Ein Vortragsbuch

Vortragsbücher rezitierender Virtuosen sind meist ein Scheul und ein Greul. Neckische Humoresken der zierlichen Schießbudenfigur Presber, Kindermünder und Dialektscherze in so falschem Sächsisch, daß Hans Reimann einschreiten müßte, Schauerballaden und Genrestücke – was man am besten deutsch ausspricht – und zum Schluß patriotische Verse, daß man dem Wort Parademarsch rechtens einen Reim anfügen sollte. Also das nicht.

Hingegen hat Ludwig Hardt ein ›Vortragsbuch‹ (bei Gebrüder Enoch in Hamburg) zustande gebracht, das im Grunde ganz etwas andres ist: nämlich ein wahres Schatzkästlein guter deutscher Literatur. Die Tatsache, daß Hardt diese vierhundert Seiten – und noch viele andre dazu – seit Jahren auswendig spricht, braucht für den Käufer nicht maßgebend zu sein: auch wer keinen hat, dem er etwas vorlesen will, findet hier eine wundervolle Anthologie dessen, was uns lieb und wert ist.

Ludwig Hardt, der Hunderttausenden die Kenntnis der schönsten deutschen Sätze vermittelt hat, liebt die Dichtung um der Dichtung willen – nicht, weil manche ihrer Stücke rollende Rrrs bergen, mit denen er etwa protzen wollte. Die Gleichzeitigkeit seiner Mittel ist selten: er ist ernst, hat Würde (ohne Vollbart), ein starkes Gefühl für echte Tragik und Humor. Und so ist auch das Buch.

Da manche Verleger ihre Mitwirkung versagt haben, ist es wohl nicht ganz so vollständig wie seine Programme: aber was da steht, ist doch noch schön genug.

Da finden sich: Jakob Michael Lenz und Matthias Claudius und Johann Peter Hebel und Kleist und Bürger und Mörike und Hebbel und Storm und Liliencron, Frank Wedekind, verblühte Verse von[185] Rilke und der einzige Kafka. Sowie der fast ganz vergessene große Lyriker Georg Heym, der mit acht Versen alles, was heute mit B anfängt, in die Westentasche steckt, und Wilhelm Busch und Verlaine – und es ist gar nicht so weit von einem zum andern: sie alle sind geeint durch die Zunge Hardts, die sich an ihnen und uns mit ihr delektiert.

Denn das ist das Geheimnis seines Erfolges, den ich ihm noch um vieles größer wünsche: er spricht gern und mit Liebe, was er spricht. Und wir lesens gern.

Er hat die Stücke oft mit Anmerkungen versehen, »Fußnoten« wie er sagt, »Worte zu Füßen der Dichtung«, in einem merkwürdig verschnörkelten Stil, aber tiefer Liebe voll zu den Meistern am Wort. So hat er Claudius ganz verstanden, so hat er – nur durch seine Vortragskunst – Uhlands an sich gleichgültige ›Schwäbische Kunde‹ lustig verdreht oder den ursprünglichen Sinn oder Unsinn wiederhergestellt, und er begründet das kleine Kunststück recht fein.

Hardts Humor ist niederdeutsch – plattdeutscher Humor ist wohl ein Pleonasmus. Der ist breit und behäbig, bei Hardt nie spießig, nie nach angerauchten Pfeifen und Kneipenluft duftend, aber echt. Und weil er auch im Humor Ehrfurcht hat und grade da – so ist er deutsch, nicht teutsch, deutsch, wie es Rudolf Rittner war.

Vor Franz Kafka verstummt Hardt. Dieser große Prosaiker spricht durch seinen Mund aus dem Grabe – jedes Wort eine Kostbarkeit, schwer, ganz und gar erdenfern, ein Weiser. Die kleine Seite, die Hardt dem Andenken des Toten geweiht hat, ist erschütternd wie die Widmung, die der Dichter dem Sprecher einst in ein Reisewerk vor einer verabredeten Reise schrieb: »Als Vorbereitung zu einer gemeinsamen Italienfahrt.« Das Buch handelte von Sibirien. Aus dieser Reise ist denn auch nichts geworden, wohl aber für Kafka aus einer andern.

Wir haben Ludwig Hardt unsern Dank zu sagen für dieses schöne Buch, das uns an die Stunden erinnert, wo wir ihn gehört haben. Man möchte sich ihn manchmal abends bestellen, so, wie man früher einen Geiger geholt haben mag. Sprich eins. Und weil das nicht möglich ist – aber einmal wars doch möglich, Ludwig Hardt, und Dank für den Abend in Kurland! –, darum soll ihm Christian Lichtenberg seinen Gruß anbieten: »Wer zwey Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an!« Die Aufforderung ist übrigens bisexuell.


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