[666] Personen.
- Der Marquis Casti Piani.
- Fräulein Elfriede von Malchus.
- Herr König.
- Lisiska.
- Drei Mädchen.
[666] Personen.
Wie lange will man mich hier noch warten lassen! Lange Pause, in der sie unbeweglich sitzen bleibt. Wie lange will man mich hier noch warten lassen! Lange Pause wie vorher. – Wie lange will man mich hier noch warten lassen! Nach einer Pause erhebt sie sich, zieht den Mantel aus und legt ihn über den Polstersessel, nimmt den Hut ab und legt ihn auf den Mantel. Darauf geht sie in sichtlicher innerer Erregung zweimal auf und ab. – Stehenbleibend. – Wie lange will man mich hier noch warten lassen!
Das habe ich vorhin der – Dame schon so klar wie nur irgendwie menschenmöglich auseinandergesetzt, weshalb ich hier bin.
Die – Dame hat mir gesagt, weshalb Sie hier sind. Die Dame sagte mir auch, Sie seien Mitglied des Internationalen Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels.
Das bin ich allerdings! Ich bin Mitglied des Internationalen Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels. Aber wenn ich es auch nicht wäre, hätte ich mir diesen Weg doch um keinen noch so hohen Preis ersparen können. Seit dreiviertel Jahren bin ich auf der Spur dieses unglücklichen Geschöpfes. Überall, wohin ich bis jetzt gekommen bin, hatte man das Mädchen immer kurz [667] zuvor wieder in eine andere Stadt verschleppt. Aber in diesem Hause ist sie! Sie ist jetzt noch hier! Das hat mir die – Dame, die eben hier war, auch ohne Umschweife zugestanden. Die Dame gab mir die Versicherung, sie werde das Mädchen hierher in dieses Zimmer schicken, damit ich hier ungestört unter vier Augen mit ihm sprechen könne. Ich warte hier jetzt nur auf das Mädchen. Ich habe keine Lust und keine Veranlassung dazu, hier noch ein zweites Verhör über mich ergehen zu lassen.
Ich bitte Sie, gnädiges Fräulein, sich nicht noch mehr zu erregen. Das Mädchen möchte Ihnen – anständig gekleidet vor Augen treten. Die Dame bat mich, aus Furcht, Sie könnten sich in Ihrer Aufregung zu irgendeiner überflüssigen Gewaltmaßregel hinreißen lassen, Ihnen das zu sagen und Ihnen über die Beklommenheit, die Ihnen das Warten in diesen Räumlichkeiten verursachen muß, möglichst hinwegzuhelfen.
Ich bitte Sie, sich Ihre liebenswürdige Unterhaltung zu ersparen. Die Atmosphäre, die hier herrscht, hat für mich nichts Neues mehr. Als ich solch ein Haus zum ersten Male betrat, hatte ich mit physischer Übelkeit zu kämpfen. An jenem Tage wurde mir erst klar, welch einen unerschwinglichen Aufwand von Selbstüberwindung ich durch meinen Eintritt in den Verein zur Bekämpfung des Mädchenhandels auf mich genommen hatte. Vorher waren mir unsere Bestrebungen ein eitler Zeitvertreib gewesen, den ich mitmachte, nur um nicht als nutzloses Geschöpf alt und grau zu werden.
Diese Äußerung erweckt so viel Teilnahme in mir, daß ich mich versucht fühle, Sie um die Ehre zu bitten, sich in Ihrer Eigenschaft als Mitglied des Internationalen Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels mir gegenüber legitimieren zu wollen. Erfahrungsgemäß drängen sich eine Menge Personen zu diesem Beruf, die ganz andere Ziele als die Rettung gefallener Mädchen verfolgen. Wenn es Ihnen um die Erreichung Ihrer hohen Ziele ernst ist, muß Ihnen die strenge Kontrolle, die wir auszuüben genötigt sind, im höchsten Maße willkommen sein.
[668]Ich bin seit nun schon bald drei Jahren Mitglied unseres Vereins. Mein Name ist – Fräulein von Malchus.
Wir lesen doch die Jahresberichte des Vereins. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie sich auf der vorjährigen Jahresversammlung in Köln auch als Rednerin hervorgetan?
Gott sei's geklagt, habe ich volle zwei Jahre lang immer nur geschrieben und geredet und geredet und geschrieben, ohne mir den Mut zu einer direkten Bekämpfung des Mädchenhandels zu finden, bis der Mädchenhandel schließlich sein Opfer unter meinem eigenen Dach, in meiner eigenen Familie fand!
An diesem Unglück waren aber doch, wenn ich recht unterrichtet bin, nur Ihre eigenen Papiere, Bücher und Zeitschriften schuld, die Sie allem Anschein nach vor dem jungen Geschöpf, um dessen Rettung willen Sie augenblicklich hier sind, nicht sorgfältig genug verwahrt hielten?
