[159] Sechster Akt.
Langens Studierstube. Die Thüre des Nebenzimmers ist etwas offen. Werner sitzt am Schreibtisch und ist beschäfftigt, Papiere in Ordnung zu bringen.
WILHELM
kommt aus dem Nebenzimmer.
Aber um Gotts willen, Herr Werner! warum gehn Sie nicht auch und ruhen ein wenig; jetzt, da mein Herr selbst schläft, hätten Sie die beste Gelegenheit dazu: – Wenn Sie so fort machen, wo solls hinaus? Sie müssen auch liegen bleiben, und dann gnade Gott uns Armen!
WERNER.
Er meynts gut mit mir, Wilhelm! ich danke ihm.
WILHELM.
Bedenken Sie nur selbst: in den drey Wochen, die mein Herr so traurig und elend da liegt, haben Sie gewiß keine dreymal sechs Stunden in Ordnung geschlafen.
WERNER.
Wer kann helfen, mein guter Wilhelm! was seyn muß, muß seyn. Es ist schon zwey, dreymal nach verschiedenen Schriften geschickt worden: wer soll sie denn aussuchen, wenn ich es nicht thue? – Bringt einen geschriebenen Quartband aus einer Schublade hervor. Das ist ja meine eigene Handschrift – Gott! wie kommt die – meine Abhandlung – Wilhelm! ich dachte, die wäre schon bald gedruckt; er hat ja das Geld davor gebracht; wie kommt sie denn wieder hieher?
[160]WILHELM.
Geld, Herr Werner! hab ich so wenig gebracht, daß mir vielmehr der Buchhändler das Manuscript wieder an meinen Herrn zurück gab.
WERNER
betroffen und nachdenkend.
In diesem Zug erkenn ich ihn ganz wieder: Edle wohlthätige Seele! – Gerechter Gott! kannst du denjenigen so im Unglücke sehn, der, gleich dir, stets für andre zu sorgen bedacht war! – Wilhelm, bestell er den Pack Akten hier an seine Addresse. Wilhelm ab; bald darauf kommen Justitzräthinn und Caroline zur Haupthüre herein: als sie Langen nicht sehn, gehn sie auf das Nebenzimmer los.
WERNER.
Wo wollen Sie hin? er schläft.
JUSTITZRÄTHIN.
Ich werd Sie doch nicht um Erlaubniß fragen, wenn ich meinen Sohn besuchen will.
WERNER.
Man sollte Wunder denken, wie sehr er Ihnen anliegt – aber jetzt können Sie ihn nicht sehn; der Doktor hats verboten.
JUSTITZRÄTHIN.
Das Verbot gilt mir nicht; – ich bin seine Mutter.
CAROLINE
in einem naseweisen Ton.
Und ich seine Schwester.
WERNER
wirft Carolinen einen verächtlichen Blick zu; zur Justitzräthin.
Sie habens ihn fühlen lassen!
CAROLINE.
Mama, sieh Sie: der Christian darf an seinem Bett sitzen, aber uns will man nicht zu ihm lassen.
[161]JUSTITZRÄTHIN.
Dem wird der Doktor wohl ein Privilegia gegeben haben.
WERNER.
Er hat nicht nur ein Privilegium, sondern sogar Befehl, soviel möglich um ihn zu seyn, weil der noch allein fähig ist, ihn etwas zu zerstreuen.
JUSTITZRÄTHIN
zur Caroline.
Komm, wir wollen sehn, ob er sanft schläft.
WERNER
stellt sich ihnen in Weg, in einem gesetzten Ton.
Madam! ich rath Ihnen: wenn ich nicht Gewalt brauchen soll, so gehn Sie keinen Schritt weiter. – Misgönnen Sie dem armen Schlachtopfer Ihrer tollen Eitelkeit etwa gar das bischen Schlaf, das ihm der Himmel schenkt? – Seit so langer Zeit ist das wieder der erste, der ihm die Augen zudrückt.
CAROLINE.
Mama! nicht wahr, wenn der Bruder stirbt, da müssen wir trauren, und da bekomm ich ein schwarzes Kleid?
JUSTITZRÄTHIN.
Freylich – ich hoff aber, es soll nicht so weit kommen.
WERNER.
Das ist noch das geringste, was Sie zu befürchten haben; und, weh Ihnen! wenn einst die Gewissensbisse zu spät – Caroline will sich hinter ihm hineinschleichen. Schlangenbrut! willst du zu rück bleiben! – Reißt sie zurück.
CAROLINE.
Mama! Mama! Weint, und verbirgt das Gesicht an ihrer Mutter.
[162]JUSTITZRÄTHIN.
So! also wär ich wohl die Schlange? Gut, mein Herr! mein Sohn wird nicht immer krank seyn, und alsdann werd ich mir Satisfaxion zu verschaffen wissen.
