Chaplin in Kopenhagen

Die dänische Fähre rauschte davon, und die Eisenbahnwagen und ich – wir machten ein ziemlich dummes Gesicht, weil wir nicht wußten, wie uns das bekommen würde. Vor Warnemünde die Wellenbrecher sahen wir gar nicht an – welch ein bezügliches Wort . . . ! Aber nun befahl der Kapitän den Kolben, zu stampfen, und die langen D-Zug-Wagen begannen leise zu zittern, Kellner sprangen im Speisesaal auf und ab, Hühner waren geschlachtet worden, Heringe hatten sich in Zuckeressig gewälzt, Bier war auf Flaschen gezogen worden, die Fähre fuhr, und die dänische Eisenbahn rollte, und ein Hotelbett war gedeckt, Staubsauger heulten, der Panter stolperte durch Kopenhagen und merkte kaum, daß er angekommen war – denn dieser ganze Aufwand wurde vertan, weil in der Stadt ein kleiner Mann mit Hütchen auf einer Filmleinwand das deutsche Heer aber gründlich besiegte und Kaiser, Kronprinz und Hindenburg total gefangen nahm . . . Hin.

Die Sache spielte sich in einem Kinotheaterchen achtundvierzigsten Grades ab – die andern siebenundvierzig hatten schon gelacht, seit zehn Jahren hatten sie gelacht . . . General Chaplin ließen auf sich warten: zwei amerikanische Filme schoben sich vorüber, Gottbehüte uns, und nahmen nie ein Ende, und immer, wenn ich geglaubt hatte, nun aber perfekt dänisch zu können, zeigte sich, daß das nächste Bild etwas ganz anderes besagte als der vor mir hin her und übersetzte Text. Und zwischendurch schlief ich ein und gedachte wehmütig der Schule der Weisheit und fuhr mit einem leichten Schrei wieder auf, und dann war es immer noch nicht aus, und die Monate gingen vorüber, es wurde Herbst und wieder Winter, und immer waren da noch die beiden Großaufnahmeköpfe auf der Leinwand zu sehen, und will sich nimmer erschöpfen und leeren . . . Und dann, und dann kam Er.

Es beginnt mit einer vollendeten Verhöhnung des Militärs – so etwas von schiefen Kehrtwendungen und Gewehrjonglierübungen und Getrapple . . . pfui Deubel, Herr Major! Worauf der junge Rekrut Charlot in einem Zelt zu träumen beginnt . . .

Er stand im Schützengraben, hinter ihm schlugen die Granaten ein, was ihn jedesmal zu einem schmerzlichen Zusammenzucken bewog . . . man hat seine Nerven – und wenn eine Flasche nicht zu entkorken war, hob er sie hoch, und der böse Feind schoß den Hals ab, und wenn es eine Zigarette zu entzünden galt, hob er sie hoch, und Krupp schoß sie in Brand – es war alles in bester Ordnung. Regnete es? Dann stak [226] der ganze Unterstand im Wasser, aber jeder Mann, wie man das gelernt hatte, lag ordnungsmäßig zugedeckt, zweimal: mit der Decke und mit Wasser, einer sah nur noch mit dem Mund und den Zehen heraus, und dem trieb Charlie ein Bootchen mit dem Nachtlicht hin, auf daß es ihm die Füße briete . . . Tats, ergriff den Lautsprecher und zog sich unter das Wasser zurück, durch die Röhre atmend . . . Läuse? Für Läuse hat der Soldat ein Reibeisen, das man an die Wand nageln kann: zwecks Rückenschubberung. Der Krieg war restlos erledigt.

Dann ein echter Chaplin-Augenblick: alle bekommen Post, nur er nicht. Da lehnt er traurig am Unterstandpfosten und guckt verstohlen einem Soldaten, der den Heimatbrief liest, in das Papier . . . und lacht mit, wenn es etwas zu lachen gibt, und ist ernst und gefaßt und heiter – alles auf der Nebenleitung, bis es der andre merkt und ihm hinter die Ohren haut, und dann ist es aus. – Sturmangriff!