Darin haben Sie vollkommen recht! Leider Gottes kann ich Ihnen darin nicht widersprechen! Nacht für Nacht, wenn ich mich mit mir selbst und der Welt zufrieden zu einem zehnstündigen, durch keine menschliche Regung gestörten Schlaf unter meine Bettdecken gestreckt hatte, schlich sich das siebzehnjährige Geschöpf, ohne daß ich mir das geringste davon träumen ließ, in mein Arbeitszimmer und tränkte seine liebesdurstige Einbildungskraft aus meinen aufgestapelten Büchern über die Bekämpfung des Mädchenhandels mit den verführerischsten Bildern des Sinnengenusses und der furchtbarsten Laster. Aber ich dumme Gans sah es trotz meiner achtundzwanzig Jahre dem Mädchen am nächsten Morgen gar nicht an, daß es übernächtig war! Ich hatte in meinem Leben keine schlaflosen Nächte gekannt! Wenn ich morgens wieder zu meinen Arbeiten kam, fragte ich mich nicht einmal, wodurch denn die haarsträubende Verwirrung unter meinen Papieren entstanden sein könnte!
[669]Das Mädchen, mein gnädiges Fräulein, war, wenn ich nicht irre, von Ihren Eltern zur Verrichtung der leichteren Hausarbeit in Dienst genommen?
Zu ihrem Verderben! Ja! Mama sowohl wie Papa waren von ihrem bescheidenen, sittsamen Wesen bezaubert. Papa, der doch Ministerialbeamter und Bürokrat vom reinsten Wasser ist, empfand ihre Anwesenheit in unserem Hause wie einen Lichtblick. Nach ihrem plötzlichen Verschwinden nannten Papa sowohl wie Mama meine Vereinstätigkeit nicht mehr altjüngferliche Überspanntheit, sondern sie nannten sie geradeheraus ein strafwürdiges Verbrechen!
Nein, danach hatte ich sie nie gefragt. Aber wer sind Sie denn eigentlich? Woher wissen Sie das alles?
Hm – das Mädchen hatte in einem Ihrer Vereinsberichte gelesen, daß in den Tageszeitungen gewisse Inserate veröffentlicht würden, durch die die Mädchenhändler junge Mädchen unter den und den bestimmten falschen Vorspiegelungen an sich lockten, um sie dem Liebesmarkt zuzuführen. Das Mädchen suchte daraufhin in der ersten besten Zeitung nach einem derartigen Inserat und schrieb, nachdem sie eins gefunden hatte, einen sehr korrekten Brief, in dem sie sich erbot, in die Stellung, die in dem Inserat fälschlich vorgespiegelt war, einzutreten. Auf diese Weise wurde ich mit ihr bekannt.
Wenn Sie ahnten, mein gnädiges Fräulein, woraus die Ursachen Ihrer höllischen Aufgeregtheit eigentlich bestehen, dann wären Sie vielleicht gerade klug genug dazu, gegenüber einem solchen Ungeheuer, wie ich es Ihnen zu sein scheine, vollkommen ruhig zu bleiben.
[670]Wer auf Gottes weiter Welt will mir das verbieten! – Aber lassen wir das. Jedenfalls haben Sie sich nicht verheiratet. Sie sind, wie Sie mir eben selber mitteilten, achtundzwanzig Jahre alt. Diese Tatsachen beweisen Ihnen zur Genüge, daß Sie im Vergleich zu anderen Frauen – um von dem Menschenkinde, zu dessen Rettung Sie hergekommen sind, ganz zu schweigen – nur ein sehr geringes Maß von sinnlichem Empfinden haben.
Ich sage das natürlich nur unter der Voraussetzung, daß ich Ihnen mit dieser Erörterung nicht lästig falle. Ich bin auch weit davon entfernt, Sie für krankhaft oder unnatürlich veranlagt zu halten. Aber wissen Sie, mein Fräulein, wodurch Sie Ihre, wie Sie zugeben, allerdings sehr schwachen sinnlichen Empfindungen befriedigt haben?
Wer sind Sie, mein Herr?! – Ich komme hierher, um ein unglückliches Geschöpf aus den Krallen des Lasters zu befreien! Ich komme nicht hierher, um Ihre geschmacklosen Vorlesungen anzuhören.
Das habe ich auch nicht vorausgesetzt. Aber sehen Sie, von diesem Standpunkt aus betrachtet, stehen wir beide einander näher, als Sie es sich in Ihrem kleinbürgerlichen Tugendstolz jemals träumen ließen. Ihnen hat die Natur nur eine äußerst kärgliche Sinnlichkeit verliehen. Mich haben die Stürme des Lebens längst zu einer schauerlichen Einöde gemacht. Aber was für Ihre Sinnlichkeit die Bekämpfung des Mädchenhandels ist, das ist für meine Sinnlichkeit, falls Sie mir etwas der Art noch zugestehen wollen, der Mädchenhandel selbst.
[671]Heucheln Sie doch nicht so schamlos, Sie nichtswürdiger Mensch! Glauben Sie, Sie könnten mich, die ich wie eine gehetzte Hündin von Lasterhöhle zu Lasterhöhle hinter dem Geschöpf her bin, durch Ihren abenteuerlichen Gefühlshokuspokus einschläfern?! Ich bin jetzt nicht Mitglied des Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels! Ich bin als eine unselige Verbrecherin hier, die, ohne etwas zu ahnen, ein blutjunges Leben in Elend und Verzweiflung gebracht hat! Ich lasse mir, solang ich atme, keinen Bissen mehr schmecken, wenn ich das Kind seinem Verderben nicht entreißen kann! Sie wollen mich glauben machen, daß mich unlautere Neugier in dieses Haus treibt! Sie sind ein Lügner! Sie glauben an Ihre eigenen Worte nicht! Sie haben das Mädchen nicht aus unbefriedigter Sinnlichkeit verhandelt, sondern aus Geldgier! Sie haben das Mädchen verhandelt, um ein gutes Geschäft dabei zu machen!
