stark bei dem Namen Anagallis, daß sie leicht merken konnte, ich müsse mehr von ihr wissen als ich das Ansehen haben wollte. Ohne die geringste Betroffenheit in ihrem Gesichte zu zeigen, versetzte sie: du hast also auch von dieser Anagallis gehört? Und da ich mich wunderte, wie sie daran zweifeln könne, flüsterte sie mir lächelnd zu: ich bin eine mächtigere Zaubrerin als du denkst; du sollst sie tanzen sehen, wiewohl sie schon eine geraume Zeit aus der Welt verschwunden ist.

Ein paar Tage darauf lud sie mich zu einem kleinen Schauspiel ein, das sie mir zu Ehren veranstaltet habe. Die Scene war mit zwei Chören von Liebesgöttern, Zephyrn und jungen Nymphen besetzt, die unter einem mit Musik begleiteten Tanz einen Lobgesang auf Amor und Psyche zu singen anfingen. Bald darauf theilten sie sich wieder zu beiden Seiten, und es erschien eine Tänzerin, die mir beim ersten Anblick die nämliche Psyche darstellte, die ich öfters in Mamiliens Galerie betrachtet hatte, wo sie, von der Hand Aëtions gemalt, unter die vorzüglichsten Zierden derselben gerechnet wurde. Ihre Kleidung, von einem sehr zarten Indischen Gewebe, zeichnete mit Anstand und Grazie die zierlichste Jugendgestalt, und eine Fülle der feinsten goldgelben Haare floß in großen ringelnden Locken um ihre schönen Schultern den Rücken hinab. Ohne diese gelben Haare hätte sie beim ersten Anblick Dioklea scheinen können; wiewohl die Tänzerin auch noch schlanker und feiner [162] gebildet schien. Ich betrachtete sie mit einem halb schauderlichen Erstaunen, ungewiß wofür ich sie halten sollte, und beinahe zweifelhaft, ob das was ich sehe nicht wirklich ein Wunder der Zauberkünste sey, deren die Sklavin Myrto ihre Gebieterin beschuldigt hatte. Aber das sogleich angehende Spiel ihrer Arme und Hände, oder vielmehr die bewundernswürdige Musik aller Glieder und Muskeln ihres ganzen Körpers, die mit unbeschreiblicher Fertigkeit, Wahrheit und Anmuth zu einem immer malerischen und vorbildenden Ausdruck der Fabel, deren verschiedene Scenen sie darstellte, zusammenstimmten – bemächtigte sich meiner ganzen Aufmerksamkeit zu stark, um einem andern Gedanken Raum zu lassen. Dieser pantomimische Tanz – der, ohne Hülfe der Wortsprache, bloß von einer melodiösen und ausdrucksvollen Musik unterstützt, in einer allgemein verständlichen, unmittelbar zur Empfindung und Einbildungskraft redenden Sprache, die feinsten Schattierungen nicht nur der stärkern Leidenschaften, sondern sogar der zartesten Gemüthsregungen, den Augen mit der größten Deutlichkeit verzeichnete – gewährte mir ein Vergnügen, das nach und nach zu einem nie gefühlten und beinahe unaushaltbaren Entzücken stieg. Aber was wurde erst aus mir, als auf einmal alle Amoretten und Nymphen verschwanden, und die reizende Psyche in meine Arme flog, mich vollends zu überzeugen, daß sie mir Wort gehalten, und – um mich einen der stärksten Züge aus dem Nektarbecher der Wollust thun zu lassen – wieder Anagallis geworden sey! – O gewiß warst du eine Zaubrerin, Dioklea! wiewohl in einem andern Sinn als es die uneigennützige Myrto nahm; in dem einzigen, worin [163] es vermuthlich jemals Zaubrerinnen gegeben hat: denn alles was Natur und Kunst Reizendes, Verführerisches und Seelenschmelzendes haben, war in dir aufgehäuft! Wer hätte, mit einer Empfindlichkeit wie die meinige, deinen Zaubereien widerstehen können! – Diese einzige Stunde, Lucian, warf mich auf einmal mitten in den Taumel der ersten Tage meiner Verirrungen zurück: und da die Gefälligkeit der wieder auferstandnen Anagallis eben so unerschöpflich war, als die Quelle dieser neuen Art von Unterhaltung, wozu ich ihr so unverhofft Gelegenheit gemacht hatte, so dauerte dieser neue und letzte Rückfall länger, als ich dir ohne Beschämung gestehen dürfte.


Lucian.


Ich glaube gar, du willst dir noch leid seyn lassen, daß die Götter des Vergnügens mit ihren Wohlthaten so verschwenderisch gegen dich gewesen sind? Täuschung oder nicht! welcher König (möchte ich mit Anagallis-Dioklea sagen), ja welcher Weise in der Welt hätte sich nicht um diesen Preis täuschen lassen wollen!


Peregrin.


Um die Sache in ihrem wahren Lichte zu sehen, lieber Lucian, mußt du dich in meine eigenste Person hineindenken, und den Zustand, worin du mich so neidenswürdig findest, mit demjenigen vergleichen, worin ich von Kindheit an aufgewachsen war, und der im Grunde als eine bloße Entwicklung meines Ichs anzusehen ist. Wäre meine vorige Gemüthsverfassung, und die ganze Sinnesart, woraus sie entsprang, bloß das Werk einer unfreiwilligen Beraubung angenehmer Gegenstände, und also eines nothgedrungnen Bedürfnisses, den Mangel eines [164] reellen Genusses durch Chimären zu ersetzen – kurz, wäre das hohe Selbstgefühl, die innere Ruhe, die Zufriedenheit mit mir selbst, das Ahnden einer erhabenen Bestimmung, und das Aufstreben zu idealischer Vollkommenheit, die mein vormaliges Glück ausmachten, bloße Täuschung gewesen: dann wäre wohl nichts begreiflicher, als warum sie gegen eine Kette der lebhaftesten und ausgesuchtesten Vergnügungen der Sinne und des Geschmacks, welche keine Täuschungen sind, nicht hätten aushalten können. Aber jene Ideen und Gesinnungen, wie viel oder wenig sie auch mit Wahnbegriffen in meinem Kopfe verschlungen seyn mochten, waren meinem Gemüthe natürlich und wesentlich; die moralische Venus, die meinem Geiste vorschwebte, war kein Phantom, sondern ewige unwandelbare Wahrheit; nicht dieses Ideal, sondern meine durch erwachende Naturtriebe überraschte Phantasie, hatte mich in das künstliche Netz gelockt, das meiner erfahrungslosen Jugend von sinnlicher Liebe und Wollust gestellt wurde. Dieß, däucht mich, macht einen großen Unterschied; und bei dieser Bewandtniß der Sache ist wohl nichts natürlicher, als daß ich keine dauernde Zufriedenheit in einem Zustande finden konnte, worin tausend andere sich viele Jahre lang den Göttern gleich geachtet hätten.

Indessen dauerte doch dieser letzte Rückfall in das goldne Netz der Zaubrerin Dioklea lange genug, daß ich das Vergnügen hatte mein beliebtes Rosenwäldchen zum zweitenmale in voller Blüthe zu sehen. Während dieser Zeit hatte Mamilia mehr als Einmal den Einfall gehabt, und Mittel gefunden, ihre vernachlässigten Ansprüche wieder geltend zu machen: da sie aber, nach ihrer leichten Sinnesart, bloß die Vergnügung [165] einer augenblicklichen Laune suchte, und weder zu lieben wußte noch geliebt zu werden verlangte, so schien sie mich ihrer Freundin immer wieder mit eben so wenig Eifersucht zurückzugeben, wie sie ihr alles übrige, was sie hatte, zum Gebrauch überließ. Denn dieß that sie mit so wenigem Vorbehalt, daß ein Fremder lange ungewiß bleiben konnte, welche von beiden die Dame des Hauses sey. Ueberdieß brachte sie einen großen Theil der Zeit, die ich noch hier verweilte, bald zu Milet, bald auf ihren Gütern zu Rhodus zu, und schien sich ohne uns gut genug zu belustigen, um von unserm Thun und Lassen keine Kenntniß zu nehmen.

Dioklea bediente sich dieser Freiheit mit so vieler Behutsamkeit, hatte eine so große Mannichfaltigkeit reizender Formen und Umgestaltungen in ihrer Gewalt, wußte auf so vielerlei Art zu gefallen, und dem Ueberdruß durch eine so große Abwechslung und eine so feine Mischung der Vergnügungen der Sinne, der Einbildungskraft und des Geschmacks zuvorzukommen, daß sie sich mit einigem Rechte schmeicheln konnte, einen bei eben so vieler Empfindsamkeit weniger sonderbaren Menschen als ich war, noch ziemlich lange in ihren Fesseln zu erhalten. Gleichwohl konnte sie mit allen ihren Künsten nicht verhindern, daß die Täuschung, die dazu gehörte, wenn sie sich sogar in den Augen eines sehr von ihr eingenommenen Zuschauers in eine Psyche, Danae, oder Leda verwandeln sollte, immer schwerer wurde, je öfter man sie in dergleichen Rollen gesehen hatte; und wie nichts unterm Monde vollkommen seyn kann, so war es ganz natürlich, daß sie mir, nachdem die Stärke des ersten Eindrucks durch öftere Wiederholung geschwächt [166] worden war, zuletzt immer weiter unter dem Ideale zu bleiben schien, dem sie so nahe als möglich zu kommen sich beeiferte.

Die Zeit, da auch dieser Talisman alle seine Zauberkraft an mir verlor, rückte immer näher heran, als die schöne Mamilia auf den Einfall gerieth, die bevorstehenden Dionysien durch ein großes Bacchanal zu feiern, wobei Dioklea die Ariadne und ich den Bacchus vorstellen sollte.

Du wirst mich, denke ich, gern mit einer Beschreibung dieses Festes verschonen, dessen ich mich ungern erinnere, wiewohl es würdig gewesen wäre, einem Sardanapal 68 oder Elagabalus gegeben zu wer den. Die üppige Römerin, die sich viel darauf zu gut that, die ganze Einrichtung dieser Lustbarkeit mit allen ihren Scenen selbst erfunden und angeordnet zu haben, hatte sich vorgesetzt, die Darstellung eines ächten Bacchanals, wie es von Malern und Dichtern geschildert wird, so weit zu treiben als sie nur immer gehen könnte; und sie hatte zu diesem Ende eine ziemliche Anzahl frischer wohl gebildeter Jünglinge aus ihren weitläufigen Landgütern zusammengebracht, welche die Faunen und Satyrn vorstellen mußten, während sie selbst sich an der bescheidenen Rolle einer gemeinen Bacchantin genügen ließ. Aber, ihrer Meinung nach, der feinste Zug von Imagination an dem ganzen Feste, und etwas, wodurch sie mich auf eine sehr angenehme Art zu überraschen hoffte, war: daß sie mit ihrer immer gefälligen Freundin die Abrede genommen hatte, wenn diese, als Ariadne, ihre Person bis zum letzten Act gespielt haben würde, sich, unter Begünstigung der Dunkelheit, unvermerkt an ihren Platz zu [167] setzen, und das übrige in ihrem Namen vollends auszuspielen. Der arme Bacchus, von einer zweifachen Trunkenheit erhitzt, fand den Betrug, als er ihn endlich entdeckte, so angenehm, daß er in dem Taumel, worein der Zusammenfluß so vieler berauschenden Umstände seine Sinne setzte, mehr Bacchus war als einem Sterblichen geziemet. Mamilia ließ nichts, was dem Charakter einer Bacchantin Ehrema chen konnte, unversucht, ihn dazu aufzumuntern; und um dieses ächte Satyrspiel mit einem recht lustigen Ende zu krönen, mußte zuletzt Ariadne an der Spitze eines Schwarms von Faunen, Satyrn, Mänaden, Amoretten und Nymphen, alle mit Fackeln in der Hand, unversehens dazu kommen, und ihren Ungetreuen, unter einem ungezähmten Gelächter des ganzen Thyasos 69, auf der That ertappen.

Dieser letzte Zug stellte den bestürzten After-Bacchus auf einmal in die vollkommenste Nüchternheit her, und der Zauber, unter welchem er so lange gelegen, war unwiederbringlich aufgelöst. Ein Mensch, der in einem entzückenden Traum an Jupiters Tafel mitten unter den seligen Göttern gesessen hätte, und im Erwachen sich von Gespenstern, Furien, Gorgonen und Harpyien umzingelt fände, könnte von keinem grauenvollern Erstaunen ergriffen werden, als ich, da ich mich in einer solchen Lage dem unsittigen Muthwillen einer solchen Gesellschaft Preis gegeben sah. Indessen behielt ich doch so viel Gewalt über mich selbst, daß ich die Bewegungen zurückhielt, deren Ausbruch meine Demüthigung nur vergrößert, und die Entschließung, die ich auf der Stelle faßte, vielleicht unausführbar gemacht haben würde. Aber sobald das Unvermögen [168] es länger auszuhalten diesen Scenen der wildesten Schwärmerei endlich ein Ende machte, und die sämmtlichen Bewohner der Villa, die daran Theil genommen hatten, in einen allgemeinen Schlaf versunken lagen: raffte ich mich auf, bekleidete mich mit der einfachsten Kleidung die ich finden konnte, und verließ, ohne von Mamilien und ihrer Freundin Urlaub zu nehmen, mit einem Vorrath neuer Begriffe und Erfahrungen, den ich mit dem Verlust meiner Unschuld und Gemüthsruhe theuer genug bezahlt hatte, diesen verhaßten Boden, ohne auch nur Einen Blick auf die Wunder der Natur und Kunst, womit er bedeckt war, zurückzuwerfen.


Lucian.


Vermuthlich war dieß gerade was die edle Römerin wollte. Denn, ich kann dir nicht bergen, dieses Bacchanal, und diese Abrede mit der ehrwürdigen Venuspriesterin Anagallis, hat mir ganz das Ansehen eines Anschlags, einen Menschen, der uns lästig zu werden anfängt, mit guter oder böser Art los zu werden. Die scharfsichtige Dioklea mußte dich zu gut kennen, um die Wirkung, die ein so übertrieben ausschweifendes Possenspiel auf dich thun mußte, nicht voraus zu sehen.


Peregrin.


Ich denke du hast es getroffen, ob ich gleich noch immer glaube, daß Dioklea bei dieser ganzen Sache bloß einer allzu großen Gefälligkeit gegen ihre Freundin schuldig war. Wie es aber auch damit seyn mochte, so war doch jeder Tag, um den ich eher aus diesen Sirenenklippen entrann, Dankes werth; und wenn ich ihn auch dem Ueberdruß der edlen Mamilia [169] Quintilla schuldig gewesen wäre. Allein so viel Gutes traute ich ihr damals nicht zu; ich besorgte vielmehr, daß es der launischen und viel vermögenden Römerin leicht einfallen könnte, mir nachsetzen zu lassen. Diese unnöthige Furcht bewog mich, sobald ich zu Halikarnaß anlangte, anstatt den Weg gerade nach Milet zu nehmen, tiefer ins Land hineinzugehen; wo ich einige Wochen in großer Verborgenheit damit zubrachte, dem was mit mir vorgegangen war nachzudenken, und zu überlegen, was für Mittel mir übrig geblieben seyn könnten, das so übel verfehlte Ziel meiner Wünsche zu erreichen.

Vierter Abschnitt
[170] Vierter Abschnitt.

Lucian.


Ich muß gestehen, Freund Peregrin, daß du einen reichen Stoff zu Selbstgesprächen aus der Villa Mamilia mitgebracht hattest. Mit aller meiner Kälte kann ich mich doch so ziemlich in deine damalige Lage hineindenken, und ich zweifle sehr, ob sich eine schmerzlichere für einen Jüngling, der mit so hohen Erwartungen dahin gekommen war, ersinnen ließe.


Peregrin.


So wie du mich nun kennest, wirst du mir ohne Mühe glauben, daß das, was mich am meisten schmerzte, nicht der Verlust der Wollüste und Vergnügungen war, womit die schöne Römerin und ihre sinnreiche Freundin mich ein ganzes Jahr lang überfüllt hatten. Selbst die Vernichtung der schwärmerischen Hoffnungen, die mich nach Halikarnassus zogen, kränkte mich jetzt so wenig, daß ich im Gegentheil unbegreiflich fand, wie es möglich gewesen, dem Urbilde der Vollkommenheit eine Venus Urania, und dieser ein Marmorbild, das am Ende doch nur eine wollustathmende Erdentochter vorstellte, unterzuschieben. Meine ganze ehemalige Vorstellungsart hatte [171] durch eine physische Folge meiner neuen Erfahrungen eine große Veränderung erlitten. Meine Einbildungskraft war abgekühlt. Alles was in meinen ekstatischen Träumen und Gesichten Täuschung gewesen war, erschien mir jetzt auch als solche; und ich glaubte deutlich zu sehen, wofern es ja möglich wäre, zu jener einst so feurig gewünschten Erhöhung meines Wesens und Empfänglichkeit für die Einflüsse der göttlichen Naturen zu gelangen, so müßte es wenigstens auf einem ganz andern Wege geschehen, als auf dem, der mich an der Hand der sehr unächten Tochter des Apollonius in die Arme einer Venus Mamilia geführt hatte.

Aber, wenn gleich die Phantomen, die ich ehemals als Wahrheit liebte, verschwunden waren, so war doch der Raum noch da, den sie eingenommen hatten; und dieses ungeheure Leere wieder auszufüllen, wurde nun das dringendste meiner Bedürfnisse. Ich hatte mich verirrt; aber das Ziel, wohin ich wollte, stand noch immer unverrückt, als der einzige Zweck meines Daseyns, in dunkler Ferne vor meinen Augen; und bis ich den rechten Weg dahin gefunden hatte, war keine Ruhe noch Glückseligkeit für mich. Mein Zustand in dieser Gemüthslage ist der dunkelste Schatten im Gemälde meines Erdelebens, woraus ich dir jetzt die lichtesten Stellen aushebe. Alles, was ich mich davon erinnern kann, ist, daß es mir unmöglich schien, aus dieser Leerheit, diesem Hin- und Herschwanken, dieser immer getäuschten Bestrebung in einem bodenlosen Moore Grund unter mir zu finden, mich jemals heraus zu arbeiten, und daß mir diese Unmöglichkeit endlich unausstehlich wurde. Ich irrte von einem Orte zum andern, und konnte [172] nirgends bleiben. Da ich mich aber, nachdem auf diese Weise mehrere Monate verstrichen waren, jetzt vor allen Nachstellungen der Römerin sicher hielt, kehrte ich nach der Ionischen Küste zurück, und langte zu Anfang der schönen Jahreszeit in Smyrna an, ohne daß die körperliche Stärkung, die mir dieß mühsame Herumwandern verschaffte, eine merkliche Erheiterung meines Gemüthes hätte bewirken können.

Zu Smyrna war meine erste Sorge, den alten Menippus zu besuchen, der ohne seine Schuld die Veranlassung zu allen Abenteuern gegeben hatte, welche mir seit unserer ersten Zusammenkunft zugestoßen waren: aber ich fand ihn nicht mehr unter den Lebenden. Der Anblick einer unzähligen Menge von Fremden, wovon dieser große Handelsplatz wimmelte, und worunter ich viele Aegyptier, Syrer und Armenier sah, weckte jetzt auf einmal den Gedanken wieder in mir auf, der mich vor anderthalb Jahren nach Smyrna geführt hatte; und ich beschloß, zu Ausführung desselben mich an Bord des ersten Schiffes zu begeben, daß nach Laodicea abgehen würde.

Während ich die Anstalten zu einer so langen Reise machte, traf es sich eines Tages, daß mir auf einem einsamen Spaziergange, den ich in einer Gegend des Ufers, wo der Fußtritt eines Menschen etwas Seltenes war, beinahe alle Abende zu machen pflegte, ein Mann in den Wurf kam, der hier eben so fremd zu seyn schien als ich, und durch seine Gestalt und Miene sowohl als durch seine Kleidung, die einen Syrer oder Phönicier vermuthen ließ, meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Nie sah ich so viel Tiefsinn mit so viel Feuer, einen so finstern Blick mit einer so offnen Stirn, und etwas so Anziehendes mit [173] einem solchen Ehrfurcht-gebietenden Ernst in Einem Gesichte vereinigt. Ich fand ihn, indem ich um die Ecke eines vorragenden Felsen herumkam, in einer natürlichen Nische, welche die Zeit in den Felsen gegraben hatte, auf einem Steine sitzen, mit einem aufgerollten Buche auf seinem Schooße, in dessen Lesung er begriffen war, als ihn meine unvermuthete Erscheinung aufzuschauen bewog. Er warf, unter seinen schwarzen überhängenden Augenbrauen hervor, einen scharfen Blick auf mich, und fuhr wieder fort in seinem Buche zu lesen. Ich weiß nicht welcher geheime Zug sich bei seinem Anblick in mir regte. Meine erste Bewegung war, mich ihm zu nähern: aber ich sah so wenig Einladendes in seinem Auge, daß ich es nicht wagte. Ich ging tiefer in den Wald hinein, der sich auf dieser Landspitze bis nah ans Ufer erstreckte, und als ich zurückkam, fand ich den Unbekannten nicht mehr.

Des folgenden Abends trieb mich ein mehr als gewöhnlicher Grad von Trübsinn abermals in diese Gegend. Ich sah mich lange vergebens nach dem Fremdling um, den ich, ohne zu wissen warum, hier wieder anzutreffen hoffte. Alles weit umher war einsam, still und schauervoll. Meine Gedanken wurden immer trüber. Ich stand mit gesenkter Stirn, an den Rumpf einer alten Eiche gelehnt, als ich auf einmal den Fremden gewahr ward, der langsam bei mir vorüber ging. Er hielt einen Augenblick still, heftete einen Blick auf mich, der mir bedeutungsvoll schien, wiewohl ich ihn nicht entziffern konnte; und als ich, nach einigem Zaudern, zum Entschluß kam ihm zu folgen, war er wieder verschwunden.

Der Mann fing an mich zu beunruhigen. Ich entfernte [174] mich; aber sein Bild folgte mir; ich konnte mich nicht davon los machen, und es kam mir sogar im Schlafe wieder vor. Etwas, das ich mir selbst nicht erklären konnte, hielt mich am dritten Abend zurück, den einsamen Ort, wo ich diese sonderbare Erscheinung schon zweimal gehabt hatte, zum drittenmale zu besuchen: aber ein eben so unerklärbares Etwas zog mich beinahe wider meinen Willen dahin. Ermüdet setzte ich mich auf den Stein, wo der Unbekannte neulich gesessen hatte, und hing, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, meinen gewöhnlichen Gedanken nach, als er plötzlich wieder vor mir stand.


Lucian.


Man muß gestehen, Peregrin, deine Abenteuer haben alle einen ganz eigenen Anfang – immer so feierlich! so geheimnißvoll!


Peregrin.


Das ist das letzte, Lucian, das sich so anfängt; und wiewohl meine Neugier gereizt war, so gewann doch der Unbekannte durch diese ungewöhnliche Art meine Bekanntschaft zu suchen nichts, als daß ich alle meine Klugheit (welches freilich nicht viel gesagt ist) aufbot, um auf meiner Hut gegen ihn zu seyn. Dioklea hatte mich mißtrauisch gemacht.


Lucian.


Und doch wollte ich wetten, mit allem deinem Mißtrauen wurdest du so gut wieder betrogen, als du dich mit der reizenden Kallippe, dem schönen Gabrias, und der göttlichen Dioklea betrogst, da du lauter Vertrauen warst.


Peregrin.


Alles zu seiner Zeit, lieber Lucian. – Sobald der Unbekannte [175] nahe genug war, daß ich nicht zweifeln konnte seine Absicht sey mich anzureden, stand ich auf, als ob ich ihm meinen Sitz überlassen wollte, und machte eine Bewegung mich zu entfernen, aber wie einer der erst ein Band zerreißen muß, wodurch er zurückgehalten wird. – Wie, Peregrinus? sprach der Unbekannte mit einem Tone, der sogleich den Weg zu meinem Herzen fand, und einem Blicke, der wie ein Lichtstrahl in das Dunkle meiner Seele drang, – du fliehest vor deinem guten Genius? – Bei dieser Anrede blieb ich stehen, und raffte alle Kälte, die ich in meine Gewalt bekommen konnte, zusammen, um ihm statt der Antwort mit einer so ungläubigen als befremdeten Miene ins Gesicht zu sehen. Aber ich zweifle sehr, daß der Erfolg meinem Willen gehorsam war. Denn, indem ich es sprach, lief mir ein Schauder durch alle Adern, und das unfreiwillige Erstaunen, mich von einem so sonderbaren Unbekannten mit einer so seltsamen Anrede bei meinem Namen nennen zu hören, verschlang in einem Augenblicke mein Bestreben, dieses außerordentliche Wesen durch eine angenommene Kälte von mir zurück zu schrecken.


Lucian.


Da haben wir's!

Peregrin.


»Kannst du, fuhr er in eben dem herzgewinnenden Tone fort, kannst du glauben, daß uns ein bloßer Zufall hier zusammengebracht habe? Es gibt keinen Zufall, Peregrin! Wir sollten uns finden, und wir fanden uns.«

Ich fühlte mich überwältigt. Ich setzte mich wieder auf [176] meinen Stein, und der Unbekannte ließ sich mir gegenüber auf einem bemoosten Felsenstücke nieder.

»Du fliehest die Menschen (fuhr er fort, da meine Zunge noch immer gebunden schien), du suchst die Einsamkeit, suchest Ruhe, und lebst im Kriege mit dir selbst, sehnest dich nach dem Licht, und taumelst in der Finsterniß. Noch so jung an Jahren, an Erfahrung schon so reich, was hast du an Weisheit gewonnen? Vor wenig Monaten noch eine so schöne Blume, wo ist der Glanz deiner Blüthe? Empusen in Lichtgestalten haben ihn mit ihrem Hauche befleckt! Der stolze Ixion glaubte die Königin der Götter zu umarmen; noch glücklich, wenn die vermeinte Göttin an seinem Busen in eine Wolke zerflossen wäre! Aber er selbst schmolz in den Armen einer Sirene hin.«

Und dieß alles liesest du in meinem Gesichte? rief ich mit Erstaunen und Bestürzung aus: wunderbares Wesen, wer bist du?

»Nicht wofür du mich vielleicht hältst, wiewohl mehr als ich scheine. Du bist lange genug getäuscht worden, Peregrin! es ist Zeit, daß dir der Weg der Wahrheit aufgeschlossen werde. Ich nannte mich deinen guten Genius, denn ich vertrete seine Stelle bei dir; und, wiewohl ich im Grunde nicht mehr bin als du selbst, so kann ich doch, in der Hand dessen dem ich diene, ein Werkzeug deiner Rettung werden.« –

Du begreifst, lieber Lucian, daß mein Erstaunen mit jedem Augenblicke wachsen mußte. Wie konnte der Unbekannte mit den geheimsten Umständen meiner Geschichte so vertraut seyn, als ob er wirklich mein Genius wäre?


[177] Lucian.


Dein alter Bedienter wird wieder geschwatzt haben.

Peregrin.


Da hätte er mehr sagen müssen als er selbst wußte.

Lucian.


Er wußte doch etwas, wenn schon nicht alles; und ein so schlauer Mann, als mir dein Unbekannter scheint, brauchte zu dem, was ihm deine eigene Gegenwart sagte, nur einige Bruchstücke von Nachrichten, um das Räthsel deiner Person ziemlich leicht aufzulösen.


Peregrin.


In der That vermuthete ich selbst so etwas, und dieser Gedanke gab dem letzten Funken von Mißtrauen, den die Offenheit des Unbekannten in mir übrig gelassen hatte, noch so viel Nahrung, daß seine Reden nicht die ganze Wirkung auf mich thaten, die er erwarten konnte. Aber auch dieß las er in meinem Gesichte. »Mich wundert nicht, fuhr er fort, daß du unschlüssig bist, was du von mir denken sollst. Nichts ist was es scheint, wiewohl dem Erleuchteten alles scheint was es ist. Die Natur ist eine Hieroglyphe, wozu wenige den Schlüssel haben, und der Mensch kennet alles andre besser als sich selbst. Er gleicht einem ausgesetzten Königsohne, der, von Hirten erzogen, in schlechter Gesellschaft, unter tausend verworrenen Zufällen und Abenteuern grau ward, ohne von seinem Ursprung und von dem, wozu er geboren war, einige Ahdung gehabt zu haben. Was für Trost hat der Blinde davon, daß rings um ihn her Sonnenschein ist? Was hilft dem Bettler das Gold in den Eingeweiden der Erde? Das [178] Leben des Menschen, das sein Alles scheint, ist nichts; immer von einem Augenblicke verschlungen, der schon dahin ist ehe man gewahr wurde daß er da war, ist es nichts! Aber, – o möchten's die Menschen wissen! möcht' es ihnen der Donner, der die Todten wecken wird, in die Seele donnern! – es ist mit der Zukunft schwanger, die alles ist.«

Mein Unbekannter gab dieses sonderbare Orakel mit einer Begeisterung, einem Feuer in den Augen, einem, ich weiß nicht welchem mehr als menschlichen Klang der Stimme, von sich, daß ich davon ergriffen wurde, und den Muth verlor, ihn zu fragen was er damit wollte. Nachdem wir beide eine ziemliche Weile geschwiegen hatten, nahm er das Wort wieder, und sagte in einem sanftern, aber nach und nach immer feierlicher werdenden Tone: »Du bist zu einer großen Bestimmung berufen, Peregrin! – Eine mächtige Stimme vom Himmel ist durch alle Lande erschollen. Der Eingeladenen sind viele, aber die Zahl der Erwählten ist klein. Wir stehen am Rande einer furchtbaren Umkehrung der Dinge. Das Licht ist mitten aus der Finsterniß hervorgebrochen, das Reich der Dämonen und ihrer Diener naht sich einem schrecklichen Ende. Schon ist die Stadt Gottes herabgestiegen, durch das Licht selbst, das von ihr ausstrahlt, den geblendeten Augen der Unheiligen noch verborgen: aber sie wird plötzlich, gleich der Morgensonne aus Wolken, hervorbrechen; die Völker der Erde werden sich zu ihr versammeln, und jeder ihrer Strahlen wird ein Blitz seyn, der die Feinde des Lichts verzehren wird.«


[179] Lucian.


Immer besser! Ich erkenne deinen Mann an dieser Weissagung. Die wackern Leute, zu denen er gehört, bedrohten die Welt so lange mit einer fürchterlichen Umkehrung der Dinge, bis sie es in ihre Macht bekamen, die Drohung wahr zu machen.


Peregrin.


Er hielt abermal ein, und heftete einen Blick auf mich, der mein Innerstes durchforschen zu wollen schien. Ich gestehe dir, daß die Spitzen meiner Haare sich zu bewegen anfingen. So hatte ich noch keinen Menschen sprechen gehört! Ohne zu verstehen was er wollte, fühlte ich alle Kräfte meines Wesens durch seine Reden erschüttert; geheime Ahnungen stiegen in mir auf; mir war nicht anders, als ob ich dem Augenblick einer großen Veränderung nahe sey. Indessen hatte ich mich doch, nach einer ziemlich langen Pause, so zusammen genommen, daß ich eben die Lippen öffnen wollte, ihn zu bitten, daß er sich über die geheimnißvollen Dinge, die er mit der Begeisterung und der Gewißheit eines Propheten vorgebracht, deutlicher gegen mich erklären möchte; als er mir zuvorkam, und in einem viel ruhigern Tone fortfuhr: »Fasse dich, Peregrin! – Ich habe dich in Erstaunen gesetzt. Es war nöthig, um den erstorbenen Keim des Lebens in deinem Innersten wieder zu erwecken. Du bist gefallen, aber du wirst dich wieder erheben. Ich sehe das Zeichen der Erwählung auf deiner Stirne. Von nun an haben die Dämonen, in deren Schlingen du dich zu Halikarnaß verfingest, keine Gewalt mehr über dich. Reinige dein Gemüth mit [180] Strenge gegen dich selbst von jeder körperlichen Befleckung! Nur durch Ertödtung des thierischen Menschen wird der geistige ins Leben geboren; und keine andern als diese können Bürger der heiligen Gottesstadt werden, in die ich dich einen Blick des Geistes thun ließ. Noch einmal, Peregrin, das Reich des Lichtes ist nahe – es hat schon angefangen – unwissend und als ein Fremdling, wie dein Name sagt, stehst du bereits in seiner Mitte. Bald wird die Decke von deinen Augen fallen; du wirst in Mysterien, wovon jene zu Eleusis nur täuschende Schatten sind, zum Anschauen eines ganz andern Lichtes kommen, und ein ganz andrer Führer der Seelen, als jener fabelhafte Hermes, wird das Göttliche in dir zu seinem Ursprung zurückführen! – Dann wirst du mein Bruder seyn, Peregrin! wirst die Stimme des hohen Berufs hören, zu welchem du erwählt bist, und der Ehre theilhaftig werden, ein Mitarbeiter an dem glorreichsten aller Werke zu seyn, und unter dem Scepter des großen Eingebornen die neu geschaffene Erde regieren zu helfen.«


Lucian.


Das war viel auf einmal, guter Peregrin! Nach einer solchen Weissagung wird wieder eine ziemliche Pause erfolgt seyn?


Peregrin.


Der Unbekannte ergriff bei den letzten Worten meine Hand, drückte sie mit Inbrunst, und stand auf. »Ich sehe, sprach er mit gerührter Stimme, dein Herz ist voll; allein mehr zu sagen ist mir nicht erlaubt. Ich stehe unter einem höhern Befehl. Ich muß dich verlassen. Am siebenten Tage nach dem [181] nächsten Neumond werden wir uns zu Pergamus wiedersehen.« – Und hiermit küßte er mich mit einem Blick voll Liebe und Vertrauen auf die Stirn, entfernte sich eh' ich ein Wort sprechen konnte, und verlor sich zwischen den Felsen aus meinen Augen.

Ich stand in einer unfreiwilligen Bewegung auf, als ob ich ihm folgen wollte: aber die Furcht ihm zu mißfallen zog mich schnell zurück. Mit einem in der That sehr vollen Herzen setzte ich mich auf den Stein, wo dieser wunderbare Sterbliche oder Genius gesessen hatte. Seine Stimme schien noch leise um die Felsen zu tönen, von denen ich eingeschlossen war; von seinen Reden war kein Wort aus meinem Gedächtniß entschlüpft; noch hörte ich sie alle in meinem Innern widerhallen, und ich blieb, in tiefes Nachdenken über ihren Inhalt versunken, so lange sitzen, bis die einbrechende Nacht mich endlich nöthigte nach meiner Wohnung zurückzukehren.

Hier war mein Erstes, meinen alten Freigelass'nen in die schärfste Untersuchung zu nehmen, ob er es sey, der den Unbekannten mit dem geheimern Theile meiner Begebenheiten so vertraut gemacht habe? Aber es fand sich, daß der Alte ihn weder selbst gesehen, noch mit irgend einem andern, von welchem jener seine Nachrichten hätte ziehen können, ein Wort von mir und meinen Angelegenheiten gesprochen hatte.


Lucian.


Und was schlossest du hieraus?

Peregrin.


Eigentlich zu reden, nichts: aber ich machte mir doch selbst einen Vorwurf darüber, daß ich, nach allem was ich von [182] dem Unbekannten mit meinen Augen gesehen und aus seinem Munde gehört hatte, noch eines Mißtrauens gegen ihn fähig sey.


Lucian.


An diesem Zug erkenn' ich dich, Freund Peregrin: diese Gemüthsbeschaffenheit war es eben, die dir immer alle Vortheile, die du aus deinen Erfahrungen hättest ziehen können, rauben mußte.


Peregrin.


Du wirst dich um so weniger wundern, daß ich so leicht in die Falle des Unbekannten einging (wofern wir es anders, durch ein etwas vorschnelles Urtheil, für eine Falle erklären wollen) wenn du bedenkst, wie dringend bei mir das Bedürfniß war, das Leere, das meine letzte Entzauberung in meiner Seele zurückgelassen hatte, wieder auszufüllen; und daß die Harmonie in meinem Innern durch nichts andres hergestellt werden konnte, als indem die ganze Thätigkeit meines Geistes wieder auf den großen Zweck gerichtet wurde, der, wiewohl ich ihn auf einem Irrwege verfehlt hatte, nicht aufhörte, noch ohne eine gänzliche Verwandlung meines Ich's aufhören konnte, das Ziel meiner ewigen Sehnsucht zu seyn. Mir war, als ob mich die Reden des Unbekannten mit einer neuen Lebenskraft angeweht hätten. Ihre Beglaubigung war in meinen eigenen Gefühlen und Wünschen. Sie blieben mir, wie sein Bild, immer gegenwärtig; mit jeder Erinnerung senkten sie sich tiefer in meine Seele ein, und sein Abschiedskuß brannte noch lange auf meiner Stirne.


Lucian.


Ganz gewiß wußte dein Unbekannter auch dieß voraus! [183] Der verstand sich auf die prophetische Kunst! Und mit welcher Sicherheit er vorhersagte, ihr würdet euch am siebenten Tage nach dem ersten Neumond wiedersehen! Das ist doch keine Begebenheit, die sich so voraus berechnen läßt wie eine Mondsfinsterniß! Und er, er bestimmt nicht nur den Tag; er nennt dir, damit du ihn ja nicht verfehlen könnest, sogar den Ort, wo ihr euch wiederfinden würdet. Der große Prophet! Wie gut er seinen Mann kannte!


Peregrin.


Spotte nicht, Lucian! So simpel die Sache scheint, so gehörte doch vielleicht ein Mann von ungewöhnlichem Geiste dazu, ein so simples Mittel, seiner Sache gewiß seyn zu können, zu finden. Du wirst über meine Einfalt lachen; ich gestehe dir aber aufrichtig, daß ich mir damals eben so wenig zu erklären wußte, wie der Unbekannte wissen könnte daß wir uns zu Pergamus wiedersehen würden, als woher er meinen Namen und meine Begebenheiten zu Halikarnaß erfahren habe.


Lucian.


Und doch hattest du nichts Eilfertigeres zu thun, als den Ort und den Tag in dein Denkbuch einzuzeichnen?


Peregrin.


Ich that es wirklich, wiewohl ich meinem Gedächtniß auch ohne diese Beihülfe hätte trauen dürfen; aber als ich es that, war ich weit von dem Vorsatz entfernt, die Vorhersagung durch eine freiwillige Reise nach Pergamus wahr zu machen. Indessen wurde doch nach einem vierzehntägigen Aufenthalt zu Smyrna, wo die einsame Felsengegend alle Abende einen Besuch bekam, unvermerkt Anstalt gemacht, von Smyrna nach [184] Kyme, von Kyme nach Myrina, von Myrina nach Grynion vorzurücken, ohne daß sich ein wesentlicherer Beweggrund hätte angeben lassen, als daß ich dem gebenedeiten Pergamus dadurch immer näher kam.


Lucian.


Darf ich dich, weil wir doch (wie es scheint) jetzt zu deiner Verbindung mit den Christianern gekommen sind, ohne Unterbrechung fragen, ob du vor dem Tage, der dich mit dem Unbekannten zusammenbrachte, niemals Neugier oder Gelegenheit hattest, diese Leute näher kennen zu lernen? Eine aus Palästina entsprungene Secte, die einen gekreuzigten Gott zum Stifter hatte, und sich eines Geistes rühmte, welcher Galiläischen Fischern die Gabe mittheilte alle Sprachen des Erdbodens zu reden, eine Secte, welche die reinsten und erhabensten Grundsätze der Philosophie mit allem, was der Magismus Schwärmerisches hat, in Verbindung zu bringen wußte, und sich einer Menge von Mitgliedern rühmte, die durch die bloße Kraft ihres Glaubens, oft an Einem Tage, mehr und größere Wunder gewirkt haben sollten, als dein Apollonius von Tyana in seinem ganzen Leben, – eine solche Secte, sollte man denken, hätte eine Imagination wie die deinige um so mehr reizen sollen, da sie einen so dichten Schleier um ihre Mysterien zog, und überdieß durch Beispiele der größten Standhaftigkeit und einen mehr als Pythagorischen Gemeingeist die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.


Peregrin.


Beinahe möchte ich deine Frage auf dich selbst zurückdrehen; denn für einen so eifrigen Menschenforscher, wie du [185] warst, scheinst auch du ehemals um eine genauere Kenntniß der Christianer wenig bekümmert gewesen zu seyn. 70


Lucian.


Die rechte Antwort auf diese Gegenfrage würde uns zu weit aus dem Wege führen, Freund Peregrin. Und dann wirst du mir erlauben zu sagen, daß der Fall bei dir und mir nichts weniger als eben derselbe war. Ich hatte einen natürlichen Abscheu vor dieser Art von Leuten; dich zog eine natürliche Sympathie zu ihnen.


Peregrin.


Also kurz, lieber Lucian, die Ursache, warum ich in der That nie neugierig gewesen war die Christianer näher kennen zu lernen, war die einfachste von der Welt; denn es war ungefähr eben dieselbe, warum ich nie daran dachte, mit den seltsamen Geschöpfen, womit du in deiner wahren Geschichte den Mond und die Sonne bevölkert hast, Bekanntschaft zu machen. Du wirst dich erinnern, daß zu unsern Zeiten in guter Gesellschaft entweder gar nicht, oder nur mit Verachtung von den Christianern gesprochen wurde. Zu Parium hatte ich kaum ihren Namen nennen gehört, und zu Athen auch diesen nicht. Mein Großvater hegte aus mancherlei Ursachen einen gränzenlosen Abscheu vor Juden und Judenthum; seine Vorurtheile gegen sie waren vielleicht zum Theil ungerecht, aber sie waren unheilbar: und weil die Christianer für eine Jüdische Secte galten, und, was noch schlimmer war, für eine, die sogar von den Juden selbst aus ihrem Mittel ausgestoßen worden; so glaubte man ihnen kein Unrecht zu thun, wenn man das Schlechteste von ihnen dachte und sagte, zumal da ein so weiser und [186] gerechter Fürst wie Trajan, und Männer wie Plinius und Tacitus 71 keine bessere Meinung von ihnen gehegt hatten. Mit diesen Vorurtheilen gegen Juden und Christianer aufgewachsen, hatte ich es, wie gesagt, nie der Mühe werth gehalten, mich genauer nach ihnen zu erkundigen; und wiewohl mein Unbekannter, wie du bemerkt hast, ein Christianer war, und sogar eine wichtige Person unter ihnen vorstellte, so kam doch damals, eben darum weil er mir Ehrfurcht und Vertrauen einflößte, kein Verdacht in meine Seele, daß er zu einer so verächtlichen Menschenclasse gehören könnte. Denn dieß war sie in meinem Wahne so sehr, daß, wiewohl ich wußte daß sich eine zahlreiche Gemeine derselben zu Smyrna befand, mir gar nicht einfiel, die geringste Nachfrage ihrenthalben zu thun.


Lucian.


Der Unbekannte scheint gute Nachrichten von dir gehabt zu haben. Denn nun sehe ich offenbar, daß er sich deiner zuvor versichern wollte, eh' er es wagte sich vor dir zu einem Namen zu bekennen, gegen welchen du so stark eingenommen warst. Würde er sonst Bedenken getragen haben, dich mit den Christianern zu Smyrna in Bekanntschaft zu bringen?


Peregrin.


In der That wußte er mehr von mir als ich ihm zutraute. Aber das letztere zu unterlassen, mochte er wohl noch einen andern Beweggrund haben: denn er war das Haupt einer von den vielen besondern Secten, in welche sich die Christianer um diese Zeit zu spalten anfingen; und da die Gährung, welche seine Lehre in der Gemeine zu Smyrna verursachte, damals gerade am stärksten war, würde es auf [187] keine Weise klug von ihm gewesen seyn, mich in einem so kritischen Augenblicke zum Zeugen derselben zu machen. Aber durch alle diese Aufklärungen laufen wir der Geschichte vor.

Ich hatte bald nach meiner Ankunft zu Smyrna von meinem Vater verschiedene Aufträge erhalten, die mich nöthigten meinen Aufenthalt an diesem Orte zu verlängern. Je weniger diese Geschäfte mit dem, was mir jetzt allein am Herzen lag, gemein hatten, desto mehr nahm meine Sehnsucht, den Unbekannten wieder zu sehen und den Aufschluß seiner geheimnißvollen Eröffnungen von ihm zu erhalten, mit jedem Tage zu. Als meine Geschäfte geendiget waren, fehlten noch fünf bis sechs Tage bis zum siebenten nach dem Neumond. Ich verließ Smyrna, weil ich nichts mehr da zu thun hatte: aber zu Mitylene warteten neue Aufträge auf mich, und überdieß sollte ich sobald als möglich nach Parium zurückkehren. Was war also natürlicher, als von Smyrna gerade nach Mitylene, und von Mitylene nach Hause zu reisen? Wozu diese Landreise nach Pergamus, die mich so weit von mei nem Wege abführte – als die Weissagung des Unbekannten wahr zu machen, welcher, wofern ich den Ausrechnungen der kalten Vernunft, und dem, was im Grunde meine Pflicht war, mehr Gehör gegeben hätte, als meinem Hang zum Außerordentlichen, unstreitig dießmal zum Lügenpropheten geworden wäre. Aber wirklich wurde der Drang nach Pergamus zu gehen unvermerkt so stark, daß ich keinen Willen in mir fand, nur zu versuchen ob ich ihn überwältigen könnte. Das Sonderbarste an der Sache ist, daß die Vorhersagung des Unbekannten dadurch, daß ich sie vorsetzlich [188] wahr machte, nichts von ihrem Wunderbaren in meinen Augen verlor: denn woher hätte er voraus wissen können, dachte ich, daß ich so viele Beweggründe, einen ganz andern Weg zu nehmen, dem bloßen Verlangen ihn wieder zu sehen aufopfern würde, wenn er nicht die Gabe hatte, Gesinnungen in meiner Seele vorauszulesen, die in vielen Tagen erst entstehen sollten?


Lucian.


Mit Personen von so gutem Willen ist es in der That eine bequeme Sache ein Wundermann zu seyn.

Peregrin.


Wie wollten die Wundermänner auch zurechte kommen, wenn es nicht solche gutwillige, jeder Täuschung immer selbst entgegen kommende Seelen in der Welt gäbe? Dieß war also auch hier der Fall. Ich reisete so eilfertig, als ob mir alles daran gelegen gewesen wäre, die Weissagung meines Unbekannten ja nicht zu Wasser werden zu lassen, und langte schon am sechsten Tage nach dem Neumond zu Pergamus an, wo ich den ganzen Abend damit zubrachte, mich allenthalben, wo er zu finden seyn konnte, nach ihm umzusehen. Allein seine Stunde war noch nicht gekommen. Mein Glaube wurde dadurch nicht erschüttert, aber meine Ungeduld nahm überhand. Endlich ward ich des folgenden Tages einen Sklaven gewahr, der mir eine Zeit lang von ferne bald zur Seite gegangen bald nachgefolgt war, und mich sehr aufmerksam zu betrachten schien. Ich blieb bei einem alten Denkmale an einem wenig gangbaren Platze stehen; der Sklave näherte sich mir endlich, fragte mich sehr demüthig mit [189] leiser Stimme, ob ich Peregrinus von Parium sey? und da ich es bejahte, überreichte er mir einen versiegelten Zettel, der nichts als diese Worte enthielt: »Folge diesem wohin er dich führen wird« – mit der Unterschrift, der Unbekannte von Smyrna. Der Sklave sagte hierauf: wenn ich diesen Abend um die vierte Stunde nach Sonnenuntergang mich an einem gewissen Platze einfinden wollte, würde er mich dahin führen wo man mich erwartete. Ich versprach es. Die Stunde kam, ich begab mich an den bestimmten Ort, und bald erschien auch der Sklave wieder, und brachte mich durch eine Menge enger Gassen an eine kleine Thür, die uns, auf ein Zeichen das er gab, von innen aufgemacht wurde.

Ich folgte ihm an seiner Hand durch einen finstern Gang in ein kleines Gemach, das er hinter mir verschloß. Auch dieser Winkel war ohne Licht, hatte aber eine viereckige Oeffnung, die mit einem so durchsichtigen Flor bedeckt war, daß sie die Stelle eines Fensters vertreten konnte. Ich wurde bald gewahr, daß diese Oeffnung durch die Mauer einer Scheune ging, welche von einigen Lampen ziemlich schwach erleuchtet war. So viel ich sehen konnte, befand sich hier eine Anzahl Personen von allerlei Alter, Geschlecht und Stande versammelt, die in großer Stille auf verschiedenen Reihen von Bänken um einen Tisch herum saßen, der einige Stufen über den Boden der Scheune erhöht und mit einem Teppich zugedeckt war.

Ich hatte kaum Zeit dieß alles zu bemerken, als ein Mann in einem langen leinenen Gewande, ein großes purpurnes Kreuz auf der Brust, mit einem Rauchfaß hereintrat, [190] und die Scheune mit Wolken von Weihrauch erfüllte; eine Ceremonie, die meiner Nase um so willkommner war, da ihr der dumpfige Geruch des Ortes und die Atmosphäre der anwesenden Personen beschwerlich zu werden anfing, und leicht den Verdacht hätte erregen können, daß ich mich nicht in der besten Gesellschaft befinde, wiewohl ich zu merken anfing, daß ich unter Christianern sey. Bald darauf erschien ein anderer, ungefähr eben so gekleidet, stellte sich vor den Tisch, und begann eine Art von Wechselgesang anzustimmen, wobei die Gemeine von Zeit zu Zeit, mit halber Stimme und mit ziemlich genauer Beobachtung der Modulation und des Rhythmus, einfiel und dem Sänger zu antworten schien. Ich konnte zwar mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit nur einzelne Worte dieser Litanei (wie es die Christianer nennen) verstehen; allein das Feierliche dieses sehr einfachen und um so herzrührendern Gesangs, weil er bloße Sprache des innigsten Gefühls der Singenden zu seyn schien, wirkte mit seiner vollen Kraft auf meinen innern Sinn, und erregte (zumal da der Sabäische Wohlgeruch den ersten widrigen Eindruck verschlungen hatte) unvermerkt ein leises Verlangen in mir, mit den guten Wesen, die sich mir durch diesen einzigen Sinn auf eine so angenehme Art mittheilten, in nähere Gemeinschaft zu kommen.

Als der Wechselgesang zu Ende war, erfolgte eine allgemeine tiefe Stille, die nur zuweilen durch halb laute abgebrochne Worte und Seufzer, welche ich mir damals nicht zu erklären wußte, unterbrochen wurde. Der Mann mit dem Rauchfaß erschien abermal, und erfüllte den ganzen Versammlungsort [191] mit einer dicken Wolke von Weihrauch: und als sie sich zertheilt hatte, sah ich auf dem erhöhten Platze vor dem bedeckten Tische – wen anders als meinen Unbekannten, im Begriff eine Anrede an die Gemeine zu halten. Seine Stellung und sein ganzes Aeußerliches gebot Ehrfurcht; er hatte das Ansehen eines Weisen, dessen Gemüth von allen Leidenschaften und Gebrechen der sterblichen Natur gereinigt ist, und der gewohnter ist mit höhern Wesen als mit Erdenkindern umzugehen. Niemals hörte ich einen Menschen mit einem so wahren Tone der Ueberzeugung von Dingen sprechen, die außer der Einbildung und Vorstellungsart dessen, der sie glaubt, keine Realität haben, oder von deren Realität es wenigstens nicht möglich ist sich durch Anschauung oder Vernunftschlüsse zu überzeugen. Seine Rede bezog sich zwar unmittelbar auf das Lob eines gewissen Märtyrers (mit den Christianern zu reden), dessen Gedächtniß an diesem Tage von ihnen begangen wurde: aber ihr ganzer Inhalt schien mir darauf abgezielt zu seyn, mir – den er doch wohl nicht ohne eine besondere Absicht hierher gebracht hatte – über die geheimnißvollen Dinge, in die er mich zu Smyrna hatte blicken lassen, einigen nähern Aufschluß zu geben. Er sprach von dem Jüngling, der an diesem Tage die Wahrheit durch die standhafteste Erduldung eines grausamen Todes verherrlichet habe, als von einem edeln Kämpfer, der in dem großen Streite, worin die Kinder des Lichts mit den Geistern der Finsterniß und ihrem Anhang begriffen wären, rühmlich gefallen sey, um nach der bevorstehenden glorreichen Endigung dieses heiligen Krieges als Sieger wieder aufzustehen, und einer von denen zu seyn, welche die[192] neue Erde regieren würden. Er breitete sich mit hinreißender Beredsamkeit über diesen Zeitpunkt aus, dessen Glorien zu beschreiben ihm (wie er sagte) Bilder und Worte fehlten; wiewohl er den ganzen Reichthum der Sprache erschöpfte, nur einen matten Schattenriß davon zu entwerfen. Er kündigte ihn mit der Gewißheit eines Propheten, der das Künftige schon gegenwärtig sieht, als etwas sehr nahe Bevorstehendes an, und ermahnte die anwesenden Brüder und Schwestern (die er in der eigenen Sprache seiner Secte mit den prächtigsten Titeln belegte), um so tapferer und unermüdeter in dem Streite zu seyn, wozu sie berufen wären, da jeder Sieg, den sie über den Feind erhielten, den großen Tag beschleunigte, an welchem alles neu werden, oder vielmehr, durch die Wiedervereinigung mit dem Urquell des Guten, in den ursprünglichen Stand der reinsten und göttlichsten Vollkommenheit zurückkehren würde. Dieser Feind hätte, wie sie wohl wüßten, ehemals seinen Sitz in ihnen selbst gehabt, und seine Herrschaft über sie durch die Gewalt ausgeübt, womit er sie zu den Werken der Finsterniß hingerissen hätte: aber, wiewohl er, seitdem der neue Mensch in ihnen zu leben angefangen, aus ihrem Herzen vertrieben sey, so suche und finde er doch, so lange das Göttliche in ihnen in diesem sterblichen Leibe gefangen gehalten werde, tausend Wege, sich durch die Sinne in den innerlichen Menschen wieder einzuschleichen, das Licht ihrer Seele zu umnebeln, und Aufruhr, Stürme und Verheerungen in ihrem Inwendigen anzurichten. Da nun zu Ertödtung des thierischen Menschen kein anderes Mittel sey, als das Leben des geistigen zu befördern, so ermahnte er sie [193] mit großem Ernste, dem erstern, so viel nur immer mit der schuldigen Erhaltung des natürlichen Lebens bestehen könne, alle Nahrung zu entziehen, jede sinnliche Lust und Begierde in der Geburt zu ersticken, und durch öfteres Fasten, Wachen und Anhalten im Gebet den Einfluß der himmlischen Kräfte in ihr Innerstes zu unterhalten. Söhne des Lichts, rief er, euch gebührt es, rein und ohne Makel zu seyn, wie der Vater der Lichter von dem ihr abstammet! Brüder des Eingebornen, Erstlinge der neuen Schöpfung, auserwählt mit Ihm das herrliche Reich zu regieren, dessen Stifter und König Er ist, euch gebührt es, aller Gemeinschaft mit den Kindern dieser Welt zu entsagen, und jede Gleichstellung mit den Unheiligen für Schmach zu halten. Gehet aus von ihnen! Sondert euch ab von ihnen! Ihr Anhauch ist Befleckung, ihre Berührung Gräuel und Bann! Welche Gemeinschaft könnte zwischen dem Licht und der Finsterniß seyn? welche Theilnehmung zwischen den Glaubigen und den Unglaubigen? Ihre Augen sind verschlossen, die eurigen aufgethan. Sie trachten nach dem was auf Erden, Ihr nach dem was droben ist. Euer Wandel ist im Himmel. Dieser verächtliche Kothklumpen unter euern Füßen hat nichts das eurer Wünsche werth sey. Die zerbrechliche Schale, meine Brüder, die uns noch umgibt, ist es allein, was uns hindert das Leben der Geister zu leben: aber auch diese dünne Scheidewand wird, durch das Feuer der göttlichen Liebe unvermerkt verzehrt, immer dünner, immer durchsichtiger. Hier hielt er auf einmal ein; sein Haupt sank zurück, er schaute mit starren Augen empor, und schien einige Augenblicke in Verzückung zu schweben, während die Stille [194] in der Versammlung noch stiller wurde, und alle Augen mit Erstaunen auf ihn geheftet waren. – Sollten aber auch, fuhr er wieder zu sich selbst kommend fort, sollten gleich viele unter euch in diesem Leben, welches nur die Geburt ins wahre Leben ist, noch nicht bis zum Anschauen selbst gelangen, noch nicht entkörpert genug seyn, daß die Herrlichkeiten der unsichtbaren Welt ihrem Geiste aufgeschlossen würden: hat nicht der Glaube, der euch mitgetheilt ist, ein Auge, zu sehen was ihr nicht sehet, wiewohl ihr um und um davon umgeben seyd? hat er nicht eine Hand, zu ergreifen was euch ferne scheint, wiewohl es euch so nahe ist? Und wenn weder Glaube noch Liebe Gränzen haben; wenn beide so unendlich sind wie ihr Gegenstand, so unerschöpflich, wie die Aeonen, 72 deren Ausflüsse sie sind – wer, meine Brüder, kann sagen, was dem, der Glauben und Liebe hat, zu thun oder zu erreichen unmöglich ist?


Lucian.


Um der Grazien willen, Peregrin, halt ein! Laß es an dieser Probe genug seyn! Ich sehe, dein Unbekannter war ein Meister in seiner Kunst. Braucht es einer größern Probe, als daß er dich noch in diesem Augenblicke mit seiner göttlichen Raserei wieder angesteckt hat? – Du guter Peregrin! Da hattest du deinen Mann gefunden!


Peregrin.


In der That sog mein Ohr, oder vielmehr meine ganze Seele mit tausend unsichtbaren Ohren, alle seine Worte mit einer wunderbaren Befriedigung ein. Was ich fühlte war dem unbeschreiblichen Gefühl ähnlich, womit ein lechzender Wanderer, [195] der lange nach einem Tropfen frischen Wassers schmachtete, die ersten Züge aus einer ihm unverhofft entgegen rauschenden Felsenquelle thut. Der Unterschied war nur, daß, wie bei jenem der Durst mit jedem Zug abnimmt, ich hingegen mit jedem Zuge begieriger wurde, mich, den Kopf zu unterst, in diesen Strom zu stürzen, und kaum meine äußersten Lippen gelabt zu haben glaubte, als der göttliche Mann zu reden aufhörte. In eben demselben Augenblick erschien auch der Sklave, der mich hierher gebracht hatte, wieder, nahm mich bei der Hand, und führte mich eilends davon, indem er mir ins Ohr flüsterte, daß nun die heiligen Mysterien, bei denen kein Uneingeweihter zugegen seyn könnte, ihren Anfang nehmen würden. Ich entfernte mich, die Glücklichen beneidend, denen erlaubt war an diesen Mysterien Theil zu nehmen, und im Weggehen hallte mir noch das herzerhebende Getön eines neuen Hymnus nach, den die Gemeine anstimmte.


Lucian.


Natürlicher Weise entferntest du dich also mit dem Entschluß, je jeher je lieber einer von diesen beneideten Glücklichen zu werden: und da dieß vermuthlich gerade das war, was der Unbekannte wollte, so wirst du, hoffe ich, deines Wunsches bald genug gewährt worden seyn?


Peregrin.


Dein Scharfsinn hat dich dießmal nur zur Hälfte getäuscht, Lucian. Meine Gedanken hast du errathen: aber der Unbekannte war nicht so leicht zu entziffern als ich. Er überließ mich den ganzen Morgen, der auf diese merkwürdige Nacht folgte, meiner Sehnsucht, ihn allein zu sehen und zum [196] Vertrauten dessen was in meinem Gemüthe vorging zu machen; aber vergebens erwartete ich ihn in meiner Wohnung, vergebens suchte ich ihn überall auf, wo ich ihn zu finden vermuthen konnte. Endlich, da ich um die siebente oder achte Stunde nach Hause kam, fand ich einen Brief, worin er mir sagte: »Es wäre ihm nicht erlaubt mich jetzt zu sprechen; aber wir würden uns zu rechter Zeit wieder sehen; inzwischen sollte ich zu Parium, wohin mich meine Pflicht zurückrufe, denjenigen erwarten, der mir zugesandt werden würde, um mich auf dem rechten Wege weiter zu bringen.«

Fünfter Abschnitt
[197] Fünfter Abschnitt.

Peregrin (fährt in seiner Geschichte fort).


Da ich zu Pergamus nichts weiter zu erwarten hatte, machte ich auf der Stelle Anstalt nach Pitane abzugehen, um von da nach Mitylene überzusetzen. Man sagte mir, daß ich einen großen Wald zu durchwandern hätte, worin man sich ohne Wegweiser leicht verirren könne; und indem ich meinen Wirth darüber zu Rathe zog, bot sich ein Landmann von freien Stücken an, dem, seiner Versicherung nach, die ganze Gegend sehr bekannt war. Er müßte, sagte er, ohnehin durch diesen Wald, um in seine jenseits desselben liegende Heimath zurückzukehren, und der Weg würde ihm desto kürzer scheinen, wenn er ihn in meiner Gesellschaft zurücklegen könnte. Es war etwas in der Physiognomie dieses Mannes, das mir Vertrauen einflößte. Ich trug also, zumal da mein alter Diener bei mir war, kein Bedenken sein Erbieten anzunehmen, und wir gingen früh genug ab, um noch vor Sonnenuntergang die Gefahr des Verirrens überstanden zu haben.

[198] Aber es fiel anders aus als mein Mann geglaubt hatte. Die Sonne ging unter, und wir sahen noch keinen Ausgang aus dem Labyrinthe; vielmehr schienen wir uns immer mehr darin zu verfangen, wiewohl mein Führer versicherte, daß wir auf dem rechten Wege wären. Da ich kein Mißtrauen in einen Menschen setzen konnte, der seiner Sache so gewiß war und ein so sprechendes Zeugniß seiner Redlichkeit in seinem Gesichte trug, so beruhigte ich mich dabei, und folgte meinem fast immer stillschweigenden Führer so lange, bis er endlich selbst zu gestehen anfing, daß er den Weg nach Pitane verfehlt habe. Er schien nicht zu begreifen wie es zugegangen sey. Da muß, sprach er, eine höhere Hand im Spiele seyn. – Glaubst du etwa, daß uns ein Waldgeist irre geführt habe? sagte ich lachend. – Das wäre nicht unmöglich, antwortete er ganz gelassen: es gibt überall böse Geister. – Und du fürchtest sie nicht? fragte ich. – Gewiß nicht, versetzte er: sie müssen doch immer, wie leid es ihnen auch thut, durch das Böse, das sie wollen, das Gute befördern, das sie nicht wollen.

Ich hätte dem Manne bei diesen Worten gern ins Gesicht sehen mögen, wenn es nicht zu dunkel gewesen wäre. – Es wäre mit Dank anzunehmen, sagte ich, wenn uns dein Waldgeist, indem er uns in irgend einen Sumpf oder an einen jähen Abgrund zu verführen gedachte, unversehens zu einem guten Nachtlager gebracht hätte. – Das soll er auch, hoffe ich, erwiederte er; ich sehe schon Licht zwischen jenen Bäumen. – Es ist vielleicht ein Irrwisch, wenn es nicht der Mond ist, versetzte ich. – Er schwieg; aber bald darauf wurde [199] der Wald offner, der Mond gab uns etwas Licht, und es zeigte sich wieder ein Weg, den mein Führer zu erkennen versicherte. Wir waren kaum eine Viertelstunde fortgegangen, so fanden wir ein langes angebautes Thal vor uns liegen, und entdeckten zwischen Gruppen von Bäumen einige Wohnungen. Sagte ich's nicht? sprach der Wegweiser, mit der Hand nach den Wohnungen deutend. – »Aber die Frage ist, ob man uns aufnehmen wird.« – Was wir hier sehen, ist ein kleines Landgut, erwiederte er, dessen Besitzer mir bekannt ist. Er ist ein guter Mann; er wird uns das Nachtlager nicht versagen.

Wir eilten, so ermüdet wir waren, den Hügel hinab, und sahen uns bald zwischen einigen Reihen hoher Castanienbäume, die uns gerade zu einem sehr einfachen aber geräumigen Gebäude führten, welches die Wohnung des Landwirths schien, dem dieses Gut zugehörte. Wie wir näher kamen, tönte uns aus der Stille der Nacht ein äußerst anmuthiger Gesang verschiedener männlicher und weiblicher Stimmen entgegen, deren gut zusammenpassende Verschiedenheit, bei einer überaus reinen Intonation, die angenehmste Harmonie hervorbrachte. Ich glaubte einen Chorgesang jener himmlischen Wesen zu hören, deren wieder hergestellte Gemeinschaft mit uns, nach der Versicherung meines Unbekannten, eine der Glückseligkeiten des bevorstehenden Reichs Gottes seyn sollte. Meinem Führer schien das eine gewohnte Sache zu seyn, und ich fing an zu vermuthen, daß seine Verirrung im Walde weder ein Werk des Zufalls noch der Wald-Dämonen, sondern vorsetzlich abgezielt gewesen sey, mich hierher zu bringen.


