[214] Johann Peter Uz
Versuch über die Kunst stets fröhlich zu seyn

[Motto]

Crede mihi, res severa est verum Gaudium.

Seneca.

Vorrede

Es ist zu vermuthen, daß vielen, die den Titel dieser Schrift lesen, die berühmte Ars semper gaudendi desSarasa einfallen werde. Vielleicht hoffen einige, in diesen Bogen eine poetische Uebersetzung des prosaischen Werkes zu finden. Sie werden beym Durchlesen bald finden, daß sie sich betrogen haben. Die Aehnlichkeit des Titels und [215] der Hauptabsicht hindert nicht, daß nicht beyde Schriften, ihrem Plan und dessen Ausführung nach, sehr unterschieden seyn sollten. Der gelehrte Spanier macht zu seinem Hauptgeschäfte, die Trostgründe der Weisheit, für alle Arten der Widerwärtigkeiten, weitläuftig vorzutragen. Dieses wichtige Stück einer Kunst stets fröhlich zu seyn ist doch nicht das einzige. Ich habe es in der andern Hälfte des dritten Briefes abgehandelt, und mich dabey des Sarasa, wo er als ein Weltweiser redet, bedienet, weil ich den theologischen Theil seines Buches zu meinem vierten Briefe nicht brauchen können. Ich habe aber geglaubt, daß, wenn ich meiner Absicht ein vollkommenes Genügen leisten wollte, ich weiter gehen, und zuerst die wahre Freude bestimmen, alsdann die reinen Quellen derselben bekannt machen, und hernach erst die Hindernisse des glückseligen Zustandes eines dauerhaften Vergnügens aus dem Wege räumen müßte. Ich überlasse der Welt das Urtheil, ob ich meinen Zweck erreichet habe.

Ich bin kein Freund von unnöthig weitläuftigen Vorreden. Ich habe aber der Wollust und des Epicur gedacht; und dieß zwinget mir noch eine Anmerkung ab. Ich setze in meinem Gedichte das Wesen der Glückseligkeit in das Vergnügen. Epicur ist eben dieser Meinung gewesen. Aber er soll, wie einige behaupten, die Glückseligkeit bloß in das sinnliche Vergnügen gesetzt haben: andre vertheidigen ihn wider diese harte Anklage. Ich habe, als Dichter, die gute Meinung seiner Vertheidiger angenommen. Der Philosoph findet freylich Ursachen genug, wenn er auch nur die Schriften des Cicero gelesen, das epicuräische System von einer nicht so vortheilhaften Seite anzusehen. Doch werden einige Stellen eben dieses Cicero, des Seneka und des Laertius ihn wieder irre machen, und er wird dem weisen Griechen ein so unphilosophisches System kaum zutrauen [216] können. Epicur mag inzwischen gedacht haben, wie er wolle: es ist offenbar, daß ich sehr entfernt sey, in diesem Gedichte das sinnliche Vergnügen zu dem einzigen oder höchsten Vergnügen des Weisen zu machen. Ich müßte vermuthen, daß meine Leser keine Augen hätten, wenn ich dieß beweisen wollte. Diejenigen, welche Epicurs Lehrgebäude nach seinem ganzen Umfang annehmen, mögen ihn wider die daraus hergeleiteten verhaßten Folgen zu verwahren suchen. Sie mögen zusehen, wie sie ihn wider die alte und mit aller Beredsamkeit eines Cicero geschmückte Beschuldigung, daß bey ihm die Tugend bloß eine Magd der Wollust sey, retten wollen. Unsere Weltweisen haben höhere Gründe, als das Vergnügen, welches die Tugend begleitet, wenn sie die große Pflicht, tugendhaft zu seyn, beweisen sollen. Ich habe diese Gründe hier billig voraus setzen können. Als ein Lehrer der Kunst stets fröhlich zu seyn, bin ich berechtiget gewesen, die Tugend bloß als eine Mutter des reinesten Vergnügens anzupreisen. Diese liebenswürdige Seite ist ihr eben so wesentlich, als vortheilhaft.

Wenn ich lauter billige und unpartheyische Leser vermuthen könnte, so würde diese Anmerkung unnöthig seyn. Aber eine unangenehme Erfahrung seit etlichen Jahren hat mich gelehret, wie leicht in dem Munde solcher Personen, die man haßt, auch die unschuldigsten Dinge die unverzeihlichsten Verbrechen werden. Vielleicht bin ich ungerechten Mißdeutungen durch diese kurze Erklärung vorgekommen.

Innhalt
Erster Brief

Der Weise kann überall fröhlich seyn: sein wahres Vergnügen ist nicht an den Ort, noch an die Abwechslungen [217] des Glückes gebunden, folglich auch seine Glückseligkeit nicht. Denn Vergnügen ist das Wesen der Glückseligkeit, die entstehet, wenn wir alle unsere natürliche Begierden mit Vergnügen erfüllet sehen, und von allem Schmerz befreyet sind. Dieß scheint Epicurs Wollust zu seyn, worunter er vermuthlich nicht bloß sinnliches Vergnügen verstanden hat, welches nicht den ganzen Menschen, also nicht vollkommen, glücklich macht. Obgleich der Mensch dieser vollkommenen Glückseligkeit in seinem dermaligen Zustande nicht fähig ist; so muß er ihr doch nahe zu kommen suchen. Er kann schon glückselig heißen, wenn das Vergnügen die schmerzhaften Empfindungen nur merklich übertrift. Daß aber Vergnügen ein Zweck der Natur sey, lehrt uns ihre ganze Einrichtung. Wir sind bloß unglückselig, weil wir uns nicht zu erfreuen wissen.

Zweyter Brief

Wer sich immer erfreuen will, muß zuerst die Summe seines Vergnügens zu vermehren suchen. Dieß kann er nicht ohne Weisheit und Tugend. Er sey also weise und tugendhaft, und forsche der Wahrheit nach: so hat er eine Quelle der edelsten und reinesten Freuden. Außer dem und bloß durch sinnliche Ergötzungen ist kein allgemeines und dauerhaftes Vergnügen zu erlangen. Diese letztern sind den Menschen nicht verboten: aber in deren Genuß müssen sie der Natur folgen, Misbrauch, Uebermaaß und [218] falschen Witz vermeiden, und dabey die höhern Ergötzungen der Seele bey Zeiten vorzüglich lieben.

Dritter Brief

Wer immer fröhlich seyn will, muß ferner die schmerzhaften Empfindungen zu verhüten, oder doch zu vermindern suchen. Das erste geschieht, wenn er sich durch die Weisheit in den Stand setzet, daß seine Begierden erfüllet werden können, wenn er daher die überflüßigen Begierden sich vom Halse schafft, die niedern Güter sich nicht als nothwendig vorstellt, und dagegen die edlern und wesentlichen zu seinem Augenmerke macht. Das andere geschieht, wenn man sich nicht thöricht fürchtet, durch Ungeduld nicht übel ärger macht, und sich vornimmt, was sich nicht ändern läßt, standhaft zu ertragen. Dieser Vorsatz wird durch den Gedanken, daß ein weiser und gütiger Gott die Welt und unser Schicksal regieret, belebet und befestiget. Diese Regierung Gottes kann aus seinen und der Geschöpfe Eigenschaften bewiesen werden. Und weil unter einer göttlichen Regierung alles, was ist, im Zusammenhange recht ist; so wirkt die Ueberzeugung von dieser Wahrheit eine freudige Beruhigung in den Widerwärtigkeiten des Lebens.

Vierter Brief

Durch die Gründe der Weisheit zur Standhaftigkeit, wenn sie auf das gegenwärtige Leben eingeschränket werden, wird der Zustand eines dauerhaften Vergnügens, unter allen Arten von Leiden, nicht wirklich gemacht. Die Unsterblichkeit der Seele und ein anderes Leben wird von [219] der Vernunft erkannt, aber nur wahrscheinlich, unsicher und mühsam. Die Offenbarung der Religion setzet sie außer Zweifel, und erweitert unsere Aussichten. Indem sie uns lehret, daß dieses Leben nur ein Zustand der Prüfung, und ein besserer Zustand der Tugendhaften künftig sey: so setzt sie uns in den Stand, die Widerwärtigkeiten des kurzen Lebens, in welchen das Glück einer Ewigkeit gegründet ist, die Leiden der Zeit, den Verlust der Glücksgüter und unserer Freunde zu ertragen, den Tod selbst nicht zu fürchten, sondern uns darauf zu freuen, und auf diese Weise immer fröhlich zu seyn.

Erster Brief

To enjoy, is our Wisdom and our Duty; it is the great lesson of human life.