Ein gutes Geschäft! Selbstverständlich! Aber gute Geschäfte beruhen auf beider seitigem Vorteil! Andere Geschäfte als gute mache ich überhaupt nicht. Jedes andere Geschäft ist unmoralisch! – Oder glauben Sie vielleicht, der Liebesmarkt sei für das Weib ein schlechtes Geschäft?
Das meine ich einfach so: – Ich weiß nicht, ob Sie in diesem Augenblick gerade in der Stimmung sind, mir mit einiger Aufmerksamkeit zuzuhören?
Ich meine das also so: Wenn sich ein Mann in Not befindet, dann bleibt ihm oft keine andere Wahl mehr übrig, als zu stehlen oder zu verhungern. Wenn sich dagegen ein Weib in Not befindet, dann bleibt ihm außer dieser Wahl noch die Möglichkeit, seine Liebesgunst zu verkaufen. Dieser Ausweg bleibt dem Weibe nur deshalb noch übrig, weil das Weib bei der Gewährung seiner Liebesgunst nichts zu empfinden braucht. Seit Erschaffung der Welt hat das Weib von diesem Vorzug Gebrauch gemacht. Von allem übrigen zu schweigen, ist der Mann von Natur aus dem Weibe schon aus dem [672] einen Grunde himmelweit überlegen, weil das Weib unter Schmerzen Kinder gebiert ...
Das ist ja gerade der himmelschreiende Widerspruch! Das sage ich ja immer! Kinder zur Welt bringen ist Qual und Sorge; Kinder in die Welt setzen gilt als Zeitvertreib. Und trotzdem hat die gütige Schöpfung, die auch sonst vielfach an Verrücktheit leidet, den Schmerz und die Sorgen dem schwächeren Geschlecht aufgebürdet!
Darin, mein Fräulein, sind wir vollkommen einer Ansicht! – Und nun wollen Sie Ihren unglücklichen Schwestern den geringen Vorzug, den ihnen die – verrückte Schöpfung vor dem Manne gewährt hat, den Vorzug, in äußerster Not ihre Liebesgunst verkaufen zu können, rauben, indem Sie diesen Verkauf als eine unauslöschliche Schande hinstellen?! Sie sind mir eine schöne Frauenrechtlerin!
Als ein unaussprechliches Unglück, als ein ewiger Fluch lastet die Möglichkeit, sich verkaufen zu können, auf unserem bedrückten Geschlecht!
Unsere Schuld ist es aber – das weiß Gott im Himmel! – nicht, daß der Liebesmarkt als ein ewiger Fluch auf dem weiblichen Geschlecht lastet! Wir Händler haben gar kein idealeres Ziel, als daß sich der Liebesmarkt so offenkundig, so unbehelligt abspielt wie jeder andere ehrliche Markt! Wir Händler haben gar kein idealeres Ziel, als daß die Preise auf dem Liebesmarkt so hoch wie nur irgend möglich sind! Schleudern Sie Ihre Vorwürfe, wenn Sie die Bedrückung Ihres unglücklichen Geschlechts bekämpfen wollen, der bürgerlichen Gesellschaft ins Gesicht! Bekämpfen Sie, wenn Sie die Naturrechte Ihrer Schwestern verteidigen wollen, zuerst den Internationalen Verein zur Bekämpfung des Mädchenhandels!
Ich lasse mir hier von Ihnen nicht länger blauen Dunst vormachen! Ich bin fest überzeugt, daß Sie im Ernste gar nicht daran denken, dem Mädchen die Freiheit zu geben! Während ich albernes Geschöpf mir hier soziale Vorträge von Ihnen halten lasse, [673] wird die Unglückliche womöglich in eine Droschke gepackt, nach dem Bahnhof gebracht und irgendwohin transportiert, wo sie vor den Mitgliedern des Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels zeit ihres Lebens sicher ist! – Nun gut, ich weiß, was ich zu tun habe! Sie nimmt Hut und Mantel.
Wenn Sie ahnten, mein Fräulein, wie Ihr Wutausbruch Ihre hausbackene Erscheinung verschönert, dann hätten Sie es nicht so eilig, sich zu entfernen.
Sie bleiben hier! Ich habe noch ein Wort mit Ihnen zu sprechen! Versuchen Sie doch bitte, zu schreien! Hier ist man an alles nur irgendwie mögliche menschliche Geschrei gewöhnt! Schreien Sie bitte, so laut Sie schreien können! Sie freilassend. Nimmt mich wunder, ob ich Sie nicht noch zu Verstand bringe, bevor Sie aus diesem Hause direkt auf die Polizei laufen!
Sie haben in Ihrem Leben so unendlich viel Unnützes zur sittlichen Hebung der Freudenmädchen getan! Tun Sie doch endlich einmal etwas Nützliches zur sittlichen Hebung der Freude! Dann brauchen Ihnen die armen Geschöpfe nicht mehr leid zu tun! Weil der Freudenmarkt als der gemeinste, schandbarste aller Berufe gebrandmarkt ist, geben sich die Mädchen und Frauen der guten Gesellschaft einem Manne lieber umsonst hin, als daß sie sich ihre Gunst bezahlen lassen! Dadurch entwürdigen diese Mädchen und Frauen ihr eigenes Geschlecht in der gleichen Weise, wie ein Schneider sein Gewerbe entwürdigt, der seinen Kunden die Kleider umsonst liefert!
