Die guten Kinder.

In einer großen Handelsstadt lebte einst ein Kaufmann, den jedermann für den Reichsten in der Stadt hielt; denn seine Geschäfte waren groß und weit ausgedehnt, und er und seine Familie lebten auf eine glänzende Weise, das heißt, sie bewohnten ein schönes Haus, das mit dem schönsten Hausgeräthe und Meubeln reich versehen war, hielten eine prachtvolle Equipage und eine offne Tafel für jeden noch so entfernten Bekannten; die vielen Abendzirkel nicht zu gedenken, die wöchentlich mehrere Male bei ihnen nicht fehlen durften. Aber durch diesen unmäßigen Aufwand und durch Unglücksfälle, die den Kaufmann treffen können, kam es dahin, daß der Bankerott ausbrach (daß Schulden da waren und das Vermögen fort war). Die Gläubiger drangen auf Befriedigung; so ward also das Haus mit [100] allen den schönen Sachen die es enthielt, und die herrliche Equipage weggenommen und verkauft. Der Kaufmann ward aus Kummer und Verdruß krank und starb, und seine Wittwe zog mit ihren Kindern in ein kleines Landstädtchen, das nicht viel besser als ein Dorf war. Weil alle Lebensmittel, die Hausmiethe und das Holz, in demselben in geringem Preise standen, wählte sie den Ort zu ihrem Aufenthalt, in der Hoffnung, hier mit ihren Kindern von ihrer kleinen Einnahme leben zu können. Die gute Frau verstand aber gar nichts von der Haushaltung, weil sie sich, von Jugend auf im Ueberflusse erzogen, nie um die Küche noch sonst etwas bekümmert hatte. Eine Magd konnte sie nicht halten, sie selbst konnte nicht kochen, und so ward sie durch die schlecht bereiteten Nahrungsmittel bald kränklich und mußte fast immer das Bette hüten. Die älteste Tochter, Lisette, hätte nun, da sie schon das dreizehnte Jahr zurückgelegt hatte, sich bemühen sollen, durch Fleiß und Thätigkeit ihrer Mutter das Leben zu erleichtern; aber leider war auch sie schon zu verwöhnt und weichlich. Ihre traurige Lage, die so auffallend von der vorigen Lebensweise abstach, machte sie übellaunicht und verdrüßlich. Sie vergoß unnütze Thränen, statt alle ihre Kräfte anzustrengen, sich die Last der Armuth und der Dürftigkeit [101] zu erleichtern. Eben so machte es Karl, der älteste Sohn, der in der Stadt geblieben war, um die Handlung im Hause eines Verwandten zu erlernen. An ein unmäßiges Taschengeld gewöhnt, das er vernaschte und vertändelte, konnte er sich gar nicht darin finden, jetzt nur eine geringe Kleinigkeit zu seinem Vergnügen zu erhalten und nicht, wie ehemals, mit jedem Monate ein neues Kleidungsstück zu bekommen. Er bestürmte seine ohnehin schon leidende Mutter mit klagenvollen Briefen, und war unverschämt genug, ihr noch mehr Geld abdringen zu wollen, als sie ihm mit der größten Noth schicken konnte. Gottlieb, der kaum zehn Jahre zählte, und die neunjährige Emilie, waren anfänglich auch über diese Veränderungen betroffen, doch ergaben sie sich bald in ihr Schicksal. An ihrem kleinen Hause war ein Gärtchen befindlich, welches sie auch anbauen durften, das aber den ersten Sommer unbenutzt blieb, weil Niemand ihn anzubauen von ihnen verstand. Gottlieb sahe seine kleinen Schulkameraden in ihren Gärten beschäftigt, und hörte sie berechnen, wie viel Kartoffeln und Kraut und Gemüse sie bauen könnten, und sogleich beschloß er das Gärtchen umzugraben, und darin auch zu säen und zu pflanzen, und Emilie stand ihm in diesen kleinen Geschäften bei. Sie goßen und jäteten [102] fleißig, und waren entzückt alles so wohl gedeihen zu sehen. Aber, sprach