Offiziere

Manche sind Versicherungsagenten geworden oder Journalisten und manche Betriebsleiter oder Inspektoren in der Landwirtschaft und manche Kunsttänzer und manche Spieler und einige, die reich sind, haben den bunten Rock einfach ausgezogen und sehen sich das Weltgetriebe etwas spöttisch und etwas verdrossen von ihrer Klitsche oder von ihrer Villa aus an und besuchen nun hier und da die gesellige Zusammenkunft des Regimentsabends, wo schwerer Rotwein getrunken und auf die Regierung geschimpft wird, und von den Wänden grüßen die starren Ölgemälde Seiner Majestät in der Galauniform des Regimentschefs. Wo ist Preußens erster Stand geblieben?

Der deutsche Offiziersstand ist seit dem 9. November ins Zivil gefallen, so wie Steine ins Wasser fallen. Die gehen dann unter. Es muß für die aktiven Offiziere und für die vielen Reserveoffiziere, denen die vier Jahre zum ersten Mal in ihrem Leben eine feste und glanzvolle Stellung mit gutem Auskommen geboten hatten, ein schwerer Schritt, ein schwerer Fall gewesen sein. Schwer deshalb, weil diese Männer mit ganz wenigen Ausnahmen von einer so stupenden Lebensunerfahrenheit [401] sind, von einer solchen Naivität und einer Unberührtheit von den Dingen des Lebens, die sich außerhalb des Kasernenhofs und der Schreibstube abspielen, daß sie mit großen runden Augen in das Chaos starrten und sich darin nicht zurechtzufinden wußten. Hier war alles so ganz anders: der Rang an sich gilt nicht allzuviel, mit einer Schnauzerei ists meist nicht getan, das ›Menschenmaterial‹ ist nicht ohne weiteres verfügbar, man darf Leute und Wagen nicht stundenlang warten lassen, überall sind Schwierigkeiten und Hemmungen, und keiner steht stramm, keiner steht stramm . . . Ich habe seit dem 9. November mit vielen Offizieren, aktiven und anderen, die nun in Zivilstellungen waren, zu tun gehabt, und muß sagen: Eine solche merkwürdige Mischung von gutem und schlechtem Willen, sich ins Zivil hineinzufinden, eine solche Verbindung von einigen alten Preußentugenden und totaler Unfähigkeit, die eigene Zeit zu begreifen, ist mir noch nicht vorgekommen. Sie wollen – wenn auch nicht alle – aber sie können nicht. Sie wirken im großen und ganzen wie ein Spinnrocken in der bürgermeisterlichen guten Stube einer kleinen Stadt: überholt. Ganz nett anzusehen, aber überholt. Sie haben eine Art, die Dinge zu sehen und anzufassen, daß einen der kalte Schauder überläuft, und daß man immer wieder vor sich hinsagt: Also das hat einmal geführt! Also die waren einmal Leiter und Spitzen und haben über Geschicke bestimmen dürfen! Es muß doch ein merkwürdig einseitiges Spezialhandwerk sein, das militärische, denn was haben sie für Anschauungen, für Auffassungen, für Lebensaspekte! Und dabei waren sie doch in Flandern und in Palästina und in Finnland und in Polen . . . und nun sollte man doch meinen . . . Aber da ist nichts. Ein Horizont wie ein Schnapsglas.

Sie wirken als Kulturfaktor in unserem Leben wie der trübe und unlösliche Bodensatz eines zerfallenen Körpers im Wasser. Sie durchsetzen heute fast jeden Betrieb mit ihrer Gesinnung und weil immer der wurmstichige Apfel den gesunden ansteckt, und weil viele noch die alte eingeprügelte Achtung vor ihnen haben, stören sie und hemmen und konservieren einen dreimal verfluchten preußischen Geist.

Man muß berücksichtigen, daß sie ja alle zumeist nichts Rechtes gelernt haben, und daß es Dilettanten von Beruf sind, »Der preußische Leutnant kann alles!« Es war wirklich erstaunlich, was er im Kriege, wenn auch nicht gekonnt, so doch gemacht hat: Viehdepots hat er eingerichtet und Druckereien und Trocknungsanlagen, und Bahnrampen hat er gebaut und Theater beaufsichtigt und Entlausungen geleitet . . . Und in den meisten Fällen war es ein Fachmann in untergeordneten Stellungen, etwa ein Feldwebel der Reserve oder ein gewöhnlicher Gefreiter, der die Sache machte, und der andere steckte einen Klunkerorden und die Anerkennung in die weitgeöffnete Tasche. Eben weil man über jede vollbrachte Leistung als Punkt auf dem i und als Krönung des Ganzen einen Offizier setzte, bildete sich im Gehirn dieser Kaste der [402] Glaube heraus, das Achselstück ersetze wirklich alle Fähigkeiten der andern. Und nun soll es sich erweisen. Und nun erweist es sich nicht.