Ich begreife von alledem kein Sterbenswort. – Ich bin mit meinem sechsten Jahr in die Schule gekommen und bin bis zu meinem fünfzehnten [674] Jahre in der Schule geblieben. Später habe ich noch einmal drei Jahre auf der Schulbank gesessen, um mein Lehrerinnenexamen zu machen. Solange ich jung war, verkehrten in meinem Elternhause Herren aus den besten Gesellschaftskreisen. Ich erhielt einen Heiratsantrag von einem Manne, der ein Rittergut von zwanzig Quadratmeilen geerbt hatte und der mir, wenn ich es von ihm verlangt hätte, bis ans Ende der Welt gefolgt wäre. Aber ich fühlte, daß ich ihn nicht lieben konnte. Vielleicht war es nicht richtig von mir. Vielleicht fehlte mir nur das kleine bißchen Leidenschaftlichkeit, das zum Heiraten unter allen Umständen nötig ist.
Erklären Sie mir jetzt nur noch eines: Wenn das Mädchen nun bei diesem Leben, das sie hier führt, ein Kind zur Welt bringt, wer sorgt dann für das Kind?
Sorgen doch Sie dafür! Oder haben Sie als Frauenrechtlerin vielleicht etwas Wichtigeres in dieser Welt zu tun? Solange ein Weib unter Gottes Sonne noch fürchten muß, Mutter zu werden, bleibt die ganze Frauenemanzipation leeres Geschwätz! Mutterwerden ist für das Weib eine Naturnotwendigkeit wie Atem und Schlaf. Dieses angeborene Recht hat die bürgerliche Gesellschaft dem Weibe in barbarischer Weise verkürzt. Ein uneheliches Kind ist schon beinahe ebenso große Schmach wie der Liebesmarkt! Dirne hin, Dirne her! Der Name Dirne bleibt der Mutter eines unehelichen Kindes sowenig erspart wie einem Mädchen in diesem Hause! Wenn mir etwas an Ihrer Frauenbewegung von jeher zum Ekel war, dann war es die Sittlichkeit, die Sie Ihren Zöglingen auf den Lebensweg einimpfen! Glauben Sie denn, der Liebesmarkt wäre je in der Weltgeschichte als Schande verschrien worden, wenn der Mann auf diesem Markte mit dem Weibe konkurrieren könnte?! Brotneid! Nichts als Brotneid! Dem Weibe gewährte die Natur den Vorzug, mit seiner Liebe handeln zu können, deshalb möchte die bürgerliche Gesellschaft, die vom Manne regiert wird, diesen Handel immer und immer wieder gern als das schmachvollste aller Verbrechen hinstellen!
[675]Ich bin in diesem Augenblicke, offen gesagt, ganz außerstande, Ihre Behauptungen daraufhin zu untersuchen, ob sie richtig oder unrichtig sind. – Aber wie in aller Welt ist es denn möglich, daß ein Mann von Ihrer Bildung, von Ihren sozialen Anschauungen, von Ihrer geistigen Überlegenheit sein Leben unter den würdelosesten Elementen der menschlichen Gesellschaft verbringt! – Gott weiß, vielleicht hat mich nur Ihre viehische Brutalität dazu gezwungen, Ihre Auseinandersetzungen ernst zu nehmen! Aber ich fühle ganz deutlich, daß Sie mir auf lange Zeit hin allerhand zu denken gegeben haben, worauf ich selber in meinem Leben nie gekommen wäre. Seit Jahren höre ich Winter für Winter zwölf bis zwanzig Vorträge von allen weiblichen und männlichen Autoritäten über Frauenbewegung. Ich kann mich nicht erinnern, je ein Wort gehört zu haben, das so wie Ihre Behauptungen der Sache auf den Grund ging!
Seien wir uns im Leben immer sonnenklar darüber, mein gnädiges Fräulein, daß wir auf einem Dachfirst nachtwandeln und daß uns jede unvorhergesehene Erleuchtung das Genick brechen kann.
Ich sage das nur in bezug auf Ihre Ansichten, bei denen Sie sich bis jetzt so unbedingt sicher fühlten, daß Sie Urteile wie »anständig« und »würdelos« freigebig austeilten, als wären Sie ganz allein von Gott dazu beauftragt, über Ihre Mitmenschen zu Gericht zu sitzen.
Ihre Worte treffen die Todeswunde, die ich mit auf die Welt gebracht habe und an der ich voraussichtlich einmal sterben werde. Er wirft sich, in einen Sessel. – – Ich bin – – – Moralist!