The Centaur not fabulous Lettr. 2


Du weißt, uns haben jüngst die grauen Abendstunden
Im Garten, den du liebst, geliebter H*, gefunden:
Auf Höhen schuf ihn Weyl, wo rauhe Wildniß war,
Sylvan im Grase gieng und Flora nicht gebahr.
[220]
Die Wollust hat sich hier ein reizend Haus gebauet,
Das in die nahe Stadt hoch unter Blumen schauet:
Geschmack herrscht hier, nicht Pracht; und ieder Schritt entzückt,
Obgleich die schlaue Kunst sich nur bescheiden schmückt.
Von unten glänzet uns, an blumenvollen Wegen,
Der Pomeranzen Gold aus frischem Grün entgegen;
Da den erhöhten Theil, der einsam sich versteckt,
Mit breiter Finsterniß der alte Nußbaum deckt.
Um grüne Rasen rauscht die hohe Wand von Buchen,
In diesem stillen Theil, den Lieb und Muse suchen:
Oft wandelt Phöbus hier durch einen dunkeln Gang;
Zur güldnen Leyer schallt sein nächtlicher Gesang.
Sein Bild aus altem Stein umschatten die Alleen:
Entzückung riß uns hin; wir glaubten, ihn zu sehen.
Du riefst begeistert aus: wie selig lebt ein Mann,
Der hier, nur sich bekannt, sich selber leben kann,
Des Glückes Hof verläßt, an dem die Ehrsucht schmachtet,
Nicht weil es ihn verließ, nein, weil er es verachtet,
Und in der Einsamkeit, auf Blumen hingestreckt,
An wahren Gütern reich, nur wahre Freuden schmeckt!
Die Ruhe des Gemüths, das größte Glück des Lebens,
Ist seiner Wünsche Ziel; hier wünscht er nicht vergebens.
Ihn drückt kein Sklavenjoch zu niedern Sorgen hin:
Die Tugend ist sein Stolz, die Freyheit sein Gewinn.
Sein Leben wechselt nicht mit Lachen und mit Thränen,
Mit banger Finsterniß und schimmerreichen Scenen.
[221]
Es taumelt hier kein Thor, berauscht von stolzem Wahn,
Von seinem Glück berauscht, an ihn beschwerlich an.
Kein scheeler Blick des Neids vergiftet seine Freuden:
Die Narren fliehen ihn; sie sollten ihn beneiden.
Sein Leben ist ein Bach, der, vom Gebüsch umkränzt,
Stets ruhig, immer hell, obgleich im Schatten, glänzt.
So sprachst, so dachtest du, so dachten alle Weisen:
Dich lehrte dein Horaz die weise Ruhe preisen.
Ich aber stimmte bey, ich, der sie stets geliebt,
Obschon kein lachend Glück mir fröhe Gärten giebt.
Wie glücklich, sprach auch ich, kann da der Weise leben,
Wo reizende Natur und Freiheit ihn umgeben!
Auf Weise schränkte sich mein scheuer Beyfall ein:
In welchem Tempe kann die Thorheit glücklich seyn?
Denk einen Aufenthalt, den Feyen selbst geschmücket,
Der allen Reiz vereint und ieden Sinn entzücket:
Warum gähnt Selimor in diesem Lustrevier?
Sein Kleid ist sein Verdienst, und niemand sieht es hier.
Kein wuchernder Gargil empfindet hier Vergnügen:
Hier ist nur viel zu sehn, doch niemand zu betrügen:
Und im Jesmingebüsch, beym Lied der Nachtigall,
Seufzt jener nach dem Hof, und jene nach dem Ball.
[222]
Wohin die Thorheit kömmt, verheeren wilde Lüste
Den Frühling vor ihr her; um sie wird alles wüste.
Wohin die Weisheit kömmt, grünt auch der dürre Sand,
Und Rosen düften ihr, wo jene Dornen fand.
Des Weisen wahres Glück wird nicht vom Ort entschieden:
Nicht immer, wo er wünscht, doch überall zufrieden,
Stets fröhlich ist nur er: denn seine reinste Lust
Entspringt nicht außer ihm; sie quillt in seiner Brust.
Apollo wird verdammt, fern von der Götter Freuden,
Die Heerden des Admet mit Sterblichen zu weiden.
Er scheidet vom Olymp, vergnügt, obgleich gehaßt;
Und seine Hütte wird ihm Jupiters Palast.
Wenn dort kein Säulengang zu stolzen Zimmern leitet,
Wo Gold an Wänden strahlt, der Fuß auf Marmor gleitet,
Das üppig weiche Bett mit Purpurdecken prangt,
Und nichts zur Zierde fehlt, was Lüsternheit verlangt:
So beut sich die Natur mit ihren bessern Schätzen,
Und unbetrogne Lust und ruhiges Ergötzen,
So beut sich holder Schlaf ihm unter Blumen an,
So schwer ihn ein Monarch auf Seide finden kann.
Er siehet weit umher Gefilde sich verbreiten,
Die Heerden sicher gehn und Freude sie begleiten:
Indeß er hingestreckt am alten Eichbaum lauscht,
Der schatticht über ihm von Morgenwinden rauscht.
[223]
Er singt: sein Saitenspiel ertönt vom Lob der Tugend:
Um ihn versammelt sich die sorgenlose Jugend:
Ein rauher Hirt erstaunt, und weiß nicht, was er fühlt,
Und lernet menschlich seyn, indem Apollo spielt
Die sanftern Tugenden bemeistern sich der Herzen,
Und herrschen auch beym Tanz und unter Jugendscherzen.
Die Flur scheint reizender, mit schönerm Grün geziert,
Seit hier, wo Phöbus lehrt, die Menschlichkeit regiert.
Die schönste Schäferinn pflückt ihm die Morgenrosen;
Die ganze Gegend scheint ihm dankbar liebzukosen.
Er lächelt, selbst vergnügt, wenn alles um ihn lacht:
Kann der unglücklich seyn, der andre glücklich macht?
Latonens weiser Sohn bleibt weis' auch bey der Heerde,
Ist glücklich im Olymp und glücklich auf der Erde:
Der Himmel ist in ihm! Sey Thoren fürchterlich,
O Glück! des Weisen Herz ist fröhlich ohne dich.
Dort weicht ein edler Lord dem Strom verderbter Sitten,
Verbannt sich von dem Hof, nachdem er ihn bestritten.
Zu groß für Hof und Stadt, sich selber eine Welt,
Verbirgt er ungebeugt sich zwischen Wald und Feld.
Der Sklave blinder Gunst kehrt ihm den freyen Rücken;
Die feile Muse summt, gleich jenen Sommermücken,
[224]
Die Wärm und Sonne reizt, itzt nicht mehr um sein Haupt:
Ihm ist der fremde Glanz, der Schmeichler macht, geraubt.
Erhabner Trost für ihn! Er hat sich nicht entehret!
Ihm bleibt sein großes Herz, wenn alles sich verschwöret,
Ihn zu erniedrigen: auf seiner Väter Flur
Genießt er, endlich frey, des Reichthums der Natur:
Und wenn er ungestört itzt unter Büschen wandelt,
Itzt ungehindert recht, als Mensch und Bürger, handelt;
So segnet er das Glück, das ihm die Flucht erlaubt,
Ihm ächte Freuden läßt und nur die Sorgen raubt.
Ist nicht vor Tausenden sein Stand beglückt zu nennen?
Was ist Glückseligkeit, die wir so wenig kennen,
Als wann ein Sterblicher, von keinem Schmerz gequält
Und keiner Lust beraubt, nichts wünscht, weil ihm nichts fehlt? 1
Die Wahrheit ist mir mehr, als was ein Lehrer meinet!
Erkenntniß, Tugend selbst, so göttlich sie mir scheinet,
Und was die Schule sonst das höchste Gute nennt,
Oft prächtiger beschreibt, als nach dem Wesen kennt;
Beglücken uns, o Freund, indem sie uns vergnügen,
Sind Quellen unsers Glücks, die niemals uns betrügen,
[225]
Doch jenes Glück nicht selbst, nach dem der Weise fragt,
Nach dem des Narren Wunsch umsonst sich müde jagt. 2
Vergnügen fühlen wir, wenn wir uns glücklich fühlen:
Und wir verdammen doch, auf strengen Richterstühlen,
Die Wollust Epicurs, die keinem Thoren lacht,
Obgleich ihr Name täuscht und Narren lüstern macht?
Vergnügen, Wollust, Lust, (die Namen sind verschieden,
Die Sach ist einerley: der Wortstreit wird vermieden,
Sobald man sich erklärt) wird auf die Sinne nicht
Vom Weisen eingeschränkt, der von Vergnügen spricht.
Wie kann ein weiser Mann in sinnliches Ergötzen
Der Menschheit höchstes Gut, den Zweck des Lebens setzen?
Wie elend ist ein Mensch, wie nah dem Thier verwandt,
Der kein Vergnügen kennt, als das der Leib gekannt!
Wer sieht nicht oft genug, bey Wein und frohen Tänzen,
Den trunknen Jüngling glühn und Rosen ihn bekränzen,
Und wenn er sorgenlos mit wilder Lust gelärmt,
Gesungen und gejauchzt und Nächte durchgeschwärmt;
Ihn welk und ganz entstellt, beym nächsten Morgenlichte,
Mit unbelebtem Aug und bleichem Angesichte,
Dem Kranken ähnlich seyn, der kaum dem Arzt entrann,
Kaum den verdroßnen Leib entkräftet schleppen kann?
[226]
Wer sieht nicht oft genug manch abgezehrten Reichen
Alt vor der Zeit und siech aus kranker Lunge keichen,
Nun ein Geripp, kein Mensch, nachdem er jung gezecht,
Und in Cytherens Dienst den mürben Leib geschwächt?
Mitleidig sehen wirs, und sollten wir nicht schließen:
Das ist nicht wahres Glück, das wir so theuer büßen!
O Thor, der eine Lust für sein Geschäfte hält,
Die flüchtigen Genuß mit langer Pein vergällt!
Wir sind nicht, wie das Vieh, bloß Körper, die verwesen:
Es lebt in unserm Leib ein Geist von edlerm Wesen.
Verpflegt ein Sterblicher sein schlechters Theil allein,
Und seine Seele darbt, wie kann er glücklich seyn?
Das höchste Glück ist nicht, wo noch Begierden klagen,
Noch hungrig, unvergnügt, an einer Seele nagen,
Und ein erlaubter Trieb, den die Natur gesäugt,
Sich unbefriedigt fühlt und nur gezwungen schweigt.
Du lächelst? und verlangst den Glücklichen zu kennen,
Der niemals klagen darf? denn was wir Erde nennen,
Ein immer stürmisch Meer! wird schwerlich Menschen sehn,
In deren Segel stets die Winde günstig wehn.
Man findet sie vielleicht beym ungefundnen Weisen,
Den uns Chrysipps Roman, den Zenons Träume preisen,
Der seiner Schmerzen lacht, wann ihn die Gicht entseelt,
Stets herrscht und alles hat, auch wann ihm alles fehlt.
[227]
Nein, Freund, mir träumte nie von ganz vollkommnem Glücke:
Die Erde hat es nicht, stets fehlts an einem Stücke.
Des Lebens Güter sind nicht einem zugewandt:
Gemeiner Mangel ist ein allgemeines Band.
Wollt' auch ein mildes Glück, was ieder wünscht, gewähren,
Wird ein gewährter Wunsch nicht neuen Wunsch gebähren?
Wer ist vollkommen weis'? und ist es allezeit?
Und wird nicht überrascht von blinder Sinnlichkeit?
Auch um den Weisen schleicht, in unbewahrten Stunden,
Die Unzufriedenheit, zerfleischt von hundert Wunden,
Die magre Furie, die unersättlich wacht,
Und uns noch ärmer macht, als die Natur uns macht.
Soll drum der Stoicker nicht in erhabnen Bildern
Des Weisen prächtig Glück, des Weisen Adel schildern? 3
Sein kühngezeichnet Maaß beschämet stolzen Wahn:
Wer ihm nicht nahe kömmt, hat nicht genug gethan.
[228]
Wie Menschen glücklich sind, kann der schon glücklich heißen, 4
Der nicht von Dornen frey, die seinen Fuß zerreißen,
Die Dornen selten fühlt und oft auf Rosen tritt,
So freudig itzt genießt, als erst geduldig litt.
Stets überwiegt bey ihm die Schmerzen das Ergötzen,
Und Weisheit wird, was fehlt, aus ihrem Schatz ersetzen:
Sie giebt Zufriedenheit, ihr schönstes bestes Kind,
An deren Seite stets die wahren Freuden sind.
Ein Zweck des Lebens ist unschuldiges Vergnügen:
Dieß lehrt uns die Natur; kann die Natur betrügen?
Sie beut uns reine Lust in vollen Bechern dar;
Und wir versagen uns, was uns bestimmet war?
Denn sieh zum Himmel auf! Bald funkeln tausend Sterne,
Zum Dienst der Mitternacht, in jener blauen Ferne;
Bald, wenn der junge Tag durch graue Schatten bricht,
Lacht holdes Morgenroth vor Titans güldnem Licht.
[229]
Das Jahr verändert sich, verändert unsre Freuden,
Wenn Gras und Blumen itzt der Erde Schooß bekleiden,
Itzt Saat, itzt mildes Obst ihr schönes Haupt bekränzt,
Und nun ihr müder Leib in weißem Schmucke glänzt.
Sie hat verschiednen Putz und Lust für alle Zeiten;
An ihr ist alles Reiz: wir sehn auf allen Seiten
Die fette Flur geziert mit angenehmem Grün,
Die Berge prächtig stehn, die niedern Thäler blühn;
Und fröhliches Gewühl auf heerdenvollen Matten,
Gebüsche voll Gesangs und stiller Wälder Schatten,
Hier See, dort felsicht Land, und aus dem dunkeln Hayn
Die Quellen murmelnd fliehn und endlich Flüsse seyn.
Ist alles nicht für uns, was wir so reizend finden?
Wir treten in die Welt mit Sinnen, zu empfinden.
Du weißt, wann frischer West die Sommertage kühlt,
Mit welcher Wollust ihn die heiße Wange fühlt.
Was dachte die Natur, uns einen Leib zu bilden,
Den bunter Nelken Glanz in lachenden Gefilden,
Und ihr gewürzter Hauch, der Nachtigallen Schlag,
Der Pfirsich saftig Fleisch empfindlich reizen mag?
Ist fies, die unsern Leib mit junger Schönheit schmücket,
Und uns ein Auge giebt, das dieser Schmuck entzücket,
Das für die Grazien nicht blind, gleich Thieren, ist,
Und fröhlich glänzend sieht, was Liebe feurig küßt?
Wer siehts und zweifelt noch, ob sie vergnügen wollte?
Verband sie nicht mit Lust, was uns erhalten sollte?
Die Speise, die uns nährt, ergötzt auch unsern Mund:
Bewegung, die vergnügt, erhält uns auch gesund.
Die Kunst schafft neue Lust: mit zauberischen Farben
Erweckt sie, was einst war, und Menschen, welche starben:
[230]
Ein leblos Erzt beseelt ihr schöpfrisch kühner Arm:
Sie locket Harmonie aus dem gestrichnen Darm.
Der Kenner schweigt entzückt, wann ihm die Musen singen;
Noch süßer muß dem Freund des Freundes Rede klingen;
Wie lieblich ist für uns der Wahrheit Unterricht,
Und wann die Tugend laut in unsrer Seele spricht!
Soll angebotne Lust aus hundert Quellen fließen,
Und uns verboten seyn, sie freudig zu genießen?
Nicht weil der Schöpfer will, allein durch unsre Schuld,
Herrscht mürrischer Verdruß und Gram und Ungeduld.
Darf dein ermüdet Ohr ich mit Gesichten quälen,
So soll, was Mirza sah, die Muse dir erzählen.
Es lieben, wie man weiß, die Musen unsrer Zeit
Des Orients Geschmack und sein geblümtes Kleid.
Bekümmert und vertieft in forschenden Gedanken,
Sah Mirza das Geschöpf mit seinem Schöpfer zanken,
Den Menschen elend seyn; und schwarzer Sorgen Heer
Stieg wolkicht vor ihm auf, wie Staub am rothen Meer.
Die Fichten rauschten wild um seine dunkle Höhle,
Und lispelnd nährt' ein Bach die Schwermuth seiner Seele.
Des Unmuths trübes Glas verkürzte sein Gesicht,
Als eine Stimme rief: sieh auf und richte nicht!
Er sah ein lustig Thal, das mit Gebüsch umschlossen,
Ein Garten Gottes war, wo Bäche silbern flossen.
Balsamischer Geruch durchstrich den kleinen Raum,
Und unter Cedern gieng ein Mensch im tiefen Traum.
Die Lilje buhlt' umsonst nach seinen starren Blicken;
Die süße Feige sprach: tritt her, dich zu erquicken!
Umsonst! er sah sie nicht, er sah nur in den Sand,
Nach einem schnöden Kies, der glänzt' und schnell verschwand.
[231]
Er kam zum Rosenstrauch; die raschen Finger brachen
Begierig Rosen ab, und ihre Dornen stachen.
Er sah durch hohes Gras die bunte Schlange fliehn:
Muthwillig kroch er nach, und sie verwundet' ihn.
Wehklagend schrie der Mensch: ach! wär ich nie gebohren!
Hat eine ganze Welt sich wider mich verschworen?
O Aufenthalt der Qual! – Halt ein! was zürnest du,
Wenn du dich elend machst? rief ihm die Stimme zu.
Du, den die Freude sucht, fliehst, was du suchen solltest,
Und könntest glücklich seyn, wenn du vernünftig wolltest:
Genieße deines Glücks! Die Kunst sich zu erfreun
Ist, für den Sterblichen, die Kunst beglückt zu seyn.

