Neapel
Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns hereingebracht. Nun machte ich in drei Minuten[454] meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirtshaus auf Montoliveto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb, denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bei einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, daß ich sehr viel zu Fuße herumlief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot, einige Karlin mehr als gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben.
Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröte auf nach Pozzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde gleich beim Eingange in Beschlag genommen. Ich ließ mir gern gefallen, mich in dem Meerbusen von Bajä herumzurudern und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus anderen Büchern, ich will Dich also mit ihrer Beschreibung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomierte, wir würden deswegen in unsern Konjekturen nicht weiterkommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Caligula machen soll, weiß ich nicht; die Meinung der Antiquare, daß es ein Molo gewesen sein soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch dreizehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Pozzuoli nach Bajä ist nicht so groß, daß es einem Menschen wie das Stiefelchen nicht hätte einfallen können, so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts nach dem Monte Nuovo zu vielleicht noch etwas tiefer; der Lukriner [455] See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bilden, der Umweg war also etwas größer als jetzt. Zum Molo für Pozzuoli scheinen mir die Trümmer weder Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sei es, wie man wolle! Ich stieg bei dem Lukriner See aus, der durch die Erdrevolution sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser als ein großer Teich. Wir gingen, vermutlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beiden Seen, der Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Eingang hin und sah rechts gegenüber den alten Tempel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie dieser Tempel bei der Erhebung des neuen Berges stehen blieb, die doch ohne große Erschütterung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte. Man kann nichts Romaneskeres haben als den kleinen Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das Sakrarium steigt. Vermutlich hat Virgil seine Erzählung an diesem Orte gearbeitet, denn das Facilis descensus Averni scheint wörtlich hier weggenommen zu sein. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich voll Wasser war. Hier mußte ich mich auf den Rücken meines Führers setzen und hinüberreiten. Rechts und links fand ich jenseits einen langen Katalog von Neugierigen aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die Karthager so [456] brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem Wildfremden in dieser Höhle herumzuschleichen, mein Freund, macht doch etwas unheimisch.
Ein Schauerchen fuhr mir beim Fackelschein
Im Heiligtum durch das Gebein;
Das Wasser ging mir in der Höhle
Des Mütterchens bis an die Seele.
Mir ward so ernst und feierlich,
Und voll von Eifersucht setzt' ich mich
An einem dreifach dunkeln Flecke
Auf einen Stein in einer Ecke.
Mein Führer ließ mir eben etwas Zeit
Mit seiner Stromgelehrsamkeit
Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit.
Da hab' ich denn in aller Stille
Die alte kumische Sibylle
Für Dich und mich um Rat gefragt;
Sie hat mir aber – nichts gesagt.
Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,
Und glaube, sie hat wohlgetan.
Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: »Era questa Sibilla gran puttana; ed era questo qui un gabinetto segreto, dove fece-« Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin sogleich eine gemeine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, daß aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein anderer nach Cumä gegangen sei, wo die Hexe ein zweites Heiligtum hatte. Das ist sehr leicht möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige [457] große Gang, der nach dem Avernus führt und also nach Cumä offen und nach dem Lucriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er sehr leicht wieder geöffnet werden. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten veranlaßt; aber vermutlich von hohem Alter. Die Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft war auch nicht leer von Geflügel, so daß der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens ist.
Nun wandelte ich an den Meerbusen hinunter und sah die ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, daß ich nicht imstande war hinunterzusteigen? Ich hatte mich ausgezogen und versuchte es zweimal. Der Dampf trieb mir aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts ging, einen so entsetzlichen Schweiß aus, daß ich umkehrte. Ich ließ den Kerl allein seine Eier kochen. Meine vornehmen Landsleute, die unten gewesen sein sollen, müssen den Schwitzkasten besser vertragen können als ich; das Experiment war mir zu heiß. Ob die alten Gebäude, die am Strande hin stehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä, und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwei Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören, wem es will. Die Arbeit ist gut, und die Wandverzierungen sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Draht oder Ring gegangen zu sein [458] schien. Der Himmel mag wissen, ob es alt ist, oder wie es sonst dahin gekommen sein mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippina umgekommen sein soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmer gezeigt. Baulä ist jetzt ein kleines, armseliges Dörfchen. Was die Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse des Nero mögen gewesen sein, darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römischen Censoren von der schlechtesten Sorte waren, zu Kerkern sollen gebraucht worden sein. Sie sind gräßlich, und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen, wie denn alles Grausame bei den Römern schrecklicher und scheußlicher war als bei den Griechen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und bis hinab an die Elysäischen Felder und das Tote Meer sind schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen Felsen dieses Namens schließt. Gegenüber liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man erzählte, daß die Engländer im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich, es muß aus den Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen sein. Im Vorbeigehen darf ich Dir noch sagen, daß ich neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Rezension von Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine und die nämliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man doch in den Propyläen nicht antreffen sollte!
Ich ließ mich von Misene gern über den Meerbusen [459] hinüber nach Pozzuoli rudern, wo ich zwar etwas spät, aber mit desto besserem Appetit eine herrliche Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten berühmt, aber überall, wohin man blickt, findet man nur Trümmer, Zerstörungen der Zeit, der Barbarei und der Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schändlichsten Despotie zu vernichten und nur die Reize der Natur übrigzulassen. Der neue Berg wird jetzt ziemlich bearbeitet und gibt guten Wein, wie man sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der Falerner Berg gestanden und sei in verschiedenen Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser sein soll als der echte Falerner bei Sessa auf der andern Seite des Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich weiß nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Capri sieht von hier und noch mehr von der Spitze des Posilippo und bei Nisida aus wie der Kopf eines ungeheuren Krokodils, das seinen Rachen nach Sorrent dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, sooft ich dahin sah, und sie gibt der Tiberiade einen abscheulichen Stempel.
Der Weg von Pozzuoli nach Neapel zurück geht durch ein üppig reiches Tal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du, denn Du fährst wie ein Erdgeist gerade durch den Berg hin. Dies ist die berühmte Grotte. Vermutlich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den man tief hineinarbeitete. Man konnte dabei leicht auf den Gedanken[460] kommen, durchzugehen und so einen gerade Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner als von Pozzuoli, und wenn man bei einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung hinaussieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muß das Werk nicht unternommen worden sein; denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon gezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behältnis eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich einer Polizeiwache anweisen würde. Aber hier gibt man es der Heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus die Gegend unsicher machen!
Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muß ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur einigermaßen promenieren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich über Salerno in einigen Tagen allein hinunter nach Pästum zu gehen, aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas bedenklich gewesen sein. Überdies drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji unerträglich, meine Fußsohlen hatten durch langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich ließ mich also in Terre del Greco, wo jetzt der beste Wein wächst, überreden, eine Karriole zu nehmen. Eine der schönsten Partien vielleicht in ganz Italien ist der Weg von Pompeji nach Salerno, vorzüglich um Cava herum. Ohne mich um die Altertümer zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da war, ob ich gleich nicht leugnen kann, daß Fleiß und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätten machen können.
[461] In Salerno, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die Nacht bleiben und den folgenden Morgen weiterfahren. Ich wandelte also in der Stadt herum, und bald faßte mich ein Geistlicher bei der Krause, der mir alle Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke gearbeitet, ließe sich wirklich auch in Rom noch sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. Man führte mich in das Adyton der Krypte des Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand die statua biformis des Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bei dieser Gelegenheit wurden mir denn alle Wunder erzählt, die der Apostel zum Heile der Stadt gegen die Sarazenen getan hatte. Es läßt sich wohl begreifen, wie das zuging, und wie irgendein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, daß die Ungläubigen abziehen mußten. Und nach der alten Rechtsregel, quod quis per alium – kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu amalgamieren, die Plattköpfe haben es gar nicht nötig, die nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrunde der Krypte stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich vergessen habe, deren Blut aber noch beständig fließt. Ich hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und von allen [462] Seiten in den schönsten Beleuchtungen zeigte; er drückte mir stillschweigend die Hand, als ich fortging. Nun brachte man mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne Kreuzigung weder gemalt, noch gehauen, noch gegossen, sondern ins Holz gewachsen war. Mit Hilfe einiger Phantasie konnte man wohl so etwas heraus- oder vielmehr hineinbringen, und die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten sich, daß ich doch gar nichts aufschriebe wie an dere Reisende, und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beidem eine große Lüge. Als ich wegging, bat sich mein Hauptführer, der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich; sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das gab ich auch. Schadet niemand und hilft wohl! Man muß die Gläubigen stärken, lautet das Schibboleth, das Goethens Reinecke der Fuchs von seiner Mutter bekommt. Dann bat er sich auch etwas für seine Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und zog noch zwei Karlin hervor. Als ich sie hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal nannte, und von dem ich ebensowenig wußte, wie er zur Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, daß der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte mir ins linke, das Mönchsgesicht sei ein Gauner und lebe vom Betruge; ich antwortete beiden ganz leise, daß ich das nämliche glaube und es wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.
[463]Mein Freund, Du suches in Salerne
Den Menschensinn umsonst mit der Laterne
Denn, zeigt er sich auch nur von Ferne,
So eilen Kutten und Kapuzen,
Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,
Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.
Da löscht man des Verstandes Zunder,
Und mischt mit Pfaffenwitz des Widersinnes Plunder,
Zum Trost der Schurkerei, zum Wunder.
Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt
Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,
Kniet hin und betet, geht und meuchelt,
Gewiß, Vergebung seiner Sünden
Beim nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.
Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muß es Dir nur gestehen, daß ich den Artikel von der Vergebung der Sünden für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat erfinden können. Es ist der schlimmste Anthropomorphismus, den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke, daß Sünde vergeben werde. Jeder wird wohl mit allen seinen bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihn seine Natur führt. Eine mißverstandene Humanität hat den Irrtum zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt, und nun wickeln sich die Theologen so fein als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt in Ewigkeit gefehlt; es läßt sich keine einzelne Tat aus der Kette der Dinge herausreißen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft [464] soll sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff von Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich davon zu überzeugen! Soll vielleicht dieser Trost großen Bösewichtern zustatten kommen? Alle Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu Beichte täglich schlechter, weggeworfener und niederträchtiger werden, diese sollen zum Heile der Menschheit verzweifeln. Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der Bösewichter ist Wohltat für die Welt, sie ist das Opfer, das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern, sich nicht vernünftig beruhigen kann! Die Vergebung der Sünden kann ich nicht begreifen, sie ist ein Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im größten Umfange und Unfuge regiert. Kein rechtlicher Mann ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.
Hier in Salerno erhielt ich einen neuen Führer, der mir sehr problematisch aussah. Er machte mich darauf aufmerksam, daß ich bei ihm außerordentlich sicher sei, weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannte grüßte, und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nicht geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, mich dahin wieder zurückliefern, weiter hätte ich ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab und blieben die Nacht an der Straße in einem einzelnen Wirtshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der Landstraße nach Eboli und Calabrien trennt. Diese Landstraße geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig [465] Millien; dann fängt sie an, sizilianisch zu werden, und ist nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich wohl zu wollen, meine Seele ward lebendiger als gewöhnlich.
Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen
Mir links und rechts in einem Zauberchor
Den Vorgeschmack des Himmels vor,
Und laue, leise Weste trugen
Mich im Genuß für Aug' und Ohr
Durch Gras wie Korn, und Korn wie Rohr.
Balsamisch schickte jede Blume
Mir üppig ihren Wohlgeruch,
Der Göttin um uns her zum Ruhme,
Aus Florens großem Heiligtume;
Und rund umher las ich das schöne Buch
Der Schöpfung; jauchzend, Spruch vor Spruch.
Die goldnen Hesperiden schwollen
Am Wege hin in freundlicher Magie,
Und Mandeln, Wein und Feigen quollen
Am Lebensstrahl des Segensvollen
In stillversteckter Eurhythmie,
Und Klee, wie Wald, begrenzte sie.
Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,
Und fühlte schon voraus die Wonne,
Mit Pästums Rosen in der Hand,
An eines Tempels hohen Stufen,
Wo Maro einst begeistert stand,
Die Muse Maros anzurufen.
Die Tempel stiegen, groß und hehr,
Mir aus der Ferne schon entgegen,
Da ward die Gegend menschenleer
Und öd' und öder um mich her,
Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.
[466]Da stand ich einsam an dem Tore
Und an dem hohen Säulengang,
Wo ehemals dem entzückten Ohre
Ein voller Zug im vollen Chore
Das hohe Lob der Gottheit sang.