WERNER.
So viel Sie wollen; wär er auf diese Gefahr nur wieder gesund!
JUSTITZRÄTHIN.
Er wärs schon längst, wenn ihr ihm nicht immer neue Grillen in Kopf setztet: – könnt ich immer um ihn seyn, ich wollt ihn bald –
WERNER.
Vollends ins Grab geärgert haben.
JUSTITZRÄTHIN.
Aber kommt mir der verdammte Kerl mit dem großen Schnurrbart nur wieder über die Schwelle! –
WALZ
der bey den letzten Worten zur Thür herein kam, ohne daß ihn jemand sah, laut.
Bin ich etwa dadurch gemeint?
JUSTITZRÄTHIN UND CAROLINE.
Ah!
WERNER.
Sachte! ums Himmels Willen, sachte! weckt ihn nicht.
WALZ.
Eurer rothen Haar wegen komm ich beym Guckuk nicht her: das dörft ihr euch nicht einbilden. Wollt lieber den Teufel sehn, als euch Fratzengesichter. Käms nit drauf an, den armen Jungen wieder zurecht zu bringen, dem ihr den Kopf verrückt habt, hol mich dieser und der! wenn ich einen Tritt in euer Haus thun möchte.
[163]JUSTITZRÄTHIN.
Schon gut! schon gut! ich hätt ihm den Kopf verrückt? weiß besser, wers gethan hat. Mit Carolinen ab.
WALZ.
Hast Zeit, daß du gehst. – Ich bin niemands Feind, Herr Werner! aber der Frau, Stück vor Stück könnt ich ihr die Seel aus dem Leibe reissen sehn.
WERNER.
Hälfs für was?
WALZ
guckt ihn bedenklich an.
Da hat der Herr wieder Recht. – Meintwegen; Gott mags richten. Ist der Doktor heut schon da gewesen?
WERNER.
Noch nicht! vermuthlich hat die Reih unser Quartier noch nicht getroffen.
WALZ.
Möcht doch keinen Doktor haben, der in der Kutsch Visiten macht, und wenn er mich noch dazu bezahlen wollt. – Muß man sichs nicht ordentlich für eine Gnade schätzen, wenn sie sich fürs doppelte Geld zu einem bemühn.
WERNER.
Dafür kann man sich auch auf sie verlassen.
WALZ.
Ey was verlassen; ist der Herr etwa auch auf dem irrigen Wahn; als müßt ein Doktor zwölf Pfund Ziegenhaar auf dem Kopf schleppen, vor lauter Runzeln nicht mehr aus den Augen sehn, und ohne Krücken kaum fortkommen können, wenn er was leisten soll? – Ich sag Ihnen: ein junger Mensch, der etwas gelernt hat, und sein Glück noch erst machen will, giebt sich [164] mehr Mühe, und studirt seinen Kranken weit besser, als die alten Graubärte, die schon ganze Kirchhöfe voll kurirt haben.
WERNER.
Hie und da mag der Fall wohl wahr seyn.
WALZ.
Hat der Assessor heut schon gebadet?
WERNER.
Keine zwölf Pferde hätten ihn ins Wasser gebracht.
WALZ.
Ihr seyd mir rechte Leut! mit drey Worten hab ich ihn drinn.
WERNER.
Dafür sind Sie auch Rickchens Vater.
WALZ.
Leider!
WERNER.
Warum, leider?
WALZ.
Ach Herre! das kann er nicht begreifen, wie schwer es ist, Vater zu seyn, wenn mans recht seyn will. Da bin ich im Kloster gewesen: Zehrt sich das arme Mädel nicht ab, daß es ein Jammer ist; so dürr, wie der Schatten an der Wand, und so blaß, wie ein Innschlittkuchen – Ich werd auch noch zum Narren! – Das arme Ding frißt seinen Gram so ganz in sich hinein –
WERNER.
In kurzem, hoff ich, soll das alles sich ändern; der Herr Staatsrath –
WALZ.
Sind Sie bey ihm gewesen?
WERNER.
Freylich, und hab ihm alles erzählt, alles vorgestellt; er war ganz gerührt. Der Zustand des armen Langen hat ihm beynahe [165] Thränen ausgepreßt, und über die heimtückische Bosheit seiner Mutter hat er die Zähne geknirscht.
WALZ.
Er will sich also unsrer annehmen, will dafür sorgen, daß ich mein Mädel wieder bekomme? der brave Herr!
WERNER.
Sobald der Hof von Schönbrunn zurückkommt, will er Ihro Majestät die Sache im rechten Licht zeigen; er meynts gar gut mit Langen: wenns auf ihn ankäm, müßt gewiß die Justitzräthin für ihre verwegne Verläumdung die Stelle Ihrer Tochter ersetzen. – Eins nur müssen wir noch besorgen; – Langens Feinde haben ausgesprengt, seine Krankheit wäre untheilbar; auf allen Fall will ers deswegen vom Medico attestirt haben, wie es eigentlich um sein Gesundheitsumstände aussieht.