Emilie, ich muß nun auch das Kochen lernen, um selbst unser Gemüse zubereiten zu können. Gesagt, gethan. Das flinke Mädchen lief zu ihren kleinen Freundinnen, die auch schon ihren Müttern hülfreiche Hand leisteten, und gab genau Achtung, wie sie es machten; dann sparte sie ihre kleine Baarschaft, die sie durch den Verkauf einiger selbst gezognen Blumen, die sie bei Gelegenheit den in die Stadt gehenden Leuten mitgab, vergrößerte, und kaufte sich ein Kochbuch. Da sie sich Mühe gab alles ordentlich zu machen und keine Speise zu versalzen oder anbrennen zu lassen, so konnte die Mutter nun auch mit Appetit essen und ihre Gesundheit besserte sich. Der Fleiß und die Thätigkeit ihrer jüngern Kinder, ersetzte ihr den Schmerz über das Betragen der beiden ältern und sie bereute es nun bitter, diese durch eine weichliche, träge Lebensweise verzärtelt und zu unnützen Geschöpfen erzogen zu haben. Wenn Emilie im Winter schon an ihrem Spinnrocken saß, und Gottlieb bei seinen Büchern, dehnte sich Lisette noch im Bette und stand verdrüßlich und zänkisch erst lange nachher auf. Gottlieb, den jedermann im Städtchen gut war, unterrichtete nach seinen Schulstunden jüngere Kinder und sammelte das [103] Geld das er dafür empfing, sorgfältig, so daß er, als er sein achtzehntes Jahr erreicht hatte, sich getraute ein ganzes Jahr von seiner kleinen Baarschaft auf der Universität leben zu können. Er ging also nun aus dem Hause der Mutter in eine benachbarte Stadt, um seine Studien anzufangen und gab auch dort Stunden in mancherlei Wissenschaften, so daß er von dem Wenigen, das die Mutter ihm von Zeit zu Zeit senden konnte, und von dem Ertrage seines Fleißes einige Jahre hindurch studierte. Er hatte die Arzneikunde gewählt, bestand wohl bei der Prüfung, und trat nun als ausübender Arzt in seiner Vaterstadt auf. Seine Geschicklichkeit und der Eifer mit dem er seine Kunst übte, brachten es bald dahin, daß die Kranken sich mit Vertrauen ihm überließen, seine Einnahme ward täglich größer und in kurzer Zeit hatte er das unaussprechliche Vergnügen seine geliebte Mutter und Familie zu sich nehmen zu können. Lisette war schon früher, um nur in der Stadt leben zu können, als Kammerjungfer in den Dienst einer Dame getreten, den sie bald mit einen andern vertauschte, und, unzufrieden wie sie es war, wechselte sie unaufhörlich die Plätze, so daß endlich Niemand sie mehr aufnahm und ohne die Güte ihres Bruders wäre sie zuletzt verhungert. Dem ältern Bruder [104] ging es nicht viel besser. Er ward nie glücklich, weil er immer die Gegenwart mit der Vergangenheit verglich und immer den Verlust des elterlichen Vermögens bedauerte. Gottlieb und Emilie aber lebten zufrieden und glücklich. Beide heiratheten, und beide bemühten sich ihre Kinder von den frühesten Lebensjahren an, zum Fleiß, zur Ordnungsliebe und Sparsamkeit zu gewöhnen und ihre Körper abzuhärten. Oft glauben Kinder die so erzogen werden, wenn sie damit die weichliche bequeme Lebensweise ihrer Gespielen vergleichen, diese wären glücklicher als sie; wenn sie aber älter werden und also auch verständiger, danken sie ihren Eltern dafür, daß sie ihnen eine zweckmäßige Erziehung (das heißt eine solche durch welche sie zu gesunden, thätigen und geschickten Menschen gebildet wurden) gaben, und bereuen es nie, sich schon früh in der Kunst geübt zu haben, manches entbehren zu können, ohne sich deshalb un glücklich zu fühlen.

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