[141] Einem mißmüthigen Freunde
Χαιρειν μετα χαιροντων, και κλαιειν μετα κλαιοντων.
Paul.
Sohn des Kummers, komm in meine Arme,
Einer deiner Brüder ruft dir zu;
Und vielleicht hast du von deinem Harme
Und von deinem Schmerz ein Stündchen Ruh.
Ziehet Mißmuth deine Seele nieder
Über Menschenleiden ohne Zahl?
Wühlt in dir, für alle deine Brüder
Und für dich, ein Wurm mit tiefer Qual?
Dank sey dir für jede heiße Thräne;
Aber mäßige den langen Gram!
Minder schrecklich wies der Tod die Zähne,
Wo der Muth ihm kühn entgegen kam.
[142]Es ist wahr, es klagen tausend Stimmen
Hier, und tausend dort, von Pol zu Pol;
Und in tausendfachen Gruppen krümmen
Laut sich Wehmuth, und Verzweiflung hohl.
Von der Königshalle bis zum Kerker
Ist die allgemeine Losung Leid;
In dem Strohdach und im goldnen Erker;
Dort in Lumpen, hier im Feyerkleid.
Friede wohnt nicht unter Diademen,
Sagt das alte große Buch der Welt;
Oft umstürzt sie Fluth in Riesenströmen,
Daß vom Felsen selbst die Krone fällt.
Die Kabale lauscht, wie in der Nische
An dem jungen Stamm die Schlange schleift,
Um den Hof, bis sie mit Giftgezische
Ihren Raub zum schnellen Tod' ergreift.
Hier zerstört mit einem Federstriche
Ein Despot die halbe Nation,
Und durchgräbt mit einem Sporenstiche
Kühn das Recht von einem fremden Thron.
[143]Dort besieht ein Volk das große Siegel
An dem allergnädigsten Mandat,
Seufzt und füttert traurig seine Igel
Die des Landes Fett erzogen hat.
Dort zertrümmert es mit einem Mahle
Tyranney und Ordnung und Gericht,
Wüthet, raubet, mordet, führt zum Pfahle
Jeden der dem Unsinn widerspricht.
Fürst und Volk sind wechselsweise Henker,
Stürzen wechselsweise, wie der Sturm:
Einsam schauernd steht der stille Denker,
Fürchtet jetzt den Strick, wie einst den Thurm.
Grimmig glotzt mit Basiliskenblicken,
Gähnt mit Tiegerschlünden fromme Wuth,
Um den sichern Ketzer zu berücken,
Welcher wenig glaubt und vieles thut.
Gierig lauert in dem Friedenskleide
Seelentyranney auf jedes Wort,
Und den Mann im Kittel und in Seide
Schleppen keichend ihre Sbirren fort;
[144]Hin zur Folter, wo man ihre Knochen,
Ihre Sehnen wie mit Geyern nagt,
Bis die Adern voll des Todes kochen,
Und selbst Muth der Märtyrer verzagt.
Ja, dort führt man von dem heißen Strande
Schwarze Völker fort in Sclaverey,
Und ein Weiser, selbst aus unserm Lande,
1Lehrt abscheulich, daß es billig sey;
Daß man schwarzen Müttern ihre Knaben
Von der Brust ans Felsenufer wirft,
Bis die Räuber aus der Wildniß traben,
Und des Tiegers Zahn die Kleinen schlürft;
Daß man ihre wutherfüllten Väter
Höllenklug in schwere Ketten schließt,
Und wie längst verdammte Missethäter
Auf die kleinste Wendung niederschießt;
Daß man ihnen, als dem Schaum der Erde,
Kaum noch Luft gibt schwanger von der Pest,
Daß man schlimmer als die schlechtste Herde,
Wie Insectenbrut, sie faulen läßt;
[145]Daß der Überrest am Eisenjoche
Für die Schwelgerey Europens zieht,
Von der Marter zu dem Ruheloche,
Und aus diesem zu der Marter flieht;
Daß er in der Hälfte seines Lebens,
Fern von Brüdern, Freunden, Vaterland,
Blickend über See, nach Trost, vergebens,
Stirbt von seines weisen Geislers Hand.
Sohn des Kummers, komm in meine Arme,
Zieh das schreckliche Gemählde zu;
Nähre nicht dein Herz mit tiefem Harme;
Folge mir, vielleicht gewähr' ich Ruh.
Aber nein, du mußt die Krankheit kennen,
Ehe dir der Arzt sein Mittel reicht;
Mußt es fühlen, wie die Schmerzen brennen,
Wie der Wurm am Puls des Lebens schleicht.
Ha, wer zählet alle die Gestalten
Unsers Elends, unsers Jammers auf,
Von der Krücke des gebückten Alten
Bis herab zum ersten Gängellauf?
[146]Hier schlingt hungrig eine kleine Gruppe
Sich dem Kummervater um das Knie,
Und er gibt die letzte schwarze Suppe,
Geht und ringt die Hände über sie;
Blickt verzweifelnd, halb auf seine Knaben,
Halb um Trost empor zu Gottes Licht:
Herr, du fütterst ja die jungen Raben:
Und ein Rabenvater bin ich nicht.
Dort liegt, gleich dem dorrenden Skelette,
Der Ernährer eines jungen Schwarms,
Und mit Todeskampf steht an dem Bette
Die Gefährtinn seines ganzen Harms.
Vaterangst fällt schwer ihm bey dem Scheiden
Auf das gute freudenleere Herz,
Und von allen seinen großen Leiden
Drückt mit Zentnerlast nur dieser Schmerz,
Daß der Mangel schon mit bloßen Zähnen
Seine armen Kleinen niederzieht;
Und er fühlt den Tod bey ihren Thränen,
Ringet, bethet und sein Geist entflieht.
[147]Hier zerfrißt das Gift die Eisensehnen,
Und der Jüngling, der mit Riesenkraft
Gestern da stand, sinkt mit Todesstöhnen
Heute schon von des Verderbers Schaft.
Dort schleicht langsam lange, lange Jahre,
Mit des Todes Schriftzug im Gesicht,
Sich der Dulder keichend zu der Bahre,
Bis des Lebens letzte Schale bricht.
Pesten fressen, Räuberkriege würgen,
Hunderttausende verschlingt die Kluft
Unsrer Erde selbst, und aus Gebirgen
Wälzt Verderben heulend durch die Luft.
Aufgewühlt aus seinem Eingeweide
Stürzt das Meer mit Grausen seine Fluth,
Daß ein Land mit Stadt und Flur und Heide
Schnell im Grunde neuer Seen ruht.
Wer durchzählt die zahlenlosen Leiden,
Welche Schwachheit oder Bosheit schafft?
Die Zerstörungen so vieler Freuden
Durch die Riesenwuth der Leidenschaft?
[148]Hungrig sitzt der Geitz bey vollen Kasten,
Zittert vor des Uhus Leichenflug;
Und sein Leben ist ein langes Fasten,
Seine Rechnung Reihen Selbstbetrug.
Mit der Freude pöbelhafter Seelen
Hängt er thierisch über seinem Gott,
Und die Gläubiger der Erben stehlen
Schon voraus, und zahlen ihm mit Spott.
Der Verschwender wirft mit vollen Händen
Ohne Sinn sein Gut Betrügern aus,
Und die Ernte von den Narrenspenden
Ist Verachtung in dem leeren Haus.
In der hohen Gluth der Wollust kochen
Heiße Schwelger, bis das Unglück reift,
Und das Feuer Ader, Seh'n und Knochen
Und des Lebens letzten Gang ergreift.
Wilder Zorn durchglühet die Gehirne
Und der Rachsucht tiegrische Begier,
Und der Mann mit Weisheit auf der Stirne
Sinkt auf ganze Stunden bis zum Thier.
[149]Freund, und wolltst du in die Penetralen
Unsers aufgehäuften Elends gehn,
Und die Unglücksbrüder ohne Zahlen
In Bicetre und in Bedlam sehn;
Wie in hundert lang gereihten Zimmern,
Unschuld neben Bosheit hingelegt,
Gruppen gräßlich lachen, Gruppen wimmern,
Daß der Puls dir durch die Haare schlägt:
Guter, lieber, sanfter Freund, wie würde
Sich dein Herz, fast Fremdling in der Welt,
Gegen alles Jammers ganze Bürde
Stemmen, wenn sie dir entgegen fällt?
Menschenfreund, sey stark; laß deine Augen,
Sohn des Kummers, gib mir deine Hand,
Nicht das Gift für deine Ruhe saugen;
Taumle nicht an des Verderbens Rand.
Laß nicht deine Kraft zusammen schmelzen,
Laß dich nicht, gleich einem Haus auf Sand,
Von der Fluth der Leiden nieder wälzen,
Nieder wälzen ohne Widerstand.
[150]Oft ists Krankheit in gelinden Krisen,
Welche der Natur die Heilung schafft;
Und in den verjüngten Adern fließen
Volle Ströme neuer Lebenkraft.
Jener Sturm, der deinen Lieblingsbäumen
Ihre schönsten vollsten Äste nahm,
Heilte Seuchen in den ersten Keimen,
Eh ihr giftger Hauch uns näher kam.
Jenes schwarze fürchterliche Wetter,
Das dir deine Saaten niederschlug,
War ein Bothe, der von Gott, dem Retter,
Einem ganzen Volke Segen trug.
Daß die Flamme nicht Provinzen breche,
Nicht ein Land im Sturm zu Grunde geh,
Rollen die Vulkane Feuerbäche
Aus dem tiefen Krater in die Höh.
Daß die Schlafsucht nicht ein Volk ergreife,
Blitzt von fern des wachen Feindes Schwert;
Und die Männerkraft gedeiht zur Reife
In der Krieger Schaar für Haus und Herd.
[151]Den Genuß des Lebens zu erhöhen,
Schärft oft Leiden die Empfänglichkeit;
Heller lernen wir das Gute sehen,
Wenn das Herz sich nach dem Kummer freut.
Richte nicht auf einer kleinen Stanze,
Von den Millionen kaum ein Stück;
Überschaue ganz das große Ganze;
Kannst du nicht, so senke deinen Blick;
Senke deinen Blick aus dem Gewimmel
Demuthsvoll zu Boden, Freund, und sprich:
Herr, du wägst die Sonnen durch die Himmel,
Und ich Milbe wags und richte dich!
Miß nicht alles, Freund, mit deinem Maße;
Die Empfindung tönet tausendfach;
Und der alte Bettler auf der Straße
Ruft dir fröhlich: Gott vergelt' euch! nach.
Und der Krieger, der im Blute ringet,
Und durch Blut dem Feldherrn Ruhm erwirbt,
Horchet, wenn des Siegs Posaune klinget,
Hebt die Hand, ruft Vivat hoch! und stirbt.
[152]Sein Gefährte singt für kleine Gaben,
Schwer zerstümmelt, noch sein Lied mit Stolz,
Und erzählt für schwarzes Brot den Knaben,
Und beweist mit seinem Bein von Holz.
Merke, daß des Kummers manche Stunde
Einer alten Thorheit Folge sey;
Und unheilbar bleibet diese Wunde,
Denn der Schöpfer schuf die Menschen frey;
Mußte, wenn sie Gutes wirken sollten,
Frey sie schaffen von des Treibers Zwang,
Oder ihre Thätigkeiten rollten,
Ohne Sinn für sie, den Rädergang.
Bleibt dir unauflösbar mancher Knoten,
Unerklärbar mancher schwere Schlag;
Lebe gut, und höre bey den Todten
Die Erörterung am Löhnungstag.
Diese wird die Widersprüche lösen,
Die hier Menschenwitz zusammen schlingt;
Glück den Guten, lange Zucht den Bösen,
Wie hier jeder seine Zahlung dingt.
[153]Sollten dort noch Biederseelen schmachten,
Welche hier die Willkühr nieder schlug,
Dort Tyrannen noch sich Opfer schlachten;
Dann erst wäre alles nur Betrug:
Wäre Gott, Gedanke, Welt und Leben
Nur ein Hirndunst von Atomenstaub;
Alles nur des Zufalls Spinneweben,
Mehr nicht werth, als faules Schierlingslaub.
Freund, erhebe dich in jene Ferne,
Wo die Hand der Allmacht Welten säet,
Wo ein Wirbel zahlenloser Sterne
Sich harmonisch durch die Sphären dreht.
Hat der Schöpfer nicht der Kolonieen
Noch sehr viele für uns Menschen dort,
Um die Neugebornen zu erziehen,
Jeden an dem ihm gemeßnen Ort?
Freund, sey weise; lege nicht dem Himmel
Jedes deiner Leiden stracks zur Last,
Das in leidenschaftlichem Getümmel
Du dir oft allein geschaffen hast.
[154]Aber, was er dir bescheidet, trage
Rüstig mit den Kräften, die er gab:
Sorge nicht; der Lenker hält die Wage,
Schließet einst gewiß die Rechnung ab.
Auch auf Erden führt schon oft der Faden
Aus dem Dornenlabyrinth ins Feld,
Wo der Mensch, der schweren Last entladen,
Ruhig noch am Abend Ernte hält.
Freund, du kennst mich, wie mir einst der Mangel
Meine besten Knabenjahre nahm,
Wie ich, gleich dem Fisch, der seidnen Angel
Und des Köders Lockung kaum entkam.
Segen ihm,
2 der da mit sanfter Stimme,
Wie ein Schutzgeist, mir die Hände gab:
Gehe, Knabe, jenen Berg erklimme!
Dieses ist der Weg! Hier ist ein Stab!
Aufwärts blickt' ich, klimmte fort, und irrte;
Irrte weiter, und mein Stab zerbrach;
Seitwärts trug es mich, und dumpfig schwirrte
Mir des Mitleids langes Echo nach.
[155]Stürme schlugen mich an fremde Küsten,
Wo mir Hunger oft zur Seite schlich;
Einsam ging ich tief in Quebeks Wüsten,
Wo der Tod mir um den Schedel strich.
Vor mir brüllten laut Neufundlands Wogen,
Bären hinter mir am Felsenhang;
Rechts und links an dem Gestade zogen
Sich Ergastel mit Despotenzwang.
So verblühte mir die Rosenjugend;
Außer mir der Elemente Sturm;
In mir Zweifel über Gott und Tugend,
Wie am Blumenstock ein giftger Wurm:
Um mich her Kohorten feiler Schurken,
Deren Seelen nicht der kleinste Gran
Großmuth würzte, die mit Schlangenlurken
Ein Komplott in jeder Miene sahn.
Meinen Füßen drückten Sclaveneisen
Tiefe, blutig wunde Zeichen ein,
Weil ichs wagte, Bande zu zerreißen,
Wagte Mensch und freyer Mann zu seyn.
[156]Sieh, ich bin es, trotz den schweren Ketten,
Die man einst mir um die Knochen wand:
Selbst die Zwangherrn suchten mich zu retten,
Menschlichkeit war selbst in ihrer Hand.
Freund, erhebe dich; laß deine Bürde
Deinen Muth nicht ganz zu Boden ziehn;
Sinke nicht von deines Wesens Würde:
Kräfte hat der Himmel dir verliehn.
Furcht zerstöret deine Kraft im Streite,
Unerschrockenheit macht doppelt stark:
Jene ruft den Tod dir an die Seite,
Diese stählet mächtig Sehn' und Mark.
Willst du deines Lebens Lenz verwimmern,
Nur durch Trauerflor die Erde sehn?
Dir durch Gram das Paradies verkümmern,
Und bey Festen wie ein Kranker stehn?
Hast du nicht erfreut schon manchen Abend
Nach des Donners abgekühlter Gluth,
Dich am Strahl der goldnen Sonne labend,
Unter deinen Bäumen ausgeruht?
[157]Lieber Mißgestimmter, stimme lauter
In den Hochgesang der Schöpfung ein;
Und dein Geist wird nach und nach vertrauter
Mit dem Haushalt seines Vaters seyn.
Gottes Weisheit fassen keine Schranken,
Wo dein kurzes schwaches Auge bricht;
Nimm zu Welten Welten in Gedanken,
Und du findest ihre Größe nicht.
Du bist Mann und Christ; wenn Dunkelheiten
Ohne Aussicht dich umschließen, sprich:
Vater, du läßt meinen Fuß nicht gleiten;
Ruhig wall' ich, du beschirmest mich.
Winde dich empor aus deinem Kummer
In den Arm auf, der dein Bildner ist,
Der die Sonnen schlug aus ihrem Schlummer
Und dem Feuerwurm sein Fünkchen mißt.