Überflüssiger Gedancken sechstes Dutzent

1. Deß Florindo Schreiben an seinen vertrautesten Fillidor

Mein Bruder lebst du noch, wie daß du mir nicht schreibst,
Und noch zum wenigsten mein Freund in Briefen bleibst?
Ich sitze fast ein Jahr nun wieder bey den Linden,
Und lasse mich die Lust zu schönen Künsten binden,
Doch hab ich keinen Brieff von deiner Hand gesehn,
Und gleichwol könte mir kein grösser Dienst geschehn.
Denn solt ich diesen nicht von reinem Hertzen lieben,
Dem ich auß wahrer Treu das Hertz einmal verschrieben,
Und zwar in junger Zeit, da sich die zarte Glut
Durch Einfalt, Lieb und Lust biß in das tieffste Blut,
[94]
Ja in die Seele setzt? Ich muß es ja gestehen,
Ich habe gute Macht mit andern umzugehen,
Die schön und freundlich thun: man gibt mir offt die Hand'
Verschweret und verflucht den leichten Unbestand
Und trinckt auff Brüderschafft: doch wann die Complimenten,
Die in dem Munde sind, auch in dem Hertzen brennten,
So wär es gut genug, der falsche Heuchel-Schein
Der fast ein Handwerck wird, der heist mich furchtsam seyn.
Ich selbsten bin also, ich geb an manchen Orte
Wohl meinem Feinde selbst die allerschönsten Worte,
Ich küß ihm gar die Hand, und stelle meine Pflicht
Zu seinen Diensten hin, und dennoch mein ichs nicht,
Die Mode bringts so mit, wiewohl bey solchen Sachen
Kan ich auff keinen Freund gewisse Rechnung machen:
Drum bleib ich in mir selbst, und bin darbey vergnügt,
Daß mir die Heimblichkeit im Hertzen stille ligt,
Ach Bruder wärstu hier, dir wolt ich mich vertrauen,
Ich wolt auf deine Treu die stärcksten Thürme bauen:
Und wie du sonst mein Hertz in deinen Händen hast,
So solte keine Lust und keine Sorgen-Last
Mir angelegen seyn, ich wolte dich erbitten,
Und dir in deinen Schos den halben Antheil schütten.
Itzt küß ich dich, mein Freund, viel Meilen durch die Lufft
Und schicke dir den Gruß, der deine Liebe ruft,
Der dein Gedächtnüß reitzt, wofern du so vermessen,
Und unbeständig bist, daß du mich hast vergessen:
Doch mein, verzeihe mir, du liebes Hertze du.
Ach nein, ich traue dir kein solches Laster zu.
Dem sey nun wie ihm sey, ich kan dich doch versichern,
Wann ich zu Bette geh, wann ich bey meinen Büchern,
Wann ich beym Mädgen bin, so fällt mir dieses ein,
Wo muß mein Fillidor doch diese Stunde seyn?
Du angenehmer Dieb, du hast mir diß gestohlen,
Was niemand anders wird auß meinem Leibe holen,
Und hätt ichs noch bey mir, so sag ich rund und frey,
Ich wünschte nichts so sehr, als deine Dieberey.
Wiewohl ich bitte dich, sind wir vertraute Brüder,
So schicke mir mein Hertz nur umb die helffte wieder.
Worzu? ach frage nicht, es zeucht mich ein Magnet
[95]
Der mit versüster Krafft nach meinem Hertzen steht.
Er setzt mir hefftig zu, und sucht ein tüchtig Eisen,
Daran er seine Kraft vollkommen wil erweisen;
Inzwischen hab ich ihm den leeren Platz bestimmt,
Biß daß ein Pack von dir die Pleisse runter schwimmt.
Ach könnte nur ein Brief vor andern Leuten schweigen,
Ich wolte dir von mir so einen Abriß zeigen
Als kein Appelles nicht, ich weiß nun was die Stadt
Die werthe Linden-Stadt vor Lust-Vergnügung hat.
Komm du nur selbst zu mir, so wollen wir uns letzen,
Und unsre Liebes-Glut in frischer Kost ergetzen.
Indessen liebstes Haupt versichre deinen Sinn,
Ich bleib in dich verliebt weil ich Florindo bin.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek