Demetrios

»A la foule qui est ici« stand im Programm.

»O Foule! Te voici dans le creux du théâtre –«

Also davon war nun keine Rede. Die Comédie des Champs Elysées war ganz hübsch ›gestopft‹, aber zu einer foule langte es nicht. Immerhin wird da beachtenswert gespielt.

Erst plätscherten drei sanfte Akte von Charles Vildrac, dem Verfasser des auch in Deutschland bekannten ›Paketboot Tenacity‹, auf das Publikum. Herr Vildrac ist kein Stückemacher, sondern ein Dichter, in unendlicher Verdünnung.

Worauf: ›Demetrios‹ von Jules Romains. Ja, Bruder, das ist ganz was andres.

Das Ganze dauerte etwa fünfundzwanzig Minuten, aber sie waren bis zum Platzen gefüllt, die Minuten. Man denke sich eine sanfte Dicke und ein aufgeregtes Dienstmädchen: »Ein Kerl ist draußen, gnädige Frau!« Palaver; was mag das für ein Bursche sein? Herein geistert er, der möblierte Stubengraf Demetrios. Louis Jouvet sah aus, wie noch nie ein lebender Mensch ausgesehen hat, offenbar hatte ihn Paul Scheurich gezeichnet. Er war schön, o so entsetzlich und furchterregend schön! Mit schwarzem Brillantineschnurrbart und einer merkwürdigen Kommode von Zylinder, den er in der Hand hielt. Ein Havelock umwallte ihn, er glich einem edeln Schwan bei Gewitter.

Die sanfte Dicke war nicht im Bilde. »Was . . . was solls denn sein . . . ?« Da war er schon in den Asphodeloswiesen und den Rosinenhainen der Insel Rhodos – weißt du noch? »Weißt du noch?« sagte er. »Du bist mir dreißigmal im Traum erschienen, du meine Göttin, du mein Ideal, an den blauen Wogen des Meeres . . . « Alles mitten im Salon, auf dem[287] guten Teppich. Die Göttin wußte nichts, reineweg gar nichts. »Mein Hörr! Was örlauben Sie sich –?« Da ließ er fettige Begeisterung ab, knoblauchduftende Götter durchschritten den Hain . . . Es kam der Herr Papa, und die dicke Tochter entschwand. Der Papa setzte sich. Geschäftlich: »Bitte –?«

Die Levante setzte sich gleichfalls und entwickelte mit einer gewissen Lyrik, aber unter keineswegiger Außerachtlassung seriöser Vorschläge hundertprozentige Geschäftspläne. Belege? Verzinsung? Anzahlung? Nichts half dem geschäftlichen Papa – die Levante hatte alles bei sich, wogte grüne und weiße Papiere aus der Tasche und log so entsetzlich, daß auch der Dümmste fühlen mußte: Dieser Mensch ist im Grunde wahrhaftig. »Ich habe die Majorität in Wahrheit!« sagte er. »Sie muß heraus, Herr!« Der Papa, erst mißtrauisch, dann geängstigt, weil die Levante Briefe auf dem Herzen hatte und scheußlich genaue Auskünfte, trat in die Geschäfte, die herzbrechend schön waren wie die Asphodeloswiesen. Die dicke Tochter trudelte herein und erinnerte vorsichtig an die Götterhaine, die Levante verstand nichts und verriet sie. Da warf sie den Papa hinaus, der vorsichtshalber seinen Schreibtisch abschloß, und nach kurzem Austausch von Lyrik und spitzem Räsonnement sank sie dem Schwarzen an sein friseurduftendes Herz . . . Das Dienstmädchen kam einen Augenblick zu früh, die Tochter löste sich in nichts auf, die Levante hatte auf der ganzen Linie gesiegt . . . Und nahm mit einem Knick der langen Beine Platz, aber richtig Platz, wer weiß für wie lange . . .

Das Mädchen ergriff Hut und Havelock . . . »Wollen Sie nicht auch meinen Stock mitnehmen –?« sagt er. Er ist hier schon zu Hause. Und dann fällt der Vorhang.

Die schauspielerische Leistung Jouvets war reizend: er ritt auf der Rosinante des klugen Unsinns, steckte die Hand in die Tasche und ließ den kleinen Finger draußen, damit man den Funkelring sehen konnte; wenn er sich aufrichtete, sah er aus wie ein Abruzzenhauptmann am Sonntagnachmittag, und sein Französisch hatte einen Klang . . . wenn man eine Flasche Houbigant in eine Balkanschlucht wirft, sagt das Echo: »Mißjéé!« Er log und wurde ganz grün vor Eifer. Es war herrlich.

Ich habe den Akt mit Gülstorff und Werner Krauß besetzt und mich doppelt und vierfach amüsiert.


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