Die innere Unsicherheit der ins Zivil geworfenen Offiziere wird von ihnen häufig durch eine gewisse Forschheit ersetzt. Nun langt das im täglichen Leben nicht allzuweit, und es ist ganz merkwürdig, wie der preußische Organisationsfimmel, der ja schon im Felde jedes Pöstchen unterstützte und jeden Posteninhaber, wie der, das preußische Beamten- und Juristentum zur Seite, das ganze moderne Leben verseucht hat. Diese Offiziere laufen in der Weltgeschichte umher und beweisen dir klipp und klar, daß in deinem Beruf etwas geschehen müsse, und daß da eine Organisation am Platze sei, welche . . . Denn daß eine Organisation sein muß, und daß sie diese Organisation leiten müssen, das steht von vornherein fest. Wie ja überhaupt dieses mißbrauchteste aller Wörter ihr A und O ist. Und mir fällt immer der alte schöne Ausspruch ein: Organisieren ist, wenn einer aufschreibt, was andere arbeiten. In diesem Sinne organisieren können sie.

Die Wirkung des gewöhnlichen Zivillebens auf den entthronten Offiziersstand mag für den dichterischen Schöpfer einer Tragikomödie ganz lustig zu sehen sein. Das Grollen alter Löwen, denen man Zähne und Krallen ausgezogen hat, die emphatischen Racheschreie der kasperlehaft aussehenden Stabsoffiziere beim Burgunder, dies geschwellte Kastenbewußtsein, dem viele Voraussetzungen heute Gott sei Dank entzogen sind – all das ergibt ein bunt angetuschtes Bild. Sie verstehen die Welt nicht mehr und kommen auch nicht drüber hinweg, und jetzt zeigt sich erst, wie sehr sie das eine immer gewesen sind und wie sie es immer bleiben werden: unproduktiv, unnütz, überflüssig.

Gefährlich wird die Schicht erst dann, wenn sie noch eine Wirkung auf die deutsche Umwelt auszustrahlen in der Lage ist. Und noch ist sie es. Noch finden sich Schöffen – wenn auch auf dem Lande – die einen Gutsbesitzer deshalb wegen Beleidigung verurteilen, weil er in einem Inserat einen Nachtwächter gesucht und dazu gesetzt hat: »Früherer Offizier bevorzugt«. Dadurch, entschied der Dreimännerskat der Justitia, seien die Offiziere beleidigt. Gefährlich wird die Kaste erst dann, solange sie ihre morschen und übelriechenden Standesvorurteile heute noch durchsetzen will. Denn jedes Privileg ist in erster Linie eine Erniedrigung der anderen. Gefährlich wird die Kaste, wenn sie ihre Unfähigkeit, anständige und nutzbringende Arbeit zu leisten, hinter einer trüben Geschäftigkeit verbirgt, die nicht einmal immer politischen Beigeschmack haben muß. Für die Politik sind die meisten dieser Männer viel zu borniert. Der ameisenhafte Fleiß, mit dem sie heute noch fast zwei Jahre nach dem Kriege Stäbe organisieren und Einteilungen des Landes in Korpsbezirke, der Fleiß, mit dem sie einen militärischen Apparat auf die Beine stellen, der, ob er nun etatsmäßig anerkannt ist oder nicht, gleich nutzlos und geldfressend und kulturwidrig ist – all[403] das ist nur aus ihrer einen einzigen Sehnsucht zu erklären: Wieder Geltung haben! Wieder an der Spitze von Truppen reiten dürfen! Einmal noch das blitzende Monokel vor der Front leuchten lassen! Menschen anbrüllen! Kasinostumpfsinn und Kasinoprösterchen! In grotesk aufgeplusterten Reithosen eine Jungfrau schneller zu dem zu machen, wozu Gott sie bestimmt hat! Einmal noch! Ein einziges Mal!

Daher Orgesch und Freiwilligenkorps und Sicherheitspolizei und Reichswehrformationen und Wichtigtuerei im Reichstag und Beleidigungsklagen gegen unliebsame Kritiker und eine Innigkeit unter allen Beteiligten, die einer besseren Sache würdig wäre. Kameraden? Komplicen.

Wir haben alle im Felde im Offizierkorps die wenigen sogenannten ›famosen Kerle‹ kennen gelernt. Die werden auch heute im Leben nicht versagen, und denen ist alle Sympathie gewiß, weil es tapfere und wertvolle Menschen sind. Der Rest aber ist fürchterlich. Mag es farblose Spießer darunter gegeben haben: soweit sie Offiziere waren, taugten sie nichts. Und obgleich jeder Satz, der an dieser Stelle steht, in den Augen der Gegner durch das Stammtischurteil ›bolschewistisch‹ als abgetan gilt, muß und soll vor deutschen Arbeitern und Bürgern hier noch einmal ausgesprochen werden, was für die einen eine Selbstverständlichkeit und für die anderen ein rotes Tuch ist:

Das deutsche Offizierkorps hat im Kriege seine Pflicht nicht erfüllt. Das deutsche Offizierkorps setzt sich aus kulturfeindlichen Schädlingen zusammen, die um ihres Postens willen bereit sind, jede Desperadopolitik mitzumachen. Der Geist des deutschen Offizierkorps taugt nichts. Ein ständig wachsender Teil der Nation lehnt diesen Ungeist und seine Träger ab. Wir brauchen sie nicht mehr.

Beleidigungsklagen ändern an diesem Urteil nichts.


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