Fußnoten

1 »Omnia, quae sumenda, quaeque legenda aut optanda sunt, inesse debent in summa bonorum, vt is, qui eam adeptus sit, nihil praeterea desideret.« (Cic. de fin. bon. et mal. L. IV.) Auch Herr. Prof. Crusius, in der Anleitung vernünftig zu leben §. 106. beschreibt den Trieb nach Glückseligkeit durch ein Verlangen, unsere Begierden allerseits mit Vergnügen erfüllet zu sehen, und von allem Schmerz befreyet zu seyn.

2 »Presque tous les anciens Philosophes, qui ont parlé du bonheur de l'homme, se sont attachés à une notion externe, etc. Il est clair, qu'ils ont attaché Pidée de la Béatitude, non à sa cause formelle, mais à sa cause efficiente, c'est-à-dire, qu'ils ont appellé notre bonheur ce qu'ils ont jugé capable de produire en nous l'état de félicité, et qu'ils n'ont point dit, quel est l'état de notre ame, quand elle est heureuse. Epicure n'a point pris le change, il a considéré la Béatitude en elle-même et non pas selon le rapport, qu'elle a à des êtres tout-à-fait externes, comme sont les causes externes etc.«

(Baile Art. Epicure Lit. H.)

3 »Generosa res est, respicientem non ad suas, sed ad naturae vires, conari alta, tentare, et mente maiora suscipere, quam quae etiam ingenti animo adornatis efficere possint.«

(Senec. de vit. beat. 20.)

4 »Un being may be said to be ultimately happy, in some degree or other, the sum total of whose pleasures exceeds the sum of all his pains.«

(Wollaston, the Religion of nature delineated 5. 11.)

Zweiter Brief

– – – Id fateor, summamque bonorum

Esse voluptatem, modo scilicet inde petatur,

Vnde petenda venit, sitque inconcussa voluptas.

Sincera et vera et nullis obnoxia damnis.

Anti-Lucretius I, 969.


Du, dessen heitre Stirn der finstre Kummer fliehet,
Und flüchtiges Gewölk nur selten überziehet,
Sprich, Cronegk, 1 ob die Kunst, sich immer zu erfreun,
Dir keine Mühe macht: mir scheint sie nicht gemein.
Sieh alle Stände durch; du siehst nur Mißvergnügen:
Gezwungnes Lachen rauscht von Lippen, die betrügen.
Umsonst verschweigt der Mund, was uns das Auge klagt,
Den Unmuth, der nur seufzt, und kaum zu seufzen wagt.
Ich will mit offnem Ohr aus deine Worte hören,
Wenn, was dein Antlitz lehrt, mich deine Lippen lehren.
[232]
Wo nicht, so höre du, was in geheimer Nacht
Mir eine Muse jüngst vertraulich kund gemacht.
Vom Ganges bis zum Nil, und von den streitbarn Scythen
Bis in der Griechen Land, wo feinre Künste blühten,
Bis zum erhabnen Rom, das unter Lorbeern schlief,
Als neuer Ueberfluß der fremden Weisheit rief:
In allen Gegenden, wo jemals Weise waren,
Belehrten sie die Welt, bald einzeln, bald in Schaaren,
Daß in des Lasters Arm die Freude Raserey
Und dauerhafte Lust nicht ohne Weisheit sey.
Sie sprachen wahr und laut; und sprachen tauben Ohren:
Die Vorwelt war nicht klug, die Enkel bleiben Thoren.
Ihr kindisch Auge deckt ein unbeweglich Band;
Sie tappen nach der Lust mit ungewisser Hand:
Wie, durch den Lenz belebt, im Schatten grüner Linden,
Die Knaben sich im Spiel die Augen fest verbinden,
Und was die rege Hand begierig sucht, nicht sehn,
Demselben nahe sind und doch vorüber gehn.
So spielt ein junges Kind, so spielen auch die Alten,
Die vor der Heerde gehn und die den Staat verwalten.
Nach buntem Tande seufzt das thörichte Geschlecht,
Und auch erseufzten Tand genießt es niemals recht.
Es will, will wieder nicht, und wechselt stets mit Bürden;
Die ganze Seele brennt von streitenden Begierden.
Es fällt ein Tropfen Lust an ein erhitztes Herz,
Zischt ab und raucht hinweg und hinterläßt nur Schmerz.
[233]
So elend machten sich die Thoren aller Zeiten!
Die Weisheit muß das Herz zur Freude vorbereiten.
Mitleidig heilet sie die kranke Phantasey,
Verbessert den Geschmack, macht unsre Seele frey,
Bereichert unvermerkt sie mit erhabnen Trieben,
Lehrt sie das wahre Gut, das wahre Schöne lieben,
Und pflanzt ihr den Entschluß, nie ungerecht zu seyn,
Und milde Gütigkeit und iede Tugend ein.
Aus ieder Tugend quillt ein lautrer Strom der Freuden:
Wie Thau das dürre Feld, erquickt er uns im Leiden.
Der Pöbel sieht erstaunt des Weisen Angesicht,
Sieht seine Heiterkeit, doch ihre Quelle nicht.
[234]
Die Quelle seiner Lust fließt, ohne zu versiegen:
Denn ieder guten That folgt göttliches Vergnügen, 2
Das über unser Herz mit reiner Klarheit strahlt,
Und sein entzückend Bild auch auf die Stirne mahlt.
Beraubte Scipio, die Liebe zu versöhnen,
Nicht fast mit gleicher Lust sich der gefangnen Schönen,
[235]
Als dessen Freude war, der sie von ihm empfieng,
Und mit entbranntem Blick an ihren Blicken hieng?
Camill, der nicht verzog, von angedrohten Ketten
Sein undankbares Rom großmüthig zu erretten,
War größer im Verzeihn und fröhlicher im Sieg,
Als Cäsar, der zum Thron auf Bürgerleichen stieg.
Kann wahre Freude seyn bey schändlichen Verbrechen,
Wann Geißeln innrer Angst verschmähte Tugend rächen,
In unruhvoller Brust, wo späte Reue klagt,
Und unzufriedner Neid am wunden Herzen nagt?
[236]
Nie darf des Weisen Herz von solchen Bissen bluten:
Nein! gleich dem guten Gott, ergötzt er sich am Guten,
Auch wann er Gutes thun und edel handeln sieht:
Für ihn wird Wohlthat seyn, wenn andern wohl geschieht.
So viel Vergnügen kann sein eignes Herz ihm geben!
Und welche neue Lust, nach feurigem Bestreben,
Beut ihm die Wahrheit an! Er macht an ihrer Hand,
Von reinem Licht bestrahlt, sich die Natur bekannt;
Durchforscht ihr weites Reich, wo jene Sonnen glänzen
Die uns die Nacht verräth, und findet keine Gränzen,
Und stets von Welt auf Welt geflügelt hingerückt,
Erblickt er immer Gott, bewundernd und entzückt.
Ermüdet senkt er sich, mit irrenden Cometen,
Nach unserm Aufenthalt, dem schattichten Planeten,
Entdeckt mit kühnem Blick des Donners furchtbarn Sitz
Im schweflichten Gewölk, und überrascht den Blitz.
[237]
Er freut sich überall, zur Schande stolzer Blinden,
Die Ordnung der Natur und Gott in ihr zu finden
Gott auf dem Ocean und im bestaubten Wurm,
Im sanftbewegten Gras und im erzürnten Sturm;
Gott auch an unserm Leib und im verborgnen Bande,
Das thierisches Gefühl mit englischem Verstande,
Mit einem Geist vereint, der äußre Dinge sieht,
Auch sich zu sehen wünscht, sich sucht und vor sich flieht. 3
Lauf einmal, edler Freund, mit eilenden Gedanken,
Die Wissenschaften durch; miß ihre weiten Schranken:
Sieh, wo der größte Witz nur zweifelt, oder schweigt,
Und wo die Menschheit sich in ihrer Größe zeigt.
Was Kenntniß, Wissenschaft, was Künste schönes haben,
Ein unergründlich Meer, das unerschöpft an Gaben,
Stets giebt und immer hat! ist in des Weisen Brust,
Der sich vergnügen will, die Quelle bessrer Lust.
Wie sehr erweitert sich die Sphäre wahrer Freuden,
Die von des Pöbels Lust sich glänzend unterscheiden!
So funkelt Stern an Stern, wenn um die Mitternacht
Ein wolkenloses Blau hoch am Olympus lacht.
Beglückter Sterblicher, der sich gewöhnt zu denken,
Und auf Natur und Gott den regen Geist zu lenken!
[238]
Denn Freude, welche sich die weise Seele schafft,
Ist rein und unvermischt, still, aber dauerhaft;
Hält bey Geschäften aus, an die uns Gott gebunden,
Begleitet uns aufs Land und adelt freye Stunden,
Und folget, ungetrennt auch in der bösen Zeit,
Uns aus der Ehre Schooß zu dunkler Einsamkeit.
Stets flüchtig, stets zu kurz, doch kostbar zu gewinnen,
Und oft verderblich sind die Freuden unsrer Sinnen: 4
[239]
Wie thierisch ist ein Mensch, der, keiner Seele werth,
Nur solche Freuden kennt, die auch das Vieh begehrt!
Wie darf der träge Phax sich einer Seele rühmen,
Der ohne Neigungen, die einem Geist geziemen,
Ganz Körper, itzt berauscht am vollen Tisch verweilt,
Itzt von Lyäen wankt und zu Cytheren eilt?
Den halbverschlafnen Tag erträglich hinzubringen,
Kriecht Metius herum bey hundert schlechten Dingen,
Bey Karten und Geschwätz und Menschen, die er haßt;
Und er und seine Zeit sind ewig ihm zur Last.
Umsonst betäubt er sich durch Freuden, die ermüden:
Die Seele bleibt stets leer und bleibt stets unzufrieden,
Und fühlt, wie klein sie sey, sie, die unsterblich ist,
Und ihres hohen Rangs und wahren Glücks vergißt.
Ich höre, dünket mich, die jungen Scherze klagen,
Und Amorn selbst erzürnt mit seinen Flügeln schlagen:
Er führet sie zum Streit; und wider ihren Freund?
Besang ich sie nicht selbst? und bin ich nun ihr Feind?
O nein! als Mensch gesinnt, such ich durch meine Lehren
Die Menschheit zu erhöhn, nicht mürrisch zu zerstören.
Ein zärtliches Gefühl entehrt nicht unsre Brust:
Der uns die Sinne giebt, verbeut nicht ihre Lust.
Der Schöpfer heißet uns ein sinnliches Ergötzen
Nicht über seinen Werth, nicht unterm Werthe schätzen,
Nicht um ein schlechtres Gut die bessern thöricht fliehn,
Nach diesen geizig seyn, nicht jenes uns entziehn.
[240]
Was hülf es, wenn dein Freund auf strengre Fordrung dächte?
Betrög ich die Natur? Sie kennet ihre Rechte:
Sie fordert ungestüm, was die Vernunft erlaubt,
Und nimmt sich mit Gewalt, was Eigensinn ihr raubt.
Ein finstrer Heiliger, der sich zum Wald verbannte,
Noch eh er sanfte Lust, sich selbst und Menschen kannte,
Verberge sich nur stets in rauher Wüsteney!
Dann bring ihn in die Welt: hier ist ihm alles neu.
Er fällt wie durstig hin auf lockendes Vergnügen,
Berauscht in Wollust sich mit ungehemmten Zügen,
Und was des Kenners Blut kaum leicht erhitzen kann,
Flammt in des Wilden Brust ein schädlich Feuer an.
Die Tugend schlummert ein; sein strafendes Gewissen
Ermuntert ihn umsonst mit wiederholten Bissen.
Die Arbeit langer Zeit vernichtet oft ein Tag,
Wie vieler Monden Frucht ein später Wetterschlag.
Du weißt es, Hannibal! Carthago hats empfunden!
Bey Cannä siegtest du, und Rom war überwunden,
Als, wie ein Winterstrom, der brausend überfloß,
Sich in Campanien dein hungrig Heer ergoß.
Der braune Libyer, nachdem er viel erlitten,
Mit Hitze, starrem Frost und Dürftigkeit gestritten,
Fand jauchzend Ueberfluß, und roch Orangenduft
An kühlen Strömen hin und in der schönsten Luft.
[241]
Er sah Falerner Wein in güldnen Bechern glänzen,
Und iedes Bürgers Haupt mit Rosen sich bekränzen,
Verführerischen Reiz auf tausend Wangen blühn,
Und schlaue Zärtlichkeit in holden Augen glühn.
Er sahs, und brannte schon von ungewohnten Lüsten;
Und wie ein müder Leu, der in Cyrenens Wüsten
Zu frischem Wasser kömmt, das leis aus Felsen quillt,
Im Trinken sich vergißt, und vor Vergnügen brüllt:
Indeß der falsche Mohr, bey Raub und Blut erzogen,
Um dürre Klippen laurt, und vom gespannten Bogen
Nun ein gestählter Pfeil, der nicht betrüglich irrt,
Auf dich, zu sichres Thier, vom Tod begleitet, schwirrt:
So löschte der Soldat sein brennendes Verlangen,
Und hörte nicht mehr auf, nachdem er angefangen:
So ward ein ganzes Heer durch Ueppigkeit geschwächt,
Entkräftet ieder Arm und Latium gerächt.
Sieh, was die Wollust kann, wenn ihre süßen Töne
Den Ohren fremde sind; die nackende Sirene
Scherzt singend bey uns her auf klippenvoller Flut:
Wir hören sie mit Lust und unsre Lust wird Wut.
Die Sinne können dir erlaubte Lust gewähren:
Genieße mit Geschmack; doch lerne sie entbehren.
[242]
Weh' einem Sterblichen, wenn er sie haben muß!
Vor unzufriedner Pein schützt ihn kein Ueberfluß.
Die Freyheit unsers Geists macht unsre wahre Würde:
Beherrsche durch Vernunft die sinnliche Begierde:
Denn sonst beherrscht sie dich mit strenger Tyranney;
Die schlimmste Knechtschaft ist der Sinnen Sklaverey.
Nur wann wir weise sind; nur wann bey niedern Freuden
Wir Mißbrauch, Uebermaaß und falschen Witz vermeiden:
Nur dann beblümen sie des Lebens rauhen Pfad,
Sind auch der Tugend werth und Freuden in der That.
Doch diese schwere Kunst, mit Klugheit aufzuhören,
Recht zu genießen, Freund, wird Epicur uns lehren.
Wie gut, wie bös' er sey, mag unentschieden seyn:
Die Wissenschaft der Lust gesteht ihm ieder ein.
In Gärten wollen wir nach seinem Schatten suchen:
Er irrt vielleicht im Gras um dichtbelaubte Buchen:
Vielleicht – wie schweif ich aus! hier lehrt nicht Epicur:
Nein! seine Göttinn selbst, die lächelnde Natur.
Sie locket uns zu sich auf blumenvollen Wegen;
Sie redet, und mein Herz wallt brünstig ihr entgegen:
Ihr sucht in Schulen Rath, in Büchern Unterricht,
Wie sich der Weise freut: mich aber fragt ihr nicht?
Belad ich euch vielleicht mit ängstlichen Gesetzen?
Genießt mit Mäßigung ein sinnliches Ergötzen:
Seht, Freunde, mein Gesetz! Ein häufiger Genuß
Macht iede Lust gemein und straft mit Ueberdruß.
Was hilft euch die Vernunft, wenn die Begierden siegen?
[243]
Die Freude dieses Tags muß künftigem Vergnügen
Nicht selbst im Wege stehn: der Thor kauft theuer ein,
Kauft einer Stunde Lust mit Jahren voller Pein.
Die Rache spart ihn auf zu traurigen Geschichten:
Zu Freuden ungeschickt und ungeschickt zu Pflichten,
Durchseufzt er früh genug des Lebens matten Rest,
Das ihm, aus Hunderten, die Parce grausam läßt:
Wenn sein geschwächter Leib ein herbstlich Lüftchen scheuet,
Kein fröhlich Saitenspiel den stumpfen Sinn erfreuet,
Und aus der Gattinn Arm, die zärtlich nach ihm sieht,
Verzweiflung ihn verscheucht und Wollust vor ihm flieht.
Er fühlt in seinem Fleisch die Dornen scharfer Schmerzen,
Und ach! zu späte Reu im unruhvollen Herzen,
Die, gleich Harpyen, ihn beym Gastmaal überfällt,
Den Ortolan beschmitzt und Cyperns Wein vergällt.
Drum lernt mit eurer Lust bey Zeiten hauszuhalten!
Die meisten Sterblichen, vom Jüngling bis zum Alten,
Erlernen kaum die Kunst in Schulen eigner Qual:
Sie fehlen im Gebrauch, und fehlen in der Wahl.
Wie viele lassen sich durch rauschendes Vergnügen,
Durch stolzer Freude Lärm, um stille Lust betrügen!
Für ein verwöhntes Aug ist eine Blume nichts:
Doch glänzt ihr farbicht Kleid in allem Schmuck des Lichts.
Ihm wird ein Hofgepräng, in lichtervollen Zimmern,
Weit sehenswerther seyn, als wenn die Sterne schimmern,
Als wenn die Sonne selbst, nach Westen hingeneigt,
Ihr strahlenreiches Haupt durch grüne Büsche zeigt.
Wie manchen hört ihr bloß nach theurer Freude fragen!
Was keine Mühe macht, kann jener nicht vertragen.
Die feine Welt verschmäht, was auch der Landmann hat,
Und eine Seltenheit bezaubert Hof und Stadt.
[244]
O Menschen, was ihr braucht, will die Natur euch geben!
Es kostet wenig Müh, was zum vergnügten Leben
Wahrhaftig nöthig ist: ihr sorgt in stummer Nacht
Um einen Ueberfluß, den ihr euch nöthig macht.
Das Joch der Meinungen liegt schwer auf euern Seelen:
So lang ihr ihnen dient, wird immer etwas fehlen:
Sie haben nie genug und kein bestimmtes Ziel,
Verderben den Geschmack, verwöhnen das Gefühl.
Reißt, wenn ihr sehen wollt, reißt ihre dicken Binden
Von euern Augen ab, so werdet ihr mich finden:
Euch werden, ungeschminkt und ohne fremden Schein,
Die Freuden der Natur die angenehmsten seyn.
Sie sind empfindlicher, als alle Künsteleyen:
Was nicht natürlich ist, wird niemals lang erfreuen.
Sie bieten, unersorgt, sich euch gefällig an,
Und reißen euern Fuß nicht auf bedornte Bahn:
Nicht auf ein stürmisch Meer und ungetreue Wellen,
Die, wenn die Plejas glänzt, mit wildem Brausen schwellen,
Noch in das Vorgemach, wo sich der Sklave schmiegt,
Ein gnädig Lächeln kauft, und alles ihn betrügt.
Wer sich vernünftig liebt, soll nach dem Bessern trachten:
Weil ihr es haben könnt, wollt ihr es drum verachten?
O Menschen, kehrt beschämt in meinen Arm zurück!
Wer die Natur verschmäht, verkennt sein eignes Glück.
Lernt unter Lust und Lust noch feiner unterscheiden!
Ein eckelnder Geschmack vermindert wahre Freuden:
Doch wer als Kenner wählt, gewinnt bey seiner Wahl,
Und hat, was besser ist, obgleich in mindrer Zahl.
[245]
Vertraut nicht allzusehr des Herzens muntern Schlägen!
Eh eure Jugend welkt, sucht Freuden beyzulegen,
Auf jene böse Zeit, wenn Brust und Odem keicht,
Und ein verdroßnes Blut in schlaffen Adern schleicht.
Alsdann wird euer Herz durch ruhiges Ergötzen
Und durch Erinnerung euch den Verlust ersetzen,
Wenn ihr durch Gutes thun, in einer bessern Zeit,
Der Menschheit Ehre wart und noch im Alter seyd.
Im Schooß der Tugend wird kein Zeitpunkt euers Lebens
Euch ohne Wollust seyn: das Alter droht vergebens:
Vergebens faßt es euch in seinen schweren Arm,
Und scheucht mit greisem Haar der leichten Scherze Schwarm.
Die Freuden werden fliehn, die um die Jugend glänzen,
Und, lebhaft flatternd, stets mit Rosen sich bekränzen:
Die Freude sanfter Art mit sittsamem Gesicht,
Der Tugend holdes Kind, hält aus und fliehet nicht.
So redet die Natur: sprich, wollen wir sie hören?
Doch, ihre Lehren, Freund, sind auch der Weisheit Lehren,
Wenn weder schwarzes Blut, noch wilde Lüsternheit
Die wahre Weisheit sind, die sich vernünftig freut.

Fußnoten

1 Weil dieser Theil meines Gedichtes dem sel. Herrn Hofrath von Cronegk einmal gewidmet gewesen, und von ihm gelesen worden, so habe ich seinen Namen beybehalten wollen.

2 »Die vernünftige Seele ist von der Art, daß sie ruhig und mit sich selbst zufrieden ist, indem sie recht thut.«

(Antonin VII, 27.)

3 »Non valet tantum animus, vt sese ipse videat; at vt oculus, sic animus, sese non videns, alia cernit.«

(Cic. Tusc. Quaest. L. 1.)

4 »Istae hilaritates non implent pectus, sed frontem remittunt: leves sunt, nisi tu forte iudicas, illum gaudere, qui ridet.«

(Senec. Epist. 13.)

[246] Dritter Brief

Permittes ipsis expendere Numinibus, quid

Conveniat nobis, rebusque sit vtile nostris:

Nam pro iucundis aptissima quaeque dabunt Di;

Charior est illis homo, quam sibi.

Iuvenal. Sat. X.


Wie sich ein Wandrer freut, wenn in unfruchtbarn Heiden,
Wo nie ein Vogel singt und niemals Lämmer weiden,
Am brennenden Mittag, aus naher Felsenkluft
Ein sanftes Rauschen ihn zur frischen Quelle ruft:
So hat ein Sterblicher die reinste Lust der Erde,
Wenn unter Ungemach und dornichter Beschwerde,
Wenn unter allem Weh, das menschlich Leben drückt,
Und auch dem Weisen folgt, die Weisheit ihn erquickt;
Und wenn er ihren Trost, ihr göttliches Vergnügen
Selbst an der Quelle trinkt mit wiederholten Zügen,
Wie du gelehrter Ch*, mein Lehrer und mein Freund,
Der eine Weisheit liebt, die nicht bloß Weisheit scheint.
Ihr heilsam Wasser quillt in einsamen Gesträuchen,
Wo heilig Schrecken wacht, den Pöbel zu verscheuchen.
Nur ein Weg führet hin: ein unterschiedner Wahn
Führt Narren weit hinweg auf rauhverwachsne Bahn.
Wer aus der Quelle schöpft, sieht mit geschärftem Blicke,
Was wahre Freude sey, was dauerhaft beglücke.
Von seinen Augen fällt die graue Schuppe hin:
Kein schimmernd Scheingut äfft den aufgeklärten Sinn.
[247]
Mit Klugheit weiß er nun das Böse zu vermindern,
Und was er durch Vernunft nicht hindern kann, zu lindern.
Wer über sich gesiegt, besiegt auch seinen Schmerz:
Denn was uns elend macht, ist immer unser Herz.
Ich seh ein weinend Aug, ich höre bittre Klagen:
Mir blutet schon das Herz: ich will den Menschen fragen,
Der hier so trostlos klagt, umwölkt von finsterm Harm!
Was fehlet dir, mein Freund? – Mir? alles! ich bin arm –
Was iedem nöthig ist, will die Natur ihm geben:
Versagt sie dirs allein? was fehlet dir zum Leben? –
Ein dürftiges Gewand hüllt meine Glieder ein:
Mich nährt gemeine Kost; und Narren trinken Wein. –
Gewiß, du scherzest! wie? du heißest Mangel leiden,
Wenn du nicht schmausen kannst? du willst dich prächtig kleiden?
Du bist bedeckt und satt! nur dieß, die Nothdurft nur,
Und keinen Ueberfluß verspricht uns die Natur. –
Die Ehre flieht vor mir, ich muß im Staube liegen! –
Ein guter Name giebt ein edleres Vergnügen;
Und ist in deiner Hand: sey nur wahrhaftig klug,
Sey weis' und tugendhaft, so bist du groß genug. –
Ich wollt' und nichts geschah von meinem liebsten Wollen! –
Du hättest, was du hast, und wenig wollen sollen:
Weil du dem Glücke selbst so viele Blößen giebst,
Als du Begierden nährst, und fremde Dinge liebst. –
Mein Unmuth höret nichts; ich wüte! – Narren wüten –
Auch du hast nicht gelernt, der Leidenschaft gebieten?
Sey elend unbedaurt! entsage wahrer Lust!
Ihr Aufenthalt ist nicht in solcher Sklaven Brust.
Du wirst den Menschen doch in diesem Bild erkennen,
Und, was er Unglück nennt, betrogne Thorheit nennen?
[248]
Er hängt sein ganzes Herz an manche Kleinigkeit,
Wünscht immer, wechselt stets, betrügt sich und bereut.
Er könnte ruhig seyn, wofern er weise würde:
Denn unterwürf ein Mensch die hungrige Begierde
Der mäßigen Natur, die nach dem wahren Werth
Und nach Bedürfniß wählt, nicht alles wild begehrt:
So würde sich sein Geist nicht ungesättigt quälen:
Dem, der nur wenig braucht, kann auch nur wenig fehlen;
Und wer sein Glück in sich, nicht in dem äußern Schein,
Nicht in der Meinung sucht, wird leicht befriedigt seyn.
Doch bin ich nicht ein Arzt, der iede Krankheit heilet,
Und seine Panacee mit steifem Stolz vertheilet.
Ich selber bin ein Mensch, und fühle, daß ichs bin;
Und läugnen, was man fühlt, ist stolzer Eigensinn.
Der Weise, wie der Thor, hat sein bestimmtes Leiden:
Doch dieser leidet mehr, und hat geringre Freuden;
Und überzählt mein Blick das Uebel unsrer Welt,
So find ich nicht so viel, als ich mir vorgestellt.
Freund, sieh die Rechnung durch; sprich, ob ich mich betrogen:
Von dieser Summe wird erst alles abgezogen,
Was graues Vorurtheil zu großem Uebel macht,
Der Pöbel ängstlich flieht, wer edel denkt, verlacht.
[249]
Noch mehr! was nicht vermag, den Grund erhabner Pflichten,
Den Endzweck meines Seyns gewaltsam zu zernichten, 1
Kann wohl ein Uebel seyn, doch zweifelhafter Art,
Das durch die Weisheit oft zu einem Guten ward.
[250]
Des Bösen bleibt nicht viel, wenn wir es also zählen:
Denn sprich, worüber sich die meisten Menschen quälen:
Daß ihre Seele nie der Thorheit Nacht vertreibt,
Und niemals richtig denkt, und immer kindisch bleibt?
Wer hört von Sterblichen die wunderseltne Klage?
Doch nimm dem alten Kind, am letzten seiner Tage,
Sein flitternd Puppenwerk, sein Gold und Silber, ab,
Das ihm ein spielend Glück, wie andern Thoren, gab;
Nimm ihm, was Kluge Rauch und Narren Ehre nennen:
Wie wird sein wild Geschrey die leichten Lüfte trennen?
Und gleichwohl seufzt nach Trost auch diese Pöbelzunft?
Zu edel ist für sie die Tröstung der Vernunft.
Wer frühe sich gewöhnt, das wahre Gut zu lieben,
Wird nicht um ieden Tand sich lächerlich betrüben.
Wer bessre Güter kennt, als die das Glück uns zeigt,
Um die der Ehrgeiz buhlt, um die es ihn betreugt,
Verachtet, was der Thor mit Ungeduld begehret;
Und was verachtet wird, wird ohne Schmerz entbehret.
Was glänzt, ist nicht stets gut; und was uns böse scheint,
Ist oft so böse nicht, als wir zuerst gemeint.
Was uns ein rauh Gebirg, voll unerstiegner Höhen,
Voll dürrer Felsen, schien, ist, wenn wir näher gehen,
Oft minder fürchterlich, und beut auf sichrer Bahn
Uns Blumen, weiches Gras und kühle Schatten an.
Warum soll vor der Zeit ein Weiser furchtsam klagen?
Was unerträglich scheint, hilft uns die Zeit ertragen:
[251]
Und eine Ninon selbst, Cytherens Priesterinn,
Wird, alt zu seyn, gewohnt, und scherzt ihr Alter hin. 2
Die Furcht macht alles groß, bebt vor den kleinsten Dingen,
Flieht stets, verwickelt sich in ihren eignen Schlingen,
Und strauchelt überall: Wie oft klagt unser Wahn
Um ein Geschöpf der Furcht Natur und Himmel an!
Gleich einer Schäferinn, die nach bebüschten Gründen
Zu ihrem Thyrsis eilt, voll Hoffnung, ihn zu finden;
Und Thyrsis ist nicht da: sonst kam er stets zu bald:
Sie ruft, und ihrem Ruf antwortet nur der Wald.
Nun schwillt ihr liebend Herz von Argwohn: ihr erscheinet
Nun Thyrsis ungetreu: sie klagt, sie schilt, sie weinet.
Die Thränen fließen noch, indem ihr Schäfer schon
Zu ihren Füßen liegt: sie schilt mit sanfterm Ton;
Und kaum hat sie von ihm das weiße Lamm empfangen,
Das ihr entlaufen war, und dem er nachgegangen,
Und das er ausgeforscht: so lächelt sie dem Freund,
Und küßt ihn, und gesteht, sie hab umsonst geweint.
Wenn dieß Verliebte thun, wirds ihnen leicht verziehen:
Die Liebe lacht und weint nach schnellen Fantasien.
Doch Schande, wenn auch wir so wenig männlich sind,
Uns iedes Nichts bewegt, wie ein unmündig Kind!
Wie selten ist ein Mann, der nie vergeblich zittert,
Nicht bebt, so bald er nur ein kommend Uebel wittert,
Und, unverwirrt von Furcht, ihm unter Augen sieht,
Ihm auszuweichen sucht, nicht ihm entgegen flieht,
[252]
Und muthig sich entschlüßt, an statt verlohrner Klagen,
Was nicht zu ändern ist, geduldig zu ertragen!
Ein muthiger Entschluß strengt unsre Nerven an,
Macht unsre Seele stark, und Stärke macht den Mann.
Wer freudig trägt, trägt leicht: durch ungeduldig Toben,
Das Kindern übel steht, wird keine Last gehoben;
Und schlüg ein Sklave sich, aus blinder Raserey,
Mit seiner Kette wund, so wird er doch nicht frey.
Der Kranke wälzt umsonst, im klagenvollen Zimmer,
Sich auf bethräntem Bett: er macht sein Uebel schlimmer:
Er häuft mit innrer Pein die äußerliche Qual,
Und leidet, weil er muß, und leidet auch aus Wahl.
Vor meinen Augen stehn die Weisen alter Zeiten,
Die, durch Geduld gestählt, sich trotz dem Glück erfreuten:
Ihr glänzend Beyspiel strahlt, wenn ich zu zaghaft bin,
In meinen trüben Geist durch alle Wolken hin.
O möcht ich Glück und mich, gleich ihnen, überwinden!
Ich wag es, groß zu seyn! – Du fragst, mit welchen Gründen
Die Weisheit mein Gemüth im Schmerz zufrieden stellt?
Ich weiß, es ist ein Gott! Ein Gott regiert die Welt!
Dieß große Wesen ist ganz Weisheit und ganz Güte!
Betracht ich seine Welt mit ruhigem Gemüthe,
[253]
So seh ich weise Huld, nicht weise Macht allein;
Und wie die Wirkung ist, muß auch die Ursach seyn.
Der Königinn des Tags, die unter Flammen thronet,
Bestimmt er ihren Ort, wo sie der Erde schonet,
Und wo die Erde selbst sich Licht und Fruchtbarkeit
Und jungen Frühling holt, und ihren Schmuck verneut.
Dann lacht sie, selbst verjüngt; nichts fehlet ihr zur Zierde;
Nichts mangelt überall vernünftiger Begierde.
Des Menschen Aug ergötzt und seinem Viehe dient
Das ungepflegte Gras, das auf den Triften grünt.
Den Thieren ieder Art, wer kann die Zahl bestimmen?
Die kriechen, oder gehn, mit nassen Federn schwimmen,
Und deren leichter Flug hoch in den Wolken eilt,
Ist, ehe sie noch sind, ihr Futter zugetheilt.
Der kleinsten Raupe ward ein reicher Tisch bereitet:
Ihr Hunger findet ihn, vom sichern Trieb geleitet,
In Hecken und Gebüsch und auf dem grünen Blatt,
Wo sie aus ihrem Ey sich selbst gebohren hat.
Damit der junge Mensch nicht unversorget bliebe,
