[146] Das ander Buch.

Die erste Fabel.
Von den Ochsen und dem Löwen.

Es giengen feißter ochsen vier
An jener weid, gar starke tier,
Machten zusamen ein contract,
Verbunden den mit eides pact,
Beinander sterben und zu leben:
Drauf tetens ire treue geben,
Daß sie sich möchten sicher neren,
Dazu der bösen tier erweren.
Wie sie nun suchten ire weid
Vor jenem holz an grüner heid,
Da lief ein löw aus jenem wald,
Sahe die ochsen ganz wol gestalt,
Het nicht in zweien tagen geßen:
Dennocht dorft er sich nit ermeßen,
Daß er die ochsen angefarn,
Dieweil sie bei einander warn.
Mit schmeichelworten er versucht,
Ob er die ochsen trennen mocht,
Und sprach: »Ir brüder, hört mir zu,
Neu zeitung ich euch bringen tu,
Jupiter, unser gmeiner gott,
Vorsichtiglich beschloßen hat,
[147]
Kein tier das ander sol beschedigen,
Mit worten oder tat beleidigen,
Sondern sol sein ewiger fried,
Und wer dasselb wil halten nit,
Den hat er in den ban getan,
Und sol darvor sein straf entfahn.
Dasselb hab ich euch guter maßen
Unangezeigt nicht mögen laßen,
Daß ir auch deste sichrer seid
Hie oder dort in eurer weid.«
Die ochsen sprachen: »Ist dem also?
Des sein wir aus der maßen fro«,
Und giengen fürbaß gar zerteilt.
Der löw den einen übereilt;
An im seins schadens sich zurhalen,
Muß er ims morgenmal bezalen.
Kleine ding wachsen groß und breit
Durch bürgerliche einigkeit;
Uneinigkeit macht als zu nicht,
Was müesamlich ist aufgericht.
Der weise könig Salomon
Dasselb durch gleichnus zeiget an.
»Ein dreidratiger strick«, er spricht,
»Leßt sich mit sterk zerreißen nicht.«
Also, wenn freund zusamen halten,
Laßen sich nit durch zwitracht spalten,
Dieselben unüberwindlich sind,
Wenn man sie stets einmütig findt.

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