[200] Lucian.


Dieß ist, dünkte mich, klar genug, und ich vermuthete es lange vor dir, lieber Peregrin.

Peregrin.


Wir hörten dem Gesang eine gute Weile stillschweigend zu; und als er aufhörte, klopfte mein Führer dreimal an der Pforte des Vorhofs an. Nicht lange, so hörten wir jemand aus dem Hause an die Pforte kommen, der uns fragte, was unser Begehren sey? Mein Führer antwortete ihm etwas auf Syrisch, das ich damals nicht verstand, und setzte auf Griechisch hinzu: er hätte ein paar Fremde, die nach Pitane wollten, durch den Wald geleitet; wir wären verirrt, und hofften keine Fehlbitte zu thun, wenn wir an dieser Pforte um ein Nachtlager bäten.

Er hatte die letzten Worte noch nicht ausgesprochen, so ging die Thür auf, und wir sahen einen rüstigen Mann von funfzig Jahren, der uns, einen nach dem andern, bei der Hand nahm und in seinem Hause willkommen hieß. Einer seiner Söhne leuchtete uns, und wir wurden in einen kleinen Saal geführt, wo sich in kurzem noch fünf oder sechs andere wackere Jünglinge einfanden, die als Söhne vom Hause sich geschäftig erwiesen, uns zu zeigen daß wir freundlich aufgenommen wären. Bald darauf brachten sechs Mädchen von dreizehn bis zwanzig Jahren, die Schwestern dieser Jünglinge, alles was vonnöthen war, uns die Füße zu waschen. Sie waren alle eben so reinlich als einfach gekleidet, und zeichneten sich von allen weiblichen Wesen, die mir jemals vorgekommen waren, durch ein Ansehen von Unschuld, Zucht [201] und in sich selbst verhüllter Jungfräulichkeit aus, das sich besser fühlen als beschreiben läßt. Sie setzten das Wasser, ohne die Augen aufzuschlagen, vor uns nieder, breiteten reine Tücher und das übrige Zubehör auf einen Tisch aus, und entfernten sich wieder, eine nach der andern, eben so sittsam und ohne Geräusch, wie sie gekommen waren. Noch etwas das mir auffiel, war, daß diese sechs Mädchen einander so ähnlich sahen, als ob es eben so viele Copien eben desselben Modells gewesen wären; bloß das Alter und die Größe machte den Unterschied aus. Eben dieß, wiewohl in minderem Grade, bemerkte ich auch an den Söhnen, von welchen die drei jüngsten, nachdem sie sich mit Schürzen von Leinen umgürtet hatten, ohne auf meine und meines alten Dieners Weigerungen zu achten, den Dienst des Fußwaschens in großer Stille und mit einem sonderbaren Anschein von Demuth und Andacht verrichteten.

Als sie damit fertig waren, und wir eine Weile ausgeruht hatten, erschien der Hausvater wieder, und führte uns in einen andern kleinen Saal, zu einem gedeckten Tische, der mit Eiern und Milch, sehr schönem Brote und vortrefflichen Früchten besetzt war. Hier fanden wir eine Matrone von etwa vierzig Jahren, die Frau des Hauses und die Mutter aller dieser Kinder, die uns bat, da wir doch einiger Erquickung bedürften, mit dem fürlieb zu nehmen, was das Haus noch so spät zu geben vermöchte. Diese Frau flößte mir beim ersten Anblick eine Empfindung ein, die ich noch nie gefühlt hatte – etwas das aus dem, was man für eine Königin und für eine Mutter fühlen kann, zusammengesetzt war, und [202] mich zwischen zwei unfreiwilligen Anwandlungen, vor ihr nieder zu knien und ihr um den Hals zu fallen, im Gleichgewicht hielt: in einem so hohen Grade leuchtete jede Tugend, die wir mit dem schönen Worte Sophrosyne 73 zusammenfassen, aus ihrem ganzen Gesicht und Wesen hervor. Ohne daß sie vermuthlich jemals eine Schönheit gewesen war, gab ihr die Mischung von Würde und Demuth, von Ernst und Güte, Weisheit und Einfalt, Betriebsamkeit und Ruhe, die den Charakter ihrer Gesichtsbildung und Züge ausmachte, eine so eigene Art von Würde und Anmuth, und zu aller der Mütterlichkeit, wenn ich so sagen kann, die eine Mutter von sechs Söhnen und eben so viel Töchtern in ihr darstellte, etwas so Jungfräuliches und Vestalenartiges, daß ihr Anschauen auf einmal alle Bilder von Schönheit und Grazie auslöschte, die aus der Villa Mamilia in meiner Seele zurückgeblieben waren. Damals kannte ich nichts, womit ich diese Frau, und das was ich bei ihrem Anblick empfand, hätte vergleichen können; aber lange nachher, als ich in allen Mysterien der Christianer eingeweiht war, dachte ich, so oft ich mich ihrer erinnerte, ein Maler oder Bildner hätte, um die Mutter des Gottgesandten darzustellen, kein vollkommneres Modell finden können als diese Frau.

Es war ein schöner und für mich ganz neuer Anblick, diese Eltern zu sehen, die von so vielen ihnen ähnlichen, gesunden und gutartigen Kindern umgeben, einem schönen Baume glichen, der sich durch zwei Hauptäste in eine Menge saftvoller, dicht belaubter Zweige ausgebreitet hat. Die ganze Familie schien Ein Herz und Eine Seele. Die Befehle der Eltern [203] wurden nur durch Winke gegeben, und doch eben so schnell und mit eben der Stille vollzogen, wie die Glieder des Leibes dem Willen gehorchen. Gutherzigkeit und Wohlwollen, eine Gefälligkeit, die aus reinem herzlichen Gefallen an einander zu entspringen schien, kurz eine Uebereinstimmung der Gemüther, wovon ich noch keine Vorstellung gehabt hatte, leuchtete aus allen Augen, sprach aus allen Bewegungen und Handlungen dieser glücklichen Geschöpfe, und wirkte desto sonderbarer auf mich, da ich noch nie unter Menschen gewesen war, die so wenig Worte gemacht hätten wie diese. Es war als ob ihnen die Seelensprache, worin sie einander so gut verstanden, zu allem hinreichte, was sie sich zu sagen hatten. Sind dieß, sagte ich zu mir selbst, die Menschen, von denen unsre Priester und unser Pöbel mit solchem Abscheu, und unsre großen Männer mit solcher Verachtung sprechen? Ist der Geist, der diese gutartige Familie beseelt, der allgemeine Geist ihres Ordens? O so hatte mein Unbekannter wohl Recht, sie neue Menschen und Erstlinge einer neuen Schöpfung zu nennen! Selbst das goldene Alter unserer Dichter ist nur ein kindisches Mährchen gegen eine Welt, die von lauter Menschen, wie diese Familie, bewohnt würde.

Ich konnte mich nicht enthalten, ihnen die Bewunderung und Zuneigung, die ich für sie fühlte, in sehr lebhaften Ausdrücken zu bezeigen. Aber meine Sprache schien ihnen fremd; die jungen Leute schlugen die Augen nieder oder traten auf die Seite, und der Hausvater sah mich an, als suchte er in meinem Gesichte, ob er sich an mir geirret habe. Indem ich nachdachte, was dieß zu bedeuten haben könnte, reichte mir die[204] Frau des Hauses einen Becher mit Wein, welchen eine ihrer Töchter, nach Gewohnheit des Landes, vorher mit Wasser vermischt hatte. Ich nahm ihn an, und aus einer bloß mechanischen Gewohnheit goß ich, indem ich meine Wirthin mit Ehrerbietung und Wohlgefallen betrachtete, ohne zu denken was ich that, etwas Wein auf den Boden, bevor ich trank. Sie erblaßte, trat zurück, und in wenig Augenblicken waren die Mutter und die Töchter aus dem Saale verschwunden.

Warum thatest du das? fragte mich der Hauswirth mit freundlichem Ernste: siehe, wie du diese guten Seelen erschreckt hast! – Ich wurde feuerroth, und entschuldigte mich, mit einer eben so mechanischen Betheuerung beim Jupiter, daß meine Hand es ohne den Willen meiner Seele gethan habe. Nun schlichen sich auch die Söhne unvermerkt und in größter Stille einer nach dem andern fort. – Die Macht der Gewohnheit! sagte der Wegweiser mit einem kleinen Kopfschütteln. – Seit mehr als vierzig Jahren, fuhr unser Wirth fort, ist dieser Boden durch keine abgöttische Libation entweiht, und der Name keines bösen Dämons in diesem Hause ausgesprochen worden. Wir scheuen uns nicht zu bekennen, daß wir nur den Einzigen anbeten, durch welchen und in welchem alles ist, und daß wir ihm dienen, wie es uns der Liebling seines Sohnes, nach dessen Namen man uns nennt, gelehrt hat. Unser Bruder, der dich hierher gebracht hat, sagte uns, du wärest auf dem Wege einer der Unsrigen zu werden.

Er hielt ein, und ich gestehe, daß mir diese Rede von einem Manne, den ich bisher eben so verständig als biederherzig gefunden hatte, mächtig auffiel. Du hättest mich also, [205] ohne diese vielleicht irrige Meinung nicht aufgenommen? fragte ich mit einiger Empfindlichkeit. – »Dennoch, antwortete er mit seiner gewohnten Ruhe, nur auf eine andere Art. Alle Menschen, wer sie auch seyn mögen, können gewiß seyn, daß wir uns keiner Pflicht der Menschlichkeit gegen sie weigern; aber Liebe können nur unsre Brüder von uns erwarten; und wenn wir nicht so strenge darüber hielten, so viel möglich alle Gemeinschaft mit denen, die es nicht sind, zu vermeiden, würden wir bald aufhören das zu seyn, was dir (wie du sagst) so viel Wohlwollen für uns eingeflößt hat. Nur die Absonderung von den Kindern der Welt sichert uns, nicht von ihnen angesteckt zu werden.« – Wenn der Wunsch, einer der Eurigen zu seyn, hinreichend wäre! versetzte ich – Aber ich bin noch so unwissend, daß ich nicht einmal die Elemente der Weisheit, die euch zu so guten Menschen macht, begriffen habe. – »Was wir Gutes haben, erwiederte unser Wirth, ist Gnade von oben: der Wille allein ist unser; und auch das ist Gnade, daß er gut ist. Uebrigens sind wir als bloße Säuglinge der himmlischen Weisheit nur mit Milch genährt worden; wir sind ungelehrte Landleute, und die hohe Gnosis unsrer Propheten ist eine Gabe des Geistes, die uns nicht gegeben ist. In Einfalt des Herzens begnügen wir uns, an unserm Meister zu hangen, ihn, der aus Liebe zu uns sein Leben ließ, von ganzem Herzen zu lieben, seines Sinnes zu seyn, seinem Exempel zu folgen, und mit Freudigkeit seiner Wiederkunft zu harren.«

Dieß ist zum Heil hinreichend, mein Bruder, sagte unser Wegweiser: aber Kinder sind doch nicht geboren, um Kinder [206] zu bleiben; sie sollen Jünglinge und Männer werden, und bedürfen alsdann, ja schon um es zu werden, stärkere Speise.

Der Hauswirth erwiederte nichts hierauf. Nach einer kleinen Weile fuhr jener fort: ich weiß daß man dir Vorurtheile gegen unsre Gemeine beigebracht hat; aber ich bin gewiß, wenn du unsern Propheten gesehen, wenn du ihn gehört hättest, du würdest andres Sinnes werden.

Mein Bruder, versetzte unser Wirth mit Wärme, ich werde nie einen solchen Mann wieder sehen wie Johannes, der Liebling unsers Herrn, war! Wohl mir, daß ich ihn gesehen habe, den liebenswürdigen Greis, den wir alle wie unsern Vater liebten und als den Stellvertreter seines geliebten Meisters verehrten, und daß sein Bild, oder vielmehr sein Geist in himmlischer Lichtgestalt, noch immer vor mir schwebt, so oft ich mich seiner erinnere! Unvergeßlich wird mir, so lang' ich lebe, der Augenblick seyn, da er in diesem Hause, in diesem nämlichen Gemache wo wir jetzt sind, als ich ein Knabe von sieben Jahren war, seine heiligen Hände auf mich legte und mich segnete! Und so lang' ich lebe, werd' ich den herzlichen Ton der letzten Worte in meiner Seele hören, mit denen er von seiner Gemeine zu Ephesus schied. Durch eine besondere Schickung hatte mich damals mein Vater in meinem vierzehnten Jahre nach Ephesus gebracht, um meine Erziehung daselbst vollenden zu lassen. Bald darauf fühlte der Heilige, der beinahe das ganze erste Jahrhundert des Heils durchlebt hatte, daß die Stunde des Scheidens gekommen sey. Er wurde in einem Lehnstuhl in die Gemeine getragen, die sich in dem Hause, wo er wohnte, versammelt hatte. Nie, nie [207] wird mir dieser Anblick, diese Gefühle, die mein Innerstes durchdrangen, aus dem Sinne kommen! Wenn uns ein Engel in Gestalt eines Greises erscheinen wollte, so würde er die Gestalt des von seinen Kindern scheidenden Johannes annehmen. Seine Augen waren dunkel geworden: aber das letzte Auflodern der erlöschenden Flamme schien sie auf einmal zu erheitern, und in einem Blick voll Liebe auf uns alle auszustrahlen. Die ganze Gemeine lag in heiliger Stille und mit thränenden Augen auf den Knien um ihn her, seinen letzten Segen zu empfangen. Er erhob sich, breitete seine Arme gegen uns aus, segnete uns, sank zurück, und war verschieden.

Die Stimme unsers guten Wirths erstickte bei den letzten Worten, und Thränen rollten über seine glühenden Wangen herab; er sah eine lange Weile unverwandt empor; mein Wegweiser schwieg, wie in Gefühl verloren; und ich – ich gelobte mir selbst, daß von nun an alle meine Gedanken dahin gerichtet seyn sollten, so bald immer möglich in die Gemeinschaft dieser liebenswürdigen Menschen aufgenommen zu werden, die in meinen Augen einen Timon selbst mit dem ganzen Menschengeschlecht ausgesöhnet hätten.

Bald darauf stand unser Wirth schweigend auf, führte uns in ein für uns aufgerüstetes Schlafgemach, und wünschte uns eine gute Nacht.

Mein Herz war zu voll, als daß ich, wiewohl von der Reise sehr ermüdet, selbst hätte ruhen, oder meinem Gefährten Ruhe lassen können. Wie ist es möglich, sagte ich zu ihm, [208] daß so gute Menschen, wie ich nun sehe daß ihr seyd, von der Welt so sehr verkannt werden können?

»Das wundert dich? antwortete er mit dem Lächeln, womit man auf die einfältige Frage eines Kindes antwortet: eben darum weil wir gut sind. Können wir, die wir noch so weit unter dem Vorbilde unsers Meisters und Herrn sind, können wir erwarten, daß es uns besser ergehen werde als ihm?« – Und nun fing er an, durch meine Fragen veranlaßt, und durch das Interesse womit ich ihm zuhörte aufgemuntert, sich mit einer immer zunehmenden Wärme über den Charakter des außerordentlichen Menschensohnes, den er seinen Meister und Herrn nannte, auszubreiten; der (wie er sagte) in einem Alter, worin gewöhnliche Menschen kaum die ersten Elemente der Weisheit zu fassen fähig sind, die weisesten Männer aller Völker und Zeiten so weit hinter sich zurück ließ, daß die Hermes und Zoroaster, die Pythagoras und Sokrates, sich für glücklich geachtet haben würden seine Schüler zu seyn; in dem Alter der Leidenschaften sich als ein so vollkommnes Muster der Mäßigung, Enthaltsamkeit, Ruhe des Gemüths, Sanftmuth, und überhaupt aller Tugenden, die am schwersten auszuüben sind, darstellte, daß er seine Feinde öffentlich auffordern konnte ihn irgend einer Vergehung zu zeihen, und daß selbst der Römische Procurator von Judäa, wiewohl feige genug den Unschuldigen dem Hasse der Priester und der Wuth des Pöbels Preis zu geben, laut gestehen mußte, er finde keine Schuld an ihm. – »Wo ist jemals, fuhr er fort, ein Menschensohn gesehen worden, der so gesprochen, so gelebt, und ein so reines Leben mit einem so bewundernswürdigen [209] Tode gekrönt hätte? Ohne die geringste Anforderung an diese Welt, ohne Sorge für sich selbst, gewiß daß der Auftrag, womit er auf die Erde gesendet worden war, alle Mächtigen und Reichen, alle Priester und Schriftgelehrten, und überhaupt alle Regenten und Unterthanen des Reichs der Finsterniß zu seinen tödtlichsten Feinden machen würde, – ging er mitten unter ihnen seinen Weg so heiter und ruhig fort, als ob er nicht voraus gewußt hätte, daß dieser Weg ihn gerade ans Kreuz führe. Jeder seiner Schritte zu diesem grausenvollen Ziele war mit einer Wohlthat bezeichnet, jedes seiner Worte ein goldner Spruch der Weisheit, o wie weit erhaben über alles, was vor ihm, selbst bei unsern auf ihre höhere Cultur so stolzen Griechen, diesen Namen geführt hatte! Wer sprach jemals zugleich mit solcher Hoheit und Einfalt, so tief und doch so faßlich, so Gott geziemend und doch zugleich so menschlich, von himmlischen und göttlichen Dingen? Es war unmöglich ihn mit unbefangenem Sinne zu hören, ohne die Wahrheit seiner Worte zu fühlen, oder vielmehr zu fühlen, daß es die Wahrheit selber war, die in Gestalt eines Menschensohnes zu Menschen sprach. Es war unmöglich nur ein bloß natürlich guter Mensch zu seyn, und ihn zu sehen, zu hören, mit ihm zu leben, ohne von seiner unwiderstehlichen Holdseligkeit und Güte überwältiget zu werden, und ihm mit einer Liebe, die kein anderer Sterblicher einflößen konnte, zugethan zu seyn. Alle seine Jünger und Jüngerinnen, sogar diejenigen, die er zu beständigen Gefährten und Zeugen seines Lebens auserwählt hatte, hingen bloß durch diese Liebe an ihm. Seine Person blieb ihnen immer ein unauflösliches Geheimniß; mehrmals [210] wurden sie sogar irre an ihm: aber auch, nachdem sie nun gewiß waren, daß sie nichts in dieser Welt von ihm zu hoffen hätten, gewiß waren, daß im Gegentheil ihre Anhänglichkeit an ihn ihnen nichts als Haß und Verfolgung, ein mühseliges Leben und einen peinvollen Tod zuziehen würde: auch da wirkte diese unbegreifliche Liebe noch immer so wunderbar in ihnen fort, daß sie, nach seinem Beispiel, keine Gefahren, keine Leiden, keine Martern scheuten, um den von ihm empfangnen Auftrag zu vollziehen, indem sie der ganzen Welt das Reich Gottes ankündigten, zu dessen Gründung er auf die Erde gekommen war. So lebte er, auch nach seinem Hingang, noch immer (wie er ihnen versprochen hatte) mitten unter den Seinigen; oder vielmehr nur seine Gestalt war ihren Augen entschwunden, Er selbst lebte in ihnen fort, redete aus ihnen, wirkte aus ihnen, und vollendete durch sie das große Werk, welches die Geister der Finsterniß durch seinen Tod im Werden zu zerstören gehofft hatten. – Und dieser göttliche Mensch (rief mein begeisterter Evangelist mit verstärkter Stimme aus), dieser weiseste, beste, reinste, liebevolleste, liebenswürdigste und geliebteste aller Menschen, starb im dreiunddreißigsten Jahr eines solchen Lebens – am Kreuze! – – Und nun, setzte er nach einer ziemlich langen Pause hinzu, wirst du dich noch länger wundern, die Jünger eines Meisters, der so verkannt wurde, nicht besser behandelt zu sehen? In der That geht es uns noch viel zu gut: und ich fürchte sehr, es ist ein schlechtes Zeichen unsrer Lauterkeit und Gleichförmigkeit mit ihm, daß uns die Kinder dieser Welt seit geraumer Zeit so viele Ruhe lassen.«

[211] Ich hatte, wie du leicht erachten kannst, gegen eine Antwort, die den Knoten so rasch entzwei hieb, nichts zu erwiedern, und konnte es um so weniger, da mir in diesem Augenblick eine Stelle meines Plato einfiel, wo er behauptet: »ein vollkommen weiser und guter Mensch würde eben darum, weil er dieß wäre, von den übrigen Menschen nothwendig gemißkannt, gehaßt, geschmähet, verfolgt und endlich gar getödtet werden, ohne daß er darum sogar am Kreuze aufhören würde, sich selbst gleich zu bleiben.«

Sollte man, dachte ich, nicht glauben, ein prophetischer Geist hätte dem Attischen Philosophen diese Worte als eine Weissagung eingegeben, welche mehrere Jahrhunderte nach ihm unter einem Volke, dessen bloßer Name ihm vielleicht unbekannt war, auf eine so auffallende Weise in Erfüllung gehen sollte?

Ich konnte mich nicht enthalten meinem Gefährten diesen Gedanken mitzutheilen. Er schien meiner Meinung zu seyn, und behauptete: die Weisen unter den abgöttischen Völkern hätten sich öfters in dem Falle befunden, ohne es selbst zu wissen, Vorboten und Ankündiger des Gottgesandten zu seyn. Sein Eifer, mich vollends zu überzeugen, wurde nun immer feuriger, je mehr Eindruck seine Reden auf mich zu machen schienen. Vermuthlich wollte er, da wir uns mit Anbruch des Tages wieder trennen sollten, sich nicht vorzuwerfen haben, er hätte es an sich fehlen lassen, mich auf den rechten Weg zu bringen; und so überschlich uns der Morgen unvermerkt, ohne daß der Schlaf in unsre Augen gekommen war.


[212] Lucian.


Dein Wegweiser war, wie ich sehe, nicht ohne Absicht zu diesem Amte befördert worden. Aber bei aller Geschicklichkeit und allem Eifer, womit er sich seines Auftrages entledigte, sollte dir doch aufgefallen seyn, daß mächtig viel Declamation in seinem Vortrage war; und es lag, dünkt mich, nur an dir, das ganze Räthsel des außerordentlichen Mannes, zu dessen Anhänger er dich machen wollte, auf eine viel simplere Art zu erklären als die seinige. Das Außerordentliche an ihm mußte sich so ziemlich verlieren, und alles wieder in den begreiflichen Lauf der Dinge eintreten, sobald du bedachtest, daß die Geschichte, oder, um ihr ihren rechten Namen zu geben, die Mythologie aller dieser Göttersöhne, vom Brama der Indier, dem Hermes der Aegypter, dem Zoroaster der Baktrianer, dem Zamolxis der Geten, dem Linus und Orpheus der Griechen u.s.w., bis auf unsern wundervollen Apollonius herab, in der Hauptsache immer eben dieselben Erscheinungen und eben dieselben Resultate gibt. Immer, von der Empfängniß bis zum Tode, alles wunderbar; übermenschliche Natur und Kräfte, übermenschliche Weisheit und Tugend; Gemeinschaft mit den Göttern und einer unsichtbaren Welt; Gewalt über die Elemente und die vermeintlichen in ihnen herrschenden Geister; unwiderstehliche Einwirkung auf gewöhnliche Menschen; hinreißende oder alle Herzen gewinnende Beredsamkeit; Gabe Wunderdinge zu thun, Todte zu erwecken, das Zukünftige vorherzusagen u.s.w. Immer ein unter den Sterblichen erschienener wohlthätiger Dämon in Menschengestalt, um sie [213] von großen Uebeln zu befreien und in einen höchst glücklichen Zustand zu versetzen, irgend eine neue Religion, einen geheimen Gottesdienst und Orden, oder eine Theokratie 74 zu stiften, welche anfangs das wohlgemeinte Werk unschuldiger Enthusiasten, zuletzt, und in ziemlich kurzer Zeit, zu einer ganze Völker und Reiche unterjochenden Priesterregierung wird. Für uneingenommene Zuschauer der menschlichen Dinge löset sich in allen diesen Fällen der geheimnißvolle Knoten durch ein und eben dasselbe Dilemma auf. Entweder die Wundermänner täuschten ihre Anhänger und den übrigen großen Haufen – vielleicht aus wohlthätigen Absichten – vorsetzlich, was z.B. von den Stiftern unsrer Eleusinischen Mysterien unläugbar ist: oder sie täuschten unwissenderweise sich selbst durch ihren Enthusiasmus, und andere durch den natürlichen Zauber, womit große Seelen auf kleine wirken. In beiden Fällen erklärt sich alles auf die natürlichste Art von der Welt; zumal wenn man bedenkt, wie wenig dazu gehört, daß in den Augen unwissender und abergläubischer Leute aus einem ungewöhnlichen Menschen ein Heros, und aus einem Heros ein Gott werde. Man müßte die menschliche Natur wenig kennen, wenn man von den unmittelbaren Jüngern eines solchen Mannes, oder von den Jüngern dieser Jünger, etwas anderes erwartete, als daß sie immer mehr sagen werden als sie wirklich gesehen und gehört haben. Und wie sehr kommt ihnen dabei der Umstand zu Statten, daß sie nie begieriger seyn können, unglaubliche Dinge zu erzählen, als ihre meisten Zuhörer es sind, dergleichen zu hören und zu glauben!


[214] Peregrin.


Du wärest also, an meinem Platze, weiser gewesen als der Pythagorische Timäus beim Plato, der die religiöse Tradition der Griechen auf einen sehr festen Grund gesetzt zu haben vermeint, indem er behauptet: »ihre alten Sänger und Dichter hätten als Göttersöhne von den Angelegenheiten und Thaten ihrer Ahnen und ihrer ganzen Sippschaft natürlicherweise am besten unterrichtet seyn müssen; und es sey also, wie unerweislich und unglaublich auch ihre Nachrichten an sich seyn möchten, für uns Menschensöhne schon genug, daß sie uns von Göttersöhnen gegeben würden, um sie mit gebührender Ehrfurcht für hinlänglich beglaubigte Thatsachen gelten zu lassen.«


Lucian.


Ich mache deinem Verstande wohl kein großes Compliment, Peregrin, wenn ich ihm zutraue, daß ein Argument von dieser Stärke selbst in dem höchsten Punkt der Wärme deines Kopfes keinen großen Vortheil über dich erhalten hätte?


Peregrin.


Bei allem dem wäre es nicht mehr als billig, das Ansehen solcher Männer wie Timäus einem jungen Menschen zu Statten kommen zu lassen, welchen, außer der Wärme seines Kopfes und seinem angebornen Hang zum Außerordentlichen, noch der mechanische Einfluß der Gewohnheit, von Kindesbeinen an Göttersöhne geglaubt zu haben, in diesem Stücke etwas leichtgläubig machen mußte. Allein die Gründe des Glaubens , zu welchem ich mich durch die Unterredung mit meinem Wegweiser so mächtig hingezogen fühlte, [215] hatten (um nicht ungerecht zu seyn) ein ganz anderes Gewicht, als Timäus, oder Plato selbst – der mir in dieser Sache ohnehin der Ironie verdächtig ist – demjenigen, dem sie das Wort zu reden scheinen, jemals verschaffen können. Wie scheinbar auch beim ersten Anblick die Aehnlichkeit seyn mag, die du unter den Göttersöhnen aller Völker und Zeiten findest, so war doch der Vorzug und die Ueberlegenheit desjenigen, mit welchem ich seit kurzem durch die Christianer bekannt geworden war, so groß, so wesentlich, so unverkennbar – –


Lucian.


Um Vergebung, lieber Peregrin, daß ich dir in die Rede falle! Aber es bedarf, wie du selbst siehest, keiner Rechtfertigung über diesen Punkt. Wir sind ja beide schon lang im Klaren, und ich hatte Unrecht, dich durch eine Anmerkung, die uns in ganz unnöthige Erörterungen verwickeln könnte, in deiner Erzählung zu unterbrechen.


Peregrin (nach einer kleinen Pause).


Die Geschäfte meines Vaters in Mitylene waren so dringend und die Zeit meiner Zurückkunft nach Parium so nahe, daß ich, wie schwer es mir auch wurde mich von meinen neuen Freunden so bald wieder zu trennen, nicht daran hätte denken dürfen, länger zu verweilen, wenn auch mein gastfreier Wirth auf einen längern Aufenthalt angetragen hätte. Ich schied also mit Aufgang der Sonne von ihm und von meinem Wegweiser, der, indem er es einem der Hausgenossen unsers Wirthes überließ, mich vollends auf die Straße nach Pitane zu bringen, mich sehr liebreich umarmte, mit [216] der Versicherung, daß wir uns eher, als ich vielleicht vermuthete, wiedersehen würden. Er weigerte sich sehr ernstlich eine Belohnung von mir anzunehmen, und da ich schlechterdings darauf bestand, bequemte er sich endlich nur insoferne dazu, als es eine milde Handreichung zu den Bedürfnissen nothleidender Brüder seyn sollte, für welche von den Beiträgen der Begüterten aller Gemeinen in jeder Provinz eine gemeinschaftliche Casse errichtet sey. Unter diesem Titel allein, sagte er, könne er meine Gabe annehmen, da er mich, wenigstens dem guten Willen nach, bereits als einen Bruder zu betrachten Ursache habe.

In der That hatte ich ihm zu warme und positive Versicherungen über diesen Punkt gegeben, als daß er sich etwas andres zu mir hätte versehen können: und wenn du dich des Gemüthszustandes erinnerst, worin mich die erste Erscheinung des Unbekannten zu Smyrna antraf; und alle die Eindrücke, die von jenem Abend an auf mich gemacht worden waren, zusammen nimmst, so wirst du nichts Unbegreifliches darin finden, daß ich mich (um dir einen deiner Lieblingsausdrücke abzuborgen) den Kopf zu unterst in einen Glauben stürzte, der meinen schönsten Gefühlen und erhabensten Ideen so angemessen war; daß ich diese jetzt als bloße Ahndungen betrachtete, deren wirkliche Gegenstände mir nun bald in ihrer ganzen Fülle mitgetheilt werden sollten.

In der größten Lebhaftigkeit erwachte jetzt, da ich mir selbst und meinen Betrachtungen überlassen war, alles wieder in mir, was mich der Unbekannte hatte hoffen heißen, und mir war als hörte ich die emphatischen Worte noch in [217] meinen Ohren klingen: »bald wird die Decke von deinen Augen fallen! Du wirst in Mysterien, wovon die zu Eleusis nur täuschende Schatten sind, zum Anschauen eines ganz andern Lichtes kommen, und ein ganz andrer Führer der Seelen, als jener fabelhafte Hermes, wird das Göttliche in dir zu seinem Ursprung zurückführen!« – Und nun kannst du dir leicht vorstellen, mit welcher Ungeduld ich eilte, die Hindernisse, die noch in meinem Wege lagen, auf die Seite zu schaffen, und wie ich wachend und schlafend nichts andres dachte und träumte, als mich sobald nur immer möglich von allen andern Verhältnissen loszumachen, um mich gänzlich dem großen Beruf zu widmen, zu welchem ich erwählt war. Denn, hatte nicht der Unbekannte das Zeichen meiner Erwählung auf meiner Stirne gesehen?


Lucian.


Da du doch selbst wieder auf deinen Unbekannten gekommen bist, so wär' es, däucht mich, wohl einmal Zeit, daß er aus dem geheimnißvollen Nebel, worein er sich schon so lange, gleich einem Homerischen Gott, eingehüllt hat, hervor träte, und uns wissen ließe wer er eigentlich sey, und durch was für eine Magie er dazu gekommen, bei eurem ersten Zusammentreffen dir nicht nur alles was damals in dir vorging, sondern sogar alles was lange vorher mit dir vorgegangen war, an den Augen anzusehen? Suchtest du nicht von deinem Wegweiser einige Erkundigungen über seine Person einzuziehen?


Peregrin.


Allerdings; aber alles was ich herausbrachte, war bloß, daß er Vorsteher einer ansehnlichen Anzahl Asiatischer [218] Gemeinen, und ein Lehrer, oder (wie sie es nannten) ein Prophet von großer Geisteskraft und hoher Erleuchtung in göttlichen Dingen sey. Mehr, sagte mein Mann, könne er mir, ehe ich unter die Epopten 75 aufgenommen sey, nicht entdecken; und daran, lieber Lucian, wirst auch du dich vor der Hand begnügen müssen, bis die Zeit mehr ans Licht bringen wird.

Ich bin bei Erzählung der Begebenheiten, die mich mit den Christianern bekannt machten, und die Entschließung, mich unter sie zu begeben, herbeiführten und beförderten, vielleicht in kleinere Umstände hinein gegangen, als ein Erzähler, dem vor der Gefahr langweilig zu werden bang ist, sich erlauben sollte. Aber ich glaubte so umständlich seyn zu müssen, weil ich dir begreiflich machen wollte, wie es ohne einen Sprung (den die Natur niemals thut) möglich war, daß aus einem Epopten der Mysterien der Venus Mamilia in so kurzer Zeit einer der eifrigsten Neophyten werden konnte, die mein Unbekannter für sein tausendjähriges Lichtreich jemals angeworben haben mochte.


Lucian.


Du hast deine Absicht erreicht, Peregrin –

Peregrin.


Und ich werde also um so füglicher die Geschichte mehrerer Jahre, die noch bis zu dem Zeitpunkte, da ich eine nicht ganz unbedeutende Person unter den Christianern vorstellte, verstrichen, ins Kurze zusammenfassen können.

Bei meiner Zurückkunft in das väterliche Haus fand ich meinen Vater von den Beschwerden des Alters früher übereilt [219] als ich es seinen Jahren nach vermuthet hätte, und daher entschlossen, seine Handlung aufzugeben, mit allen seinen Correspondenten Richtigkeit zu machen, und den Rest seines Lebens in gemächlicher Ruhe unter seinen Freunden in Parium hinzubringen. Diesem Vorhaben zufolge säumte er nicht, mir anzukündigen: daß er mich bloß deßwegen zurückberufen habe, um alle seine noch übrigen Geschäfte, besonders diejenigen, die mit größern oder kleinern Reisen nach verschiedenen Handelsplätzen des Schwarzen, Aegeischen und Cilicischen Meeres verbunden waren, auf die jüngern Schultern seines einzigen Sohnes abzuwälzen. Wiewohl nun nichts in der Welt mit meinen Neigungen weniger zusammenstimmte als die Lebensart, wozu ich dadurch verdammt wurde: so fühlte ich doch meine Pflicht stark genug, um mich ihren Obliegenheiten mit so guter Art zu unterziehen als mir möglich war.


Lucian.


Im Grunde, lieber Peregrin, lag es nicht an deinem Schicksale, wenn du von der Ueberspannung, die dich bisher in so sonderbare und so weit außer dem gewöhnlichen Wege liegende Abenteuer verwickelte, nicht bei dieser Gelegenheit noch zu rechter Zeit um einige Grade herabgestimmt wurdest. Eine beschäftigte Lebensart, häufige Reisen, und die mannichfaltigen Verhältnisse mit allerlei Arten von alltäglichen Leuten, in welche man dadurch gesetzt wird, sind sonst immer das sicherste Mittel die übermäßige Lebhaftigkeit der Einbildung zu schwächen, und einen Platonischen Schwärmer, unvermerkt und zu seiner eigenen Verwunderung, in einen Menschen wie andere umzugestalten.


[220] Peregrin.


In der That begegnete mir auch bei dieser Gelegenheit wieder etwas Menschliches. Nicht als ob mein Entschluß, mich so bald als immer möglich unter die Christianer zu begeben, wankend gemacht worden wäre. Im Gegentheil, je weniger ich an den Geschäften und Zerstreuungen meiner neuen Lebensart Vergnügen fand, und je auffallender der Contrast war, den die Menschen, mit welchen ich zu verkehren hatte, mit jenen arglosen und gutherzigen Geschöpfen machten, unter welche mich mein Wegweiser von Pergamus hatte verirren lassen: desto ungeduldiger ward von Zeit zu Zeit meine Sehnsucht nach der unbewölkten Stille der Seele und der reinen Eudämonie, wozu ich nirgends als unter so guten Menschen gelangen zu können glaubte. Aber eben dieß hing an einer in mir vorgegangenen Veränderung, die vermuthlich unter andern Umständen nicht so bald erfolgt wäre. Das, was du meine Schwärmerei nennest, bekam allmählich eine andere Richtung. Je mehr Gewalt die Einwirkungen der äußern Sinnenwelt über mich erhielten, je stumpfer wurde der innere Sinn für die geistigen Erscheinungen der phantastischen Ideenwelt, in welcher ich ehemals gelebt hatte. Anstatt daß einst das Ziel aller meiner Wünsche gewesen war, unter höhern Wesen das Leben der Geister zu leben, und mich bei lebendigem Leibe zum Dämon zu entkörpern – fühlte ich jetzt kein dringenderes Bedürfniß, als von aller Verbindung mit Menschen, deren ganze Art zu seyn in ewigem Widerspruch mit meinem Ideale von Harmonie und Schönheit stand, je eher je lieber befreit zu werden, um in einer kleinen Gesellschaft unverfälschter, [221] durchaus guter Menschen zu leben, an deren Anschauen meine Seele immer reines Wohlgefallen haben, und über die ich die ganze Fülle meiner Liebe, ohne Furcht vor Täuschung und Reue, ohne Gefahr von ihren Leidenschaften und Sitten angesteckt zu werden, ergießen könnte. Mit Einem Worte, Lucian, die magische Schwärmerei meiner frühern Jugend ging unvermerkt, eine Zeit lang wenigstens, in eine moralische über, welche mich zwar wieder neuen Illusionen der Einbildung und des Herzens aussetzte, aber doch zugleich dem, was in meinen Augen die Vollkommenheit des Menschen ist, näher brachte, und vielleicht ein Mittelzustand war, durch welchen ich nothwendig gehen mußte, um auf den geradesten Weg, der zu jener Vollkommenheit führt, zu kommen.


Lucian.


Das wollen wir sehen! Aber wie benahmen sich inzwischen der Unbekannte und der Wegweiser?

Peregrin.


Nichts weniger als zudringlich. Es verging beinahe ein halbes Jahr, ehe ich von dem letztern, mit Gelegenheit einiger Waaren, die meinem Vater von Smyrna kamen, ein Briefchen erhielt, worin er meldete, daß er mich in kurzem zu Parium besuchen würde. Bald darauf erschien er wirklich in unserm Hause in Gestalt eines Handelsmannes von Aegina, Namens Hegesias, der von verschiedenen unsrer Correspondenten Aufträge an meinen Vater hatte. Er betrug sich dabei mit so vieler Geschicklichkeit und Klugheit, daß der Alte ganz von ihm eingenommen wurde, und sein Anerbieten, sich hinwieder von ihm mit Aufträgen nach einigen Plätzen der Ionischen [222] Küste beladen zu lassen, mit Vergnügen annahm. Dieß setzte ihn in kurzem auf einen so freundschaftlichen Fuß mit uns, daß es mir an Gelegenheit nicht fehlen konnte, so viele besondere Unterredungen mit ihm zu haben als ich nur immer wünschte. Ich erhielt einige der Bücher von ihm, die von den Christianern damals noch sehr geheim gehalten wurden, und hauptsächlich die Geschichte der drei letzten Lebensjahre ihres Meisters, seine Wunderthaten, seine öffentlichen Reden, und den geheimern Unterricht, der nur seinen auserwählten Anhängern zu Theil ward, enthalten. Ich verschlang diese Bücher mit meiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit, und schöpfte daraus eine so innige Liebe für die Person dieses wunderbaren und in seiner Art einzigen Menschensohnes, daß es mir nicht schwer gewesen wäre, ihm noch weit unglaublichere Dinge, als er zum Theil gesagt haben soll, mit eben der zutraulichen Gutherzigkeit zu glauben, womit ich, auf das Wort und die ehrliche Miene meines Freundes Hegesias, an die historische Zuverlässigkeit der Erzähler so außerordentlicher Dinge glaubte. Hegesias ließ nichts außer Acht, was mich in meinem neuen Glauben bestärken, und mir den Beruf eines Mitarbeiters an dem großen Werke der Zerstörung des Reichs der Finsterniß immer wichtiger machen konnte; und kurz (um dich mit der Beschreibung meiner Fortschritte nicht noch längere Zeit aufzuhalten als ich gebrauchte sie zu machen), er fand mich in so guter Verfassung, daß er kein Bedenken trug, mir noch in der Nacht vor seiner Abreise von Parium den ersten Grad der Initiation in den Mysterien der Christianer zu ertheilen, und bei dieser Handlung – deren einfache aber herzerschütternde [223] Feierlichkeit durch die Stille der Mitternacht und das Schauerliche des Orts, den er dazu ersehen hatte, nicht wenig erhöht wurde – ein Gelübde von mir anzunehmen, das mich auf ewig zum Genossen des Reichs des Lichtes und zum unversöhnlichen Bekämpfer des Reichs der Finsterniß machen sollte.

Hegesias hatte schon mehr als Einmal seine ganze Beredsamkeit anwenden müssen, den Eifer, den er selbst in mir entzündet hatte, zu mäßigen, und mich zu überzeugen, daß es Pflicht sey, mich den Verrichtungen, welche die Vorsehung mir dermalen angewiesen habe, nicht eher zu entziehen, bis ein höherer Befehl mich davon abrufe. Aber in diesen feierlichen Augenblicken ergriff mich das Verlangen, alles zu verlassen und mich meinem neuen Beruf gänzlich und mit ungetheilter Thätigkeit zu widmen, mit solcher Gewalt, daß ich von neuem in ihn drang, und in Hoffnung, seinen Widerstand auf einmal zu entwaffnen, mit großem Feuer mich auf die Antwort berief, die unser Meister dem reichen Jüngling ertheilt hatte, der ihn fragte, was er thun müsse um selig zu werden. Nichts konnte, meiner Meinung nach, entschiedener seyn, als die Anwendbarkeit dieser Antwort auf meinen Fall. Allein Hegesias war nicht so leicht aus seinem Vortheil zu werfen als ich mir einbildete. Er strafte meine Ungeduld mit sanftem aber unerbittlichem Ernst, und bestand schlechterdings darauf , daß es mir nicht erlaubt sey, meinen Vater eher zu verlassen, als bis er meines Dienstes nicht mehr benöthigt seyn würde. »Die Antwort, die dem Jüngling, auf den du dich beziehest, ertheilt wurde, sagte er, paßt so wenig [224] auf deinen Fall, daß sie vielmehr gegen dich entscheidet. Die Gemüthsverfassung, worin du dich in diesem Augenblicke befindest, ist gerade das Gegentheil der seinigen: denn er schlich sich traurig fort, als er hörte daß er das alles fahren lassen müsse, was du mit Ungeduld zu verlassen wünschest. Irre dich nicht, mein Bruder, fuhr er fort: dich selbst, nicht deine äußerlichen Umstände, dich selbst zu verläugnen, indem du dem feurigsten Wunsche deines Herzens widerstehst, ist die erste Pflicht, die dir deine Aufnahme in die Gemeinschaft der Kinder des Lichtes auflegt! Wie, Peregrin? du schmeichelst dir das große Gebot unsers Herrn zu erfüllen, und ihm alles aufzuopfern, indem du in der That nur eine mühsame drückende Last von dir würfest, und, anstatt seinen Willen zu thun, deinen eigenen thätest? Gerade diese leidenschaftliche Begierde, womit du alles um seinetwillen verlassen möchtest, würde dein Opfer verwerflich machen; denn sie ist bloße Täuschung deines noch nicht ganz überwältigten Selbst, oder vielmehr ein unsichtbares Netz, welches dein böser Dämon dir über den Kopf zu werfen sucht. Willst du dich gewiß machen ob deine Selbstverläugnung ächt ist? Opfre dem, welchem du alles was du bist und hast aufzuopfern bereit zu seyn wähnest, diese unzeitige Begierde auf; kehre in dein väterliches Haus zurück, und glaube, du dienest dem Herrn, indem du fortfährst die Geschäfte deines Vaters mit Aufmerksamkeit und Eifer zu besorgen. Du wirst, wenn du in diesem geringen Posten treu gewesen bist, zu rechter Zeit an einen höhern abgerufen werden.«

Hegesias ertheilte mir diese Züchtigung mit einem so [225] ernsten und Gehorsam fordernden Tone, daß ich den Unbekannten von Smyrna zu hören glaubte. Ich unterwarf mich also mit aller Demuth, die einem Neophyten 76 zukam, und empfing seinen Segen, mit der Versicherung, daß ich mich von nun an als einen Bürger der Stadt Gottes, die in kurzem in sichtbarer Glorie auf die Erde herabsteigen würde, zu betrachten hätte: und da ich mit Uebernahme der strengen Pflichten dieser hohen Würde auch alle Vorrechte derselben erhalten hätte, so könnte ich gewiß seyn, daß ich, von diesem Augenblick an, unter dem unmittelbaren Schutz und Einfluß aller Geister des Lichtes, und in einer Verbindung mit den Genossen ihres Reiches stehe, die weder durch Raum noch Zeit gehemmet werden könne, und wovon ich ohne mein Zuthun, so oft es der Dienst unsers Königs erforderte, untrügliche Beweise erhalten würde.


Lucian.


Dieser Hegesias spielte, wie es scheint, keine geringe Rolle unter den Kindern des Lichtes.

Peregrin.


Er war, wie ich in der Folge erfuhr, einer der vertrautesten und thätigsten geheimen Agenten meines Unbekannten, ein Amt, wozu ihn seine außerordentliche Gegenwart und Geschmeidigkeit des Geistes, seine Weltkenntniß, und seine Geschicklichkeit mit allen Arten von Menschen umzugehen und ihr Zutrauen zu erwerben, ganz vorzüglich geschickt machte. Es war beinahe unmöglich ihm zu entgehen, wenn er sich eines Menschen bemächtigen wollte, der nur einige Anlage hatte, wissentlich oder unwissentlich, in einem höhern oder niedrigern [226] Posten, als Gewicht, Rad oder Springfeder, an dem großen Werke, dessen Seele der Unbekannte war, arbeiten zu helfen. Er sprach mit vieler Fertigkeit alle Sprachen, die in dem ganzen damaligen Umfang des ungeheuern Römerreichs gesprochen wurden; besaß große Geschicklichkeit und Kenntnisse in Handelsgeschäften; stand mit vielen Großen und mit den vornehmsten Häusern in allen Handelsplätzen des Reichs in Verbindung, und konnte der Sache, welcher er sich gewidmet hatte, desto wichtigere Dienste thun, da sich (außer den Brüdern, die ihn kannten oder denen er sich zu erkennen gab) niemand einen Christianer hinter ihm vermuthet hätte. Denn er war, um zum Besten der guten Sache Allen Alles seyn zu können, von jeder äußerlichen Handlung dispensirt, die ihn den Profanen hätte verdächtig machen können; eine Befreiung, welche mein Unbekannter den thätigsten unter seinen Vertrauten gewöhnlich zu ertheilen pflegte, und die er auch mir (wiewohl ich noch weit von diesem Grade war) durch Hegesias ertheilen ließ, da es mir von ihnen selbst zur Pflicht gemacht wurde, meine Verbindung mit den Brüdern vor meinen Verwandten und Mitbürgern geheim zu halten.


Lucian.


Diese Erlaubniß, zum Vortheil des ganzen Ordens jede beliebige Person unter jeder erforderlichen Maske vorzustellen, gibt mir auf einmal Licht über die Möglichkeit, wie eine zu meiner Zeit noch so sehr verachtete Secte schon in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts ihrer Zeitrechnung so zahlreich und ansehnlich seyn konnte, daß sie die Eifersucht der Priester der alten Götter nothwendig erregen mußte. Ihre Anzahl war [227] schon unter den Antoninen viel größer als man glaubte, da vermuthlich nicht wenige (zumal in den höhern Classen der bürgerlichen Gesellschaft) aus mancherlei Rücksichten, und zum Theil auch (wie dein Hegesias) in der Absicht, ihren Brüdern bei jeder Gelegenheit desto nützlicher seyn, und überhaupt ihre neue Theokratie im Stillen desto ungehinderter gründen und ausbreiten zu können, mit Vergünstigung der Obern ihre Verbindung mit den Christianern so lange geheim hielten, bis veränderte Umstände diese Zurückhaltung immer weniger nöthig machten.


Peregrin.


Sehr wahrscheinlich. Indessen muß ich gestehen, daß für mich selbst, wiewohl ich mehrere Jahre in ziemlich enger Verbindung mit einigen von ihnen gestanden, ein undurchdringliches Dunkel auf der Geschichte des Ursprungs und der ersten Zeiten dieses in der Folge für die ganze Menschheit so wichtig gewordenen Ordens liegt. An meinen Vermuthungen darüber kann dir wenig gelegen seyn; auch würden sie uns zu weit von der Geschichte meiner eigenen Wenigkeit abführen, um welche es doch jetzt allein zu thun ist. Aber was ich aus eigener Erfahrung weiß, ist, daß zwischen den Christianern unter dem sogenannten großen Constantinus, und den größern und kleinern, durch den ganzen römischen Erdkreis zerstreuten Brüdergemeinen, die man zu meiner Zeit unter diesem Namen zu begreifen pflegte, ein mächtiger Unterschied war. Denn damals herrschte noch so wenig Zusammenhang, Ordnung und Uebereinstimmung unter ihnen, daß vielleicht nicht zwei Gemeinen von beträchtlicher Größe zu finden waren, die in allen [228] Stücken Eines Glaubens und Sinnes gewesen seyn sollten. Aus Mangel eines genau bestimmten und allgemein angenommenen Lehrbegriffs, blieben viele Punkte ihres Glaubens zweifelhaft: und da eine Menge Fragen, die man sich nicht entbrechen konnte nach und nach aufzuwerfen, aus eben diesem Grunde nicht rein aufgelös't werden konnten, so hing jede besondere Gemeine hierin größtentheils von den Meinungen und Vorurtheilen ihrer Vorsteher und Lehrer ab. Der Meister selbst hatte nichts Schriftliches hinterlassen, das seinen künftigen Anhängern zur Richtschnur hätte dienen können. Natürlicherweise war also das Maß von Gedächtniß und Verstand, das seinen ersten Schülern zu Theil geworden war, nebst dem Glauben an die Redlichkeit ihres Willens, die einzige Gewährleistung, welche diese den ihrigen für die Wahrheit der Thatsachen, wovon sie als Augenzeugen sprachen, und der Lehren, die sie aus seinem Munde gehört zu haben versicherten, geben konnten. Was Wunder also, daß sogar schon bei Lebzeiten derjenigen, durch welche die ersten Brüdergemeinen gepflanzt wurden, Irrungen, Streitigkeiten und Spaltungen entstanden, die das Ansehen dieses oder jenes Lehrers um so weniger verhüten oder ersticken konnte, weil derjenige, der etwas anderes lehrte, sich eben falls auf Tradition, oder auf Schriften, die im Grunde für nichts mehr als für geschriebene Tradition gelten konnten, berief, und also so viel anscheinendes Recht hatte, als jener, seine Lehre für diejenige zu geben, die mit dem Sinne des Meisters und mit dem Geiste seiner Worte am besten übereinstimme.

[229] Bei dieser Bewandtniß der Sachen läßt sich zwar mit vieler Wahrscheinlichkeit vermuthen, daß die Anzahl der ächten Christianer schon zu meiner Zeit ziemlich gering, und vielleicht bloß auf einzelne Familien oder kleine Gemeinen von derjenigen Art, wie ich auf meiner Wanderschaft nach Pitane eine kennen gelernt hatte, eingeschränkt war. Aber desto ansehnlicher mußte hingegen die Zahl derjenigen werden, die den Namen der Christianer führten, und, wiewohl sie in einigen Glaubenspunkten übereinstimmten, dennoch sowohl in ihrer Vorstellungsart überhaupt, als in besondern Lehrmeinungen und religiösen Gebräuchen und Uebungen, weit genug von einander abgingen, daß die Streitigkeiten, die darüber unter den Lehrern entstanden, unvermerkt den Geist der Liebe und Eintracht ersticken mußten, der aus allen Gemeinen einen einzigen Leib, dessen Seele Christus wäre, hätte machen sollen.

Und eben diese Spaltung der damaligen Christianer in etliche Hauptparteien, die zum Theil wieder in mehrere kleinere Secten zerfielen, – eine Spaltung, welche um die nämliche Zeit, da ihre Anzahl, während der ihnen von Hadrian und den beiden Antoninen gegönnten Ruhe, außerordentlich gewachsen war, dem Orden selbst einen baldigen Untergang zu drohen schien – eben dieß war es, was meinen Unbekannten (einen Mann, der sich zu schweren Unternehmungen geboren fühlte) auf den großen Gedanken brachte, einen geheimen Orden zu stiften, durch welchen er nach und nach allen Asiatischen und morgenländischen Gemeinen die zu ihrer Consistenz und Dauer nöthige Gleichförmigkeit geben, und aus dessen Mittelpunkt er selbst, als unsichtbares Oberhaupt des[230] Ganzen, die große Unternehmung, – eine neue, alles umfassende und beherrschende Theokratie auf den Trümmern aller alten Religionen und Staatsverfassungen aufzuführen – wo nicht zu Stande zu bringen, wenigstens so fest zu gründen hoffte, daß er die gänzliche Vollendung seines Werkes der Zeit getrost überlassen könnte.

Doch ich merke, daß ich meiner Geschichte schon wieder zuvorlaufe, und dir ein großes Theil mehr von dem Geheimnisse des Unbekannten verrathe, als ich in der Epoche von welcher jetzt die Rede ist, selbst davon wissen konnte.

Es war nun, seitdem ich von Hegesias den ersten Grad der Weihe erhalten hatte, über ein Jahr verflossen; wir hatten uns in dieser Zeit mehr als Einmal an verschiedenen Orten gesehen, und ich hatte schon so viele Proben meiner eifrigen Anhänglichkeit an die gute Sache, und meines gränzenlosen Gehorsams gegen die Winke meiner Obern, die ich als unmittelbare Organe des großen Logos betrachtete, abgelegt, daß ich endlich von Kerinthus 77 (so nannte sich, wie ich nun erfuhr, mein Unbekannter) einer zweiten Zusammenkunft, und bald darauf der feierlichen Einführung in eine der Gemeinen, die unter seiner Leitung standen, gewürdiget wurde.

Ich empfing bei dieser Gelegenheit den zweiten Grad 78 der Weihe, wobei der hochwürdigste Kerinthus selbst das Amt des Mystagogen verwaltete, und wo alles, was ich sah und hörte, meine Seele mit nie empfundnen Gefühlen durchdrang. In der That verdiente das, was bei dieser Gelegenheit nicht sowohl außer mir (denn dieß war sehr einfach) als in mir selbst vorging – so natürlich ich es mir auch jetzt erklären kann – [231] den Namen unaussprechlicher Dinge (Aporrheta) in einem ganz andern Sinne, als jene Aufschlüsse, die den Epopten der Eleusinischen Mysterien zu Theil wurden, und ich enthalte mich deßwegen mehr davon zu sagen; denn man müßte schlechterdings in dem Falle gewesen seyn das Nämliche erfahren zu haben, um sich einen Begriff davon machen zu können.


Lucian.


Ich überhebe dich dessen sehr gern, Freund Peregrin. So wie ich dich selbst nun kenne – und nach allem, was du mir von dem Unbekannten, von dem Geiste der Brüdergemeinen, von ihren Versammlungen, von der hohen Meinung, die sie von der Würde, den Vorrechten und den Erwartungen ihres Ordens hegten, und überhaupt von allem, was seit deinem zweiten Aufenthalt in Smyrna mit dir vorgegangen war, bereits entdeckt hast, kann ich mir, auch ohne eigene Erfahrungen dieser Art und ohne alle Anlage dazu, ziemlich lebhaft vorstellen, wie dir bei der feierlichen Einführung in die Brüderschaft der Kinder des Lichts zu Muthe seyn mußte.


Peregrin.


Immer bleibt zwischen deiner Vorstellung, mein lieber Lucian, und dem was damals in meiner Seele gegenwärtiges Gefühl und Anschauen war, der Unterschied, wie zwischen einem gemalten Feuer und einem wirklichen; ein Unterschied, den ich hier bloß deßwegen geltend mache, damit du den brennenden Eifer desto begreiflicher findest, womit ich von diesem Augenblick an in alle Plane des Unbekannten einging. Dieser schien mit dem Grade der Hitze, zu welchem er die drei großen Beweger des menschlichen Gemüthes, Glauben, Liebe und [232] Hoffnung, bereits in mir gestiegen sah, so wohl zufrieden, daß er in den ersten Tagen nach meiner Aufnahme zwischen mir und seinen Vertrautesten keinen Unterschied zu machen schien. Aber unvermerkt hüllte er sich wieder in das geheimnißvolle Dunkel ein, worin er sich mir beim Anfang unsrer Bekanntschaft gezeigt hatte; und da ich schon ins Innere des Heiligthums eingegangen zu seyn vermeinte, erfuhr ich, daß ich erst im zweiten Vorhofe sey, und daß es noch längere und stärkere Prüfungen und Vorbereitungen erfordere, ehe es ihm erlaubt sey, die Decke gänzlich von meinen Augen wegzuziehen, und mich zum vollen Anschauen des Lichtes, dessen Glanz ich noch nicht ertragen würde, zuzulassen.

Diese Eröffnung konnte die Wirkung nicht verfehlen, die er vermuthlich dadurch auf mich zu machen hoffte. Anstatt mich abzuschrecken, spannte sie zugleich mit den Erwartungen, wozu sie mich berechtigte, alle Springfedern meines Wesens, alles zu unternehmen und alles zu erdulden, was ich nur immer zu thun und zu leiden haben könnte, um jene hohe Stufe zu ersteigen, die nun das Ziel aller meiner Wünsche war. Indessen ließ sich Kerinthus in keine nähere Erklärung über die Vorbereitungen und Prüfungen ein, die ich noch zu überstehen hatte. Er ermahnte mich bloß, wie er schon bei unsrer ersten Zusammenkunft zu thun angefangen hatte, in Reinigung meines Gemüthes und Ertödtung aller sinnlichen Neigungen und eigennützigen Leidenschaften unverdrossen und unerbittlich gegen mich selbst zu seyn, und dieses Selbst als den gefährlichsten, schlauesten und hartnäckigsten unter allen Feinden zu betrachten, die ich als ein Streiter im Reiche [233] des Lichts zu bekämpfen hätte. Er gab mir zu verstehen, daß die unerschütterlichste Entschlossenheit, sich der Sache Gottes gänzlich aufzuopfern, der einzige Weg sey, der zu jener hohen Vollkommenheit führe, die er mir in der Brüderversammlung zu Pergamus von fern und wie in der ersten Dämmerung des anbrechenden Tages gezeigt habe. Ich sehe dein Herz für sie entbrannt, setzte er hinzu; aber Sehnsucht und klopfendes Verlangen ist noch nicht dieser felsenfeste Wille selbst, den keine Gefahr abschrecken, keine reizende Verführung bestricken, keine Arbeit ermüden, keine Aufopferung in Verlegenheit setzen kann. Dieser Wille ist nicht das Werk weniger Tage oder Wochen; er wird bloß durch die Abtödtung jeder andern Neigung, jedes andern Willens in uns geboren, und er ist nicht eher wirklich da, bis er unser Selbst ganz in sich verschlungen hat. – Er gab mir hierauf verschiedene besondere Anweisungen und Verhaltungsregeln, die Mittel betreffend, wodurch ich, desto eher, je eifriger ich in ihrem Gebrauch seyn würde, zum gänzlichen Durchbruch durch die Scheidewand, die noch zwischen mir und dieser Vollkommenheit stehe, gelangen könne. Denn, wiewohl er mir den Weg nichts weniger als leicht machte, so ließ er mich doch deutlich genug merken, daß die Zeit, in welcher ich ihn zurücklegen könne, größtentheils von mir selbst abhange.

Fünf oder sechs Tage nach meiner Aufnahme in die Gemeine der Heiligen riefen den Vorsteher seine Verrichtungen anderswohin, und mich die meinigen nach Parium zurück. Die Art, wie er sich von mir trennte, ließ auch dießmal einen tiefen Stachel in meinem Herzen zurück. Ich scheide nicht [234] von dir, mein Bruder (sagte er zu mir, indem er mir die Hand mit Wärme drückte), denn ich werde dir im Geiste immer nahe bleiben, und ein unsichtbarer Zeuge der Treue seyn, mit welcher du das empfangne Kleinod bewahren wirst. Mit diesen Worten, die aus seinem Munde etwas unbeschreiblich Eindringendes und Magisches hatten, gab er mir den Bruderkuß, der eines der Zeichen ist, woran die Christianer einander erkennen, und war aus meinen Augen verschwunden, ehe ich vermögend war, meinem von Empfindung geschwellten Herzen durch Worte Luft zu machen.

Kerinthus ließ mich in einer Stimmung, die mich geneigter und geschickter machte, unter die Anachoreten der Thebaischen Wüste 79 zu gehen, als nach Parium in das Getümmel des beschäftigten Lebens, und zu Menschen, deren Umgang mir mit jedem Tage peinlicher ward, zurückzukehren: aber Hegesias, der sich beinahe eben so viel Gewalt über mein Gemüth erworben hatte als der Prophet selbst, und dem ich etwas von dieser Abgeneigtheit merken ließ, brachte mich bald wieder auf andere Gedanken. Er wiederholte die Vorstellungen, die er mir schon ehemals deßwegen gemacht hatte, mit verdoppelter Stärke, und bestand schlechterdings darauf, daß das Beharren in meinem bisherigen Wirkungskreise die größte Probe von Selbstverläugnung sey, welche dermalen von mir gefordert werde. So gönne mir, rief ich endlich mit einer Wärme die ihn sehr kalt zu lassen schien, so gönne mir wenigstens den einzigen Gedanken, der mir diese weltlichen, den Geist belastenden Sorgen, wozu du mich verurtheilest, erträglich machen kann! Die Natur bedarf wenig, und selbst in [235] dem Wenigen, worauf ich mich einschränke, ist noch so viel Nahrung für den alten Menschen, daß ich täglich darauf bedacht bin, mich noch von etwas Entbehrlichem frei zu machen. Erlaube mir also, von diesem Augenblick an die Gemeine als den Eigenthümer und Herrn meines ganzen Vermögens, und mich als den bloßen Verwalter desselben, der ihr für jeden Obolen Rechnung abzulegen hat, anzusehen. Unter dieser Bedingung will ich nicht nur mit Geduld, sondern mit Vergnügen, so lange es von mir gefordert wird, an dieser Ruderbank angeschmiedet bleiben.


Lucian.


Darüber wird der arme Hegesias gewaltig erschrocken seyn!

Peregrin.


In der That bekam ich in der Folge alle Ursache zu glauben, daß ihm meine Freigebigkeit, im Namen der Brüdercasse, deren oberster Verwalter er war, nicht sehr unangenehm seyn mochte. Aber wenigstens ließ er sich nichts davon merken. Er dankte mir für meinen guten Willen so kaltsinnig, als ob die Rede von funfzig Drachmen und nicht von mehr als zweihundert Talenten gewesen wäre; aber zugleich warnte er mich mit brüderlichem Ernste, wohl auf meiner Hut zu seyn, daß nicht etwa ein geheimer Stolz oder irgend eine andere unlautere Absicht unbemerkt bei dieser wohlgemeinten Darbringung meiner zeitlichen Güter im Hinterhalt laure. Mein Bruder, sprach er zu mir, wir gehören mit allem was wir sind und haben dem Herrn an; denn was haben wir, das wir nicht empfangen hätten? oder was können wir unser [236] nennen, das nicht seyn wäre? Wir alle sind, in jeder Betrachtung, nichts andres als Verwalter über einen kleinern oder größern Theil seiner Haushaltung. Er wird, wenn seine Zeit kommt, das Seinige schon von uns zu fordern wissen; und wehe uns, wenn er uns nicht alle Augenblicke bereit fände, ihm alles bis auf den letzten Heller zurückzugeben!


Lucian.


Wie schmeckte das, Freund Peregrin?

Peregrin.