Bestellte die Natur der Eltern wache Liebe,
[254]
Von der das zarte Reis die erste Pflege borgt,
Bis wachsende Vernunft in reifern Jahren sorgt.
So große Liebe strahlt aus Gottes weisem Plane!
Gewiß, das ist kein Gott, der, nach dem alten Wahne,
Höchstglücklich nur für sich, die niedre Welt vergißt,
Und, ob sie glücklich sey, ganz unbekümmert ist.
Gleichgültig sollt er sehn, die Schöpfung untergehen?
Denn wenn er sie verläßt, so kann sie nicht bestehen:
Die forschende Vernunft weiß nichts von einer Welt,
Die sich nicht selbst gemacht und sich doch selbst erhält.
Es ist Unmöglichkeit, daß unabhängig werde,
Was einen Schöpfer hat; ein Gott aus einer Erde.
Hieng ihre Dauer bloß von ihrem Wesen ab,
So wäre sie wie Gott, der ihr das Wesen gab.
Nur Gott ist, weil er ist; die Welt, weil Gott es wollte:
Sie dauert, weil er will, so lang sie dauern sollte.
Entzieht ihr Schöpfer ihr die Allmacht seiner Hand,
So herrscht ein ödes Nichts, wo eine Welt verschwand. 3
Das menschliche Geschlecht, ein Staat von freyen Wesen,
Soll glücklich seyn, und selbst sein wahres Glück erlesen:
[255]
Umsonst! die Leidenschaft verdunkelt den Verstand:
Der blinde Wille rast, und rast um einen Tand.
Was würde nicht geschehn, wenn schädliche Begierde
Von einer höhern Macht nicht eingeschränket würde?
Die Erde hätten wir, von falscher Lust bethört,
Zur Wüste längst gemacht, und alles umgekehrt.
Sprich! wird ein Weiser bloß viel Volks zusammen raffen,
Und sich dem Staat entziehn, nachdem er ihn geschaffen?
Er selbst belebt und schützt Gesetze, die er gab,
Räumt Hindernisse weg, und stellt Gebrechen ab;
Läßt kühne Bosheit nicht nach freyer Willkühr schalten,
Und was er gut gemacht, das will er gut erhalten:
Sein Aug ist überall: von welcher Dauer sey,
Was bloß durch ihn entstund, ist ihm nicht einerley.
Nur Gott, der Weiseste, soll, was er schuf, versäumen?
Das feige Laster glaubt so ungereimten Träumen:
Kein Wunder! ungestraft bleibt eine böse That
Wohl in der Anarchie, doch nicht im weisen Staat.
Die stille Tugend liebt den prächtigen Gedanken:
Gott ist und Gott wird seyn, und Welten mögen wanken!
O Freund, in einer Welt, wo blindes Glück allein,
Wo nicht ein Gott regiert, wünscht' ich nicht Mensch zu seyn!
Stets würden bange Furcht und Zweifel uns verwirren;
Nie ruhig, würden wir durch dieses Leben irren,
Das, vor uns her, verhüllt in dicken Schatten liegt,
Wo Labyrinthe sind, und ieder Schritt betrügt:
[256]
Wie wann im öden Wald, wo Räuber nur verweilen,
Die Schrecken schwarzer Nacht den Jüngling übereilen,
Der ohne Führer irrt: er bebt bey Zephyrs Hauch,
Horcht auf ein rauschend Blatt und fürchtet einen Strauch.
Zu glücklich, wenn er noch mit sichrem Fuß entfliehet,
Noch Titans Morgenglanz und Florens Antlitz siehet,
Und nicht ein hungrig Thier mit seinem Fleische speist,
Nicht sein vergoßnes Blut in dunkle Büsche fleußt.
Des Menschen Schicksal ist, wo wir Verwirrung finden,
Ein wundersam Geweb von Folgen und von Gründen.
Ein Umstand, welcher schnell den Sterblichen verschwand,
Wirkt ungesehen fort, und leitet an der Hand
Vielleicht ein lachend Glück, das frohe Rosen krönen,
Vielleicht Verderben her von Vätern zu den Söhnen,
Flicht in Jahrhunderte sich ungehindert ein,
Lebt auch nach unserm Tod, und wird unsterblich seyn.
Ein schimmernder Entwurf, den Klugheit selbst gebohren,
Wird in der Klugheit Hand vernichtet, und von Thoren.
Oft ist die Ursach klein, die einem Heldengeist
Vom weiten widersteht, und nahen Ruhm entreißt. 4
Kurzsichtiges Geschöpf! Wie können Menschen wählen,
Die kaum das Nahe sehn, und auch im Nahen fehlen!
Der nebelvolle Pfad führt über Klippen hin:
Ich sehe keinen Tag, und weiß nicht, wo ich bin.
Der ganze Himmel ist mit Dunkelheit umzogen:
Es brüllen weit umher der Unruh schwarze Wogen:
Wer kann das Ende sehn? Kein Schimmer blickt hervor;
Und nur Verwirrung braust in unser horchend Ohr.
[257]
Gott spricht! das Chaos hört und die Verwirrung schweiget:
Er, aller Wesen Herr, will, und sein Wille zeuget
Ein unerwartet Licht im Schooß der Finsterniß:
Und was uns Zufall heißt, ist alles ihm gewiß.
Er sah vor aller Zeit, was einst geschehen sollte:
Nichts ist und nichts wird seyn, als was und wie er wollte.
Die kleinste Handlung ist, noch ehe sie geschieht,
In seinem Plan bestimmt, und einer Kette Glied:
Der Kette, die Gestirn und Erd und blaue Fluten
Und ihr bevölkernd Heer, das Böse samt dem Guten,
Und Staub und grün Gebüsch und was in Büschen singt,
Was lebt und leblos ist, verbindet und umschlingt.
Gott übersieht sie ganz: wie könnt er sonst regieren,
Und einem Gott gemäß die große Herrschaft führen?
Doch herrscht ein solcher Gott, so tret ich meine Bahn
Mit Ruh und Freudigkeit, obgleich im Dunkeln, an.
Wie sollt ich nicht vergnügt mit meinem Zustand leben?
Wie kann er böse seyn? Gott hat ihn mir gegeben.
Ich bin, was er gewollt, in seinem großen Haus:
Auch unsre Thorheit führt oft seinen Rathschluß aus. 5
Nichts ist von ungefähr: kein Umstand war vergebens,
Und ieder wirkte mit zum Schicksal meines Lebens.
Ich sollte, was ich bin, nicht etwas anders seyn:
Und mein besonders Glück stimmt in dem Ganzen ein.
[258]
Ists wohl der Mühe werth, ein Ganzes umzuändern,
Damit ich, kleiner Theil, den prächtigen Verschwendern
An Reichthum und vielleicht an Lastern ähnlich sey?
Sind Wünsche dieser Art nicht stolze Raserey?
[259]
Wer würde nicht für sich ein gleiches Recht begehren?
Soll eine trübe Luft mir Sonnenschein gewähren,
Weil ich im Grünen geh, indem ein ganzes Land
Nach frischem Regen lechzt, vom Sirius verbrannt?
Der Himmel schwärzet sich, ein dicker Hagelschauer
Verheert die reife Saat: ach! klagt ein armer Bauer,
Warum denn meine Saat? – Die Hagelwolke stund
Auch über deiner Flur: verschmähst du diesen Grund?
Wie? oder soll vielleicht kein Regen mehr gefrieren,
Wenn ihn durch kältre Luft die rauhen Winde führen?
Denn ieder andrer wird nicht minder sauer sehn,
Wenn morgen ihm geschieht, was heute dir geschehn.
Die Schöpfung wird regiert nach ewigen Gesetzen!
Wir sehn der Sterne Lauf mit schauderndem Ergötzen:
Sie wandeln heut, wie stets: der allgemeine Plan
Weist Sonnen ihr Geschäft und ihre Herrschaft an.
Der Schnee hält seine Zeit und seine Zeit der Regen:
Des Windes Flügel muß nach Regeln sich bewegen:
Ein mächtiges Gesetz hält in der Wolke Schooß
Des Donners Grimm zurück, und läßt den Donner los.
Die junge Flora läßt sich von Gesetzen leiten:
Des Tejers Rose glich den Rosen unsrer Zeiten:
Das Kraut pflanzt sein Geschlecht, wie seit der Schöpfung, fort:
Nie drängte feuchtes Rohr sich an des Buxes Ort.
[260]
An Thieren einer Art, seit ungezählten Jahren,
Ist alles einerley: sie bleiben, wie sie waren.
Der Löwe geht nach Raub in finstern Wäldern aus:
Die Schwalbe baut noch itzt, wie sonst, ihr leimern Haus.
Kein Zweifel! Die Natur folgt ewigen Gesetzen:
Die Weisheit schrieb sie vor, und sollte sie verletzen,
Sobald Wurm oder Mensch die Ausnahm kühn begehrt?
Wie leicht hält ieder Thor sich eines Wunders werth!
Gehorch ich der Natur mit ihrem Lauf zufrieden,
Wie selten wird mein Flehn der Gottheit Ohr ermüden!
Der Eigenliebe nur, die schmeichelnden Betrug
In unsrer Seele nährt, geschiehet nie genug.
Sie hat stets mehr verdient: hat sie nur ihre Freuden,
So mögen Tausende vor ihren Augen leiden.
Sie sieht aufs Ganze nicht, schmäht, was ihr nicht gefällt, 6
Und schilt Verändrungen in einer Körperwelt.
Nur lachende Natur, nur Frühling will sie finden:
In Sommerwolken soll kein Wetter sich entzünden:
Zwar eine Sonne soll am blauen Himmel glühn,
Doch fruchtbarn Schwefel nur zum Regen aufwärts ziehn.
[261]
Ein eingeschränkt Geschöpf, der Mensch soll niemals fehlen! 7
Doch zwäng uns die Natur, das Beste stets zu wählen,
So wären wir nicht frey, so wäre keine Pflicht;
Und einem Gott gefällt Maschinentugend nicht.
Wer freye Tugend will, muß freyes Laster dulden:
Die Bosheit raubt? Sie würgt? Sie häufet Schuld auf Schulden,
Und wütet ungestraft? Auch diesen Plan der Welt
Ziert freye Tugend mehr, als Laster ihn verstellt.
Die Bösen schaden mir; und sollt ich schmähn und fluchen?
Es ist der Bösen Art, daß sie zu schaden suchen.
Erzürnt ein Weiser sich, daß eine Nessel brennt?
Es ist der Nessel Art; ihr weichet, wer sie kennt.
Mein Unmuth ändert nicht die Ordnung aller Dinge,
Wenn ich voll Ungeduld die wunden Hände ringe.
Genug! sie kömmt von Gott, und Gott ist weis' und gut,
Als Schöpfer und Regent; und recht ist, was er thut.
Was ist, ist alles recht, doch im Zusammenhange,
Den ich nicht einzusehn vermag, auch nicht verlange.
Der eine Welt gemacht, kennt ihren ganzen Plan
Und aller Theile Zweck: er ordnet alles an,
[262]
Macht gut, was böse war, und lenkt Begebenheiten
Zu seiner Absicht um, auch wenn sie mit ihr streiten,
Und mischt, wenns heilsam ist, aus weiser Lieb' allein,
Der Wermuth Bitterkeit in unsern Becher ein.
Wie leicht verzärtelt sich das Herz in steten Freuden!
Doch stark und sicher wird die Tugend unter Leiden.
Sie strahlt am göttlichsten durch dicke Dunkelheit:
Dann leuchtet sie der Welt und überlebt die Zeit.
[263]
Wie weichlich müßt' ich seyn, wenn ich verlangen wollte,
Daß alle rauhe Luft nur mich verschonen sollte!
Kann unerträglich seyn, was mich vollkommner macht?
Die Tugend ist mir mehr, als eines Königs Pracht.
Hinweg mit blöder Furcht! die Gottheit will mich führen;
Und ruhig laß ich sie mein fliehend Schiff regieren.
Wollt ich erst ruhig seyn auf diesem Ocean,
Wenn alles ruhig ist, so fieng' ich niemals an.
Ein Ungewitter braust auf ungestümen Wellen;
Mit heitrem Angesicht seh ich die Fluten schwellen:
Das Steuerruder ist in eines Weisen Hand;
Und dieser führt mich gut, und bringt mich an das Land.

