Aus großer Zeit
Die Psychose-Welle der Jahre 1914 bis 1918 hat die erschreckendsten Wirkungen auf die schreibenden Zeitgenossen hervorgebracht. Die gradezu unglaubliche Leichtfertigkeit, mit der die Gebildeten Deutschlands fast sämtlich die Heeresberichte aus Papier für bare Münze [244] nahmen, hatte das Bild des Normaldeutschen völlig gewandelt: die gewohnte philologische Sorgfalt und die wenigstens von den anständigen Historikern stets angestrebte Objektivität war einer Verblendung gewichen, die sich am ehesten noch mit dem Seelenzustand durchgehender Pferde vergleichen läßt. Was in diesen Jahren von den ordentlichen Professoren jener Universitäten, die den Schlächtermeistern Ehrendoktorate verliehen, angerichtet worden ist, geht auf keine Kuhhaut. Sie tobten alle mit: Theologen, die die Schlachttiere segneten; Mediziner, die gar nicht genug Löcher zum Verbinden bekommen konnten; Philosophen, die nachwiesen, daß es immer schon so gewesen sei; und Juristen, die die Rechtsansprüche halb unzurechnungsfähiger Einbrecher mit dem ganzen corpus juris belegten. Daß die Tagesschreiber nur noch mit roten Farbbändern auf ihren Schreibmaschinen tippten, versteht sich von selbst. Nichts schlägt so hart wie eine Reklamiertenfaust.
Aus diesem Tohuwabohu sei eine kleine Auswahl erlaubt, die dartun soll, auf welche Stimmen Deutschland einmal gehört hat. Sie ist durchaus nicht voll besetzt. Unmöglich, auch nur den tausendsten Teil eines Irrsinns zu kompilieren, dem ein ganzes Volk in jenen Jahren verfallen war. Da sich, nach Schopenhauer, der Charakter eines Menschen niemals ändert, so ist lustig genug, zu sehen, wer heute noch – nach solchen Aussprüchen – gelesen wird, Ansehen genießt, Tantiemen bezieht.
Der feinsinnige Lyriker
Rudolf Presber
Der Prophet
Gustav Hochstetter, 1915
Appelschnut
. . . Und folgerichtig ist dieses Italien kein ehrenhafter Gegner wie andre, gegen die man Krieg führt; es ist eine heimtückische Bestie, die ihrem Wohltäter in die freigebige Hand beißt . . . Die rechtlichen Folgen dieses Feldzuges werden die einer Strafexpedition [245] sein, man wird mit Italien keinen Friedensvertrag schließen, und niemand wird mit Italien jemals wieder Verträge schließen – sondern man wird über Ephialtes die Strafe des Verräters verhängen.
Otto Ernst, 1915
Der Mann mit dem Anstandsgefühl
Ein Volk, dessen gesammelte Kraft heute – wie oft zuvor – dem Seeraub, dem Diebstahl von Privateigentum und der Vergewaltigung am Krieg unbeteiligter Neutraler dient, kann kaum Männer von Ehrsinn und Anstandsgefühl haben! Nein! kein Engländer ist fair. Jeder kam als Grapscher und Täuscher auf die Welt.
Otto v. Gottberg
Ein Eisener
. . . folgende sittliche Grundgedanken: Wir wären wahrhaftig keine Räuber, die sich gar noch entschuldigen müßten, wenn wir unsres Reiches Land mehrten. Nicht rachsüchtige Vergeltung würde uns leiten, obgleich wir dazu volles Recht hätten . . . Wir tragen die Verantwortung, künftigen Friedensbruch an die denkbar schwersten Bedingungen zu binden . . . Ist hierzu Landerwerb nötig, so nehmen wir es mit einem reinen, guten Gewissen.
Gottfried Traub, 1915
Woher kommt Versailles?
Geht alle fort, die ihr von der Kultur unsrer Feinde redet, die ihr davon sprecht, daß man später ihre Gefühle schonen müßte und auf ihre Empfindungen Rücksicht nehmen soll.
Gottfried Traub, 1917
Der Mensch ist gut
Rudolf Herzog, 1916
Gasangriff
»Dieu et mon droit«, das war die stolze Devise, unter der damals Albions Söhne für Recht und Freiheit stritten – das heutige offizielle [246] England aber sollte sie schleunigst aus seinem Wappenschild streichen und durch den zeitgemäßen Wahlspruch ersetzen: »Feige und lumpig!«
H. v. d. Wense
Blutiges Überbrettl
(Aus einer Weihnachtsrede an seine Kompanie): . . . daß uns Deutschen die hohe Aufgabe zugefallen sei, auch die Weihnachtsverheißung des Christentums zur Wahrheit zu machen: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und wir legen uns das so aus: nur der Friede, den wir Deutschen der Welt und unsern Widersachern aufzwingen, kann ein dauernder sein, nur ein Sieg deutschen Geistes kann den Völkern ein Wohlgefallen verbürgen.
Ernst von Wolzogen, 1915
Der Ethnograph
Der Kern des französischen Volkes ist noch immer jenes ibero-keltische Galliertum, das in seiner ganzen Minderwertigkeit schon von Caesar erkannt ist . . . Dies Volk ist nur noch ein Ballast für die Weltgeschichte.
Fritz Bley
Hohe Ziele
Achim Stoltenberg
Aus dem Kaffeesatz
Es wird eben der Friede erst kommen, wenn die Zeit erfüllet ist. Diese Zeit ist erfüllet, wenn die Feinde um Frieden bitten und sich unterlegen bekennen. Bis dahin geht der Krieg.
Gottfried Traub, 1917
Die Klausel
Und falls es uns glückt, England niederzuzwingen, dann meine ich, wir sollten in den Friedensvertrag eine Klausel setzen, wonach William Shakespeare auch formell an Deutschland abzutreten ist.
Ludwig Fulda, 1916
[247] Reklamiert läßt grüßen!
Gustav Hochstetter, 1915
Die Sorgen des lieben Gottes
Arthur Dinter, 1917
Les affaires c'est l'argent des autres
Der Kampf wird geführt zwischen Roheit und Gesittung, zwischen Unbildung und Bildung, zwischen gemeinster Geldgier und einer Lebensauffassung, in welcher Goldeswert nur dient und an sich gar kein Ansehen genießt . . . Es handelt sich in neuer Form um den alten Kampf zwischen Tag und Nacht, zwischen Ormuzd und Ahriman, für den Christus den Ausdruck geprägt hat: »Ihr könnt nicht Gott samt dem Mammon dienen.«
H. S. Chamberlain, 1915
Das Reine
[248]Ludwig Ganghofer, 1914
Der Christ
Menschen verbluten, Menschen sterben. Aber die Zeit ist so, daß man sich freuen muß, weil es Feinde waren.
Ludwig Ganghofer, 1915
Das Unbegreifliche
Wer deutsch fühlt und denkt, kann von einem Franzosen, selbst wenn er sich die Mühe gäbe, uns kennen zu lernen, nie verstanden werden; und den an Hysterie grenzenden Nationalstolz und Nationalhaß der Franzosen werden wir nie begreifen.
Paul Oskar Höcker, 1917