Das Schloß im Wald.
(Oberfranken: Ebersbach b. Neunkirchen a. Br., B.-A. Forchheim.)
Es war einmal ein Müller, der hatte drei Töchter, die mußten ihm die Kühe auf der Weide hüten der Reihe nach, am ersten Tag die älteste, dann die zweite, am dritten die jüngste. Es war aber gerade um die Zeit ein dürrer Sommer und die Tiere fanden kein Gras. Da trug sichs zu, daß plötzlich eine schwarze Kuh aus der Herde entwich. Die älteste Tochter aber merkte es und ging ihr nach, tief, tief in den Wald hinein. Der Weg wurde immer schmäler, bald umgab sie dichtes Gebüsch und so kam am Abend das Mädchen schließlich an ein Gartentor, hinter dem ein hellerleuchtetes Schlößchen hervorschimmerte. Draußen auf dem Rasen tat sich die Kuh gütlich, indes die Hirtin voll Neugierde eintrat und die Bodenstiege hinaufeilte. Es waren lauter feine Stuben. In einer derselben war ein Tisch gut gedeckt mit den allerfeinsten Speisen und Weinen. Das ließ sie aber alles stehen und sah sich noch weiter um. Schließlich fiel ihr auch im Zimmer auf, daß darinnen drei feine aufgerichtete Betten standen. Da mußte sie an ihr schlechtes eigenes Lager zuhaus denken und kurz entschlossen nahm sie das fremde auf ihre Schultern. Wie zufällig sah sie durchs Fenster, da merkte sie, daß es höchste Zeit sei, aus dem wunderbaren Hause zu gehen, denn eben marschierte die Kuh satt zum Tore hinaus. Sie lief ihr nach und gelangte, ihr immer folgend, wieder glücklich heim.
Das schöne Bett erregte den stillen Neid der anderen Schwestern, die des gleichen Glücks teilhaftig werden wollten. Als nun die zweite Tochter an die Reihe kam und die Kuh abermals entlief, ging auch diese dem Tiere nach und fand das gleiche vor. Wo das alte Bett gewesen, stand ein neues. Da eilte sie wieder mit der Kuh nachhause und kam glücklich mit ihrem Bett daheim an.
Nun ließ sich aber das jüngste Mädchen auch nicht mehr halten. Es war erst sechzehn Jahre alt, der Vater hatte es besonders lieb und wollte es nicht fortlassen. Der Müller fürchtete für seine Jüngste, nachdem die beiden anderen glücklich zurückgekehrt waren. Er versprach ein gleich schönes Bett zu kaufen und ihr zu schenken. Aber sie war nicht [42] zu überreden: »Ihr habt schon oft so gesagt«, sprach sie und entlief. Der Kuh nach, kam auch die dritte aus Schloß und ließ sich's drinnen gut schmecken. Lange saß sie am Tisch, dann suchte sie das neue Bett. Sie huckelte es auf und sah hinaus zum Fenster. Doch sie mußte sich wohl verspätet haben: die Kuh war weit und breit nicht mehr zu erblicken.
Was nun tun? Allein konnte sie den weiten Weg durch den finstern (finstern dunklen) Wald nicht finden. So trug sie denn gefaßt das Bett wieder an den alten Ort und legte sich in Gottes Namen in dasselbe hinein. Als sie hörte, daß es zum Gebet läute, sprach sie andächtig ihr Gebet dazu. Dann lag sie lange ohne einschlafen zu können.
Mit einem Male öffnete sich die Tür. Ein Totenkopf sprang herein, der aß und trank von den Speisen und hüpfte zum Schlusse zum Mädchen ins Bett. Voller Schreck drückte es sich an die Wände. (»Da täten wir uns auch fürchten und so a jungs Madla – ka ma sich denken!«) Schließlich aber wandelte sich der garstige Schädel bei ihr in einen jungen Menschen. Der war nicht übel anzusehen, sah ganz gesund aus und hatte frische, rote Wangen. Er erzählte ihr, er sei ein Räuberhauptmann und mit ihm wohnten noch vierzig Gesellen in dem Schlosse, das seien seine Leute.
Bald war das Mädchen eingesperrt und lag gefangen hinter sieben verschlossenen Türen, an deren jede ein Schloß vorgehängt wurde. Da weinte das arme Ding in seinem Elend den ganzen Tag vor sich hin. Doch die alte Frau, die der Gefangenen immer die Suppe zu bringen hatte, faßte Mitleid mit ihr und versprach ihr, sie fortzulassen; aber nicht auf dem gewöhnlichen Wege solle sie gehen, sonst sei es um sie beide geschehen.