Und darüber wollen Sie sich bei Ihrem Schicksal. beklagen?! Darüber, daß Ihnen die Macht verliehen wurde, andere Menschen glücklich zu machen?! Sich [676] ihm nach, kurzem inneren Kampf zu Füßen werfend. Heiraten Sie mich doch um Gottes Barmherzigkeit willen! Ich habe mir, bevor ich Sie sah, die Möglichkeit niemals denken können, daß ich mich einem Manne hingebe! Ich bin noch vollkommen unerfahren; das kann ich Ihnen mit den heiligsten Eiden schwören. Ich habe bis zu dieser Stunde nicht geahnt, was das Wort Liebe bedeutet. Bei Ihnen hier fühle ich es zum erstenmal! Die Liebe hebt den Menschen über sein unseliges Selbst empor. Ich bin ein alltägliches Durchschnittsweib, aber meine Liebe zu Ihnen macht mich so frei und kühn, daß es nichts Unmögliches für mich gibt! Schreiten Sie in Gottes Namen von Verbrechen zu Verbrechen; ich gehe Ihnen voran! Gehen Sie aus dem Zuchthaus; ich gehe Ihnen voran! Lassen Sie sich – ich beschwöre Sie! – die günstige Gelegenheit nicht entgehen! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! Heiraten Sie mich! – so ist uns beiden armseligen Menschenkindern geholfen!
Ob Sie braves Tier mich lieben oder ob Sie mich nicht lieben, das ist mir vollkommen gleichgültig. – Sie können ja allerdings nicht wissen, wieviel tausendmal ich schon die gleichen Gefühlsausbrüche über mich habe ergehen lassen müssen! Ich unterschätze die Liebe gewiß nicht. Leider aber muß die Liebe auch all den unzähligen Weibern als Rechtfertigung herhalten, die nur ihre Sinnlichkeit befriedigen, ohne den geringsten Entgelt dafür zu fordern, und die uns durch ihre würdelose Preisgabe nur den Markt verderben.
Heiraten Sie mich! Es ist für Sie immer noch Zeit, ein neues Leben zu beginnen! Die Ehe macht einen geordneten Menschen aus Ihnen. Sie können sozialistischer Zeitungsredakteur, Sie können Reichstagsabgeordneter werden! Heiraten Sie mich, dann erfahren doch auch Sie einmal in Ihrem Leben, welch übermenschlicher Opfer ein Weib in seiner grenzenlosen Liebe fähig ist!
Ihre übermenschlichen Opfer würden mir im besten Falle die Eingeweide umkehren. Zeit meines Lebens liebte ich Tigerinnen. Bei Hündinnen war ich immer ein Stück [677] Holz. Mein Trost ist nur der, daß die Ehe, die Sie so begeistert preisen und für die die Hündinnen gezüchtet werden, eine Kultureinrichtung ist. Kultureinrichtungen entstehen, um überwunden zu werden. Die Menschheit wird die Ehe so gut überwinden, wie sie die Sklaverei überwunden hat. Der freie Liebesmarkt, auf dem die Tigerin ihre Triumphe feiert, gründet sich auf ein urewiges Naturgesetz der unabänderlichen Schöpfung. Und wie stolz steht das Weib in der Welt, sobald es das Recht erkämpft hat, sich, ohne gebrandmarkt zu werden, zum höchsten Preis, den der Mann ihm bietet, verkaufen zu können! Uneheliche Kinder sind bei der Mutter dann besser versorgt als die ehelichen beim Vater. Stolz und Ehrgeiz des Weibes sind dann nicht mehr der Mann, der ihm seine Stellung anweist, sondern die Welt, in der es sich den höchsten Platz erkämpft, den sein Wert ihm ermöglicht. Welch herrlichen, lebensfrischen Klang dann das Wort Freudenmädchen erhält! In der Geschichte des Paradieses steht, daß der Himmel dem Weib die Macht der Verführung verlieh. Das Weib verführt, wen es will. Das Weib verführt, wann es will. Es wartet nicht auf Liebe. Diese höllische Gefahr für unsere heilige Kultur bekämpft die bürgerliche Gesellschaft damit, daß sie das Weib in künstlicher Geistesumnachtung erzieht. Das heranwachsende Weib darf nicht wissen, was ein Weib zu sein bedeutet. Alle Staatsverfassungen könnten darüber den Hals brechen! Kein Henkerskniff ist der bürgerlichen Gesellschaft zu ihrer Verteidigung zu gemein! Mit jedem Kulturfortschritt dehnt sich der Liebesmarkt aus. Je klüger die Welt wird, um so größer der Liebesmarkt. Und diese Millionen von Freudenmädchen weist unsere gefeierte Kultur im Namen der Sittlichkeit auf den Hungertod hin oder raubt ihnen im Namen der Sittlichkeit Ehre und Lebensberechtigung, stößt sie im Namen der Sittlichkeit ins Tierreich hinab! Wie manches Jahrhundert lang soll noch himmelschreiende Unsittlichkeit die Welt mit dem Henkerbeile der Sittlichkeit verwüsten!
[678]Heiraten Sie mich! Sie stehen außerhalb der Welt! Ich trage meine Hand heute zum erstenmal einem Manne an.
Brotkorbkultur! Brotkorbkultur! – Was wüßte die Welt von der ganzen Sittlichkeit, wenn der Mann die Liebe kommandieren könnte, wie er die Politik kommandiert!
Ich erhoffe von unserer Ehe gar kein höheres Glück, als zeit meines Lebens so vor Ihnen auf den Knien liegend, Ihren Worten lauschen zu dürfen!