Ich gestehe, es fiel mir einen Augenblick auf die Brust, daß so gar nichts Freiwilliges und Verdienstliches bei meinem Opfer seyn sollte: aber ich unterdrückte diese kleine Empörung meines Herzens auf der Stelle, als die Eingebung eines bösen Dämons, und fand in der Rede des Hegesias nichts als die einfachste und unwidersprechlichste Wahrheit. Denn so weit war ich noch nicht gekommen, – oder vielmehr, wie wäre es in meiner damaligen Gemüthsverfassung möglich gewesen, – den Taschenspielerstreich zu argwöhnen, mit welchem diese subtilen Heiligen so behend, daß es keine arglose Seele wahrnehmen konnte, sich selbst an die Stelle des Herrn zu schieben, und die Einfältigen zu bereden wußten, was man ihnen gebe, sey bloß eine alte Schuld, die man Ihm zurückbezahle?


Lucian.


Ich fürchte sehr, mein guter Peregrin, daß es mit der ganzen überstrengen und sogar über die stoische Spitzfindigkeit hinaus getriebenen Moral, mit der sich diese Schlauköpfe so viel wußten, bloß auf Maskirung der Kunst, die Gemüther [237] der Menschen zu beherrschen und über ihre Casse zu schalten, abgesehen war.


Peregrin.


Bei Ihm, dessen ehrwürdigen Namen sie trugen, und bei seinen ersten redlichen Anhängern gewiß nicht! Ihm war es in ganzem Ernst darum zu thun, die Menschen durch die Eigenschaften, die uns die Kindheit so liebenswürdig machen, durch Einfalt, Unschuld, reine Güte des Herzens und unbesorgtes Vertrauen auf den Vater im Himmel, zu der höchsten moralischen Vollkommenheit, und dadurch zu der reinsten Eudämonie, deren die Menschheit jenseits des Grabes fähig ist, zu führen. Dahin brachte er alle, die sich mit einfältigem Sinne seiner Führung überließen; und lebendige Beispiele davon hatte ich auf dem Maierhofe zwischen Pergamus und Pitane gesehen. Aber es erfolgte, was vermöge der Natur der Sache erfolgen mußte, und was keine menschliche noch göttliche Macht verhindern konnte. Die Christianer arteten schon nach Annehmung dieses Namens aus; sie verfielen nach und nach in alle Arten von Schwärmerei, standen allen Verführern, welche den Geist ihres Meisters zu heucheln und die Stimme des guten Hirten nachzuäffen wußten, bloß; und so wurden jene hohen Gesinnungen und zarten Gefühle (die, so zu sagen, die angeborne Moral der schönsten Seelen ausmachen) von arglistigen Menschen zu subtilen Netzen verwebt, worin sie immer die gutherzigsten und arglosesten Gemüther am ersten zu fangen gewiß waren.

Aber, wie gesagt, um diese Zeit hatte ich noch nicht die mindeste Ahnung davon, daß ich einst Ursache finden würde, [238] so nachtheilig von diesen heiligen Menschen zu denken, von welchen nun Bruder genannt zu werden der höchste Stolz meines Herzens war. Ich nahm alles was sie mir sagten in dem reinsten und wörtlichsten Sinne; und da ich mich von nun an als einen bloßen Geschäftsträger der Gemeine betrachtete, so gewannen die Geschäfte selbst eine ganz andere Wichtigkeit in meinen Augen als sie vorher hatten. Sie schienen mir nun durch diese Bestimmung zu einer Art von Gottesdienst erhoben, und ich arbeitete, von Hegesias und andern unter seiner Leitung stehenden Brüdern fleißig unterstützt, um so eifriger an Vermehrung meines künftigen Erbgutes, da es – in der Sprache unsers Ordens zu reden – gänzlich zum Bau des Reichs Gottes verwendet werden sollte.

[239] Anmerkungen zum ersten Theil
Vorrede.

1 S. die Lustreise ins Elysium vom Jahr 1787 unter den politischen Schriften. Bd. 31.


2 Die Juden-Christen hatten auch nach Jesu Tode ihre irdischen Hoffnungen von dem Messias und der Stiftung seines Reiches nicht aufgegeben, und so entstand die Lehre von dem Chiliasmus, d.i. von einem tausendjährigen Reiche voller Glückseligkeit. Tausend Jahre vor dem jüngsten Tage und der Auferstehung, sagte man, werde Christus mit den Seinigen regieren. Als Urheber dieser, nachher von religiös-politischen Schwärmern öfters erneuerten, Lehre wird Kerinthus genannt, der in dieser Schrift eine wichtige Rolle spielt. Vergl. Offenbarung Johannis Kap. 20. Unnöthig würde es seyn, von den verschiedenen Arten der Chiliasten – wie man die Anhänger dieser Lehre nennt – hier zu reden: man vermuthet leicht, daß sie sich in gröbere und feinere werden unterschieden haben.


3 Anspielung auf Lavaters Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkunde und Menschenliebe.


4 Ueber die verschiedenen Luciane, welche hier von dem berühmten Dialogenschreiber unterschieden werden, kann, wen es interessirt, nachsehen Fabricii Bibl. graeca ed. Harless Bd. 5. S. 361. fg. u. Bd. 7. S. 303. fgg. Der Dialogendichter war zu Samosata am Euphrat in der Syrischen Provinz Kommagene geboren. Sein Landsmann, dessen hier gedacht wird, Presbyter zu Antiochia, [240] war von der Partei des Arius und seine eigenen Arianischen Anhänger nannten sich Lucianisten und Collucianisten. Dieß ist es, worauf sich Wieland hier bezieht. Daß von Einigen jene Sage widerlegt wird, und daß dieser Lucian auch in den Martyrologien, d.i. in den Lebensbeschreibungen der Märtyrer vorkommt, braucht nur beiläufig erwähnt zu werden.


5 S. Lucians-Sämmtl. Werke übers. von Wieland Bd. 3. S. 93. fgg. über die Glaubwürdigkeit Lucians in seinen Nachrichten von Peregrinus.

Auszug aus Lucians Nachrichten A1
6 Die 236ste Olympiade entspricht dem Jahr 168 nach Christus Geburt.

7 Fünf Millionen Thaler.


8 Hercules verbrannte sich selbst auf dem Berg Oeta; Aesculap, der Gott der Heilkunde, wurde von Jupiter mit dem Blitze getödtet, weil er der Unterwelt ihre Beute entriß; Dionysos – Bacchus – in einem Epigramm, worin zwischen Hercules und Bacchus eine Vergleichung angestellt wird (Anthol. gr. ed. Jacobs T. IV. p. 169 CCLI.) heißt es auch:


Beiden war Here hart; doch kamen beide durch Feuer
Von der Erde hinweg, zu den Unsterblichen hin.

Weitere Nachweisungen über diesen Umstand habe ich nicht gefunden.


9 Empedokles, der Philosoph – (vergl. die Natur der Dinge, die 9. Anm. zum 2 Buch, Bd. 25) soll sich in den Krater des Aetna gestürzt haben, weil er dessen Ausbrüche nicht ergründen konnte.


10 Wein zu Ehren eines Gottes ausgießen, hieß libare. Dieß geschah bei einem Opfer zweimal. Die erste Libation bestand darin, daß man aus einem Gefäß einige Tropfen Weins auf den Kopf des Opferthiers goß; bei der zweiten goß man sie auf das Feuer.


[241] 11 Dem ersten sagte man nach, er habe beständig geweint, dem andern, er habe beständig gelacht. Von beiden ist in früheren Bänden gesprochen.


12 Gegen einen im Ehebruch Ertappten war bei den Griechen und Römern eine ziemlich grausame Privatrache erlaubt. Eine der gewöhnlichsten (wie sich aus einer Stelle in den Wolken des Aristophanes V. 1079. fgg. schließen läßt), war das, was sie ῥαφανιδουσϑαι nannten, d.i. daß man dem armen Sünder einen tüchtigen Rettig in den Aftertrieb – wie der Scholiast obiges Wort erklärt. W.


13 Der Text gebraucht die Worte προφητης, ϑιασαρχης und ξυναγωγεος. Die doppelte Bedeutung des ersten ist bekannt. Thiasos war eigentlich der Name der Gesellschaft von Satyrn, Faunen und begeisterten Weibern, mit welchen Bacchus die Welt durchzog; in der Folge gebrauchte man dieses Wort von jedem Haufen schwärmender Bacchanten, und überhaupt von jeder gottesdienstlich Brüderschaft, und der Vorsteher derselben hieß Thiasarch. Daß die Juden den Ort ihrer gottesdienstlichen Versammlungen Synagoge nannten, war Lucianen ohne Zweifel bekannt, und er scheint daher durch den Gebrauch des Wortes Synagogenmeister die Christianer und Juden in Eine Brühe zu werfen; theils weil die ersten jüdischen Ursprungs waren, theils weil er sie für Leute einerlei Geschlechts halten mochte. Ob ihm aber die unter ihnen gebräuchlichen Namen, Presbyter und Episcopus (Aeltester und Bischof) unbekannt gewesen, oder warum er sie lieber mit andern vertauschen wollte, läßt sich nicht sagen. W.


14 Die Dogmen und Ceremonien ihrer Religion, wovon in diesem Werke noch weiter die Rede ist, nannten die Christianer selbst ihre Mysterien, Religions-Geheimnisse, zu denen zugelassen zu werden es der Vorbereitung und Weihung bedurfte.


15 Ohne Zweifel sind hiemit die Diaconissen gemeint, die (nach St. Pauls Verordnung) nicht unter 60 Jahre seyn durften, und denen unter andern auch oblag, nothleidenden kranken und gefangenen Brüdern und Schwestern alle mögliche Hülfsleistungen um Christi willen zu erweisen. W.


16 Man sieht, ohne mein Erinnern, daß von den ἀγαπαις (Agapen) oder Liebesmählern die [242] Rede ist, deren Beschaffenheit sowohl, als die dabei schon in der Apostel Zeiten mit untergelaufenen Mißbräuche, bekannt genug sind. W.


17 Das Städtchen Parium war eine römische Colonie in Mysien am Hellespont, und hatte daher Municipalrechte und eine Art von demokratischer Verfassung, wie alle dergleichen Städte. Daher die öffentlichen Volksversammlungen, deren gedacht wird. W.


18 »Es gefällt dem heiligen Geist und uns (schrieben die Apostel und Aeltesten zu Jerusalem an die Brüder zu Antiochia, Syria und Cilicia, Apost. Gesch. 15), euch keine Beschwerung mehr aufzulegen als diese nöthigen Stücke, daß ihr euch enthaltet vom Götzenopfer (d.i. nicht vom Opferfleische esset) und vom Blute, und vom Erstickten, und von Hurerei.« Diese Apostolische Constitution wurde unter den Christianern genau beobachtet, und die Strafe der Excommunication stand wenigstens auf dem Essen von Götzenopfern. W.


19 Ein Cynischer Philosoph, der um das Jahr 120 sich hervorzuthun anfing. (s. Euseb. Chronic.) Lucian nennt ihn unter den Lehrern seines Demonar, und es ist kein Grund vorhanden, warum er nicht um das Jahr 150 und noch viel später zu Alexandrien gelebt haben könnte. W.


20 Alle diese Absurditäten sollten Peregrins Initiation in den Cynischen Orden vorstellen, wodurch er öffentlich Profession machte, alle conventionellen Begriffen und allen Gesetzen der Wohlanständigkeit zu entsagen, hingegen als freier Sohn der Natur zu leben, alles dulden und ausdauern zu können, allen körperlichen Schmerz zu verachten u.s.w. W.


21 Antoninus Pius.


22 Von welchen der erste unter dem Kaiser Nero, und die beiden andern nebst allen übrigen Philosophen, so viele ihrer damals in Rom waren, durch ein Decret des Kaisers Domitian aus Italien verwiesen worden waren. W.


23 Die Rede ist von dem berühmten Tiberius Claudius Atticus Herodes, dem angesehensten, beredtesten, reichsten und großthätigsten unter allen Griechen, die unter den Antoninen lebten. Außer dem großen Kosmus von Medici kann schwerlich noch ein andrer Privatmann genannt werden, der ein fürstliches Vermögen auf eine so große Art angewandt hätte [243] als dieser Herodes Atticus, wie er gewöhnlich genennt wird. Unter den Werken, womit er die Stadt Athen verschönerte, war ein Stadion (Rennbahn) von weißem Marmor, wovon noch einige Ueberbleibsel zu sehen sind, und ein prächtiges Theater, dergleichen eins er auch zu Korinth auffahrte. Philostratus erwähnt noch verschiedener anderer theils prächtiger, theils wohlthätiger Werke, womit er sich um Griechenland verdient gemacht; und Pausanias recensirt eine Menge herrlicher und kostbarer Kunstwerke, die er in den Tempel Neptuns zu Korinth gestiftet hatte. Herodes wurde von Antoninus Pius zu einem der Lehrer seiner adoptiven Söhne bestellt. Er bekleidete im J. 143 die Consularische Würde, und war in der Folge kaiserlicher Präfect über die freien Städte in Anen, und Präsident der Panhellenischen und Panathenischen Feste. W.


24 Nämlich in den Tempel Jupiters zu Olympia, der, wie alle Tempel, eine Freistätte war. W.


25 Philoktetes, dieser getreue Freund und Gefährte des Hercules, war der einzige von dessen Angehörigen, der sich von ihm erbitten ließ, den Scheiterhaufen anzuzünden, worauf er sich verbrannte.


26 Nach Harpine, oder vielmehr nach den Ruinen einer ehemaligen kleinen Stadt dieses Namens, die ungefähr eine Stunde weit von Olympia entfernt waren. Paus. El. 21. W.


27 Der cynischen Philosophen. W.

Einleitung.

28 Die höchst interessante Beschreibung dieser Reise, welche Menippus machte, indem er sich der Flügel eines sehr großen Adlers und eines Lämmergeyers bediente, findet der Leser in Lucians Ikaromenippus. Wielands Uebers. Bd. 1. S. 198.


29 Thersites, war der häßlichste unter allen Griechen vor Troja; Phaon, der Geliebte der Sappho, und Adonis, sind ihrer Schönheit wegen berühmt.


30 Ein aus der Odyssee bekanntes Zauberkraut, welches Ulysses zu Entkräftung der Zauberkräfte der Circe (von Hermes empfing.) W.


[244] 31 Ich habe sie, nicht sie mich.


32 Was es mit diesen für eine Bewandtniß habe, ersieht man aus einem Dialog zwischen Lucian und Diokles. S. die Dialogen in Elysium.


33 d.i. Christusanhänger, war anfangs der Name einer bloßen Secte von Judenchristen in Antiochia, wurde aber nachmals in der katholischen Kirche ein allgemeiner Name für alle Bekenner des Christenthums; und er ist allerdings richtiger als der Name Christen. Nach Suidas kam der Name der Christianer zuerst unter der Regierung des Kaisers Claudius auf – Wie die Meisten aber von den Christianern urtheilten, ersieht man aus des Tacitus Annalen B. 15. Kap. 44. Die Verachtung, in welcher die Juden standen, ging auf die über, quos vulgus Christianos adpellabat, weil man sie für eine jüdische Secte hielt.


34 Theagenes, dieser Lobredner des Peregrinus, gab vor, folgendes Orakel von der Sibylle gehört zu haben:


Aber sobald Proteus, der Cyniker größter und bester,
Neben dem Tempel des Donnerers Zeus ein Feuer entzündet,
Und in die Flamme springend den beyden Olympus besteiget,
Alsdann sollen alle, die von den Früchten der Erde
Essen, den großen nächtlichen Heros, der neben Hephästos
Und Herakles dem Könige thront, als Schützer verehren!

Der Unbekannte, welchen Lucian gegen Peregrinus auftreten läßt, setzte jenem Orakel sogleich eins von Bakis entgegen.


Aber sobald der Cyniker mit den vielerlei Namen
Von der Erinnys des Ruhmes gepeitscht in die Flammen hineinspringt,
Sollen hinter ihm drein die ihm folgenden Hundefüchse
Allesammt springen, das Schicksal des fliehenden Wolfes zu theilen.
Wollte sich einer, aus Furcht, der Gewalt des Hephästos entziehen,
Diesen sollen sogleich die Achäer alle mit Steinen
Decken, damit er sich, trotz seinem Froste, nicht länger
Feurig zu reden vermesse, und mit erwuchertem Golde
Seinen Tornister fülle, wiewohl sein väterlich Erbe
Ihn zum Herren von dreimal fünf Talenten gemacht hat.

Von dem Böotischen Orakelertheiler Bakis ist früher schon die Rede gewesen. Die Sibyllen waren, wie auch ihr Name anzeigt, Verkündigerinnen von dem Willen des Zeus oder Gottes-Rathgeberinnen. Sie[245] mußten sich, sagt Wieland, zu Lucians Zeiten von jedem Betrüger zu Unterstützung seiner Absichten gebrauchen lassen. Auch machten sich einige Christianer schon damals ein Geschäfte daraus, Sibyllinische Orakel zu schmieden, und eine so vollgültige Autorität zu vermeintlicher Bekräftigung ihrer Religion hier und da geltend zu machen. (S. Origen o. Cels. I, 5. 7.) Ein Betrug, der ihnen um so leichter war, da die neue Compilation, die der Kaiser M. Aurelius von allen Sibyllinischen Orakeln, die sich finden würden, machen ließ, sowohl dem Glauben der Einfältigen an diese Albernheiten, als der Industrie der Schlauköpfe, neues Leben und neue Aufmunterung gab.


35 Bekanntermaßen werden die Declamationen des Demosthenes gegen den König Philipp von Macedonien so genannt. W.

Erster Abschnitt.

36 Lucian fängt seinen Bericht von des Peregrinus Lebensende mit den Worten an: »und so hat denn der heillose Mensch, Peregrinus, oder, wie er sich selbst lieber nannte, Proteus, die Aehnlichkeit mit seinem Homerischen Namensverwandten vollständig gemacht, und der ehrsüchtige Thor, nachdem er sich nach und nach in tausenderlei Gestalten verwandelt hatte, ist zu guterletzt – so heftig brannte die Liebe zum Ruhm in ihm – noch gar zu Feuer geworden!« Dieß alles ist gesagt als Anspielung auf den schon in früheren Bänden erwähnten Aegyptischen Meergott Proteus, der sich, nach Homers Bericht, in alle Gestalten verwandeln konnte, auch in Feuer, und in der Voraussetzung, Peregrinus habe den Namen Proteus von dem Meergott erborgt.


37 Apollonius von Tyana wird den Lesern aus dem nachfolgenden Agathodämon hinlänglich bekannt werden.


38 d.i. ausländische, nicht griechische, denn alles Ausländische hieß bei den Griechen Barbarisch. Es werden als solche angeführt die Chaldäer, d.i. Zöglinge aus dem Priesterinstitut zu Babel, welcher Orden den Namen der Chaldäer führte. Diese Priester standen im Rufe gleich großer Astronomen und Weissager, wurden aber dadurch späterhin so verrufen daß die Namen Chaldäer und betrügerischer Charlatan gleichbedeutend [246] wurden. Wer über sie nähere Nachricht wünscht, der lese Juvenals sechste Satyre V. 553. fgg., so wie über die Isispriester und Priesterinnen und die Priester der großen Göttermutter V. 489 und 511 fgg., Stellen, aus denen sich ergibt, wie bei der sittenlosesten Lüderlichkeit der schändliche Aberglaube bestand.


39 Eudämonie bedeutet gewöhnlich den Zustand der Glückseligkeit, wird hier aber in demselben Sinne gebraucht, wie früher Eudämon, als der Zustand der reinsten Wonne, deren ein Dämon fähig ist, also ungefähr das, was wir unter Seligkeit zu denken pflegen.


40 Ein aus der Odyssee bekannter Trank, dessen schöne Wirkung Vergessenheit alles Kummers und aller Leiden war.


41 Der Name zweier öffentlicher Plätze zu Athen (Vergl. die Anm. zu: Nachlaß des Diogenes, Bd. 19.); die Akademie, das Gymnasium, wo Platon und seine Nachfolger, die Akademiker, Pökile, die Halle, wo die Stoiker, Lykeion, das Gymnasium, wo Aristoteles und seine Nachfolger, die Peripatetiker, lehrten.


42 Alcibiades, der schöne Wüstling, ist bekannt genug; Nicias, älter als Alcibiades und dessen Gegner, wurde mit ihm zugleich zum Oberfeldherrn ernannt, damit, wie Plutarch sagt, seine Vorsicht der allzugroßen Verwegenheit jenes zur Seite stehe. Thucydides sagt von ihm, nachdem er in Sicilien ermordet worden, daß von allen Griechen seiner Zeit er am wenigsten solch ein unglückliches Schicksal verdient, indem er seine Pflichten gegen die Gottheit stets aufs sorgfältigste erfüllt habe. Da es nun diesemnach unbegreiflich ist, wie Nicias hier mit Alcibiades zusammengestellt werden konnte, und da er nicht einmal in der Carricatur, welche Aristophanes in den Rittern von ihm entwirft, hieher paßt; so vermuthe ich, daß Kritias hier stehen solle, welcher eben so schlimm wie Alcibiades, nur von etwas anderer Art, zugleich mit diesem dem Sokrates den Vorwurf zuzog, seine Schüler verdorben zu halben, wogegen Xenophon seinen Lehrer (Memorab. 1, 2.) rechtfertigt. Ein anderer Nicias, welcher hier gemeint seyn könnte, ist mir wenigstens nicht bekannt; Kritias aber paßt vollkommen hieher.


43 Unter dem Titel die Liebesgötter (Erotes) befindet sich ein Aufsatz unter Lucians Schriften, den Wieland auch aus andern Gründen als wegen Verschiedenheit des Styls, und also muthmaßlicher Unächtheit, unübersetzt gelassen hat.


[247] 44 Antinous, dessen Schönheit durch mehrere berühmte Darstellungen der bildenden Kunst verewigt worden ist.


45 Schicksal.

Zweiter Abschnitt.
46 Vergl. die Anm. zu Sympathien. Bd. 29.
47 S. die Anm. zum neuen Amadis 7. Ges. 28. Str. Bd. 15.

48 Nach ihrem Geburtsort Erythrä in Kleinasien benannt, hatte den Trojanischen Krieg verkündigt.


49 Homers Elysium wurde als eine oder mehrere glückselige Inseln in dem, die Erdscheibe umfluthenden, Strom Okeanos gedacht. Nur Günstlinge von Zeus lebten dort, dem Tod entrückt, in unthätiger Wonne. Hesiodus versetzte dahin das Geschlecht der Heroen unter der Herrschaft des Kronos (Saturns), bei welcher der Grieche allezeit an ein paradiesisches Leben dachte.


50 Den Pythagorischen Tod nannte man Befreiung der Seele von dem Körper, wozu der Anfang mit Enthaltung von aller Art körperlicher Wollust gemacht wurde. Dieser folgte strenge Beherrschung der Affecten und Leidenschaften, und hiedurch wurde Einkehr der Seele in sich selbst, Betrachtung des Göttlichen und Ewigen, und Annäherung an Gott selbst möglich.


51 S. Wielands Abhandlungen über die Pythagorischen Frauen.

52 Göttererscheinungen.

53 Räucherungen und Beschwörungsgesänge.


54 Glückswechsel, nach Aristoteles ein wesentlicher Punkt in jedem Drama. Er erklärt diese Peripetie als den, nach Wahrscheinlichkeit oder Nothwendigkeit erfolgenden Uebergang der handelnden Personen in einen entgegengesetzten Zustand.


[248] 55 Der ekstatische Zustand ist ein Außersichseyn, eine Verzücktheit überhaupt, welche Ursache ihn auch bewirkt haben möge; nympholeptisch ist er, wenn – Nymphen ihn verursacht haben. Den Nymphen schrieb man die Kraft der Begeisterung zu (die Musen waren ebenfalls Nymphen), und Nympholepten waren solche, welche vom Anhauch der Nymphen begeistert waren. Da aber die Begriffe von Begeisterung, Raserei und Wuth in einander liefen, so hieß auch der von Nymphen in Wuth gesetzte ein Nympholept. Hier bezieht sich der nympholeptische Zustand wohl auf den Glauben der Alten, daß der unvermuthete Anblick von Nymphen wahnsinnig mache.


56 S. Crates u. Hipparchia, die Anm. z. 38. Br. Bd. 21.

Dritter Abschnitt.

57 Poppäa war die Gemahlin Nero's, und stand in nicht besserem Ruf als Messalina – Vergl. die Anm. zum Antiovid, 1. Ges. Bd. 25.


58 Die heiligen Haine der Venus auf der Insel Cypern.


59 Ein Flecken unweit der Syrischen Stadt Antiochia, berühmt durch die Schönheit seines heiligen Haines, worin ein Tempel Apollo's und der Diana stand.


60 S. Bd. 3.

61 S. Bd. 3.

62 Sklavin der aus Ovids Liebesgedichten bekannten Korinna.


63 Der Sohn des Sonnengottes, der den Sonnenwagen einst so unglücklich lenkte, daß er selbst herabsturzte, und die Welt in Brand gerieth.


64 S. Bd. 27. Araspes und Panthea, und besonders den Schluß. Vergl. die letzte Anm. zu: die Wahl des Hercules. Bd. 28.


65 Ixion umarmte bekanntlich statt der Gemahlin Jupiters, die er um Liebe anzuflehen gewagt hatte, ein ihr ähnliches Wolkenbild.


66 Die irdische, gemeine Venus, [249] im Gegensatz der Urania. Vergl. die Anm. zum Antiovid. 1. Ges. Bd. 25.


67 Die Zauberinnen bei den Griechen und Römern nahmen wächserne Bilder oder Puppen von Personen, und setzten sie dem Feuer aus, und man glaubte, daß das lebende Original dieser Bilder eben so welch werde oder zerschmelze wie die Wachspuppe. Dieses Mittels bediente man sich, theils um ungetreue oder kaltsinnig gewordene Liebende zu neuer Liebe zu entflammen, theils um Rache zu nehmen und sie zu verderben.


68 Der Assyrische König, und Elagabalus, oder Heliogabalus, der römische Kaiser, sind wegen der höchsten Schwelgerei und Ueppigkeit berüchtigt.


69 S. oben die Anmerk. zu Thiasarch.

Vierter Abschnitt.

70 Lucian antwortet, daß die rechte Antwort hierauf zu weit aus dem Wege führen würde. Wieland hat indeß diese rechte Antwort in seiner Uebersetzung Lucians zu geben versucht (s. Bd. 3. S. 59. fgg.), und es scheint zweckdienlich, sie auch hier den Lesern mitzutheilen. Folgende Umstände, deren historische Gewißheit unläugbar ist, dienen zusammengenommen, den Gesichtspunkt, woraus Lucian die ganze Sache, wovon hier die Rede ist, ansah, zu bestimmen, und seine Vorstellungsart davon begreiflich zu machen.

I. Die Christianer waren zwar um diese Zeit, d.i. in der andern Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Chr. G., schon durch alle Provinzen des römischen Reichs zerstreut, und besonders in Asien, Syrien und Aegypten zahlreich, hielten aber mit den Dogmen und Ceremonien ihrer Religion, oder mit dem, was sie selbst ihre Mysterien nannten, gegen alle, die der herrschenden Religion zugethan waren, außerordentlich zurück: es war also natürlich, daß selbst aufgeklärte Männer unter diesen letztern, wie Tacitus, Plinius, Lucian u.A. sich zum Theil unrichtige Vorstellungen von ihren Grundsätzen, Glaubenspunkten und heiligen Gebräuchen machten, von der Person Jesu selbst aber[250] nichts Näheres und Besseres wußten, als das Wenige, was das gemeine Gerücht von seinem Leben und Tode verbreitet hatte, folglich weit entfernt waren, sich eine richtige und würdige Vorstellung von ihm zu machen. Ueberdieß standen Ihm starke Vorurtheile bei ihnen im Wege. Römer und Griechen hatten von den Juden, aus Ursachen, eine äußerst, verächtliche Meinung – und Er war ein Jude gewesen. Bei einem Wunderthäter dachten sich Männer wie Tacitus und Lucian einen Betrüger, Gaukler, Taschenspieler oder etwas dem Aehnliches, gerade so, wie dieß der erste Gedanke ist, der heutzutage einem vernünftigen Menschen einfällt, wenn er von den Wunderthaten eines Gaßner, Schröpfer, Cagliostro und ihresgleichen erzählen hört. Wunderthäter, Magier, Zauberer, Schlangenbanner, Siebdreher u.s. w: gehörten nach ihren Begriffen in eine und eben dieselbe Classe – und Er wurde für einen Wunderthäter ausgegeben. Beides war mehr als hinlänglich, ihnen das widrigste Vorurtheil gegen Ihn zu geben, und sie von aller nähern Erkundigung abzuschrecken.

II. Die ursprüngliche Einfalt und Lauterkeit des Herzens, die ein Charakterzug der ersten Jünger Jesu war, hatte um diese Zeit unter denen, die sich Christianer nannten, schon sehr abgenommen; nicht nur weil es vermöge der Natur der Dinge nicht anders seyn konnte, sobald man die Bekenner der neuen Glaubens- und Lebensweise bei Hunderttausenden zählen konnte: sondern auch vornehmlich, weil sich, schon von den Zeiten der Apostel an, eine Menge halbjüdischer, halbheidnischer Schwärmer, Visionäre, Theosophen, Theurgen und Adepten von allerlei Secten und Namen unter dem Christlichen Namen verbargen, und die mannichfaltige, wenn auch nur zufällige und momentane Vermischung mit diesen Fanatikern oder Betrügern natürlicher Weise sowohl auf die christlichen Gemeinen selbst, als auf das Urtheil der Heiden von ihnen, einen nachtheiligen Einfluß haben mußte. Bekanntermaßen liefen, aus diesen unreinen Quellen, eine Menge untergeschobener oder verfälschter, zum Theil mit dem abgeschmacktesten Unsinn und den plattesten Mährchen angefüllter Schriften, unter dem Namen der Apostel und ihrer Jünger, ja sogar der Patriarchen vor und nach der Sündfluth u.s.w. bei den Christianern herum, über deren Aechtheit oder Unächtheit noch nichts entschieden war. Alles dieß mußte nothwendig bei vielen, und es ist wohl nicht zu viel gesagt, bei den meisten Bekennern des Christenthums dieser Zeit die Disposition zur Schwärmerei (die den Asiaten ohnehin so natürlich ist) um so mehr [251] befördern, da schon an sich selbst nichts leichter ist, als der unmerkliche Uebergang vom reinen und ächten Enthusiasmus zum unächten, und überdieß so viele andere innere und äußere Ursachen das Göttliche, das anfangs in der Sinnesart der Christianer herrschte, nach und nach mit so viel menschlicher Unlauterkeit legirten, bis das immer schlechter werdende Gold diesen Namen endlich gar nicht mehr verdiente.

Dieser Umstand erklärt nicht nur wie es zuging, daß der aufgeklärte Theil der Welt so verächtlich von den Christianern dachte, sondern auch wie leicht es möglich war, daß ein Mensch wie Peregrin (eine Zeitlang wenigstens) eine ansehnliche Rolle unter ihnen spielen konnte. Wir brauchen nur die Augen aufzuthun, und zu sehen, was in unsern Tagen (die doch in Ansehung der Möglichkeit und Leichtigkeit der Aufklärung vor jenen beinah' unermeßliche Vortheile haben) vorgegangen ist und noch vorgeht, um auf das, was damals möglich war, und wahrscheinlicher Weise wirklich geschah, sehr sichere Schlüsse machen zu können.

III. Die meisten Christianer zu Lucians Zeiten konnten des ächten Sinnes und Geistes Christi ermangeln (wie dieß dann, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Fall wirklich war), und gleichwohl von dem feurigen Gemein- und Parteigeist und von dem Brudersinne getrieben werden, der alle neuen, auf Mysterien gegründeten, unter Druck und Verfolgung nur durch diesen brüderlichen Gemeingeist sich erhaltenden Secten, Orden und geheimen Gesellschaften auszeichnet, und den Lucian als einen auffallenden Charakterzug an ihnen bemerkt Denn eben dieser Gemeingeist ist es eigentlich, was das Leben und die Seele einer jeden zu gemeinschaftlichen Zwecken vereinigten Gesellschaft ausmacht, und was ihr festen Zusammenhang, Dauer und ausgebreitete Einwirkung in die übrige Welt gibt. Bei wem ist diese mächtige Triebfeder jemals wirksamer gewesen als bei den Jesuiten? Hoffentlich werden es diese nicht übel nehmen, wenn ich die Christianer unter den Kaisern des zweiten und dritten Jahrhunderts als einen religiösen Orden betrachte, und die Jesuiten selbiger Zeit nenne: wenigstens bin ich überzeugt, daß dieser Name, mit der ganzen Kraft desselben, sie besser als irgend ein anderer charakterisirt. Brauchen unbefangene Beurtheiler der menschlichen Dinge mehr, um zu begreifen, woher es kam, daß der Mann, der sich selbst in den Wiederauferstandenen (Bd. 1. S. 399. fgg) als einen geschwornen Feind aller ungebührlichen Anmaßungen, alles Betrugs, aller Gleißnerei, Schwärmerei und Gauklerei erklärt, und sich als einen [252] solchen in allen seinen Schriften darstellt, von den Jesuiten seines Jahrhunderts ungefähr eben so dachte, wie alle gesund denkenden und gegen die menschliche Gesellschaft wohlgesinnten Männer des unsrigen von dem Orden des Loyola, und überhaupt von allen auf mystische Hypothesen gegründeten, und nach übermenschlichen Zwecken strebenden geheimen Gesellschaften denken?

IV. Wiewohl mir nun diese Betrachtungen begreiflich zu machen scheinen, warum Lucian (der die Christianer für eine verächtliche Secte fanatischer Schwärmer ansah, und, ohne selbst in ihren Mysterien iniziirt zu seyn, nicht wohl anders von ihnen denken konnte als alle andern verständigen Heiden seiner Zeit), warum, sage ich, Lucian weder das Wenige was er von ihren Glaubenslehren gehört hatte, noch ihren Gemeingeist und Brudersinn, in einem günstigern Lichte sah; so bin ich doch nicht so parteiisch für ihn eingenommen, den Einfluß der epikurlichen Grundsätze, denen er (zumal in seinen spätern Jahren) öffentlich zugethan war, auf sein Urtheil von den Christianern zu mißkennen, oder die Denk- und Sinnesart gut zu heißen, aus welcher einige seiner Ausdrücke, die selbst an einem vernünftigen Epikuräer kaum zu entschuldigen sind, geflossen zu seyn scheinen. Ein Epikuräer kann zwar, nach seiner Theorie, nicht anders, als glauben, daß Leute, »die sich in den Kopf gesetzt haben, mit Leib und Seele ewig zu leben,« in einem irrigen Wahne stehen: aber wie er sie um eines so süßen, tröstlichen, Geist und Herz erhöhenden Wahnes willen (wenn es auch nur Wahn wäre) arme Teufel (κακοδαιμονες) schelten könne, ist nicht wohl zu begreifen. Sie verachten dieses Glaubens wegen den Tod, sagt er: aber warum soll an ihnen getadelt werden, was bei den freien und durch Knechtschaft und Luxus noch unverdorbnen Griechen der höchste Ruhm war? Und er, der in so vielen seiner Werke über die griechischen Götter spottet, und sich ein ordentliches Geschäft daraus macht, sie um alles Ansehen zu bringen, wie kann er den Christianern zum Vorwure machen, daß sie mit solchen Göttern nichts zu thun haben wollten?


71 Am härtesten von diesen urtheilte Tacitus, da er a.a.O. die Christianer, eine Secte, die von Christus, der unter Tibers Regierung mit Todesstrafe belegt war, den Namen habe, – als ihrer Schändlichkeiten wegen verhaßte, des Hasses des menschlichen Geschlechtes überwiesene Leute, und ihre Glaubenslehre als [253] höchst verderblichen Aberglauben bezeichnet. Man hat wahrscheinlich gemacht, daß dieser ihnen vorgeworfene Haß des menschlichen Geschlechtes nichts anderes andeute als feindliche Gesinnung gegen die Römer und den Römischen Staat, und solcher konnte eine Religionspartei, von deren heimlichen Zusammenkünften man den Zweck nicht kannte, leicht verdächtig werden. Die Kaiserlichen Verordnungen gegen solche verdächtige Zusammenkünfte wurden daher auch öfters gegen sie angewendet, und wohl auch mißbraucht. Um vieles billiger dachte Plinius, der im J. 105 n. Chr. Statthalter von Bithynien und Pontus wurde. Merkwürdig ist, in dieser Hinsicht sein Schreiben an Trajan und dessen Antwort (s. Plin. Epp. X. 97. 98). »Ich habe, schreibt er, an ihnen nichts gefunden als einen verkehrten und unmäßigen Aberglauben, und daher den Urteilsspruch verschoben, um deinen Rath einzuholen. Der Verathung scheint mir die Sache sehr würdig, hauptsächlich wegen der gefährdeten Menge: denn vielen von jedem Alter, Stand und Geschlecht ist der Proceß gemacht und wird er gemacht werden. Nicht bloß über die Städte, sondern auch über die Flecken und das Land hat die Seuche dieses Aberglaubens sich verbreitet, die jedoch wohl gehemmt werden kann und Heilmittel zuläßt. Wenigstens ist, gewiß, daß man wieder anfängt, die fast verödeten Tempel zu besuchen, die lange unterlassenen Opfer zu bringen, und hin und wieder Opferthiere feil zu bieten, die bisher nur sehr, seltene Käufer fanden. Daher läßt sich denn vermuthen, welche Menge Menschen gebessert werden könne, wenn man nur der Reue Raum läßt.« Trajan billigt dieß Verfahren, und schreibt: »Aufsuchen muß man sie nicht. Werden sie angegeben und überwiesen, so muß man sie strafen; jedoch so, daß der, welcher ein Christianer zu seyn läugnet, und es durch Anrufung unserer Götter beweist, Verzeihung seiner Reue wegen erhalte, wenn er auch früherhin verdächtig gewesen. Anklagen ohne Namen des Anklägers, dürfen in keinem Criminalfalle Statt finden. Das ist von sehr bösem Beispiel und unserm Zeitgeist nicht gemäß.«


72 So nannten die Gnostiker, zu welchen der Unbekannte gehörte, die höchsten himmlischen Kräfte, welche sie als die ersten Ausflüsse der Gottheit, des Urquells aller geistigen Kräfte und Vollkommenheiten, betrachteten. W.

[254] Fünfter Abschnitt.
73 Weise Mäßigung.

74 Ein Staat, den die unsichtbare Gottheit durch sichtbare Stellvertreter regiert.


75 So hießen die Iniziirten der Eleusinischen Mysterien, nachdem sie zum Anschauen des Lichts gelangt waren. Die Christianer entlehnten bekanntermaßen dieses Wort, wie mehrere andere dieser Art, um es auf ihre Mysterien anzuwenden. W.


76 So wurden von den damaligen Christianern diejenigen genannt, die nur noch den ersten Grad der Initiation in ihren Mysterien erhalten hatten. W.


77 Hier, wo der Name dieses in gegenwärtiger Geschichte so wichtigen Mannes, von welchem Lucian selbst nichts weiß, den aber Wieland gewählt zu haben scheint, um an ihm die Ausartung des Christenthums zu zeigen, zum erstenmale genannt wird, scheint es zweckmäßig, über ihn selbst, so wie über die Chronologie, dieses Werkes, noch Einiges beizubringen.

Kerinthos (Cerinthus) scheint zunächst den Zeiten, der Apostel gelebt zu haben, und muß wenigstens noch ein Zeitgenosse des Johannes gewesen seyn, denn er wurde von Einigen für den Verfasser der Offenbarung des Johannes gehalten, und Andere behaupteten, daß Johannes sein Evangelium zur Widerlegung der Kerinthischen Irrlehre geschrieben habe. Irenäus sagt ausdrücklich: »Johannes, der Schüler des Herrn, wollte durch Bekanntmachung seines Evangeliums den Irrthum wegschaffen, welchen Kerinthos den Menschen eingepflanzt hatte.«

Mit Beantwortung der Frage, worin des Kerinthos Irrlehre bestanden, haben drei berühmte Theologen der neueren Zeit sich beschäftigt, und wen es interessirt, der kann nachlesen: Storr über eine Stelle des Irenäus III. II. (Eichhorns Repertorium für Biblische und Morgenländische Literatur XIV 127 fgg.) Paulus Commentationes theologicae potissimum historiam Cerinthi Iudaeochristiani ac Iudaeognostici, atque finem Iohanneorum in N.T. libellorum illustraturae. Jena 1795, und die Abhandlung von J.E. Ch. Schmidt: Cerinth, ein judaisirender Christ (in dessen Bibliothek für Kritik und Exegese des N.T. und älteste Kirchengeschichte Bd. 1. St. 2. S. 181 fgg). Der erste von diesen will im Kerinthos einen bloßen Gnostiker erkennen, der zweite hält ihn für einen judaisirenden Christen und Gnostiker [255] zugleich, der dritte behauptet, er sey nur jenes gewesen. Ohne uns auf eine Entscheidung hierüber einzulassen, A2) wollen wir bloß das mittheilen, was uns, als der Kerinthischen Lehre eigenthümlich, ist berichtet worden.

1) Der Schüler ist nicht über den Meister. Da Jesus beschnitten war, so muß sich auch sein Schüler beschneiden lassen. Da Jesus das Mosaische Gesetz befolgte, so muß es auch sein Schüler befolgen.

2) Jesus war ein Sohn des Joseph und der Maria. (So mußten die Juden, diesem ihm den Messias sahen, der aus dem Geschleckte Davids entsprungen sollte, aus welchem Joseph stammte, aber nicht Maria, behaupten. S. die Geschlechtstafel vor dem Evangelium des Matthäus.)

3) Jesus übertraf die übrigen Menschen an Gerechtigkeit, Weisheit und Macht.

4) Nach der Taufe stieg auf Jesus von dem höchsten Wesen Christus herab in Gestalt einer Taube, und darauf verkündigte er einen unbekannten Pater. Am Ende flog Christus von Jesus wieder zurück, und Jesus war es, welcher gelitten hat und auferstanden ist; Christus aber kann keinem Leiden unterworfen werden.

An diese allerdings den Juden verrathenden Sätze reiht sich nun eine Theologie, deren Eigen hümlichkeit nicht leicht auszumitteln ist. Sie geht von einer Behauptung aus, die nicht sehr jüdisch scheint, daß nämlich die Welt nicht von dem höchsten Gotte gemacht worden, daß der Gott der Juden nicht der höchste Gott, und das Mosaische Gesetz nicht von dem höchsten Gotte gegeben sey. An die Stelle des Judaismus tritt nun ein System, welches mit dem der Gnostiker, insofern dieß auf der Lehre von den Aeonen beruht, die größte Aehnlichkeit hat. Kerinthos scheint eine höchste Gottheit angenommen zu haben, die aber nicht unmittelbar mit der Schöpfung im Zusammenhange stand, sondern bloß mittelbar. Aus ihr geht hervor der Eingeborene, und der Logos ist dieses Eingeborenen wirklicher Sohn. Wie es scheint, ist der Eingeborene [256] nach diesem System Christus; es bleibt aber zweifelhaft, ob er auch der Weltschöpfer sey, oder ob die Schöpfung von ihm nur durch untergeordnete Kräfte (Aeonen eines niedrigern Ranges) ausgeführt worden. An einer Lehre von Engeln und andern Geistern fehlte es höchst wahrscheinlich dabei nicht.

Uebrigens war Kerinthos ein Anhänger des Chiliasmus, d.i. er erwartete, wie alle Juden-Christen, die Wiederkehr des Messias nach tausend Jahren, und die Stiftung eines irdischen jüdischen Reiches desselben zum großen Vortheil seiner Anhänger.

Ueber das Leben des Kerinthos wissen wir nur so viel, daß er in früheren Jahren in Palästina lebte, ein jüdischer Philosoph war, ein judaisirendes Christenthum annahm, dann nach Aegypten überging, wo er wahrscheinlich bei den Alexandrinischen Juden und Judenchristen in der allegorischen Erklärungsart sich vervollkommnete, und daß er längere Zeit in Klein-Asien lebte, namentlich in der Gegend von Ephesus, wo ihn Johannes einst in einem Bade soll angetroffen, und dieses sogleich verlassen haben. Er hatte in dortiger Gegend viele Anhänger, ungeachtet Johannes sein Gegner war, und rühmte sich besonderer Offenbarungen durch Engel. (Euseb. Chron. 3, 28.) In Ansehung seiner Gesinnungen ist merkwürdig die Aeußerung des Bischofs Dionysius von Alexandria über ihn, die ebenfalls Eusebius in seiner Kirchengeschichte (7, 23.) aufbewahrt hat. Etliche der Aelteren, heißt es, haben die Offenbarung Johannis geradezu verworfen, da schon der Titel eine Unrichtigkeit enthalte und die Schrift gar nicht apostolisch sey. Sie wollten sie nicht einmal einem Christianer zuschreiben, sondern schrieben sie dem Kerinthos zu, dem Urheber der Kerinthischen Ketzerei, der, um seinen Meinungen Glauben zu verschaffen, dem Buche des Johannes Namen vorgesetzt habe. Die Lehre, daß das Reich Christi auf Erden entstehen solle, sey Kerinthisch; und wie man dem Kerinthos nachgesagt, er sey ein Liebhaber der fleischlichen Lüste gewesen, so habe er auch hier nicht unterlassen, den Seligen des zukünftigen Reiches solche Dinge zu verheißen, die ihm angemuthet hätten, wonach dann bleiben würden die Werke des Buches und der Wollust, Ueberfluß an Speise und Trank, Hochzeit, und was nachfolge. Auch habe er gehofft, daß wiederkehren sollten die Hochzeit und jüdischen Feste und die gesetzlichen Opfer.

Da nun hier dieser Mann von einem, der wenigstens nicht viel über ein halbes Jahrhundert nach ihm lebte, auf Zeugnisse Aelterer [257] hin, und also wohl von Zeitgenossen des Kerinthos, als ein Verfälscher, Lüstling und Erzjude geschildert wird, während Andere ihn den falschen Aposteln zuzählen; so konnte Wieland wohl der Ueberzeugung seyn, daß es mit seinem Plane seines Reiches Christi auf Erden nicht eben auf ernste Beförderung des ächt Christlichen in Gesinnung und Wandel abgesehen gewesen, und daß er ihm nicht Unrecht thun werde, wenn er bei seiner Schilderung von einem Gesichtspunkt ausgehe, welchen Lucian angewiesen hat. »Sobald, sagt dieser, irgend ein verschmitzter Betrüger an die Christianer geräth, der die rechten Schliche weiß, so ist es ihm ein Leichtes, die einfältigen Leute an der Nase zu führen und gar bald auf ihre Unkosten ein reicher Mann zu werden.« Die eingeführte Gütergemeinschaft gab dazu wenigstens gute Gelegenheit. Uebrigens schildert Wieland den Kerinthos, den die wahren Christianer nicht für einen der Ihrigen wollten gelten lassen, nicht eigentlich historisch, sondern wie er den Umständen jener Zeit gemäß hätte seyn können, mithin nach der Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit, die Aristoteles als Vorzüge der Poesie vor der Geschichte rühmt. Dem Peregrinus gegenüber erscheint er nicht als strenger Judenchrist (als welcher er in diese Geschichte gar nicht gepaßt hätte), sondern lediglich nach Storrs Ansicht als ein gnostischer Christianer, d.i. als ein solcher, welcher annahm, daß der Religionsunterricht Jesu und der Apostel unvollkommen, und nur auf unvollkommene Menschen berechnet gewesen sey, und daß sich der vollendete Christianer darum zu einer höheren Religionsphilosophie, Gnosis, erheben müsse. Damit er in dieser Beziehung gehörig gewürdigt werden könne, theile ich hier noch eine Stelle aus Schmidts oben genannter Abhandlung mit.

»Es sind zwei Systeme, die ihrem Ursprung nach wesentlich verschieden sind, die sich aber bei ihrer weiteren Ausbildung einander so näherten, daß sie leicht mit einander vermischt werden konnten, welches um so leichter war, da sich das eine mit Beibehaltung derselben Sprache in das andere verwandeln ließ. Das eine dieser Systeme entstand durch Personification der göttlichen Eigenschaften. So wie die Speculation mehrere Kräfte in der Gottheit unterscheiden lernte, so wie sich die Verhältnisse derselben unter sich näher entwickelten, so mehrte sich auch die Anzahl dieser Personificationen, und so entstanden die Aeonen, Sephiroth u.s.w. Kühn vollendet entstand eine Tafel derselben. – – Das andere System ging von der Bemerkung aus, daß es schicklicher wäre, der Gottheit einen Hofstaat, eine Menge unterworfener Diener [258] zu geben, durch die sie ihren Willen könne ausführen lassen. Es stützte sich nachher auf die Betrachtung, daß auf der Stufenleiter der Wesen die Lücke zwischen der Gottheit und den Menschen allzu ungeheuer sey, als daß man sie nicht vernünftiger Weise mit Geistern, Engeln, Dämonen u. dergl. ausgefüllt denken sollte. Der allgemeine Volksglaube an Polytheismus schloß sich hier an, und schien seine vernünftige Erklärung dadurch zu finden. – Diese beiden Systeme, so wesentlich verschieden, konnten nun gleichwohl so nahe gebracht werden, daß sie dem ungeübteren Betrachter in Eins zerstießen wußten. Durch die kühne Vollendung der Personification einer göttlichen Kraft schien diese zu einem von der Gottheit verschiedenen Wesen zu werden. – Der Geweihte einer solchen Philosophie konnte sich nicht verirren; er kannte die Genesis der scheinbaren Untergötter; gefahrlos bezeichnete er sich, um seine Ideen von den gegenseitigen Verhältnissen und Beziehungen der göttlichen Kräfte darzustellen, diese mit den Bildern von Erzeugung, Vermählung u.f., und fühlte so die Personendichtung vollständig aus. Aber der Laie mußte sich nun täuschen.«

Jetzt ist nur übrig, ein Wort über die in diesem Werke angenommene Zeitrechnung beizufügen.

Es lebten noch Menschen, welche den Evangelisten Johannes persönlich gekannt hatten, und sein Zeitgenosse Kerinthos spielt eine wichtige Rolle darin. Da nun Johannes, welcher ein Alter von nah an 100, nach Einigen sogar von 120 Jahren erreichte, im J. 95 n. Chr. nach der Insel Patmos verwiesen wurde, wo er die unter seinem Namen vorhandene, von Manchen dem Kerinthos beigelegte, Offenbarung geschrieben, nachher aber, während seines Aufenthaltes zu Ephesus, sein Evangelium gegen die Kerinthischen Lehrsätze gerichtet haben soll; so folgt hieraus, daß diese Geschichte in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus fallen müsse. Von Peregrin wird man annehmen müssen, daß er zu Anfange des zweiten Jahrhunderts, unter der Regierung Trajans, geboren worden; ob aber seine Verbindung mit den Christianern in die Regierungszeit Hadrians falle, die von dem Jahr 117 n. Chr. bis 138 dauerte, in welcher Zeit auch Agathobulus als Philosoph bekannt wurde, oder ob sie lediglich in die Regierungszeit des Antoninus Pius zu setzen sey, welcher im I. 161 starb, ist ziemlich zweifelhaft, und Wielands eigne Angabe dafür scheint am allerwenigsten für die Geschichte, wie er sie entworfen hat, zu passen. Wieland in seinem Lucian setzt nämlich Peregrins Verbindung mit den [259] Christianern, nach ungefährem Anschlag, in das Jahr 140–152, so daß also Peregrin, als er sich nach Alexandria zu Agathobulus begab, in einem Alter von 50 Jahren müßte gewesen seyn. Dieß paßt allerdings zu dem Folgenden ziemlich genau, denn nach einem Aufenthalt von 10 Jahren in Alexandria kommt Peregrin nach Rom und in die Verlegenheit mit Faustina, der Gemahlin des Marcus Aurelius Antoninus, wegen deren er verwiesen wird. Geschah dieß im I. 160, also ein Jahr vor der Thronbesteigung des Marcus Aurelius, so fallen die drei Olympischen Spiele, welche Peregrin besuchte, gerade in die 8 Jahre, welche zwischen seiner Verweisung aus Rom und seinem Tode im J. 168 verflossen, und Peregrin war, als er starb, in dem Alter zwischen 60 und 70 Jahren. Ob jene Annahme Wielands aber eben so genau zum Vorhergehenden passe, bezweifle ich, denn Kerinthos müßte dann um die Zeit, in welcher Peregrin mit ihm zusammentrifft, im höchsten Greisenalter gestanden haben. Nimmt man auch bloß auf sein Verhältniß zu Johannes Rücksicht, so mußte er um diese Zeit an 90 Jahre alt seyn; aber wofern gar gewiß seyn sollte, daß mehrere Stellen in den apostolischen Schriften (Apost. Gesch. X. XI. Gal. 2, 2–5.) sich auf ihn bezögen, über 120 Jahre. Wieland hätte dann in Beziehung auf Kerinthos denselben Fehler begangen, den er Bruckern in Beziehung auf Peregrin vorwirft. Es scheint daher am sichersten, für Peregrins Verbindung mit den Christianern, die Regierungszeit Trajans anzunehmen und höchstens den Anfang der Regierungszeit Hadrians. Dann stand Kerinthos etwa in den Sechzigen, und dieß gibt ihm zu seiner Schwester Dioklea ein leidlich richtiges Verhältniß, und stellt diese selbst in ein Alter, wobei sich der Satyrstreich Peregrins gegen sie im Gefängniß, so wie von diesem selbst, wenn er ein Vierziger, und kein Fünfziger war, denken läßt. Daß Dioklea als Diakonissin nicht, nach Paulinischer Verordnung, schon das sechzigste Jahr zurückgelegt habe, läßt sich wohl annehmen, da Kerinthos sich an jene Verordnung noch weit weniger gebunden haben dürfte als Andere es thaten, die sich seine Abweichungen nicht erlaubten.

Uebrigens wäre wohl möglich, daß Wieland denen gefolgt wäre, welche den Herinthos erst ins zweite Jahrhundert versetzen. Die Stellen aber, aus denen man dieses hat darthun wollen, sind erweislich unzuverlässig, und dieß verdiente wohl bei einem Werke, welches nicht in das bloße Gebiet der Dichtung gehören soll, Bemerkung.


78 Mysterien [260] finden sich bei allen Religionen der alten Welt. Sie waren aber entweder allgemeine, für das ganze Volk, und dann nichts anderes als dramatische Vorstellungen von den Sagen der Götter, meist zur Nachtzeit gegeben, oder besondere, für kleinere Gesellschaften und einzelne Personen, und in diesen theilte man den Eingeweihten Geheimlehren mit, gradweise und unter der Bedingung heiligen Schweigens. Sie hießen daher Aporrheta, d.i. Lehren, die man nicht aussagen durfte, und dieß ist der Sinn des Wortes, welchen Wieland in dieser Stelle andeutet. Die Christianer ahmten diese Einrichtung nach, theils weil selbst Eingeweihte unter ihnen waren, wie Justin der Märtyrer und Clemens von Alexandrien, theils weil sie Eingeweihte unter sich aufnahmen. Auch nur gradweise und nach mancherlei Prüfungen theilten sie manche Lehren und Gebräuche als Geheimnisse mit. Während der Prüfungszeit hießen die, welche den ersten Unterricht empfingen, Katechumenen (zu Unterrichtende), und diese waren eingetheilt in die drei Grade, der Hörenden (audientes), Kniebeugenden(substrati) und der Erwählten (eiecti, competentes), die nie zu den Sacramenten zu gelassen wurden. Dazu berechtigte erst die Weihe der Taufe, die man alljährlich am Oster- oder Pfingstfeste vornahm. Dieser gingen aber noch vorher die Scrutinia. Sieben Tage lang gingen die Erwählten in einem einzigen Gewande, barfuß und mit verhülltem Antlitz, damit sie nicht zerstreut werden möchten. Man trieb aus ihnen den Teufel aus, wusch und salbte sie, und nun theilte man ihnen das Geheimnis der Dreieinigkeit, das Glaubensbekenntniß (Symbolum) und das Gebet des Herrn mit. Hiedurch, und durch den Empfang der Taufe wurden die Katechumenen zu Neophyten, d.i. zu Neugebornen. Als solche gingen sie während der Osterwoche in weißen Kleidern einher, besuchten täglich die Kirche, genossen täglich das heilige Abendmahl, und wurden nun vollständig in allen Geheimnissen unterrichtet. Deßwegen hießen sie Iniziirte, Eingeweihte, und Illuminaten, Erleuchtete. Hatten sie nach der Osterwoche die weiße Kleidung abgelegt, so waren sie, als wirkliche Mitglieder der Gemeine, Getreue (Fideles), und als solche aller Sacramente theilhaftig, und hatten Stimmrecht in der Gemeine. Unter diesen Getreuen bildeten sich wieder mehrere Grade, der Märtyrer, die um des Glaubens willen Qual und Tod erlitten, der Bekenner (Confessores), die vor Gericht unerschrocken ihren Glauben bekannten, und der Asketen (Asceten, der Uebenden), die in ihrem ganzen Leben und Wandel freiwillig sich einer strengeren Tugendübung unterwarfen.


[261] 79 Unter den Asketen gab es welche, die sich aller Gesellschaft entzogen, und diese hießen Anachoreten, d.i. Zurückgetretene, Einsiedler, oder Eremiten, Bewohner der Wüste, wenn sie in eine solche sich begeben hatten, um eine noch strengere und beschwerlichere Lebensart zu führen. Seit dem dritten Jahrhundert war die Wüste hinter Theben in Oberägypten voll von ihnen. Auch Einrichtungen dieser Art waren nur Wirkungen des durch orientalischen Geist mißgestalteten Christenthums.

Fußnoten

A1 Die mit W. bezeichneten Anmerkungen sind; so weit sie hier nöthig schienen, aus der Wielandischen Uebersetzung Lucians entlehnt.

A2 Wegscheider in seinem Versuch einer vollständige Einleitung in das Evangelium des Johannes Gött 1806., S. 109 äußert, die meisten Widersprüche, die man in des Irenaus Nachrichten von aufgewiesen, möchten sich durch Unterscheidung der Zeiten, in welchen Corinth solche widersprechende Meinungen behauptet haben könnte einigermaßen heben lassen – Weder die Anhandlung Massuets de Cerintho vor seiner Ausgabe des Irenaus, noch Walchs habe ich benutzen könnten.

Zweiter Band

Inhalt des zweiten Theils
[263][5]
Inhalt des zweiten Theils.
VI. Abschnitt.

Peregrin wird durch den Tod seines Vaters Besitzer eines großen Vermögens, und seine Obern lassen sich endlich gefallen, den größten Theil davon, als ein zum Bau des Reichs Gottes beigetragenes Scherflein, zu ihren Handen zu nehmen. Er wird nach Nikomedien berufen, erhält zur Belohnung der Treue, welche er bisher in dem angefangnen Werke seiner Heiligung bewiesen, das Versprechen, daß er nun ohne weiters zum Anschauen der höchsten Geheimnisse des Reichs des Lichts zugelassen werde, und empfängt von Hegesias, als dem dazu von Kerinthus verordneten Mystagogen, den wirklichen Unterricht in der erhabenen Gnosis, hinter deren emblematischen und allegorischen Bildern Kerinthus das wahre Geheimniß seines weit gränzenden politischen Plans verbarg. Peregrin, dessen unheilbare Phantasie in dieser aus magischen[6] und kabbalistischen Quellen geschöpften Gnosis die nahe Befriedigung seiner höchsten Wünsche ahndet, nimmt die Bilder für die Sache selbst, und bestärkt dadurch seine Obern in dem Urtheil, daß er ihrem Orden bloß als Werkzeug, aber als solches durch seinen Eifer für ihre Sache, die ihm die Sache Gottes war, und durch die unbedingten Aufopferungen, wozu sie ihn immer bereit sahen, desto größere Dienste thun könne. Anstatt also die Decke von seinen Augen wegzunehmen, unterhalten sie ihn vielmehr in seiner schwärmerischen Vorstellungsart, und bestimmen ihn endlich, nach einer strengen Vorbereitung, in den Missionen zu arbeiten, durch welche der Orden die in Asien zerstreuten Brüdergemeinen nach und nach mit sich zu vereinigen suchte. Peregrin wird zu diesem Ende in eine Pflanzschule der Kerinthischen Secte nach Ikonium, und von da nach Syrien abgeschickt. Der glückliche Fortgang seiner Arbeiten wird durch eine von Parium aus gegen ihn gerichtete Cabale unterbrochen: er wird vor dem Statthalter von Syrien angeklagt und kraft des bekannten Trajanischen Edicts ins Gefängniß geworfen. Berichtigung der Erzählung des Lucianischen Ungenannten. Peregrins Gemüthszustand bei der Fortdauer seiner Einkerkerung.

VII. Abschnitt.

Unverhoffter nächtlicher Besuch, den er von Diokleen im Gefängniß erhält. Sie entdeckt sich ihm als die Schwester des Kerinthus, macht ihn mit der geheimen Geschichte ihres Bruders und mit dem Innern seines großen Plans bekannt, und öffnet ihm dadurch auf einmal die Augen über die ganze Kette von Täuschungen, wodurch er von Kerinthus [6] und Hegesias bisher zum blinden Werkzeug ihrer politischen Absichten gemacht worden war. Peregrin erhält durch ihre Vermittlung seine Freiheit wieder, unter der Bedingung Syrien sogleich zu verlassen. Er stellt sich als ob er in alle ihre Absichten mit ihm eingehe, verläßt sie aber bald darauf heimlich, und entflieht nach Laodicea, fest entschlossen, alle Gemeinschaft mit Kerinthus und seinem Anhang auf immer abzubrechen.

VIII. Abschnitt.

Der schwärmerische Hang zur theurgischen Magie, von welchem Peregrin bisher beherrscht und unter mancherlei Gestalten getäuscht wurde, macht nun allmählich einer andern Art von Schwärmerei Platz, deren erste Wirkung sein plötzlicher Entschluß ist, sich für sein übriges Leben mit der liebenswürdigen Familie von Johanniten zu vereinigen, welche ihn bald nach seiner ersten Bekanntschaft mit Kerinthus, auf seiner Reise von Pergamus nach Pitane, so freundlich aufgenommen hatte. Dieses Vorhaben wird durch das unvermuthete Zusammentreffen mit einem gewissen Dionysius von Sinope vereitelt, mit welchem er vor etlichen Jahren zu Ikonium bekannt worden war. Beide theilen einander die Geschichte ihrer ehemaligen Verbindung mit Kerinthus und die während derselben gemachten Beobachtungen und Erfahrungen mit. Gründe, warum Dionysius Peregrins Trennung von Kerinthus und Diokleen eher mißbilligt als gut heißt, nun aber, da dieser Schritt einmal geschehen war, und Peregrin seinen unüberwindlichen Abscheu, an dem Plan dieser gefährlichen Geschwister Antheil zu nehmen, erklärt, [7] darauf besteht, daß er alle Gemeinschaft mit den Christianern, von welcher Secte sie seyn möchten, gänzlich aufheben müsse. Merkwürdige Aeußerungen des Dionysius über die Tendenz des damaligen Christianismus, und über Hierarchie und Theokratie überhaupt. Peregrin, bei welchem sich inzwischen aus den Trümmern seines ehemaligen Platonisch-magischen Systems eine neue, wiewohl nicht weniger schwärmerische Vorstellungsart entwickelt hat, entschließt sich, die Eudämonie (das ewige Ziel seiner Wünsche) zwar auf einem andern, aber seinem zeitherigen sehr nahe liegenden Wege zu suchen, und das höchste Ideal eines vollkommnen Cynikers zum Zweck und Vorbild seines übrigen Lebens zu machen. Er trennt sich von seinem Freunde Dionysius, der ihm vergebens anbietet sein unscheinbares aber sicheres Glück mit ihm zu theilen, und kehrt im Costume eines Cynikers nach Parium zurück, um die Ueberbleibsel seines, größtentheils dem Kerinthus aufgeopferten, Vermögens in Sicherheit zu bringen. Seine Verwandten verursachen ihm neue Ungelegenheiten und Kränkungen, welchen er sich durch den raschen Entschluß, dem Volk von Parium ein Geschenk von dem Rest seines Erbgutes zu machen, auf einmal entzieht. Er begibt sich nun nach Alexandrien in Aegypten, um die Schule des Philosophen Agathobulus zu besuchen, nachdem er sich von dem Ertrag eines kleinen Maierhofes (dem einzigen, was er sich bei Verschenkung seines Vermögens an die Parianermentaliter vorbehielt) ein zur höchsten Nothdurft eines Cynikers ungefähr hinreichendes Einkommen versichert zu haben glaubte, welches ihm zwar in der Folge durch die Bemühungen seiner Feinde wieder entzogen, durch einen unverhofften Zufall aber reichlich ersetzt wird. Er findet zu Alexandrien nicht was er suchte, und bestärkt sich dadurch in dem Vorsatz, die [8] Austerität der Heroen des Cynischen Ordens in seinen Maximen, Reden und Handlungen aufs äußerste zu treiben. Charakter seiner Misanthropie, und seltsame Leibesübungen und Selbstpeinigungen, wodurch er die Gewalt über seinen thierischen Theil bis zur völligen Apathie zu treiben sucht. Der große, wiewohl zweideutige Ruf, in welchen er sich durch dieß alles setzt, zieht ihm die Aufmerksamkeit eines vornehmen jungen Römers zu, von welchem er sich bereden läßt, ihn in der Eigenschaft eines Freundes und Hausgenossen nach Rom zu begleiten. Peregrin tritt seine Reise nach der Hauptstadt der Welt mit dem ganzen Enthusiasmus eines Menschen an, der dem glorreichsten Werke, das ein moralischer Hercules unternehmen konnte, der Sittenverbesserung dieser zur tiefsten Unsittlichkeit und Verderbniß herabgesunkenen Stadt, entgegen geht, und findet sich, zu seinem Erstaunen, abermals in allen seinen Erwartungen betrogen. Er verläßt das Haus des jungen Römers; der Unmuth versäuert und erbittert seine Sinnesart immer mehr, und er benutzt die Freiheit, welche der Schutz Marc-Aurels damals allen Griechischen Philosophen zu Rom gewährte, seiner bösen Laune durch die heftigsten Satyren und die schonungsloseste Züchtigung des Lasters und der Lasterhaften Luft zu machen.