WALZ.
O ein Attestat soll uns der Pillendreher gleich aufsetzen. Ich hör einen Wagen anfahren: vielleicht ist ers.
WERNER
geht ans Nebenzimmer, sieht hinein, Christian kommt herausgeschlichen.
Schläft dein Bruder noch? Christian!
CHRISTIAN.
O ja! er dreht sich aber so unruhig herum; ein paarmal hat er ordentlich gelacht, aber im Schlaf nur: hernach hat er mit den Händen gefochten, als wenn er Händel hätte; endlich hat er lang, gar lang geweint, aber nur im Schlaf, und jetzt ist er still geworden.
[166]WERNER.
So bald er erwacht, mein Sohn, so ruf mich.
CHRISTIAN.
Das will ich thun, Herr Werner!
WERNER
geht dem Doktor entgegen.
Endlich hat unser Patient etwas Ruhe wieder; seit zwo Stunden ungefähr schläft er.
DOKTOR.
Das hat meine Medicin gethan: ich dachte mirs wohl. Hat er heut wieder einen Paroxismum gehabt?
WALZ.
Er ist ja ganzer sechs Tage nicht draus gekommen.
DOKTOR.
Da hat man gewiß meine Verordnung nicht recht befolgt.
WALZ.
So macht ihr Herren es immer: geht was gut, so hats eure Kunst gethan; gehts übel, so muß der Fehler sonstwo stecken.
DOKTOR.
Ganz gewiß hat er wieder was in die Augen bekommen, das ihn rappelköppisch gemacht hat.
WERNER.
So viel mir möglich war, nicht: ich hab sogar seine Mutter und Schwester entfernt, weil ihn ihr Anblick allemal aufbringt.
DOKTOR.
Wohl gethan, mein Herr! sehr wohl gethan; aber nicht genug, Sie müssen ihm gar keine Zeit lassen, auf seine Lieblings-Ideen zu kommen.
WALZ.
Ja, wer das könnte! Ein Wort, ein Nichts kann ihm drauf helfen. Wenn man meynt er ist am ruhigsten, so gehts wieder desto ärger an.
[167]DOKTOR.
Ganz gewiß werden die kalten Bäder nicht ordentlich gebraucht.
WALZ.
Ja doch! ich setz ihn allemal selbst hinein.
DOKTOR.
Sorgen Sie ja, daß er seinen Trank auf die Minute nimmt; – per epicrasin laxantia sind in solchen Umständen –
WALZ.
Wenn ich nur einmal Besserung sähe, es wird vielmehr immer ärger.
DOKTOR.
Das macht, weil er im Gemüth nicht ruhig ist; wenns erst da geholfen wäre, so sollt sich das andre schon geben, denn wie der weise Vater Galenus schon gesagt hat: cessante causa, cessat effectus.
WALZ.
Das wars eben Herr Doktor, – das wars. Wissen Sie was, wir haben ein schönes Mittel dahin zu gelangen, Sie müssen uns aber helfen.
DOKTOR
will fortgehn.
Ganz gehorsamer Diener! Recepte, Konsultationen; so viel Sie wollen, aber das andre ist meines Amts nicht.
WALZ.
Es wird nicht bezahlt, nicht wahr?
WERNER.
Still Herr Walz! Mein Herr Doktor, es kommt nur drauf an, uns gegen billige Belohnung ein Attestat zu geben, daß die Krankheit meines Freunds mehr im Gemüth als im Körper sitzt.
[168]DOKTOR.
Ja, so läßt sichs hören! – Den Statum morbi aufsetzen, das kann ich schon gegen billige – wie Sie gar wohl bemerkt haben. Den Augenblick! Setzt sich an den Schreibtisch, indem er das Papier zurecht legt. Man hat mich zwar schon dreimal in ein gewisses Haus zu einer Frau rufen lassen, die seit drey Tagen in Geburtsschmerzen liegt, sie kann aber noch ein Stündchen warten; warum lassens die Leut auf die lezte Extremität kommen, und schicken nicht eher? Schreibt.
WALZ
stampft mit dem Fuß, und schlägt sich vor die Stirn.
Sapperment!
DOKTOR.
Was fehlt ihm guter Freund?
WALZ.
Da wars, als gäb mir Einer einen Stich ins Herz.
DOKTOR.
Sanguis crassus, sanguis crassus, mein Freund! dickes, zähes Geblüt. Eine Aderlässe, je früher, je besser, das zieht das böse Geblüt vom Herzen. Schreibt immer fort.
WALZ.