Ich hatte bis zu dieser Stunde keine Ursache, danach zu fragen. Sich erhebend. Sagen Sie es mir! Ich werde alles tun, um Ihren Anforderungen gerecht zu werden.
Kommen Sie, mein Kind. Ich werde es Ihnen erklären. Da sich Elfriede einen Augenblick ziert. Halten Sie bitte still!
Danke. Sie zurückdrängend. Sie möchten wissen, was die Ehe ist? – Sagen Sie mir, wer stärker ist: ein Mensch, der einen Hund hat, oder ein Mensch, der keinen Hund hat?
Und nun sagen Sie mir noch, wer stärker ist: ein Mensch, der einen Hund hat, oder ein Mensch, der zwei Hunde hat?
Ich glaube, daß der Mensch, der einen Hund hat, stärker ist, denn zwei Hunde müssen eigentlich notwendig schon eifersüchtig aufeinander werden.
Das wäre das wenigste. Aber zwei Hunden muß er zu fressen geben, sonst laufen sie davon, während der eine Hund für sich selber sorgt und seinen Herrn, wenn's not tut, auch noch bei Raubanfällen verteidigt.
Und mit diesem abscheulichen Gleichnis wollen Sie das selbstlose untrennbare Zusammenhalten von Mann und [679] Weib erklären?! Du barmherziger Gott, was müssen Sie für Erfahrungen gemacht haben!
Der Mann mit einer Frau ist wirtschaftlich stärker, als wenn er keine hat. Er ist aber auch wirtschaftlich stärker, als wenn er für zwei oder mehr Frauen sorgen muß. Das ist der Grundstein der Ehe. Das Weib wäre nie im Traum auf diese geistreiche Erfindung verfallen!
Sie armer bedauernswürdiger Mensch! Haben Sie denn je ein väterliches Haus gekannt? Haben Sie eine Mutter gehabt, die Sie pflegte, wenn Sie krank waren, die Ihnen während Ihrer Genesung Märchen vorlas, der Sie sich anvertrauen konnten, wenn Ihnen irgend etwas das Herz bedrückte, und die Ihnen immer, immer, immer geholfen hat, auch wenn Sie längst glaubten, daß es auf Gottes Welt gar keine Hilfe mehr für Sie gäbe?
Was ich als Kind erlebt habe, das erlebt kein menschliches Geschöpf, ohne daß seine Tatkraft bis zum Grabe gebrochen ist. Können Sie sich in einen jungen Menschen hineindenken, der mit sechzehn Jahren noch geprügelt wird, weil ihm der Logarithmus von Pi nicht in den Kopf will?! Und der mich prügelte, war mein Vater! Und ich prügelte wieder! Ich habe meinen Vater totgeprügelt! Er starb, nachdem ich ihn zum erstenmal geprügelt hatte. – Aber das sind Kleinigkeiten. Sie sehen, unter welchen Kreaturen ich hier lebe. Ich habe unter diesen Kreaturen nie die Beschimpfungen mehr gehört, die während meiner ganzen Kindheit meiner Mutter zuteil wurden und um die sie sich täglich mit neuen Unwürdigkeiten bewarb. Aber das sind Kleinigkeiten, Die Ohrfeigen, Faustschläge und Fußtritte, in denen Vater, Mutter und ein Dutzend Lehrer zur Entwürdigung meines wehrlosen Körpers wetteiferten, waren Kleinigkeiten im Vergleich mit den Ohrfeigen, Faustschlägen und Fußtritten, in denen die Schicksale dieses Lebens miteinander wetteiferten, um meine wehrlose Seele zu entwürdigen.
Das menschliche Leben ist zehnfacher Tod vor [680] dem Tode! Nicht nur für mich. Für Sie! Für alles, was Atem holt! Für den einfachen Menschen besteht das Leben aus Schmerzen, Leiden und Qualen, die sein Körper erduldet. Und ringt sich der Mensch zu höherem Sein empor, in der Hoffnung, den Qualen des Körpers zu entrinnen, dann besteht das Leben für ihn aus Schmerzen, Leiden und Qualen, die seine Seele erduldet, und gegen die die Qualen des Körpers Wohltaten waren. Wie grauenvoll dieses Leben ist, das zeigt sich schon darin, daß sich die Menschen ein Wesen ausdenken mußten, das aus nichts als Güte, aus nichts als Liebe, aus nichts als Wohltat besteht, und daß die ganze Menschheit, nur um das Leben ertragen zu können, täglich, stündlich zu diesem Wesen beten muß!
Wenn du mich heiratest, dann haben körperliche Qualen und Seelenqualen ein Ende! Du brauchst dich mit all diesen entsetzlichen Fragen nicht mehr zu beschäftigen. Meine Mama hat ein Privatvermögen von sechzigtausend Mark, von dem trotz ihrer fünfundzwanzigjährigen, glücklichen Ehe Papa sich bis heute noch gar nichts träumen läßt. Lockt dich die Aussicht nicht, daß du, wenn du mich heiratest, plötzlich sechzigtausend Mark bar zur Verfügung hast?