IX. Abschnitt.

Peregrin setzt sich durch sein Betragen in Rom in den Ruf eines erklärten Weiberhassers, und behauptet diesen Ruf bei verschiedenen Proben, auf welche er gestellt wird. Dieß gibt Gelegenheit, daß auch bei der jungen Faustina von ihm gesprochen wird, und diese Prinzessin [9] (in deren Charakter leichter Frohsinn und arglose Gutherzigkeit die Hauptzüge waren) kommt auf den Einfall, den Cynischen Weiberfeind von Person kennen zu lernen. Peregrin wird ihr vorgestellt, und benimmt sich auf eine so linkische Art, daß Faustina in einem Anstoß von muthwilliger Fröhlichkeit Lust bekommt, den Versuch selbst zu machen, ob die Apathie dieses seltsamen Sonderlings gegen die feineren Verführungskünste, die sie gegen ihn anzuwenden gedenkt, aushalten werde. Sie geht darüber mit einer andern Römischen Dame eine Wette ein, und weiß, ohne ihrer eigenen Würde etwas zu vergeben, die bald von ihr ausfindig gemachte schwache Seite des unheilbaren Schwärmers so geschickt anzugreifen, daß sie endlich einen Triumph über seine Misogynie erhält, der ihr selbst zwar den Preis der Wette verschafft, aber den armen Peregrin zur Fabel des Hofes und der Stadt macht. Der Unwille über diesen, seinem nichts Arges besorgenden Herzen gespielten Streich treibt jetzt seinen Cynischen Menschenhaß so weit, daß er alle Gränzen der Klugheit überspringt, und nicht nur Faustinen und ihre Freundinnen, sondern auch ihren Gemahl und den Kaiser ihren Vater selbst in seinen Declamationen nicht verschont. Faustina, die sich zu einer billigen Entschädigung gegen Peregrin verbunden glaubt, wird mit allem, was sie für ihn thun will, auf eine so beleidigende Art abgewiesen, daß Peregrin am nächsten Morgen vom Präfect der Stadt Rom den Rath erhält, die Stadt ohne Aufschub zu verlassen. Er gehorcht, und kehrt nach Griechenland mit dem Vorsatze zurück, der Menschen weniger als jemals zu schonen, und, da er sie nicht besser ma chen könne, sie durch den ungefälligen Spiegel, in welchen er sie zu sehen zwingen wollte, wenigstens zu demüthigen und zu beschämen. Das [10] gegenseitige unangenehme Verhältniß, das zwischen ihm und der Welt daraus entsteht, nöthigt ihn, sich unweit von Athen in die einsamste Abgeschiedenheit zurückzuziehen, wo der Cyniker Theagenes, wiewohl wegen seiner plumpen Rohheit zu einer engern Verbindung mit Peregrin unfähig, beinahe der einzige Mensch ist, der sich ihm durch seine Anhänglichkeit erträglich macht. Endlich fühlt sich Peregrin von einem Lebensüberdruß und von einer Lust zu sterben ergriffen, die mit jedem Tage zunehmen, und die für ihn anständigste Art, sein Leben freiwillig zu endigen, zum Hauptgegenstand seiner Gedanken machen. So wie seine ganze Art zu seyn, seine strenge Enthaltsamkeit, und, mehr als alles andere, seine Erfahrungen, die dünnen Fäden, wodurch er noch am Leben hängt, einen nach dem andern abreißen, erwacht hingegen das alte, nie ganz erloschne Gefühl seiner dämonischen Natur wieder in seiner ganzen Stärke und in eben demselben Verhältniß, wie der natürliche Trieb zum Leben die seinige verliert. Er sehnt sich immer ungeduldiger nach jenem höhern Leben der Wesen seiner Gattung; er fühlt, daß er den Menschen nur noch durch seinen Tod nützen kann, und beschließt zu sterben. Gründe, die ihn bewegen, die Todesart des Hercules allen an dern vorzuziehen, und vier Jahre zuvor öffentlich anzukündigen. Erwähnung der Cirkelbriefe, die er unmittelbar vor seinem Tod an alle Griechischen Städte abgehen ließ, in der schwärmerischen Erwartung, daß sie, als der letzte Wille eines zur Bestätigung seiner Lehre sterbenden Weisen, gewaltig auf die Gemüther wirken, und ihn noch im Tode selbst zum Wohlthäter der ganzen Hellas machen würden. Peregrin beschließt damit seine nicht selten auf Unkosten seines Verstandes aufrichtigen Bekenntnisse, indem [11] er sich, wie es scheint, mit der Hoffnung tröstet, seinen neuen Freund überzeugt zu haben, daß er in seinem Erdeleben, wenn auch ein Schwärmer, wenigstens (was ziemlich selten ist) ein ehrlicher Schwärmer gewesen sey.

[12]
Zweiter Theil
Sechster Abschnitt
Sechster Abschnitt.

Peregrin (fährt in seiner Geschichte fort).


Nach etlichen Jahren erfolgte der Tod meines Vaters; plötzlich, aber niemand befremdend, da man, seiner Leibesbeschaffenheit und Lebensweise nach, schon lange voraus vermuthet hatte, daß ein Stickfluß etwas früher oder später seinem Leben ein Ende machen würde. Keiner Seele in Parium, am wenigsten mir selbst, fiel nur der Gedanke einer Möglichkeit ein, daß nach mehrern Jahren die boshafteste Verleumdung fähig seyn könnte, von diesem Umstande den Stoff zu jenem schändlichen Gerüchte herzunehmen, dessen dein ungenannter Redner zu Elis sich so boshaft und zuversichtlich gegen mich bedient hat. Das gute Vernehmen, welches immer zwischen meinem Vater und mir, der Verschiedenheit unsrer Grundsätze und Neigungen ungeachtet, verwaltete, und die Achtung, in welche mein sittlicher Charakter und ein Betragen, das keiner Art von Verleumdung die mindeste Blöße gab, mich bei meinen Mitbürgern gesetzt hatte, machte einen solchen Argwohn eben so unnatürlich, als es die That selbst [3] gewesen wäre. Meines Wissens hatte ich um diese Zeit in ganz Parium keinen Feind. Der einzige Menekrates, der seit mehrern Jahren alle nur ersinnliche Künste der Erbschleicherei (die du in deinen Todtengesprächen so meisterlich geschildert hast) angewandt hatte, um sich eine ansehnliche Stelle in dem letzten Willen meines Vaters zu verschaffen, ließ mich einige Erkältung seiner Freundschaft spüren, nachdem sich bei Bekanntmachung des Testaments gezeigt hatte, daß seiner gar nicht darin erwähnt, und nur seine Gemahlin Kallippe, als Nichte meines Vaters, mit einem nicht sehr erheblichen Legat bedacht worden war. Die Wahrheit zu gestehen, auch diese Dame, die seit meiner Zurückkunft nach Parium ihre alten Ansprüche an mich bei jeder Gelegenheit ohne Erfolg erneuerte, gab mir seit Eröffnung des Testaments wenig Ursache, sie für meine besondere Gönnerin zu halten; indessen kam ihr Mißvergnügen doch zu keinem öffentlichen Ausbruch. Erst nachdem ich durch meine Entfernung von Parium, und durch das Gerüchte, daß ich unter die Christianer gegangen sey, ein Gegenstand des allgemeinen Tadels meiner Mitbürger geworden war, erlaubte sie sich (wie ich lange nachher erfuhr) Anmerkungen und Winke über mich, die den ersten Grund zu der Verleumdung legten, auf welche ich zu rechter Zeit wieder zurückkommen werde.


Lucian.


Ich brauche dich wohl nicht erst zu versichern, mein Bester, daß du bei mir schon gerechtfertiget bist. Wäre die Rede nur von irgend einer großen Narrheit, so wirst du mir erlauben zu sagen, daß meine Partei genommen wäre: aber wer dich [4] eines Bubenstücks beschuldiget, hat seinen Proceß bei mir verloren, und wenn er auch ganz Mysien zum Zeugen gegen dich aufstellen könnte. Doch, das versteht sich von selbst. – Wohlan denn, Freund Peregrin! das einzige Hinderniß, das deiner gänzlichen Vereinigung mit den Christianern im Wege stand, ist nun fortgeräumt; du bist frei und Herr über ein ansehnliches Vermögen – Doch nein! ich vergesse, daß du dir bereits einen unsichtbaren Herrn gegeben hast, dessen sichtbare Hausverwalter schon vorläufig bedacht gewesen waren, dich aller Sorge, was du mit deinem Erbgut anfangen wollest, zu entbinden. Vermuthlich hattest du nun nichts Angelegneres, als alles je eher je lieber dem wundervollen Unbekannten zu Füßen zu legen?


Peregrin.


Das konnte nicht fehlen. Sobald ich von der ganzen Erbschaft, die sich nach Abzug einiger Vermächtnisse auf zweihundert und zwanzig Talente 1 belief, Besitz genommen hatte, schrieb ich an Hegesias: ich hoffte, man würde nun kein längeres Bedenken tragen, in meine gänzliche Absonderung von den Kindern der Finsterniß einzuwilligen, und zu erlauben, daß ich mich selbst, und alles was ich besäße, einzig und allein dem Dienst unsers Herrn und der Beförderung seines Reiches aufopferte.

In der That hatte Hegesias, durch seine Verbindungen mit den vornehmsten Kaufleuten und Wechslern in den Asiatischen Handelsplätzen, bereits auf eine so gute Art, daß ich ihm noch dafür verbunden seyn mußte, dafür gesorgt, daß ein großer Theil meines Vermögens schon zu seinen Befehlen [5] stand. Er begnügte sich also, ohne etwas Bestimmtes auf mein Ansuchen zu antworten, mir eine Zusammenkunft in Nikomedien vorzuschlagen, wo wir uns mündlich darüber besprechen könnten; als bis dahin er von dem Propheten (wie Kerinthus gewöhnlich von seinen Anhängern genannt wurde) zu vernehmen hoffte, was der Wille unsers Herrn in Absicht meiner wäre.

Auf diese Antwort beschleunigte ich meine Abreise mit Ungeduld; und nachdem ich alle meine Angelegenheiten zu Parium in Ordnung gebracht, schiffte ich mich, unter dem Vorwande die mir angefallnen Landgüter in Bithynien zu besichtigen, nach Nikomedien ein, ohne mich das gemächliche Leben, welches ich im Schooße des Vergnügens unter meinen Mitbürgern hätte genießen können, auch nur einen Augenblick dauern zu lassen; so voll war meine ganze Seele von den Herrlichkeiten, die in der Gemeinschaft der Kinder des Lichts auf mich warteten, und von dem hohen Beruf, dem ich entgegen eilte! Denn wie konnte der höchste Stolz eines Sterblichen einen größern Gedanken erstreben, als an dem glorreichen Werk aller Aeonen, welche ihre göttlichen Kräfte und Einflüsse zur Zerstörung des Reichs des Gottes dieser Welt und seiner Dämonen vereinigten, ein Mitarbeiter zu seyn, und eine neue Erde unter dem Scepter des menschgewordnen Logos 2 regieren zu helfen? – Du kennest doch diese Sprache, Lucian?


Lucian.


Meinen Ohren wenigstens ist sie nicht so fremd als meiner Vernunft.

[6] Peregrin.


Auch dieser wird sie sehr verständlich seyn, wenn ich dir diese vorgeblichen Geheimnisse der Geisterwelt aus der räthselhaften Bildersprache unsrer Secte in die gewöhnliche Menschensprache übersetze. Erinnere dich der großen Entwürfe eines Alexanders und Julius Cäsars, – aus dem ganzen Erdboden ein einziges Reich, aus allen Völkern eine einzige Nation zu machen, diesem ungeheuern Reiche eine einzige Hauptstadt zum Mittelpunkt zu geben, und in diesem Mittelpunkt ihr stolzes Selbst zur regierenden Seele des Ganzen zu machen.

Mein Kerinthus hatte keinen kleinern Plan; und wiewohl es ihm mit dem seinigen nicht besser gelang als dem großen Alexander, so bin ich doch gewiß, daß er sich schmeicheln darf, den ersten Grund zu der großen Revolution gelegt zu haben, die wir in den Zeiten der Theodosier zu Stande kommen sahen. Diese furchtbare Umkehrung der Dinge, die er mir gleich bei unsrer ersten Zusammenkunft so feierlich ankündigte, der Untergang des Reichs der Dämonen, das Herabsteigen der Stadt Gottes, zu welcher sich die Völker der Erde versammeln, und deren blitzende Strahlen die Feinde des Lichts verzehren sollten – alle diese pompösen Bilder waren keine Worte ohne Sinn; ganz gewiß wußte er was er damit sagen wollte: und was konnte dieß anders seyn, als daß es der neuen Theokratie der Christianer gelingen werde, die alte Religions- und Staatsverfassung umzustürzen? Diese Revolution zu bewirken und zu beschleunigen, war der wahre Zweck des geheimen Ordens, wovon ich einige Jahre nicht sowohl ein sehendes Mitglied, als ein blindes Werkzeug war.


[7] Lucian.


Dein Kerinthus war ein kalter kluger Mann. Ein so warmer treuherziger Enthusiast, wie du, war zu seinem Plane sehr gut zu gebrauchen, aber nur so lange als man deine Vernunft in dem gehörigen Helldunkel zu erhalten wußte. Alles war verloren, wenn man dich sehen ließ, was hinter dem hoch tönenden mystischen Prunk verborgen steckte, und wie natürlich diese theurgische Magie war, womit man die herrschende Leidenschaft deiner Seele gefesselt hatte.


Peregrin.


Der Erfolg wird zeigen, daß du richtig gerathen hast, Lucian. Hegesias empfing mich zu Nikomedien mit der zärtlichsten Bruderliebe; führte mich in die dortige Gemeine ein, welche nicht sehr zahlreich, aber gänzlich unter dem Zauber des Kerinthus war; bezeugte mir die Zufriedenheit des Vorstehers über die Treue, die ich bisher in dem angefangenen Werke meiner Heiligung bewiesen hätte, und endigte mit der Versicherung: daß er nun kein Bedenken mehr trüge, den letzten Vorhang wegzuziehen, und mich in Geheimnisse schauen zu lassen, welche selbst dem größern Theile der Brüder nur in Bildern und Symbolen geoffenbaret würden.

Dieses Versprechen spannte, wie du denken kannst, meine Erwartung auf den höchsten Grad; und Hegesias, dem das Mystagogenamt hierbei aufgetragen war, wußte dem geheimen Unterricht, den ich nun einige Wochen lang von ihm empfing, alles das Feierliche, Heilige und Magische zu geben, wodurch seine Wirkung auf ein Gemüth, wie das meine, zehnfach verstärkt werden mußte. Die Gnosis umleuchtete mich wie [8] ein überirdisches Licht, das aus offnem Himmel auf mich herabströmte; ich fühlte mich davon emporgetragen, fühlte die schauervolle Gegenwart und das gewaltige Eindringen der göttlichen Urkräfte in das Innerste meines Wesens, und glaubte, mit Einem Worte, in manchen Augenblicken jenes hohe dämonische Leben, jenes unmittelbare Zusammenfließen mit der göttlichen Natur – ein Gefühl, unter welchem (wie viel Täuschung auch dabei seyn mag) alle menschliche Sprache einsinkt – wirklich zu erfahren, wovon in meiner ersten Jugend, und in dem Hain Uraniens zu Halikarnaß, nur der schwache Schimmer leiser Vorempfindungen (wie ich jetzt wähnte) in meiner Seele aufgedämmert hatte. – Vermuthlich würde eine ausführliche Darstellung dieser erhabenen Gnosis wenig Interesse für dich haben –


Lucian.


Darauf kannst du dich verlassen! nicht das allermindeste!

Peregrin.


Ich begnüge mich also zu sagen, daß sie weder mehr noch weniger als ein Gewebe von theosophisch-magischen Träumereien war, welche Kerinthus eben so leicht den Grundbegriffen des damaligen Christenthums anzupassen wußte, als sie sich mit jeder andern Moral und Religion in Verbindung setzen ließen. Denn es war eine der natürlichen Folgen seiner Theorie, daß der menschliche Geist, trotz der dichten Rinde von kaltem und finsterm Stoffe, womit er nach seiner Verbannung aus den empyreischen Wohnungen umzogen worden, doch nie so ganz verfinstert geblieben sey, daß nicht, gleichsam durch die Risse und Spalten dieser Kruste, einige Funken und [9] Strahlen des allumfließenden Oceans von Feuer und Licht, der sich ewig aus dem Abyssus 3 der Gottheit ergießt, in sie eingedrungen wären, und –


Lucian.


Genug, genug, lieber Peregrin! – Mir ist nichts unausstehlicher als diese dithyrambische Art von Philosophie, die sich die Miene gibt, das unergründliche Geheimniß der Natur ausfindig gemacht zu haben; und doch mit allen den Phantasiebildern, in welche sie ihre vorgeblichen Offenbarungen verkleidet, entweder nichts, als was jedermann schon längst gewußt hatte, offenbart, oder geradezu platten Unsinn sagt. Indessen hat mich gleichwohl die Neugier einst verleitet, unter so vielen andern Ausgeburten der menschlichen Thorheit, mich auch mit diesem gnostischen Aberwitz bekannt zu machen: und du kannst also getrost voraussetzen, daß es überflüssig wäre, dich über das ganze theurgische System deines hochwürdigsten Propheten weiter auszubreiten; wie viel oder wenig es auch mit dem Ebionitischen, Valentinianischen 4, und andern dieser Art, wovon es in der Folge verschlungen wurde, gemein haben mochte. Die Vollständigkeit deiner eigenen Geschichte wird, denke ich, nichts dadurch verlieren.


Peregrin.


Erlaube mir nur noch diese einzige Anmerkung. Es kommt bei dieser gnostischen Theosophie alles im Grunde darauf an, daß die abstracten Begriffe der gemeinen Philosophie darin versinnlicht, und den Wörtern, wodurch sie bezeichnet werden, die unbekannten Wesen und Urkräfte selbst, wovon jene metaphysischen Begriffe nur leere Hülsen sind, [10] untergelegt werden: und gerade dieß war es, was diese Art zu philosophiren für alle warmen Köpfe und glühenden Herzen eben so anziehend und verführerisch machte, als sie den kalten Köpfen deiner Art immer verächtlich seyn mußte. Ihr wußtet, daß die Göttin, in deren Arme man euch zu führen versprach, nur ein Wolkengebilde war; was für Genuß hätte euch also eine wissentliche Täuschung verschaffen können? Wir Ixionen hingegen glaubten in der Wolke die Göttin, deren Gestalt sie uns vorspiegelte, selbst zu umfassen, und fühlten uns selig, nicht nur weil wir nicht wußten daß wir getäuscht wurden, und also unser Genuß (so lange die Täuschung dauerte) wirklich war; sondern auch, weil die Aehnlichkeit der Wolke mit der Göttin etwas Wirkliches, und also der Gegenstand, der uns in diese Entzückungen setzte, mehr als ein bloßes Hirngespinnst war. Denn, wofern auch dem Menschen in jenem irdischen Leben alle unmittelbare Gemeinschaft mit der unsichtbaren Welt versagt ist, so wird doch niemand zu läugnen begehren, daß in dem unergründlichen Geheimnisse der Natur (wie du es nanntest) etwas sey, das sich zu den Aeonen oder Urkräften der Gnostiker, und dem ewigen Urwesen, aus welchem sie ausströmen, ungefähr so verhält, wie die Juno der Fabel zu der Wolke, womit Jupiter den Ixion täuschte. Immerhin mögen also die Bestrebungen der wärmsten Einbildungskraft, sich zum wirklichen Anschauen dieser unerreichbaren Gegenstände zu erheben, vergeblich seyn: so sind doch diese Gegenstände selbst wirklich; so besitzt doch die menschliche Seele das Vermögen sich eine Art von Schattenbildern von ihnen zu machen; und so ist begreiflich, wie jenes bloße Bestreben in [11] den innern Sinnen begeisterter Menschen Gefühle und Erscheinungen hervorbringen kann, die bei aller Täuschung noch immer Realität genug haben, um das Subject derselben, wenigstens seiner eigenen Schätzung nach, unbeschreiblich glücklich zu machen.


Lucian (lächelnd).


Ich glaube etwas davon zu begreifen, Freund Peregrin. Aber weiter, wenn ich bitten darf!

Peregrin.


Der geheime Unterricht, den mir Hegesias während meines Aüfenthalts zu Nikomedien ertheilte, anstatt daß er der letzte Grad meiner Initiation gewesen seyn sollte (wie ich mir schmeichelte), war ohne allen Zweifel vielmehr eine Art von Probe, worauf man mich stellte, um zu sehen, ob ich würdig sey zum Aufschlusse des wahren Geheimnisses zugelassen zu werden. Denn in diesem Punkte sich nicht zu irren, mußte ihnen aus mehr als Einer Rücksicht sehr angelegen seyn. Wäre meine Vernunft damals schon meiner Phantasie mächtig genug gewesen, daß ich – anstatt alle diese Blendwerke einer den Thatsachen des Christenthums untergelegten theurgischen Magie (woraus die Gnosis des Kerinthus größtentheils zusammengewebt war) im Wortverstande zu nehmen und mich unbeschreiblich dafür zu erhitzen – vernünftige Zweifel gegen den wörtlichen Sinn derselben und gegen ihre Uebereinstimmung mit der reinen Lehre des Gottgesandten geäußert, und den scharf sehenden Menschenkenner Hegesias durch mein ganzes Benehmen überzeugt hätte, daß ich durch schimmernde Luftgestalten nicht zu täuschen sey: so würde er wohl kein Bedenken [12] getragen haben, mir das Innere des Ordens wirklich aufzuschließen, mich des Unterschiedes zwischen seiner exoterischen und esoterischen Lehrart 5 zu verständigen, und, kurz, mir zu vertrauen, daß der buchstäbliche Sinn nur für die schwächern und schwärmerischen Seelen, der moralische und politische hingegen (der alles wieder in die natürliche Ordnung der Dinge einleitete, und welchem jener nur zur Hülle dienen sollte) nur für die Wenigen sey, die an der Spitze der ganzen Verbrüderung standen, und eben darum heller sehen mußten als die übrigen. Aber einen Enthusiasten meiner Art, einen Menschen, dem das, was Kerinthus und Hegesias nur als Mittel zu ihrem Zwecke gebrauchten, der Zweck selbst war, und dem, so wie man die Binde von seinen Augen genommen hätte, auf einmal alle Lust zum Werke vergangen wäre, konnte man unmöglich in ein Geheimniß von dieser Wichtigkeit sehen lassen.

Sie beschlossen also (wie die That zeigte) den einzigen Gebrauch von mir zu machen, wodurch ich ihrer Sache wirklich Nutzen schaffen konnte, und wozu ich mich selbst so treuherzig darbot. Sie bemächtigten sich, zu Beförderung des Reichs Gottes, nach und nach mit meinem besten Willen, meines Erbgutes; mich selbst aber, sobald sie sahen, daß der Eifer für die Ausbreitung der heilsamen Lehre (wie sie ihre Gnosis nannten) meine ganze Seele in Flammen gesetzt hatte, bestimmten sie in den Missionen zu arbeiten, welche der Orden in allen Theilen der Asiatischen und morgenländischen Provinzen des Römischen Reichs unterhielt. Denn außerdem, [13] daß sie mich bereit sahen, für die Sache Gottes (wofür ich die ihrige ansah) alles Mögliche zu wagen und zu leiden, glaubten sie in meinen Fähigkeiten und selbst in meinem Aeußerlichen alles zu finden, was ihnen einen glücklichen Proselytenmacher in meiner Person versprechen konnte. Ein einziges Requisit ging mir noch ab: ich sah für einen Missionär noch zu wohl genährt aus. Aber dafür wußte der kluge Hegesias in kurzem Rath zu schaffen. Das heilige Werk, wozu mich der Herr erwählt hatte, erforderte eine strenge Vorbereitung; und so mußte ich einige Monate lang so viel fasten, wachen und beten, daß die wenige Nahrung und die vielen in erhitzender Betrachtung und Contemplation durchwachten Nächte mir bald genug das Ansehen eines Indischen Büßers gaben, welches in der That ein wesentliches Erforderniß zu dem Beruf ist, dem ich mit brennendem Verlangen entgegenging.

Endlich kündigte mir Hegesias an, daß er eine Reise zu machen hätte, auf welcher ich sein Gefährte seyn würde. Wohin, sagte er mir nicht, und mir war es nicht erlaubt zu fragen; denn ein unbedingter Gehorsam gegen alle Winke des Vorstehers – von welchem vorausgesetzt wurde, daß er seine Verhaltungsbefehle unmittelbar von unserm Herrn empfange – war eine der ersten Pflichten, zu deren Erfüllung ich mich, vor meiner angeblichen Einführung in das innere Heiligthum des Ordens, verbindlich gemacht hatte. Hegesias selbst schien in diesem Stücke nichts vor mir voraus zu haben. Er verbarg mir sorgfältig, daß er die rechte Hand, ja, im eigentlichen Verstande des Wortes, das Factotum des hochwürdigen [14] Kerinthus war, und wollte dafür angesehen seyn, daß er ein eben so blindes und passives Werkzeug in der Hand des Herrn sey als ich selbst.

Nach einer langen Wanderschaft, auf welcher wir Bithynien, Galatien und Phrygien die Kreuz und die Quer durchzogen und überall die Brüder besucht und gestärkt hatten, langten wir endlich zu Ikonium an, wo Kerinthus eine der ansehnlichsten Pflanzschulen seiner Secte angelegt hatte. Wir fanden ihn mitten unter seinen Zöglingen, welche (wie ich in der Folge erfuhr) theils von ihm selbst, theils von einem seiner Vertrauten, zu der nämlichen Bestimmung, wozu der Herr meine Wenigkeit erwählt hatte, ausgebildet wurden. Kerinthus empfing mich mit aller Zärtlichkeit und Offenheit, die mich (falls ich noch gezweifelt hätte) gewiß machen mußten, daß ich ein Jünger von der vertrautesten Classe sey, und daß er vor mir kein Geheimniß mehr habe; und, so lange ich zu Ikonium lebte, zeichnete er mich durch tausend Merkmale einer besondern Achtung vor den übrigen Brüdern, welche, wie ich, zum fahrenden Apostolat bestimmt waren, aus. Nichts konnte, bei allem Anschein von der offensten Mittheilung, feiner seyn als sein Betragen gegen mich; wiewohl ich diese Reflexion zu machen erst lange nachher fähig war, und damals alles so für wahr nahm wie es schien. Um dir nur ein einziges Beispiel davon zu geben, so wußte er es so einzurichten, daß ich es selbst war, der die erste Anregung von dem Amte, wozu er mich bestimmt hatte, that, indem ich ihm davon als von einem Geschäfte sprach, wozu ich mich innerlich berufen fühlte. – »Ich zweifelte keinen Augenblick (war seine Antwort), als mir [15] geoffenbaret wurde daß du zu diesem hohen Beruf erwählt seyest, daß dir auch die Gewißheit davon in deinem Innersten würde gegeben werden.«

Von dieser Zeit an unterhielt er sich mit mir, so oft wir allein waren, von keinen andern Gegenständen, als die sich auf dieses Geschäft bezogen, und theilte mir eine Menge Verhaltungsregeln und Cautelen mit, die ich dabei zu beobachten haben würde. Er verbarg mir nicht, daß von mehr als fünfhundert größern und kleinern Brüdergemeinen, welche damals durch Asien, Syrien und Aegypten zerstreut waren, kaum der siebente Theil in näherer und unmittelbarer Verbindung mit ihm stehe; und daß es daher von unumgänglicher Nothwendigkeit sey, zahlreiche Arbeiter auszusenden, um der Verwirrung, dem Mißtrauen und den Spaltungen, welche der Geist der Finsterniß unter den Gemeinen zu unterhalten geschäftig sey, vorzubeugen, und alle diese zerstreuten Schafe, durch die engeste Verbindung ihrer Hirten unter einander, nahe genug beisammen zu haben, um die Stimme des Oberhirten immer hören zu können, und von keinen blinden oder betrügerischen Leitern irre geführt zu werden. Er ließ sich hierüber, besonders über die Klugheit, womit die Vorsteher der verschiedenen Gemeinen geprüft, behandelt und gewonnen werden müßten, in sehr genaue Instructionen ein, die ich übergehe, weil sie mich zu weit von mir selbst abführen, und einem Menschenkenner, wie du, wenig Neues sagen würden.


Lucian.


Ich muß gestehen, Peregrin, daß ich der Entwicklung dieses Theils deiner Geschichte mit Verlangen entgegen sehe.


[16] Peregrin.


Wir kommen ihr immer näher, lieber Lucian. Nur Eines Umstandes muß ich, ehe ich mein sogenanntes Apostolat wirklich antrete, noch vorher erwähnen; und dieser war, daß ich während meines Aufenthalts zu Ikonium, unter andern jungen Männern, die in der Pflanzschule des Kerinthus beisammen lebten, einen kennen lernte, der meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben würde, wenn ihn der Vorsteher auch nicht durch eine besondere Art von fein beobachtender Hochachtung von den andern unterschieden hätte. Er nannte sich Dionysius, war (dem Ansehen nach) einige Jahre älter als ich, und hatte Paphlagonien (wo er aus einer kleinen Stadt gebürtig war) schon in seinen ersten Jünglingsjahren verlassen, um sich zu Athen aus einem Paphlagonier 6 zu – einem Menschen bilden zu lassen. Nachdem er in dieser ehrwürdigen Grabstätte der Sokraten und Platonen über zehn Jahre von einer Philosophenschule zur andern herumgeirret und nirgends hinlängliche Befriedigung gefunden hatte, begab er sich, um mit der Natur und den Menschen durch eigenes Anschauen bekannt zu werden, auf Reisen; durchwanderte Griechenland, Italien, Gallien, Spanien, das Römische Afrika und Aegypten; wurde zu Alexandrien mit Hegesias, und durch diesen mit Kerinthus bekannt, und gefiel sich so wohl bei diesen Männern (welchen, wenn sie jemand an sich ziehen wollten, schwerlich zu widerstehen war), daß er, nachdem sie einander eine Zeit lang beobachtet hatten, den Entschluß faßte, sich in ihren Mysterien einweihen zu lassen, und sein Loos mit dem ihrigen zu verketten. Die Heiterkeit und anscheinende [17] Ruhe, die sich in der Physiognomie dieses Dionysius ausdrückte, zog mich eben so stark zu ihm, als ihn ich weiß nicht was in der meinigen hinwieder anzuziehen und zu interessiren schien. Wir suchten und fanden einander öfters; aber die Aufrichtigkeit meiner Schwärmerei hielt ihn (wie ich in der Folge aus seinem eigenen Munde hörte) wider seinen Willen in einer Art von Respect, und unsre Gespräche blieben, wie unsre Freundschaft, immer an der äußersten Gränze der Vertraulichkeit stehen. Kerinthus und Hegesias schienen große Absichten mit ihm zu haben; allein zu Beobachtungen dieser Art waren meine Augen damals noch nicht hell genug. Ich trennte mich ungern von diesem Menschen, den ich, seiner Kälte ungeachtet, ungemein liebenswürdig fand, und der überdieß wegen seiner mannichfaltigen Kenntnisse ein unterhaltender Gesellschafter war. Aber die Zeit kam, da wir, mit dem Bedauern einander nicht näher gekommen zu seyn, scheiden mußten: er blieb bei unserm Vorsteher zurück, und ich wurde mit einem jungen Akoluthen 7, der mir zum Dienst zugegeben war, nach Cappadocien geschickt, um bei den Brüdergemeinen, die in diesem großen Lande zerstreut waren und unter die eifrigsten gerechnet wurden, meine erste Mission anzutreten.

Ueber diesem Geschäfte, worin ich – da ich es mit Cappadociern zu thun hatte – ziemlich glücklich war, gingen einige Jahre hin, binnen welcher Zeit es mir gelang, verschiedene zahlreiche Gemeinen mit der Kerinthischen Schwärmerei anzustecken, und in mehrern andern wenigstens einen so guten Anfang zu machen, daß es dem Propheten ein Leichtes [18] war, das Uebrige durch seine eigene Gegenwart, und durch einige Wunder, die ich ihn verrichten sah, vollends zu Stande zu bringen.


Lucian.


Wunder? – Was nennst du Wunder, Freund Peregrin?

Peregrin.


Ich will damit eben nicht sagen, daß er den Mond vom Himmel herabgerufen habe, um ihn in seinen linken Rockärmel hinein und zum rechten wieder heraus rollen zu lassen; oder daß er durch sein bloßes Wort Berge versetzt und Flüssen einen andern Lauf geboten habe: indessen muß ich doch bekennen, daß ich ihn höchst seltsame Nervenkrankheiten, welche (wie leicht zu erachten) auf Rechnung böser Dämonen gesetzt wurden, durch bloßes Handauflegen vertreiben sah; wobei doch vielleicht, als kein unbedeutender Umstand, nicht zu vergessen ist, daß dieses Handauflegen mit einem ziemlich lange anhaltenden Streicheln und Reiben verbunden war –


Lucian.


Das lass' ich gelten!

Peregrin.


Einige Teufel wurden durch die bloße Kraft lieblich betäubender Wohlgerüche und die Magie eines feierlich schönen Gesangs, den er von den Brüdern und Schwestern mit gedämpften Tönen anstimmen ließ, vertrieben. Ein paar Kranke – in der Einbildung vermuthlich – wurden bloß dadurch plötzlich gesund, daß er ihnen, nach allerlei vorbereitenden Feierlichkeiten, auf einmal mit mächtiger Stimme befahl zu glauben daß sie gesund seyen –


[19] Lucian.


Auch nicht übel!

Peregrin.


Das stärkste Stück aber, das ich mit meinen eignen Augen gesehen habe, war die Auferweckung einer – hysterischen Jungfrau, welche, als er herbei gerufen wurde, nach der Versicherung ihrer weinenden Verwandten, schon vor zwei Tagen gestorben war –


Lucian.


Und – den einzigen Umstand, daß sie noch lebte, ausgenommen – ohne Zweifel alle Zeichen einer todten Person an sich hatte?


Peregrin.


Wie es auch damit beschaffen seyn mochte, bei den ehrlichen Cappadocischen Bauern galt diese Auferweckung für ein augenscheinliches Wunder; und ich kann nicht läugnen, daß ich selbst bei dieser Gelegenheit so sehr Cappadocier war als ein anderer; mit so vielem Anstand und in einer so großen Manier wußte der hochwürdige Kerinthus seine Rolle in solchen Scenen zu spielen. Kurz, die Wirkung der Wunder, die er zum Beweise seiner Sendung that, war so entscheidend, daß nicht nur alle anwesenden Brüder, die noch an ihm gezweifelt hatten, sondern sogar viele von der Neugier herbeigezogene Götzendiener auf der Stelle gewonnen wurden. Ich, dem er sich gleich im ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft als ein außerordentlicher und mit höhern Wesen in Verbindung stehender Mann dargestellt hatte, wurde vielleicht durch diese Dinge am wenigsten befremdet: indessen gaben sie doch [20] meinem Glauben an ihn einen neuen Schwung; und ich zog nun, nachdem er mir seine wunderthätigen Hände aufgelegt hatte, desto getroster auf das neue Abenteuer aus, zu dessen Bestehung er mich, mit den nöthigen Empfehlungen und Instructionen versehen, nach Syrien abschickte.

Die Eroberung dieser Provinz lag ihm sehr am Herzen. Denn die Brüder zu Antiochia, Seleucia und Laodicea am Meer waren zum Theil reiche Handelsleute, von deren Vermögen und Verbindungen in allen Theilen des Römischen Reiches der geheime Orden, dessen Seele er war, große Vortheile ziehen konnte, wenn es ihm nur erst gelang, die Gemeinen selbst auf seinen Ton zu stimmen, und mit seinen Anhängern in den Provinzen des kleinen Asiens in nähere Vereinigung zu bringen. Da die Syrer überhaupt Leute von sehr lebhaften Sinnen und warmer Einbildungskraft sind, so schien ich ihm zu diesem Werk ein auserwähltes Rüstzeug zu seyn: und damit meine Bearbeitung eines so guten Bodens desto schneller und reichlicher Früchte bringen möchte, hatte er mich durch Hegesias und andere seiner heimlichen Anhänger als einen Jünger aus der Schule des heiligen Johannes ankündigen lassen, der die Tradition der wahren Lehre unmittelbar aus der lautersten Quelle geschöpft habe, und sowohl dieses Vorzugs halber, als wegen der Heiligkeit seines Lebens und seines Eifers für die Ausbreitung des Reichs unsers Herren, als ein wahrhaft apostolischer Mann aufgenommen zu werden verdiene.

In der That hatte meine Schwärmerei um diese Zeit den höchsten Grad ihrer Hitze erreicht. Meine innige Liebe [21] für das Ideal der reinsten Menschheit, unter welchem ich mir die Person unsers ersten Meisters dachte, und mein Sinn für die Wahrheit seiner eben so erhabenen als einfachen Lebensweisheit hatte sich mit der schwärmerischen Gnosis und dem Glauben an die bevorstehende Theokratie des Kerinthus völlig amalgamirt; und meine von so viel brennbaren Materien entzündete und in stetem Feuer erhaltene Seele kochte und strudelte von einem so heißen Verlangen, ihre Gefühle und Ueberzeugungen mit ihrer ganzen Fülle von Glauben, Liebe und Hoffnung über alle, die derselben nur einigermaßen empfänglich wären, auszuströmen, daß Kerinthus schwerlich ein tauglicheres Subject zu Ausführung dessen, wozu er mich sendete, hätte finden können.

Ich machte meine erste Erscheinung in den Gemeinen, die unter der Aufsicht des Bischofs von Laodicea standen, und wurde allenthalben wie ein Engel, der geraden Weges vom Himmel käme, aufgenommen. Das Evangelium Johannis, wovon mir Kerinthus eine von ihm nach seinen Grundsätzen verfälschte Abschrift mitgegeben hatte, und die Auslegung, die ich – der selbst keine andre Abschrift kannte – den Brüdern in ihren Versammlungen über die darin enthaltenen Geheimnisse vortrug, wirkten außerordentlich. Mein Ansehen unter diesen guten Leuten, deren größter Theil sich eben so treuherzig von mir täuschen ließ als ich selbst getäuscht war, nahm von Tag zu Tage zu, und – kurz, meine Mission ging so gut von Statten, daß in weniger als zwei Jahren mehr als die Hälfte der Gemeinen in Syrien und Palästina unvermerkt in den feinen Netzen des Kerinthus gefangen [22] war, und sammt ihren Vorstehern unter die unsichtbare Leitung und Oberherrschaft eines Ordens kam, von dessen Existenz sie nicht die geringste Ahndung hatte.

Du stellst dir wohl von selbst vor, daß bei diesem Geschäfte von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten und Hindernisse zu bekämpfen waren, deren Beschreibung meine Erzählung ohne Noth verlängern würde. Dafür konnte ich aber auch sicher auf beständige Unterstützung der Unsichtbaren rechnen; und, was mir am meisten zu Statten kam, war der Umstand, daß die Bischöfe und andere Diener der Gemeinen, welche mir hätten hinderlich seyn können, durch ansehnliche Verbesserungen ihrer Einkünfte, die ihnen aus der Ordenscasse (vermuthlich auf Unkosten meines Erbgutes) zuflossen, klüglich gewonnen waren, sich wenigstens bloß leidend bei der Sache zu verhalten.

Mitten in dem Laufe meiner apostolischen Triumphe wurde ich ganz unvermuthet von einer unsichtbaren Hand aufgehalten, welche keinem der unsichtbaren Obern, von welchen ich abhing, zugehörte. Hättest du wohl gedacht, Lucian, daß der geheime Pfeil, der mich zu Antiochia traf, in Parium abgeschossen wurde.


Lucian.


In deiner Vaterstadt? – Ich begreife. Deine Verwandten und präsumtiven Erben hatten wohl keine Lust, ruhig zuzusehen, wie das ansehnliche Erbgut, worauf das Gesetz, falls dir etwas Menschliches begegnete, ihnen die nächste Anwartschaft [23] gab, in die Brüdercasse der Christianer, wie in einen Strudel der nichts wieder zurückgab, hineinstürzte?


Peregrin.


Du hast es errathen, Lucian! Meine Entfernung von Parium – welcher man, wiewohl sie nichts weniger als heimlich geschehen war, in der Folge den Anschein einer Entweichung zu geben suchte – hatte großes Aufsehen erregt, sobald man gewahr wurde, daß ich an kein Wiederkommen dachte, und sobald man ausgekundschaftet hatte, daß ich unter den Christianern lebe, und, wie es scheine, in sehr enge Verbindungen mit ihnen getreten sey. Einige Jahre lang hatten meine Verwandten sich vergebens Mühe gegeben, den Ort meines Aufenthalts, seit der Zeit da ich Nikomedien verließ, ausfindig zu machen; bis endlich der alte Menekrates von einem seiner Freunde, der einen Correspondenten zu Antiochia hatte, erfuhr, daß ich mich, in der Qualität eines Propheten und Mystagogen der Christianer, bald zu Laodicea, bald zu Antiochia oder Seleucia aufhielte, und in großem Ansehen bei dieser Secte stände. Meine Verwandten gingen nun mit einander zu Rathe, wie sie es anfangen wollten, um wenigstens das, was von der väterlichen Verlassenschaft noch zu Parium war, und das Landgut meines Großvaters aus den Klauen der Christianer zu retten. Das Resultat ihrer Berathschlagungen war endlich: durch Vermittlung des besagten Antiocheners mich dem kaiserlichen Statthalter als einen Christianer von der gefährlichsten Art anzuzeigen, dessen unruhige Schwärmerei die Aufmerksamkeit der Regierung um so mehr erregen müsse, weil er seinem [24] Eifer für die Ausbreitung dieser hassenswürdigen Secte bereits den größten Theil eines ansehnlichen Erbgutes aufgeopfert habe.

Du erinnerst dich, Lucian, daß die Strafgesetze gegen alle heimliche Zusammenkünfte überhaupt, und gegen die ausdrücklich verbotenen geheimen Versammlungen der Christianer insonderheit, unter der milden Regierung des Kaisers Hadrianus zwar nicht aufgehoben, aber doch unvermerkt eingeschlafen waren. Da sich die Christianer um diese Zeit ziemlich ruhig verhielten, so waren die Obrigkeiten überall unter der Hand angewiesen worden, sie auch hinwieder in Ruhe zu lassen, und, ohne daß man sie ganz aus den Augen verlöre, zu thun als ob man sie nicht gewahr würde; so lange nicht besondere Umstände oder eine förmliche Anklage es etwa nöthig machten, gegen diesen oder jenen nach der Strenge der Gesetze zu verfahren. Die eben so unvernünftige als unmenschliche Maxime, keine andere Religion neben sich dulden zu wollen, war (wie du weißt) den Priestern der alten gesetzmäßigen Religion so lange fremd geblieben, bis diese neue, welche geduldet seyn wollte ohne eine andere zu dulden, im Dunkeln und durch die Nachsicht der Obrigkeiten und der Priester unvermerkt so weit um sich griff, daß die letztern nothwendig aus ihrer allzu großen Sicherheit erwachen mußten. Es war seit geraumer Zeit zur Mode geworden, die Christianer und Epikuräer (weil beide darin, daß sie die alte Volksreligion für Aberglauben erklärten, gemeine Sache zu machen schienen) gewissermaßen mit einander zu vermengen; und da die Epikuräische Secte schon einige Jahrhunderte lang [25] bestanden hatte, ohne dem Interesse der Priesterschaft merklichen Abbruch zu thun (denn man hatte ja Beispiele, daß Priester selbst, ohne ihrem Amt oder ihrer Philosophie etwas dadurch zu vergeben, Epikuräer waren), so ging es ganz natürlich zu, daß man sich, gerade dieser Vermengung wegen, unvermerkt angewöhnte, die Christianer für eben so unschädlich anzusehen als jene. Gleichwohl war der Unterschied in diesem Punkte so groß, daß er auch den sorglosesten Priestern der alten Götter in die Augen springen mußte. Die Epikuräer glaubten zwar so wenig als die Christianer an die Pronöa (Vorsehung) des großen Jupiter, aber seine Gottheit machten sie ihm nicht streitig; sie spotteten über alle Arten von Aberglauben, aber die herrschende Religion respectirten sie als ein politisches Institut der Gesetzgeber. Indem sie also jenen verlachten, und diese unangetastet ließen, blieben sie (dem Geist ihrer Philosophie gemäß) in einer Gleichgültigkeit gegen beide, die keinen Eifer, ihre Secte auf Unkosten der Staats- und Priesterreligion auszubreiten, unter ihnen aufkommen ließ. Bei den Christianern hingegen fand das vollkommenste Gegentheil statt. Sie waren die erklärten Gegner nicht nur des Aberglaubens, sondern des gesetzmäßigen Dienstes der Götter selbst; und der Enthusiasmus, womit sie den Dienst ihres Einzigen, der keine andern neben sich duldete, und den Glauben an seinen Gesandten, welcher das Reich dieses Einzigen allgemein machen sollte, auszubreiten suchten, ließ mit Recht von ihnen erwarten, daß sie nicht eher ruhen würden, bis sie den alten Volksglauben und den darauf gegründeten Götterdienst, oder, in ihrer [26] Sprache zu reden, das Reich der Dämonen, gänzlich vertilgt haben würden.

Meine Verwandten zu Parium hatten, bei dem Anschlag den sie gegen mich faßten, sehr richtig darauf gerechnet, daß Vorstellungen dieser Art die Priesterschaft zu Antiochia in Feuer setzen und geneigt machen würden, ihre Angebung bei dem Statthalter von Syrien durch eine förmliche Klage zu unterstützen; und, um dieser den gehörigen Nachdruck zu geben, hatte man solche Maßregeln genommen, daß ich in einer nächtlichen Versammlung der Brüder, mitten in der Begehung unsrer heiligsten Mysterien ergriffen wurde. Man begnügte sich, die übrigen, mit der ernstlichen Verwarnung, sich nie wieder in einer solchen gesetzwidrigen Zusammenkunft betreten zu lassen, nach Hause zu schicken: ich hingegen, als Vorsteher und Mystagog dieser verbotenen nächtlichen Zusammenkünfte, wurde vor den Richter der ersten Instanz gebracht, und sobald ich die Frage, ob ich ein Christianer sey? mit aller Entschlossenheit eines Märtyrers bejahet hatte, dem Trajanischen Edict zufolge in ein öffentliches Gefängniß abgeführt.

Diese Begebenheit machte anfangs um so mehr Aufsehen zu Antiochia, weil sich seit mehrern Jahren nichts Aehnliches in dieser großen, reichen und unendlich üppigen Hauptstadt zugetragen hatte. Man sprach ein paar Tage von nichts anderm; dafür wurde aber auch, sobald sie aufhörte etwas Neues zu seyn, gar nicht mehr daran gedacht. Die Christianer hingegen, und besonders die mit Kerinthus verbündeten Gemeinen, geriethen dadurch in außerordentliche Bewegung: [27] und, wiewohl man bald merken konnte, daß alles bloß auf meine Person gemünzt sey, und die Brüder überhaupt wenig oder nichts deßhalben zu befürchten hätten; so zeigten sie doch so viel Unruhe, nahmen so warmen Antheil an meinem Schicksal, und machten im Verborgenen so vielerlei Anschläge und zum Theil so viel wirkliche Schritte zu meiner Befreiung, daß eben diese ihre unruhige Geschäftigkeit wahrscheinlich nicht wenig dazu beitrug, meine Gefangenschaft über ein ganzes Jahr hinaus zu ziehen. Kerinthus und Hegesias waren zwar viel zu klug, um in dieser Sache unmittelbar zu erscheinen; aber ich bin ihnen die Gerechtigkeit schuldig, zu gestehen, daß sie sich durch die dritte Hand mit vielem Eifer für mich verwendeten, und große Sorge trugen, daß es mir, so lang' ich im Gefängniß war, an keiner Bequemlichkeit, die um Geld zu erhalten war, fehlen möchte. Ueberhaupt, Lucian, ist dein Ungenannter zu Elis in seiner ganzen Erzählung der Wahrheit nirgends so getreu geblieben als da, wo die Rede von meiner Gefangenschaft ist. Alle Umstände, die er anführt, sind buchstäblich wahr; den einzigen ausgenommen, daß ich durch die Freigebigkeit der Brüder nicht so reich ward als er vorgibt. Denn, wiewohl sie in solchen Fällen nichts zu sparen pflegten, den Zustand ihrer Märtyrer (wie sie einen jeden aus ihrem Mittel nannten, der deßwegen, weil er sich zum Christenthum bekannte, etwas leiden mußte) zu erleichtern, und, wo möglich, ihre Befreiung zu bewirken, so waren sie doch viel zu gute Oekonomen, um etwas Ueberflüssiges und Zweckloses zu thun. Man ließ keinen Bruder Noth leiden; aber ihn durch ihre Freigebigkeit reich zu machen, wäre gänzlich [28] gegen den Geist des Ordens gewesen, bei welchem die einzelnen Glieder nur in so weit in Betrachtung kamen, als der Vortheil des Ganzen es erforderte.

Was mich betrifft, so hatte die Einkerkerung, durch den Gedanken, für welche Sache ich litt, und durch alles das Heroische und Glorreiche, das in meiner Einbildung mit dem Namen eines Bekenners und Dulders verbunden war, zumal in den ersten Tagen und Wochen, etwas so Herzerhöhendes für mich, daß ich mich vielleicht in meinem ganzen Leben nie freier fühlte als damals –


Lucian.


Zum klaren Beweise, daß die Stoiker ihrem Weisen zu viel schmeicheln, wenn sie behaupten, er allein habe das Vorrecht, selbst in Ketten und Banden frei zu seyn. Der Schwärmer, der doch, um nichts Härteres zu sagen, gerade das Gegentheil des Weisen ist, kann diesem auch hierin den Vorzug sogar noch streitig machen. – Uebrigens, Freund Peregrin, würdest du mich verbinden, wenn du, diesem edeln Freiheitsgefühl unbeschadet, deinen Ausgang aus dem Kerker so viel möglich beschleunigen wolltest.


Peregrin.


Sehr gern. Denn, wiewohl diese Epoche meines Lebens die letzte war, wo mir die hohe Stimmung meiner Einbildungskraft eine Art von Glückseligkeit verschaffte, deren Verlust ich in der Folge oft genug zu bedauern Ursache hatte: so muß ich doch gestehen, daß die allzu große Einförmigkeit dieses fantastischen Glücks nach Verfluß einiger Monate seinen Zauber merklich schwächte, und mich das Unangenehme der Einkerkerung [29] und der Ungewißheit meines Schicksals zuweilen sehr lebhaft fühlen ließ.

Auch der Mangel an Umgang mit Menschen, die, anstatt bloß an mir zu saugen, auch mir, wie Hegesias und Kerinthus, etwas zu geben fähig gewesen wären, trug nicht wenig dazu bei, das Unbehagliche meines Zustandes zu vermehren. Zwar ermangelten die andächtigen Schwestern und gutherzigen alten Mütterchen, welche meiner pflegten, nicht, durch Bestechung des Kerkermeisters von Zeit zu Zeit kleine Versammlungen von Glaubigen, die das Wort von mir zu hören Verlangen trugen, und bei dieser Gelegenheit sehr reichliche Liebesmahle in meinem Gefängnisse zu veranstalten, auch überhaupt ihr Möglichstes zu thun, mir ihre herzliche und eben dadurch oft sehr beschwerliche christliche Liebe mit Worten und Werken zu beweisen: aber –


Lucian (lachend).


Armer Peregrin! – Kein Aber, wenn ich bitten darf – nur immer zu!

Peregrin.


Genug, es kam endlich so weit mit mir, daß in gewissen Stunden – zumal wenn ich (wie öfters geschah) auf meinem nicht allzu weichen Lager den Schlaf nicht finden konnte – Erinnerungen und Bilder aus der zauberischen Villa Mamilia in mir erwachten –


Lucian.


Und du wunderst dich noch darüber?

Peregrin.


Wenigstens geschah es sehr wider meinen Willen, das [30] kannst du mir glauben! und ich kämpfte oft bis aufs Blut, um dieser Anfechtungen (wie sie in unsrer Sprache hießen), als Eingebungen böser Dämonen, los zu werden. Ich sage bis aufs Blut, im wörtlichen Verstande; denn ich geißelte mich zuweilen, wenn mir Satan zu mächtig werden wollte, so unbarmherzig, daß mein Rücken des folgenden Tages meinen mitleidigen Wärterinnen nicht wenig zu schaffen machte.


Lucian.


Und was war der Erfolg dieser listigen Art dem Feind in den Rücken zu fallen?

Peregrin.


Ich kann nicht läugnen, daß ich übel dadurch ärger machte.

Lucian.


Das hätte ich dir vorhersagen wollen, mein guter Peregrin. Diesen Dämon mit Fasten und Beten zu bekämpfen, das lass' ich allenfalls gelten: aber Ruthen und Geißeln sind immer für ein besseres Mittel gehalten worden, ihn vielmehr aufzureizen als zu dämpfen.


Peregrin.


Der Hauptfehler war wohl, daß ich (nach den Grundsätzen der Kerinthischen Philosophie) gleich anfangs solchen sehr natürlichen Anfechtungen die Wichtigkeit gab, sie in meinem Wahne zu übernatürlichen zu erheben. Eben daß ich sie für Anfälle böser Geister hielt, und mich mit so großen Bewegungen und Anstalten gegen sie zur Wehre setzte, mußte die Sache immer ernsthafter und schwieriger machen. – Doch, [31] es ist hohe Zeit, auf die Begebenheit zu kommen, die das Ende aller dieser Ausschweifungen und meine gänzliche Trennung von den Christianern herbeiführte.


Lucian.


Ich bin lauter Ohr.
Siebenter Abschnitt
[32] Siebenter Abschnitt.

Peregrin.


Eines Abends, da die lange Dauer meiner Gefangenschaft und die Lauigkeit, womit meine Freunde an meiner Befreiung zu arbeiten schienen, meiner Geduld härter als gewöhnlich zusetzten, öffnete sich die Thür meines Gefängnisses, und eine verschleierte Frau, mit einem Korb auf dem Kopfe und einer Lampe in der Hand, trat herein, und grüßte mich (indem sie die Lampe auf einen kleinen Tisch und den Korb auf den Boden setzte) mit dem wohl bekannten Friedenswunsche der Christianer. Ihr Anzug war die gewöhnliche Kleidung der Diakonissen, das ist, der ältlichen Wittwen, die sich dem Dienste der Brüdergemeinen widmeten; ein dunkelbrauner Habit von der gemeinsten Wolle, mit einem ledernen Gürtel zusammengehalten: aber in ihrer Gestalt war etwas, das mit diesem Anzuge kontrastierte, und, in eben dem Augenblick, da es mich befremdete, eine schlafende Erinnerung zu erwecken schien. Ich war betroffen, und das Herz schlug mir vor Erwartung, was aus dieser Erscheinung werden sollte, ohne daß ich ein Wort hervorbringen konnte. Auch die unbekannte Schwester schien keine Eile zu haben, die Unterredung anzufangen. Das erste, was [33] sie that, war, daß sie in großer Gelassenheit ihren Korb aufdeckte, ein kleines Rauchfaß voll glühender Kohlen herausnahm, etwas Räuchwerk darauf warf, und das ziemlich dumpfe Gewölbe mit einem Wohlgeruch erfüllte, der es auf einmal (wenigstens für Einen Sinn) in ein Zimmer eines Feenpalasts verwandelte.

Dieß erweckte neue Rückerinnerungen: mein Erstaunen nahm zu; ich erwartete mit Ungeduld, was auf diese magische Vorbereitung folgen würde. – »Und dein Herz sagt dir noch immer nichts, mein Bruder Peregrin?« sprach sie endlich mit einer Stimme, die mich zu oft in Entzücken gesetzt hatte, um mich länger im Zweifel zu lassen; und mit dem letzten Worte schlug sie ihren Schleier zurück und öffnete ihre Arme.

Was seh' ich? Dioklea? rief ich außer mir, indem ich in ihre Arme sank; ist's möglich? Dioklea hier? Dioklea eine Christianerin?

»Und warum nicht? versetzte sie lächelnd. Ich habe so vielerlei Rollen gespielt, warum nicht auch diese? die einzige, die es vielleicht der Mühe werth war noch zu lernen?«

Eine Rolle nennst du es? rief ich mit Bestürzung.

»Stoße dich nicht an dieses Wort, lieber Peregrin; es ist nicht so übel gemeint als du es aufnimmst. Es gehört, wie du weißt, Zeit dazu, eine lange gewohnte Sprache zu verlernen und sich eine ganz neue anzugewöhnen. Ich wollte nichts damit sagen, als worin wir unfehlbar beide einverstanden sind, daß wir nichts Weiseres und Besseres thun konnten, als das, was wir ehemals waren, mit dem, was wir nun sind, zu vertauschen.«

Ganz gewiß, Dioklea, hast du das beste Loos erwählt! [34] Aber, o sage, wie und wann und wo warest du so glücklich, dich von der schändlichen Mamilia loszureißen? Wer war das gebenedeite Werkzeug deiner Erleuchtung?

»Kerinthus.«

Ist's möglich? Kerinthus? rief ich mit Entzückung aus; Kerinthus, der mich auf eine so wunderbare Weise gerettet hat, Kerinthus hat auch dich aus den Klauen der Dämonen gerissen, und der unermeßlichen Seligkeiten des Reichs der Himmel theilhaftig gemacht?

»Ich habe dir noch weit wundervollere Dinge zu entdecken, mein lieber Proteus; aber vor allen Dingen lass' dich bitten, diese seltsame Sprache, die dir, wie ich höre, so geläufig geworden ist als ob du nie eine andere gesprochen hättest, mit einer natürlichern zu vertauschen.«


Lucian.


Darum hätte ich dich selbst bitten wollen.

Peregrin.


»Fast sellte ich denken (fuhr sie fort), du wärest noch nicht über die Schwelle des innern Heiligthums unsers Ordens gekommen: oder glaubst du etwa, daß dieß bei mir der Fall sey, mein Bruder? so irrest du dich sehr. Ich bin von den Jüngern hinter dem Vorhang, 8 lieber Peregrin; ich bin – was du gewiß nicht vermuthest, nie errathen würdest, ich bin –«

Und was denn? rief ich –

»Die Schwester, die leibliche Schwester des Kerinthus,« sagte sie mit einem lächelnden Blick, und einem Tone, der über mein Erstaunen zu triumphiren schien.

[35] Sprichst du im Ernste? Du? Du, Anagallis-Dioklea, die Schwester des Kerinthus? –

»In vollem Ernste, lichtstrahlender Peregrinus Proteus, erwiederte sie indem sie meine Hand ergriff; hier hast du meine Hand darauf, die leibliche Schwester des großen Propheten Kerinthus, wiewohl nicht länger Anagallis noch Dioklea, sondern Theodosia.«

Bisher, lieber Lucian, hatte ich, ungeachtet des Eindrucks der Gegenwart dieser Zaubrerin, und des magischen Nimbus von tausend süßen, Herz und Sinne schmelzenden Erinnerungen, in welchem sie vor meinen Augen stand, noch immer ausgehalten: aber gegen diese Entdeckung, und gegen den leisen Druck ihrer Hand in dem nämlichen Augenblicke – hielt ich nicht länger aus. Es war als ob ich plötzlich aufhörte der vorige Mensch zu seyn. – Ich warf mich, oder taumelte vielmehr, unwissend wer ich war und was ich that, zu ihren Füßen, umfaßte ihre Knie, drückte mich mit der Entzückung eines Rasenden an sie an, stieß sie einen Augenblick darauf wieder von mir, sprang auf, schlug mich mit der Faust vor die Stirne, sank mit dem Kopf aufs Lager hin, sprang wieder auf, stürzte auf Diokleens Schulter, und brach glücklicherweise in einen Strom von Thränen aus, der mir die Sprache wieder gab, und wahrscheinlich meine Vernunft rettete. O so war auch dieß alles Täuschung! rief ich endlich aus, indem ich mein Gesicht an ihren leicht verschleierten Busen drückte. – Aber du bleibst mir! Anagallis oder Dioklea, oder unter welchem Namen du dich mir darstellst, unter jedem Namen, [36] unter jeder Verkleidung bist du – du selbst! Nicht wahr, Dioklea, du täuschest mich nicht?

Sie umarmte mich statt der Antwort mit der ruhigen Zärtlichkeit einer Schwester, indem sie mich bat, mich zu fassen und diese stürmischen Bewegungen zu mäßigen. »Ich habe dir noch unendlich viel zu sagen, setzte sie hinzu; aber du mußt erst ruhiger werden. Setze dich, lieber Peregrin. – Ich bringe in diesem Korb Erfrischungen mit, die deine Lebensgeister besänftigen werden; und ich hoffe, schon meine Gegenwart soll wie Homers Nepenthe auf dich wirken, und dich aller unangenehmen Dinge vergessen machen. Ich habe dafür gesorgt, daß uns niemand stören wird. Die Nacht ist unser. Sogar die frommen Bettler und die Schaar von alten Weibern, die sonst immer vor der Thür lagen und Wache bei dir hielten, sind durch einen Polizeibefehl entfernt. Dioklea denkt an alles, wie du weißt.« – Unter diesen Reden schickte sie sich an, ihren Korb auszupacken, und, um desto rüstiger zu seyn, legte sie den Wittwenschleier, den braunen Ueberrock und den ledernen Gürtel ab, und stand in einer faltenvollen schneeweißen Tunica, die von einem Gürtel von künstlichen Rosen zusammengehalten wurde, mit halb aufgebundnen, halb wallenden Haaren, nymphenähnlicher und reizender, däuchte mich, als jemals, vor mir da.


Lucian.


Armer – oder vielmehr nicht armer, reicher, an süßen Täuschungen reicher Peregrin! Und du hättest gewollt, daß dich Dioklea nicht täuschen sollte?


[37] Peregrin.


Ach! was mich täuschte, war immer in mir selbst! Ich wage es kaum – denn in der That, entweder du bist so gefällig und erlässest mir ein Geständniß, wofür ich wirklich keine Worte zu finden weiß – oder was ich dir gestehen muß, die Wirkung, welche Dioklea (du weißt was für Reitze, was für Erinnerungen dieser Name umfaßt), Dioklea, in diesem Anzug, in einem so gefährlichen Augenblicke, beim magischen Schein einer einzigen Lampe, nach einer so langen Trennung, nach einem so enthaltsamen Leben als ich seit sieben Jahren geführt hatte, in diesem Aufruhr aller meiner äußern und innern Sinne – auf mich machte – Nein, Lucian, fordre es nicht! – es wirft mich zu sehr vor dir zu Boden! Du würdest nicht begreifen können, wie dieses Weib, – die das war was ich wußte, – die, wiewohl noch immer voller Reize, doch gewiß in einer ruhigern Gemüthsstimmung und bei hellem Tageslichte wenig Eindruck auf meine Sinne gemacht hätte, in diesem Augenblicke den Mann, den ich dir bisher geschildert habe, aus einem Enthusiasten von der höchsten Classe, aus einem halben Engel – in einen wüthenden – ich kann das Wort nicht aussprechen – in einen –


Lucian.