Sieh da, die Deutschen! Es sind derartige Schießbudenfiguren, daß sich ein ernster Mensch nicht gut verletzt fühlen kann, es sei denn, er wäre humorlos wie ein deutscher Beamter. Diese Soldaten da haben Bärte wie die Urwälder und sind dick wie die Tonnen oder lang wie die Zäune, nur der kleine Leutnant, der sie alle in den Hintern tritt, ist ein kurzer Daumen. (Wahr ist vielmehr, daß der deutsche Offizier seine Soldaten nicht in den Hintern, sondern in die Seele getreten hat.) Na, und dann läuft Chaplin zum Feind über und überlistet denselben mit Tücke und einer Kostümierung als Baumstumpf (der beinahe gefällt wird), und die Deutschen halten immerzu die Hände hoch und werden ununterbrochen besiegt, beinah so wie die Franzosen in dem Weltkriegsfilm des Herrn Hugenberg. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen ist überhaupt nicht so sehr groß – nur ist Chaplin seiner eine Spur seriöser. Und dann erscheint ein Auto, und die beiden Chauffeure haben breite Mützenbänder mit Adlern drauf, aber was Sie denken, ist nicht. Kein Kronprinz wird hier gefangengenommen, kein Kaiser wird hier gefangen genommen, kein Hindenburg wird hier gefangengenommen. ›Ein‹ Offizier . . .

Ja, wir wahren unsre Würde im Ausland.

Es gibt kaum eine deutsche Auslandsvertretung, die offen und ehrlich zur Republik steht, und es gibt überhaupt keine, in der etwas von Demokratie zu merken wäre – aber unsre Würde, die wahren wir. Wir trauen uns nicht, die Fahne der Republik im Ausland zu zeigen, denn unsre Republik ist auf den Feiern des Reichsbanners soo groß und in der Gösch soo klein – aber nun haben sie glücklich die Filmbilder, in denen Hindenburg und die andern erscheinen, herausgestrichen, und nun wirkt der Film wirklich deutschfeindlich, obgleich ers gar nicht ist. Denn während vorher die Farce durch die vollkommene Sinnlosigkeit übersteigert war, sich so von der Wahrheit gänzlich entfernend, liegt nun eine Spur von Gesinnung in dem zusammengeschnittenen[227] Film, von dem Chaplin nichts weiß. Es geht nichts über Diplomatie.

Und wie ich mir so die Lachtränen wegwische, denke ich, was das für eine Nummer von Republik ist. Wenn zum Beispiel ein höherer deutscher Polizeibeamter in Kopenhagen mit seinen französischen, dänischen, schwedischen Kollegen am Tisch sitzt, dann läßt er als Tafelfähnchen die alten Farben seines Kaisers aufziehen . . . »Die Herren lieben die neue Fahne nicht«, sagt der Wirt. »Sie nennen sie: Heringssalat.« Mit dem Takt ist das so eine Sache: man hat ihn, oder man hat ihn nicht. Wozu sollte ihn dieser haben? Die Republik bezahlt ihm sein Gehalt, das er grinsend einstreicht, Achtung verlangt sie nicht von ihm, und es geht nichts über die Lümmelhaftigkeit von nationalen Deutschen, die sich im Ausland herumtreiben. Über Ernst Tollers Aufenthalt in Kopenhagen gibt es nur eine Stimme des Lobes. Aber das ist freilich ein Landesverräter, der hier den billigen Ruhm verschmäht hat, vor Fremden auf Deutschland zu schelten. Ein Beamter darf das tun, und er tut recht daran. Mancher verdients nicht anders.

Der Film ›Das Gewehr über!‹ aber sollte an einer Stelle gespielt werden, wo er noch nie gespielt worden ist, und wohin er gehört. Ob dieser Film heute noch im Ausland von jener innern Aktualität ist, die seine Wiederaufnahme rechtfertigt, ist Sache seiner Beschauer. Auf einen Fleck Erde aber gehörte er, vor eine Gattung Menschen, die den Mut nicht aufbringen, zu Ende zu denken, die in Lüge leben und in Kompromissen.

Dieser helle Film gehört in das dunkelste Deutschland. Übern Rhein, Chaplin, übern Rhein –!


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