Verwüstung herrscht jetzt um die Mauer,
Wo einst die Glücklichen gewohnt,
Und mit geheimem, tiefem Schauer
Sah ich umher und sahe nichts verschont;
Und meine Freude ward nun Trauer.
Umsonst blickt Titan hier so milde,
Umsonst bekrönet er im Jahr
Zweimal mit Ernte die Gefilde –
Du suchst von allem, was einst war,
Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar
Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,
Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,
Um den verschütteten Altar.
Nur hie und da im hohen Grase wallt,
Den Menschensinn noch greller anzustoßen,
Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.
Freund, denke Dir die Seelenlosen!
In Pästum blühen keine Rosen.
Ich gebe Dir zu, daß in diesen Versen wenig Poesie ist; aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. Ich hielt mich hier nur zwei Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher nichts als die drei bekannten großen, alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs, wie ich höre, ein elendes Wirtshaus und noch ein anderes jämmerliches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Hier dachte ich mir Schillers Mädchen aus der Fremde; aber weder die Geberin noch die Gaben waren in dem zerstörten Paradiese. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in [467] Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk mitzubringen; aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore, ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn, aber die Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber geriet ich in hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirt, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wären noch einige dagewesen, aber die Fremden hätten sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, daß die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt gewesen, daß er sie nicht mußte abreißen lassen, daß er nachpflanzen sollte, daß es sein Vorteil sein würde, daß jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; daß ich, zum Beispiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine einzige erhalten könnte. Das Letzte besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern, dazu ist die dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daß man künftig in Pästum wieder Rosen findet, wenigstens will ich hiermit alle bitten, die nämlichen Erinnerungen eindringlich zu wiederholen, bis es fruchtet.
Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister zurückkäme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für gewaltig hohe [468] Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. Man muß sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr, sich einen Bruch zu schreiten. Daß einer von den Tempeln dem Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich nur auf dem Umstand, daß Neptun der vorzüglichste Schutzgott der Stadt war, sowie man eines der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die gewöhnlichen Tempel mit zwei Reihen Säulen übereinander gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Buleuterion gewesen sein? Denn es läßt sich nicht wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. Vielleicht war es auch Buleuterion und Palästra zugleich, unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch als eine Seltenheit einen Stein, der nur vor kurzem gefunden sein muß, weil ich ihn noch von niemand angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die Trümmer der Mauern. Das Tor nach Salerno hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergtor ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beiden übrigen, die man mir als das Seetor und Justiztor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum dieser Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall geraten ist, scheint mir das schlechte Wasser zu sein. Ich versuchte, zweimal zu trinken, und fand beide Male Salzwasser; das Meer ist nicht fern, die Gegend tief, und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das süße Wasser mußte weit und mit vielen Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der schönsten und traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fuße etwas vorausging, lag auf den Ästen eines Feigenbaumes [469] eine Schlange geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannarm, ganz schwarz von Farbe, und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust, ihre Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, daß Virgil atros colubros anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt; diese schien von der Sorte zu sein.
Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit, zwei sehr ungleichartige Herrn von dem neapolitanischen Militär kennenzulernen. Ich wurde einige Millien von Salerno an der Straße angehalten, und ein Offizier nicht mit der besten Physiognomie setzte sich geradezu zu mir in die Karriole, ohne eine Silbe Apologie über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. Ich hörte, daß mein Fuhrmann vorher entschuldigend sagte: »E un signore Inglese.« Das half aber nichts, der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posto gefaßt hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen Rede abgewinnen, seine Grobheit hatte mich aber so verblüfft, daß ich keine Silbe vorbrachte. Vor der Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die doch auch zuweilen systematisch ungezogen ist. Als ich gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein zweiter an: »Sie sind ein Engländer?« – Nein. – »Aber ein Russe?« – Nein. »Doch ein Pole?« Auch nicht. »Was sind Sie denn für ein Landsmann?« Ich bin ein Deutscher. – »Tut nichts; Sie sind ein Fremder und erlauben mir, daß ich Sie etwas begleite.« – »Sehr gern; es wird mir angenehm sein.« Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. »Wenn man Eis dort hat«, war [470] meine Antwort. Das war zu haben, er führte mich, und ich aß tüchtig, in der Voraussetzung, ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu sein. Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirtin, es sei alles schon berichtigt. Das war ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwei Stunden. Er begleitete mich noch in verschiedene Partien der Stadt, besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten über den ganzen Meerbusen von Salerno hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen, artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu erzählen. »Ich bin nicht gesonnen«, sagte ich, »mich in der Fremde in Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offiziers wüßte und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disziplin gutheiße.« Der junge Mann fing nun eine große, lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbei, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. »Dieser Mensch hat vierzig umgebracht«, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. »Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden«; erwiderte ich. – »Doch, doch; für wenigstens die Hälfte könnte der Beweis völlig geführt werden.« Mich überlief ein kalter Schauder. »Und die Regierung?« fragte ich. »Ach Gott, die Regierung«, sagte er ganz leise, – »braucht ihn.« Hier faßte es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört, jetzt sollte ich es sogar sehen.
Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung, aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine größere[471] Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? »Jetzt wird er doch nun hoffentlich seine Strafe bekommen«; sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. »Ach nein«, antwortete er; »jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh kommt er los.« – Wieder ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde! Die Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie waren brav, wie ihr Name sagt; er belohnte sie königlich, gab ihnen Ämter und Ehrenstellen, und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Straßen und in Provinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände dabei genannt.
Ich lief eine Stunde in Pompeji herum und sah, was die andern auch gesehen hatten, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zutage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muß aber bei dem allen prächtig genug gewesen sein, und man kann sich nichts netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist, als ob sie nur vor wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder einen beträchtlichen Teil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen, was ihm am nächsten liegt, und die Regierung schweigt, wahrscheinlich mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, daß die alten, schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht [472] sollten gehabt haben. Vorzüglich waren dabei einige französische Generale, von denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen; bei der Sibylle ist es etwas anders.
Von Salerno aus war ich mit einer Dame aus Caserta und ihrem Vater zurückgefahren. Als diese hörten, daß ich von Portici noch auf den Berg wollte, taten sie den Vorschlag, Partie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mieteten Esel und ritten. Was vorherzusehen war, geschah: die Dame konnte, als wir absteigen mußten, zu Fuße nicht weit fort und blieb zurück, und ich war so ungalant, mich nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an und arbeitete mir nach. Als wir an die Öffnung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinuntergebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und laut, er möchte machen, was er wollte; ich würde hinaufsteigen. »Doch nicht allein?« meinte er. »Ganz allein«, sagte ich, »wenn niemand mit mir geht«; und ich stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist, als auf den Ätna zu gehen, wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetzlich beschwerlich, man sinkt fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und drückend heiß. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weißt, eingestürzt, der Berg dadurch beträchtlich niedriger, und es ist gar keine eigentliche größere Öffnung mehr da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinuntergehen. Die[473] Franzosen, welche es zuerst taten – wenigstens soviel man weiß – haben viele Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der heraufsteigt, steigt hinab in den Schlund, und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den rechten Weg nicht gefaßt, weil ich eine andere kleine Öffnung untersuchen wollte, aus welcher noch etwas Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch ganz hinuntergestiegen. Gefahr kann weiter nicht dabei sein als die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist fast die nämliche wie bei den Kamaldulensern; ich würde aber jene noch vorziehen, obgleich diese größer ist. Nur die Stadt und die ganze Partie vom Posilippo diesseits der Grotte hat man hier besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Sorrent einige Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter; es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. Ich hatte schon Durst, als die Reise aufwärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges, liebliches Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge ein großes, volles Gefäß. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser; und wenn ich länger hier blieb, ich glaube fast, ich würde den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In einem großen Sommerhause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Tränen Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber als hier die köstlichen Tränen, und die Hebe [474] des ersten wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweiten.
Es war schon ziemlich dunkel, als wir in Portici ankamen, und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich unglücklich. Jetzt war es zu spät, es zu sehen. Das erstemal war es nicht offen, und ich sah bloß das Schloß und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum wegnimmt, nichts Merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum, die Statuen selbst sind in der Lava zusammengeschmolzen. Soviel ich von den Köpfen urteilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine ganze Stunde herumgewandelt und habe den Ort gesehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort, wo die bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel schwerer zu graben als in Pompeji, denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche, hier steht die Stadt darauf; denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine Kirche. Die Dame von Caserta gab mir beim Abschied am Toledo ihre Adresse; ich hatte aber nicht Zeit, mich weiter um sie zu bekümmern.