So lass' es mich sagen – in einen Satyr verwandeln konnte. – Freund Peregrin, das begreife ich so gut, daß ich noch keine von allen deinen Begebenheiten besser begriffen habe; so gut, daß dieß Geständniß in meinen Augen allen deinen übrigen das Siegel der Wahrheit aufdruckt, und daß ich, hätte Dioklea in jenem nämlichen Augenblick, unter solchen [38] Umständen, unmittelbar nach einer so heftigen Revolution in deinem ganzen Seyn und Wesen, auf einen Menschen wie du, diese Wirkung nicht gethan, entweder geglaubt hätte, du verschweigest mir etwas, oder gezwungen gewesen wäre, in deine ganze bisherige Erzählung ein Mißtrauen zu setzen. – Gib dich also zufrieden, daß du, mit allen deinen Visionen und trotz der hohen Gnosis des Kerinthus, doch nur ein Mensch, das ist, ein Ding warst, das unter gewissen Umständen und Bedingungen ein halber Engel, unter andern ein ganzer Satyr seyn kann, – und sage mir, wie benahm sich die schöne Theodosia in diesem Sturme?


Peregrin.


Ich bin ihr die Gerechtigkeit schuldig, zu sagen, daß sie das Mögliche und das Unmögliche versuchte, um dem wüthenden Nympholepten zu entgehen; aber ihre Kräfte reichten nicht so weit. Ueberdieß war die Thür von außen verriegelt, und noch lauter zu schreien als sie wirklich schrie, – uns beide dadurch zum Stadtmährchen von Antiochia zu machen, und auf die unschuldigen Christianer eine Nachrede zu bringen, welche gewiß von ihren Feinden sehr grausam gemißbraucht worden wäre, dazu war sie zu verständig und zu edel denkend. – Aber lass' mich kein Wort weiter von dieser widerlichen Scene sagen; denn du, der alles so gut begreift, begreifst auch dieß, daß Dioklea –


Lucian.


O gewiß begreife und billige ich sogar, – unter allen vorwaltenden Umständen, versteht sich – daß sie dir vergab; dir, da du (wie ich mir leicht vorstellen kann) im Staube vor ihr [39] lagst, und, von Scham und Reue beinahe vernichtet, um Gnade flehtest, eben so aufrichtig vergab, als sie gethan haben würde, wenn du sie durch eine unfreiwillige Bewegung mit einem Messer verwundet hättest. – Nichts davon zu sagen, daß eine Dame von Diokleens Stand, Alter und Charakter sich im Grunde durch einen so außerordentlichen Beweis der Gewalt ihrer Anziehungskraft weniger beleidigt als geschmeichelt finden mußte.


Peregrin.


Dieß, Lucian, war wohl nicht der Fall mit Diokleen. Was geschehen war, verrückte ihren ganzen Plan, und konnte ihr also unmöglich anders als äußerst unangenehm seyn. Und in der That, wenn ich bedenke, daß dieser Sturm, wie du es zu nennen die Güte hattest, vielleicht das einzige war, was mich von den Verführungen dieser schlauen Creatur retten, und in die ruhige Fassung setzen konnte, ohne welche es mir, aller Wahrscheinlichkeit nach, unmöglich gewesen wäre ihren Anschlag auf mich zu vereiteln: so bin ich beinahe versucht, jenen wilden Ausbruch, der so ganz und gar nicht in meinem natürlichen Charakter war, eher für das Werk meines guten Genius zu halten, oder wenigstens in die Zahl der unerklärbaren Zufälle zu setzen, durch welche wir, indem wir bloß als blinde Werkzeuge einer mechanisch auf uns wirkenden Ursache handeln, von irgend einem großen Uebel befreiet oder irgend eines großen Gutes theilhaftig werden; Zufälle, wovon jeder Mensch, vielleicht ohne Ausnahme, auffallende Beispiele aus seiner eigenen Erfahrung anzuführen hat. Der Verfolg meiner [40] Erzählung wird dich, denke ich, überzeugen, daß ich Grund habe diese Bemerkung zu machen.


Lucian.


Etwas, wovon ich sehr stark überzeugt bin, ist: daß die gute Mutter Natur, die ihre Kinder nicht leicht im Stiche läßt, sehr mütterlich dafür gesorgt hat, daß wir, um den Glauben an uns selbst (dieß so unentbehrliche Triebrad in unserm Wesen) durch keine unsrer Vergehungen oder Thorheiten gänzlich zu verlieren, für jede Anklage in unserm eigenen Busen eine Entschuldigung finden, welche unvermerkt die Gestalt einer Rechtfertigung gewinnt, und wenigstens uns selbst beruhigt, wenn sie auch nicht immer vor einem ganz unparteiischen Richter bestehen könnte. – Aber weiter, Peregrin!


Peregrin.


Als ich endlich, wiewohl nicht ohne große Mühe, meine so gröblich beleidigte Freundin wieder besänftiget sah, und einige Becher von einem Weine, der die Bacchanalien der Villa Mamilia in unsre Erinnerung zurückrief, das gute Verständniß zwischen uns wieder hergestellt hatten, bat ich sie, mir zu erklären, durch was für ein Wunder die Tochter des Apollonius, die weltberühmte Tänzerin Anagallis, die Vertraute der üppigsten aller Römerinnen, mit Einem Worte, die schöne Dioklea, aus einer sehr irdischen Priesterin der himmlischen Venus in eine Schwester des erhabnen Kerinthus und in eine Christianerin umgestaltet worden sey.

Ich bin, versetzte sie, mit der Entschließung hierher gekommen, dich über alle diese Dinge ins Klare zu setzen; und [41] wiewohl ich wenig Ursache habe, viel Vertrauen in deine Weisheit zu setzen, so will ich es doch auf die Gefahr noch einmal von meinem Herzen betrogen zu werden, mit dir wagen, und deiner Freundschaft für mich, an welcher ich nie gezweifelt habe, das Geheimniß meiner Seele anvertrauen. Alles müßte mich betrügen (setzte sie hinzu), oder das Schicksal hat uns nach einer so langen Trennung wie der zusammengebracht, um an einem großen Plane mit einander zu arbeiten, und, wie oft uns auch die Umstände noch ferner trennen möchten, dem Geist und Herzen nach immer aufs engeste vereiniget zu bleiben. – Nach dieser Vorrede forderte sie, als die einzige und absolute Bedingung, ohne welche alle Gemeinschaft zwischen uns sogleich unwiderruflich aufgehoben werden müßte, daß ich ihr feierlichst angeloben sollte, von diesem Augenblick an zu vergessen, daß sie jemals Dioklea und Anagallis für mich gewesen sey, nichts andres mehr in ihr zu sehen, als meine neu gefundene Schwester Theodosia, und mit dem heiligen Namen eines Bruders auch die Gesinnungen und das Betragen eines Bruders gegen sie anzunehmen. Es war natürlich, daß ich mich auf alle Fälle gegen einen solchen Antrag sträubte; aber, da sie mit großem Ernst darauf bestand, blieb mir nichts andres übrig als zu gehorchen, und es lediglich auf die Bescheidenheit meines Betragens und ihre eigene Großmuth ankommen zu lassen, ob und unter welchen Umständen sie für gut finden würde, von der strengen Buße, welcher ich mich unterwarf, etwas nachzulassen.

Nachdem dieser vorläufige Punkt berichtiget war, fing sie an, mir das Wesentlichste von der geheimen Geschichte ihres [42] Bruders und ihrer eignen mitzutheilen. Kerinthus war einige Jahre älter als sie; sie stammten von jüdischen Eltern ab, die ihnen aber noch in ihrer Kindheit entrissen wurden. Noth und Dürftigkeit brachten ihren Bruder dahin, sich selbst und seine kleine Schwester auf eine gewisse Zeit an eine Bande herumziehender Tänzer und Luftspringer zu verhandeln. Etliche Jahre darauf fiel die kleine Dorkas, wie sie sich damals nannte, in die Hände eines gewissen Hermias, eines Weisen von dem Aristippischen Orden, der zu Athen privatisirte, und sich, aus nicht ganz uneigennützigen Absichten, ein Geschäft daraus machte, die Anlagen, die er in ihr entdeckte, theils selbst, theils durch die besten Meister die er finden konnte, auszubilden. Sie sprach von diesem ihrem zweiten Vater mit der Wärme und Zärtlichkeit einer Tochter, die ihm alles was sie war zu danken hätte. Aber auch er wurde ihr nach einigen Jahren durch den Tod geraubt; und weil das kleine Vermächtniß, das er ihr hinterlassen konnte, ziemlich bald aufgezehrt war, so befand sie sich nun in dem Falle, von den Talenten zu leben, welche sie zu Athen erworben hatte; und in der That erfüllte sie, indem sie zu Smyrna, Ephesus, Antiochia, und in andern Hauptstädten der östlichen Provinzen des Reichs, unter dem Namen Anagallis als mimische Tänzerin auftrat, wirklich die Absicht, zu welcher Hermias (der sie auf keinem andern Wege glücklicher machen zu können glaubte) sie mit so vielem Aufwand erzogen hatte.

Inzwischen hatte das Schicksal auch mit ihrem Bruder auf mancherlei Art gespielt. Er war ehemals zugleich mit ihr nach Athen gekommen, und Hermias hatte, aus Liebe zu [43] ihr, ein paar Jahre für seinen Unterhalt gesorgt, und ihm Gelegenheit verschafft, in den Schulen der Rhetorn und Philosophen die erste Bildung eines Geistes zu erhalten, der schon damals nichts Gemeines zu versprechen schien. Nach Verfluß dieser Zeit fand Hermias Gelegenheit, den jungen Menschen an einen seiner Freunde zu Korinth zu empfehlen, der ihn zu Handlungsgeschäften gebrauchte, und in dessen Gesellschaft er verschiedene Reisen machte, auf einer derselben aber, durch die Unruhe seines immer ohne bestimmten Zweck emporstrebenden Geistes, von ihm getrennt, und zuletzt nach Alexandrien verschlagen wurde, wo er einige Zeit in Gemeinschaft mit den Juden lebte, sich in der Religion seiner Väter unterweisen ließ, und mit verschiedenen übel berechneten Entwürfen, seinem unglücklichen Volke aufzuhelfen, umging, deren Vereitlung ihn von Alexandrien wieder weg, und von einem Abenteuer zum andern trieb. Er hatte sich in Aegypten mit der Hermetischen Philosophie bekannt gemacht, und wanderte nun durch Chaldäa und Medien bis nach der heiligen Stadt Balk, an die Ufer des Oxus, um sich in den Mysterien der Chaldäer und der Zoroastrischen 9 Schule einweihen zu lassen.

Während der ganzen Zeit, da Kerinthus von seinem rastlosen und mit Entwürfen schwangern Geiste in den Morgenländern herumgetrieben wurde, zeigte sich seine Schwester nach und nach in allen Provinzen der Römischen Herrschaft als die erste Tanzkünstlerin ihrer Zeit, und bezauberte sowohl auf den öffentlichen Schauplätzen, als in den Privathäusern, wohin er eingeladen wurde, alle Augen und Herzen. Seitdem sie sich dieser Lebensart ergeben hatte, waren mehr als zehn [44] Jahre verflossen, in welchen sie ihren Bruder unvermerkt völlig aus dem Gesichte verloren hatte: als sie unverhofft eine Einladung von ihm erhielt, sich mit ihm zu einer Unternehmung zu verbinden, von welcher er sich und ihr große Vortheile versprach. Er hatte sich nämlich zum Haupt einer Brüderschaft aufgeworfen, welche in den nördlichen Provinzen von Kleinasien von Ort zu Ort herumziehen wollte, um die Liebhaber fanatischer Religionsübungen in den Mysterien der Isis einzuweihen, und dieses Institut zugleich mit einem Orakel und andern Chaldäischen und magischen Operationen zu verbinden, welche unter den rohen Völkern in Paphlagonien, Galatien, und im Pontus große Ausbeute hoffen ließen. Kerinthus hatte dazu einer Priesterin vonnöthen, auf deren Geist und Geschmeidigkeit er sich in allen Fällen verlassen könnte; und der öffentliche Ruf hatte ihm über diesen Punkt einen so vortheilhaften Begriff von seiner Schwester gemacht, daß er sich des glücklichsten Erfolgs seiner Unternehmung gewiß hielt, sobald sie an der Ausführung Antheil nehmen würde. Da die schöne Anagallis um diese Zeit des Theaters ziemlich überdrüssig war, so ging sie um so williger in die Vorschläge ihres Bruders ein, als sie sich von dieser neuen Lebensart tausend Gelegenheiten versprach, ihren erfinderischen Kopf auf eine angenehme Art zu beschäftigen, und weil überdieß, seitdem sie aufgehört hatte den Augen des Publicums in den Hauptstädten etwas Neues zu seyn, die Quellen zu Bestreitung ihres großen Aufwandes immer unergiebiger wurden. Sie begab sich also zu ihrem Bruder, der sie zu Smyrna erwartete; ließ sich von ihm in der Rolle,[45] welche sie in seinem geheimen Isisorden spielen sollte, unterrichten; durchwanderte hierauf mit ihm und seiner Gesellschaft einen großen Theil des kleinern Asiens, und rechtfertigte durch ihre Talente für diesen neuen Zweig der Schauspielkunst und Mimik die Meinung vollkommen, welche Kerinthus von ihr gefaßt hatte. Allein diese wandernde Lebensart war, bei allen ihren Annehmlichkeiten, auch großen Beschwerden und Gefahren ausgesetzt; nicht alle Abenteuer fielen glücklich aus, und Anagallis, oder Parisatis (wie sie sich jetzt nennen ließ) ging schon einige Zeit mit ihrem Bruder zu Rathe, wie sie ihre Fähigkeiten auf eine edlere und seines hoch strebenden Geistes würdigere Art beschäftigen könnten: als ein glücklicher Zufall sie mit der schönen und reichen Römerin Mamilia Quintilla bekannt machte, und die beiden Damen eine so große Zuneigung für einander faßten, daß sie von nun an beschlossen, sich nie wieder zu trennen. Kerinthus war eben abwesend, als sich dieses zutrug; sie benachrichtigte ihn schriftlich davon, und er ließ sich um so eher gefallen seine Schwester in so guten Händen zu lassen, da er selbst im Begriff war, neue Verbindungen einzugehen, und bereits über dem großen Entwurfe brütete, mit dessen Ausführung wir ihn beschäftigt gesehen haben; jedoch mußte sie ihm versprechen, daß sie so viel möglich einen ununterbrochnen Briefwechsel mit ihm unterhalten und immer bereit seyn wollte, ihm, bei jeder Aufforderung, zu seinem Vorhaben (woraus er ihr damals noch ein Geheimniß machte) beförderlich zu seyn.


Lucian.


Ah! nun klärt sich auf einmal alles auf, was dich bei [46] deiner ersten Zusammenkunft mit Kerinthus beinahe nöthigen mußte, ihn für ein übermenschliches Wesen, oder wenigstens für einen Wundermann vom ersten Range anzusehen.


Peregrin.


Mich hatte dieser fatale Lichtstrahl in dem Augenblicke durchblitzt, da ich aus Diokleens Munde hörte, daß sie die Schwester des Kerinthus sey; und daher diese heftige Revolution, die auf einmal mein ganzes Wesen erschütterte. Es brauchte für mich nichts mehr, als mir zwei solche Personen wie Kerinthus und Anagallis in einem solchen Verhältnisse zu denken, um alles Uebrige dunkel voraus zu sehen, und mich verrathen und betrogen zu glauben. Indessen wollte ich doch aus ihrem eignen Munde hören, wie es damit zugegangen; und sie ermangelte nicht, mir von freien Stücken alles Licht zu geben, das ich wünschen konnte.

Ich habe wohl nicht nöthig (fuhr sie mit dem halb ironischen Lächeln, das in ihrem Gesicht einen so eigenen Zauber hatte, fort), mich über meine Begebenheiten, so lange ich in Verbindung mit Quintillen war, weitläufig auszubreiten, da du selbst eine Hauptrolle dabei gespielt, und schon damals, als wir in der Villa Mamilia beisammen lebten, den Schlüssel zu der ganzen Maschinerei, durch welche man dir so beneidenswürdige Täuschungen verschaffte, von mir bekommen hast. Ich eile also zu einem Umstande, der sich bald nach deiner Entfernung von uns zutrug, und dir einen neuen Schlüssel zu dem wunderbaren Abenteuer, das dir zu Smyrna aufstieß, geben wird.

Und nun erzählte sie mir: ihr Bruder hätte ihr seit[47] ihrer zweiten Trennung so viel Nachricht von sich gegeben, daß sie daraus ersehen können, er habe endlich einen Wirkungskreis gefunden, worin er seine Fähigkeiten zu einem sehr großen und ehrenvollen Zweck anwende, und sich einen gewissermaßen unsichtbaren, aber nur desto wichtigern Einfluß verschaffe, dessen Gränzen nicht abzusehen wären. Er meldete ihr von Zeit zu Zeit, daß sein Geschäfte, trotz der vielen Schwierigkeiten die er zu bekämpfen habe, den glücklichsten Fortgang gewinne, sagte aber nie warum es eigentlich zu thun sey, und drückte sich über alles in einer so geheimnißvollen Sprache aus, daß ihre Neugier dadurch um so stärker gereizt werden mußte, da er noch immer auf ihre künftige Mitwirkung Rechnung zu machen schien. Wenige Tage nach meiner Entweichung erschien er selbst zu Halikarnaß, und lud seine Schwester zu einer geheimen Zusammenkunft ein, worin er sich über die Natur seiner neuen Verbindungen, über seine Plane, und über die Mittel, wodurch er sich, so zu sagen, zum König eines unsichtbaren Reichs zu machen hoffte, ausführlich gegen sie heraus ließ. »Seine Reisen durch den größten Theil des Reichs hätten ihm mancherlei Gelegenheiten verschafft die Christianer genauer kennen zu lernen, und sich von ihrem Institut, oder vielmehr von dem, was es unter den Händen eines fähigen und unternehmenden Mannes werden könne, ganz andere Begriffe zu machen als man gewöhnlich davon habe. Er hätte gefunden, was sich vielleicht noch keiner aus ihrem Mittel deutlich gedacht haben möchte, – daß es ganz dazu gemacht sey die größte Revolution in der Welt zu bewirken, und daß dazu, nächst der Zeit, die[48] alles zur Reife bringen muß, nichts weiter erfordert werde, als vermittelst eines geheimen Ordens wo nicht alle, wenigstens den größern Theil der Brüdergemeinen, in ein wohl organisiertes Ganzes zu verbinden, und unter die unsichtbare Leitung eines Einzigen zu bringen, der durch seinen Geist, seine Talente, seinen Muth und eine unermüdliche Thätigkeit und Beharrlichkeit, einem so viel umfassenden Amte gewachsen sey.« – Du kennest meinen Bruder, fuhr sie fort, und so brauche ich dir nicht zu sagen, wer dieser Einzige war, den er zur Ausführung seines Plans bestimmte, und ob er von dem Augenblick an, da dieser große Gedanke in seinem erfindungsreichen Geiste aufblitzte, mit etwas anderm beschäftigt war, als mit den Mitteln, wodurch er ihn in Wirklichkeit setzen könnte. Er wurde ein Christianer, und that sich durch die Behendigkeit, womit er den Geist ihres Instituts erfaßte, durch die Beredsamkeit und das Feuer seines Vortrags in ihren Versammlungen, durch den neuen Schwung, den er ihren Lieblingsideen zu geben wußte, und durch den brennenden, aber immer von Klugheit geleiteten Eifer, womit er sich für einzelne Gemeinen sowohl als für die allgemeine Sache verwendete, in kurzer Zeit so sehr hervor, daß er das Vertrauen vieler einzelner Vorsteher und dadurch immer neue Gelegenheiten erhielt, das Innere ihrer Verfassung und Umstände, und (was für ihn das Wichtigste war) die einzelnen Personen sehr genau kennen zu lernen, die entweder zu seinem geheimen Vorhaben als Werkzeuge oder als wirkliche Mitarbeiter brauchbar waren, oder, wenn er sie zu keinem von beiden aufgelegt fand, durch andere Mittel und Wege, wo nicht gewonnen, [49] wenigstens verhindert werden mußten, ihm mit Erfolg entgegenzuarbeiten.

Mitten unter diesen rastlosen Bemühungen brachte er den geheimen Orden zu Stande, mit dessen Hülfe er nun, da die Mitglieder durch eine große Anzahl der Asiatischen Gemeinen zerstreut waren, an dem Vereinigungswerke arbeiten konnte, wodurch er dem Institut der Christianer die Festigkeit und den genauen Zusammenhang geben wollte, ohne welche (wie er glaubt) seine immer weitere und schnellere Ausbreitung und endlich sein Triumph über die herrschende religiöse und politische Verfassung unmöglich seyn würde. Der Anfang zu diesem allem war gemacht. Aber noch immer suchte er Ordensglieder, denen er sich ganz vertrauen könnte, und welche mit den allzu seltnen Fähigkeiten ausgerüstet wären, die er bei den unmittelbaren Organen seines Plans zu finden wünschte: und da er mir (setzte sie hinzu) die Ehre erwies, von den meinigen eine sehr günstige Meinung zu hegen, so ließ er nichts unversucht, um mich zu bewegen, daß ich alle andern Verbindungen und Entwürfe aufgeben, und die Geistesgaben, die mir seine brüderliche Parteilichkeit zuschrieb, der Beförderung eines Werkes widmen sollte, wovon er meine Vernunft selbst überzeugte, daß es das größte, glänzendste und vortheilhafteste sey, was Personen, die sich über den gewöhnlichen Menschenschlag erhaben fühlten, jemals unternehmen könnten. Er beantwortete alle meine Fragen, löste alle meine Zweifel, entdeckte mir alle seine Hülfsquellen, und überführte mich von der wirklichen Ausführbarkeit seines Plans, bis zur Unmöglichkeit weiter etwas dagegen einzuwenden. Aber meine [50] Zeit war noch nicht gekommen. Ich hing noch zu stark an Mamilien, oder (aufrichtig zu reden) an allem, was meine Verbindung mit ihr Angenehmes und Vortheilhaftes hatte; und Kerinthus selbst schien das letzte wichtig genug zu finden, um endlich seine Ansprüche auf mich, wiewohl ungern, der Betrachtung, daß ich ihm in meinen damaligen Verhältnissen vielleicht nützlicher seyn könnte, aufzuopfern. Indem wir diese Sache noch mit vielem Eifer zwischen uns verhandelten, stellte sich mir auf einmal das Bild meines lieben Flüchtlings dar. Gib dich zufrieden, Bruder, rief ich mit einer Art von Begeisterung, ich habe einen Mann gefunden, der dich für deine fehl geschlagene Hoffnung reichlich entschädigen wird! – einen jungen Mann, der so ganz in deine Plane paßt, als ob ihn die Natur und das Glück absichtlich und ausdrücklich für dich ausgebildet hätten. Und nun, mein lieber Peregrin, erzählte ich ihm alles, was ich von deiner Geschichte aus deinem eigenen Munde wußte, und was mir selbst mit dir begegnet war; und du kannst leicht ermessen, ob ich ihn dadurch begierig machte, einen so seltenen, so liebenswürdigen und so ganz entschiedenen Schwärmer je eher je lieber in seine Partei zu ziehen. Wir überlegten mit einander, was du nach deiner Entweichung von Halikarnaß vermuthlich für einen Weg genommen haben könntest; und da ich nicht zweifelte daß du über Smyrna zurückgehen würdest, so beschloß Kerinthus sich unverzüglich dahin zu begeben, und inzwischen allenthalben, wo du wahrscheinlich auf deiner Wanderung durchkommen würdest, durch seine Freunde Erkundigungen von dir einzuziehen. Nach einiger Zeit erfuhr ich den glücklichen Erfolg des [51] Plans, den er dieser Verabredung zufolge entworfen hatte, und erhielt große Danksagungen von ihm, daß ich ihn in den Stand gesetzt, eine Eroberung zu machen, von welcher er seiner Unternehmung wichtige Vortheile versprach.

Dioklea fuhr nun fort, mir von dem, was sich bis auf diese unsre, von meiner Seite so unverhoffte Zusammenkunft mit ihr selbst zugetragen, so viel zu berichten, als sie für nöthig hielt, mich zu überzeugen, daß es auch damit ganz natürlich zugegangen sey. Die schöne Mamilia wurde des Aufenthalts in diesen Gegenden von Kleinasien überdrüssig, und Dioklea begleitete sie zuerst nach den berühmten Bädern von Daphne, unweit Antiochien, sodann nach Alexandrien, und endlich nach Italien zurück, wo die üppige Römerin eine schöne Villa, welche sie in der Gegend von Bajä besaß, zu ihrem gewöhnlichsten Aufenthalt machte, und von dem Beispiele der neuen Bekanntschaften, in welche sie hier verwickelt wurde, hingerissen, sich allen Arten von Ausschweifungen mit so wenig Mäßigung überließ, daß ihre aus einem feinern Thone gebildete Freundin es endlich nicht länger bei ihr aushalten konnte. Sie trennten sich von einander; und Dioklea, welche sich von der Rolle, die sie in der Unternehmung ihres Bruders spielen könnte, eine neue, den Fähigkeiten ihres Geistes und ihrem gegenwärtigen Alter angemess'nere Art von Thätigkeit versprach, säumte nun nicht länger sich mit ihm zu vereinigen, und, nachdem sie in kurzer Zeit alle dazu erforderlichen Kenntnisse und die Einweihung in den innersten Mysterien seines Ordens unter dem Namen Theodosia erhalten hatte, ihm an der Beförderung seiner geheimen Theokratie [52] mit eben so vielem Eifer als Erfolg arbeiten zu helfen. Diese Vereinigung mit Kerinthus erfolgte bald, nachdem ich mich wieder von ihm getrennt hatte, um meine Mission nach der Syrischen Küste anzutreten.

Wie billig, war es eine ihrer ersten Sorgen, sich nach ihrem alten Freunde Proteus bei ihm zu erkundigen, und so erfuhr sie nicht nur alles, was ich – in der Meinung für die Sache Gottes und der ganzen Menschheit zu arbeiten – für ihn und seine Sache gethan hatte, sondern auch zugleich, daß Kerinthus, weit entfernt mich seines innersten Vertrauens würdig zu halten, mich bisher nur als ein bloßes Werkzeug seiner Absichten betrachtet habe; als einen Menschen von gutem Willen, dessen Schwärmerei man benutzen müsse, ohne ihn jemals auch nur ahnden zu lassen, daß das, was er für den Zweck hielt, bloß ein Mittel zu dem wahren Zweck seines Ordens sey. Ich konnte (sagte mir Dioklea mit aller Wärme unsrer ehemaligen Freundschaft), ich konnte mich mit dem Gedanken nicht versöhnen, einen Mann wie du in den Augen meines Bruders so klein zu sehen. Wir stritten uns oft über dieses Kapitel, ohne daß ich mit allem, was ich ihm zu deinem Vortheil sagte, etwas über seine vorgefaßte Meinung gewinnen konnte, welche (wie ich mir selbst nicht verbergen kann) auf Beobachtungen und Maximen gegründet war, die einen kältern und weniger für dich eingenommenen Kopf als der meinige nothwendig zurückhaltend machen mußten. Mit Einem Worte, Kerinthus scheint sich überzeugt zu haben, daß du seiner Sache als Apostel, allenfalls auch als Märtyrer, [53] unendlichemal nützlicher seyn könnest, als du ihm seyn würdest, wenn er dich ohne Schleier in sein Geheimniß schauen ließe. Aber er mag seiner Schwester verzeihen, wenn sie eine bessere Meinung von dir hegt, und nichts dabei zu wagen hofft, indem sie, einen alten Freund zu retten, gewissermaßen zur Verrätherin an einem Bruder wird. In der That sah ich kein anderes Mittel, dich aus der gegenwärtigen Gefahr zu ziehen und vor künftigen sicher zu stellen. Nein, mein lieber Peregrin! du sollst nicht das Opfer eines schwärmerischen Eifers werden. Wenn Kerinthus Märtyrer für seine Secte braucht, so mag er sich nach solchen umsehen, an welchen mein Herz weniger Antheil nimmt. Uebrigens kennest du meine Art zu denken. Es ist angenehm, sich zuweilen einer unschädlichen und vorübergehenden Schwärmerei der Phantasie oder des Herzens zu überlassen, so wie zuweilen eine kleine Trunkenheit angenehm und unschädlich ist: aber sein ganzes Leben durchzuschwärmen, und darüber zum blinden Werkzeuge fremder Absichten und Entwürfe zu werden, ist eine eben so undankbare als verächtliche Art von Existenz. Man gewinnt immer bei der Wahrheit, auch dann, wenn sie uns der schmeichelhaftesten Täuschungen beraubt. Der schlechte Erfolg, womit ich dir diese Philosophie vor sieben Jahren in der Villa Mamilia predigte, hätte mich billig abschrecken sollen, einen neuen Versuch zu machen: aber dießmal, Peregrin, hast du so wenig dadurch zu verlieren, daß ich dir die Augen öffne, und der Vortheil, hell in diesen Dingen zu sehen, ist dagegen so entschieden, daß ich weder deinem noch meinem Verstand ein großes Compliment [54] mache, wenn ich mir schmeichle, dich, noch ehe wir uns wieder trennen müssen, gänzlich zu meiner Vorstellungsart bekehrt zu haben.

Und nun fing sie an, sich in eine ausführliche Darstellung sowohl der Beschaffenheit und Lage, worin ihr Bruder die Angelegenheiten der Christianer gefunden habe, auszubreiten, als über den Plan, nach welchem er sie unvermerkt zu befestigen, empor zu bringen, und den größten und edelsten Zweck, der jemals zum Besten der Menschheit gefaßt worden, dadurch zu bewirken gesonnen sey. Sie wandte alle ihre Beredsamkeit an, mich von der Realität und Erreichbarkeit dieses Zweckes, und von der Unsträflichkeit und Unfehlbarkeit der Mittel, die er zu wirklicher Erreichung desselben zusammenspielen lasse, zu überführen. Die erhabnen Offenbarungen der unsichtbaren Welt, zum Beispiel, die du (sagte sie lächelnd) mit einer in der That allzu kindlichen Einfalt im buchstäblichen Verstande genommen hast, scheinen mir weder mehr noch weniger als die unschuldigste Poesie: entweder bildliche Einkleidungen großer Wahrheiten, um sie, die in ihrer reinsten Form den meisten Menschen unverständlich seyn würden, anschaulich und eben dadurch geschickt zu machen auf das Gemüth dieser Menschen zu wirken; oder Versinnlichung edler Zwecke, welche, ohne dieses unschuldige Mittel, die eigennützige Trägheit sinnlicher Menschen kalt lassen würden, hingegen, sobald sie ihnen als Befriedigungen ihrer liebsten Wünsche gezeigt werden, ihre ganze Seele erhitzen und alle ihre Kräfte in Bewegung setzen. Ist nicht die Natur selbst die erste und größte Zaubrerin? Täuscht sie etwa nicht uns alle durch Phantasie [55] und Leidenschaften? und sind, dieser Täuschung ungeachtet, Phantasie und Leidenschaften, von Vernunft geleitet, nicht unentbehrliche Springfedern des menschlichen Lebens? Mit welcher Billigkeit könnte man es also einem Gesetzgeber, einem Religionsstifter, einem von den großen Heroen der Menschheit, die auf das Ganze wohlthätig zu wirken geboren sind, verargen, wenn sie sich der Mittel, welche die Natur selbst zu diesem Ende in uns gelegt hat, zu Beförderung des möglichsten und allgemeinsten Glücks der Menschen bedienen? Ich möchte nicht behaupten, daß Kerinthus ein Wort mehr von der unsichtbaren Welt wisse, als ich, du, oder irgend ein anderer Erdensohn: aber wenn es höhere Wesen gibt, die sich damit beschäftigen den Menschen Gutes zu thun, so hätte wahrlich keines von ihnen einen edlern, göttlichern Gedanken in die Seele eines Sterblichen hauchen können, als die Befreiung der Menschheit von allen Arten der Tyrannei, der Vorurtheile und der Leidenschaften, des Aberglaubens und des Despotismus, der Cäsarn und der Priester, welche der letzte Zweck der Theokratie des Kerinthus ist. Was könnte die erhabnen Benennungen des Reichs des Lichts, des Reichs Gottes, verdienen, wenn eine solche Freiheit sie nicht verdiente? Und sogar die Einflüsse der Aeonen, und alle diese heiligen Mysterien der unsichtbaren Welt, womit Kerinthus die Einbildung schwärmerischer Seelen bezaubert, sind sie etwa ohne Sinn und Bedeutung? Könnte, dürfte wohl jener große Zweck, eh' er wirklich erreicht ist, anders als durch unsichtbare Kräfte, als durch eine geheime Verbindung unsichtbarer Beweger verfolgt werden? Das Schwärmerische, Mystische und Wunderbare [56] des Glaubenssystems und der religiösen Uebungen, welche Kerinthus den mit ihm verbundenen Brüdern und Schwestern gegeben hat, ist um so unentbehrlicher, da sein wahrer Plan sowohl vor denen gegen welche, als vor denen, für welche er arbeitet, nicht geheim genug gehalten werden kann. Denn diese würden, wenn ihre Vorstellungen ganz geläutert würden, weder den Werth der ihnen zugedachten Güter zu schätzen wissen, noch begreifen können, daß der Weg, worauf sie geführt werden, der richtigste und sicherste ist; jene, welche den Glauben der Christianer für eine unschädliche Schwärmerei zu halten angefangen haben, würden die gewaltsamsten Mittel zu Ausrottung derselben anwenden, sobald sie wüßten, daß das Reich der Freiheit und Glückseligkeit, mit dessen Bau wir uns beschäftigen, nur auf den Trümmern des ihrigen errichtet werden könne.

Dioklea kannte mich so gut, daß sie alles gewonnen zu haben glaubte, wenn sie mir sowohl die verhaßte Vorstellung, daß ich selbst betrogen worden sey, benehmen, als meine natürliche Abneigung, andere zu täuschen, überwinden, und mich überreden könnte, daß diese Täuschung nicht in der Sache selbst, sondern bloß in den Formen, oder vielmehr in den Hüllen liege, worin die Wahrheit sich zeigen müsse, um desto mehr Liebhaber anzulocken, und sich den Nachstellungen ihrer Feinde leichter zu entziehen. Die Scheinbarkeit ihrer Gründe, durch die Beredsamkeit ihrer Augen und den Reiz ihrer Stimme und ihres ganzen Wesens verstärkt, überwältigte mich für den Augenblick: sie glaubte mich gewonnen zu haben, und genoß schon im voraus den Triumph, den ihr meine Bekehrung [57] (wie sie es nannte) über den Unglauben ihres Bruders verschaffen werde. Sie kündigte mir nun an, daß der Statthalter von Syrien einer ihrer wärmsten Freunde sey, ohne mir zu verbergen, was für Rechte sie sich während ihres ehemaligen Aufenthalts in den Bädern von Daphne an seine Dankbarkeit erworben habe. Alles sey bereits zu meiner Befreiung vorgearbeitet; ich würde morgen von dem Statthalter selbst vernommen werden, welchem sie die Meinung beigebracht habe, daß ich ihr naher Anverwandter, und, einen unschuldigen Hang zur Schwärmerei ausgenommen, ein Mann von vorzüglichen Gaben, und in jeder Betrachtung werth sey, daß der allzu großen Wärme meiner Einbildungskraft etwas zu gut gehalten werde. Sie unterrichtete mich hierauf umständlich, wie ich mich bei diesem Römischen Satrapen zu benehmen hätte, und, nachdem sie mir gesagt hatte, wo sie mich nach meiner Freilassung anzutreffen hoffte, schieden wir von einander als die besten Freunde von der Welt.


Lucian.


Weißt du auch, Freund Peregrin, daß ich selbst von deiner Dioklea immer mehr und mehr bezaubert bin, und es dir schwerlich verzeihen könnte, wenn du eigensinnig genug gewesen wärest, ihre gute Meinung von dir zum zweitenmale zu täuschen?


Peregrin.


So mache dich nur gefaßt darauf, mir auch diese Anomalie vergeben zu müssen, da du mir so viele andere schon übersehen hast. Denn in der That, dieser Zauber, womit sie mich seit [58] dem ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft gebunden hielt, und dem du selbst, wie es scheint, nicht widerstehen kannst, dauerte immer nur so lange sie gegenwärtig war. Kaum sah ich mich wieder allein, so war mir ungefähr zu Muthe, wie einem seyn müßte, der die Nacht mit der lieblichsten Nymphe zugebracht zu haben geglaubt hätte, und sich beim Erwachen von den dürren Armen einer alten Thessalischen Zaubrerin umfangen sähe. Der große Plan des Kerinthus – der mich vielleicht hätte verblenden können, wofern er selbst, zu der Zeit da ich ihn noch für den ersten aller Menschen hielt, mir mit dem Feuer eines Mannes, der kein anderes Interesse als das allgemeine Beste der Menschheit hat, den Aufschluß darüber gegeben hätte – war nun, seitdem ich einen Scharlatan und eine Schauspielerin an seiner Spitze sah, nichts als ein betrügerisches Netz, worin er mich und tausend andere gutherzige Menschen gefangen hatte, um uns zu blinden Werkzeugen, und, nach Erforderniß der Umstände, zu Opfern seiner Herrschsucht und seines Eigennutzes zu machen. Es war mir unmöglich, einem Manne, der alles, was in meinen Augen das Ehrwürdigste und Heiligste war, bloß als Maschinen, Decorationen und Masken zu Ausführung eines weit gränzenden politischen Plans gebrauchte, edle Absichten dabei zuzutrauen; und nichts in der Welt hätte mich dahin bringen können, mit dem ehemaligen Vorsteher einer herumziehenden Bande von Isispriestern gemeine Sache zu machen, und wäre ich auch noch so gewiß gewesen, in nicht mehr Jahren, als Alexander zu seinen Eroberungen brauchte, den Thron unsrer heuchlerischen Theokratie mitten in der Hauptstadt der Welt [59] aufgerichtet zu sehen, und der Zweite nach Kerinthus in dieser allgemeinen Monarchie zu seyn.

Diesen Gesinnungen zufolge bedachte ich mich nicht lange, was ich von der Freiheit, die ich nun durch Diokleens Vermittlung wieder erhalten sollte, für einen Gebrauch zu machen hätte. Sobald die Täuschung, die mir eine Wolke statt der Juno in die Arme gespielt hatte, vorüber war, konnte ich mich nicht schnell genug von den Gegenständen meiner betrognen Liebe losreißen, für die ich nun eben so viel Widerwillen empfand, als sie mich ehemals angezogen und gefesselt hatten. Aber wie ich mich von Diokleen, welche ich wieder zu sehen nicht vermeiden konnte, auf eine bessere Art als durch eine heimliche Flucht losmachen könnte, dazu fand ich in dem ganzen Umfang meiner Einbildungskraft kein Mittel. Denn ich kannte die Schwäche meines Herzens und die magische Gewalt ihrer Ueberredungen, ihrer Liebkosungen, und (wenn nichts andres helfen wollte) ihrer Thränen, zu gut, um nur daran denken zu dürfen, ihr meine Entschließung und die Beweggründe derselben eher zu entdecken, bis ich aus dem Kreise heraus wäre, worin sie alles was sie wollte aus mir machte. Dieß war die einzige Schwierigkeit, die mich keine geringe Ueberwindung kostete. Denn der Gedanke an die großen Summen, die aus meiner Erbschaft in die Brüdercasse des Kerinthus und Hegesias geflossen waren, und welchen auch Dioklea, wiewohl nur im Vorbeigehen, bei mir geltend zu machen nicht vergessen hatte, hielt mich keinen Augenblick auf. Wie hätte auch ein solcher Verlust einen Menschen kränken sollen, der die Befriedigung eines einzigen seiner[60] schwärmerischen Wünsche mit allen Schätzen von Indien noch sehr wohlfeil erkauft zu haben geglaubt hätte, und, nachdem er sich nun zum zweitenmale vom höchsten Gipfel seiner schönsten Hoffnungen herabgestürzt sah, nichts mehr zu verlieren hatte, was bedauernswerth war!

Alles erfolgte nun wie Schwester Theodosia es vorhergesagt hatte. Ich wurde am nächsten Morgen vor den Statthalter geführt, fand ihn aber von einer so ungeheuern Menge von Leuten, die entweder etwas anzubringen hatten oder auf seine Befehle warteten, belagert, daß er weder Zeit noch Lust zu haben schien, mir zu der Schutzrede für die Christianer, die ich meditirte, Gelegenheit zu geben. Er begnügte sich zwei oder drei Fragen an mich zu thun, deren Beantwortung ihn vermuthlich in der Meinung, die ihn Dioklea von mir beigebracht, bestärken mochte: denn er erwiederte sie bloß mit einem ironischen Lächeln, und dem Befehl, mich, als einen Menschen, von welchem der Staat und die öffentliche Ruhe nichts zu besorgen habe, auf der Stelle in Freiheit zu setzen, unter der einzigen Bedingung, daß ich die Provinz Syrien sogleich verlassen und mich hüten sollte, noch einmal in verbotenen Versammlungen, von welcher Art sie seyn möchten, betreten zu werden. Von der Klage, welche meine Verwandten der Verschleuderung meines Erbgutes halben gegen mich erhoben hatten, wurde gar nichts erwähnt. Vermuthlich hatte die vorsichtige Dioklea, die mit ihrem Bruder auf Gewinn und Verlust in Gesellschaft getreten war, Mittel gefunden, diesen Punkt mit dem Statthalter in geheim auszumachen. Genug, meine guten Freunde zu Parium mußten [61] sich an dem Bescheid ersättigen, daß man bei der vorgenommenen Untersuchung keine Ursache gefunden habe, den Beklagten der Gewalt, die ihm die Gesetze in Rücksicht seines Alters über die Anwendung seines Vermögens gäben, zu berauben. Und so endigte sich, lieber Lucian, diese ganze Sache, ohne daß die Philosophie des Statthalters so viel zu meiner Entlassung mitgewirkt hätte, als dein Ungenannter zu Elis dich glauben machen wollte.


Lucian.


Aber wie lief es nun mit Diökleen ab?

Peregrin.


Die Lebhaftigkeit der Freude, womit sie mich empfing, hätte beinahe alle meine Entschlossenheit umgeworfen. Ich wußte mir nicht anders zu helfen, um das Bewußtseyn des Widerspruchs zwischen meiner wirklichen Gesinnung und der Person, die ich spielen mußte, zu übertäuben, als daß ich mich dem Eindrucke, den die Gegenwart dieser sonderbaren Frau immer auf mich machte, gänzlich Preis gab, und den Gedanken an das, was wir vorhatten, so viel möglich von ihr und mir zu entfernen suchte. Indessen war es doch unmöglich, daß der innerliche Zwang, den ich mir anthun mußte um ruhiger und fröhlicher zu scheinen als ich war, einem so scharfen Auge wie das ihrige hätte entgehen können. Sie zeigte mir von Zeit zu Zeit einige Unruhe darüber; und da ich, in der drückenden Nothwendigkeit, sie durch eine Lüge zufrieden zu stellen, mich wenigstens derjenigen bedienen wollte, die der Wahrheit am ähnlichsten sah – oder vielmehr wirklich zur Hälfte Wahrheit war –


[62] Lucian (lachend).


Das nenne ich einen gewissenhaften Schelm!

Peregrin.


– so gab ich ihr endlich zu verstehen, daß es sehr grausam von ihr gehandelt wäre, wenn sie dem Zwange, den sie mir in der verwichnen Nacht fürs Künftige zu einer Pflicht gemacht hätte, die mir, bei dem was ich für sie fühlte, weder leicht noch angenehm seyn könnte, nicht wenigstens so viel zu gut halten wollte, um die unfreiwilligen Seufzer, die mir von Zeit zu Zeit entführen, ungeahndet zu lassen. Sie beantwortete diese Aeußerung, welche sie, ohne eine zu geringe Meinung von mir oder eine zu große von sich selbst zu hegen, für sehr natürlich halten konnte, durch ein Betragen, das mir einige Hoffnung ließ, wenn ich mich ihres Zutrauens erst würdiger gemacht haben würde, von ihrem Herzen zu erhalten, was in der That bei einer Frau wie sie durch irgend eine andere Art von Verführung schwerlich zu erhalten war. Diese Wendung, welche unsre Unterhaltung nahm, führte unvermerkt Erinnerungen an Scenen aus der Vergangenheit herbei; dein armer Freund (wenn du ihn anders dieses Namens noch würdig findest) wurde eben so unvermerkt immer wärmer, und es kam so weit mit ihm, daß, wenn Dioklea nur die mindeste Ahndung der Gefahr, von ihm verlassen zu werden, gehabt hätte, es gänzlich in ihrer Gewalt gewesen wäre, ihn bis zum Geständniß seines treulosen Vorhabens zu treiben, und ihm einen Rückfall wenigstens auf lange Zeit unmöglich zu machen. Aber von dieser Seite lebte sie in der vollkommensten Sicherheit: und da sie alle ihre Aufmerksamkeit und Kunst [63] bloß darauf wandte, dem, was sie für die einzige Gefahr bei unserm neuen Verhältnisse hielt, mit guter Art vorzubauen; so entging ich zu meinem Glücke der einzigen, in welcher mein Entschluß unfehlbar gescheitert wäre. Denn ich hätte, in diesen zärtlichen Augenblicken, da meine Seele in dem Andenken so vieler unbeschreiblich wonnevoller Tage dahin schmolz, die mir in der zauberischen Einsamkeit der Villa Mamilia mit ihr zu einzelnen Stunden geworden waren, keine Stirne gehabt, ihr etwas zu verheimlichen oder abzuläugnen, wenn sie in meinem Inwendigen hätte lesen können. So hingegen schien sie, vielleicht aus Mißtrauen in ihr eigenes Herz, nichts Angelegner's zu haben, als mich von jenen verführerischen Erinnerungen zurückzuziehen, und wußte mir auf ihre eigene feine Art unvermerkt Fragen abzulocken, deren Beantwortung ihr Gelegenheit gab, sich in eine umständliche Erzählung des Merkwürdigsten einzulassen, was ihr in den sieben Jahren unsrer Trennung begegnet war. Eine Vertraulichkeit, die meinem wankenden Vorsatz ungemein zu Statten kam, da es nicht fehlen konnte, daß sie mich dabei manchen Blick in ihr Inneres thun ließ, der mich in der alten Entdeckung bestätigte, daß sie eine zu große Meisterin in der Mimik sey, als daß ein Mensch von meinem Schlage jemals hoffen dürfe, das, was der Natur oder der Kunst in ihr angehöre, mit einiger Sicherheit unterscheiden zu lernen.


Lucian.


Meine erste Sorge, sobald du deine Lebensgeschichte glücklich zu Ende gebracht haben wirst, soll seyn, diese Dioklea aufzusuchen, [64] wofern sie anders in den Gegenden, die uns zur Wohnung angewiesen sind, zu finden ist.


Peregrin.


Ueber diesen Zweifel kann ich dich beruhigen, Lucian. Ich habe sie schon öfters und immer in sehr guter Gesellschaft angetroffen. Es soll mir ein Vergnügen seyn dich mit ihr bekannt zu machen.


Lucian.


Eine Gefälligkeit mehr, wofür ich dir verbunden seyn werde. Aber nun zum Verfolg deiner eigenen Angelegenheiten!


Peregrin.


Da mir auferlegt war, Antiochien noch an dem nämlichen Tage und ohne alles Aufsehen zu verlassen, und Dioklea alle Anstalten dazu bereits getroffen hatte; so begreifst du ohne mein Erinnern, daß alles, was ich dir so eben von unsrer gegenseitigen Lage gesagt habe, das Merkwürdigste von den drei Tagen ausmacht, an welchen wir auf ihrer Rückreise zu ihrem Bruder, der uns zu Damaskus erwartete, zum letztenmal allein beisammen waren. Dioklea befand sich um die dritte Nacht so ermüdet, daß sie, sobald wir in unsrer Herberge anlangten, sich sogleich zur Ruhe begab, und mir dadurch Zeit verschaffte, meine beschlossene heimliche Flucht ins Werk zu setzen. Glücklicher Weise hatten wir uns den Abend zuvor über das, was ich Heuchelei nannte, ein wenig mit einander entzweit, aber auf meiner Seite stark genug, daß es mir bei Ausführung meines Vorhabens leichter ums Herz war [65] als ich selbst gehofft hatte. Wir befanden uns nicht weit von Gabala, in dem Hause einer Christianerin, einer guten alten Wittwe, die hier von den Einkünften eines kleinen Landgutes lebte, und, da sie kinderlos war, den Mann Gottes Kerinthus, oder vielmehr die unter seiner Verwaltung stehende Brüdercasse, zu ihrem eventualen Erben eingesetzt hatte. Ich ließ also meine geliebte Schwester Theodosia in guten Händen. Ueberdieß hielt ich es auch für Pflicht, ihr von einer ziemlichen Summe an Gold, welche sie mir bei unsrer Abreise von Antiochien übergeben hatte, zwei Drittheile zurückzulassen, wiewohl ich, ohne mein Gewissen zu belasten, das Ganze, als einen sehr kleinen Ersatz für das reiche Opfer, so ich der Brüdercasse dargebracht, hätte behalten können. Meine Flucht hatte nicht die geringste Schwierigkeit. Ich hinterließ einen Brief an Diokleen, worin ich ihr sagte: »Die Aufschlüsse, die ich über das Geheimniß des Ordens, in welchen mich meine unvorsichtige Gutherzigkeit verflochten habe, seit kurzem erhalten hätte, machten mir eine gänzliche Aufhebung aller Gemeinschaft mit besagtem Orden und seinen Vorstehern zum unumgänglichen Gesetz. Ich begäbe mich hiermit freiwillig und wohlbedächtlich alles Anspruchs an alle Summen, welche Hegesias und Kerinthus während unsrer Verbindung von mir erhalten oder in meinem Namen bezogen hätten; und hoffte dagegen, daß sie so billig seyn würden, mich für ein so beträchtliches Lösegeld hinwieder aller Pflichten zu entlassen, die ich beim Eintritt in ihren Orden übernommen, und deren Erfüllung mir von nun an moralisch unmöglich sey. Im Uebrigen werde ihnen ihre Kenntniß meines Herzens Bürgschaft [66] dafür leisten, daß keines von ihnen jemals etwas Nachtheiliges von mir zu besorgen haben könne.«

Ich machte, als alles im Hause im ersten Schlafe lag, meinen Abzug durch ein Fenster, das aus meinem kleinen Zimmer in den Garten ging, doch mit etwas mehr Bequemlichkeit als ehemals aus dem Fenster der schönen Kallippe; und da ich, vom Gefühl meiner Freiheit und dem schmeichelhaften Bewußtseyn der Leichtigkeit, womit ich der Tugend so viele und große Opfer brachte, begeistert, die ganze Nacht durch in Einem fort lief, befand ich mich mit Anbruch des Tages am Ufer des Meeres. Ich ließ mich unverzüglich in einem Fischernachen nach Laodicea übersetzen, wo ich, in größter Verborgenheit, ein paar Tage damit zubrachte meine Lage zu überdenken, und zu sehen was für eine Partei mir nach einer so großen Katastrophe meiner innerlichen und äußerlichen Umstände zu nehmen übrig sey.

Achter Abschnitt
[67] Achter Abschnitt.

Lucian.


Ich gestehe dir offenherzig, Freund Peregrin, daß in deinem letztern Betragen gegen Diokleen etwas ist, das ich mit deinem Charakter, so wie er sich bis zu dieser Epoche gezeigt hat, nicht recht zusammen reimen kann. Mich dünkt, das feine moralische Gefühl, das dich sonst bei allen Verirrungen deiner Phantasie und deines Herzens nie verließ, müsse durch deinen langen Aufenthalt unter den Christianern ein wenig abgestumpft worden seyn: denn wie wäre es sonst möglich gewesen, daß du eine Freundin, die schon so viel für dich gethan, dir in diesem Augenblick einen so großen Beweis ihrer Theilnehmung und ihres Zutrauens gegeben hatte, auf eine eben so unedle als unzärtliche Art, ohne die geringste Rücksicht auf die Verlegenheiten, in welche sie dadurch gesetzt wurde, hättest verlassen können? Bloß aus Freundschaft für dich, bloß weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, daß du, anstatt ein Mitgenoß der Unternehmungen ihres Bruders, nur ein Werkzeug, und wohl gar ein Opfer derselben seyn solltest, hatte sie dir sein Geheimniß entdeckt, [68] und sich dadurch in den Fall gesetzt, seinen ganzen Unwillen auf sich zu laden, ja vielleicht seinen ganzen Plan scheitern zu machen, wofern sie zu viel auf dich gerechnet haben sollte. Würde sie dieß gewagt haben, wenn sie nicht die größte Meinung von deinem Edelmuth gehegt, dich nicht schlechterdings für unfähig gehalten hätte, ihr Zutrauen so zu belohnen wie du thatest? Und wärest du fähig gewesen so zu handeln, wenn du dich nur einen Augenblick an ihren Platz gesetzt hättest?


Peregrin.


Welch einen warmen Sachwalter diese Zaubrerin an dir gefunden hat, von deren verführerischer Gewalt du dir nur erst jetzt einigen Begriff machen kannst, nachdem es ihr schon bei einer bloß mittelbaren Bekanntschaft gelungen ist, den kalten Lucian, den erklärten Feind aller Täuschungskünste, durch einen einzigen behenden Handgriff auf ihre Seite zu bringen! Mit welcher Leichtigkeit hat sie alle Aufschlüsse, die wir in dem Haine der Venus Urania und auf dem Landgute der edeln Römerin von ihrem wahren Charakter erhalten haben, plötzlich aus deinen Augen gerückt! Aber ich, mein lieber Lucian, ich trug zu tiefe Narben von allem, was ich durch ihren Leichtsinn, ihren Muthwillen, ihre Eitelkeit, ihre eigennützige Gefälligkeit gegen fremde Leidenschaften, gelitten hatte, in meiner Seele; ich hatte zu viele, zu entscheidende Proben, wie hoch sie es in der Mimik gebracht, und wie leicht es ihr sey, die Gestalt, Miene, Sprache und Gebärde jeder schönen Empfindung, jeder Tugend, jeder moralischen Grazie anzunehmen, als daß ich (zumal nach Geständnissen, welche nothwendig einen dem Kerinthus und ihr selbst höchst nachtheiligen [69] Eindruck auf mich machen mußten) so geneigt hätte seyn können, von der anscheinenden Großmuth ihrer Freundschaft auf eine dauernde Art gerührt zu werden. Ich begehre mich nicht zu rechtfertigen, Lucian; ich erzähle dir bloß mit aller Aufrichtigkeit, deren ich in unserm gegenwärtigen Zustande fähig bin, was ich von meiner eigenen Geschichte weiß; und Nachsicht mit meinen Verirrungen ist alles, worauf ich, bei einem Manne wie du, Anspruch machen kann. Ich bin getäuscht worden, und habe andere getäuscht; aber jenes immer unwissend; dieses immer ohne Vorsatz: ich gestehe beides offenherzig; aber am Ende ist es doch nur Gerechtigkeit, wenn ich sage, daß ich zu beidem fast immer durch Anscheinungen verleitet wurde, die so lebhaft auf mich wirkten daß ich sie für Wahrheit hielt. Mich dünkt, ich habe in meiner Erzählung schon erwähnt, daß es mir während der vier Tage, die ich wieder mit Diokleen lebte, nicht wenig kostete, daß ich nicht so offen und gerade gegen sie seyn durfte, als es ihr Betragen gegen mich zu fordern schien. Aber wie konnte ich anders, da ich entschlossen war, mit einem so gefährlichen Menschen, als Kerinthus nun in meinen Augen war, schlechterdings alle Gemeinschaft aufzuheben? Der Abscheu, den ich nach so unerwarteten und aus einem so glaubwürdigen Munde erhaltenen Aufschlüssen gegen ihn gefaßt hatte, war so übermäßig als die Verehrung, von welcher ich, so lang' ich ihn in einer überirdischen Glorie erblickte, für ihn durchdrungen war; er war zu heftig, um in seiner ersten Energie von irgend einer andern Empfindung überwogen zu werden. Und dennoch machte Dioklea meine Entschließung mehr als Einmal [70] wanken! Dennoch würde sie allem Vermuthen nach einen gänzlichen Sieg über mich davon getragen haben, wenn sie in dem kritischen Momente, dessen du dich erinnern wirst, tiefer in mich gedrungen, und mich genöthiget hätte, ihr die wahre Ursache meiner Verlegenheit und meiner Seufzer zu entdecken.


Lucian.


Ich erinnere mich dieses kritischen Augenblicks sehr wohl, lieber Peregrin: aber erlaube mir zu bemerken, daß es nicht Edelmuth und dankbares Gefühl für die außerordentliche Freundschaftsprobe, die sie dir gegeben hatte, sondern etwas ganz anderes war, was ich damals in ihre Gewalt brachte.


Peregrin.


Ich bekenne meine Schuld, und weiß zu meiner Vertheidigung nichts weiter anzuführen als was ich schon gesagt habe. Im Fall eines Zusammenstoßes zweier einander entgegen wirkender Gefühle muß natürlicherweise das schwächere weichen; und dieß geschah im vorliegenden Falle um so mehr, da ich Diokleens Offenherzigkeit gegen mich, in der Stimmung worin mich die Geheimnachrichten von ihrem Bruder gesetzt hatten, bloß als einen feinern Kunstgriff ansah, mich stärker und unauflöslicher in die Unternehmungen eines Ordens zu verwickeln, der schon allein dadurch, daß er im Grunde bloß politische Absichten und Finanzspeculationen zum Zweck hatte, alles Anziehende für mich verlor, und meiner ganzen Sinnesart zuwider war. – Aber es ist Zeit, den Rest meiner Geschichte mit etwas schnellern Schritten fortzusetzen.


Lucian.


Doch nicht schneller, wenn ich bitten darf, als das Interesse, [71] das mir deine Geschichte eingeflößt hat, gestatten kann. Du bliebst zu Laodicea stehen, in Ueberlegungen vertieft, was du nun mit deiner wieder erlangten Freiheit und mit deinen neuen Erfahrungen anfangen wollest. Beide waren, nach deiner Gewohnheit, etwas theuer erkauft!


Peregrin.


Und mußten eben darum auch einen desto größern Werth in meinen Augen haben. Indessen übertreibe ich nichts, wenn ich sage, daß weder der Verlust des größten Theils meines Vermögens, noch die Trennung von Kerinthus, Dioklea und meinen ehemaligen Brüdern, mir das Vergnügen, mich wieder frei zu wissen, verkümmern konnten. Es gehörte, wie du bereits bemerkt haben wirst, zu den Eigenheiten meiner Sinnesart, daß dieselben Gegenstände, welche in dem Zauberlichte, worin sie mir erschienen, meine ganze Seele eingenommen hatten, sobald ich fand oder zu finden glaubte, daß sie das nicht waren wofür ich sie gehalten hatte, nur aus meinen Augen gerückt zu werden brauchten, um sich in wenigen Tagen auch aus meinem innern Gesichtskreise so gänzlich zu verlieren, als ob alles, was zwischen mir und ihnen vorgegangen, ein bloßer Traum gewesen wäre. Ich trennte mich von Kerinthus und seinen Anhängern, nachdem der Sturm des ersten Augenblicks vorüber war, ohne daß es meinem Herzen das Geringste kostete, als von Betrügern oder Betrognen, zwischen welchen und mir von nun an keine Gemeinschaft mehr statt fand; ohne Reue oder Beschämung, und durch das Bewußtseyn befriediget, daß ich, durch die edelsten Beweggründe in meine Verbindung mit ihnen hinein gezogen, der guten Sache, [72] so lange ich sie dafür halten mußte, alles aufgeopfert hatte. Aber noch lebte ein Bild in meiner Seele, das mir zwar unter so vielen Gegenständen, welche unmittelbarer auf mich gewirkt und sich aller meiner Aufmerksamkeit bemächtigt hatten, nach und nach aus dem Andenken gekommen war, aber nun, in der tiefen Einsamkeit, in die ich mich zurückgeworfen sah, durch einen Contrast, der seine Liebenswürdigkeit verdoppelte, auf einmal wieder wie eine himmlische Erscheinung vor meiner Stirne stand; – und dieß war – das Bild der guten, unschuldigen, unverfälschten Familie von Christianern, zu denen mich mein Wegweiser Hegesias ehemals in dem Walde zwischen Pergamus und Pitane verirren ließ. Du kennest mich nun so gut, Lucian, daß ich dir nicht zu sagen brauche, mit welchem Feuer meine Einbildungskraft, in dem abermaligen Schiffbruch, den alle meine Hoffnungen und Wünsche erlitten hatten, nach diesem Brette griff. Meine Partie war auf einmal genommen. Mein großväterliches Erbe, – eine Kleinigkeit gegen das, was die Ordenscasse des Kerinthus verschlungen hatte, aber mehr als hinlänglich einen Menschen von mäßigen Bedürfnissen zu befriedigen – dieses Erbe, welches größtentheils in einem kleinen, nahe bei Parium gelegenen Landgute bestand, war glücklicher Weise noch in meinen Händen. Mein Plan war also, mit dem ersten Schiffe, das nach Cypern und Rhodus befrachtet wäre, abzugehen, von da nach Hause zurückzukehren, die Trümmer meines Vermögens zu Gelde zu machen, und mich dann, wo möglich, unmittelbar mit jenem auserwählten Häuflein ächter Jünger unsers guten Meisters zu vereinigen, um in [73] paradiesischer Unschuld und Abgeschiedenheit von der Welt, Ein Leib, Ein Herz und Eine Seele mit diesen engelähnlichen Sterblichen, im reinsten Genuß des gegenwärtigen und in freudigster Erwartung des zukünftigen Lebens, dieser hohen Eudämonie und göttlichen Befriedigung meines Innersten theilhaftig zu werden, welche schon so lange vergebens das letzte Ziel meiner Wünsche gewesen war.


Lucian.


Bravo, Peregrin! Deine Imagination thut wieder ihre Schuldigkeit, wie ich sehe; du genießest wieder so überschwänglich viel voraus, und alles in einer so überirdischen Lauterkeit und Vollkommenheit – daß die guten ehrlichen Seelen, von denen du so viel erwartest, schlechterdings in die Unmöglichkeit gesetzt sind, deiner Phantasie genug zu thun, wenn sie auch noch so guten Willen dazu hätten.


Peregrin.


Dießmal ließ das Schicksal, oder meine Wankelmüthigkeit (wenn du nicht etwa lieber einmal meiner Vernunft die Ehre davon geben willst) es nicht zur Probe kommen, welche sehr warscheinlich gerade so ausgefallen seyn dürfte, wie du erwartest. Eine unverhoffte Zusammenkunft mit einem Freunde, den ich seit mehreren Jahren ganz aus den Augen verloren hatte, verrückte mir den Gesichtspunkt, woraus ich diese Dinge noch anzusehen gewohnt war, und das Schicksal vollendete, was jener angefangen hatte.

Während daß ich zu Lindus auf ein Fahrzeug wartete, welches mich nach Mitylene bringen sollte, begegnete mir in einer bedeckten Halle ein Mann, der bei meiner Erblickung [74] eben so verwundert still stehen blieb, als ich bei der seinigen. Zu unsrer beiderseitigen Freude entdeckten wir, ich in ihm den nämlichen Dionysius von Sinope, mit welchem ich zu Ikonium in der Pflanzschule des Kerinthus Bekanntschaft gemacht hatte, er in mir den damaligen Vertrauten und Günstling des Propheten, der auf eine geheime Mission nach Syrien abgeschickt worden war. Der bloße Umstand, daß wir uns so allein zu Lindus wiederfanden, sagte uns, daß wir einander merkwürdige Dinge zu entdecken haben würden. Dionysius war seit kurzem, wie er mir sagte, durch eine Erbschaft nach Lindus gezogen worden, und gefiel sich da so wohl, daß er diese anmuthige Stadt zum Ziel seiner Wanderungen zu setzen Lust hatte.

Und wie machtest du es, fragte ich etwas voreilig, daß du dich und deine Erbschaft aus den Klauen des Propheten Kerinthus in Sicherheit brachtest?

