Russisches Ballett

Ach, Nijinsky, wo bist du? Jedenfalls nicht bei dieser gottverlassenen Truppe. Die schöne Dekoration im›Geist der Rose‹ erinnert noch an dich, und die Kostüme des ›Karneval‹, den die Slawen damals so deutsch herausbrachten, daß man das Land, das Schumann mit Seele und Musik ersehnte, noch mehr liebte denn je. Damals sprangst du noch herum; du tanztest nicht, obgleich du das konntest. Du tatest irgend etwas andres – man begriff auf einmal, was dieses Springen und Hüpfen zu bedeuten hatte. Und letzten Endes gibt es ja nur ein Kriterium in allen Künsten: die Gänsehaut.

Das ist lange her. Heute vermißt man dich umso schmerzlicher, als Fokin dich ersetzen möchte. Fokin, der immer aussieht wie der Märchenprinz der kleinen Matzke aus dem ›Schlaraffenland‹! Nein, damit ist es nichts. Das Theater (am Nollendorfplatz) allein war nicht schuld. Obgleich in der einen Loge die Harfe saß (nicht etwa die Pauke); obgleich der Kapellmeisterbart die Szenerie verdeckte, obgleich alles so kümmerlich aussah. Was ist aus euch geworden? Das war doch früher nicht. Nicht diese süßlichen Posen, diese Attitüden des Zirkusballetts: »Kommt, Mädchen, laßt uns eine Gruppe bilden!«; nicht diese gezwungenen Stellungen mit neckisch geneigten Köpfchen; nicht diese Finales, die aufgehen wie eine Regeldetri. Was ist euch die Musik? Ihr tanzt doch zuckrig und kümmert euch nicht darum, obs Chopin oder Weber oder Arensky ist. Wo habt ihr das früher getan: malerische Trachten, wie sie das schlechte Varieté liebt, zur Schau zu tragen? Wo hättet ihr früher so unbedenklich gekitscht? Gewiß, ihr könnt noch alle tanzen. Einmal sogar, in einem Narrentanz, sehr gut: wie da alle bei einem dumpfen Celloton in der Luft schwebten! Und doch . . .

Wo bist du, Nijinsky! Komm, lege noch einmal deinen Schleier nieder, und siehe: er wurde zum Weib, weil du es wolltest. Fahre noch einmal wie ein buntes Rad unter die Tanzenden! Ach, Nijinsky, wo bist du?


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