Sie verstehen sich nicht auf Liebkosungen, mein Fräulein! Sie benehmen sich wie der Esel, der den Schoßhund spielen will. Ihre Hände tun mir weh! Das kommt nicht etwa daher, daß sie nichts gelernt haben. Das kommt, weil sie dem geknechte ten Liebesleben der bürgerlichen Gesellschaft entstammen! Sie haben keine Rasse im Leib. Es fehlt das nötige Zartgefühl! Das Zartgefühl und das Schamgefühl! Es fehlt Ihnen das Gefühl für die Wirkung Ihrer Liebkosungen; ein Gefühl, das jedes Rassegeschöpf schon als kleines Kind mit auf die Welt bringt!
Daß es Ihnen an dem nötigen Zartgefühl und Schamgefühl fehlt! In diesem verrufenen Hause sage ich Ihnen das! – Überzeugen Sie sich doch einmal davon, mit welch feinem Takt diese Geschöpfe ihrem verrufenen Handwerk obliegen! Das letzte Mädchen in diesem Haus kennt die menschliche Seele genauer als der berühmteste Psychologieprofessor an der berühmtesten Universität. Sie, mein Fräulein, würden hier allerdings die gleichen Enttäuschungen erfahren, die Ihnen Ihre Vergangenheit bereitet hat. Die Frau, die für den Liebesmarkt geschaffen ist, erkenne ich auf den ersten Blick daran, daß ihre freien, regelmäßigen Gesichtszüge unschuldige Glückselig keit und glückselige Unschuld ausstrahlen. Elfriede musternd. In Ihren Gesichtszügen, mein verehrtes Fräulein, ist weder irgend etwas von Glückseligkeit noch irgend etwas von Unschuld zu lesen.
Glauben Sie denn nicht, Herr Baron, daß ich bei meinem eisernen Fleiß, bei meiner Energie, bei meiner unüberwindlichen Begeisterung für alles Schöne das Zartgefühl und den feinen Takt, von dem Sie sprechen, noch lernen könnte?
Ich bin von der sittlichen Bedeutung alles dessen, was Sie sagen, so tief überzeugt, daß mir das größte Opfer, durch das ich meine kleinbürgerliche Hilflosigkeit überwinden könnte, nicht zu groß wäre!
Nein, nein, dafür bin ich nicht zu haben! Das würde grauenvoll! Das Leben ist grauenvoll genug! Nein, mein Fräulein! Lassen Sie Ihre fürchterliche Hand von dem einzigen gött lichen Lichtstrahl, der die schauerliche Nacht unseres martervollen Erdendaseins durchdringt! Wofür lebe ich denn! Wofür betätige ich mich in unserer Zivilisation! Nein, nein! Die einzige reine Himmelsblume in dem von Schweiß und Blut besudelten Dornendickicht des Lebens soll nicht von plumpen Fußtritten zerstampft werden! Glauben [682] Sie mir bitte, daß ich mir schon vor einem halben Jahrhundert eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte, wenn nicht über dem zum Himmel emporgellenden Jammergeheul aus Geburtswehen, Daseinsschmerzen und Todesqualen dieser eine klare Stern leuchtete!
Die äußerste geistige Anstrengung ermöglicht mir nicht, den Sinn Ihrer Worte zu erraten! Was ist der Lichtstrahl, der die Nacht unseres Daseins durchdringt? Was ist die einzi ge reine Himmelsblume, die nicht zu Schmutz zerstampft werden soll?
Das ist der Sinnenge nuß, mein gnädiges Fräulein! Der sonnige, lachende Sinnengenuß! Der Sin nengenuß ist der Lichtstrahl, die Him melsblume, weil er das einzige unge trübte Glück, die einzige reine, lautere Freude ist, die das Erden dasein uns bietet. Glauben Sie mir, daß mich seit einem halben Jahrhundert nichts mehr in dieser Welt zurückhält, als die selbstlose Anbetung die ses einzigen aus voller Kehle auflachenden Glückes, das im Sinnengenuß de n Menschen für alle Qualen des Daseins entschä digt!
Das ist das Mädchen, das bei Ihnen zu Hause die Bücher über die internationale Bekämpfung des Mädchenhandels studiert hat! Jetzt können Sie sich gleich davon überzeugen, ob ich den Mund zu voll genommen habe! Wir sind hier gottlob für solche Gelegenheiten eingerichtet. Er führt sie ins rechte Proszenium. Nehmen Sie nur hinter dieser Efeuwand Platz! Von hier aus können auch Sie einmal das lautere, ungetrübte Glück zweier Kreaturen beobachten, die der Sinnengenuß zusammenführt!
Allmächtiger Himmel! Das ist genau das entgegengesetzte Ge genteil von dem, was ich mir volle zehn Jahre lang darüber gedacht habe!
Teufel! Teufel! Teufel! Das ist genau das entgegengesetzte Ge genteil von dem, was ich mir fünfzig Jahre lang über den Sinnengenuß gedacht habe!
Was war das?! Was habe ich nichtswürdige Schmarotzerin mir in meinem vertrockneten Hirn unter Sinnengenuß vorgestellt?! – Selbstaufopferung, glühendes Märtyrertum ist das Leben in diesem Hause. Ich, in verlogener Aufgeblasenheit, in meinem fadenscheinigen Tugendstolz hielt dieses Haus für die Brutstätte der Verworfenheit!
Meine ganze Jugend, so überreich an Liebesdurst, an Liebesmacht sie mir der gütige Himmel geschenkt hatte, ich habe sie freventlich durch den grauen seelenerstickenden Straßenschmutz geschleift! Die Heiligkeit sinnlicher Leidenschaft galt mir feigen Memme als niedrigste Gemeinheit!