Diese Frage sagt mir viel auf einmal, erwiederte Dionysius; aber wir müssen einen bequemern Ort suchen, uns einander näher zu erklären: und hiermit führte er mich in seine Wohnung, und nöthigte mich, das Gastrecht bei ihm anzunehmen. – Ich habe dir schon gesagt, Lucian, daß dieser junge Mann den Schlüssel zu meinem Kopf und Herzen bei sich trug; denn in der weiten Welt fand sich schwerlich noch ein anderer, der, was die Schwärmerei betrifft, ein vollkommnerer Gegenfüßer von mir gewesen wäre, und doch in allem übrigen mehr mit meiner Gemüthsart sympathisirt hätte als er. Wir wurden also in wenigen Stunden vertraut genug, um nichts Geheimes vor einander zu haben. Dionysius machte [75] den Anfang mich über seine ehemalige Verbindung mit Kerinthus ins Klare zu setzen.

Ich wurde, sagte er, durch einen Zufall mit ihm bekannt. Er schien mir ein Mann von tiefem Inhalt zu seyn, und alles, was ich an ihm sah, fesselte meine Aufmerksamkeit. Auch er schien mich hinwieder als einen Menschen zu betrachten, der die seinige verdiente. Wir näherten uns einander unvermerkt, aber von beiden Seiten so behutsam, daß ich lange nicht recht wußte, was ich aus ihm machen sollte. Da wir einige Tage in Gesellschaft reiseten, so fehlte es uns nicht an Gelegenheit, allein beisammen zu seyn; und so fiel die Unterredung nach und nach auf alles, was für Personen von Erziehung, Weltkenntniß und gesetztem Charakter Interesse hat. Wir sprachen von Politik, von Philosophie, von Religion – immer mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge. Kerinthus ließ sich über alles wie ein Mann von großem Sinne und festen Grundsätzen vernehmen, aber immer so, daß er viel weniger zu sagen schien als er könnte. Ich glaubte etwas Geheimnißvolles in ihm zu bemerken; aber er schien es zu tragen, wie einer, der zwar nicht sehen lassen will was er trägt, aber doch wohl leiden kann, daß man merke er trage etwas Wichtiges. Dieß schien mir auf mich gezielt zu seyn, und machte mich desto behutsamer; denn es war fest bei mir beschlossen, mich nicht verwickeln zu lassen. Alles was ich von seiner Art zu denken herausbrachte, und worüber er sich allmählich etwas deutlicher erklärte, war: daß die Welt zu einer großen Revolution heran reife; daß wir diesem Zeitpunkte schon wirklich näher wären als man glaubte; daß in den Begriffen[76] und Meinungen der Menschen eine zu große Veränderung vorgegangen sey, als daß die alten Stützen länger halten könnten, welche die politische und moralische Welt seit einigen Jahrtausenden getragen hätten, und daß eine neue, auf die Würde und Bestimmung des Menschen gegründete Ordnung der Dinge nöthig sey, um den fürchterlichen Folgen einer gänzlichen Auflösung der gegenwärtigen Weltverfassung zuvorzukommen. Dieß brachte mich zuweilen auf den Gedanken, daß er vielleicht ein Christianer seyn könnte; aber er affectirte bei allem dem so gar nichts Prophetisches, sprach von allem so schlicht, wie es die Natur der Sache und der begreifliche Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung mit sich brachte, daß ich immer wieder versucht war, ihn für einen bloßen Philosophen zu halten, wiewohl er sich mit ziemlicher Wärme gegen unsere Sectenphilosophie erklärte.

Ist's möglich, unterbrach ich meinen Freund, daß du mir von eben dem Manne sprichst, der mir zu Smyrna zwischen den Felsen des Vorgebirgs als eine Art von Genius erschien; der in meinem Innern las, sich mit einer Art von magischer Gewalt meiner ganzen Seele bemächtigte, und, als er wieder verschwand, mich in Ungewißheit ließ, ob ich ihn für einen neuen Zoroaster, oder für einen Gott halten sollte?

Du siehest, fuhr Dionysius fort, daß der Mann das große Talent hat, jeden nach seiner Weise zu bedienen; eine Gabe, wodurch schon einer der ersten Häupter seiner Secte zu ihrer Ausbreitung so viel beigetragen hatte. Bei dir machte er den Propheten; bei mir den Weisen, den Menschenspäher, [77] den freien, gegen alle gleich wohlgesinnten Weltbürger, dessen Herz, auch wenn es von Eifer für die Rechte der Menschheit, von Verlangen ihrem Elend abgeholfen zu wissen glühte, dennoch immer unter den strengen Befehlen der Vernunft, unter der Leitung eines kalten Kopfes stand. Mehr als Einmal schien es mir zwar, wenn er von der Nothwendigkeit sprach, daß alle aufgeklärten Menschen, die es wohl mit ihren Brüdern meinten, mit vereinigten Kräften auf das einzig Nothwendige arbeiten sollten, als ob er absichtlich wärmer würde, um zu sehen wie und was es auf mich wirkte. Weil ich aber bei dergleichen Aeußerungen allemal in gleichem Verhältnisse kälter und einsylbiger ward, so zog er sich immer unvermerkt wieder in seine gewöhnliche Ruhe zurück, ohne daß ich an seinem Benehmen die mindeste Spur einer fehl geschlagnen Hoffnung wahrnehmen konnte.

So blieben die Sachen zwischen uns, bis es sich, da wir uns wieder trennen sollten, zeigte, daß wir einander unvermerkt interessant genug geworden waren, um zu wünschen es noch mehr zu werden: und da ich bei meinen Reisen keine Zwecke hatte, die ich an dem einen Orte nicht eben so gut als an dem andern verfolgen konnte, so bot ich ihm an, ihn nach Ikonium, dem Ziel seiner Reise, zu begleiten, und er schien es mit sichtbarem Vergnügen anzunehmen. Wir kehrten unterweges zwei- oder dreimal in Häusern ein, wo er das Gastrecht hatte, und mich seinen Freunden als einen ihm sehr werthen Reisegefährten vorstellte. Ich wurde dadurch mit einigen Familien bekannt, die mir ein liebenswürdiger Schlag von Menschen zu seyn schienen, und sich ungemein [78] gefällig gegen mich bezeugten; wiewohl es mir vorkam, als ob meine Gegenwart ihnen einigen Zwang auflege, den sie zu verbergen suchten.

Als wir endlich nur noch eine Tagereise von Ikonium entfernt waren, wußte Kerinthus das Gespräch unvermerkt auf die Christianer zu lenken; schien aber, nach seiner Gewohnheit, vor allen Dingen die Tiefe des Wassers sondiren zu wollen, eh' er sich zu weit hinein wagte. Ich erklärte mich ohne Bedenken: wiewohl ich wenig Kenntniß von dieser Secte hätte, so könnte ich mich doch nicht überreden lassen, daß sie so bösartige und gefährliche Leute seyen, als ihre Feinde behaupteten. – Wie es scheint, sagte er lächelnd, hast du vielleicht noch keinen von ihnen sehr nahe gesehen. – Niemals daß ich wüßte, war meine Antwort. – Aber vielleicht desto mehrere ohne es zu wissen, versetzte er. – Wie so, Kerinthus? – »Du hast auf unsrer letzten Reise dreimal bei Christianern das Gastrecht genossen.« – Ich betrachtete ihn bei diesen Worten mit einem Blick, den er zu verstehen schien – »Und ich bin gewiß, fuhr er fort, daß da schon tausendmal in deinem Leben mit Christianern gesprochen oder Geschäfte gehabt hast, ohne sie dafür anzusehen. Dafür kann ich dir wenigstens bürgen, wenn dir im gemeinen Leben ein stiller, friedfertiger, zuverlässig treuer und guter Mensch, von unbescholtnem Ruf und reinen Sitten, in den Wurf kommt, so kannst du drei gegen eins setzen, er ist ein Christianer.« – Du machst mich begierig, sagte ich, so gute Menschen, und noch begieriger, das was sie zu solchen Menschen macht, genauer kennen zu lernen; und da du, wie ich sehe, selbst einer von [79] ihnen, und vermuthlich ein Mann von Ansehen unter ihnen bist, so kann ich mich mit diesem Verlangen wohl an niemand schicklicher wenden als an dich. – Kerinthus beantwortete dieses Compliment auf eine eben so bescheidene als leutselige Art: er sagte mir, daß auch sie ihre Mysterien hätten, zu welchen zwar, dem ersten Ansehen nach, weniger harte und beschwerliche, aber im Grunde weit strengere Bedingungen erfordert würden als zu den Eleusinischen und andern dieser Art. – Ich antwortete: da ich von einem Manne, wie er, keine Zumuthung, die der Vernunft oder dem Herzen eines Menschen von gutem Willen widerstehen könnte, zu besorgen habe, so sey ich zu allem Uebrigen bereit. Und so wurde denn ausgemacht, daß ich, sobald wir in Ikonium angelangt seyn würden, zur Vorbereitung für den ersten Grad der Weihe zugelassen werden sollte.

Nach einer Vorbereitung von wenigen Wochen erhielt ich diesen ersten Grad; aber dabei blieb es auch, und ich kann mich nicht rühmen, weiter als bis an die Schwelle des innern Vorhofes gekommen zu seyn. Denn wiewohl ich eine Zeit lang ziemlich gute Hoffnung von mir gab, so fand sich doch in der Folge, daß ich weder als Missionar, noch als Märtyrer, noch als geheimer Minister und Vertrauter im Reiche des Kerinthus (welches ich von einem andern Reiche, wovon mir viel Herrliches gesagt wurde, sehr gut zu unterscheiden wußte) zu gebrauchen war: und da ich überdieß noch die Hand fest auf meinem Geldbeutel hielt, und alles was mir gelegentlich von Verachtung des Irdischen, von dem was der Herr bedarf, von der tausendfältigen Frucht, welche alles, was man [80] für seine Sache aufopfere, hier oder dort trage, und was dergleichen mehr war, ans Herz gelegt wurde, weder verstehen wollte noch um nähere Erklärung bat; so konnte ich deutlich genug sehen, daß man nach Verfluß einiger Monate an meiner Erwählung zu verzweifeln anfing, und als ich, dringender Familienangelegenheiten wegen, um meine Entlassung bat, noch froh war, eines beschwerlichen Beobachters los zu werden. Vermuthlich wünschte sich Kerinthus Glück, daß er immer so zurückhaltend und verschlossen gegen mich geblieben war. Indessen hatte er doch in Augenblicken, wo meine Neugier mehr die Miene von Gelehrigkeit und Empfänglichkeit haben mochte, einzelne Lichtstrahlen in meinen Kopf fallen lassen, die sich darin sammelten, und mir zu sehr wahrscheinlichen Vermuthungen über den geheimen Plan dieses talentvollen moralischen Zauberers, wenn ich ihn so nennen kann, verhalfen. In der That wußte er seinen Plan, das eigentliche große Mysterium seines Ordens, in sehr scheinbare moralische Hüllen einzuwickeln, welche, je nachdem die Hoffnung mich noch zu gewinnen stieg oder sank, dünner oder dichter wurden: aber eben diese Kunstgriffe, wie leicht auch seine Hand dabei war, verriethen mir was er verbergen wollte; und je mehr ich ihn zu enträthseln glaubte, desto mehr fand ich mich in der Meinung bestärkt, daß er schwerlich den Mystagogen unter den Christianern spielen würde, wenn es in seiner Willkür stände, auf dem Wege eines Alexanders oder Julius Cäsars zu seinem Ziele zu gelangen.

Dieß, lieber Lucian, war ein Punkt, worüber mein Freund Dionysius sehr authentische Nachrichten von mir zu erwarten [81] hatte. Damit ihm alles desto begreiflicher seyn könnte, sah ich mich genöthigt meine Geschichte vom Ei anzufangen.


Lucian.


Man hat immer viel vor andern Sterblichen voraus, wenn man eine Geschichte wie die deinige zu erzählen hat.


Peregrin.


Einem so ausgemachten Antipoden aller Schwärmerei, wie Dionysius, mußte sie in der That wunderbar genug vorkommen; und doch merkte ich, daß von allen den außerordentlichen Dingen, womit er dadurch bekannt wurde, ich selbst doch das wunderbarste in seinen Augen war. Er schien sich ganz leicht zu erklären, wie man eine Mamilia Quintilla, eine Dioklea, ein Kerinthus oder Hegesias seyn könne: aber wie es möglich sey Peregrinus zu seyn, dieß (wiewohl er zu höflich war, es mir ausdrücklich zu sagen), dieß schien über seinen Begriff zu gehen. Indessen, da er sich doch nicht erwehren konnte an dem seltsamen Schwärmer Antheil zu nehmen, fand er, als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, daß es wirklich solcher Erfahrungen bedurft habe, um einen Menschen von dieser Gattung völlig zur Vernunft zu bringen; ein Vortheil, der, seiner Meinung nach, mit allem was er mir gekostet hatte, nicht zu theuer bezahlt war. Du kannst dir also vorstellen, wie der gute Mann erschrak, da er hörte daß er meine Genesung zu voreilig vorausgesetzt habe, und daß ich, weit entfernt endlich den rechten Talisman gegen alle Zaubereien meines bösen Dämons gefunden zu haben, noch immer der alte Enthusiast sey, der sich nur in den Personen geirrt zu haben glaubte, und im Begriff stand, sich in ein neues [82] Abenteuer zu wagen, wobei, seiner Meinung nach, zehn gegen Eins zu setzen war, daß es keinen fröhlichem Ausgang nehmen würde. Ich hingegen hatte, seitdem das Bild meiner liebenswürdigen Johanniten wieder in mir lebendig geworden war, mich in den Gedanken mit ihnen zu leben schon so tief hinein gearbeitet, daß ich nicht begreifen konnte, wie auch der kaltblütigste aller Menschen einem so natürlichen und vernünftigen Projecte seinen Beifall versagen könne. Es muß daran liegen, dachte ich, daß du bei Erzählung deiner Begebenheiten zu schnell über diese hinweg geeilt bist; der gute Dionysius hat keine Vorstellung davon, was für Engel von Menschen es sind, zu denen mein Herz mich so unwiderstehlich hinzieht. Ich bot also alle meine Malerkunst auf, ihm eine Abschilderung von dieser Familie und von der Glückseligkeit, die mich in ihrem Schooß erwarte, zu machen: aber ich trug meine Farben so dick auf, daß mein Gemälde gerade das Gegentheil dessen, was ich beabsichtete, bei ihm wirken mußte.

»Beinahe, sagte er, sollte ich mir ein Gewissen daraus machen, dich von einem so süßen und so unschuldig scheinenden Wahnsinne zu heilen: aber ich sehe, daß deine Phantasie dein Herz abermal zum Besten hat, und daß du bei diesem neuen Lebensplan um so größere Gefahr läufst, weil es vielleicht nicht so leicht seyn dürfte, dich, wenn die Täuschung vorüber seyn wird, von diesen ehrlichen Seelen wieder loszuwinden, als von den Komödianten und Gauklern, deren Spiel du bisher gewesen bist. Ich sehe diesen Ausgang zu gewiß voraus, um eher von dir abzulassen, bis ich dich überzeugt habe, daß dir, nachdem du einmal glücklich genug gewesen bist den [83] Kopf aus der Schlinge zu ziehen, keine andere Wahl übrig bleibt, als alle Gemeinschaft mit den Christianern aufzuheben.

Dein Unglück, lieber Peregrin, fuhr er fort, war bisher, daß du dich immer blindlings von zwei Führern leiten ließest, die dich nothwendig irre führen mußten. Gefühl und Imagination sind sehr angenehme Gefährten, aber gefährliche Wegweiser durch den Labyrinth des Lebens. Du hast dieß nun schon so oft erfahren, daß es wahrlich hohe Zeit ist, es endlich einmal mit einem Führer zu versuchen, der unmöglich irre führen kann. Lass' also, anstatt einem vielleicht betrüglichen Zuge nachzugeben, die Vernunft entscheiden, was für eine Partei du ergreifen sollst. Die Vernunft, glaube mir lieber Peregrin, die Vernunft ist der gute Dämon des Menschen, und die Eudämonie, nach welcher du strebest, ist die Frucht eines nach ihrer Vorschrift geführten Lebens, oder es gibt gar nichts, das diesen Namen verdient, diesseits des Mondes. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob du, da du dich einmal so tief mit Kerinthus eingelassen, da deine Fähigkeiten und Vorzüge dich zu einem ansehnlichen Posten in seinem unsichtbaren Reiche bestimmten, und die Freundschaft Diokleens (deren Aufrichtigkeit und Wärme zu bezweifeln, du, so viel ich sehe, keinen Grund hattest) dir unfehlbar das Innerste seines Ordens aufgeschlossen und einen unmittelbaren Antheil an den Vortheilen seiner Unternehmung verschafft haben würde, – ob du, sage ich, nicht klüger gethan hättest, bei ihm auszuharren, und ob nicht gerade das, was dich bewog seine Partei zu verlassen, dich zum Gegentheil hätte bestimmen sollen.

Zwar bin ich so überzeugt als du, daß der außerordentliche [84] Mann, nach welchem die Christianer sich nennen und für dessen Jünger sie sich ausgeben, einen ganz andern Plan hatte, als der ist, an welchem Kerinthus arbeitet. Ganz gewiß war das Reich Gottes, welches er ankündigte, und zu welchem er (nachdem ihm seine Absicht bei den Juden, seinen Stamm- und Glaubensgenossen, fehl geschlagen war) alle Menschen eingeladen wissen wollte, nichts weniger als eine politische Universalmonarchie. Alles müßte mich trügen, oder dieses Reich hatte mit der Theokratie oder Hierarchie, an welcher seine vorgeblichen Anhänger im Verborgnen arbeiten, und womit sie über lang oder kurz die erstaunende Welt überraschen werden, nicht mehr gemein, als sein Geist mit dem ihrigen. Er war ein Enthusiast im erhabensten Sinne dieses ehrwürdigen Wortes, welches durch Vermengung mit Schwärmerei, Fanatismus und Magismus so häufig entheiligt wird: aber seine Lehre war zu einfach, sein Sinn zu lauter, die Vollkommenheit, zu welcher er einlud und die er an sich selbst darstellte, zu rein und groß, als daß es sich nur denken ließe, sie könnte jemals das Antheil von Hunderttausenden und Millionen seyn. Was erfolgte also, und was mußte erfolgen? Eines von beiden: entweder seine reine Theosophie mußte, wie die Weisheit und Tugend (zwei nicht weniger profanirte Wörter!) eines Archytas oder Sokrates, sich immer nur, unsichtbarer Weise, unter den Wenigen erhalten und fortpflanzen, die seines Geistes waren; oder, wenn sie sichtbar werden, zu einer Art von Herrschaft über die menschlichen Gemüther gelangen, und irgend eine wichtige Veränderung in der Welt hervorbringen sollte, so mußte sie sich mit den Meinungen und Leidenschaften der [85] Menschen amalgamieren, und in der Hand ehrgeiziger, planvoller und betriebsamer Menschen zu einer neuen Volksreligion, und als solche zum Mittel eines Zwecks, der nicht der Zweck des ersten Stifters war, kurz, zu dem gemacht werden, was der Glaube und die Mysterien der Christianer in den Händen eines Kerinthus und Hegesias sind.

Wie viel Antheil aber auch Regiersucht und Eigennutz an der Unternehmung dieser Männer haben mögen, so ist doch nicht zu läugnen, daß etwas Großes in dem Gedanken ist, die Menschheit zugleich von den Ketten des Aberglaubens und des Despotismus zu befreien, und alle Völker der Erde, durch einen Glauben, der die moralische Natur des Menschen reinigt und veredelt, sie zu Kindern Eines Vaters, zu Mitgenossen gleicher Rechte, zu Erben eben derselben Hoffnung macht, in eine einzige Brüdergemeine zu versammeln. Mag doch diese Idee, in ihrer höchsten Vollkommenheit gedacht, unerreichbar seyn! Aber würden auch Jahrtausende dazu erfordert, um ihr von Stufe zu Stufe näher zu kommen, und müßte gleich das Gute, das für die Menschheit dadurch gewonnen würde, mit tausend vorübergehenden Uebeln erkauft werden: immer bliebe der, der den Grund zu einer solchen Revolution gelegt hätte, ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts. Ich müßte mich sehr irren, oder Kerinthus betrachtet sich selbst in diesem Lichte. Und, wiewohl man den keinen Schwärmer nennen kann, der so künstliche Maschinen mit so viel Klugheit und mit so feinen Handgriffen zu Ausführung eines Werks, wovon er selbst die Seele ist, zu verbinden weiß; wiewohl der Gebrauch wunderbarer Mittel und einer Art von moralischer Magie ihm sogar [86] das Ansehen eines Betrügers geben; so wollte ich doch nicht behaupten, es sey unmöglich, daß er, von der Schönheit und Größe seines Plans begeistert, sich selbst über die Mittel täusche, und alles für recht und gut halte, was zu einem so herrlichen Ziele führe; und dieß um so mehr, je scheinbarer der Gedanke ist, daß durch eine solche Anwendung das, was in einem andern Zusammenhang der Dinge böse seyn würde, insofern als das Gute dadurch befördert wird, sich wirklich in etwas Gutes verwandelt, und also aufhört zu seyn was es war. Ich erinnere mich, von Kerinthus etwas diesem Aehnliches gehört zu haben; und wenn die Alexander und Cäsarn, wie zu vermuthen ist, Augenblicke hatten, wo eine unfreiwillige innere Gewalt sie nöthigte einem Richter in ihrem eigenen Busen Rechenschaft zu geben, so waren es ohne Zweifel Sophismen dieser Art, wodurch sie ihn zu bestechen suchten.«

Wie es aber auch damit beschaffen seyn mag, immer macht es dem Genie des Kerinthus in meinen Augen Ehre, daß er (aller Wahrscheinlichkeit nach) der erste war, der in dem Glauben einer bisher so verachteten Secte das Mittel und Werkzeug fand, die größte aller Revolutionen zu bewirken. Es ist sehr möglich, oder vielmehr es ist sehr wahrscheinlich, daß er mit seiner Unternehmung scheitern wird. Er betreibt sie zu lebhaft, und, als einer der die Früchte seiner Arbeit selbst genießen möchte, zu eilfertig; die Welt ist zu einer so großen Katastrophe noch nicht reif. Aber ich bin gewiß, wenn auch Kerinthus unterliegt, das von ihm angefangene Werk wird von andern Händen im Verborgenen fortgeführt: und vielleicht in weniger als zweihundert Jahren werden unsre Nachkommen erstaunen, eine [87] in ihren Anfängen so unscheinbare und nichts geachtete Verbrüderung auf einmal ihr Haupt erheben, die alte Religion und Verfassung verschwinden, und die Theokratie des Kerinthus, vielleicht unter einem andern Namen und mit einer andern Außenseite, aber ihrem Geist und ihren Grundsätzen nach eben dieselbe, der Welt Gesetze geben zu sehen. Ob diese sich viel besser dabei befinden wird, will ich dahin gestellt seyn lassen. Ich meines Orts gestehe, daß ich kein Freund von den Theokratien bin, in welchen man die Gottheit die Rolle eines morgenländischen Schachs spielen läßt, während Menschen, unter dem Namen seiner Satrapen und Wessire, sich seiner Allgewalt so wohl oder so übel bedienen, als es ihre Fähigkeiten, Leidenschaften, Schwachheiten und Laster erlauben oder fordern.

»Ich weiß nur von Einer Theokratie, gegen welche keine Einwendung zu machen ist, weil sie weder Unrecht haben noch von irgend einer Macht aufgehalten werden kann; in welcher wir alle unsere Rolle spielen, ohne weder den Plan noch den Ausgang des Stücks zu kennen; in deren Plan alles, was ist und lebt, eingeflochten ist, alles von unbekannten Ursachen zu unbekannten Zwecken in ewiger Bewegung erhalten wird, alles zugleich Mittel und Zweck, Ursache und Wirkung ist, und der erste Beweger von allem ewig unsichtbar hinter der Scene bleibt.

In dieser Theokratie, mein lieber Peregrin, bin ich was ich bin, wirke was ich kann, und leide was ich muß: von allen andern Autokratien, Demokratien, Aristokratien und Theokratien halte ich mich so fern als möglich. Ich verachte mich selbst nicht so sehr, daß ich von der Willkür eines andern abhangen [88] möchte, so lang' es in der meinigen steht frei zu seyn: aber ich bin auch nicht stolz oder eitel genug, um über meines gleichen herrschen zu wollen.

Aufrichtig zu reden, ist bei einer solchen Sinnesart gewöhnlich eine gute Portion Trägheit und Liebe zum seligen Leben der Götter im Himmel, dem goldnen Müßiggang; eine Liebhaberei, wovon ich mich selbst nicht frei sprechen will, und woraus du dir leicht erklären kannst, warum ich keine Lust hatte, mich mit dem hoch strebenden Kerinthus auf das gefahrvolle Meer weit aussehender, mühsamer, und vielleicht undenkbarer Abenteuer einzuschiffen.

Du, Peregrin, hast keine Entschuldigungen dieser Art: aber, wie geschickt du dich auch während deiner Verbindung mit Kerinthus und Hegesias gezeigt hast, in ihrem Operationsplan eine der thätigsten Rollen zu spielen, so begreife ich doch, wie dir durch die Entdeckung, daß, was du für Ernst hieltest, nur Spiel sey, die Lust dazu vergehen konnte. Aber, o mein Freund! du, dem es so innig zuwider ist andere zu betrügen oder von andern betrogen zu werden, warum wolltest du dich von neuem in Gefahr begeben, der Betrogne eines magischen Gauklers zu seyn, der in deinem eignen Busen sitzt? Die Farben, womit er dir die Seligkeit vormalt, die im Schooße der vermeintlichen Engel auf dem Meierhofe bei Pitane deiner warten soll, sind Zauberfarben; das Licht, worin du diese guten Menschen siehst, ist Zauberlicht. Eine Zeit lang würdest du dich in das Paradies der Morgenländer versetzt glauben, und unter deinen Idealen von Unschuld und Liebe in den seligsten Gefühlen zerfließen. Aber sobald Zeit und Gewohnheit [89] die erste Blüthe des Genusses abgestreift hätte, würden diese Engel unvermerkt zu armen, einfältigen Menschen herabsinken, mit denen du, außer einiger Gleichförmigkeit in Gesinnungen des Herzens, wenig oder nichts gemein haben könntest. Du bist von Jugend an gewohnt mit Personen von gebildetem Geiste zu leben, bist selbst viel zu sehr entwickelt, als daß du es, bei einer wenig oder bloß mechanisch beschäftigten Lebensart, unter so schlichten und einförmigen Landleuten in die Länge aushalten könntest. Ihr Unvermögen, das wirklich für dich zu seyn, was dir deine Phantasie in ihrem Namen versprach, würde dich zuletzt übellaunig machen: und wäre es einmal dahin gekommen, so würde nicht nur das, was du an ihnen liebst, viel von seinem Werth und Reitz verlieren; es würden auch Unvollkommenheiten zum Vorschein kommen, die du ehemals nicht gesehen hattest, und die nun in deiner umgestimmten Einbildung (eben so gewiß wie ehemals das Schöne und Gute) größer erscheinen würden als sie sind. Was die natürliche Folge von diesem allen seyn müßte, brauche ich dir nicht zu sagen: aber ob es dann so leicht, oder nicht wohl gar unmöglich seyn dürfte, die Verbindungen, welche du in der ersten Schwärmerei des Herzens mit diesen guten Leuten eingegangen wärest, wieder aufzuheben, ist eine Frage, deren Beantwortung du nicht auf den Erfolg ankommen lassen darfst. Wenn also mein Rath etwas über dich vermöchte, so folgtest du meinem Beispiel, und brächest, nachdem du dich doch einmal durch einen Sprung aus dem Fenster von dem Propheten Kerinthus losgemacht hast, alle fernere Gemeinschaft mit den Christianern ab. Das was du suchest, lieber Peregrin, ist weder hier noch dort,[90] weder bei dieser noch bei jener Partei oder Secte: es ist in dir selbst oder es ist nirgends.«

Verzeihe, Freund Lucian, wenn ich vielleicht in Anführung dieser Rede meines klugen und wohlmeinenden Wirthes zu weitläufig gewesen bin, wiewohl ich nur das Wesentlichste, dessen ich mich erinnere, ausgezogen habe. Aber ich hielt es für nöthig, weil diese Vorstellungen, und die Gewalt, die sein Geist unvermerkt über den meinigen erhielt, in den acht Tagen, welche ich bei ihm zubrachte, eine Veränderung in mir bewirkten, die in der Geschichte meines Lebens Epoche macht. Denn es gelang ihm nicht nur, mir das neue Project, worauf sich meine Phantasie geworfen hatte, gänzlich auszureden; sondern er war es auch, der die Entschließung in mir veranlaßte, sobald ich meine häuslichen Angelegenheiten zu Parium ins Reine gebracht haben würde, zu dem weisen Agathobulus nach Aegypten zu reisen, und in vertrauterem Umgang mit diesem Manne (welchen er mir als einen sehr vortrefflichen Menschen und als das Muster eines ächten Cynikers beschrieb) mich in der einzigen Lebensweise vollkommen zu machen, wobei ich, vermöge der Selbstkenntniß wozu mir die Erfahrung verholfen hatte, glücklich zu seyn hoffen konnte.

»Wärest du, sagte mir Dionysius kurz zuvor ehe wir von einander schieden, wärest du ein weniger ungewöhnlicher Mensch, Peregrin, so würde ich dir vorgeschlagen haben, ob du nicht bei mir zu Lindus bleiben, und an dem kleinen Handel, womit ich mich (um nicht ganz müßig zu gehen) beschäftige, Antheil nehmen wollest. Aber du bist nun einmal [91] nicht dazu gemacht, auf irgend einem gebahnten Wege durchs Leben zu ziehen, und es wäre vergeblich, zu erwarten daß du hierin jemals deine Natur ändern werdest. Ich sehe zwei Grundzüge in deinem Charakter, die dich unvermeidlich bestimmen, so lange du lebst, und viel leicht (setzte er lachend hinzu) in deinem Tode selbst, außerordentlich zu seyn. Du strebest nach einem Lebensgenuß, den nur innere Vollkommenheit geben kann; und wiewohl du, durch den Zauber einer unaufhörlich geschäftigen Einbildungskraft, dein bisheriges Leben in lauter Verblendung und Täuschung zugebracht hast, so kenne ich doch wenige, und vielleicht niemand, der die Wahrheit so leidenschaftlich liebt wie du, und für den es ein größeres Bedürfniß wäre, sich in ihrem Besitz zu glauben. Für einen solchen Menschen ist meines Erachtens nur Ein Mittel sich zu retten. Er muß sich von allen Banden der bürgerlichen Gesellschaft sowohl als von allen besondern Verbindungen gänzlich loswickeln, und, um allenthalben, immer und im höchst möglichen Grade unabhängig zu seyn, sich schlechterdings auf die unentbehrlichsten Bedürfnisse des Körpers einschränken, und gegen allen äußerlichen Reiz von Vergnügen und Schmerz, so wie gegen die Urtheile der Menschen, ihren Beifall oder Tadel, ihre Verehrung oder Verachtung, gleichgültig zu werden suchen. Auf diesem Wege wird er unfehlbar mit allem, was lebt und ist, in das reinste Verhältniß kommen, und, frei von Wahn und Leidenschaft, in ungestörtem Selbstgenuß und unumschränktem Wohlwollen, sich selbst in allem und alles in sich selbst fühlend, der göttlichen Natur so gleichförmig werden, als [92] die menschliche dessen fähig ist. Es steht mir wohl nicht zu, dich zu einer Lebensweise aufzumuntern, zu welcher ich selbst weder Lust noch Fähigkeit habe: aber, wenn dich die Schwierigkeiten des Weges, worauf es deines gleichen vielleicht zu dieser Vollkommenheit bringen können, nicht abschrecken, so bin ich versichert, daß es das Vernünftigste ist, was du in deiner Lage und mit einer Sinnesart, wie die deinige, unternehmen kannst.«

Wie du siehest, Lucian, war es weder mehr noch weniger als das Ideal, das du in deinem Cyniker aufgestellt hast, was, nach der Meinung meines Freundes Dionysius, die wahre Bestimmung des ehemaligen Günstlings der Mamilien und Diokleen seyn sollte. Seltsam genug! aber vielleicht noch seltsamer, daß dem Günstling der Mamilien und Diokleen nichts einfacher und einleuchtender schien als dieser Gedanke. Er schmiegte sich so schön an meine eigensten und innigsten Lieblingsideen an, paßte so gut zu meinen Umständen, und die Ausführung war so ganz in meiner Gewalt! – Ueberdieß schien mir dieser reine, hohe Cynismus von dem ursprünglichen Institut der Christianer so wenig in irgend einem wesentlichen Punkte verschieden zu seyn, daß er, auch in dieser Rücksicht, die einzige Partei war, die ich, ohne meinem Gefühl zu widerstreben, ergreifen konnte. Denn wiewohl mich Dionysius, in einer besondern Unterredung über die Person des Stifters jenes Instituts, von seiner Meinung zu überreden suchte, daß er (abgezogen, was vernünftigerweise nur als poetische Auschmückung seiner Geschichte zu betrachten sey) mit allen andern[93] eminenten Weisen, deren beinahe jedes namhafte Volk in der Welt sich wenigstens Eines rühmen könne, in eben dieselbige Linie zu stellen sey: so war doch etwas in seinem individuellen Charakter, das er mir vor allen übrigen voraus zu haben schien, und das mir durch die Anhänglichkeit, die ich selbst für ihn empfand, – ich, der ihn weder gesehen noch gehört hatte, die unbeschreibliche Liebe begreiflich machte, womit diejenigen, die mit ihm gelebt hatten, bis an ihren Tod an ihm hingen. Du siehest also, Freund Lucian, daß der Cynismus, zu welchem ich von diesem Augenblick an so leicht überging als man einen Rock mit einem andern vertauscht, im Grunde eine ziemlich christianische Miene hatte; und ich möchte nicht dafür stehen, daß es nicht abermals ein unversehener Streich meiner Einbildungskraft war, die Sokraten, Diogenen und Epikteten mit einem so schönen Ideal zu gruppiren, und durch das Licht, das von ihm auf sie zurückfiel, sie desto würdiger zu machen, von dieser Zeit an meine Helden zu seyn.


Lucian.


Du bedarfst bei mir keiner Entschuldigung deiner Apostasie, Peregrin; aber ich begreife, daß du damals einiger Entschuldigung bei dir selbst nöthig haben konntest.


Peregrin.


Weniger als du glaubst. Denn in der That ward ich durch diesen Uebergang zu einem Cynismus, worin ich aller Wahrscheinlichkeit nach das einzige Exemplar in der Welt war, keiner meiner vorigen Gesinnungen ungetreu; und, die gnostische Geisterlehre des Kerinthus ausgenommen, blieb in [94] meinem innern Mikrokosmos alles wie es war. Aber auch jene Träumereien waren schon lange zuvor, ohne eine Spur in meinem Kopfe zurück zu lassen, in dem nämlichen Augenblicke verschwunden, da ich erfuhr, daß mein Prophet derselbe Mann sey, der vor einigen Jahren mit einer Bande Isispriester in der Welt herumgezogen war. Alles, was sich also (wenn ich anders eine Stimme über mich selbst habe) von der Sache mit Wahrheit sagen läßt, ist dieß: daß mein Christianismus das reinigende Mittel war, durch welches ich gehen mußte, um des hohen Cynismus fähig zu werden, zu welchem ich mich von dieser Epoche an eben so warm und aufrichtig, wie vormals zu meinen magischen, erotischen und theosophischen Schwärmereien, bis zu meinem letzten Augenblick bekannte.

Dionysius, der zu Mitylene Geschäfte hatte, begleitete mich bis dahin. Wir schieden als Freunde, die sich wiederzusehen hofften; und diese Hoffnung wurde in der Folge mehr als Einmal erfüllt.

Wie ich nach Parium zurückkam, fand ich überall eine sehr kalte Aufnahme. Ich erklärte mir die Sache anfangs als etwas ganz Natürliches, aus der Verachtung, welche die Einwohner einer Handelsstadt gegen einen Mitbürger fühlen mußten, der ein großes Vermögen, in einer Zeit, worin der geringste von ihnen es duplirt und tripliert haben würde, so heilloserweise durchgebracht hatte. Aber es fand sich bald, daß mein Credit in Parium noch viel schlimmer war als ich mir einbildete. Meine Verwandten, deren Erbitterung gegen [95] mich durch den Ausgang ihrer zu Antiochien angebrachten Klage auf den höchsten Grad gestiegen war, hatten unter der Hand, durch allerlei heimliche Kunstgriffe, unter das Volk gebracht: man habe Anzeigen, daß es mit dem plötzlichen Tode meines Vaters nicht richtig zugegangen sey. Bald darauf hieß es: man sey der Sache näher auf die Spur gekommen; man sprach von einem Sklaven, den ich vor meiner Entfernung von Parium frei gelassen, und der bald darauf verschwunden war. Endlich flüsterte man einander in die Ohren: es wäre leider nur zu gewiß, daß Peregrin selbst der Thäter sey. Unvermerkt wurde davon als von einer ausgemachten Sache gesprochen, wovon die Familie die Beweise in den Händen hätte; und man nannte schon einen Tag, da die Klage gegen mich öffentlich angebracht werden sollte. Jetzt wollte jedermann so klug gewesen seyn, etwas von der Sache geahndet zu haben; jedermann hatte, als mein Vater todt war und begraben wurde, und bei Eröffnung des Testaments, und bei zwanzig andern Gelegenheiten irgend einen verdächtigen Umstand wahrgenommen; und nun klärte sich's auf, warum ich ohne irgend eine begreifliche Ursache mich selbst aus Parium verbannt hatte, und als ein von den Furien hin und her getriebener Vatermörder in der Welt herumgeirret war.

Als mir diese Gerüchte endlich zu Ohren kamen, errieth ich, ohne ein Oedipus zu seyn, sehr leicht, aus welcher Quelle sie geflossen, und was meine Intestaterben damit zu gewinnen hofften. Sie wußten sehr wohl, daß sie nicht beweisen konnten was nicht geschehen war: aber sie kannten die [96] Wirksamkeit dreister Verleumdung bei einem ohnehin schon gegen mich eingenommenen Volke, und sie glaubten auch mich zu kennen. Kurz, sie zweifelten nicht, ich würde aus Verdruß und Unwillen über eine so wenig verschuldete Aufnahme bald wieder davon gehen, und sie dadurch berechtigen, zu sagen: die Furcht vor der Anklage und vor der Strafe, welcher ich nicht anders hätte entgehen können, habe mich zur Flucht getrieben. Sie würden dann (wie sehr wahrscheinlich zu vermuthen war) dem Abwesenden wirklich den Proceß gemacht, und, da sie in Parium einen großen Anhang hatten, meine ewige Landesverweisung und die Einziehung meines noch übrigen Vermögens ohne Mühe ausgewirkt haben.

Ich hatte diesen geheimen Anschlag kaum errathen, als mir plötzlich ein Mittel, ihn auf einmal zu Wasser zu machen, einfiel, welches, so einfach es auch in meinen Augen war, schwerlich einem andern Parianer an meinem Platze in den Sinn gekommen wäre. Ich erschien bei der ersten öffentlichen Volksversammlung im ganzen Costume eines Cynikers, bestieg den Redestuhl, und hielt eine Anrede an meine Mitbürger, worin ich ihnen mit Wenigem von meiner zweimaligen langen Abwesenheit Rechenschaft gab, und, nach einer öffentlichen Profession meiner Grundsätze und des Plans meines künftigen Lebens erklärte: da ich künftig nur sehr wenig bedürfen und Parium ungesäumt verlassen würde, um zu dem weisen Agathobulus nach Alexandrien zu reisen, so glaubte ich von meinem väterlichen Hause und von dem Landgute meines Großvaters keinen edlern Gebrauch machen zu können, als indem ich, wie hiermit geschehe, meinen geliebten Mitbürgern, dem Volke [97] von Parium, eine mündliche und in gehöriger Form schriftlich beurkundete Schenkung davon machte.

Die Wirkung, welche diese Handlung auf die untern Volksclassen that, denen nach meiner Verordnung die Einkünfte jener Grundstücke vornehmlich zu gut kommen sollten, hat dein Ungenannter (der sich in allen unbedeutenden Dingen immer genau an die Wahrheit hält) so richtig beschrieben, daß ich nichts weiter davon zu sagen brauche. Ich war nun auf einmal an meinen Verwandten gerochen, und bei meinen Mitbürgern gerechtfertigt. Aber während die Lüfte von Lobpreisungen und Segnungen des edeln, großmüthigen und weisen Peregrinus erschallten, schlich ich mich aus dem Getümmel fort, und verließ Parium mit den Empfindungen, die seine Einwohner werth waren, auf immer.

Ein kleiner Meierhof in Bithynien, und einige böse Schuldforderungen aus der väterlichen Verlassenschaft, welche ich noch in Taurien einzutreiben hatte, wenn ich die Reisekosten daran wagen wollte, machten nun den ganzen Rest meines ehemaligen Vermögens aus. Das Gütchen warf etwas über vierhundert Drachmen jährlich ab. Ich machte also den Ueberschlag, daß mein Einkommen, insofern meine tägliche Ausgabe die Summe von vier Obolen 10 nicht überstiege, zu den unentbehrlichsten Bedürfnissen meines thierischen Theils hinreichen würde, und damit hielt ich mich für reich genug. Hatte Sokrates jemals mehr, oder Antisthenes und Diogenes nur so viel gehabt? Nur der Schmutz – mit deiner Erlaubniß, Lucian –


[98] Lucian (lachend).


Was für ein Gedächtniß du hast, Peregrin! Wie? du erinnerst dich noch der ziemlich schmutzigen Tunica, worin ich dich in meiner Erzählung vor dem Scheiterhaufen paradiren ließ?


Peregrin.


Wäre sie zufälliger Weise (wie es sich doch auch hätte fügen können) just schneeweiß gewesen, so würdest du es mir, in der Laune worin du damals warst, zur Hoffart ausgedeutet haben. – Der Schmutz also – war das einzige, worüber ich mit dem Cynismus capitulierte; ich wollte, im Nothfall, lieber thierischer essen, um etwas menschlicher gekleidet zu seyn. Ich machte mir also zum Gesetz, das Wasser nicht zu sparen, da ich es doch beinahe überall, so gut als die freie Luft, umsonst haben konnte. Indessen gestehe ich gern ein, daß ich keinen Anspruch an den Titel eines eleganten Cynikers machte. Ich vertauschte nun den Namen Peregrinus, den ich unter den Christianern geführt hatte, wieder mit dem Namen meines Großvaters Proteus, und schickte mich zu meiner Reise nach Aegypten an, über welcher, da ich sie zu Fuße machte, und überall, wo die Natur meinem Geiste oder gute Menschen meinem Herzen Nahrung gaben, verweilte, beinahe ein ganzes Jahr verstrich.

Aber, ehe ich zu meinem Aufenthalt bei Agathobulus komme, muß ich noch mit zwei Worten berichtigen, was der Ungenannte zu Elis von dem vergeblichen und schimpflichen Processe sagt, den ich mit den Parianern wegen der bewußten Schenkung vor dem Kaiser geführt haben sollte. Es ist, wie [99] an allen seinen Anekdoten, etwas Wahres auch an dieser, aber mit so viel Unwahrheit vermischt, als er nöthig hatte, damit eine an sich sehr unschuldige Handlung mich bei seinen Zuhörern zugleich lächerlich und verächtlich machen müßte. Die Sache verhielt sich so.

Es waren einige Jahre verstrichen, ehe meine Verwandten zu Parium erfuhren, daß ich das vorerwähnte kleine Gütchen in Bithynien, woraus ich meinen nothdürftigen Unterhalt zog, aus dem allgemeinen Schiffbruche meines Vermögens gerettet hätte. Der Streich, den ich ihrer Bosheit durch die mehr erwähnte Schenkung gespielt hatte, war zu empfindlich, als daß sie nicht jede Gelegenheit, sich deßwegen zu rächen, mit Begierde hätten ergreifen sollen. Sie zeigten also die gemachte Entdeckung dem Volk an, und behaupteten: da ich mir in der Schenkung, die ich der Stadt Parium von meinen noch übrigen liegenden Gründen gemacht, nichts ausdrücklich vorbehalten hätte; so wäre unstreitig auch der Bithynische Meierhof darunter begriffen, und die Stadt wäre nicht nur vollkommen berechtiget denselben als ihr Eigenthum anzusprechen, sondern auch den Ersatz der seit mehrern Jahren von mir bezogenen Nutznießung zurückzufordern. Die Parianer ließen sich dieß wohlgefallen, und fanden bei dem Statthalter von Bithynien so gutes Gehör, daß sie ohne weitere Untersuchung in augenblicklichen Besitz gesetzt wurden. Ich befand mich damals noch zu Alexandrien, und erfuhr diesen Vorgang nicht eher als durch das Ausbleiben meines kleinen Einkommens, welches mir jährlich durch die Vermittelung eines alten Freundes zu Smyrna (eines ehemaligen Freigelassnen meines Vaters) [100] zugeflossen war. Die Verlegenheiten, in welche ich dadurch gesetzt wurde, nöthigten mich an die Parianer zu schreiben, und ihnen mit allem nur möglichen Glimpf vorzustellen: wenn ich mich auch in der Schenkungsurkunde unvorsichtiger Weise so ausgedrückt hätte, daß sie meinen eignen Buchstaben gegen mich geltend machen könnten; so forderte doch die Billigkeit von ihnen zu bedenken, daß es unmöglich meine Meinung habe seyn können, mich selbst zu ihrem Vortheil sogar des Unentbehrlichsten, was ich zum Leben nöthig hätte, zu berauben. Weil aber diese Vorstellungen ohne Wirkung blieben, wandte sich mein Smyrnischer Freund, wiewohl er keinen Auftrag dazu von mir hatte, aus bloßem Mitleiden in meinem Namen unmittelbar an den Kaiser: aber alles was er auch bei diesem mit vielem Bitten und Betreiben ausrichtete, war, daß das strenge Recht den Sieg erhielt, und Supplicant mit seinem unstatthaften Begehren zur Ruhe verwiesen wurde.

Dieser Handel brachte mich dahin, meine tägliche Ausgabe vor der Hand von vier Obolen auf zwei zu beschränken; bis es bald genug so weit mit mir kam, daß ich mich, um meinen Unterhalt von niemand als eine Wohlthat zu erbetteln, entschließen mußte, täglich in den Hafen herabzusteigen, und durch einige Stunden harter Arbeit so viel zu verdienen, daß ich dem Hunger wehren konnte. Ich hatte diese Lebensart bereits eine geraume Zeit, zu großem Vortheil meiner Gesundheit, getrieben, als ein ganz unvermutheter Zufall mich mit einem Cyprischen Kaufmanne zusammenbrachte, welchem ich vor mehr als zehen Jahren, in einer Verlegenheit, worein er, an einem Orte wo ihn niemand kannte, gerathen [101] war, auf die bloße Bürgschaft seiner Physiognomie, oder vielmehr ohne jemals auf Wiedererstattung zu rechnen, fünftausend Drachmen geliehen hatte. Wiewohl dieß keine erhebliche Summe war, so war doch der Dienst, den ich dem Cyprier dadurch leistete, damals von der äußersten Wichtigkeit für ihn; und da ich darauf bestand, ihm meinen Namen zu verbergen, so bestand er nicht weniger hartnäckig darauf, daß ich ihm versprechen mußte, wenn er jemals so glücklich wäre mich wiederzufinden, so wollte ich mich nicht weigern das Doppelte von ihm anzunehmen. Wie wenig ließ ich mir damals einfallen, daß ich diesen Mann in meinem Leben wiedersehen würde! Und nun liefen wir einander, nach eilf oder zwölf Jahren, unverhofft am Ufer von Alexandrien in die Hände, und glücklicherweise mußte es sich fügen, daß die Physiognomie des Cypriers die Wahrheit gesagt hatte. Seine Hände, mich wiederzufinden war so groß, als ob er alle sechs Zauberringe deines Timolaus 11 auf einmal gefunden hätte; aber sein Erstaunen war es nicht weniger, mich in Umständen zu sehen, worin mancher andere sich erlaubt hätte, einen ehemaligen Wohlthäter nicht wieder zu erkennen. Der Cyprier verkannte mich nicht. Er sagte mir, er wäre ein sehr reicher Mann; aber die Hälfte seines Vermögens würde nicht hinreichend seyn, ihn seiner Verbindlichkeit gegen mich zu entbinden: – kurz, er nöthigte mich auf die edelste Art, nun auch an meiner Seite die Bedingung, unter welcher er meine Wohlthat angenommen, zu erfüllen, und die Summe, die ihn gerettet hatte, doppelt von ihm zurückzunehmen. Ueberdieß sagte er mir auch seinen Namen und den Ort seines [102] gewöhnlichen Aufenthalts, und drang mir das Versprechen ab, wenn ich mich jemals wieder in Noth befände, ihm vor allen andern Freunden, die ich haben könnte, den Vorzug zu gönnen. Ich sagte es ihm zu, machte aber nie Gebrauch davon. Mit zehntausend Drachmen war ich nun, für einen cynischen Philosophen, ein Crösus. Ich überrechnete, wie weit ich damit reichen würde , wenn ich meine tägliche Ausgabe auf vier bis fünf Obolen festsetzte; und da ich nicht gesonnen war länger als bis zum sechzigsten Jahre zu leben, so fand sich, daß ich ohne irgend einen außerordentlichen Zufall meinen wackern Cyprier nicht weiter nöthig haben würde.

Der weise Agathobulus, dessen Ruf mich nach Alexandrien zog, erfüllte zwar die Vorstellung nicht ganz, die ich mir auf das Wort meines Freundes Dionysius von ihm gemacht hatte: und daran waren beide allerdings gleich unschuldig; denn welcher Sterbliche hätte einer Einbildungskraft wie die meinige ein Genüge thun können? Indessen war er doch unter den Lehrern der damaligen Alexandrinischen Schule der einzige, der mir einige Anhänglichkeit an seine Person einflößte. Agathobulus ist mit gleich wenigem Rechte bald unter die Epikuräer, bald unter die Cyniker gezählt worden; denn er war im Grunde keiner Secte zugethan. Er schien das Ideal des Weisen, welches er sich selbst zum Kanon vorsetzte, aus dem, was ihm an mehrern Einzelnen das Schönste dünkte, wie Zeuxis seine Helena, zusammengesetzt zu haben; und, wenn er ja mit einem von den Alten verglichen werden müßte, so hätte man ihn einen Aristipp in Gestalt eines Stoikers nennen [103] können. So wie man ehemals von Sokrates sagte, daß er die Philosophie vom Himmel herabgerufen, und sie mit den Menschen umzugehen und an den mannichfaltigen Verhältnissen ihres häuslichen und bürgerlichen Lebens Antheil zu nehmen gelehrt habe: so konnte man von Agathobulus sagen, er habe die Lebensweisheit des Diogenes in die gute Gesellschaft eingeführt, und, indem er die Strenge ihrer Maximen auf eine ihm eigene Art mit Urbanität und Grazie zu mildern wußte, Wahrheiten und Tugenden, welche sich gewöhnlich in den Cirkeln der Glücksgünstlinge weder hören noch sehen lassen können ohne überlästig oder lächerlich zu seyn, selbst dieser am meisten verfeinerten, und eben darum verderbtesten Classe von Menschen ehrwürdig oder wenigstens erträglich gemacht. Da er ohne Leidenschaften war, und sich von Jugend an der strengsten Ausübung der stoischen und cynischen Grundsätze ohne Mühe unterworfen hatte, so war es ihm ein Leichtes geworden, seine Sitten unter den Weltleuten rein zu erhalten. Er stand von der üppigsten Tafel eines Römischen Ritters so nüchtern auf als von einem Sokratischen Mahle, und die reizendste Gaditanische Tänzerin ließ seine Sinne so ruhig als eine sechzigjährige Vestalin. Kurz, Agathobulus lebte die Weisheit die er lehrte, weil sie ihm eben so leicht auszuüben war als das Athemhohlen und Verdauen einem gesunden Menschen; und eben diese Leichtigkeit, die von der prunkvolle Gravität und steifen Pedanterie seiner meisten Professionsverwandten so stark abstach, war die Ursache, warum die vornehmsten Römer und Griechen zu Alexandrien sich in die Wette beeiferten, ihn zum Tischgesellschafter zu haben. Wie die Eitelkeit[104] der Menschen aus allem, sogar aus dem, was ihr zur Beschämung dienen sollte, Nahrung zu ziehen weiß, so schienen besonders die Römischen Magnaten, die in dieser Hauptstadt Aegyptens sehr zahlreich waren, ihre Toleranz gegen manche an sich selbst unangenehme Wahrheiten, welche sie bei Gelegenheit von dem Philosophen hören mußten, sich selbst zu keinem geringen Verdienst anzurechnen; aber sie glaubten auch dadurch das Aeußerste gethan zu haben, was sich von ihres gleichen erwarten lasse, und hielten sich durch diese Duldsamkeit ihrer an lauter Schmeichelei und Beifall gewöhnten Ohren aller Verbindlichkeit überhoben, in ihren Urtheilen oder Handlungen auf besagte Wahrheiten die mindeste Rücksicht zu nehmen. Der gute Agathobulus, wenn seine Gefälligkeit gegen die Großen anders so uneigennützig war als sie es in der That zu seyn schien, verfehlte also seines Zwecks gerade durch das, was er für das einzige Mittel hielt dieser Classe von Menschen beizukommen. Man ließ ihm seine Philosophie hingehen, weil der Witz und die Laune, womit er sie würzte, seine Grillenfängerei (wie sie es nannten) unterhaltend machte; aber um aller Wahrheiten willen, die er ihnen täglich und oft mit großer Freimüthigkeit predigte, geschah nicht eine einzige Thorheit, Ungerechtigkeit und Schelmerei weniger in Alexandrien.

Die zweideutige Figur, welche Agathobulus unter diesen Umständen machte, bestärkte mich nicht wenig in dem Gedanken, daß die Philosophie, wenn sie unter so verdorbnen Menschen, als unsre Zeitgenossen waren, wenigstens ihre eigne Würde behaupten wolle, anstatt das Geringste von der Strenge und Austerität der Heroen des cynischen Ordens nachzulassen, sie [105] vielmehr, wo möglich, noch weiter treiben, und den bloßen Gedanken verschmähen müsse, den Schleier der Grazien oder den Gürtel der Venus zu entlehnen, um sich zu einer gefälligen Gesellschafterin dieser Menschen zu machen, deren strenge Richterin und unerbittliche Zuchtmeisterin zu seyn sie berufen sey. Solche Betrachtungen konnten in einem Menschen meiner Art nicht lange müßig liegen. Die Erfahrungen, durch welche ich in der ersten Hälfte meines Lebens gegangen war, hatten mein Gemüth zu einer Art von Misanthropie gestimmt, deren in der That nur solche Menschen fähig sind, die, indem sie einem jeden mit Liebe, Zutrauen und Wohlwollen entgegen kamen, entweder allenthalben abgewiesen und zurückgestoßen wurden, oder, so oft sie sich den lockendsten Einladungen der Sympathie, den verführendsten Anscheinungen von Aufrichtigkeit und Wahrheit überließen, sich am Ende so grausam getäuscht und betrogen sahen, wie dieß in den wichtigsten Verbindungen meines vergangnen Lebens mein Fall gewesen war. Ich glaubte die Menschen zu hassen; aber im Grunde war es doch nur der Antheil den ich an ihnen nahm, war es doch nur die Liebe zur Menschheit, was mich zum Entschluß brachte, im ganzen Rest meines Lebens einen Weg einzuschlagen, der, anstatt mich für alles was ich von den Menschen gelitten hatte zu rächen, zu nichts führen konnte als mich selbst, ohne Gewinn für mich oder andere, zum Gegenstand ihres Hasses zu machen. Denn wo anders hin hätte mich die Entschließung führen sollen, mit freiwilliger Uebernahme alles Ungemachs, das daraus erfolgen könnte, den herrschenden Maximen und Sitten meiner Zeit offene Fehde anzukündigen, und alle meine Reden [106] und Handlungen zu einer immer währenden lebendigen Satyre auf die Thorheiten und Laster der Menschen um mich her, und vornehmlich auf diejenigen zu machen, denen alle übrigen zu gefallen und zu schmeicheln beflissen waren?


Lucian.


In der That ist die heroische Entschließung, sein Leben in einem unaufhörlichen Kriege mit den Thorheiten und Lastern, oder, was noch gefährlicher ist, mit den Narren und Schelmen seines Zeitalters zuzubringen, kein sonderliches Mittel sich beliebt zu machen, und ich könnte dir davon ein Lied aus eigener Erfahrung singen. Indessen kommt es auch hierin, wie in allen Dingen, auf ein wenig mehr oder minder, und vornehmlich auf die Sinnesart und innere Stimmung desjenigen an, der sich dieser gefährlichen Profession widmet. Ich gebe zu, daß es Fälle gibt, wo die wärmste Liebe zur Menschheit in eine Art von Abscheu vor den Menschen, die uns umgeben, umschlagen kann. Aber ich zweifle sehr, ob dieß so leicht ohne Beimischung irgend einer sauren Leidenschaft von der eigennützigen Art geschehe; und bei genauerer Untersuchung wird sich wohl meistens finden, daß es gekränkte Eigenliebe, nicht Liebe zur Menschheit ist, was diejenigen, die in der Jugend immer mit Uebermaß liebten, im Alter zu Misanthropen macht. Ich glaube dir nicht Unrecht zu thun, Freund Peregrin, wenn ich annehme, daß es auch dir so ergangen sey, und daß an dem Heldenmuthe, womit du die Thorheiten und Laster deiner Zeitgenossen bekämpftest, ein wenig Bitterkeit und versteckte Rachbegierde Antheil gehabt habe. Doch gestehe ich gern, daß ich mir an einem zu Selbsttäuschungen so außerordentlich [107] aufgelegten Sterblichen, auch ohnedieß, sehr gut erklären kann, wie der bloße Gedanke, allein gegen das ganze Menschengeschlecht zu stehen, und, als ein neuer moralischer Hercules, sich durch Bekämpfung der sittlichen Ungeheuer, von denen du die Welt verwüstet und geängstiget sahest, den Weg zu den Göttern zu eröffnen, wie dieser Gedanke den Mann, dem bereits zwei große Versuche, sich über die gewöhnliche Menschheit emporzuschwingen, so übel mißlungen waren, zum irrenden Ritter der cynischen Tugend machen konnte.


Peregrin.


Ich habe mich dir nun einmal Preis gegeben, Lucian, und nach allen Bekenntnissen, die ich bereits abgelegt, würde eine Apologie für die, so ich noch zu thun habe, sehr überflüssig seyn. Warum sollte ich dir also nicht unverhohlen gestehen, daß die seltsame Idee – oder Grille (wenn du sie lieber so nennen willst), die sich meiner Imagination von früher Jugend an bemächtigt hatte und durch meine Verbindung mit den Christianern nur anders gestaltet, nicht verdrängt worden war, die Einbildung, oder, wie ich in ganzem Ernste glaubte, das innige Bewußtseyn meiner dämonischen Natur (welches mich unter keinen Umständen gänzlich verlassen, und dann, wenn ich mich am tiefsten niedergedrückt fühlte, immer am stärksten empor gehoben hatte), um diese Zeit wieder mit neuer Lebhaftigkeit erwachte; daß ich mich kraft derselben wirklich berufen fühlte, in einem geistigen und moralischen Sinne meinem Zeitalter das zu seyn, was der Thebanische Hercules dem seinigen gewesen war, und daß dieß von nun an die herrschende Vorstellung ward, die mich durch mein übriges [108] Leben führte, und mich zuletzt mit dem Gedanken begeisterte, es auf Herculische Art zu Olympia in den Flammen zu endigen?

Ein so hoher Beruf schien mir eine ganz besondere Vorbereitung zu erheischen. Denn, wiewohl ich bei den Christianern mehrere Jahre lang ein sehr strenges Leben geführt hatte, so warnte mich doch das, was mir mit Schwester Theodosien im Gefängniß zu Antiochia begegnet war, zu stark vor der Möglichkeit eines Rückfalls; und ich sah mich, auch außer diesem, bei der neu erwählten Lebensweise so manchen Anfechtungen anderer Leidenschaften ausgesetzt, daß ich, um dem Dämon in mir eine unbeschränkte Gewalt über den Menschen, an welchen er noch gebunden war, zu verschaffen, es schlechterdings bis zu der vollkommensten Apathie bringen mußte, deren ein eingefleischter Genius nur immer fähig ist. Ich mußte nicht nur Mangel an allen Bequemlichkeiten und, im Nothfalle, selbst an den Bedürfnissen des Lebens, Frost und Hitze, Hunger, Durst und alle Arten körperlicher Schmerzen so leicht ertragen können, als ob es nicht ich, sondern ein andrer wäre, der sie litte; ich mußte nicht nur gegen alle Reize der Sinnenlust und gegen alle Arten von Verführung so unempfindlich seyn als ein Marmorbild; ich mußte es auch gegen die empfindlichste aller Beleidigungen, gegen die Verachtung der Menschen seyn. Alles dieß erforderte vielfältige und langwierige Uebungen, – Uebungen, welche mir (da es zu meinem Plan gehörte, bei manchen derselben keine Zeugen zu scheuen) von vielen den Namen eines Narren und Wahnsinnigen zuzogen, und zu dem, was dein Ungenannter von [109] Elis (wiewohl mit ziemlicher Ueberladung) davon erzählte, einen sehr natürlichen Anlaß gaben.

Ich zweifle sehr ob irgend einer von den heiligen Faunen und Satyrn, von welchen die Thebaide bald nach unsern Zeiten bevölkert wurde, seinen Witz zu Erfindung neuer Uebungen dieser Art eifriger angestrengt haben könne als ich. Wirst du es mir wohl glauben, wenn ich dir sage: daß ich – um auf allen Fall gewiß zu seyn, daß ich auch die Probe, worauf die schöne Phryne die Weisheit des Platonischen Xenokrates gestellt haben soll, rühmlich bestehen könnte – die Selbstpeinigung so weit trieb, eine der reizendsten Hetären in Alexandrien eine ganze Nacht durch neben mir liegen zu lassen, und daß ich wirklich so viel Gewalt über mich und sie behielt, daß sie sich auch nicht des kleinsten Sieges über meine Enthaltsamkeit zu rühmen hatte?


Lucian.


Bravo, Freund Peregrin! Robert von Arbrissel 12 ist also nicht nur nicht der erste, der dieses gefährliche Experiment glücklich überstanden hat: er muß dir den Vorzug auch deßwegen lassen, weil er es zwischen zwei jungen zuchtvollen Klosterschwestern anstellte; welches ohne Vergleichung leichter war, als neben einer einzigen Priesterin der Venus Pandemos.


Peregrin.


Ich erwähnte dieser Anekdote bloß als einer Probe, wie Ernst es mir mit meinen Uebungen war, und wie sauer ich es mir werden ließ, meinem Vorbilde – dem von Epiktet hinterlassenen Ideal eines ächten und vollkommnen Cynikers –

[110] Zug für Zug gleichförmig zu werden. Alle diese Sonderbarkeiten zogen mir zwar, wie gesagt, unter einem so verfeinerten und üppigen Volke wie die Einwohner von Alexandria waren, einen sehr zweideutigen Ruf zu; aber es fanden sich doch auch mehrere, die den Charakter einer hohen und beinahe mehr als menschlichen Weisheit darin zu sehen glaubten, und von mir als einem neuen Sokrates, Antisthenes und Epiktetus sprachen. Auch fehlte es mir (wiewohl Agathobulus selbst sich einige Spöttereien, die von Mund zu Mund in der Stadt herumgingen, gegen mich erlaubt hatte) nicht an Schülern, die von dem Enthusiasmus, womit ich ihnen von der Würde, Freiheit und Eudämonie eines nach den strengsten Grundsätzen des wahren Cynismus geführten Lebens sprach, um so mehr überwältiget wurden, da sie bei mir eine Uebereinstimmung zwischen Lehre und Ausübung wahrnahmen, welche an der prunklosen Weisheit des von allen Extremen gleich weit entfernten Agathobulus nicht so stark in die Augen fiel.