Fußnoten

1 »Warum nennest du denn diesen Zufall vielmehr ein Unglück, als ein Glück? Heißet dir etwan das ein Unglück, was den Endzweck der Natur des Menschen nicht umstößt?«

(Antonin IV. 53.)

2 »Qui m'auroit proposé,« schreibt sie an Saint-Evremond, »une telle vie, je me serois pendue. Cependant on tient à un vilain corps, comme à un corps agréable: on aime à sentir l'aise et le repos, après avoir senti ce qu'il y a de plus vif.«

(Oeuvres de Saint-Evremond T. III. p. 408.)

3 Daß die Welt in keinem Augenblick ihres Daseyns fortdauern könne, ohne von Gott erhalten zu werden, beweist, unter andern, Herr Prof. Meier in der Metaphysik 4. Theil §. 1022. etc.

4 »Tel est le jeu des choses les plus graves du monde. La Providence se rit de la sagesse et des grandeurs humaines. Des causes frivoles et quelquefois ridicules changent souvent la fortune des Monarchies entières.«

(Antimachiavel ch. 25.)

5 »At inquies, culpa mea stupiditateque propria mihi evenere plurima, quae facile fuisset evitare: – Ita sane sit; sed id scias, illam ipsam, quam agnoscis culpam, instrumentum fuisse Deo, quo te bonis tuis exueret, te vero infirmitate hac opprimeret, quam eo tempore tibi iudicaverat expedire.«

(Sarasa de arte gaudendi Tract. VI.)

6 »Die Gurken sind bitter: laß sie stehen! Es sind Dornen auf dem Wege: weiche ihnen aus! das ist genug. Sage aber nicht: warum ist dieses in der Welt? Sonst wirst du von den Naturkundigen ausgelachet werden. Eben wie dich ein Zimmermann oder Schuster auslachen würde, wenn du ihnen aufrücktest, daß Lappen oder Sägespäne in ihrem Laden liegen.«

(Antonin VIII, 53.)

7 »Es ist eine Thorheit, zu verlangen, daß die Bösen nicht Böses thun sollen: denn dieses heißet eine Unmöglichkeit begehren. Hingegen ihnen vergönnen, daß sie andern Böses thun mögen, und doch begehren, daß sie deiner schonen sollen: das wäre nicht nur eine Thorheit, sondern gar eine Tyranney.«

(Antonin XI, 19.)

Vierter Brief

Religion! Providence! An After-State!

Here is firm footing; here is solid Rock;

This can support us; all is Sea besides;

Sink under us; bestorms and then devours.

Night-Thoughts, Night the fourth.


