[236] Die vierundfunfzigste Fabel.
Von einem Cardinal und seinem Freunde.

Es ward ein doctor auf ein mal
Zu Rom erwelt zum cardinal,
Vom bapst zu solcher herlichkeit
Berufen durch sein gschicklichkeit.
Der het ein kurzweiligen frünt;
Als dem dasselbig ward verkündt,
Daß der doctor gekoren wer
Zum cardinal, ein großer herr,
Im zu wünschen da zu im trat
Glück, heil zu solchem großen stat.
Wie in der cardinal ersach,
Mit hönschen worten zu im sprach:
»Freunt, sagt, woher tut ir mich kennen,
Daß ir mich jetzt mit namen nennen?«
Nicht lang der man bedachte sich
Und antwort im ganz lecherlich
Und sprach: »Erwirdigster singor,
Groß mitleiden hab ich verwor
Mit eur person und irem gleiche.
So bald ir werdt aus armen reiche,
Daß man euch gnedige herren nennt,
Zuhand sich keiner selber kennt.
So werdt ir durch hoffart betaubt
Und all eur sinne gar beraubt,
Und so gar jemerlich verblendt,
Daß ir eur beste freund nicht kennt.«
Hoffart ist solch ein große plag,
Daß mans nit gnug aussprechen mag,
Und tut die leut so gar betören,
Daß in verget beid sehn und hören.
Die kinder, wenn sie hoch gedeihen
Und in Gott reichtum tut verleihen,
[237]
Tut sie der hohmut undernemen,
Daß sie sich irer eltern schemen.
Ein ander geschicht muß hie anzeigen,
Ist diesem ganz und gar entgegen.
Man list von eim Alberto Magno,
Dem hochgelerten philosopho,
Ein schwab, geborn von Lauingen,
Kam durch sein kunst zu hohen dingen,
Bischof zu Regenspurg erkorn.
Weil er nun nicht war edel gborn,
Schemt er sich doch seinr eltern nit:
Er schickt nach in, befalh damit,
Daß man in brechte ros und wagen,
Und ließ in auch daneben sagen
Von seiner er und fürstenstant,
Wer ein bischof, het leut und lant.
Die botschaft sie mit freud annamen,
On alles seumen zu im kamen.
Aus guter meinung diß bedachten,
Daß sie in gute kleider machten,
Daß sie vor solchem großen herrn
Gekleidet giengen auch zun ern.
Da er sie nun all beid ansach,
Mit hartem ernst zu inen sprach:
»Was vor leut, und woher seid ir,
Daß ir so kummen rein zu mir?«
Die mutter sprach mit vilen zehren:
»Warumb habt ir uns tun begeren,
Daß ir uns nit baß wolten kennen?«
Er sprach: »Ich weiß euch nicht zu nennen.«
Sie antwort bald: »Ich armes weib,
Ich hab euch ja in meinem leib
Getragen, mit den brüsten gseugt,
Mein mütterliches herz erzeigt.
Und disen man, mein lieben alten,
Solt ir billch für eurn vatter halten.«
Der bischof sprach: »Nein, auf mein treu!
Mein mutter war ein arme frau,
[238]
Ein armer müller mein vatter war,
Mit staub und klei besteubet gar,
Nert sich seinr teglichen arbeit,
War nicht mit lündschem tuch gekleidt.«
Da giengens bald von im hinab,
Legten die guten kleider ab,
Ir alte häß wider anlegten,
Darin sie zu arbeiten pflegten,
Und kamen für den bischof wider.
Da bücket er sich für in nider
Und nams für seine eltern an.
Des sich verwundert jederman,
Daß in solch er und hohe gaben
Zur hoffart nicht hetten erhaben,
Sein armen eltern alle güt
Erzeigt aus einfeltigem gmüt
Nach forderung der zehen gbot,
Die Gott uns allen geben hat.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek