Besuche bei Peter Panter

Von demselben


»Der Gast so lästig er ist,
muß geehrt werden, Herr Krause.«

»Es läutet, Herr Panter!« sagte die Haushälterin.

»Dagegen gibt es ein gutes Mittel, Frau Truelsen«, sagte ich. »Machen Sie auf!«

Sie sah mich an mit einem Blick, wie man einen Kanarienvogel ansieht, der zum zweihundertstenmal einen kleinen Klack auf die seidene Steppdecke gelegt hat: das Tier kann nichts dafür. Sie öffnete. Ich verabscheue Besuche.

»Ein Mann ist draußen!« sagte die Haushälterin.

»Ich habe Ihnen nun schon so oft gesagt, Sie möchten nach dem Namen fragen oder um die Karte bitten!« sagte ich.

Truelsen schob ab und kam mit einem riesigen Teetablett wieder herein, darauf lag eine winzige kleine Karte. Sie hatte das wohl im Kino so gesehen . . . Ich las den Namen . . . »Aber bitte! Ich lasse bitten! Der Herr möchte hereinkommen!« – Es war Sherlock Holmes.

Auf langen Beinen stelzte er herein, grüßte kalt und setzte sich stumm. »Darf ich Ihnen einen Stuhl anbieten« – ich klappte etwas nach. Er bewegte die Lippen, bevor er sprach, das war eine Angewohnheit – dann fing er an.

»Wissen Sie einen Beruf für mich?« sagte er.

»Iche . . . bä . . . wo . . . ta . . . «

»Recht einfach, das, denke ich. Ob Sie einen Beruf für mich wissen?«

»Herr Holmes belieben zu scherzen? Sie sind Detektiv. Da, auf dem Bord stehen alle sechzehn Bände!«

Er sah kurz hin: »Der dritte Band ist neulich von einer tiefbrünetten Bäckerstochter mit Bubikopf in Ihrer Abwesenheit herausgenommen worden – sie hatte einen kleinen Hund bei sich und zwei hohle Zähne – –«

Ich erstarrte.

»Einen Beruf, Ja«, fuhr er ruhig fort. »Sehen Sie, Herr – wie war doch der werte Name . . . Panter – das ist so:

Ich habe es satt. Seit fünfunddreißig Jahren reise ich durch die ganze Welt – ich weiß alles, kann alles, ich errate alles. Sie glauben nicht, wie sich alles wiederholt. Die Menschen haben so wenig Phantasie: weder eine heimlich im Keller eingemauerte Schwiegermutter, noch ein geraubtes Kollier, noch ein gefälschter Scheck – höchst, höchst selten ein durchgebrannter Bankdirektor – es ist immer, immer dasselbe.« Er seufzte tief.

[166] »Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?« wandte ich schüchtern ein.

Er sah still auf die Zigarren. »Ich bin Detektiv«, sagte er leise. »Ich errate, was in den Zigarren drin ist. Danke . . . «

»Sie – Sie haben es satt?« fragte ich. Ich sah ihn näher an. Der Mann sah müde aus – sein Haar war schon gelichtet und sein Anzug ein klein wenig abgeschabt und blank. Gingen die Geschäfte nicht mehr?

»In Madagaskar war ich und in Wilmersdorf, bei den Eskimos und bei den andern wilden Völkerstämmen. Zum Beispiel beim Film. Lieber Herr, ich bin durch tausend und tausend Filme gezogen – mit einer Lupe in der Hand, einer Reisemütze, die mir stets um zwei Nummern zu groß war, und mit einem Revolver in der rechten hinteren Hosentasche. Ich habe tausendmal den Mund streng zusammengekniffen, ich habe zweitausendmal eine verräterische Spur in einem Aschbecher gefunden, dreitausend Fahrstühle inspiziert, viertausend Irrtümer der Kriminalpolizei nachgewiesen . . . ich mag nicht mehr, hören Sie: ich mag nicht mehr!«

»Woran liegt es?« sagte ich. »Woran liegt es? Sie sind so bekannt!«

»Zunächst habe ich Familie bekommen«, sagte er. »Ich habe mich fortgepflanzt – Nick Carter hat Kinder, jedes Land hat seinen Detektiv. Sie wissen, warum? Das Leben ist so grau, heutzutage – so durchaus berechenbar – die Leute brauchen etwas Romantisches, etwas Unvorhergesehenes, und sei es auch nur in der Phantasie. Da hatten sie mich, mich und die Verbrecher.«

»Und –?«

»Und –! Die Verbrecher sind heute reputierliche Leute geworden, mit Reichsverband, guter Kleidung, anständigem Auftreten –– es ist vorbei. Wir sind nicht mehr beliebt, ich und meine Familie. Ja, es gibt uns noch – zu kleineren Kriminalfällen zieht man uns heran, gewiß – aber es ist nicht mehr das. Das ist es nicht mehr. Es ist vorbei.«

Der große Mann ließ den Kopf sinken, seine Lippen zuckten.

»Herr Holmes«, sagte ich ihm leise. »Glauben Sie an die Seelenwanderung?«

»Gewiß – ja. Warum?«

»Weil der Leib sich wandelt, Herr Holmes – Ihr unsterblich Teil wird bestehen bleiben. Gestern war es die Räubergeschichte, mit Jaromir und Rinaldo Rinaldini, dem edeln Räuber – und heute ist es der Detektiv, der große Mann, und der Verbrecher, etwa Herr Philipp Collins (hier zückte Holmes zusammen) – und übermorgen . . . übermorgen wird es etwas andres sein: der Rundfunk, die Fliegerei, es ist immer etwas.«

»Es ist immer etwas . . . « wiederholte er träumerisch.

»Es ist immer etwas«, sagte ich bekräftigend. »Hören Sie:

Die Menschen brauchen Ablenkung, Unterhaltung, Flucht aus dem [167] Leben, das gefahrlose Abenteuer. Verzweifeln Sie nicht. Ein Mensch wie Sie kommt immer unter. Ich werde Sie übermorgen wieder treffen – und Sie werden Ihren Beruf gefunden haben.«

»Es ist alles so anders geworden –« sagte er.

»Menschen wandeln sich nicht«, sagte ich. »Es ist immer dasselbe.«

»Aber es kommen Jüngere, Neue –« sagte er.

»Auch Sie sind einmal gekommen, Herr Holmes«, sagte ich. »Es kommt alles wieder, alles – der Kreis ist so klein . . . «

Er erhob sich erleichtert. »Glauben Sie –?« fragte er, fast getröstet. »Ich weiß es«, sagte ich fest.

Er ging zur Tür, zog ein Taschentuch und schneuzte sich gerührt. »Sie sollten auf Ihre Freundin besser aufpassen«, flüsterte er halblaut. »Neulich hat sie hier recht erregt telefoniert, dabei fast geweint, dann Vor Vergnügen gekreischt, mit den Füßen aufgeschlagen – sie hat sehr niedliche Füßchen – aber, entschuldigen Sie, mit der Treue . . . «

»Auf Wiedersehen, Herr Holmes!« sagte ich. »Alles Gute –!«

Die Truelsen kam herein und sah mit runden, blanken Augen um sich. »Er hat mir ein fremdes Geldpapier gegeben!« sagte sie. »Was soll ich damit tun?«

»Legen Sie es unter Ihre Kommode, wenn sie wackelt, Frau Truelsen!« sagte ich. »Und wenns klingelt: ich bin nicht da, krank, vor kurzem gestorben, ordnungsmäßig verbrannt!«

Gekränkt trollte Frau Truelsen hinaus. Ich für mein Teil verabscheue Besuche.


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