Haben Sie oft Ader gelassen? Werner winkt ihm zu schweigen.
DOKTOR.
Manches Jahr funfzehn, zwanzig und mehrmal.
WALZ.
Sapperment! das hätt ich mir mein Lebtag nicht eingebildt.
WERNER.
Ihrer gesunden Gesichtsfarbe und robustem Körper nach, meynt Herr Walz.
DOKTOR.
Ja meine Herren! und ich hab mit alle dem doch recht tüchtig in meiner Jugend gelebt; [169] und ich war lang jung, meine Herren! sehr lang, aber die Diät, die Diät –
WALZ.
Die anzupreisen ist doch wohl Ihres Amts auch nicht?
DOKTOR.
Gesunden freylich nicht! bey guten Freunden aber thut man schon was übriges. – Hier, Herr Werner Giebt ihm den Statum morbi.
WERNER.
Ich danke indessen – Mit dem Kranken –
DOKTOR.
Fahren Sie so fort, wie bisher; nur keine Aergernis! nur keine Aergernis! Empfehle mich.Geht ab, Werner bis an die Türe mit.
WALZ
speyt ihm nach.
Die Zipfelperücke hätt ich ihm vom Kopf reisen mögen! dem – Sapperment! ist der Kerl nicht hartmäuliger und unempfindlicher als ein Karrengaul, der zehn Jahre in der Mühle getrieben hat.
WERNER
ruft.
Wilhelm! Wilhelm! – er ist wohl noch nicht zu Haus – Nun es ist auch besser ich trags hernach selbst hin.
CHRISTIAN.
Herr Werner, der Bruder!
LANGEN
kommt im Schlafrock heraus, blaß und hager, mit stierem Blick.
Halt – wohin, wohin eilst du? Geliebte! Rickchen! mein trautes Rickchen! – Bleib! bleib – du fliehst mich – – wo ist sie hin? Kerls wohin gieng sie, wollt ihr reden? – Wie sie da stehn, als hätt sie der Donner gerührt! – zittert, zittert nur; der Wurm nagt euch am [170] Herzen – Gewissen, Gewissen! das tobt, nicht wahr? – Junge, du warst bey mir da drinn, red! wo steckt sie?
CHRISTIAN.
Ich hab niemand gesehn, lieber Bruder.
LANGEN.
Niemand gesehn, niemand? und kanst doch die Augen so sperr weit aufklotzen; – Schurke! bist auch wider mich? Nimmt ihn vor der Brust und wirft ihn ein paar Schritte von sich; Werner und Walz wollen auf ihn zu, und ihn halten, er wirft einen dahin, den andern dorthin. Wer seyd ihr, daß ihr mich halten wollt? Mark, Mark fehlt euch in Knochen, und mir kochts über und über. – Schaft mir mein Rickchen, da – da wars; ihr habt mirs entrissen. – Ha! du Schlangenseele! Auf Wernern los. bist du auch da? Meine Mutter hat ja eingewilligt, nicht wahr? so sags doch, sie hat eingewilligt – Packt ihn. sags, sags, oder ich drück dich zu Staub –
WERNER.
Das that sie – dem Schein nach.
LANGEN.
Wie du ein Freund bist – der Otternbrut! Walz hat ers gehört, sie hat eingewilligt Rickchen ist die Meine – wo ist sie? – heraus mit ihr – heraus sag ich, du alter Schnurrbart, Haar für Haar reiß ich dir ihn aus – Fällt über ihn.
WALZ.
Hülf, Hülfe! Sapperment er erwürgt mich; wills meinem Mädel sagen, wie Sie ihren Vater traktiren. Werner eilt nach Hülfe der Thür zu, da Langen den Walz hier los läßt, kehrt er wieder um.
[171]LANGEN.
Vater! – bist du auch Vater – was ist ein Vater? – ein Tyrann, Wütrich, Scheusal, Kindermörder – komm, sey auch mein Vater, schlag mir das Hirn ein, und stutz deinen Schnurrbart damit auf – Sieh, hier steh ich – Fängt an zu zittern, sinkt nach und nach in die Knie, weint, ringt die Hände, scheint endlich zu beten.
WALZ.
Ums Himmels willen, rufen Sie doch Leut, die ihn aufs Bett schleppen –
WERNER.
Er fängt schon an ruhiger zu werden; wir können ihm die Erniedrigung erspahren; er zieht sichs doch zu Herzen. Langen will aufstehn, kann nicht; Werner und Walz helfen ihm auf den Sopha; er hängt den Kopf, sucht das Gesicht zu verbergen.
WERNER.
Wie ist Ihnen, bester Freund?
LANGEN
seufzt schwer.
WERNER.
Wie ist Ihnen?
LANGEN
sieht ihn starr an, drückt ihm die Hand, und verbirgt das Gesicht wieder.
Ich hab Sie schon wieder beleidigt, mein Bester!
WERNER.
Ich wüßte nicht – seyen Sie unbekümmert.
LANGEN.
Doch! ich weis, was Sie für mich gethan haben, was Sie noch thun, und mach Ihnen täglich Vorwürfe, unverdiente Vorwürfe, die ich meinem ärgsten Feinde nicht machen sollte.
WERNER.
Ich weis, daß Sie besser von mir denken.
[172]LANGEN
sich aufrichtend, auf den Kopf deutend.
Alles hohl hier; leer, dumpf – Ha! lieber Walz, was macht mein Rickchen; mir träumte ich säh es, schlöß es in meine Arme, wie seelig war ich nicht! Hätte der Traum doch nie aufgehört! – Liebt es mich noch?
WALZ.
Wie sein eigen Leben! – und ich lieb Sie auch, Herr Assessor! wenn Sie mich gleich haben stranguliren wollen. Gibt ihm die Hand.
LANGEN.
Verzeyhen Sie – wie gesagt, An die Stirne deutend. hier fehlts: – da spühr ichs mein Lebtag. – Christian Der schleicht sich wieder näher herbey, weil er merkt, daß er wieder ruhig ist. weist du jetzt, was die Wuth heist?
CHRISTIAN.
Ja Bruder, soll ichs Buch hohlen? es liegt im Schlafzimmer.
WERNER.
Jetzt nicht, Christian; erzähl lieber ein hübsch Histörchen.
CHRISTIAN.
Von den zwey jungen Leuten, die sich so gern gehabt haben, und die sich in – – wie heist die Stadt in Frankreich, wo so viel Seidenzeug und Gold- und Silberstoff gemacht wird? –
WERNER.
Lion.
CHRISTIAN.
Und die sich in Lion mit einanderer schossen haben, soll ich?
WALZ.
Pfui, Mußie Christian, das muß ja so traurig seyn, wie die Sterbglocke; was lustigs –
[173]LANGEN.
Erzähl, erzähl Junge!
CHRISTIAN.
O es ist wohl lustig zu hören, wie sie sich erst schneeweis angethan, sich allebeyde mit rosenfarbnen Bändern geziert, und sehn Sie, sich auch so Bänder um den Hals geschlungen, und an die Pistolen gebunden und mit einander gebetet haben, o das ist wohl artig!
WALZ.
Aber das Erschießen Mußie Christian, das Erschießen!
CHRISTIAN.
Ey da wurden sie doch mit einander begraben, weil ihre Eltern nicht haben wollten, daß sie beysammen leben sollten.
LANGEN.
Herzensjunge! – Engelskind! komm, laß dich umarmen, dich an diesen Busen drücken, den du zerfleischest Wilhelm bringt Wernern ein Billet, geht gleich wieder ab; während Langen sich mit dem Jungen beschäftigt, brichts Werner auf, sieht nach der Unterschrift.
WERNER.
Ha! vom Staatsrath! Walz drängt sich hart an ihn an, und versuchts, ihm über die Schulter zu lesen.
LENCHEN
kommt.
Vater! Vater! So bald Langen Lenchen sieht, macht er sich von Christian los, fängt an zu weinen, und geht ins Nebenzimmer; Christian schleicht ihm nach.
WALZ.
Halts Maul jetzt – Wart. Liest wieder mit.
LENCHEN.
Es hat Eil, Vater! nur ein paar Worte.
[174]WALZ.
Sapperment! so wart doch: jetzt weiß ich kein Wort mehr, was ich gelesen habe.
WERNER.
Freun Sie sich! freun Sie sich! Langen wird uns wieder geschenkt; wir sind alle geborgen – hören Sie:
LENCHEN.
Vater, um Gotts willen! die Aebtißin schickt mich –
WALZ.
Wenn du nicht schweigst, Plaudertasche, so schick ich dich und sie –
WERNER.
Hören Sie: Liest. »Eines Geschäffts wegen wurd ich nach Schönbrunn berufen. Ich ergriff die Gelegenheit, Ihrem Freund, an dem ich Talente und ein gutes Herz schon längst entdeckt hatte, das Wort zu reden. Eine bloße wörtliche Wiederholung dessen, was Sie mir gesagt haben, war ohne weitere Beweise hinreichend unsrer gnädigsten Monarchin die schlechten Beweggründe der Justitzräthin zu enthüllen. Kaum, daß Sie sich vorstellen konnte, wie Eitelkeit und Stolz eine Mutter zu solcher Bosheit und Hartherzigkeit verleiten könnte. – Ich habe den Auftrag bekommen, sie zur Vernunft zu bringen; giebt sie den Vorstellungen, die ich ihr machen werde, kein Gehör, so bin ich bevollmächtigt, Gewalt zu brauchen. Sie kann sichs zur Gnade schätzen, daß sie noch die Alternativ hat. – Ihr Freund wird aus der Kanzley das Dekret als Justitzrath mit 500 Fl. mehr Besoldung, als er jetzt hat, zur Aussteuer erhalten; seine Geliebte[175] ist in dem Augenblick frey: der Befehl ist deswegen schon gegeben. Ich bin stolz darauf zu Ihrer allerseitigen Beruhigung etwas beygetragen zu haben.
von Dowell,
Staatsrath.«
WALZ.
Heysa! es leb die Kaiserin Königin! es leb unser Kaiser!
LENCHEN.
Kommt die Schwester wieder nach Haus, Vater?
WALZ.
Heut noch, Kleine! heut noch Langen – Da er ihn nicht sieht, zu Wernern. eilen Sie doch, es ihm zu sagen; es wird ihn gewiß freun Werner ins Nebenzimmer. Jetzt red, was soll ich?
LENCHEN.
Den Augenblick zur Aebtißin kommen; meine Schwester macht ihr ganz angst.
WALZ.
Warum? was gibts? was ist vorgangen?
LENCHEN.
Ach! sie sagt, sie hätt in drey Tagen nicht so viel gegessen, als ich im Auge leiden könnte, und seit er fort wäre, könnte man keine Sylbe aus ihr bringen.
WALZ.
Wenn das alles ist; – jetzt will ich sie schon wieder essen und reden machen, wart nur!
LENCHEN.
Wenn sie heim kommt, wollen wir sie recht sehr bitten.
WALZ.
O ich weiß noch ein besser Mittel: wenn ich sie jetzt hab, so führ ich sie der alten Vettel hier zum Trotz erst hieher, da kurir ich [176] dann zwey auf einmal – ich freu mich schon im Voraus; Geht mit Lenchen fort; hält plötzlich ein. doch, wart! wir wollen ihr von der ganzen Veränderung nichts sagen, bis sie erst hier ist; daß du ja reinen Mund hältst! Justitzräthin kommt ganz furchtsam herein.
LENCHEN.
Er darf nicht sorgen, Vater! Geht mit Walzen ab.
JUSTITZRÄTHIN
grüßt sie höflichst.
Ich vertreib Sie doch nicht?
WALZ.
Ganz und gar nicht: bin mein Lebtag keinem aus dem Weg gangen, will bey Ihnen nicht anfangen. Ich will nur Succurs holen. Ab.
LANGEN
stützt sich auf Wernern, kommt aus dem Nebenzimmer.
Groß, ich bekenns, unaussprechlich groß ist die Gnade unsrer besten Monarchin; aber ich fühl so was in mir, das mich förchten macht, sie komme zu spät.
WERNER.
Träumer, der Sie sind! warum sollte denn – Langen sieht seine Mutter und macht im ersten Augenblick eine Bewegung, zurückgehn zu wollen.
JUSTITZRÄTHIN.
Bin ich dir so verhaßt, Fritz! daß du mich nicht mehr vor Augen sehn magst? – Ich kann dirs nicht übel nehmen: es ist wahr, ich hab mich nicht so gegen dich aufgeführt, wie eine Mutter sich gegen ihren Sohn aufführen muß – ich hab dich unglücklich gemacht, um deine Gesundheit, um deine Ruhe gebracht – jetzt fang ichs an einzusehn, und bereu es; aber solltest du, guter [177] Junge! der du sonst meinen Schwachheiten so nachzugeben wußtest, solltest du völlig vergessen haben, daß ich deine Mutter bin? ich bin sie ganz wieder, bereue meine Thorheit, und bitte dich auf den Knien, wenn du's haben willst, um Verzeihung –
LANGEN
eilt auf sie zu, umarmt sie, fällt selbst auf die Knie.
Kein Wort mehr, Mama! – beste Mama! den Segenskuß, den Kuß des Friedens! –
CHRISTIAN
springt herbey.
Mama! Bruder! mir auch – mir auch! Sie küssen ihn. Wirst mich jetzt noch mehr in die Ecke werfen, Bruder?
LANGEN.
Nie mehr.
JUSTITZRÄTHIN.
Morgen des Tags will ich mich wieder vor den Thron unsrer Monarchin dahinwerfen, meine Narrheit und Eitelkeit bekennen, und an eurem Glück arbeiten, sollt ich selbst unglücklich drüber werden. Ihnen, Herr Werner, hab ich diese Rückkehr zur Tugend zu danken; Ihre Standhaftigkeit hat mich zum Nachdenken gebracht; die gutherzige Grobheit deines künftigen Schwiegervaters und der Kaltsinn aller, die mich sahen, haben mir vollends die Augen geöffnet: jetzt, Herr Werner! helfen Sie mir nur noch das wieder gut machen, was ich aus Stolz und falscher Ehrsucht verdorben habe.