Im Sonnenschein des Glücks, o J**, sich zu freuen,
Ist nur den Thoren schwer, die alle Lust entweihen.
Noch mancher klagt nicht stets: ein leichtes Weh erträgt,
Ein kleines Gut verliert noch mancher unbewegt.
Die Weisheit waffnet uns auch wider größre Leiden:
Sie lehrt, was Böse scheint, vom Bösen unterscheiden,
Rechtfertigt die Natur, und lenket unsern Sinn
Vom Leiden eines Theils aufs Wohl des Ganzen hin.
[264]
Ein tugendhafter Greis darbt in der Tugend Armen,
Und findet, wenn er fleht, nur flüchtiges Erbarmen:
Die Welt verachtet ihn: er plagt sich bis ins Grab
Mit einem siechen Leib, den die Natur ihm gab.
Warum lacht stille Ruh in seinem Angesichte?
Die Weisheit tröstet ihn mit ihrem Unterrichte;
Vielleicht auch ohne Müh: oft ist Gelassenheit
Die Tugend unsers Bluts und sieget ohne Streit.
Doch das Verhängniß zielt und trift mit schärfern Pfeilen
Uns näher an das Herz: wird uns die Weisheit heilen?
Die wilde Zwietracht sprengt der Höllen eisern Thor
Unwidersetzlich auf, und führt den Krieg hervor.
Die ängstliche Natur bebt vor dem Ungeheuer:
Vor ihm ist Finsterniß und nach ihm fressend Feuer.
Verwüstung überschwemmt des Weisen Vaterland:
Sein kleines Erbe seufzt in rauher Barbarn Hand.
Nackt wird er ausgejagt: er sieht mit einem Blicke,
Der sich durch Thränen zwingt, noch einmal stumm zurücke.
Zum schwarzen Himmel raucht, aus aufgethürmtem Graus,
Im allgemeinen Brand, auch seiner Väter Haus.
Der Gattinn, deren Blick ein Himmel ihm geschienen,
Der liebsten Gattinn Grab sind brennende Ruinen.
Ihm folgt, wohin er geht, ihr Schatten seufzend nach:
Er sieht sie, wie sie war, und hört sie, wie sie sprach.
Geh, sag ihm tröstend vor, daß alles auf der Erde,
So bös es einzeln sey, doch gut im Ganzen werde.
Sieh, ob er fröhlich wird und lange fröhlich bleibt,
Und bey des Ganzen Wohl sich minder elend gläubt.
[265]
Zwar, wenn er lebhaft denkt, daß Gott die Welt regieret,
Und seine Herrschaft gut und allzeit weise führet,
Wirds in der Seele licht: wie, wann in dunkler Nacht
Der aufgegangne Mond mit vollem Antlitz lacht;
Vor seinem reinen Licht, auf Hügeln und in Sträuchen
Und auf bethauter Flur die schwarzen Schatten weichen,
Bis ins verborgne Thal die sanfte Klarheit dringt,
Und sich der Wandrer freut, der vor Vergnügen singt.
Wenn aber nun der Mond in Wolken sich verstecket,
Womit ein feuchter West den Himmel schnell bedecket,
Herrscht wieder fürchterlich die alte Finsterniß;
Die Bahn durch Wald und Feld wird wieder ungewiß.
So schnell verändert sich des Leidenden Gemüthe,
Der seinen Schöpfer denkt, als einen Gott voll Güte.
Sein Geist wird aufgehellt, indem die Wahrheit spricht:
Wenn sein Gefühl erwacht, verschwindet alles Licht.
Er taumelt, wie erweckt aus angenehmen Träumen:
Er kann sein Elend nicht mit weiser Güte reimen;
Und in der Dunkelheit, die seinen Geist umgiebt,
Erblickt er Gott nicht mehr, den Gott, der Ordnung liebt.
Du fragst: kann also nichts, in leidenvollem Leben,
Dir dauerhafte Ruh und sichre Freude geben?
Nichts! wenn das wenige, was menschlich Leben heißt,
Das ganze Leben ist, auch selbst für meinen Geist.
Wie? meine Seele stirbt? Mir schaudert! und vergebens
Wandt ich, betrogner Thor, den besten Theil des Lebens
Auf sie, die, gleich dem Dunst, aus ihrem Leib verraucht,
Kaum da sie richtig denkt, und ihre Kräfte braucht?
Vergebens dacht ich ihr der Tugend Schmuck zu geben,
Den Adel eines Geists, den Weise nur erheben?
Mitleidig seh ich, ach! der Tugend Leiden an:
Des Glückes Unbestand ist ihr nicht unterthan.
[266]
Und nach dem Tod verwest vielleicht in nahen Höhlen,
Der tugendhafte Geist, mit lasterhaften Seelen?
Hilft mir die Tugend nichts, warum verehr ich sie,
Leb ihr gemäß, als Mensch, und sterbe gleich dem Vieh?
Wer sich unsterblich fühlt, kann große Thaten wagen,
Und seinem schlechtern Theil mit edlem Stolz entsagen:
Wer ganz zu sterben glaubt, denkt schwerlich als ein Held,
Stirbt, wie der feile Sklav, und stirbt nicht für die Welt.
Der stolze Weichling denkt sich sterblich und erzittert;
Und sein Vergnügen wird im vollen Kelch verbittert.
Wo kann er sicher seyn? Auch unter Myrten droht
Der Tod im Hinterhalt, und überall ist Tod.
Drum, J**, sehen wir die Weisen aller Zeiten
Des Grabes Forderung an unsern Geist bestreiten.
Sie streiten immer noch: gewiß ein edler Streit!
Der Sieg giebt mehr als Ruhm; er giebt Unsterblichkeit.
Die Tugend kämpft für sie, mit allen ihren Freunden:
Das Laster sieht den Streit, und schlägt sich zu den Feinden.
Auf beyden Seiten sind die Waffen mancherley,
Bald Gründe, bald nur Witz und leichte Spötterey.
Was hat man nicht gesagt, als wohlgesagt gepriesen,
Bewiesen, widerlegt, und wieder neu bewiesen!
Die richtende Vernunft, auf ihre Wissenschaft
Sonst übermüthig stolz, spricht hier ganz zweifelhaft. 1
[267]
Sie schließt: Was in uns denkt, und was wir Seele nennen,
Ist nicht Materie, so weit wir diese kennen:
Und stirbt, was einfach ist? Wenn durch des Schöpfers Wort
Es nicht vernichtet wird, so lebt es ewig fort.
Er kann es! Will er auch? Hier soll die Weisheit richten!
Was hätte Gott für Grund, ein Wesen zu vernichten,
Das edle Kräfte hat, die kaum bemerkt im Kind,
Im Jüngling noch nicht reif, erst späte nützlich sind,
Doch, durch die Zeit gestärkt, auch schon in diesem Leben
Den Gott verherrlichen, der iede Kraft gegeben,
Der sie zu seinem Ruhm den Menschen beygelegt,
Und sein erhabnes Bild in ihren Geist geprägt?
Dieß Wesen könnte sich noch stets vollkommner machen;
Und Gott vernichtet es, gleich liederlichen Sachen?
Und pflanzte doch den Trieb nach einem bessern Seyn
Und nach Unsterblichkeit in dieses Wesen ein,
Das, bey dem größten Fleiß, nie, was es werden wollte
Und werden könnte, seyn und endlich sterben sollte?
Freywillig schafft er es für einen Augenblick,
Will, daß es glücklich sey, versagt ihm ewig Glück?
Wär auf die Erde nur sein Schicksal eingeschränket,
So hätt' ein Gott voll Huld ihm reinre Lust geschenket:
Der Traum des Lebens wär, in diesem engen Raum,
Der Tugend wenigstens, ein angenehmer Traum.
[268]
Wär' Unschuld ohne Schutz und Redlichkeit in Banden?
Wär' eine Tyranney, der Völker Fluch, entstanden?
Und hätte nicht ein Blitz, eh Nerons Grausamkeit
Blutdürstig wütete, Rom und die Welt befreyt?
Doch ungehindert kann das Ungeheuer wüten:
Die schwarze Seele darf stets neue Frevel brüten:
Die Mutter wird erwürgt, nachdem er lang gedroht,
Und einem Brudermord folgt einer Gattinn Tod.
Das Blut der Edlen strömt: nach Blut und Schätzen dürsten
Der Fürst, und öfter noch, die Sklaven dieses Fürsten.
Ein Weiser blutet hier, dort ein bejahrter Held;
Den Patrioten schützt kein Winkel in der Welt.
Sie sterben kaum beweint: denn Thränen sind Verbrechen,
Und Klagen ist Verrath, den Gift und Martern rächen.
Das blasse Schrecken sitzt auf iedem Angesicht;
Und wer Vergnügen zeigt, ist selbst ein Bösewicht.
O Rom, unglücklich Rom! zu spät und ach! vergebens
Straft ein verdienter Tod die Greuel seines Lebens!
Manch andrer geht nach ihm die blutbefleckte Bahn;
Und was ein Nero that, thut ein Domitian.
Ist Gott nicht ungerecht, und herrscht in seinen Schlüssen
Die weise Gütigkeit, die wir verehren müssen;
So sterben wir nicht ganz, so muß der Leib allein,
Nicht unser Geist mit ihm, des Grabes Beute seyn;
Und unser Schöpfer wird, in einem andern Leben,
Der Tugend ihren Lohn und ihre Krone geben. 2
Ist alles dieß nur Wahn und stolze Schmeicheley?
Sprich, ob der ganze Schluß nicht sehr wahrscheinlich sey!
[269]
Er ists! Wird aber nicht der bange Zweifel fragen:
Wer kennt den Ewigen? Wir schämen uns, zu sagen,
Daß menschlicher Verstand, vom Körper eingeschränkt,
Die Weisheit eines Gotts in ihrem Umfang denkt:
Doch wagen wir den Schluß, der Schöpfer müsse wollen,
Daß Geister unsrer Art unsterblich dauern sollen?
Schließt ein Geschöpf so kühn, das durch die Welt nur flieht,
Und ihren großen Plan nur unvollkommen sieht?
So muß denn meine Ruh auch unvollkommen bleiben!
Ein schmeichelndes Vielleicht! das wir mit Witz beschreiben, 3
Soll mich beruhigen, in einer Sache, Freund,
Die mir die wichtigste für einen Menschen scheint?
Und muß ich mich noch erst in unerhellten Gangen,
Durch dornichtes Gesträuch, zum Schein der Wahrheit drängen?
Kömmt hier die Einfalt fort? Wenn sie nicht folgen kann,
Ist Ruhe des Gemüths ein Gut für iedermann?
Auch selbst ein heller Geist verirrt sich unter Schlüssen,
Wenn ihn, bey heitrer Luft, mit schnellen Finsternissen
Die Trübsal überfällt: er sucht ein tröstend Licht,
Das lehrende Vernunft, oft übereilt, verspricht.
[270]
Nun scheint ihm zweifelhaft, was ruhigern Gedanken
Bewiesne Wahrheit schien: die festen Schlüsse wanken:
Die Ungewißheit stürmt von allen Seiten ein:
Kann wahrer Heldenmuth in seiner Seele seyn?
Verzweiflung reißt ihn fort, indem er sich mit Zittern
An morschen Gründen hält: wie wann in Ungewittern
Das steuerlose Schiff an Klippen scheiternd läuft,
Ein Mensch mit starrer Hand den nächsten Strauch ergreift.
Hier hängt er halb entseelt; nach seinem schwachen Leben
Brüllt unter ihm die See: die schwanken Aeste beben:
Die Wurzel reißt sich los; und nun deckt seinen Blick
Des Todes Finsterniß: er stürzt ins Meer zurück.
Nur dieses wissen wir: ob Geister dauern sollen,
Hängt von dem Schöpfer ab; es liegt an seinem Wollen.
Zu wissen, ob er will, muß unsre Sorge seyn:
Hüllt seinen Rathschluß noch ein heilig Dunkel ein?
Hat Gott sich nicht erklärt, ob unser Geist bestehe,
Nicht mit dem schweren Leib, nicht modernd untergehe,
Wenn Welten untergehn! Kein Zweifel findet Statt,
Wenn was die Tugend hofft, Gott selbst bestätigt hat.
Er thats, und redete zum menschlichen Geschlechte
Durch weiser Männer Mund, die, als der Gottheit Knechte,
Durch Wunder ohne Zahl den Völkern vorgestellt,
Mit Heiligkeit gesalbt zu Lehrern einer Welt,
Nicht aus Vermuthungen, wie unsre Weisen schließen,
Nein, weil es Gott gesagt, Unsterblichkeit verhießen.
Dich, Sonne, sprachen sie, erschuf Gott für die Zeit;
Des Menschen edlern Geist für Zeit und Ewigkeit.
Sie sprachen: göttlich Licht umglänzte Gottes Boten,
Und strahlte weit umher: der Erde Fürsten drohten:
Tyrannen mordeten: trotz allem Widerstand,
Ward aus der halben Welt die Finsterniß verbannt.
[271]
Doch seh ich Sterbliche vom Lichte sich entfernen,
Auf eigne Kräfte stolz, zu stolz, von Gott zu lernen.
Ein Weiser zieht noch oft, noch öfter zieht ein Thor
Die Dämmrung der Vernunft dem vollen Tage vor.
Zwar, daß kein tödtlich Gift der Seele Leben raubet,
Das Grab sie nicht verschließt, hat Socrates geglaubet,
Gewünschet und gehofft, und mit beredter Lust
Auch sterbend noch gelehrt; doch nicht gewiß gewußt.
Begeistert redet er in seinen letzten Stunden;
Und was er sagt, bezeugt, wie lebhaft ers empfunden:
Man siehts, er sucht Beweis zur Wahrheit, die er liebt,
Und schmückt Vermuthungen, die er für Gründe giebt. 4
Wär ihm ein reinres Licht vom Himmel aufgegangen,
Mit welcher dankbarn Lust hätt' er dieß Licht empfangen,
Er, der nicht zweifelte, daß, wie man Gott verehrt,
Uns niemand lehren kann, als den Gott selbst gelehrt?
Er hoffte! War vielleicht, (verzeih der kühnen Frage!)
War seiner Hoffnung Grund nicht eine graue Sage?
Hat bey der Schöpfung nicht der Schöpfer offenbart,
Was von den Weisesten nur fortgepflanzet ward? 5
[272]
Wie konnt ein Sterblicher Unsterblichkeit vermuthen,
Der alles rings umher, die Bösen und die Guten,
Gleich Thieren, sterben sah? Sträubt die Vernunft sich nicht,
Wenn ein gewagter Satz den Sinnen widerspricht?
Oft schmückt sich die Vernunft mit abgeborgten Sätzen: 6
Der stolze Philosoph nimmt von des Christen Schätzen,
Was ihm gefällt und nützt, und gründet seinen Ruhm
Auf ungestandnen Raub, als auf ein Eigenthum.
Vielleicht erkühnt er sich, in ganz verdorbnen Zeiten,
Auch die Religion undankbar zu bestreiten,
Die seine Lehrerinn und unsre Hoffnung ist,
Dem Vorwitz viel verschweigt, für Weise nichts vergißt.
[273]
Wie göttlich ist sie mir in jenen hohen Lehren,
Die wir von deinem Mund, beredter J**, hören,
Wenn sich der Christen Volk an heilger Stäte drängt,
Und ihr begierig Ohr an deinen Lippen hängt!
Ich seufze, wenn sie klagt, daß aus des Schöpfers Händen
Der Mensch vollkommen kam, den Wahn und Laster schänden.
Ich zittre, wenn sie Gott, vor dem die Erde schweigt,
In seiner Heiligkeit, als meinen Richter zeigt.
Doch wenn mit heitrer Stirn, die Glanz des Himmels krönet,
Sie mich zum Opfer führt, das diesen Gott versöhnet
Und ihm genug gethan; das menschlicher Verstand
So lang mit eignem Licht gesucht 7 und nicht gekannt:
So wird mein Geist voll Ruh, und meine Seele freuet
Sich auf Unsterblichkeit, die nicht mehr schrecklich dräuet:
Der Tugend, ist sie gleich vor einem Gott nicht rein,
Soll ewig Leben doch kein ewig Elend seyn.
Ich soll zur Prüfung nur auf einer Erde leben,
Wo Freude schüchtern lacht, und Leiden uns umgeben.
Dieß Leben ist ein Punkt im allgemeinen Plan;
Und nach dem Tode fängt mein bessres Leben an.
Das Leben, das ich einst unsterblich leben werde,
Bestrahlt von weitem schon mein Leben auf der Erde.
[274]
Die Nacht vermindert sich, die das Verhängniß deckt,
Und lüsterner Vernunft sein Heiligthum versteckt.
In schönerer Gestalt lacht mir die Welt entgegen,
Und Rosen schimmern durch auf dornenvollen Wegen.
Der finstre Kerker selbst ist für die Tugend nicht
So schrecklich, als er scheint, nicht ohne sanftes Licht.
Durch gute Folgen wird, was böse scheint, geadelt:
Verwegner armer Staub, der seinen Schöpfer tadelt!
Was auch der Weiseste von seinem Schicksal sieht,
Ist von der Kette nur ein abgerißnes Glied.
Das Glück der Ewigkeit bestimmt Begebenheiten,
Die mit verdientem Glück auf unsrer Erde streiten:
Gott richtet, was itzt ist nach dem, was seyn wird, ein,
Ein weiser guter Gott: kann ich nicht ruhig seyn?
Verhängt er widrig Glück? Versagt er Wunsch und Freuden?
Der Tugendhafte weiß, daß auch die schwersten Leiden
Oft weise Züchtigung für ein verirrtes Kind,
Der Menschheit widerlich, nicht wirklich schädlich sind.
Denn Gott regiert die Welt! Wir wissen dieß aus Gründen:
Was die Vernunft errieth, hieß Gott gewiß verkünden.
Er führt uns bey der Hand die angewiesne Bahn:
In Demuth bet ich ihn und seine Führung an.
Der Himmel schwärze sich, vom lichten Blitz zerrissen;
Der Donner zürne laut aus furchtbarn Finsternissen:
Die Erde, wo ich geh, sey mir ein steinicht Feld,
Auf meiner Pilgrimschaft durch diese niedre Welt!
Die längste Reis' ist kurz, nur eines Tages Reise:
Welch kleiner Unterschied macht Jünglinge, macht Greise!
Das Grab ist iedem nah, aus dessen stiller Nacht
Ein Strahl der Ewigkeit mir in die Augen lacht;
Ein hoffnungsvoller Strahl, der mich im Leid erquicket,
Und ieden feigen Schmerz und niedern Wunsch ersticket,
Und wenn die Seele sich im Sinnlichen vergißt,
Sie edler denken heißt und ihr Erinnrer ist.
[275]
Er lehrt mich euch verschmähn, euch glänzende Gestalten,
Die Wahn und Unverstand für ihre Götter halten!
Dich, Reichthum! dich, o Ruhm, Traum an der Ehre Brust!
Und euch Ergötzungen, berauschter Sinne Lust!
Ihr, deren Lockungen den Klugen selbst berücken,
Ihr scheint vor mir zu fliehn, und Thoren zu entzücken?
Der Schöpfer will es? flieht! Ein Gut, das doch einmal
Beym Grabe mich verläßt, entbehr ich ohne Qual.
Ihr Freunde, die das Grab in seinem Schooß empfangen,
Ich schäme mich vor euch der thränenvollen Wangen!
Ich seh euch wieder, ich, der auch unsterblich bin!
Wohin ihr früher kamt, komm ich nur später hin.
O Cronegk, dessen Tod so manchen Freund betrübte.
Du Liebenswürdiger, der sterbend noch mich liebte,
Der ein vortrefflich Herz mit großem Witz verband,
Und dessen ganzen Werth nur wenige gekannt!
Du lebst! Ich tröste mich: die Thränen sind vergebens!
Der Tod verändert nur die Scene deines Lebens:
Du lebst in Gegenden, wohin die Tugend führt,
Wo, stets beglückt mit ihr, Unsterblichkeit regiert.
[276]
Entkleidet durch den Tod vom sterblichen Gewande,
Durchwandelst du, ganz Geist mit hellerem Verstande, 8
Die Wohnungen des Lichts, siehst nun der Schöpfung Plan
Mit schärfern Blicken ein, und betest schweigend an.
Zu Lobgesängen reißt dich dann ein heilig Feuer:
O welch Entzücken strömt von deiner güldnen Leyer,
Die sich nun ungetheilt dem großen Schöpfer weiht!
Du siehst ihn, bist beglückt und bist es allezeit.
Wir wünschen dich zurück zu niedern Gegenständen?
O Musen, seine Lust, pflanzt mit bethränten Händen
Den Lorbeer um sein Grab, der unvergänglich daurt,
In dessen Schatten einst die Nachwelt ihn betraurt!
Betrachtest du den Tod in diesem höhern Lichte;
So lächelt Gütigkeit in seinem Angesichte.
Der Bote der Natur ergreifet unsre Hand,
Und führt uns, als ein Freund, in ein beglücktres Land.
Dem trägen Sinnlichen graut vor der letzten Reise:
Der Thor stirbt, weil er muß; mit Freuden stirbt der Weise,
Der durch Religion und Tugend unterstützt,
Wann schon auf seiner Stirn die Todtenblässe sitzt,
Nicht mit des Pöbels Furcht den Augenblick entweihet,
Den großen Augenblick, der unsern Geist befreyet,
Und über Tugenden und wahren Heldenmuth
Und über ewig Glück gerechten Ausspruch thut.
Er geht voll Zuversicht aus diesem kurzen Leben,
Obgleich noch Schatten sind, die seinen Pfad umgeben.
Er weiß, wohin er geht: sein Ziel ist Ewigkeit,
Und ein versöhnter Gott ist seine Sicherheit.
[277]
Kann seine Seele nicht vor Grab und Moder zittern;
Wie sollte seinen Muth ein flüchtig Weh erschüttern,
Der Schmähsucht Ungestüm, ein Sturm, vom Glück erregt,
Der, was ihm doch nicht bleibt, ihm aus den Händen schlägt?
Er leidet unentehrt, bleibt groß, auch wenn er trauert:
Er weiß, daß aller Schmerz nur Augenblicke dauert:
Sein Leiden, weil es ihm ein Gott voll weiser Huld,
Ihn zu verbessern, schickt, erträgt er mit Geduld.
Er ist kein blinder Sklav der sinnlichen Begierde,
Genießt, mit edlem Stolz auf seine wahre Würde,
Die niedern Freuden hier nur flüchtig, als im Lauf,
Und opfert, ohne Gram, sie höhern Gütern auf.
Ihn lockt kein Blumenweg, beym Laster zu verweilen:
Ihn reizt kein falscher Glanz, der Thorheit nachzueilen.
Er geht auf seinen Zweck mit unverwandtem Blick:
Nicht für die Zeit bestimmt, verachtet er ihr Glück.
Nur wer zu sterben weiß, kann stets zufrieden leben!
Die wahre Freude nur, nach der die Weisen streben,
Versüßt dem Sterblichen die Reise durch die Zeit,
Und folgt, unsterblich selbst, ihm zur Unsterblichkeit.

