641. Noord-inn.

Es war einmal ein Schiffer, der hatte sein Schiff verloren. Traurig ging er am Strande hin und gedachte seines Verlustes und überlegte, ob er es wagen dürfe, mit dem Reste seines Vermögens sich ein neues Schiff anzuschaffen. Da begegnete ihm ein kleiner schwarzer Hund, der sprach ihm Mut ein und sagte: »Lasse dir getrost ein neues Schiff bauen; aber wenn es abgenommen werden soll, so will ich mitgehen, und jedes Stück Holz, an das ich pisse, muß weggeschafft werden.« Der Schiffer faßte Vertrauen und ließ ein neues Schiff aufsetzen, und als es fertig war und abgenommen werden sollte, erschien auch der Hund wieder, und jedes Stück Holz, das er anpißte, wurde ausgeschossen und mußte durch anderes ersetzt werden. Dann wurde das Schiff vom Stapel gelassen, und der Schiffer nannte es Noord-inn (nach Norden).

Als der Schiffer seine erste Reise antrat und in See stach, ging der Hund auch mit an Bord und sagte dem Schiffer, er solle den Kurs immer nach Norden halten. Der Schiffer glaubte dem Hunde abermals, und Noord-inn fuhr Noord-inn. Als sie eine lange Zeit gefahren waren, kamen sie an ein fremdes Land. Da sprach der Hund zum Schiffer: »Steige aus und gehe zur Stadt. Auf dem Wege wird dir eine Frau begegnen, die wird gar zärtlich mit dir tun. Du aber darfst nichts sagen, sondern wehre sie schweigend ab, und wenn du dir anders nicht helfen kannst, so magst du sie toten.« Der Schiffer ging an Land, und es geschah alles so, wie ihm der Hund gesagt hatte, und er mußte die Frau töten, weil er sich ihrer anders nicht erwehren konnte. Ebenso erging es am zweiten und am dritten Tage, und jedesmal mußte der Schiffer die Frau, die ihm entgegen kam, töten. Als aber [512] der Kapitän am dritten Tage wieder zu seinem Schiffe kam, war der Hund verschwunden, und statt seiner fand er einen schönen jungen Mann, denn der Hund war ein verwünschter Prinz gewesen, der jetzt erlöst worden. Und die ihn verwünscht hatten, das waren die drei Frauen gewesen, die eine des Prinzen Stiefmutter und die beiden andern seine Schwestern. Der Prinz ging nun mit dem Schiffer nach der Stadt, das war die Hauptstadt des Reiches, über welches sein Vater als König regierte. Hier wurden sie mit großen Freuden aufgenommen, und der König hatte über den wiedergefundenen Sohn bald Frau und Töchter vergessen. Als der Schiffer endlich wieder nach Hause zurückkehren wollte, wurde er reichlich beschenkt entlassen. Der Prinz aber gab ihm noch einen Rat und sprach: »Wenn du nach Hause gekommen bist, so lege dein Schiff an Wall und lasse es vermodern, denn bei der ersten Reise, die noch damit gemacht wird, muß es zu Grunde gehen.«

Der Schiffer fuhr heim und befolgte den Rat. Er legte das Schiff an Wall und wollte es vermodern lassen. Auch hatte er durch des Königs Freigebigkeit sein Leben lang genug für sich und die Seinen. Den Steuermann aber dauerte es, daß das schöne Schiff so vermodern solle; er kaufte es und stach damit in See. Eine Zeit lang ging die Reise gut, und der Steuermann, der jetzt Kapitän war, meinte schon, mit der Warnung des Prinzen sei es nichts. Aber als er mitten auf die hohe See kam, da tauchten drei Frauengestalten aus dem Wasser auf und zogen das Schiff mit Mann und Maus in den Abgrund. Das waren die drei Frauen, die den Prinzen verwünscht gehabt, und die der frühere Kapitän getötet hatte. (Saterland. Nachträge saterl. Märchen und Schwänke siehe bei Bröring, Saterland, II. 135 ff.)

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