WERNER.
Es ist schon alles geschehe – gnädige Frau! –
[178]JUSTITZRÄTHIN.
Spotten Sie meiner? – ich verdients –
WERNER.
Das wollt ich eben nicht – Es freut mich, daß ich Ihren Beyfall zum Voraus habe – haben Sie etwa schon Nachrichten vom Herrn Staatsrath? –
JUSTITZRÄTHIN.
Nicht die mindsten; ich schwöre –
WERNER.
Desto mehr Ehre macht Ihnen Ihre freywillige Rückkehr – lesen Sie dieses – Justitzräthin liest; da sie bald fertig, macht Langen einige fürchterliche Bewegungen, fährt auf; sie wirft für Schrecken das Billet weg.
LANGEN.
Gott! – was seh ich? blaß – todtbleich – Rickchen – Geliebte! – wie sie sich windet, die Wonnegeberin! sich krümmt, – die Augen dreht und erstarrt – Ha! jetzt schwebt sie da oben – wink nur, wink nur, gute Seele! o ich folge dir – gleich! – Mutter, Freund, Liebe! Beste! einen Dolch – gebt mir einen Dolch – Schutzengel, Schöpfer! seyd ihr mir dann – Ha! wie sie knirscht, daß ich ihr noch nicht gefolgt bin! – soll ich keinen Dolch – kein Messer bekommen? – Sie wollen ihn halten. So, erdrückt mich, erstickt mich – ihr Wohlthäter – ihr Herzensfreunde! in der Ewigkeit will ichs euch noch danken – ich komm – Himmelreines Mädchen! – zürne nicht, daß ich so langsam bin – Dolch – Dolch! einen [179] Dolch – ein Messer her – ist denn kein Mitleiden auf Erden mehr –
Wechselsweis abgebrochen.
JUSTITZRÄTHIN.
Mein Fritz! liebster Fritz! beruhige dich! du träumst.
WERNER.
Langen! welch ein Schattenbild trügt Sie? Sie bringen ihn endlich, aber mit Müh auf den Sopha; die Thür öffnet sich, kommt herein: Walz, Lenchen, und Fridericke weiß angekleidet mit rosenrothen Schleifen.
FRIDERICKE
unter der Thür schon.
Wo? – wo ist er? – Erblickt ihn, stürzt in seine Arme. Geliebter! Langen! wie glücklich –
WALZ.
Was die Liebe nicht kann! – Den ganzen Weg dacht ich, sie schnappt mir in der Kutsch auf: jetzt springts, wie ein Reh.
LANGEN
nach einer Pause.
Träum ich – hab ich geträumt – Rickchen! bist du es selbst, die ich umarme – ists wieder ein Schattenbild – nein, es ist mein trautes, mein liebes Rickchen selbst – so eben sah ich dich dort über uns schweben, in Engelsgestalt –
FRIDERICKE.
Hätt ich sterben können, ohne Sie nochmals zu sehn, ich hätte nicht bis heute gelebt.Sie sieht die Justitzräthin, und wendet das Gesicht weg.
WALZ.
Brauchst sie nicht mehr zu fürchten, Schatz! sie muß in eure Verbindung willigen, nicht ob sie will –
[180]JUSTITZRÄTHIN.
O ich will, Herr Walz! recht gern!
FRIDERICKE
steht sie alle bedächtlich an; ihr Blick verweilt am End auf Langen.
Verbindung!
WERNER.
Ueberzeugen Sie sich selbst, meine Freundinn! und lesen Sie Gibt ihr das Billet.
JUSTITZRÄTHIN
zu Walz.
Ich hab Ihnen viel Verdruß gemacht, Herr Walz; doch hoff ich, Sie werden eben so gut seyn, mir zu vergeben, als Herr Werner und mein Sohn es waren: einem schwachen Werkzeug, wissen Sie wohl –
WALZ.
Zum Guckuck auch! – Schwache Werkzeuge! – wenn Sie sich einmal was in Hirnkasten gesetzt haben, kann der Stärkste nicht fertig mit Ihnen werden. – Je nun! wenn die zufrieden sind – kann ichs auch seyn.
FRIDERICKE
läßt das Blatt dahinfallen.
Zu spät! – Langen – Drückt ihn an sich. zu spät – gestern schon – Gift – Verzweiflung Sinkt auf den Sopha zurück.
WALZ.
Himmel! raßt sie? Kind, raßt du – Gott! Hülfe! den Doktor, Kleine! den Feldscheer! lauf, lauf! Lenchen ab.
JUSTITZRÄTHIN
umarmt sie, mit Thränen in den Augen.
– Meine Tochter –
FRIDERICKE
küßt ihr die Hand.