Ich hatte bereits über zehen Jahre (einige Reisen in Oberägypten und zu den Aethiopischen Gymnosophisten abgerechnet) in dieser Lebensart zu Alexandrien zugebracht, als ich mit einem jungen Römer von Rang und großem Vermögen, Namens Cejonius, bekannt wurde, der an meiner Person und an meinen Reden außerordentlich viel Geschmack zu finden schien, und, nach langem Widerstand, endlich von mir erhielt, daß ich ihn nach der Hauptstadt der Welt begleitete; welcher es, wie er sagte, seit dem berühmten Demetrius 13 (dem Freunde eines Pätus 14 und Seneca) an einem Manne gefehlt habe, der mitten in diesem unendlichen Strudel von [111] prachtvoller Sklaverei Aufwartungen und Gastmählern, Sykophanten, Schmeichlern, Giftmischern, Erbschleichern und falschen Freunden (wie er die Stadt Rom mit den Worten deines Nigrinus 15 schilderte), den Muth hätte, einem jeden die Wahrheit zu sagen, und, unter dem buntesten Gewühl und Gedränge aller Arten von Thoren, Gecken und Narren, das Leben eines Weisen zu leben.

Ich kann es ruhig deiner eigenen Schätzung überlassen, lieber Lucian, wie viel Antheil meine Eitelkeit – eine Schwachheit, von welcher ich mich darum nicht frei sprechen möchte, weil ich mir ihres Einflusses auf meine Entschließung nicht bewußt war – an meiner Gefälligkeit gegen das unabweisliche Anhalten meines jungen Römers hatte. Der Zauberspiegel in meinem Kopfe, worin ich alles sah, und so oft falsch sah was die gemeinsten Menschen mit bloßer Hülfe ihrer Leibesaugen richtig sehen, stellte mir freilich, ungeachtet der wenig geschmeichelten Abschilderungen, die mir mein edler Freund von der Königin des Erdkreises machte, alles ganz anders vor, als ich es in der Folge aus Erfahrung kennen lernte. Ich könnte jetzt noch über mich selbst lachen, wenn ich mich erinnere, mit was für Hoffnungen ich meinen jungen Führer nach Italien begleitete, und wie ich albern genug war, mir einzubilden, daß Peregrinus Proteus von Parium nicht ein Jahr zu Rom gelebt haben werde, ohne eine mächtige Umgestaltung in den Sitten und der Denkart der ausgearteten Quiriten hervorgebracht zu haben. Aber ein Kopf wie der meinige konnte auch nur durch unangenehme Gefühle überführt werden, daß er sich selbst immer zu viel zutraue, und [112] von andern immer mehr erwarte als sie leisten wollten oder konnten.

Das erste, worin ich mich häßlich betrogen fand, war der Charakter des jungen Römers, dem ich mich anvertraut hatte. Die frühzeitige Cultur, welche seinesgleichen zu erhalten pflegen, gab ihm, sobald er wollte, einen Anschein von Reife, von dem ich mich um so leichter hintergehen ließ, weil in der Anhänglichkeit, die er mir zeigte, wirklich etwas Persönliches war. Ich schmeichelte mir, einen jungen Mann von so glücklichen Anlagen nach und nach völlig gewinnen zu können, und, da er sowohl durch sein großes Vermögen als durch die Verwandtschaft seines Hauses mit dem kaiserlichen zu den ersten Stellen im Reiche berufen war, ihn zum Werkzeuge der großen Reformation zu machen, von welcher ich mir in meiner Einsamkeit zu Alexandrien einen schönen Plan geträumt hatte, dessen Realisirung lediglich von der einzigen kleinen Bedingung abhing, den regierenden Theil der Welt in Weise und den gehorchenden in Patrioten zu verwandeln.


Lucian.


Ein artiges kleines Project!

Peregrin.


Unglücklicherweise hatte mein edler Römer, der mich zu Alexandrien mit so vielem Vergnügen über Staats- und Sittenverbesserung und über alles, was in dieses Fach (worüber sich so schöne Dinge sagen lassen) einschlug, declamiren hörte, keinen Begriff davon, daß solche Discurse einen andern Gebrauch und Zweck haben könnten, als in müßigen Stunden zu einer leidlichen Unterhaltung zu dienen. Ueberdieß lebte [113] er zu Rom in einem solchen Wirbel von Zerstreuungen, daß ich ihn, außer dem Tafelzimmer, sehr selten und immer nur auf Augenblicke zu sprechen bekam. Kurz, es zeigte sich in wenig Wochen, daß er, indem er einen Griechischen Philosophen in seinem Hause unterhielt, sich eigentlich nur einer damals herrschenden Mode fügen wollte, und daß seine Wahl bloß darum auf mich gefallen war, weil er auf seinen Reisen keinen andern gefunden hatte, der ihm besser anstand, und mit dem er sich zu Rom mehr Ehre machen zu können glaubte. Denn der Contrast, den mein Aeußerliches mit meinem cynischen Aufzug machte, konnte für eine Art von Seltenheit gelten; und der junge Herr schien sich nicht wenig darauf einzubilden, einen Hausphilosophen zu besitzen, von welchem jedermann gestehen mußte, daß er einer Büste des Pythagoras, die in seiner Bibliothek parodirte, so ähnlich sehe, als ob sie von ihm abgeformt wäre. Ich habe dir, lieber Lucian, schon zu viel gebeichtet, das meiner Klugheit nicht zur Ehre gereicht, um dir zu verschweigen, daß es eine ziemliche Zeit währte, bis ich über mein Verhältniß mit dem edeln Cejonius im Klaren war: aber von dem Augenblick an, da ich es war, hörte auch, meiner alten Gewohnheit nach, alle Gemeinschaft zwischen uns auf. Ich verließ sein Haus auf der Stelle, und, nicht zufrieden, ihm selbst, mit aller Bitterkeit der gedemüthigten Eigenliebe, sehr derbe Wahrheiten ins Gesicht gesagt zu haben, glaubte ich der Philosophie noch die Genugthuung schuldig zu seyn, öffentlich gegen ihn und die edle Römische Jugend, die ich in seinem Hause kennen gelernt hatte, in einem sehr heftigen Tone loszuziehen. Ein Betragen, [114] wodurch ich meinen gewesenen hohen Freund zu bittern Klagen über meine Undankbarkeit berechtigte, und den ersten Grund zu mancherlei Unannehmlichkeiten legte, die ich während meines Aufenthalts in Rom zu erdulden hatte. Ohne Zweifel würden die Folgen der Unklugheit, die ich bei dieser Gelegenheit zu Tage legte, noch verdrießlicher für mich gewesen seyn, wenn Cejonius und sein Anhang sich nicht vor dem erklärten Thronfolger, dem Cäsar Marcus Aurelius, gescheuet hätten, unter dessen unmittelbarem Schutze gewissermaßen alle Philosophen des stoischen und cynischen Ordens standen, und unter dessen Hausgenossen ich einige warme Freunde hatte.

Neunter Abschnitt
[115] Neunter Abschnitt.

Peregrin.


Ich übergehe, um deine Geduld zu schonen, lieber Lucian, verschiedene Begebenheiten, die mir in den drei bis vier Jahren, welche ich in Italien, theils zu Rom, theils bei meinen Bekannten auf dem Lande lebte, zugestoßen sind. Aber eine einzige wird dir selbst vielleicht eine Ausnahme zu verdienen scheinen, wenn ich dir sage, daß es nichts Geringeres war, als ein kleines Abenteuer mit der einzigen Tochter des Kaisers, Faustina, welche damals schon einige Jahre mit seinem angenommenen Sohne Marcus Aurelius vermählt war, aber noch in der vollen Blüthe der Jugend und Schönheit stand.

Es wird dir nicht unbekannt seyn, in was für einen schlimmen Ruf die Sitten dieser Dame bei der Nachwelt gekommen sind, ohne daß weder die zärtliche Achtung ihres Gemahls, welche sie bis an ihren Tod besaß, noch die ausgezeichneten Ehrenbezeugungen, die der Senat ihrem Andenken erwies, einige Unvorsichtigkeiten vergüten konnten, wodurch [116] sie in ihren jüngern Jahren die Verleumdung gegen sich gereizt hatte. Ich kann mich nicht von dem Vorwurfe frei sprechen, zu einer Zeit, da ihr Charakter einem Menschen meiner Art nothwendig in einem sehr zweideutigen Licht erscheinen mußte, selbst nicht wenig dazu geholfen zu haben, daß das Römische Publicum (dessen herrschende Sitten dem Glauben an die Tugend der Frauen vom ersten Rang ohnehin wenig günstig waren) um so geneigter ward, die nachtheiligsten Anekdoten, die auf Unkosten der schönen Faustina herumgetragen wurden, glaublich zu finden. Allein, seitdem der Scheiterhaufen zu Alpine den Zunder der Leidenschaften in mir verzehrt hat, sehe ich auch diese liebenswürdige Römerin und ihr Betragen gegen mich in einem andern Lichte, und finde mich – schon nach dem, was mir selbst mit ihr begegnet ist – sehr geneigt zu glauben, daß ihr wenigstens durch die Gerüchte, welche sie mit den Poppeen und Messalinen in Eine Linie stellten, großes Unrecht geschehen sey. Doch, du magst selbst von der Sache urtheilen.

Ungeachtet der ungeheuern Größe der Stadt Rom, und der Schnelligkeit, womit eine unendliche Menge aus allen Weltgegenden zusammengeflogener Menschen, deren jeder seinen eigenen Zweck verfolgte, sich wie Meereswogen durch und über einander herwälzten, war doch der Cyniker, welchen Cejonius aus Aegypten (dem Vaterlande so vieler Wunderdinge) mitgebracht hatte, eine Erscheinung, die in gewissen Cirkeln eine Art von flüchtiger Aufmerksamkeit erregte. Beinahe ein jeder, der ihn gesehen hatte, wußte irgend etwas Lächerliches oder Seltsames, irgend eine kleine, wahre oder falsche Anekdote [117] von ihm zu erzählen, wodurch diese Neuigkeit aus Afrika dem müßigen Theile des Publicums interessant wurde. Jedermann wollte den Cyniker mit dem Pythagoraskopfe kennen lernen, um sagen zu können daß er ihn auch gesehen habe; und es fehlte wenig, daß man nicht den Kaiser selbst anging, zu befehlen, daß er an dem ersten besten Feste, unter andern eltsamen Thieren, die aus allen Enden der Welt nach Rom zusammengeschleppt wurden, dem Volke im Circus vorgezeigt werden sollte.

Es konnte also nicht fehlen, daß endlich auch die Prinzessin, deren stärkste und vielleicht einzige Leidenschaft war, immer mit einer neuen Puppe zu spielen, neugierig ward, sich mit meiner Wenigkeit in Bekanntschaft zu setzen. Aber so leicht dieß an sich selbst zu seyn schien, so hatte die Sache doch ihre Schwierigkeiten; denn man beschrieb ihr das philosophische Wunderthier als ungewöhnlich scheu und störrig. Besonders, sagten ihre Kammerfrauen, äußere es eine Antipathie gegen das weibliche Geschlecht, welche, wie man wahrgenommen habe, mit der Schönheit und Jugend der Damen in gleichem Verhältniß stehe, und also für die Neugier der Prinzessin gar leicht unangenehme Folgen haben könne. Man erzählte ihr verschiedene Beispiele dieser seltsamen Misogynie 16, welche wirklich nicht ohne Grund waren: aber bei Faustinen war dieß gerade ein Beweggrund mehr, sich von einer so unglaublichen Wirkung der Schönheit durch den Augenschein zu überzeugen. Sie wohnte während der schönsten Monate des Jahres gewöhnlich in den Sallustischen Gärten, deren anmuthige Lustwäldchen ich in der heißen Tageszeit öfters zu besuchen [118] pflegte. Ihre Neugier blieb also nicht lange unbefriedigt. Man sagte mir daß sie mich zu sprechen wünschte, und, da ich mich dessen unter keinem schicklichen Vorwande weigern konnte, so ließ ich mich, wiewohl ungern, in einen kleinen Gartensaal führen, wo ich sie mit zwei oder drei von ihren vertrautern Gesellschafterinnen bei einer tändelnden Art von Arbeit antraf. Ihre Schönheit, wiewohl sie das untadeligste Modell zu einer Göttin der Liebe abgeben konnte und mit einem einladenden Ausdruck von Gefälligkeit und Gutheit verbunden war, machte, vielleicht eben dieses Ausdrucks wegen, beim ersten Anblick nur einen schwachen Eindruck auf mich. Aber desto mehr schienen die Damen in ihrer Erwartung getäuscht zu seyn, da sie, anstatt eines rauhen, übel gekämmten und ungeschliffnen Cynikers, einen Menschen vor sich sahen, der in guter Gesellschaft gelebt zu haben schien, nach Griechischem Costume anständig gekleidet war, und seinem äußerlichen Ansehen und Betragen nach keine Gelegenheit zu den feinen Spöttereien gab, womit sich eine von ihnen zur Belustigung der Prinzessin bewaffnet hatte, und die bei meinem Eintritt schon auf ihren Lippen schwebten. Kurz, ich sah daß der Pythagoraskopf auf den Schultern eines Mannes, den die Venus Mamilia vor dreißig Jahren zu ihrem Adonis gewählt hatte, seine Wirkung that. Aber die Unterredung gewann nichts dadurch an Lebhaftigkeit: und da der Philosoph die gute Meinung, die man auf Empfehlung seines Aeußerlichen von ihm gefaßt zu haben schien, durch die Einsylbigkeit seiner Antworten auf alle Fragen, die man an ihn richtete, wenig aufmunterte; so wurde er zu seinem großen Troste ziemlich [119] bald wieder verabschiedet, ohne daß man auch nur den leisesten Wunsch äußerte, die angefangene Bekanntschaft fortzusetzen.


Lucian.


Ich liebe die Abenteuer, die einen so trocknen Anfang haben: und ich müßte mich sehr irren, wenn diese anscheinende Kälte nicht einen geheimen Anschlag gegen deine Weisheit verbarg, der bereits in dem leichten Gehirnchen der schönen Faustina brütete.


Peregrin.


Ich wenigstens war damals weit entfernt, so etwas zu argwohnen. Wir sahen uns indessen nach dieser er sten Zusammenkunft zufälliger Weise noch öfters in den Sallustischen Gärten. Der sanfte Reiz, der alles, was die schöne Faustina sagte und vornahm, wie verstohlner Weise begleitete, ihre immer währende Heiterkeit und Fröhlichkeit, der gänzliche Mangel an allen Ansprüchen, welche sie als die einzige Tochter des Kaisers zu machen hatte, mit einer Gutherzigkeit und schönen Einfalt verbunden, die an einer Römerin von ihrem Stande und aus diesem Zeitalter noch unendlichemal überraschender war als der Pythagoraskopf an einem Cyniker, – das alles überschlich mein Herz unvermerkt. Die schöne Faustina ward mit jeder Unterredung schöner in meinen Augen: und da sie mir eben so empfänglich als geneigt schien, ihrem Geist eine Art von Ausbildung geben zu lassen, wodurch sie (wie sie sagte) der Ehre, die Gemahlin eines Marc-Aurels zu seyn, würdiger zu werden hoffte; so ließ sich dein alter Schwärmer – das wahre tribus Anticyris insanabile caput 17 des Horaz – ohne Bedenken überreden, dieses gefährliche [120] Amt bei einer jungen Fürstin zu übernehmen, deren wahrer Charakter, ungeachtet aller Aufschlüsse, die er durch die Kallippen, Mamilien und Diokleen über das große Räthsel des weiblichen Herzens erhalten zu haben glaubte, etwas ganz Neues für ihn war.

Bei allem dem war das, was ich für die liebenswürdige Faustina fühlte, so rein und unschuldig, hatte so wenig Leidenschaftliches, und glich, mit Einem Worte, so sehr der Liebe eines zärtlichen Vaters für eine gutartige Tochter, daß ich unmöglich in die mindeste Unruhe darüber gerathen konnte. Aber eben diese Ruhe meines Herzens war es, was Faustinen – welche wirklich (wie du sagtest) einen kleinen schelmischen Anschlag gegen meine Weisheit in der Arbeit hatte, und in der Ausführung ihrer launischen Einfälle ziemlich ungeduldig war – den bösen Gedanken eingab, daß sie schlechterdings die unterste von den drei Seelen 18, welche Plato den menschlichen Körper bewohnen läßt, auf ihre Seite ziehen müsse, wenn sie den Triumph über die Apathie ihres Philosophen erhalten wollte, worauf sie nun einmal ihren Sinn gestellt hatte, und worüber es (wie ich in der Folge erfuhr) zwischen ihr und einer vertrauten Freundin eine große Wette galt.

Sie veranstaltete es also mit dem Zufall so geschickt, daß ich sie einsmals an einem sehr heißen Tage, in der einsamsten Grotte ihrer Gärten auf einer mit Rosen dicht bestreuten Moosbank, ziemlich leicht bekleidet schlummern fand. Es war der schönste Anblick, der meinen Augen jemals gewährt worden war; wenigstens däuchte es mir so, da die Zeit die Bilder ehemaliger Visionen dieser Art zu matt gemacht hatte, [121] um von dem lebendigen Eindruck der gegenwärtigen nicht ausgelöscht zu werden. Ich verweilte zwar nicht lange: aber meine Apathie war erschüttert; die Erinnerungen an diesen Augenblick schwächten die Gewalt, welche meine Vernunft durch eine vieljährige Uebung in der strengsten Enthaltsamkeit über meine Einbildung erhalten hatte; und, wiewohl ich weder jung noch thöricht genug war, einer unziemlichen Leidenschaft für die Gemahlin eines Marc-Aurels Raum zu geben, so blieb es doch nicht mehr in meiner Macht, sie bei unsern fortgesetzten Zusammenkünften mit so unbefangenen Augen wie ehemals anzusehen.

Diese Veränderung konnte der Prinzessin nicht lange verborgen bleiben. Sie ließ zwar nichts davon gewahr werden, daß sie ihren Lehrer bei jeder Zusammenkunft wärmer, belebter und unterhaltender fand; aber sie hielt sich von nun an gewiß, ihre Wette gewonnen zu haben, und beschleunigte die Ausführung ihres Plans. Einsmals fand ich sie mit einem Buche auf dem Schooß, in dessen Lesung sie so vertieft schien, daß ich ihr schon ganz nahe war, ehe sie meine Gegenwart bemerkte. Du hättest zu keiner gelegnern Zeit kommen können, sagte sie, um mir zur Gewißheit zu helfen, ob ich die Theorie einer sehr sublimen Dame, die mich schon seit einer halben Stunde unterhält, recht begriffen habe oder nicht. – Das Buch, worin sie las, war Platons Symposion, und also Diotima die Dame, von welcher die Rede war. Diese schöne und geistige Art von Liebe, welche man, mit undankbarer Verschweigung ihrer wahren Erfinderin, die Platonische zu nennen pflegt, ward nun der Gegenstand einer Unterredung, [122] welche mich, der schönen Faustina und einer Gruppe der Grazien von Praxiteles gegenüber, unvermerkt in die Gemüthsstimmung meiner ersten Jugend versetzte.

Ich war vielleicht der einzige Mensch in der Welt, der einer Frau, wie diese die ich vor mir hatte, in solchem Ernst und mit so vielem Feuer von der Möglichkeit einer unkörperlichen Liebe zu der liebeswürdigsten aller Frauen, das ist, (wie ich ihr deutlich genug zu verstehen gab), zu ihr selbst, sprechen konnte. Faustina schien eben so vergnügt als verwundert darüber zu seyn, zum erstenmal in ihrem Leben einen Mann von einer so feinen und mit ihren Begriffen so übereinstimmenden Denkungsart zu finden: aber sie konnte nicht umhin, dem Schüler der Diotima, mit einer Miene, worin Naivetät und Schalkheit sich zugleich mit einer ihr eigenen Grazie ausdrückten, einige Zweifel über die Möglichkeit, eine so geistige Art von Liebe auf beiden Theilen in die Länge auszuhalten, zu zeigen.

Das Unmöglichste für mich war, in diesem Augenblicke an Kallippen und Mamilien zu denken, die mich über diesen Punkt billig etwas behutsamer hätten machen sollen; und es konnte also nicht fehlen, daß ich in einige Verwirrung gerieth, da sie mir mit einem Blicke, der in den Grund meiner Seele zu dringen schien, sagte: wer mit solcher Gewißheit, wie ich, von dieser Sache sprechen könne, müsse Erfahrungen gemacht haben, die ihn dazu berechtigten; und ich würde es sehr verzeihlich finden, wenn sie mir ihre Neugier über diesen Theil meiner Lebensgeschichte nicht verbergen könnte.

In der That kam sie, nachdem wir einmal so tief in[123] diese Materie gekommen waren, und meine Verwirrung ihr gar leicht meine Aufrichtigkeit hätte verdächtig machen können, mit ihrem Wunsche dem meinigen entgegen. Ich versprach ihr also eine getreue und umständliche Erzählung der Begebenheiten meiner Jugend, die ihr (wie ich unbesonnen genug war hinzuzusetzen) beweisen würden, was ich schon damals fähig gewesen wäre, wenn ich das Glück gehabt hätte, eine Diotima mit Faustinens Gestalt und Reizen anzutreffen. Sie schien dieses Compliment gerade so aufzunehmen, wie ich es wünschen konnte. Einer der nächsten Tage wurde dazu bestimmt, den Anfang meiner Erzählung zu machen; und man entließ mich mit Zeichen von Zufriedenheit, die auch ein weniger Platonischer Liebhaber ohne große Unbescheidenheit für Aufmunterungen hätte nehmen können.

Du siehest ohne mein Erinnern, lieber Lucian, daß ich mich durch diese unvorsichtige Gefälligkeit gegen die Neugier der schönen Faustina in ein schlimmes Abenteuer hatte verwickeln lassen. Unter den Augen einer so liebenswürdigen Zuhörerin meine Einbildung durch die lebhafteste Versetzung in die Zauberscenen meiner Jugend in Flammen setzen, hieß die Kerze, wie man zu sagen pflegt, an beiden Enden anzünden. Faustina, unter deren so lieblich lächelnden Gesichtszügen ich keine Schalkheit ahndete, trug alles, was sie, ohne sich gar zu bloß zu geben, beitragen konnte, dazu bei, das Platonische Feuer, das im Busen ihres schwärmerischen Philosophen loderte, immer stärker anzufachen. Die Erzählung, durch häufige Digressionen und Erörterungen unterbrochen, ward alle Minuten zum Dialog, und dieser zuletzt so interessant, [124] daß er Ergießungen des Herzens (denn die Platonische Liebe hat ja auch die ihrigen) nöthig machte, welche durch die Gegenwart der kleinen Sklavinnen, deren die Prinzessin bei unsern Zusammenkünften immer drei oder vier um sich herum schwärmen hatte, nicht wenig gehindert wurden.

Natürlicherweise war Faustina durch meine Bekenntnisse in ihren Zweifeln an der Möglichkeit der Platonischen Liebe vielmehr bestärkt als davon geheilt worden. Sie machte mir kein Geheimniß daraus; und gleich wohl schien sie sich der meinigen mit einem so kindlich unschuldigen Zutrauen zu überlassen, daß sie die Voraussetzung eines sympathetischen Gefühls, in dessen Reinigkeit ihr Bewußtseyn sie kein Mißtrauen setzen ließ, beinahe unvermeidlich machte.


Lucian.


Ich wundere mich nicht, Freund Peregrin, warum du immer, sogar bis in den Jahren, wo man gewöhnlich an die Gunst der Schönen keine Ansprüche mehr zu machen hat, von den reizendsten dieses Geschlechts, das von unsrer guten Meinung von ihm so viele Vortheile zu ziehen weiß, so außerordentlich begünstiget wurdest. Denn – bei der kindlichen Unschuld der immer lächelnden Faustina! – nie ist ein Sterblicher mit einer glücklichern Anlage, immer das Beste von ihnen zu denken, geboren worden als du.


Peregrin.


Bethört von dem süßen Wahne, der mir dieses Compliment von dir zugezogen hat, ward ich nun immer weniger gewahr, was für ein gefährlicher Gegenstand eine Seele, deren Schönheiten mit den Reizen ihres materiellen und animalischen [125] Theils so zart verwebt oder vielmehr so unmerklich in einander verschmelzt waren, für einen Platonischen Liebhaber sey, der dem Unglück, beide Arten von Reizen alle Augenblicke mit einander zu verwechseln, so sehr ausgesetzt war wie ich; und unstreitig war es in einem solchen Augenblick, wo mich die Weisheit so sehr verließ, daß ich der Prinzessin von dem Zwange sprach, den die einzige Tagesstunde, welche sie mir (unter dem Vorwande des Unterrichts in der Philosophie) widmete, und die kleinen Nymphen, die immer dabei gegenwärtig waren, dem freien Umtausch der Empfindungen unsrer Seelen auferlegten. Sie schien dieß eben so gut als ich zu fühlen, aber verlegen zu seyn, wie es anders eingerichtet werden könnte. Sollte, sagte ich endlich, die keusche Luna, deren gute Dienste so oft von den gewöhnlichen Liebhabern angerufen werden, sich nicht erbitten lassen, einem Eingeweihten in den Mysterien der höhern Liebe günstig zu seyn? – Warum nicht? erwiederte Faustina lächelnd. Wenigstens gebe ich dir, setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu, meine Einwilligung, wenn du es auf dich nehmen willst, auch mich in diesen erhabenen Mysterien einzuweihen.

Die schlaue Dame hatte mich, wie du siehest, unvermerkt auf einen Weg gebracht, worauf sie ihr mir damals noch unbekanntes Ziel schwerlich verfehlen konnte. Sie erlaubte mir, unter der Leitung der jungfräulichen Göttin – deren Liebe zu Endymion ganz gewiß, trotz den Lästerungen der Mythologen, ebenfalls von der Platonischen Art gewesen sey – die Sallustischen Gärten auch zu einer ungewöhnlichen Zeit zu besuchen, und ließ mich hoffen, daß ich sie zu einer [126] gewissen Stunde, in dem Myrtenwäldchen, das einen kleinen offnen Tempel der Grazien umgab, nicht umsonst erwarten würde.

So viel ich mich erinnere, begünstigte sie mich mit drei oder vier solchen nächtlichen Zusammenkünften. Sie, welche (wie sich's am Ende auswies) nichts dabei wagte, blieb immer sich selbst gleich, immer so heiter und sanft, so herablassend gefällig und theilnehmend als ich sie stets gefunden hatte: aber für meine Apathie 19 war diese Probe zu stark. Es gab Augenblicke, wo der Drang alles dessen, was ich für sie empfand, meine Brust zu zersprengen drohte; und mehr als Einmal war ich, unter dem fürchterlichen Kampf zwischen dem Ueberschwang des Gefühls, das mich zu ihren Füßen werfen wollte, und der Ehrfurcht und Scham, die mich mit gleich großer Gewalt zurückzogen, in Gefahr ohnmächtig vor ihr hinzusinken. Aber jedesmal war dieß auch der Augenblick wo sie mich, unter dem Vorwande daß mir die Nachtluft nicht länger zuträglich scheine, mit dem Ausdruck der zärtlichsten Besorgniß für meine Gesundheit auf der Stelle nach Hause schickte.

Der Mond hörte endlich auf, diese nächtlichen Unterredungen zu begünstigen. Ich konnte mich nicht enthalten, ihr meinen Schmerz über den Verlust so seliger Stunden auf eine Art zu erkennen zu geben, die mich zum Mitleiden einer Frau, die mir schon so viel Güte gezeigt hatte, berechtigte. Du bist für einen Endymion ein wenig dringend, mein lieber Proteus, sagte sie: doch, ich beurtheile deine Empfindungen nach den meinigen. Auch ich entsage diesen angenehmen[127] Unterhaltungen zwischen Seele und Seele, die durch das Elysische einer stillen Mondnacht so schön befördert werden, ungern: aber, was kann ich thun, sie dir zu ersetzen?

Ein tiefer Seufzer war alles, was der bezauberte Wahnsinnige darauf antworten konnte.

Ich will sehen was möglich ist, fuhr sie nach einigem Bedenken fort; du sollst in kurzem wieder von mir hören. Aber, wenn ich mich nun, um deinen und meinen Wunsch zu befriedigen, genöthiget fände, deinen Platonismus auf eine etwas harte Probe zu stellen?

Ich glaubte zu errathen was sie damit sagen wollte, und schwor ihr bei der himmlischen Cythere und den Grazien des Sokrates, sie würde, auf welche Probe sie mich auch stellen wollte, niemals Ursache finden, sich ihr Zutrauen gegen mich gereuen zu lassen.

Die schöne, aber ein wenig leichtfertige Gemahlin des Kaisers Marcus war nun am Rande der Ausführung ihres Plans. Sie spielte mir übel mit, und ich hab' es ihr längst vergeben: aber was ich mir selbst nie vergeben werde, war die Blindheit, mit welcher ich in ihre –


Lucian.


– von dir selbst gewebten –

Peregrin.


– Schlingen fiel. – Gut! – auch dieß vermehrt die Vorwürfe, die ich mir zu machen habe.

Lucian.


Wunderliche Seele! wozu? Sie kommen nun zu spät; und es [128] ist, däucht mich, klar, daß deine Eitelkeit damals eine solche Demüthigung noch nöthig hatte.


Peregrin.


Wie groß auch meine Schuld bei diesem allen war, so würdest du mir doch Unrecht thun, wenn du glaubtest, daß ich, mitten in diesen Ausschweifungen meiner Leidenschaft für die schöne Faustina, mich auch nur des leisesten Anschlags auf ihre Tugend schuldig gemacht hätte. Im Gegentheil, meine Schwärmerei (wie du es nennen wirst) ging so weit, daß ich, falls es möglich seyn sollte daß Faustina schwach würde, fest entschlossen war, ihrer guten Seele mit der meinigen zu Hülfe zu kommen, und daß ich sogar auf diesen Fall hin eine Menge der sublimsten und herzrührendsten Sachen, die ich ihr sagen wollte, in Bereitschaft hielt.


Lucian.


Dieß, lieber Peregrin, werde ich, – der ich in meinem Leben nie der Tugend, sondern nur der falschen oder übertriebenen Anmaßungen einer dem Menschen nicht gegebenen Vollkommenheit gespottet habe – dieß, Peregrin, werde ich nie Schwärmerei nennen. Aber daß du dich vorsetzlich in den Fall setztest, dir selbst vielleicht nicht Wort halten zu können; daß du, nach so manchen Erfahrungen des Gegentheils, – auf den bloßen Triumph hin, den dein Eigensinn über eine Alexandrinische Hetäre erhalten hatte – dir selbst eine Stärke zutrautest, die sich kein Sterblicher eher, als bis er ohne seine Schuld in dem Fall ist ihrer zu bedürfen, zutrauen soll: das nenne ich Schwärmerei!


[129] Peregrin.


Gib dich zufrieden, Freund Lucian! du wirst mich streng genug dafür büßen sehen. Es vergingen einige Tage, ohne daß ich die Prinzessin auf ihren gewöhnlichen Spaziergängen wieder zu sehen bekam, wiewohl ich sie überall, selbst in der Grotte, wo ich sie einst schlafend gefunden hatte, aufsuchte. Aber am vierten oder fünften Tage nach unsrer letzten Zusammenkunft, da ich zur gewöhnlichen Morgenstunde in einem Gange, der zum Tempel der Grazien führte, traurig auf und nieder ging, fiel ein Granatapfel vor mir nieder, in dessen Krone ich ein kleines Papier stecken fand. Ich entfaltete es mit zitternder Freude, und las ungefähr folgende Worte: »Du kannst die außerordentliche Probe, die du von meinem Vertrauen auf deine Gesinnungen erwartest, nicht lebhafter wünschen, als ich wünsche, was ich für dich thue durch dein Betragen gerechtfertigt zu sehen. Hast du noch Muth, die Probe, worauf ich dich dadurch stelle, zu bestehen, so finde dich eine Stunde vor Mitternacht bei dem Seitenpförtchen ein, das aus der Galerie des Apollo in die Rosengebüsche führt, und folge dem, den du daselbst antreffen wirst.«

Beides, die hohe Meinung, die ich von der Unschuld und Güte der schönen Faustina hegte, und das Vertrauen auf die Stärke meines eigenen Vorsatzes, war zu groß, als daß mein Entzücken über diesen mehr gewünschten als gehofften Beweis ihrer Gesinnung gegen mich durch den mindesten Zweifel hätte unterbrochen werden können. Die Zwischenzeit, die einem andern Liebhaber eine Ewigkeit geschienen hätte, verfloß mir [130] unter wonnevollen Vorgefühlen unvermerkt; kaum hatte ich mich in den schönsten Tagen meiner Jugend, selbst im heiligen Haine der Venus Urania zu Halikarnaß, so entkörpert, so ganz Dämon gefühlt, als in der Erwartung dieser heiligen Mitternachtsstunde, in welcher der Bund einer ewigen Liebe zwischen der schönsten aller Seelen und der meinigen beschworen werden sollte.

Sie kam endlich. Die kleine Pforte öffnete sich; eine junge Sklavin nahm mich bei der Hand, und führte mich durch eine Menge dunkler Gänge in ein hell erleuchtetes und fürstlich ausgeschmücktes Gemach, dessen offne Mittelthür in eine Reihe kleiner Zimmer führte, welche ich zu durchwandern hatte, um zu der Göttin zu gelangen, die in dem letzten derselben ihres seligen Endymions wartete. In jedem der Zwischengemächer, aus welchen mir der lieblichste Wohlgeruch entgegen duftete, nahm die Beleuchtung stufenweise ab, bis sie zuletzt in dem Cabinette, wo ich Faustinen zu finden glaubte, in die sanfteste Dämmerung zerfloß. Sie lag auf einem prächtigen Ruhebette, in eben dem leichten, aber äußerst zierlichen Anzug und in eben der schönen Lage, worin ich sie in der unglücklichen Grotte gesehen hatte.


Lucian.


Armer Proteus, das war zu viel!

Peregrin.


Ein halb durchsichtiger Schleier verhüllte einen Theil ihres Gesichts und des schönsten Busens, den Amors Hand je geformt hatte. Mit immer stärker klopfendem Herzen hatte ich mich langsam herbeigeschlichen; aber dieser erste Anblick überwältigte [131] mich gänzlich. Ich warf mich zu ihren Füßen, und – o Faustina! göttliche Faustina! – war alles, was ich in meiner Entzückung hervorbringen konnte, indem ich eine ihrer mir dargebotnen schönen Hände mit glühenden Küssen bedeckte.

In dem nämlichen Augenblick hörte ich ein lautes Gelächter, das Cabinet wurde plötzlich so hell als der Tag, und die wahre Faustina rauschte hinter einem Vorhang hervor, und sagte zu einer andern Dame, die ihr folgte: »ich habe die Wette gewonnen, Flaviana! – und du, guter Proteus, vergib mir diese kleine Hinterlist! Ich überlasse es deiner eignen Philosophie, die Moral aus diesem Platonischen Abenteuer zu ziehen, die für dich die zuträglichste seyn mag.« – Und hiermit eilte sie mit ihrer lachenden Freundin davon, und ließ mich in einer Beschämung, einer Bestürzung, einer Vernichtung, die meinen ärgsten Feind zum Mitleiden hätte bewegen müssen.


Lucian (lachend).


Armer Proteus! – Verzeih mir, daß ich mitlachen muß! – Aber kanntest du diese Flaviana, die so lustig darüber war, daß sie ihre Wette auf deine Unkosten verloren hatte?


Peregrin.


Sie war eine der ersten jungen Damen zu Rom, und hatte, weil sie große Ansprüche an Witz machte und für eine Beschützerin der Griechischen Musen gehalten seyn wollte, eine Menge Maschinen angelegt, um sich meiner zu bemächtigen, als ich das Haus des Cejonius verlassen hatte. Aber da sie ihrer Sitten wegen in einem sehr zweideutigen Lichte stand, und ich mir, um alle ähnliche Anmaßungen abzuschrecken, wirklich vorgenommen hatte, mich in den Ruf eines entschiedenen [132] Weiberhassers zu setzen: so waren alle ihre Versuche verunglückt; und dieß hatte vermuthlich zu der Wette Anlaß gegeben, von welcher ich auf eine so grausam überraschende Art das Opfer wurde.


Lucian.


Und wer war die Dame auf dem Ruhebette?

Peregrin.


Ich verweilte nur so lange, daß ich mich zu meinem neuen Erstaunen überzeugen konnte, daß es Myrto war, eben dieselbe Sklavin Myrto, welche in der Villa Mamilia eine von den Grazien der Göttin vorstellte, und es sich, wie du dich erinnern wirst, so angelegen seyn ließ, die schöne Dioklea bei mir anzuschwärzen. Der Eindruck, den ich dazumal auf ihr zartes Herz zu machen das Unglück hatte, schien seit einer so langen Reihe von Jahren noch nicht ganz erloschen zu seyn. Sie wandte, unter dem Vorwand daß sie mir Sachen von großer Wichtigkeit zu entdecken hätte, alles Mögliche an, mich zurückzuhalten: aber mein Stolz war zu tief verwundet, als daß ich die Luft dieses für mich plötzlich verpesteten Hauses nur einen Augenblick länger hätte ertragen können. Ich riß mich von ihr los, floh in meine Zelle zurück, und blieb etliche Tage eingeschlossen, um mich von dem harten Stoß, den ein so schamvoller Ausgang des schönsten Abenteuers meines ganzen Lebens meiner Philosophie gegeben hatte, wieder zu erholen, und, alles wohl überlegt, den festen Entschluß zu fassen, daß es das letzte dieser Art in meinem Leben seyn sollte.


Lucian.


Soll ich offenherzig mit dir sprechen, Freund Proteus? – [133] Daß dein Herz in der ersten Bewegung Galle und Gift gegen die schöne Faustina kochte, kann ich dir leicht verzeihen: wem würde es an deinem Platze nicht eben so ergangen seyn? Aber wenn du in den einsamen Stunden der Besinnung nicht wieder so gut zu dir selber kamst, um sie von aller Schuld an deinem verunglückten Abenteuer mit ihr frei zu sprechen; wenn dein Gedächtniß so treulos war, dich nicht zu erinnern, daß sie, – selbst den Mittagsschlaf in der Grotte nicht ausgenommen, welchen ich, ohne einen gerichtlichen Beweis des Gegentheils, den du schwerlich führen könntest, für einen bloßen Zufall halte – daß sie, sage ich, weder verführerische Künste, dich in ihre Schlingen zu ziehen angewandt, noch dir die geringste Ursache gegeben, sie für eine schwärmerische Seele deines gleichen zu halten, kurz, daß du selbst es warst, der alle Auslagen bei dieser Gelegenheit auf eigene Rechnung übernahm: wenn du das alles vergessen konntest, so hattest du wahrlich sehr Unrecht. Das Einzige, was Faustina, deiner eigenen Erzählung nach, zu verantworten haben konnte, war, daß sie es geschehen ließ, daß du sie nach deiner sonderbaren Art liebtest. Allein, die Neugier, was wohl am Ende daraus werden würde, ist, däucht mich, einer jungen Fürstin, deren Laune zu solchen Kurzweilen gestimmt war, um so leichter zu gut zu halten, da sie vermuthlich durch Flavianen zur Wette herausgefordert worden war, und übrigens von einem Enthusiasten deiner Art unmöglich eine so lebendige Vorstellung haben konnte, um vorauszusehen, wie wehe sie dir durch die unvermuthete Verwandlung aus einem neuen Endymion in – einen neuen Ixion 20 – thun würde. In der That, lieber Proteus, [134] war es bloß deine Schuld, daß du sie nicht nur, vermittelst des vorbesagten Zauberspiegels in deinem Kopfe, zu einer moralischen Venus, zu einem Ideal jeder geistigen Schönheit erhobst, sondern dieses Göttergebilde deiner schwärmenden Phantasie sogar mit deiner eigenen Art zu empfinden beseeltest, und eine Sympathie und Seelenverwandtschaft zwischen ihr und dir freigebig voraussetztest, für welche in ihrem ganzen Benehmen, so viel ich sehen kann, für einen Mann mit gewöhnlichen Augen kein entscheidender Grund zu finden war. Im Gegentheil, man mußte so verblendet und bezaubert seyn als du es warst, um nicht zu merken, wie sie bei allen deinen Bestrebungen, ihr deine Platonische Schwärmerei einzuimpfen, immer kalt und ruhig blieb, und wie wenig Vertrauen sie darauf setzte, daß die Probe, zu welcher du sie selbst aufzufordern die Vermessenheit hattest, zu deinem Ruhm ausfallen würde. – Aber, was den Proceß gänzlich zu ihrem Vortheil entscheidet, und für die Güte ihres Herzens desto lauter spricht, je mehr Anlage zu Leichtsinn und Muthwillen in ihrer natürlichen Sinnesart war, ist der Umstand, daß sie dich sogar noch in dem Briefchen, das dir der Granatapfel in die Hände spielte, vor der Gefahr warnte, wiewohl der Verlust ihrer Wette darauf stand, falls du dich eines Bessern besonnen hättest.


Peregrin.


Jetzt, lieber Lucian, bin ich aus allen diesen Betrachtungen so geneigt als du selbst, Faustinen zu entschuldigen, und was mich damals beinahe wahnsinnig machte, hat ihr und mir, seitdem wir uns hier wiederfanden, mehr als Einmal Stoff zum Lachen gegeben. Aber vor meiner Verlüftung zu Harpine [135] war so viel Unbefangenheit bei mir unmöglich. Auch nachdem sich der erste Sturm in meinem Gemüthe gelegt hatte, blieb es immer ein unverzeihliches Verbrechen in meinen Augen, daß sie bei dem gränzenlosen Vertrauen, das ich in die Unschuld ihrer Seele setzte, fähig gewesen war, mit einem Herzen wie das meinige ein solches Spiel zu treiben, und einen Mann, der selbst in seinen Verirrungen (wie meine Eigenliebe mir schmeichelte) noch Achtung verdiente, dem Spotte fremder Zeugen, und (was mich am empfindlichsten kränkte) dem Hohngelächter einer Frau, deren Eitelkeit ich beleidiget hatte, so leichtsinnig und übermüthig preiszugeben. Dieß konnte ich ihr so wenig verzeihen, daß ich mich vielmehr überflüssig berechtiget hielt, sie bei jeder Gelegenheit als die gefährlichste Sirene zu schildern, und selbst die Liebenswürdigkeit, die ihr jedermann zugestehen mußte, für eine bloße Larve zu erklären, unter welcher eine falsche, gefühllose und grausame Seele laure. Wenn ich denn einmal in diesen Ton gerathen war, so wurde weder ihres Vaters noch Gemahls geschont; und die ganze Declamation endigte sich gewöhnlich in eine bittere Satyre über die Römer und Römerinnen, über die ungeheure Verdorbenheit ihres Herzens und ihrer Sitten, über den hassenswürdigen Despotismus ihrer Regierung, und über die seltsame Schwäche des guten frommen Kaisers, der sich die milde Gelindigkeit seiner phlegmatischen Sinnesart für fürstliche Tugenden aufschmeicheln lasse, und, weil er allen Menschen Gutes wünsche, wirklich so unschuldig sey, sich einzubilden, daß die Welt unter seinem Scepter halcyonische Tage lebe, und daß allen Leuten so wohl sey als ihm selbst.


[136] Lucian.


Und wie benahm sich die schöne Faustina bei diesem Rückfall ihres Platonikers in den Charakter eines ächten cynischen Bellers?


Peregrin.


In der That war sie, trotz dem leichtsinnig fröhlichen Muthwillen, der sie zuweilen zu unschicklichen Schritten verleitete, die gutherzigste Seele von der Welt. Wie leicht hätte sie, wenn sie das gewesen wäre, wofür ich sie in meiner ungerechten Erbitterung ausgab, sich über den Gedanken weggesetzt, was aus einem armen Griechischen Landstreicher, den der Zu fall zu seinem Unglück in ihren Weg geworfen hatte, werden könne! Wie unermeßlich war der Abstand von der einzigen Tochter des Kaisers und künftigen Augusta 21 zu Peregrinus Proteus von Parium! – Aber Faustina hatte das Herz ihres Vaters geerbt. Kaum war die erste Freude über den wunderschönen Hermaphroditen von Parischem Marmor, den sie durch ihre Wette gewonnen hatte, ein wenig verdünstet, so fiel ihr ein, daß sie dem ehrlichen Schlag, dessen Thorheit ihre Galerie mit einem so schönen Stücke bereicherte, eine Art von Vergütung für seine fehl geschlagenen Hoffnungen (wie lächerlich diese auch an sich selbst gewesen seyn möchten) schuldig sey; und so wie ihr dieß einfiel, so bildete sich auch schon ein Plänchen in ihrem Kopfe, den guten Menschen so glücklich zu machen, als er es billigerweise nur immer wünschen könne. Die vorbesagte Myrto, welche nach Mamiliens Tod in die Dienste der Kaiserin gekommen und von dieser ihrer Tochter überlassen worden war, genoß des besondern Vertrauens ihrer jungen Gebieterin, und [137] war die erste unter ihren Freigelass'nen. Von ihr hatte Faustina noch eher als von mir selbst alles, was sie von meiner Geschichte wußte, und bei dieser Gelegenheit auch den Nebenumstand erfahren, daß der Liebesfunken, den ich ehemals unwissend in ihrem schönen Busen entzündet hatte, der Zeit und meiner Undankbarkeit zu Trotz, noch immer unter der Asche fortglimme. Myrto war zwar indessen bis zum fünfundvierzigsten Jahre fortgerückt: aber die Grazien hatten sie mit der Gabe, immer jünger zu scheinen als sie war, beschenkt, und die gute Faustina glaubte, eine Verbindung zwischen uns würde um so schicklicher seyn, da die Ausstattung, welche sie ihrer Favoritin zugedacht hatte, mich in den Stand setzen würde, ein sehr gemächliches Leben zu führen; ein Umstand, der, ihrer Meinung nach, der schönen Myrto bei einem Philosophen, dessen Küche auf vier oder fünf Obolen des Tags fundirt war, keinen Schaden thun könnte.

Die Favoritin hatte mich schon einige Tage vergebens aufsuchen lassen und selbst aufgesucht, um mir von diesen guten Gesinnungen ihrer Gebieterin und von ihren eigenen Nachricht zu geben, als sie mich endlich in den ehemaligen Mäcenatischen Gärten antraf, und mich, eh' ich ihr entwischen konnte, zu einer Unterredung nöthigte, worin sie nichts vergaß, was vielleicht jeden andern in meiner Lage hätte bewegen können, den Antrag, den sie mir mit der jungfräulichsten Bescheidenheit im Namen der Prinzessin machte, dankbarlich anzunehmen. Aber die schöne Myrto fand einen Mann vor sich, dem die unvergeßliche Mitternachtsstunde und der Hermaphrodit, dem er aufgeopfert worden war, seine ganze [138] Apathie wiedergegeben hatte. Ihre Eigenliebe wurde schon bei diesem ersten Versuche durch die Kälte und Unbeweglichkeit, die ich ihr entgegen setzte, so empfindlich beleidigt, daß ihr alle Lust zu einem zweiten verging.

Einige Wochen verflossen, ohne daß ich von ihr oder Faustinen weiter etwas hörte, oder mich um sie bekümmerte. Aber einsmals, da ich in der Abenddämmerung auf den Esquilien einsam herumirrte, nahte sich mir eine verschleierte Gestalt, welche mich um einige Augenblicke Gehör bat. Ich folgte ihr hinter eine Gruppe von Bäumen, und sobald sie sicher zu seyn glaubte daß sie von niemand gesehen werde, gab sie sich – für meine alte Freundin – Dioklea zu erkennen.

Ihr Anblick versteinte mich beinahe im eigentlichen Verstande dieses Wortes. Dioklea! wollte ich ausrufen, aber das Wort erstarrte auf meinen Lippen. Sie schien die Wirkung, die ihre so unverhoffte Erscheinung auf mich that, keiner Aufmerksamkeit zu würdigen. Faustina, sagte sie mit ruhigem Ernst, hat erfahren, daß du dich durch das, was zwischen ihr und dir vorgegangen, berechtigt hältst, übel von ihr zu sprechen. Die Rede geht sogar, man habe dich vor ziemlich vielen Zuhörern von dem Kaiser ihrem Vater, und von ihrem Gemahl, den sie über alle Anfälle der Satyre hinweg gesetzt glaubte, in sehr unziemlichen Ausdrücken reden gehört. Die Prinzessin ist geneigt, diese unbedachtsamen Ergießungen einer allzu reizbaren Galle deiner Menschlichkeit zu gut zu halten: aber sie bittet dich, um deiner eigenen Ruhe willen, die Stadt unverzüglich zu verlassen, und hofft, daß du diesen von ihr [139] selbst gestrickten Beutel, zum Behuf deiner Rückreise nach Griechenland, als ein Zeichen ihres guten Willens annehmen werdest. Mit diesen Worten überreichte sie mir einen ziemlich großen Beutel, der dem Ansehen nach mit Gold angefüllt war.

Es war immer eine von meinen unglücklichsten Eigenheiten, daß ich in Fällen, wo ich zwischen zwei entgegen gesetzten Parteien auf der Stelle wählen mußte, immer die ergriff, die ich nach besserer Ueberlegung wünschen mußte nicht genommen zu haben. Offenbar war es höchst unklug, die Bitte der Prinzessin für etwas anderes als einen milderen Befehl anzusehen; und eben so unschicklich war es, ihr Geschenk mit Verachtung von mir zu weisen. Aber mein Gemüth war noch zu sehr verstimmt, und das Gelächter hinter dem Vorhang und die fatalen Worte – »Ich habe die Wette gewonnen, Flaviana!« – ertönten noch zu stark in meiner Seele als daß ich diese Botschaft einer Dame, von welcher ich mich so unverzeihlich gemißhandelt glaubte, aus dem Munde einer alten Freundin, die mich das zwischen uns bestehende Mißverhältniß auf eine so kränkende Art fühlen ließ, so gut hätte aufnehmen können wie sie gemeint war.

Ich antwortete trotzig: ich wäre mir keines Verbrechens bewußt, das mich der freien Wahl meines Aufenthalts, die mir als einem Römischen Bürger zukomme, berauben könnte. Was die milde Gabe der Prinzessin betreffe, so brauchte ich zu meinen Bedürfnissen nur Obolen; und da ich deren gerade so viele hätte als ich brauchte, so bäte ich sie, ihr Gold einem andern zuzuwenden, der dessen bedürftiger wäre als Proteus. [140] – Und nach dieser impertinenten Gegenrede wandte ich Diokleen, die einen Blick voll kalter Verachtung auf mich heftete, mit aller Selbstzufriedenheit eines Menschen, der unverbesserlich geantwortet zu haben glaubt, den Rücken zu, und ging davon.

Kaum war der nächste Morgen angebrochen, so wurde ich zum Präfect der Stadt Rom berufen. Ich zweifelte nicht, daß mir der Vorgang am gestrigen Abend diese Ehre zuzöge, und versah mir daher wenig Gutes zu ihm. Aber es war mein Loos, die Menschen immer anders zu finden als ich sie erwartete. Der Präfect nahm mich auf die Seite, und sagte mir mit einem sehr strengen Blick, aber mit einem eben so sanften Ton der Stimme: er habe Ursache zu glauben, daß die Luft und der Aufenthalt zu Rom mir ganz und gar nicht zuträglich sey, und wolle mir also, als mein guter Freund, gerathen haben, mich ohne Verzug aus Italien zu entfernen, und nach Griechenland oder Aegypten zurückzukehren. – Ja wohl, rief ich, ist die Luft von Rom Pest für mich! Dein Rath ist ein Befehl meines guten Dämons; ich gehorche ihm auf der Stelle. Und hiermit flog ich meiner Herberge zu, packte meinen Quersack, und machte mich noch in der nämlichen Stunde auf den Weg nach Brundusium.


Lucian.


Du eilest, wie ich sehe, zur Entwickelung der seltsamen Tragikomödie deines Lebens; und doch kann ich dich nicht mit der Frage verschonen, durch welchen seltsamen Zufall wir die Schwester des Propheten Kerinthus, die wir als eine eifrige Theilnehmerin an seinen weitgränzenden Entwürfen verließen, [141] so unvermuthet unter den Hausgenossen der schönen Faustina wiederfinden?


Peregrin.


Eine völlig befriedigende Auskunft über diesen, auch mir damals sehr unerwarteten Zufall, würde eine umständliche Geschichte des Fortgangs und Ausgangs der Unternehmungen dieses außerordentlichen Mannes erfordern, welche du bei Gelegenheit besser aus eben der Quelle, woraus ich sie selbst habe, nämlich aus seinem oder Diokleens eigenem Munde, schöpfen wirst. Alles was ich dir mit wenigem davon sagen kann, ist: daß die Eifersucht einiger der angesehensten und thätigsten Vorsteher der Brüdergemeinen von seinen immer sichtbarer werdenden ehrgeizigen Absichten und von der Verfälschung der Lehre ihres Meisters und seiner ersten Jünger, die ihm Schuld gegeben wurde, Gelegenheit nahmen, ihn und seine Anhänger, bald nach meiner Trennung von ihnen, in so schlimme Händel zu verwickeln, daß ihm, nachdem er alle andern Hülfsquellen seines so erfindsamen und ränkevollen Kopfes erschöpft hatte, zuletzt kein andrer Ausweg übrig blieb, als auf immer zu verschwinden, und die Vollendung seines zu rasch betriebenen Plans der Zeit zu überlassen, welche im Lauf von etlichen Jahrhunderten zu Stande brachte, was kein Werk für das Leben eines einzigen Mannes war. Seine Schwester war bei dieser Katastrophe vorsichtig genug gewesen, in Zeiten für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Sie wurde mit eben der Leichtigkeit wieder Dioklea, womit sie sich ehemals in eine Theodosia verkleidet hatte; und als sie nach einer absichtlichen Verborgenheit von etlichen Jahren in [142] Rom wieder zum Vorschein kam , fand sie durch Vorschub ihrer zahlreichen Freunde gar bald einen Weg, der ältern Faustina als die tauglichste Person zur Erziehung ihrer einzigen Tochter empfohlen zu werden. In dieser Stelle erwarb sie sich durch ihre Klugheit das Vertrauen der Mutter, und durch die gefällige Anmuth ihres Betragens und die Mannichfaltigkeit ihrer Talente die Zuneigung der Tochter in einem so hohen Grade, daß sie nach der Vermählung der letztern mit dem Cäsar Marcus ihr in das Haus ihres Gemahls folgte, und bis ans Ende ihres Lebens die vertrauteste ihrer weiblichen Günstlinge blieb.


Lucian.


Dieß ist zu meiner Beruhigung hinreichend; denn ich muß gestehen, daß es mir nicht gleichgültig gewesen wäre, über das Schicksal dieser vielgestaltigen und in jeder Gestalt so anziehenden Dame in Ungewißheit gelassen zu werden. Ein Kerinthus mag verschwinden, wenn er seine Rolle nicht länger spielen kann: aber für eine Dioklea findet sich unter jedem Glückswechsel noch immer eine anständige Rolle. Wie hätte die schöne Faustina in bessere Hände gerathen, oder wo hätte sie eine wachsamere Aufseherin, eine erfahrnere Rathgeberin, eine gefälligere Freundin, und eine geschicktere Ausrichterin ihrer Aufträge finden können als Diokleen? Das Schicksal sorgte für beide da es sie zusammen brachte: lass' nun hören, Peregrin, was es für dich that, da es dich von beiden vermuthlich auf immer trennte.


Peregrin.


Es würde ihm schwer gewesen seyn, etwas für einen [143] Eigensinnigen zu thun, der eine so besondere Gabe hatte, alles, was Götter und Menschen zu seinem Besten thun wollten, zu vereiteln, oder gegen ihre Absicht zu seinem Nachtheil zu kehren. In der That war ich in meinem ganzen Leben nie weniger aufgelegt gewesen als damals, meine Ruhe von irgend einem Wesen außer mir abhangen zu lassen, geschweige eine bessere Behandlung, als ich bisher von den Menschen erfahren hatte, durch Gefälligkeit um sie verdienen zu wollen; und die Betrachtungen, die auf meiner einsamen Wanderschaft aus Italien meine einzige Gesellschaft ausmachten, waren nicht sehr geschickt, mich in eine andere Stimmung zu setzen.

Ich rief alle Verhältnisse und Verbindungen, worin ich in meinem bisherigen Leben gestanden, in mein Gedächtniß zurück; ich verglich in jeder dieser Lagen meine Erwartungen mit dem Erfolge; und das Resultat war: daß ich mich stärker als jemals überzeugt fühlte, ich würde, so oft ich unter den Menschen um mich her meines gleichen gefunden zu haben wähnte, mich eben so übel betrogen sehen, als ich es bisher immer gewesen war.

Was blieb mir also übrig, als mich mehr als jemals in mich selbst hineinzuziehen und von andern schlechterdings nichts weiter zu erwarten noch zu fordern? Aber – um ihnen doch wenigstens dafür, daß sie mir den freien Gebrauch der Luft und des Wassers ließen, meine Dankbarkeit zu zeigen, setzte ich mir von neuem vor, ihnen bei jeder Gelegenheit öffentlich und besonders, wo nicht zu ihrer Besserung, wenigstens zu ihrer Beschämung und Demüthigung, die Wahrheit [144] zu sagen. Es ist immer etwas gethan, dachte ich, wenn wir sie, trotz ihrer selbstgefälligen Eitelkeit und ihrer allgemeinen stillschweigenden Abrede einander durch Höflichkeit und Schmeichelei zu hintergehen, nöthigen können, sich in dem ungefälligen Spiegel den wir ihnen vorhalten, wär' es auch nur auf Augenblicke, so zu sehen wie sie wirklich sind.

Mit diesem Vorsatze kam ich nach Griechenland zurück; und aus diesem Gesichtspunkte, Freund Lucian, wirst du dir leicht erklären können, wie es zuging, daß diejenigen, die sich durch meine Freimüthigkeit beleidigt fanden, den Mann, – der keiner ihrer Thorheiten schonte, und sogar die Tugenden und Verdienste, worüber sie von aller Welt beklatscht wurden, durch ein Probefeuer gehen ließ, worin sie in Rauch und Dunst zerflossen, – in den Ruf eines menschenfeindlichen, bissigen und halb tollen cynischen Hundes brachten. In diesem Stücke war alles, was du deinen Ungenannten sagen lässest, bloßer Widerhall der öffentlichen Stimme. Aber, wenn es nöthig wäre hierüber ins Besondere zu gehen –


Lucian.


Ueberhebe dich dieser Mühe, die nach allem, was ich nun von dir weiß, ganz überflüssig wäre. Ich begreife nicht nur, wie du, zum Beispiel, die glänzenden Verdienste, welche sich der Sophist Herodes Attikus, der eitelste aller Menschen die ich kenne, kraft seiner unermeßlichen Reichthümer um die Eitelkeit und Ueppigkeit der Griechen machte, ohne Ungerechtigkeit in einem ganz andern Lichte sehen konntest, oder vielmehr sehen mußtest, als der große Haufe: ich gestehe sogar, [145] daß ich selbst nicht zu entschuldigen bin, diesem hoffärtigen Glücksgünstling einige Höflichkeiten, die er mir erwiesen hatte, auf deine Unkosten bezahlt zu haben.


Peregrin.


Dafür, lieber Lucian, hast du selbst mich schon mehr als hinlänglich gerochen, da du, in einem andern deiner Aufsätze, eben diese Freimüthigkeit gegen den nämlichen Herodes 22, welche mir zum Verbrechen gemacht wurde, an Demonax – der im Grunde so gut ein Cyniker heißen konnte als ich – mit Lobsprüchen belegtest.


Lucian.


Ich muß gestehen, diese kleine Züchtigung ist nicht ganz unverdient; wiewohl ich zu einiger Entschuldigung anführen könnte, daß Demonax der liebenswürdigste und gutlaunigste aller Cyniker war, und seinen Tadel, ja sogar seine Spöttereien mit einem so feinen Attischen Salze zu würzen und in einer so angenehmen Manier vorzubringen wußte, daß die Getroffenen selbst nur selten ungehalten auf ihn werden konnten.


Peregrin.


Er glich hierin unserm gemeinschaftlichen Meister Agathobulus, welchem ich aus bereits angeführten Ursachen weder gleichen wollte, noch konnte. Bei mir ging, vermöge der individuellen Form meines Wesens, alles über die Aristotelische Linie der Mäßigung hinaus. Wen ich nicht mit Schwärmerei lieben, mit Entzückung loben konnte, den mußte ich mit Abscheu fliehen, mit Bitterkeit tadeln. Wie hätte sich [146] die Welt mit einem solchen, Menschen, oder er sich mit ihr, vertragen können? Niemand fühlte dieß stärker als ich selbst, und daher bracht' ich auch den größten Theil meines übrigen Lebens in der einsamsten Abgeschiedenheit zu. Selbst das stille Athen war für mich noch nicht still genug. Ich wählte eine kleine abgelegene Bauerhütte nicht weit von der Stadt zu meinem gewöhnlichen Aufenthalt; und außer einigen jungen Leuten, die mein Ruf, – und einem oder zweien, welche die täuschende Hoffnung, durch den Unterricht eines weisen Mannes selbst weise zu werden, an mich zog, war der Cyniker Theagenes von Paträ der einzige Mensch, dessen Besuche ich annahm, aber in der That mehr duldete als wünschte.

Ich wundre mich nicht, Freund Lucian, daß dieser Theagenes in deinem Berichte von meinen letzten Tagen so übel weggekommen ist. Er hatte (außer seiner Schwärmerei für mich) in seiner ganzen Person zu viel Anstößiges für einen Mann wie du, als daß du billiger gegen ihn hättest seyn können als gegen mich selbst. Indessen war er im Grund ein Mensch von gutem Willen, und ich glaube noch in diesem Augenblicke, daß sein Eifer für mich aufrichtig war. Allein eine grobe Organisation, eine pöbelhafte Erziehung, eine gewisse angeborne Ungeschmeidigkeit, und ein natürlicher aber vom Glücke nicht begünstigter Hang zu einem müßigen und unabhängigen Leben, kurz, eben dieselben Umstände, die ihn in den cynischen Orden geworfen hatten, setzten seiner Ausbildung so enge Gränzen, daß er es, mit aller seiner Schwärmerei für den Thebanischen Hercules und – meine Wenigkeit, [147] doch nie weiter brachte, als unter den vulgaren Cynikern dieser Zeit eine ziemlich ansehnliche Person vorzustellen. Gleichwohl, so wie er war, gewann ihm seine Gutmüthigkeit, sein Feuer und seine leidenschaftliche Zuneigung zu mir einigen Antheil an einem Herzen, dessen dringendstes Bedürfniß war etwas zu lieben: und wenn er mich gleich durch die unzähligen Dissonanzen, welche seine Art zu empfinden, zu denken und zu leben mit der meinigen machte, oft genug zurückstieß; so blieb es mir doch unmöglich, den einzigen Menschen von mir zu entfernen, von welchem ich gewiß zu seyn glaubte, daß er von Herzen und ohne eigennützige Rücksichten an mir hange. Und so folgte denn auch ganz natürlich, daß er bei meiner berüchtigten Todesscene die erste und geschäftigste Nebenrolle auf sich nahm.

Diese letzte Epoche meines Lebens – welches (wie du gesehen hast) außerordentlich genug gewesen war, um sich auf eine ungewöhnliche Art zu endigen – ist nun das Einzige, lieber Lucian, worüber ich dir noch einige Erläuterungen schuldig bin.

Ein freiwilliger Ausgang aus dem Leben, ungeachtet er von den Platonen und Epikteten aus sehr scheinbaren Gründen gemißbilligt wurde, war von jeher unter Griechen und Römern von einer gewissen Classe etwas so wenig Seltenes gewesen, und im Gegentheil durch große Beispiele so sehr gerechtfertigt und, so zu sagen, geheiligt worden, daß sich schwerlich jemand darüber verwundert oder bekümmert haben würde, wenn ich meinem Leben in der Stille, wie so manche [148] andre Philosophen, durch Hunger, oder Opium, oder einen laufenden Knoten ein Ende hätte machen wollen. Aber ein in Griechenland so ungewöhnlicher, so feierlicher und vier Jahre zuvor öffentlich angekündigter freiwilliger Tod mußte allgemeine Aufmerksamkeit erregen, und es war leicht voraus zu sehen, daß er von dem einen für die größte Heldenthat, von einem andern für Wahnsinn, und von einem dritten für bloße Charlatanerie erklärt, von allen aber, oder doch wenigstens von den meisten, nur ihren eigenen Augen geglaubt werden würde.