Obgleich der Vesuv gegen den Ätna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er doch durch seine klassische Nachbarschaft vielleicht ein größeres Interesse als irgendein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte genießen[475] können. Ich setzte mich im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne, blühende, magische Land. Die wichtigsten Szenen der Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt geriet ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.
Vom Schedel des Verderbers sieht
Mein Auge weit hinab durch Flächen,
Auf welchen er in Feuerbächen
Verwüstend sich durch das Gebiet
Der reichgeschmückten Schöpfung zieht.
Wo steht der Nachbar ohne Grausen,
Wenn zur Zerstörung angefacht
Aus seinem Schlund der Mitternacht
Ihm hoch die Eingeweide brausen?
Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,
Und sie im Streit der Elemente,
Als ob des Erdballs Asche brennte,
Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?
Der Riese macht mit seinem Hauche
Die schönste Hesperidenflur
Zur dürrsten Wüste der Natur,
Wenn er aus seinem Flammenbauche
Mit roter Glut und schwarzem Rauche
Die Brandung durch die Wolken hebt,
Und meilenweit was Leben trinket,
Wo die Zerstörung niedersinket,
In eine Lavanacht begräbt.
Parthenope und Pausilype bebt,
Wenn tief in des Verwüsters Adern
Die Feuerfluten furchtbar hadern;
Und was im Meer und an der Sonne lebt,
Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,
Sich vor dem Zorn des Tötenden zu decken.
Es kocht am Meere links und rechts,
[476]Bis nach Sorrent und bis zu Bajas Tannen
Wo er die Bäder des Tyrannen
Aus der Verwandtschaft des Geschlechts,
Indem er weit umher verheerte,
Mit seinem tiefsten Feuer nähret.
Die Täler schnell zu Felsenhöhen,
Und rauschend zeigen seine Bahn,
Soweit die schärfsten Augen gehen,
Die Inseln in dem Ozean.
Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet,
Daß er nicht einst in allgemeiner Wut
Noch fürchterlich mit seiner Flut
Den ganzen Golf zusammenschüttet?
Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,
Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde,
Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde,
Mit seinen Lavaschichten füllt?
Hier brach schon oft aus seinem Herde
Herauf, hinab des Todes Flammenmeer,
Und machte siedend rund umher
Das Land zum größten Grab der Erde.
Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug, es zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Ätna gegeben hat. Der Vesus kräuselt zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein Schlag und sein Verschütten sind von schlimmer Vorbedeutung. Der Ätna war auch verschüttet, ehe er Catanien überströmte, und in dem Krater des Vesuvs waren zuweilen große Bäume gewachsen. Bei seinem künftigen Ausbruche dürfte die Gegend von Portici, eben da, wo oben der heilige Januar steht, um den Feind abzuhalten, [477] am meisten der Gefahr ausgesetzt sein; denn dort ist, nach dem äußern Anschein, jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben, als man den heiligen Flammenbändiger eben hierher setzte.
Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, daß er sich auf seine eigenen Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiß seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Nationen, sowie überhaupt die Italiener. Was ich hier und da Schlimmes sagen muß, betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr metamorphosiert, und ich würde sie kaum wiedererkannt haben. Du weißt, daß ich die Schulmeisterei in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt; aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav werden sie immer bleiben, das ist im Charakter der Nation; aber Paul hätte das Gute behalten und das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daß sie Linie und besser den Schwenkpunkt hielten und fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen anderen Bocksbeuteleien abgeschafft hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz possierlicher Unbehilflichkeit. Potemkin hatte freilich wohl manches getan, was nichts wert war; aber diese Ordonnanz bei der Armee war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Übrigens werden hier die russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beispiele vom [478] Gegenteil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen, denn man läßt im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.
Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemißhandelt und von den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig, daß er nicht des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr auf seine Kosten gehoben, und es wird in diesem sogar durch Manifeste vom Hofe gehuldigt. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich vonstatten gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabei gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde erzählte mir von den furchtbaren Ängstigungen einiger jungen Weiber und ihrer heißen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen, ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine Unbefugnisse genommen hat?