Bicero Tusc. Quaest. L. II. Quod id, quod vitari non potest, metuit, is vivere animo quieto nullo modo potest. Sed qui, non modo quia necesse est mori, verum etiam quia nihil habet mors, quod sit horrendum, mortem non timet, magnum is sibi praesidium ad beatam vitam comparat.

Fußnoten

1 Ich lese in des (Deslandes Hist. crit. de la Philosophie T.I. ch. 10. daß Des Cartes) an die Prinzeßinn Elisabeth von der Pfalz geschrieben habe: »Pour ce qui est de l'état de l'âme après cette vie, j'en ai bien moins de connoissance que Mr. Digby. Car laissant à part ce que la Foi nous enseigne, je confesse, que par la seule raison naturelle nous pouvons bien faire beaucoup de conjectures à notre avantage, et avoir de flatteuses espérances, mais non point aucune assurance«. (Deslandes) zeigt an dem angeführten Orte, wie ungewiß und problematisch die Lehre von der Seelen Unsterblichkeit bey den Alten gewesen.

2 Wollastons Religion of nature delineated Sect. 9.

3 »Nescio, quomodo, dum lego, assentior: cum posui librum, et mecum ipse de immortalitate animorum coepi cogitare, assensio omnis illa elabitur.«

(Cic. Tusc. Quaest. L. 1.)

Was Cicero von einem Plato sagt, sollte nicht von allen Philosophen gelten.

4 »Tot autem rationes attulit (Plato), vt velle ceteris, sibi certe persuasisse videatur.«

(Cic. Tusc. Quaest. L.I.)

5 »If this consent was only the effect of some Tradition, handed from parents to their childern; yet since we meet with it in all the quarters of the world, where there is any civility on sense, and in all ages, it seems to be coëval to mankind itself and born with it.«

(Wollaston Religion of Nature delineated Sect. 9.)

6 »Je ne dissimulerai point, que les Philosophes modernes ont été fort appuïés, fort enhardis, par la certitude constante de la Revélation, elle, qui est venue au secours de la Raison, pour la remettre dans ses voïes et l'empêcher de s'égarer de plus en plus. Sans ce bienfait salutaire, sans la confiance, qu'inspire le vrai une fois trouvé, auroient-ils pu donner de la consistence et de la réalité à la Métaphysique? Auroient-ils pu rendre la Théologie naturelle aussi touchante et aussi persuasive, qu'elle l'est devenue en ces derniers tems? Sûrs des principes, ils ont acquis sans peine le genie d'observation et de detail: ils ont tiré une infinité des consequences, qui par leur fecondité et par leur étroite liaison fortifioient ces principes mêmes, et les étendoient infiniment.«

(Histoire critique de la Philosophie par Deslandes

T.I. Préface.)

7 »Though, by the light of Nature, it was indeed exceeding probable and to be hoped for, that God would forgive Sin upon true Repentance; yet it could not be proved, that he was absolutely obliged to do so, or that he would certainly do so: On the contrary, there was reason to suppose, that, in vindication of his Laws, he would require some further Satisfaction and Expiation. And accordingly we find the Custom of sacrificing, to have prevailed over the Heathen World in all Ages. etc.«

(Discourse concerning the unchangeable Obligation of Natural Religion and the Truth and Certainty of the Christian Revelation by Sam. Clark p. 263.)

8 »If the state of the soul in the body (it's confinement there) may be consider'd as one general and great limitation, why, when this limitation shal be taken off (this great obstruction removed) may it not be allowed to act with still greater freedom and clearness, the greatest it is capable of?«

(Wollaston Religion of Nature delineated Sect. 9.)

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