Schleunig entfloh das Mädchen und erreichte im Walde einen Heuwagen. Es bat inständig den Bauern, der den Wagen führte, es doch im Heu zu bergen. Aber der war nicht gewillt, sich der Gefahr auszusetzen: »Nein, wenn dann die Räuber kommen, laden sie mir mein ganzes Heu ab und dann wird's zu spät, um noch in die Stadt zu kommen!« Voller Angst lief die Entflohene tiefer in den Wald, wo sie einen Backtroghändler mit seinem Wagen traf. Der ließ sie nun unter den untersten Backtrog kriechen. Kaum war dies aber in Ordnung gebracht, da kamen auch schon die Räuber daher, die schon lange auf der Suche nach dem Flüchtling waren. Der Mann aber antwortete keck auf ihre Fragen. Er habe nichts gesehen, obgleich er schon so lange durch den Wald fahre. Da griffen die Gesellen zu und begannen Trog für Trog abzuladen. Wie sie nun halb fertig waren, rief einer, dem's zu lang dauerte, ungeduldig aus: »Laßt doch lieber den armen Mann weiterfahren, sonst hat er die viele Arbeit nur, bis er alles wieder hübsch oben hat!« Das ließen auch die anderen gelten und halfen sogar dem Mann beim Wiederaufladen. Der aber fuhr dann im Galopp davon und hielt erst bei jener Mühle, die dem Vater des Mädchens zu eigen war.
Er rief nun den Müller herbei und bot ihm seine Waren an. Die Müllersleute aber waren untröstlich über das Ausbleiben des Mädchens, darum auch wenig geneigt, ihm abzukaufen. Dann aber ließen sich jene [43] doch herbei, sich die Sachen anzusehen und der Händler setzte bedächtig einen Trog nach dem andern zu Boden und schmunzelnd auch noch den letzten. Schließlich stand das Mädchen da, frisch und gesund. Was das für eine große Freude auf beiden Seiten war, kann man sich denken. Auch der Händler fuhr vergnügt davon, der unterste Backtrog war ihm gar gut bezahlt worden.
Allein die Räuber gaben sich damit nicht zufrieden. An einem Sonntag Morgen, wo die anderen in die Kirche waren und die Jüngste allein zuhause war und die Suppe bereitete, kam der Hauptmann allein und suchte die verschlossene Türe zu erbrechen. Kurz entschlossen griff sie zu einer Hacke und hieb damit dem Andringenden so wuchtig über den Kopf, daß er in seinem Schmerz entfloh.
Nach einiger Zeit kam er aber wieder. Er war prächtig gekleidet als ein Fürst und hielt beim Müller um die Hand seiner schönen Tochter an. Den Vater, der ihn nicht kannte, bestach das schöne Gewand, so daß er zusagte, doch wolle er auch das Mädchen selbst noch fragen. Das war indes kaum zur Tür hereingetreten, als sie im Gesichte des jungen Mannes die Schramme erblickte, die der Hieb, den sie ihm neulich beigebracht, hinterlassen. So wiedererkannt, mußte er schnell wieder fort, daß ihn nicht die Rache des Müllers und seiner Leute ereilte.
Da er allein nichts ausrichtete, kam der Hauptmann mit den vierzig Räubern zugleich vor die Mühle. Es war wieder ein Sonntag früh und das Mädchen allein zuhause. Sie suchten nun alle Türen zu sprengen. Von der Küche führte aber ein gedeckter Gang zum Stall. Dorthin eilte das Mädchen, raffte schleunig Stroh zusammen, band es überm Knie, zündete es an und steckte den Stall in Brand. Noch ehe die Räuber hierher kamen, wurde die Flamme gesehen. Der Pfarrer machte die Kirche eher aus. Alles eilte herzu. Die Räuber wurden gefangen und dann hingerichtet.
Nun war alles froh, von den schlimmen Gesellen erlöst zu sein. Am meisten freuten sich aber doch die Müllersleute. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch!
Die Märchen-Erzählung erzählte ein Mann aus Ebersbach b. Neukirchen a. Br. in Erlangen 1898. Nach seiner Aussage stammt sie aus Muggendorf (O.-Fr.). Aufgeschrieben und mitgeteilt durch Herrn Dr. Heerwagen, Bibliothekar am Germanischen Museum in Nürnberg. Von der Erzählung wurde »nichts hinzugesetzt und nichts davon weggelassen;« gleichzeitige Aufschreibung. (Urschrift.)