Titel

Die neue Verfassung hat in vorsichtiger Formulierung die Verleihung von Titeln, mit denen kein Amt verbunden ist, untersagt. Nun ist in diesem Lande die Verfassung ein frommer Wunsch, bestimmt für die braven Schulkinder, wie man ihnen früher ja wohl die Bibel mitgab: man liest in beiden und richtet sich nach keinem. Aber das mit den Titeln sollte man doch abschaffen.

Die Titelsucht ist heute in Deutschland genau so groß und so gefährlich, wie sie es im Mittelalter gewesen ist. Der Titel erstickt jeden Widerspruch und erspart dem Titelträger jede Tüchtigkeit. Er steckt sich hinter den Titel, und das Übrige besorgt dann schon die Dummheit derer, die den Titel anstaunen und ihn um des Titels willen, den sie nicht haben, aber gern hätten, beneiden. Es ist nicht besser – es ist schlimmer geworden.

Bei den Sicherheitswehren gibt es fünf verschiedene Arten von Wachtmeistern. Die alte Bevorzugung der Referendare und Assessoren, die sich früher einmal in gesellschaftlichen Bevorzugungen ausdrückte und manchmal noch ausdrückt, hat die Schaffung der Studienreferendare und Bergassessoren und Postreferendare hervorgerufen – und das alles nur, damit eitle junge Leute mit dem herrlichen Titel angeredet werden.

Der Titel soll den Träger immer wieder an seine eigne Herrlichkeit [341] gemahnen. Es wäre nichts gegen ihn einzuwenden, wenn er nur den Angeredeten auszeichnete; er drückt aber bewußt alle die, die ihn nicht haben. Er ist im tiefsten Sinn undemokratisch.

Die Eitelkeit ist aber größer. Sie wird groß gezüchtet von den Behörden. Solange irgendein Regierungsrat, ein Assessor, ein Oberleutnant nur um dieser Titel und Ämter willen von den Exekutiven bevorzugt werden – und sie werden es stündlich –: so lange ist auf keine Besserung zu hoffen. Die flaue Feigheit der Koalitionsregierung waltet auch hier oh –: man traut sich nicht, dem Deutschen sein geliebtes Palladium zu entreißen und einen jeden so anzureden, wie er nun mal heißt. Namen können eine Ehrung sein – Titel nie.

Universitätsprofessor ist ein Beruf, keine Anrede. Sanitätsrat ist nur eine Anrede und kein Beruf. Korvettenkapitän sei keines von beiden.

Der Wahnsinn greift munter um sich. Die Königlich Preußische Republik verleiht heute noch die alten monarchistischen Titel weiter – damals hatten sie einen Sinn, nämlich für das Herrscherhaus, das mit dem Köder auf die menschliche Schwäche der Eitelkeit das mangelnde Gehalt zu verbessern trachtete. Ohne diesen Titelkram würden all diese Kreisdiätare und Bergwerkassessorensubstitute und Generalsupernumerarpraktikanten ihren Dienst kaum verrichten können . . .

Gott gab den Menschen die Verstopfung und zugleich die heilsame Tamarinde. Und er gab ihnen eine Beschäftigung und zugleich den Titel.

Es geht glatter vonstatten.


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek