Der Antwortgeber
Ich stehe vor dem Jüngling von Angesicht zu Angesicht, nehme seine rechte Hand in meine linke und seine linke in meine rechte,
Und antworte im Namen seines Bruders und der Menschheit, für den, der im Namen aller antwortet – und sende euch diese Zeichen.
Schöne Frauen, die hochmütigsten Nationen, Gesetze, die Landschaft, Völker, Tiere,
Die tiefe Erde mit ihren Schätzen, und der ruhelose Ozean, (so sing' ich meine Morgen-Romanze,)
Alle Vergnügungen und Besitztümer, Geld und alles, was man für Geld kaufen kann,
[106] Die besten Farmen – andere plagen sich und pflanzen, doch er erntet unfehlbar;
Die herrlichsten, reichsten Städte – andere ebnen und bauen, doch er bewohnt sie;
Nichts entsteht, das nicht für ihn wäre. Nah und Fern sind für ihn, die Schiffe draußen am Horizont,
Die bunten Schaustellungen und Umzüge auf dem Lande – alles für ihn.
Er bringt die Dinge in ihre richtige Stellung,
Er bringt das Heute aus sich heraus, mit bildsamer Kraft und Liebe,
Er stellt die Zeiten, Erinnerungen, Eltern, Geschwister, Beruf und Politik an ihren Platz, so daß die Nachfolgenden sie weder schmähen, noch sich anmaßen, über sie zu gebieten.
Er ist der Antwortgeber;
Was beantwortet werden kann, beantwortet er, und was sich nicht beantworten läßt, zeigt er, wieso es nicht beantwortet werden kann.
Ein Mann ist ein Befehl und eine Herausforderung!
Vergebens weichst du ihm aus. Hörst du das Gespött und Gelächter? Hörst du das höhnische Echo?
Bücher, Freundschaften, Philosophen, Priester, Tätigkeit, Stolz, Vergnügen, sie steigen und fallen und suchen Befriedigung zu gewähren;
Er bezeichnet die Befriedigung und auch die, welche steigen und fallen.
[107] Gleichviel welchen Geschlechts, in welcher Jahreszeit oder Gegend, mag er frohgemut, sanft und sicher dahinschreiten, tags oder nachts;
Er kennt den Schlüssel zum Herzen und heißt dich eintreten, wenn deine Hand leise die Klinke berührt.
Er ist allerseits willkommen – das Fluten der Schönheit ist nicht willkommener und allseitiger als er;
Wen er bei Tage auszeichnet, oder mit wem er nachts schläft, der ist gesegnet.
Jedes Dasein hat seine Sprache, jedes Ding seine Mundart.
Er löst alle Sprachen in seine eigene auf und wendet sie an auf die Menschen, und ein jeder überträgt sie und überträgt auch sich selbst;
Kein Teil widerspricht dem andern, er ist der Vereiniger, er sieht wie sich alle wieder vereinigen.
Er spricht ohne Unterschied im gleichen Ton zum Präsidenten bei der Abendgesellschaft: »Wie geht es Euch, Freund?«
Und zu Kunz, der auf der Zuckerplantage harkt: »Guten Tag, mein Bruder.«
Und beide verstehen ihn und wissen, daß er das Rechte spricht.
Er geht ganz unbefangen zum Kapitol
In die Kongreßversammlung, da sagt ein Abgeordneter zum andern: »Dort ist unser Ebenbürtiger eben erschienen.«
Dann halten ihn die Handwerker für einen Handwerker,
[108] Die Soldaten für einen Soldaten, und die Seeleute meinen, daß er schon als Seemann gefahren,
Die Autoren halten ihn für einen Autor, die Künstler für einen Künstler,
Und die Arbeiter fühlen, daß er mit ihnen arbeiten und sie lieben würde;
Einerlei welcher Art die Arbeit sei, daß er sie tun könnte, oder schon getan hat,
Welches Volk es sei, daß er in ihm seine Brüder und Schwestern fände.
Wen er zufällig ansieht in der Kaffeeschänke, der hält ihn für seinesgleichen:
Der Italiener oder Franzose, wie der Deutsche, der Spanier und der Cubaner,
Der Maschinist, der Deckmatrose auf den großen Binnenseen oder dem Mississippi, St. Lawrence, Sacramento oder Hudson, oder Paumanok-Sund: alle erheben Anspruch auf ihn.
Der Gentleman vom reinsten Blut erkennt in ihm das reinste Blut,
Der Raufbold, die Dirne, der Jähzornige, der Bettler erkennen sich wieder in ihm; er verwandelt sie wunderbar,
Sie sind nicht länger gemein, sie kennen sich selbst kaum wieder, so sind sie gewachsen.
Die Worte echter Dichtung geben weit mehr als Gedichte,
Sie geben dir Stoff zu gestalten, Gedichte, Religionen, Politik, Krieg, Frieden, Sitten, Geschichte, Abhandlungen, tägliches Leben und alles übrige,
Sie wägen Rangordnungen, Farben, Rassen, Glaubensbekenntnisse und die Geschlechter,
Sie suchen nicht Schönheit, sie werden gesucht,
[110] Für ewig folgt ihren Spuren die Schönheit, sehnsüchtig, verlangend, liebekrank;
Zum Tode bereiten sie vor, doch sind nicht das Ende, vielmehr der Anfang,
Sie führen keinen zum Abschluß, zur zufriedenen Erfüllung;
Wen sie forttragen, den tragen sie hinaus in den Weltraum, die Geburt der Sterne zu schauen, um eine der vielen Deutungen zu lernen,
Um mit vollem Vertrauen den Weg anzutreten durch die endlosen Ringe hindurch, und nimmer wieder zur Ruhe zu kommen.