Das war die tageshelle Erleuchtung, die unversehens dem, der auf dem Dachfirst nachtwandelt, das Genick bricht!
Was tu ich noch auf der Welt, wenn auch der Sinnengenuß nichts als höllische Menschenschlächterei, wenn auch der Sinnengenuß nichts als satanische Menschenschläch terei ist, wie das ganze übrige Erdendasein! So also nimmt sich der einzige göttli che Lichtstrahl aus, der die schauerliche Nacht unseres martervollen Lebens durchdringt! Hätte ich mir doch vor einem halben Jahrhundert eine [691] Kugel durch den Kopf gejagt! Dann wäre mir dieser jämmerliche Bankrott meines hochstap lerisch zusammengestohlenen See lenreichtums erspart geblieben!
Was Sie noch auf dieser Welt zu tun haben? Das kann ich Ihnen sagen! Sie sind Mädchenhändler! Sie rühmen sich, es zu sein! Jedenfalls haben Sie die besten Verbindungen mit allen bedeutenden Plätzen, die für den Mädchenhandel in Betracht kommen. Verkaufen Sie mich! Ich beschwöre Sie, verkaufen Sie mich an solch ein Haus! Sie können ein ganz einträgliches Geschäft mit mir machen! Ich habe noch nie geliebt, das setzt meinen Wert jedenfalls nicht herab! Dafür, daß ich Ihnen keine Schande mache, daß Sie bei Ihren Abnehmern Ehre mit mir einlegen, verbürge ich mich Ihnen mit jedem Schwur, den Sie von mir verlangen!
Ich will im Sinnengenuß meinen Tod finden! Ich will mich auf dem Blutaltar sinnlicher Liebe schlachten lassen!
Ich will den Märtyrertod sterben, den dieses Mädchen, das eben hier war, stirbt! Habe ich denn nicht die gleichen Menschenrechte wie an dere?!
Behüte mich der Himmel davor!! Mit steigendem Ausdruck. Das – das – das ist das höllische Hohngelächter, das über meinem Todessturz erschallt!
Die grauenvollsten Zeiten meines Lebens steigen vor mir auf! Einmal schon habe ich ein Geschöpf, das von der Natur nicht dazu geschaffen war, auf dem Liebesmarkte verschachert! Für dieses Verbrechen gegen die Natur habe ich sechs volle Jahre hinter schwedischen Gardinen zugebracht! Natürlich war es [692] auch eines jener charakterlosen Geschöpfe, denen die großen Füße im Gesicht ge schrieben stehen!
Bei meinem Herzschlag beschwöre ich Sie, verkaufen Sie mich! Sie hatten recht! Meine Betätigung zur Bekämpfung des Mädchenhandels war unbefriedigte Sinnlichkeit! Aber meine Sinnlichkeit ist nicht schwach! Fordern Sie Beweise! Soll ich Sie wie wahnsinnig küssen?!
Und dieses ohrzerreißende Jammergeheul zu meinen Füßen?! Was ist das?! Dieses gellende Zetergeschrei aus Geburtswehen, Daseinsschmerzen und Todesqualen ertrag ich nicht länger! Ich halte dieses irdische Wehgekreisch nicht mehr aus!
Ihnen selbst, wenn Sie wollen, bringe ich meine Unschuld zum Opfer! Ihnen selbst, wenn Sie wollen, schenke ich meine erste Liebesnacht!
– Ver-zeihen Sie – Baroneß – ich – ich habe mir – weh getan – das – das war nicht – nicht galant von mir –
– schrei-schreien Sie mir die – die Ohren nicht – nicht voll – seien Sie – lieb – lieb – lieb – wenn – wenn Sie können –
– und das – und das – Ra-Rachegeister? – – Rachegeister?? Nein, nein! – das – das ist – ist Maruschka! – Ich sehe dich genau. – Das ist – Euphemia! – das Theophila! – – Ma-Ma-Ma-ruschka! Küsse mich, Maruschka!
– So! – So, so, so! – Ich – ich habe euch – betrogen – Sich an Maruschka langsam aufrichtend. – euch alle – betrogen! – Der Sinnengenuß – Menschenquälerei – Menschenschinderei endlich – – – – endlich – Erlösung! Er steht, steif emporgereckt, wie vom Starrkrampf erfaßt, die Augen weit aufreißend. Wir – wir müssen – den – den hohen Herrn – doch wohlstehend – – – – – – – – – – – – – – – – – – empfangen ... Er bricht tot zusammen.
Nun? – Hat denn keine von euch Mädchen den Mut dazu? Ihr wart diesem Manne doch mehr, als ich ihm sein durfte!
Dann verzeih mir, der Elenden! Du hast mich im Leben aus tiefster Seele verabscheut! Verzeih mir, daß ich mich dir noch nahe! Sie küßt ihn inbrünstig auf den Mund. In einen Strom von Tränen ausbrechend. Diese letzte Enttäuschung hast du dir doch wohl in deinem furchtbarsten Weltschmerz nicht träumen lassen, daß dir eine Jung frau die Augen zudrückt! – Darauf drückt sie ihm die Augen zu und sinkt jammervoll weinend zu seinen Füßen.