[127] An meine Lina
Schön ist's, unter blüthenvollen Zweigen
Blasse Sterne langsam schwinden sehn,
Wenn die blauen glänzenden Gebirge
In der Glorie des Tages stehn;
Schön ist's hier, wo im Platanen-Schatten
Ernst und Ruh' am stillen Ufer winkt.
Schön ist's dort, wo hinter'm grünen Hügel
Malerisch die Sonne untersinkt;
Schön ist's, wenn der Lenz im Veilchenkranze
Ueber goldgelockte Fluren schwebt,
Wenn in lauer Nächte dunklen Schatten
Lunens Glanz auf hohen Tannen bebt;
Schön ist's, wenn des Maies Silberklocke
Zwischen grünen Blättern duftend blüht,
Schön ist's, wenn die frisch bethaute Rose
In dem Morgengold der Sonne glüht;
[128]
Aber schöner sind die Eichenwälder,
Wo ich einst mit meiner Lina ging,
Wo das Abendlied der Nachtigallen
An geweih'ter Grotte uns empfing;
Wo der Waldstrom über Sand und Kiesel
In die Silberfluthen niedersank,
Wo so manches liebes blaue Blümchen
Thränen unsrer Schwesterliebe trank;
Wo ich Arm in Arm mit Dir im Grünen
Unter'm Schatten hoher Eichen sas,
Und des nahen bangen Trennungstages
Im Gefühle meines Glücks vergaß.
Wie auf Wetterwolken sank er nieder
Jener dunkle folgenschwere Tag,
Wo ich sprachlos mit zerrißnem Herzen
Dir zum leztenmal am Busen lag.
Ach! mein Schutzgeist floh die Jammerszene,
Er, den mir ein Gott zum Führer gab,
[129]Traurend rief er: »ewiges Erbarmen,
Gieb der Armen bald ein stilles Grab!«
Und die goldne Hoffnung rief mir leise:
»Fasse dich! du wirst sie wieder sehn,
An der Ostsee friedlichen Gestaden
Wirst du deine Lina wiedersehn!«