Den Gedanken, mein Leben, sobald ich fühlte daß es Zeit wäre, freiwillig zu beschließen, hatte ich schon lange, und in der That schon damals gefaßt, als ich mich zu Alexandrien entschloß, das Bild eines philosophischen Hercules in meiner Art zu leben darzustellen. Seit meiner Verbannung aus Italien war dieser Gedanke mit jedem Jahre lebendiger geworden. Das Leben unter den Erdebewohnern, das seit meinen letzten Erfahrungen zu Rom allen Reiz für mich verloren hatte, wurde mir nun von Tag zu Tage gleichgültiger, und endlich gar verhaßt. Meine ganze Art zu seyn und die äußerst strenge Enthaltsamkeit, welcher ich von jener Zeit an getreu blieb, hatte alle natürlichen Bande, die den einzelnen Menschen ans Leben fesseln, nach und nach bei mir zu dünnen Zwirnsfaden abgeschlissen. Dagegen war die Stärke jenes sonderbaren Gefühls meiner dämonischen Natur – welches dich nun nicht mehr an mir befremden darf, da es die erste und mächtigste Triebfeder meiner ganzen Thätigkeit war – in eben dem Maße gewachsen, wie der natürliche Trieb zum [149] Leben die seinige verlor. Das Klümpchen organisirter Erde, womit ich mich noch schleppen mußte, wurde mir immer überlästiger; diese Organe selbst waren in meiner Vorstellung nur Hindernisse einer vollkommenern Art zu sehen, zu hören, mit dem Weltall, und vornehmlich mit den geistigen Wesen und Kräften desselben, in engere Beziehungen zu kommen, kurz, zu einer unendlich schönern und unbeschränktern Thätigkeit zu gelangen. Ich fühlte mich endlich von einer unbeschreiblichen Sehnsucht nach diesem höhern Leben, an dessen Wirklichkeit ich nie gezweifelt hatte, gepreßt: und da die Hoffnung, den Menschen durch meinen längern Aufenthalt unter ihnen nützlich zu seyn, immer schwächer und schwächer wurde; da sie mir endlich als eine lächerliche Chimäre erschien, die nur in dem Gehirn eines mit der Welt gänzlich unbekannten schwärmerischen Jünglings erzeugt, und, nach allem was mit mir vorgegangen war, nur von einem unheilbaren Thoren länger gehegt werden könne: so blieb nun nichts übrig, was mich hätte zurückhalten können, und ich beschloß zu sterben.

Aber in eben demselben Augenblicke stellte sich mir auch der Gedanke dar: da mein Leben der Welt zu nichts nütze gewesen sey, wenigstens meinen Tod wohlthätig für sie zu machen. In diesem Zeitalter der weichlichsten Entnervung müßte, dachte ich, das unmittelbare öffentliche Schauspiel eines freiwilligen heroischen Todes, so eines Todes wie Hercules auf dem Oeta und Kalanus 23 im Angesichte Alexanders und seines ganzen Kriegsheeres starb, einen tiefern und heilsamem Eindruck auf die Gemüther machen, als der beredteste Moralist durch die schönsten Declamationen im Lyceum oder in der [150] Stoa in zwanzig Jahren bewirken könnte. Du weißt schon, lieber Lucian, wie leicht meine Einbildungskraft durch Vorstellungen dieser Art in Flammen zu setzen war; und doch müßte es dir lächerlich vorkommen, wenn ich ohne die geringste Uebertreibung von dem seltsamen Reiz sprechen wollte, den der Gedanke – mich zu Olympia vor den Augen so vieler Myriaden von Griechen und Ausländern aus allen Gegenden der Welt in einer schönen Sommernacht zu verbrennen – bei seiner ersten Entstehung für mich hatte.

Von welcher Seite ich diesen Tod betrachtete, zeigte er sich mir in einer blendenden Gestalt. In Rücksicht auf die Menschen der gegenwärtigen und künftigen Zeiten war er eine glorreiche Selbstaufopferung, welche mich durch ein unvergeßliches Beispiel der Standhaftigkeit, der Geringschätzung dessen was den Sterblichen über alles ist, und des innern Bewußtseyns einer über dieses armselige Erdeleben hinaus reichenden Bestimmung, auf ewig zum Wohlthäter der Menschen, die so wenig um mich verdient hatten, machen würde. In Rücksicht auf mich selbst war es die kürzeste, edelste, der ursprünglichen Natur des Dämons in mir, der mein wahres Ich ausmachte, angemessenste Art, nach einer schon zu lange dauernden Verbannung auf dieses verhaßte Land der Täuschungen, der Leidenschaften und der Bedürfnisse in mein ursprüngliches Element zurückzukehren. Ueberdieß muß ich gestehen, daß ich mich auch nicht wenig durch die Vorstellung geschmeichelt fand, den Christianern zu zeigen, daß sie nicht die einzigen seyen, die durch ihren Glauben mit dem Muthe begeistert würden, dem Anblick eines peinvollen Todes Trotz zu bieten.


[151] Lucian.


Aber, wenn alle diese Vorstellungen so mächtig auf dich wirkten, wie kam es, daß du dich bei der nächsten Wiederkehr der Spiele zu Olympia an der bloßen Ankündigung deines Vorsatzes begnügtest, und die Ausführung noch vier ganzer Jahre, die dir in einer solchen Gemüthsstimmung vier Jahrhunderte scheinen mußten, verschieben konntest?


Peregrin.


Aufrichtig zu reden, Lucian, – da ich mit allen meinen seltsamen Eigenschaften am Ende doch so gut ein Mensch war wie andere, so möchte ich nicht dafür stehen, daß der Instinkt, der alle Lebendigen mit einer geheimen und nur desto mächtigern Gewalt an die einzige Art von Daseyn, welche sie aus unmittelbarer Erfahrung kennen, fesselt, nicht auch bei mir seine Wirkung gethan haben könnte. Indessen ist alles was ich hiervon mit Gewißheit sagen kann, daß ich mir dieser Bewegursache nicht bewußt war. Ich hatte vielmehr lange mit mir selbst zu kämpfen, bis ich zum Entschluß kam, mein ungeduldiges Verlangen nach dem Tode, als die letzte Leidenschaft, die ich der Weisheit noch aufzuopfern hätte, zu überwältigen, und das Heroische und Exemplarische desselben eben dadurch, daß ich ihm vier Jahre lang schrittweise entgegen ging, desto auffallender und vollkommener zu machen. Dieß, lieber Lucian, war wenigstens der einzige Beweggrund, den ich mir selbst gestand, dem ich alles mögliche Gewicht zu geben suchte, und der endlich um so mehr die Oberhand behielt, weil ich dadurch Zeit gewann, theils die wenigen [152] Freunde, die mit Wärme an mir hingen, auf unsere Trennung vorzubereiten, theils einen sonderbaren Einfall auszuführen, welchen mir die Begierde, ganz Griechenland durch meinen Tod in eine heilsame Erschütterung zu setzen, eingegeben hatte.


Lucian.


Du sprichst vermuthlich von den sogenannten Cirkelbriefen, die du, wie die Rede ging, als eine Art Vermächtnisse an alle Städte von einigem Ansehen in Achaja und in dem Griechischen Asien erlassen haben solltest?


Peregrin.


Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich die Vorstellung der Wirkungen machte, welche der letzte Wille eines auf eine so außerordentliche Art sterbenden Weisen auf diejenigen thun müßte, denen er – zu einer Zeit, da ihm für sich selbst an ihrem Wohl oder Weh, so wie an ihrer guten oder schlimmen Meinung von ihm, nichts mehr gelegen war – auf eine so uneigennützige und rührende Art zu erkennen gab, wie sehr ihm ihr Bestes am Herzen liege. Eine geraume Zeit vor meinem Tode beschäftigten diese Cirkelbriefe 24 meine ganze Seele; sie erhielt unvermerkt dadurch die Wärme und Begeisterung meiner Jugend wieder. Noch nie, däuchte mich, war ein Menschensohn vor mir in einer Lage und Stimmung gewesen, die ihm einen so großen Vortheil über seine Brüder gab; die ihn in einem so hohen Grade berechtigte, ihnen jede heilsame Wahrheit mit einem (wie ich in meiner gutherzigen Narrheit mir einbildete) so unwiderstehlichen Nachdruck ins [153] Gesicht zu sagen; und die hingegen auch sie, auf ihrer Seite so geneigt machen müßte, seinem strafenden Tadel und den Vorschlägen, die er ihnen zu Verbesserung ihrer Polizei und ihrer Sitten that, Gehör zu geben. Ich richtete es mit Hülfe meiner Cyniker und ihres Anhangs so ein, daß alle diese Briefe zugleich mit der Nachricht von meinem Tode bei ihren Behörden eintreffen mußten; und – was vielleicht unter allen Sterblichen nur mir begegnen konnte – während der ganzen Zeit daß ich mich mit diesen meinen moralischen und politischen Vermächtnissen beschäftigte, kam es mir auch nicht ein einzigesmal in den Sinn, daß sie sowohl ihres feierlichen Tons als ihres Inhalts wegen, als Träume eines Wahnsinnigen mit Nasenrümpfen und Achselzucken aufgenommen werden, und alles nicht um ein Haar besser gehen würde, als es ohne mich und meinen letzten Willen in der Welt gegangen wäre.

Da es mir mit dieser ganzen Beichte meines abenteuerlichen Lebens bloß darum zu thun war, dich, durch umständliche Erzählung dessen, was du nicht wußtest, in den Stand zu setzen, von dem, was du wußtest oder zu wissen glaubtest, richtiger und billiger zu urtheilen; so kann ich es nun ganz getrost dir selbst überlassen, mich, wo es vonnöthen ist, gegen den Verfasser der Nachrichten von Peregrins Lebensende in deinen Schutz zu nehmen. Alles Mißverständniß hört nun auf, und Peregrinus Proteus steht nun, als ein Schwärmer, wenn du willst, aber wenigstens als ein ehrlicher Schwärmer vor dir da. Du kannst dir nun ohne Mühe selbst erklären, was an der Erzählung des Arztes Alexander [154] (der in dem heftigen Fieber, welches mich acht oder neun Tage vor meinem Tode überfiel, zu mir gerufen wurde) wahr oder unwahr gewesen seyn könne; und wirst leicht begreifen, wie der Arzt Alexander die Ursache, die ich ihm angab, warum ich lieber freiwillig in den Flammen zu Harpine als an einem hitzigen Fieber sterben wollte, eben sowohl falsch ausgedeutet, als der Sophist Lucian die Ursache dieses Fiebers durch sein – »vermuthlich weil er sich den Magen überladen hatte« – übel errathen haben könne. Auch kann ich mich wegen der Todesfurcht, aus welcher mein besagter Gegner sich die Verzögerung meiner öffentlichen Verbrennung begreiflich machte, nun, da kein Nebel mehr zwischen uns ist, getrost auf das Augenzeugniß meines Freundes Lucian berufen, der mich den Holzstoß mit ziemlich fester Hand anzünden sah.


Lucian.


Dieses reinere Element, das wir nun bewohnen, macht es uns glücklicherweise eben so unmöglich uns selbst als andere mit Parteilichkeit anzusehen. – Es muß ein süßer Augenblick gewesen seyn, Peregrin, als du dich aus dem erstickenden Flammenstrudel auf einmal in dieses neue Leben versetzt fühltest!


Peregrin.


O gewiß! und doch für mich, der sich dessen versah, nicht so überraschend als für dich, den der kaltblütige Epikur überzeugt hatte, daß mit dem letzten Athem alles aufhöre.


[155] Lucian.


In der That, das Vergnügen dieser Ueberraschung war so groß, daß ich seine Philosophie – auch ohne Rücksicht auf so viele andere große Vortheile, welche sie über das irdische Leben verbreitet – um dieses einzigen willen für kein geringes Verdienst halte, das der gute Mann sich um die Menschheit gemacht hat. Doch hiervon ein andermal!

Antworten und Gegenfragen
[156] Antworten und Gegenfragen auf die Zweifel und Anfragen eines vorgeblichen Weltbürgers.
1783.
[157][159]

Wenn es noch zweifelhaft wäre, ob es auch unächte Weltbürger gebe, die sich dieses edlen Namens anmaßen, ohne durch die Gleichförmigkeit ihrer Grundmaximen und Gesinnungen mit denen der wahren Kosmopoliten dazu berechtigt zu seyn, so hätte uns der ungenannte Verfasser der Neugierden eines Weltbürgers (einer vor kurzem auf anderthalb Bogen im Druck erschienenen Flugschrift) der Mühe überhoben, die Welt über das Daseyn solcher falscher Brüder außer allem Zweifel zu setzen.

Dieser vorgebliche Weltbürger hat zwar seine Zweifel und Anfragen ausdrücklich nur den Staatsgrüblern zur Prüfung und Beantwortung gewidmet: da aber einige der erstem (und gerade diejenigen, die ihm die meisten Wehen zu machen scheinen) so beschaffen sind, daß sie ohne alle staatsgrüblerische Spitzfindigkeit mit bloßer Hülfe des schlichten Menschenverstandes gehoben werden können; so finde ich mich um so mehr bewogen, ihm diesen kleinen Dienst zu leisten, indem diese Zweifel gerade solche Gegenstände betreffen, worüber sich die wahren Kosmopoliten durch eine gegen die seinige sehr stark abstechende Vorstellungsart unterscheiden.

Nichts ist wohl natürlicher, als daß in einer Zeit, wo jedermann grübelt, manche Satze, welche in Jahrhunderten, [159] wo nur Mönche grübelten, für unzweifelhafte Wahrheiten galten, zu Aufgaben gemacht und genöthigt werden die Titel zu zeigen, auf welche sich ihre so lange unangefochtene Gewißheit gründe. Der gemeine Verstand, der alle Menschen instinctmäßig lehrt was ihnen gut oder böse sey, ist zwar für sich selbst träge, und läßt sich nur gar zu leicht zufrieden stellen, auch wohl unter gewissen Umständen auf ganze Jahrhunderte einschläfern. Ist er aber einmal aufgeschreckt und verschüchtert, so wird sein Mißtrauen eben so groß als seine vorige Sicherheit; er verliert allen Respect, glaubt seinen besten Freunden nichts mehr, wittert überall Betrug und Gefährde, durchleuchtet daher mit seinem Lämpchen jeden finstern Winkel, fürchtet sich aber eben so sehr vor gar zu blendendem Licht als vor heiligem Dunkel, weil ihn dünkt, daß man in dem einen so gut als in dem andern Gefahr laufe um seinen – Geldbeutel zu kommen.

Dieses Mißtrauen muß um so viel größer werden, je mehr er entdeckt, daß gewisse Leute sich sein gutherziges Vertrauen und feinen sorglosen Schlummer ungebührlich zu Nutze gemacht haben. Kommt dann noch eine naseweise Philosophie dazu, die ihn unaufhörlich mit Fragen beunruhigt, auf welche er nichts andres zu antworten weiß als »fragt meinen Hofmeister,« die sich aber mit dieser Abweisung so wenig befriedigen läßt, daß sie ihm vielmehr alles, was ihm sein Hofmeister von Kindheit an als heilige Wahrheit eingeflößt, eingesungen, eingepredigt und eingeprügelt hatte, streitig und zweifelhaft macht; eine Philosophie, die kein Ansehen der Person und Würde, kein Privilegium des Alters, keinen Besitzstand [160] der von Untersuchung des Titels befreie, gelten läßt, nichts Verborgenes unaufgedeckt, nichts Schimmerndes unangetastet, nichts Rätselhaftes unaufgelöst wissen will; die man sich nicht einmal durch derbe Beweise vom Halse schaffen kann, weil sie immer den Beweis des Beweises fordert; und ist es endlich gar so weit gekommen, daß diese Philosophie ihre Wirkungen, unter dem beliebten Namen der Aufklärung, der Befreiung vom Joch alter Vorurtheile u.s.w. mit Hülfe unzähliger Bücher-Fabriken und Drucker-Pressen über alle Stände einer großen Nation ausgebreitet und alle Arten von Köpfen in Gährung gesetzt hat: was Wunder, wenn endlich vor lauter Aufklarung, Freiheit zu denken, Eifersucht gegen alles menschliche und Mißtrauen gegen alles übermenschliche Ansehen, die Köpfe zu schwindeln anfangen, nichts um uns her mehr fest zu stehen scheint, und eine epidemische Zweifelsucht die Welt zuletzt mit einem noch schlimmem Zustande bedroht, als derjenige war, worin sie sich ihrem Hofmeister blindlings überließ, und eher an ihren eignen Sinnen als an der Unfehlbarkeit ihrer Führer zweifelte?

Augenscheinlich nähert sich ein großer Theil von Europa diesem Zustande mit starken Schritten. Die vorbesagte Philosophie, nicht zufrieden sich der höhern Classen allenthalben fast gänzlich bemächtigt zu haben, macht sich auch Wege zu demjenigen Theile des Volks, der sich beim bloßen Glauben immer noch am leidlichsten befunden hat. Was zuletzt die Folgen dieses immer allgemeiner werdenden Empörungsgeistes gegen alles Ansehen, gegen alles was unfern Vätern ehrwürdig und unverletzlich war, natürlicher Weise seyn werden – scheint [161] eine Aufgabe, deren Auflösung eines akademischen Preises würdiger wäre, als manche andre, womit man die dialektische Geschicklichkeit unsrer besten Köpfe zeither in Wetteifer gesetzt hat. Wahrscheinlicher Weise wird, wenn man mit der Religion und der Priesterschaft fertig ist, die Reihe auch an Untersuchungen kommen, die unfern weltlichen Gewalthabern in der Folge nicht behagen dürften, so gleichgültig auch das Gefühl ihrer Stärke sie jetzt dagegen machen mag. Denn auch sie wird man endlich fragen: aus welcher Macht thut ihr dieß und das? Von wem habt ihr diese Macht empfangen, und wem habt ihr Rechenschaft davon zu geben? Worauf gründen sich eure Vorrechte, Besitzthümer und Ansprüche? Habt ihr die Gewalt, die uns zu Boden drückt, von der Natur? Werdet ihr aus einer vollkommnern Masse gebildet als wir? Habt ihr mehr Sinne, mehr Hände und Füße? u.s.w. Oder, wenn sich alle eure Vorrechte (wie uns unsre Philosophen von dm Dächern herabpredigen) auf einen bloßen Vertrag zwischen uns und euch gründen; wenn alles, was ihr besitzt, bloß anvertrautes Gut ist, und euer Ansehen keinen andern rechtsbeständigen Grund hat noch haben kann, als eine von uns empfangene bedingte Vollmacht, die wir alle Augenblicke zurücknehmen können, sobald wir uns auf eine vorteilhaftere Art einzurichten wissen; wie könnt ihr erwarten, daß so aufgeklärte Leute, wie wir, in der wichtigsten Angelegenheit unsers zeitlichen Lebens – (des einzigen, welches uns übrig bleibt, nachdem uns eure Philosophen gelehrt haben, daß die Seele des Menschen in seinem Blute ist) – euch eine willkürliche und unbeschränkte Gewalt über unsere Personen, unser Eigenthum [162] und unser Leben einräumen werden? Ehe wir euern Verordnungen gehorchen, wollen wir untersuchen, ob sie uns glücklicher machen werden. Ehe wir euch Subsidien bewilligen, wollen wir erst wissen, wie ihr sie zu unserm Nutzen anzuwenden gedenket. Und ehe wir uns an die Schlachtbank führen oder in Gefahr setzen lassen, unsre Felder verwüstet, unsre Wohnungen angezündet, unsre Weiber und Töchter geschändet, und unsre Söhne in die Kriegsknechtschaft geführt zu sehen, wollen wir vorher untersuchen, was uns daran gelegen ist, ob ihr etliche Quadratmeilen mehr oder weniger zu besteuern habt oder nicht.

Ich zweifle keineswegs, daß unsere Obern nicht im Stande seyn sollten, auf alle diese unehrerbietigen Fragen – auch ohne Knüttel, Zuchthaus und Festungsbau – sehr gültige Antworten zu geben. Aber die Geschichte der vergangenen Zeiten belehrt mich, daß es doch immer sichrer ist, die Sachen nicht auf solche Spitzen zu treiben; daß illuminirte Bauern und begeisterte Knipperdollinge 25, Cromwelle u.s.w. gefährliche Sachwalter der Menschheitsrechte sind, und, mit Einem Worte, daß es besser ist, die wohlthätigen Wirkungen, die ein unvermerkt zunehmendes Wachsthum der Vernunft unfehlbar unter den Völkern der Erde hervorbringen wird, ruhig abzuwarten, als diesen Zeitpunkt (der doch gewiß noch kommen wird) durch Mittel beschleunigen zu wollen, deren unüberlegte Folgen schlimmer und verderblicher seyn würden als die Uebel, die man dadurch zu heben glaubt.

Der Himmel verhüte, daß der Gedanke, der bisherigen Aufklärung unsrer Zeiten durch etwas andres als durch gesunde [163] Vernunft und gründliche Wissenschaften Schranken zu sehen, jemals in denjenigen erweckt werde, welche Gewalt über uns haben! Wahre Erleuchtung über alles, was den Menschen wesentlich angeht, ist unser wichtigstes und allgemeinstes Interesse; und Verbesserungen sind ihre natürlichen Folgen. Aber es gibt auch Irrwische, deren betrügliches Licht in Moräste führt. Selbst das wohlthätige Sonnenlicht darf nicht anders als mit großer Behutsamkeit und durch fast unmerkliche Stufen in die schwachen Augen eines sehend gewordenen Blinden eingelassen werden, und ein zu starker Lichtstrom blendet sogar ein geübtes Gesicht. Aber die eine Hälfte der Welt in den Brand stecken, um der andern eine schöne malerische Beleuchtung zu geben, ist ein Project, das nur in so einem Kopfe sollte entstehen können, wie jener war, der Rom an vier Ecken anzünden ließ, um einem poetischen Gemälde vom brennenden Troja mehr Wahrheit geben zu können.

Die Herren, welche die goldnen Zeiten, auf die wir schon so manches Jahrtausend vertröstet werden, dadurch zu beschleunigen glauben, daß sie vor allen Dingen auf den Umsturz der Religionsverfassung von Europa antragen, mögen vielleicht ihrer eignen Meinung nach sehr kosmopolitische Absichten dabei haben: aber ihr Project selbst ist um nichts besser als jener Neronische Einfall. Unsre Väter wußten auch, und hatten's schon von ihren Vätern gelernt, daß keine menschliche Anstalt ohne Mißbräuche, keine Religion ohne Aberglauben ist: aber, daß man alle Religion abschaffen müsse, damit niemand Gespenster glaube, oder nach Noth Gottes wallfahrte wenn er was Nöthiger's zu Hause zu thun hätte, das ließen sie sich freilich eben [164] so wenig träumen, als daß man das bürgerliche Regiment abschaffen müsse, damit Richter, Amtleute und Advocaten das Recht nicht länger beugen können, und kein armes Bäuerlein mehr in den Fall komme über Execution oder Frohndienste zu wehklagen.

Eine weitläuftige Rechtfertigung unsrer Väter über diese Denkart zu unternehmen, würde eine unverzeihliche Verzweiflung an dem gemeinen Menschenverstande verrathen. Der Grundsatz, welchem sie in Veurtheilung und Schätzung des wesentlichen und zufälligen Nutzens oder Schadens der Religion folgten, geht durch alle Zweige des menschlichen Lebens. Wir würden auf den Zustand der Bewohner von Neu-Holland zurückgebracht werden, wenn man uns alles nehmen wollte, was durch Zufall oder Mißbrauch Schaden thut. Eure Philosophie selbst, ihr kurzsichtigen und voreiligen Verbesserer! – aller Aberglaube und alle Möncherei der ganzen Welt, von dem ersten Menschen an, der an seine Träume glaubte oder zu einem Fetisch sprach, sey mein Gott! hat nicht halb so viel Elend verursacht, als eure Philosophie in einem einzigen Menschenalter stiften würde, wenn bei jeder policirten Nation nur zwei Drittel an euern Unglauben glauben und nach euern Grundsätzen handeln würden.

Die ewige Quelle aller Chimären und Trugschlüsse, wodurch halb aufgeklärte Köpfe und aufgeklärte Halbköpfe sich selbst und andre täuschen, ist die Verwechslung willkürlicher Abstractionen mit den wirklichen Dingen dieser Welt. Man kann sich einen Staat, eine Polizei, ein durch Fleiß und Handlung blühendes Volk ohne Religion denken, – also [165] (schließt man) ist die Religion eine ganz entbehrliche Sache; und eine entbehrliche Sache, die so leicht gemißbraucht werden kann und durch den Mißbrauch so schädlich ist, wird am besten gar abgeschafft, sagen unsre raschen Kurzdenker.

Sollten diese Herren, die sich so viel aufgeklärter zu seyn dünken als die Gesetzgeber und Weisen aller Völker und Zeiten, den Unterschied zwischen einem Staate, der aus zwanzig Millionen metaphysischer Silhouetten, und einem Staate, der aus zwanzig Millionen lebendiger Menschenkinder besteht, auch wohl scharf genug durchdacht haben, um so gewiß zu seyn, daß dieser eben so gut ohne Religion bestehen könnte als jener? Oder, wenn auch ein wirklicher Staat der Religion, als politisches Institut betrachtet, für sich selbst entbehren könnte, wie wird er gegen andre Staaten aushalten, welche eine Religion haben, und bei denen (einen sehr möglichen Fall vorausgesetzt) diese Religion mit voller Kraft wirkte?

Doch, wir wollen über alle diese Fragen hinwegsehen. Der Bürger als Bürger soll, wenn die Herren wollen, der Religion entbehren, soll ohne sie im Zaum gehalten werden können: kann er sie darum auch als Mensch entbehren? Ist der Mensch um des Bürgers, oder der Bürger um des Menschen willen? Ist die Sorge für Nahrung und Kleidung, die Abführung seiner bürgerlichen Schuldigkeiten, und das Bestreben nach Reichthum und üppigem Genuß die einzige oder höchste Angelegenheit des Menschen? Ist er nicht ein Wesen, das, sobald es sich ganz fühlt, sich einer sittlichen und geistigen Vollkommenheit fähig, und zu Geschäften, die dieser Fähigkeit entsprechen, geboren fühlt? Wollen wir diesen edlen Instinct [166] in ihm ersticken? ihn bloß auf die thierischen Triebe einschränken? ihn mit aller Gewalt zu einer Art von Geschöpfen herabwürdigen, die bloß dafür gefüttert werden, daß sie am Pfluge ziehen und Lasten tragen? Ihm die Religion nehmen ist freilich der kürzeste Weg dazu. Aber wenn auch Philosophen und Despoten sich mit einander vereinigten, diese schändliche Entmenschung an ihren Untergebenen vorzunehmen, werden diese die Operation so geduldig aushalten? Werden sie, nachdem man ihnen ohnehin schon fast alles genommen hat, woran sie ein natürliches Recht mit auf die Welt brachten, sich auch noch das absophistisiren lassen, was jede Nation des Erdbodens immer als ihre letzte Zuflucht, als ihr heiligstes und liebstes Gut, als einen Schatz, gegen welchen in Augenblicken des Enthusiasmus das Leben selbst für nichts geachtet wird, angesehen haben? – den Glauben ihrer Väter, den Glauben an eine Vorsehung die für alles sorgt, an einen unsichtbaren Weltbeherrscher dem alles unterthan ist, an unsichtbare Beschützer von welchen Hülfe zu erlangen ist wenn sonst nichts helfen kann, an ein künftiges Leben wo alles in Ordnung und Gleichgewicht kommt, alles, was hier gesündiget wurde, gebüßt, alles, was hier unvergolten blieb, vergolten werden wird? – Welch ein Unternehmen, dem Menschengeschlecht den Trost, der aus diesem Glauben entspringt, rauben zu wollen? Und welch ein Wahn, sich einzubilden daß man es könne?

Man sage nicht, daß ich hier Streiche in hie Luft führe; daß die Meinung der Herren, von denen die Rede ist, nicht sey, die Religion selbst, sondern nur den Mißbrauch der [167] mit ihr getrieben werde, abzustellen. Wenn dieß wäre, würden sie sich anders benehmen und eine andere Sprache führen. Wenn einer mitten unter eine ganze Nation hintritt und fragt:

»stehet zu vermuthen, daß dem respectiven Gouvernement weniger Gehorsam geleistet werden wird, daß es weniger gute Staatsbürger geben wird, wenn den Völkern die Furcht vor dem Religionsgespenste genommen wird?«

so muß man ihm wenigstens lassen, daß er die Gabe hat sich kurz und deutlich zu erklären; und ich sehe nicht, wie unser Weltbürger, der dieß gefragt hat, seine Meinung über die Religion stärker und runder hätte heraussagen können. Sie ist ihm bloße Pfaffenerfindung, ein Gespenst womit man Kinder schreckt, und womit sich nur Kinder schrecken lassen. Und freilich, wenn sie nichts als das ist, so kann man nicht besser thun, als sie je eher je lieber abzuschaffen; so wie nichts gerechter wäre, als die Geistlichkeit – oder, wie sich unser After-Kosmopolit ausdrückt, die Pfaffen beiderlei Geschlechts – für vogelfrei zu erklären, wenn es wahr ist, daß sie »Feinde des Staates sind, und Feinde des Staates ziehen.«

Religion und Gespenster stehen also, in dem aufgeklärten Kopfe des Welt- und Staatsbürgers, der so bescheidne und wohlüberlegte Fragen an seine Mitbürger thut, in Einer Linie. »Und sind es nicht immer Kinder die an Gespenster glauben, fährt er fort zu fragen, und große Leute glauben doch nicht daran?« – Wenn ich nicht irre, so war es kein Kind, sondern ein großer Mann, ein Mann von sehr großem, [168] alles umfassendem und tief eindringendem Geiste (Bacon von Verulam), der gesagt hat: »Philosophie, nur mit den äußersten Lippen flüchtig gekostet, berauscht den Verstand, macht Religionsverächter und Ungläubige: nur mit vollen Zügen getrunken, wird sie Licht der Seele, und dann führt sie zu Gott.« – Waren Sokrates und Plato Kinder? Oder war es ein Kind, das von den Eleusinischen Mysterien sagte 26: »daß sie das beste Geschenk seyen, was Athen, die Mutter so vieler vortrefflichen und herrlichen Dinge, der menschlichen Gesellschaft gemacht habe; weil man in ihnen das, was den Menschen allein zum Menschen mache, die wahren Grundsätze um glücklich zu leben und mit bess'rer Hoffnung zu sterben, gelehrt werde.« Das Kind, das so treuherzig an das Gespenst der Eleusinischen Mysterien glaubte, war einer der ersten Männer in Rom, zu einer Zeit, wo ein Römer gegen die Männer unsrer Zeit ein Gott war. Wenn unser Weltbürger sich die Mühe geben wollte genauere Erkundigungen einzuziehen, so würde er finden, daß eine erste Ursache, die alles schafft, nährt und zu Einem verbindet, eine alles umfassende Vorsehung, die Verwandtschaft unserer Natur mit der göttlichen, und die instinctähnliche Ahndung der Fortdauer unsers wahren Selbsts über die engen Gränzen dieses Augenblicks von Leben, Gespenster sind, an welche von jeher unter allen Völkern und zu allen Zeiten die größten und erhabensten Geister geglaubt haben 27.

Doch, unser Weltbürger spricht ja auch von der Allgüte eines allweisen Schöpfers, indem er es mit dieser Allgüte und Allweisheit nicht verträglich findet, »daß die Vernunft [169] nicht hinreiche den Menschen zu führen.« – Aber wenn die Vernunft hinreicht den Menschen zu führen, wie verträgt sich's denn mit der Allgüte eines allweisen Schöpfers, »daß (wie er meint) nur so wenig Menschen vernünftig sind?« Vermuthlich will die Allweisheit, daß die Unvernünftigen sich von den Vernünftigen führen lassen; so thut denn Glauben bei jenen, was Vernunft bei diesen. Auch ist's meistens immer so gehalten worden: und wenn dieser Weltbürger die Portion von der allgemeinen Vernunft, die ihm selbst zu Theil geworden ist, dazu anwenden wollte, sich etwas tiefere Einsichten in die Beschaffenheit und den Zusammenhang der menschlichen Dinge zu verschaffen als seine Fragen und Zweifel zu verrathen scheinen; so würde er finden, daß gerade die Vernunft, die dem Menschen zum Führer gegeben ist, die Gesetzgeber und Weisen aller Völker dahin gebracht hat, durch die Religion dem bürgerlichen Vertrage die Sanction eines höhern Gesetzgebers, der Sittenlehre die stärksten Beweggründe, und der Tugend die höchste Begeisterung zu geben; daß es gerade die Vernunft dieser Weisen, ihre richtige und lebendige Kenntniß der menschlichen Natur war, was sie die Unzulänglichkeit der politischen Verfassung ohne Mitwirkung der Religion erkennen machte; und daß (sogar ohne Rücksicht auf die sittlichen Vortheile, welche die letztere dem Staate gewähren kann) die bloße Betrachtung, »daß der Keim und die Wurzel der Religion in der Natur des Menschen liegt, und ein Volk ohne Religion sich so wenig als ein Volk ohne Leidenschaften denken läßt 28,« hinlänglich war, die Vernunft der Gesetzgeber und Weisen von der Nothwendigkeit einer Religion [170] des Staats, d.i. einer unter der Aussicht und dem Schütze der bürgerlichen Obrigkeit stehenden öffentlichen Gottesverehrung, zu überzeugen.


Man muß sehr unbekannt mit der Geschichtskunde und den Verhältnissen der menschlichen Dinge seyn, um die Vortheile zu verkennen, welche die Religion, das Priesterthum, ja sogar ehemals das jetzt so verhaßte Mönchswesen, dem menschlichen Geschlechte gebracht haben. Läßt es die Beschaffenheit unsrer Natur nicht zu, daß wir diese Vortheile ganz rein genießen; ist es unmöglich, selbst die beste Volksreligion immer von aller Mischung mit Schwärmerei und Aberglauben frei zu erhalten; sind die Priester eben darum, weil sie Menschen find wie wir, Leidenschaften, Entwürfen und Handlungsweisen unterworfen, wodurch sie von ihrer wahren Bestimmung abgeführt und der bürgerlichen Gesellschaft nur gar zu oft schädlich geworden sind: von welchem Institut, welchem Stand unter den Menschen läßt sich nicht das Nämliche sagen? Aber wann hat die Vernunft jemals gelehrt, den Gebrechen einer nützlichen und (zur Zeit wenigstens) unentbehrlichen Sache durch Zernichtung derselben abzuhelfen?


Was sollen also Fragen wie diese? –

»Würde nicht auch Gras und Korn wachsen, wenn wir an Wistnu oder Vizlipuzli glaubten?

Wäre nicht das kürzeste Mittel, allem Ungemach des Aberglaubens und der Pfafferei abzuhelfen, wenn man dem Volke die Furcht vor dem Religionsgespenste benähme?

[171] Wozu die Pfaffen beiderlei Geschlechts, welche Feinde des Staats sind, und Feinde des Staats ziehen?

Verträgt sich Glauben mit Verstand?« u.s.w.


Solche Fragen thut weder ein Sokrates, der belehren, noch ein Unwissender, der belehrt werden will! Es sind (um ihnen den gelindesten Namen zu geben) Cruditäten eines Menschen, der – im Heißhunger nach einer schmackhaftern Nahrung als ihm von seinen Pädagogen gereicht worden seyn mag – auf einmal und allzu hastig mehr Französische Modephilosophie zu sich genommen hat, als er verdauen konnte.


Ueberhaupt hört man es diesem Weltbürger an seinem Ton an, daß er zu einem Volke gehört, dem seit kurzer Zeit (zum Behuf bekannter großer Absichten) eine Freiheit laut zu denken eingeräumt wurde, die keine natürliche Frucht der Staats- und Religionsverfassung desselben ist, und also auch eben so schnell wieder zurückgenommen werden kann, als sie gegeben wurde. Der gegenwärtige Zeitpunkt ist eine Art von Saturnusfest 29, wo jedem erlaubt ist zu sagen und drucken zu lassen was ihm einfallt. Da nun diese fröhlichen Tage vielleicht nicht lange währen möchten; da ein jeder wenigstens weiß, daß man ihm den Mund wieder zusiegeln könnte sobald Zeit und Umstände es anrathen würden: so eilen die Leute über Hals über Kopf, einem schon lange her gesammelten Groll gegen alte Mißbräuche Luft zu machen; und bei dieser wetteifernden Eilfertigkeit ist es denn sehr natürlich, daß mitunter auch viel unförmliches Zeug aufs Papier gegossen, und jede blähende Gährung verworrener Ideen für Drang und [172] innerlichen Beruf, auch etwas zu Beförderung der guten Sache beizutragen, angesehen wird.

Wir sind so weit entfernt, irgend einem Volke, dem es der Himmel gönnt, den Genuß dieser glücklichen Saturnalien zu mißgönnen, daß wir uns vielmehr über alles Gute freuen, was, als eine natürliche Folge der Freiheit des Untersuchungsgeistes und der durch sie bewirkten Aufklärung, sich über dasselbe verbreiten wird. Felices sua si bona norint! Aber eben darum wünschen wir, daß die Freiheit laut zu denken mit Bescheidenheit gebraucht werden möchte. Man darf und soll zwar über alle menschlichen Dinge philosophiren; auch über alle göttlichen, insofern sie durch die Vorstellungsart, Bedürfnisse und Leidenschaften der Menschen einen Zusatz von Unlauterkeit erhalten, oder sonst auf eine menschliche Art und Weise zu besondern Absichten modificirt worden sind. Wer philosophiren soll, muß es mit Freiheit thun dürfen, – oder es wäre gerade als wenn man einen Beobachter in Pflicht nehmen wollte, am Himmel und auf Erden weder mit bloßen noch mit bewaffneten Augen etwas zu sehen, worüber Petri Canisii christliche Lehre 30 (die unserm Weltbürger so anstößig ist) ins Gedränge kommen könnte. Aber, ehe man etwas Altes verwirft, muß man es lange, genau und ohne alle Vorurtheile und Leidenschaften von allen Seiten erforscht haben. Denn, so lange bis das Gegentheil erwiesen wird, ist die Präsumtion für das Alte; und ehe man etwas Neues anfängt, muß man sich auf alle nur mögliche Art gewiß gemacht haben, daß das Neue, wenn es plötzlich und mit Gewalt an die Stelle des Alten tritt, nicht andere Uebel nach sich ziehen werde, [173] die vielleicht ungleich schlimmer sind als diejenigen, denen man abhelfen will: denn, bis das Gegentheil aufs schärfste erwiesen worden, ist die Präsumtion immer gegen die Neuerung. Die weisesten Männer aller Zeiten haben mit Respect und Zurückhaltung von Meinungen und Gebräuchen gesprochen, die entwederconsensu omnium gentium oder religione majorum ehrwürdig geworden sind; und selbst Mißbräuche, die mit dem was einem Volke heilig ist und heilig seyn soll zusammenhangen, erfordern eine behutsame Hand, um ohne größern Schaden geheilet zu werden.

Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, wurden, vom vierten Jahrhundert an, nach und nach mit wunderthätigen Heiligen, mit Klöstern und mit Mönchen angefüllt, die in diesen Klöstern sich mit den Opfern, welche die fromme Einfalt jenen nichts mehr bedürfenden Heiligen darbrachte, mästeten. Diese fromme Einfalt unserer alten Vorfahren in den Jahrhunderten, die man die dunkeln und barbarischen nennt, ging freilich oft jehr weit. »Aber, mit allem dem (sagen wir mit den Worten eines verständigen und billigen Beurtheilers 31 der menschlichen Angelegenheiten) war diese sancta simplicitas nicht immer schädlich, und selbst für die Cultur und Bevölkerung Europens nicht ohne Nutzen. Sie hat zu vielen nützlichen bürgerlichen und politischen Stiftungen Gelegenheit gegeben. Sie hat, indem sie die Mönche bereicherte, zugleich das Land mit bereichert, die Industrie aufgemuntert, das Volk zur Tugend, und seine Unterdrücker zur Neue über ihre Verbrechen erweckt.«

Dieß ist historische Wahrheit; und was hier von der Devotion [174] unsrer Vorfahren überhaupt gesagt wird, getraue ich mir gewissermaßen von jedem religiösen Gebrauch, so sehr er auch in Mißbrauch ausgeartet seyn mag, selbst das Wallfahrten nach Roth Gottes nicht ausgenommen, zu behaupten. Nach einem Umlauf von so vielen Jahrhunderten haben sich freilich die Umstände verändert. Einer der ersten Vorwürfe, die man jetzt dem Mönchswesen macht, ist, daß es der Bevölkerung und Industrie nachtheilig sey. Vor tausend Jahren war's gerade umgekehrt. So ist's mit allen menschlichen Instituten. Was unter gewissen Umständen der Welt Vortheile brachte, wird ihr, bei geänderten Verhältnissen, lästig und schädlich. Die Mönche, die in einigen Zeitpunkten beinahe die einzigen Bewahrer des heiligen Feuers waren, sind zu andern Zeiten hier und da in Fakirn und Marabuts ausgeartet, die sich die Leichtgläubigkeit des Volkes ungebührlich zu Nutze machten, und, um ihr betrügerisches Gaukelspiel ungestraft forttreiben zu können, sich allem, was Vernunft und Aufklärung hieß, mit Fäusten und Fersen entgegensetzten. Aber auch in diesem Stücke haben sich die Zeiten ziemlich geändert; und, wenn man die Mönche unsrer Zeit die Verdienste ihrer Vorfahren nicht genießen lassen will, ist es billig, sie die Missethaten derselben entgelten zu lassen? Wozu also die beleidigenden und ungezogenen Ausdrücke, worin man über den ganzen Stand herfährt? Womit will man eine solche Verfahrungsart rechtfertigen? Und was für Wirkungen glaubt man daß sie auf die Gemüther des Volkes thun werden?

Man spricht und schreibt so viel von Toleranz, und verspricht sich so große Vortheile von der politischen Duldung [175] diffentirender Religionen. Ist es Ernst damit? Wünschen diese Weltbürger, die in Römischkatholischen Staaten (wo das Mönchswesen mit allen seinen Attributen und Accidentien nun einmal so tiefe Wurzeln geschlagen hat, und mit der religiösen und bürgerlichen Verfassung so enge verwebt ist) so heftig und ohne alle Unterscheidung gegen alles, was in diesem Punkt Religion und Institut der Vorfahren ist, wüthen, wünschen diese Herren im ganzen Ernst ihre dissentirenden Mitbürger in den Genuß eines gleichen Antheils an allen bürgerlichen Rechten eingesetzt zu sehen? Wünschen sie im Ernst, daß der grausame, die menschliche Natur entehrende und dem Staate so nachtheilige Religionshaß aufhöre, die Namen Ketzer und Ketzerei, womit das katholische Volk in gewissen Ländern noch so gräßliche Nebenbegriffe und schauderliche Gefühle verbindet, verbannt werden, und alle, die sich zu der mildesten und menschlichsten aller Religionen bekennen, einander als Kinder Eines Vaters und Glieder Eines Staates lieben und behandeln sollen? – Wünschen sie dieß aufrichtig: so ist wahrlich die Erbitterung, die sie durch unbescheidene Uebertreibung gewisser protestantischer Grundsätze in den Gemüthern der Römischen Geistlichkeit, und des gewiß noch immer an ihr hangenden großen Haufens, unterhalten und immer schärfer und giftiger machen, ein sehr ungeschicktes Mittel jene Absicht zu befördern.

Endlich (um das Wichtigste zuletzt zu sagen), wenn unserm Weltbürger, und allen die ihm gleichen, die Vertilgung alles dessen, was der Glückseligkeit der Völker im Wege steht, und die Bewirkung alles dessen, was sie befördern würde, wirklich [176] so sehr am Herzen liegt, und wenn sie so überzeugt sind, daß ohne Aufklärung keine Glückseligkeit, und ohne Freiheit der Vernunft und des Gewissens keine Aufklärung möglich ist: wie können sie so kurzsichtig seyn, nicht vorauszusehen, daß der Uebermuth, womit sie sich der ersten Augenblicke von Freiheit bedienen, der geradeste Weg ist, sich derselben wieder verlustig zu machen? Diejenigen, welche Gewalt über uns haben, und deren Gedanken selten unsre Gedanken sind, können, aus Absichten die vielleicht die besten von der Welt seyn mögen, eine Zeit lang zu dem Mißbrauche dieser Freiheit ein Auge zuthun. Aber wenn die schädlichen Folgen des Mißbrauchs endlich allzu auffallend werden; wenn Freiheit zu philosophiren in Freigeisterei ausartet; wenn sie die Grundfeste der Moralität untergräbt, und die stärksten Bande der Gesellschaft auflöset; wenn es endlich sichtbar wird, daß dieser Libertinismus, der das Palladium aller bürgerlichen Gesellschaft als ein Gespenst, und den Stand, dem die Bewahrung desselben anvertraut ist, als den verächtlichsten aller Stände behandelt, – wenn es, sage ich, sichtbar wird, daß dieser Libertinismus, auf einem ziemlich geraden Wege und unter ähnlichem Vorwande, auf den Umsturz aller andern Institute, Gerechtsame und Vorzüge, die ebenfalls keinen festern Grund als Meinung, Glauben, Alterthum, fromme Einsalt, Trägheit und Geduld der Völker haben, losgeht: dann könnten unsre Erdengötter wohl, um ihrer eignen Sicherheit willen, eben so plötzlich – den entgegengesetzten Weg einschlagen, und Maßregeln nehmen, die aller Aufklärung, Toleranz, Freiheit und Weltbürgerschaft auf einmal ein betrübtes Ende machen dürften.

[177] O Geist des gutherzigen, wohlmeinenden, aber einseitigen Helvetius! Wenn du, wie ich glaube, noch Antheil an den Schicksalen der Menschen nimmst, die du einst von ihren Vorurtheilen befreien wolltest, und wenn du, wie ich nicht zweifle, jetzt tiefer in die Natur und den Zusammenhang der menschlichen Dinge siehst, mit welchem Auge wirst du die Unternehmungen deiner unbesonnenen Schüler ansehen? Wer wußte besser als du, daß es ganz ein anderer Despotismus ist, als der hierarchische und mönchische, von welchem die Menschheit in unfern Zeiten am meisten zu befürchten hat? Wer hat dieses Ungeheuer, mit allen seinen furchtbaren Eigenschaften und verderblichen Wirkungen, wahrer, stärker geschildert als du? Aber wie konnte dir, oder wie kann irgend einem deiner Jünger verborgen seyn, daß es nur noch alle die schwachen Fäden – von alten Meinungen, Vorurtheilen und Instituten, womit diese Hyder umschlungen ist, – daß es nur noch diese im Einzelnen schwachen, aber zusammengenommen unzerbrechlichen Fäden sind, welche sie verhindern, ihre ganze Stärke zur Vernichtung aller noch übrigen Reste der menschlichen Freiheit anwenden zu können? Und ihr glaubt der Menschheit einen Dienst zu erweisen, wenn ihr mit eurem Lämpchen herumgeht, und einen dieser Faden nach dem andern absenget?


Doch, es ist Zeit daß ich auch mein Lämpchen auslösche. Wie oft sagte ich schon zu mir selbst: dieß soll das letztemal seyn, daß du deine Zeit verderben willst Mohren zu bleichen! [178] Die Menschen sind nun einmal nicht gemacht weise zu seyn. Immer werden sie thun wie ihre Väter von jeher gethan haben, – ihre Endzwecke durch ihre Mittel zerstören, weder in Haß noch Liebe Maß halten, und, wie dumme Fische, sich mit goldfarbenen Fliegen locken lassen, den Angel ihres Wohlthäters, des Fischers, hinab zu schlingen. Moralische Epidemien lassen sich so wenig durch Vernunftgründe als leibliche Krankheiten durch Zauberworte heilen.

Aber alles was ist und geschieht, gehört zu einem Plane, von dem wir nichts verstehen. Große und Kleine, Weise und Unweise, spinnen und weben wir alle an dem unendlichen Gewebe des Schicksals, ohne zu wissen was wir machen, und befördern unbekannte Endzwecke, indem wir oft gerade das Gegentheil zu thun glauben oder scheinen.

Und so bleibe es denn dabei, was Pope sagt:


– – – In erring reason's spite,
One truth is clear: Whatever is, is right. 32
Anmerkungen zum zweiten Theil
[179] Anmerkungen zum zweiten Theil.
Sechster Abschnitt.

1 302,500 Thaler.


2 Welches Vernunft, Sprache und Wort bedeutet, gehörte auch zu den Personificationen der Gnostiker, und wurde von Johannes auf Jesus bezogen. Um des Kerinthos Behauptung sogleich ganz bestimmt zu widersprechen, soll er diese Erklärung gleich an die Spitze seines Evangeliums gesetzt haben.


3 Abgrund.


4 Ebion oder Hebion, welcher ein Nachfolger des Kerinthos war, stimmte diesem nicht in allem bei, vornehmlich nicht in der Behauptung, daß die Welt von Engeln erschaffen sey. Er stimmte ihm aber in der Meinung über Jesus bei, und zeigte großen Eifer für den Mosaismus. – Valentinus, der in Aegypten die Platonische Philosophie studirt hatte, ein gelehrter und beredter Mann, gehört zu den Begründern des gnostischen Christianismus. Seine Lehre läßt sich auf drei Hauptpunkte zurückbringen: 1) von der Schöpfung der geistigen und materiellen Welt, 2) von der Natur Jesu, und 3) von der dreifachen Natur des Menschen. Der ungeborene, unsichtbare Gott, der Vater und die Tiefe, sagte er, wohnte in der Fülle (Lichtraum) mit seiner Gemahlin, der Denkkraft, die man auch Charis (Gnade?) und Schweigen nenne. Von ihnen stammen 15 männliche und 15 weibliche Aeonen, von einander nach und nach erzeugt. Von Gott selbst sind erzeugt die Aeonen Verstand (auch Monogenes, der Eingeborne) und Wahrheit, diese erzeugten den Logos und das Leben, diese den Menschen und die Gemeine. Von Logos und Leben stammten die zehn Aeonen der zweiten Classe: [180] Tiefe und (μιξις) Mischung, Alterlos und Einigung, Selbstgeborner und Lust, Bewegungslos und Zusammenfluß (συγκρασις, wie diese von der obigen μιξις unterschieden worden, weiß ich nicht), Eingeborner und Seligkeit. Von dem Menschen und der Gemeine stammten die 12 Aeonen der dritten Classe: Tröster und Glaube, Väterlich und Hoffnung, Mütterlich und Liebe, Stets-Verstand und Klugheit, Kirchlich und Selig, Freiwille (Θελητος) und Weisheit. Außer diesen gab es noch vier männliche Aeonen: Horus (Gränze), Christus, der heilige Geist und Jesus, an dessen Zeugung alle Aeonen Antheil genommen haben, und der darum auch die Namen aller führt, und Logos. Als Jesus auf die Welt kam, wurde seine geistige Substanz mit einer animalischen Substanz so künstlich umgeben, daß sie einen sichtbaren, fühlbaren und des Leidens fähigen Körper bildete. In der Angabe seiner Menschwerdung wichen aber die Valentinianer selbst von einander ab. (S. Storr a.a.O.S. 132 fgg) In einem Anfall von Leidenschaft gebar einst die Weisheit einen ungestalteten Aeon weiblichen Geschlechts, Achamoth oder Euthymesis, und dieser fiel in die Finsterniß der Materie. Furcht, Angst und Trauer wechselten bei ihm unaufhörlich ab mit Lachen, welches erregt wurde durch die Erinnerung an die Schönheit des verlorenen Lichtes. Ihre heftige Begierde nach diesem brachte hervor die Seele der Welt, des Weltschöpfers (Demiurgos) und andere Seelen; aus ihren Thränen entstand das Wasser, aus ihrem Lachen die durchsichtige, aus ihrer Trauer die dichte Materie. Nachher brachte sie noch drei Substanzen hervor, eine materielle, eine geistige und eine Seelenartige. Aus Gestaltung der letzten entsprang der Demiurg, welcher mit Hülse Jesu und seiner Mutter aus der seelenartigen Substanz sieben Himmel baute, deren sechs von Engeln bewohnt werden, und der siebente sein eigener Sitz ist. Die materielle Substanz bestand aus den drei Gemüthsbewegungen der Achamoth. Aus der Furcht entstanden die Thiere, aus der Trauer die bösen Geister, aus der Angst die mit Feuer gemischten Elemente. Endlich bildete der Demiurg den Menschen aus der materiellen und seelenartigen Substanz, zu welchen aber Achamoth auch unvermerkt etwas von der geistigen mischte. Darum besteht der Mensch aus drei Theilen, der materiellen und sterblichen, der seelenartigen, der Seligkeit oder Unseligkeit fähigen, und der geistigen unsterblichen. – Alles dieß, wie fremdartig es dem Christenthum ist, wußte man gleichwohl mit ihm in Verbindung zu bringen.


5 Jene [181] enthielt das allgemein Mittheilbare, was auch außerhalb der Schule jeder wissen durfte, diese das Geheimnis der Schule.


6 Die Paphlagonier waren wegen Stumpfheit des Verstandes und Rohheit in üblem Rufe.


7 Der Akoluth in der Christianischen Kirche war eins Art Küster, Diener der Diakonen, der ihn in allen Amtsverrichtungen begleitete, beim Gottesdienste die Lichter anzündete, bei Einweihung und Ordination ein Wachslicht in der Hand hielt, und für Reinigung der Kirche und kirchlichen Gefäße sorgte.

Siebenter Abschnitt.
8 So hießen diejenigen Schüler des Pythagoras, vor welchen er nichts Geheimes hatte. W.
9 Vergl. die Natur der Dinge, Anm. 8. zu 1. Buch, Bb. 25.
Achter Abschnitt.
10 Ungefähr drei Groschen.
11 S. das Schiff oder die Wünsche in Lucians Werken, übers. von Wieland Bd. 1. S. 317 fg.

12 S. Bd. 10. S. 521 ff.


13 Demetrius, war ein griechischer Philosoph der Cynischen Schule, der sich unter der Regierung des Caligula, Claudius und Nero zu Rom aufhielt. Seneca gedenkt seiner öfters aufs rühmlichste. So sagt er im 62sten Briefe: von Demetrius, dem besten der Männer, lasse ich nicht ab; ich verlasse die Bepurpurten; mit diesem Halbnackten spreche ich, ihn bewundre ich. Und wie sollte ich ihn nicht bewundern? Ich sehe, daß ihm nichts mangelt. Es kann jemand [182] alles verachten; alles haben niemand. Der kürzeste Weg der zu Reichthum führt, ist Verachtung desselben. Unser Demetrius aber lebt, nicht als ob er alles verachtete, sondern als ob er andern alles überlassen habe. Man vergleiche die Stelle de beneficiis K. 8. 9.


14 Dieses Namens wurden zwei hingerichtet Cäcina Pätus hatte in dem Aufstande gegen Claudius des Seribenianus Partei ergriffen, und wurde zum Tode verurtheilt. Seine Gemahlin Arria, die ihn auch im Tode nicht verlassen und diesen ihm erleichtern wollte, stieß sich zuerst den Dolch in die Brust, reichte ihn dem Gemahl, und sagte: es schmerzt nicht, Pätus. – Dieser Arria gleichnamige Tochter war vermählt an Thraseas Pätus, von welchem hier die Rede ist. Er wurde unter Nero zum Tode verurtheilt, und da man ihm die Wahl des Todes ließ, wählte er Oeffnung der Adern. Seine letzten Tage brachte dieser tugendhafte Mann, in Erwartung des gegen ihn gefällten Spruches, in seinen Gärten zu, und unterhielt sich eben mit Demetrius über die Natur der Seele und deren Trennung von dem Körper, als ihm das gefällte Urtheil bekannt ward. Seiner Gemahlin, die dem Beispiel ihrer Mutter folgen wollte, rieth er im Leben zurückzubleiben, und der gemeinschaftlichen Tochter nicht die einzige Stütze zu rauben, begab sich mit seinem Schwiegersohn Helvidius und Demetrius in das Schlafgemach, und ließ sich die Adern öffnen. Das erste Blut spritzte er auf die Erde, und sagte: dieß opfere ich Jupiter dem Befreier! Hierauf zu Helvidius: merke auf, junger Mann! Zwar mögen die Götter schlimme Vorbedeutung abwenden, deine Geburt aber ist in eine Zeit gefallen, wo es frommt, durch Beispiele der Standhaftigkeit das Gemüth zu stärken. – Nun heftete der langsam Sterbende den Blick auf Demetrius; – leider aber bricht hier des Tacitus Erzählung ab, und seine Annalen schließen mit diesem Blicke des tugendhaften Sterbenden.


15 Lucian ist der einzige, der von diesem Philosophen spricht, in welchem er das Ideal eines Weisen schildert. Er scheint ihn also bloß zum Contrast mit den damaligen Philosophen Roms unter den Antoninen erdichtet zu haben. Lucians Dialog Nigrinus s. in Wielands Uebersetzung Bd. 1 S. 18 fgg.

[183] Neunter Abschnitt.

16 Weiberhaß.


17 Ein durch drei Anticyren unheilbares Haupt. So nennt Horaz einen schlechten Dichter, der von Wuth der Versmacherei nicht geheilt werden kann. Auf der Insel Anticyra wuchs viel Nieswurz, deren Gebrauch gegen die Tollheit helfen sollte.


18 Platon setzte die vernünftige Seele in das Haupt, die begehrende in die Brust, und die thierische unter das Zwerchfell in den Unterleib. Der Grund erräth sich leicht.


19 War bei den Stoikern keineswegs völlige Fühllosigkeit für Vergnügen und Schmerz, sondern Uebermacht der Vernunft über die Macht der sinnlichen Eindrücke und der Affecte.


20 S. 137. Künftige Augusta – Augusta (die Erhabene) war der Titel, welchen die Gemahlinnen der römischen Kaiser führten, welcher selbst Augustus hieß.


21 Augusta (die Erhabene) war der Titel, welchen die Gemahlinnen der römischen Kaiser führten, welcher selbst Augustus hieß.


22 In seiner Schilderung von dem Cyniker Demonax erzählt Lucian einige Anekdoten von diesem Herodes Attikus, dessen früher schon gedacht worden ist, wobei Wieland bemerkt: »Dieser zu seiner Zeit so ausgezeichnete Mann hatte bei einem fürstlichen Ansehen und Vermögen, wie es scheint, auch fürstliche Launen, und weiter könnte es doch wohl kein poetischer Schach oder Sultan treiben, als schlechterdings nicht leiden zu wollen, daß ihm ein Liebling gestorben sey, und alles in der Welt zu thun, um sich selbst in der Illusion, daß er noch lebe, zu erhalten.« Herodes gab nicht nur Befehl, daß der Gestorbene in seinem Hause noch immer so bedient werden mußte als ob er noch da wäre und lebte: er verlangte sogar von seinen Freunden, daß sie sich nach dieser Grille richten sollten, und fand sich geschmeichelt, da sie es thaten, wiewohl er sehr gut wußte, warum sie es thaten. »So verfuhr Herodes [184] bei dem Tode seiner Gemahlin, seines Sohnes und seines Lieblings Pollux. Als er es bei diesem that, kam Demonax zu ihm, und sagte, er bringe ihm einen Brief von Pollux. Herodes, erfreut, daß auch dieser Philosoph seiner Leidenschaft schmeicheln wolle, fragte: was verlangt Pollux? Er beklagt sich über dich, antwortete Demonax, daß du ihm nicht schon gefolgt bist.«


23 Kalanus, den die Griechischen und Römischen Geschichtschreiber einen Indischen Philosophen nennen, bekam in seinem 73sten Jahre Unfälle von harter Krankheit, und bat Alexandern, ihm einen Scheiterhaufen errichten und, wenn er ihn bestiegen, anzünden zu lassen. Da Alexanders Vorstellungen fruchtlos waren, so ward seine Bitte erfüllt. Diodor sagt, daß von der zuschauenden Menge Einige ihn der Raserei oder seltsamer Ehrsucht beschuldigt. Andere aber seine Todesverachtung und Standhaftigkeit bewundert hätten.


24 Cirkelbriefe, litterae communicatoriae, waren bei den ersten christlichen Gemeinen sehr üblich, die sich dadurch alle wichtigen Vorfälle schneller mittheilten, das ein Brief an die nächste Gemeine abging, die ihn wieder an die nächste sendete, und so fort.

Antworten und Gegenfragen.

25 Im sechzehnten Jahrhundert entstand die Secte der Anabaptisten oder Wiedertäufer, zu deren besonderen Glaubenslehren auch die von Errichtung eines neuen weltlichen Staates durch Christus gehörte. Eine Partei, aus Holland kommend, den Schneider Johann Bokold, gewöhnlich Johann von Leiden genannt, an der Spitze, hatte die Stadt Münster in Westphalen zu dem neuen Jerusalem ausersehen. Sie bemächtigte sich derselben, setzte den Magistrat ab, ernannte Johann von Leiden zum König, und dieser Knipperdollingen zum Vicekönig. Im Jahr 1556 aber wurde, nach einer langen Belagerung, Münster von Franz, Grafen von Waldeck, eingenommen, und der König, so wie sein Statthalter, wurden mit glühenden Zangen gemartert und dann hingerichtet.


26 Mihi, cum multa eximia divinaque videntur Athenae tuae peperisse, atque in vitam hominum attulisse, tum nihil melius illis Mysteriis, [185] quibus ex agresti, immanique vita execulti ad humanitatem et mitigati sumus, initiaque, ut appellantur, ita re vera principia vitae cognovimus, neque solum cum laetitia vivendi rationem accepimus, sed etiam cum spe meliore moriendi. Cicero de Leg. II. 14. W.


27 Was der eben angeführte große Römer irgendwo von dem Glauben der Unsterblichkeit sagt: »Nescio quomodo inhaeret in mantibus quasi saeculorum quoddam augurium futurorum, idque in maximis ingeniis altissimisque animis et existit maxime et apparet facillime,« läßt sich um so richtiger von der Religion überhaupt sagen, weil jener Glauben so wenig ohne Religion, als Religion ohne jenen Glauben bestehen kann. W.


28 Ich verstehe unter denken nicht, mit Abstractionen spielen: denn in dieser letztern Bedeutung des Wortes läßt sich freilich alles denken. W.


29 Die Saturnalien waren zum Andenken der goldnen Zeit eingesetzt, deren, einer uralten Sage zufolge, die Bewohner Italiens unter der Regierung des Saturnus genossen hatten. Die vornehmste Absicht bei diesem Feste war, die natürliche Gleichheit darzustellen, welche in diesen Zeiten unter Menschen statt: fand, die von Unterdrückung und Knechtschaft noch keinen Begriff hatten. Daher war an den Saturnalien die Gewalt der Herren über ihre Knechte suspendirt; sie speis'ten zusammen an Einem Tische, und die Sklaven hatten die Freiheit, so viele Sottisen zu sagen und zu thun als ihnen beliebte. Dieser beinahe grausame Spaß dauerte in den Zeiten der Freiheit Roms nur Einen Tag, welcher nach dem Festkalender des Königs Numa der siebzehnte December war. Julius Cäsar vermehrte das Saturnusfest um zwei Tage, Augustus fügte den vierten, und Caligula den fünften hinzu. – Die Saturnalien dehnten sich in dem Verhältniß aus, wie die Freiheit ab- und die willkürliche Gewalt zunahm; welches (wie man sieht) sehr natürlich war. So gerieth vor einigen Jahrhunderten das Christenthum in immer größern Verfall, je mehr Heilige kanonisirt und Festtage angeordnet wurden. W.


30 Peter Canisius, Hofprediger des Kaisers Ferdinand I., war der erste Teutsche, der in den Jesuitenorden trat, zur Ausbreitung desselben in Teutschland viel beitrug, und bald Provincial daselbst wurde. Um den ketzerischen [186] Katechismen entgegenzuwirken, arbeitete er im Auftrag des Kaisers einen lateinischen Katechismus aus, der von Ignaz Loyola gebilligt und in den Schulen der kaiserlichen Staaten eingeführt wurde, ungeachtet der Papst dieß für einen Eingriff in die geistlichen Rechte erklärte. (Petr. Canisii summa doctrinae et institutionis christianae sive catechismus major. 1554.) »Er enthielt, sagt Stäudlin, die katholische Lehre in großer Klarheit und Bestimmtheit, aber der Jesuitische Geist blickt sehr deutlich hervor. Es ist darin viel Moral und Casuistik.« Ein Auszug daraus sind die Institutiones christianae pietatis seu parvus catechismus catholicorum, wahrscheinlich 1566 zum erstenmale, und dann sehr oft herausgegeben. Dieser wurde für die katholische Kirche eben das, was Luthers kleiner Katechismus für die evangelische.


31 Melanges tirés d'une grande Bibliotheque, Mm. p. 513.


32 Am Schlusse des ersten Gesanges von Pope'sEssay on Man. »Trotz irrender Vernunft ist Eine Wahrheit klar: was irgend ist, ist recht.«

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