Meine Mutter! Tod liegt im Gedanken – ein Tag zu spät – Langen! Sie haben Ihre Mutter wieder – Jetzt – jetzt Bester! den letzten Kuß! – den [181] allerletzten, und dann nie keinen mehr – Will sich aufrichten; kann nicht mehr. Langen fällt auf sie hin; sie stirbt in der Umarmung. Er bleibt unbeweglich liegen.
WERNER.
Himmel! vergieb ihr, sie stirbt –
CHRISTIAN
kniet sich in eine Ecke, weint und betet; Feldscheer, Wilhelm und Nachbarn kommen herein, reissen Langen von ihr –.
LANGEN
sieht sie starr an.
– So! – just so sah ich sie vorher – Engel! hier komm ich! Entspringt plötzlich ins Nebenzimmer.
WERNER
ihm nach.
Gott er will sich den Hals abstürzen! Wilhelm, Nachbarn, Christian auch hinein.
FELDSCHEER
auf Fridericke deutend.
Hier ist alle Hülfe zu spät; –
WERNER.
Ums Himmelswillen! so helfen Sie da; vier Mann können ihn nicht erhalten. Feldscheer hinein.
JUSTITZRÄTHIN.
So! das hab ich gekonnt! ha ha ha! – O ich kann noch mehr, ich! Zu Wernern. Sehn Sie, sehn Sie! das ist mein Werk, ha ha ha! nicht wahr, das hätten Sie hinter mir nicht gesucht? ha ha ha!
WERNER.
Sie erschrecken mich – bey Gott, Madam! schöpfen Sie Luft! – ich beschwöre Sie: verlassen Sie diesen traurigen Anblick – um Ihres Sohnes willen! – Eilt wieder hinein.
JUSTITZRÄTHIN.
Sohn, ja Sohn! wo ist der? – als wenn ich ihm nicht selbst auch den Dolch ins [182] Herz gestoßen hätte! – hört, wie er um Hülfe, um Rache schreyt – Besser, besser, mein Sohn! du must brüllen, daß die Erde sich unter mir aufthun, der Himmel sich auf mich herabstürzen möchte: – Jetzt ist mir dein Schreyn nur noch Flötengesang. – So! so, Fritz! – das war ein Ton! ha! der greift an die Seele – wühlt in den Adern – spornt zu großen Thaten an – wart – wart, Fritz! ich räch dich und den Engel da Tanzt hinaus: zu Lenchen, die hereinkommt. Siehst du ihn, Mädchen, den Engel dort? siehst ihn? den hab ich gemacht. Geh, tanz mit ihm! o die Engel tanzen gar schön. Ab.
WALZ
der versteinert da stand, geht schleunigst ab.
Mir will das Herz bersten.
LENCHEN
kniet vor ihrer Schwester.
Todt? – Fridericke! ganz todt? – du lieber Gott! das hat sie sich ja prophezeyt – liebste Schwester! verzeih mir, wenn ich nicht weine – ich kann nicht. – Adieu – mit diesem Kuß, adieu! Ab.
JUSTITZRÄTHIN
kommt wieder.
Pfui! wo ich hingeh, sind lauter weibische weinerliche Geschöpfe; – kein Mensch will lachen, und ich bin doch so aufgeraumt – Tral-tal-de-ral-de tal-lera –
FELDSCHEER
zu Wernern.
Mit dem ists aus – der kann nicht wieder zurecht kommen!
WERNER
die Hand über die Augen haltend.
Gott! Gott!
[183]JUSTITZRÄTHIN
auf den Feldscheer losgehend.
Ha! das ist doch noch ein Menschengesicht, dessen Züge nicht so verzerrt da liegen. – – Welcher Thaten rühmst du dich, Kerl, um so froh auszusehn? – Kannst du was Großes wagen? – Hast du Bosheit genug, auf die spätste Nachwelt deinen Namen fortzupflanzen? – du staunst mich an, Dratpuppe –Schüttelt ihn. siehst du – das hab ich gethan Auf Fridericke deutend. und dort – Auf die Kammer weisend. das hab ich auch gethan. – Bin ich nicht eine Heldin, red Hund! bin ichs nicht? – so muß ichs an dir werden. Zieht eine Sackpistole hervor, schießt auf ihn, fehlt, wirft sie weg – Werner, der bisher an nichts Theil nahm, fällt ihr in den einen, Feldscheer in den andern Arm.
FELDSCHEER.
Weib! bist du auch toll?
JUSTITZRÄTHIN.
Himmel! Hölle! Tod! für mich, für mich war sie geladen – jetzt ists aus mit mir – bin weder kalt noch warm mehr – hab so viel Unglück hier ausgeheckt – und kann jetzt nicht einmal schießen, ohne zu zittern –
WERNER.
Danken Sie Gott drum; sonst hätten Sie noch ein Vergehn mehr zu bereuen.
Ende.