[220] Parentation

Dem Könige Stanislaus Augustus Poniatowsky. 1


Plectuntur Achivi.


Wer bauet uns die richtige Bussole
Für die Geschichten dieser Zeit?
Der Gallier spricht von dem Kapitole,
Und an der Newa stirbt der Pohle,
Nachdem der König sich entweiht,
Dem Despotie nur noch den Mantel leiht.
Der König starb, verkündiget im Fluge
Das tausendzüngige Gerücht.
Das Monstrum nährt sich oft nur von Betruge,
Verkündigt das Gerücht mit Fuge,
Der König starb? Es ist Gedicht!
Wie konnt' er das? Der König lebte nicht.
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Er hört nur auf zu essen und zu trinken,
Und winkt nicht mehr dem Kämmerling,
Der biegsam schnell auf das erlauchte Winken
Den Sclaven, die zu Boden sinken,
Das Frühstück zu befehlen ging:
Wer so nur lebt, der ist ein todtes Ding.
Steig an den Sarg des königlichen Todten,
Durch ihn gefallne Nation,
Und rufe laut und in den grellsten Noten,
Da wo man einst dich feilgebothen,
Ein heiliges Threnodion
Um seine Gruft, und stirb am letzten Ton.
Er trug sein Bild, es war an ihm das Beste,
Einst durch des Welttheils Mummerey.
Seht, sein Gesicht trägt noch die Überreste!
Er war der Schönste bey dem Feste;
Und in Versaillens Feerey
Kam kein Narziß ihm, dem Sarmaten, bey.
Sie kannt' ihn schnell in seiner ganzen Stärke,
Die ihn mit einem Blick durchsah,
Und nahm ihn fest zu ihrem Augenmerke,
Macht' ihn zum Hauptstück ihrer Werke,
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Semiramis Ruthenia:
Sie winkte nur, so stand der König da.
Das Heilkraut stirbt in einem Wald von Lolche;
Unglückliches, zerstörtes Reich!
Zerrüttung grub an euerm Thron, wie Molche,
Und fern und nahe blitzten Dolche,
Sogleich bereit zum Stoß nach euch.
Die Newa rauscht, stracks wird das Wahlfeld bleich.
Ihr zittertet in Ohnmacht, ihr Despoten,
Und stießt verbißne Wuth in Sand;
Ihr bücktet euch, wie euch sich die Heloten,
Wenn ihnen Stock und Geißel drohten;
Der Sclave hat kein Vaterland:
So schwurt ihr Treu in des Adonis Hand.
Der Nachbar sah, was er euch aufgedrungen:
Er that mit Klugheit, was er that.
Ihr kochtet Grimm, daß ihm der Streich gelungen;
Doch Zwietracht zischte von den Zungen,
Und Eigennutz saß in dem Rath,
So nah ihr auch des Landes Parze saht.
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Hätt' euch nur jetzt noch Einigkeit verbunden!
Selbst der entartete Piast
Hätt' aus der Nacht, die euer Haupt umwunden,
Vielleicht den Faden noch gefunden!
Allein nur hassend und gehaßt
Sank alles schnell im Druck der Riesenlast.
Der König sprach in schönen leeren Reden,
Und Nepotismus war sein Schwert:
Und Pöbelgeitz und Schwindel spornte jeden,
Den Geist der Nation zu tödten,
Den man so lange schon entehrt.
Ein solches Volk war dieses Königs werth.
Hätt' ihn die Treu des Dieners nicht gerettet!
Die Hand des Schicksals hätte doch
Noch ein Mahl euch vielleicht noch losgekettet
Mit seinem Tode, und ihr hättet,
Sarmaten, euer fremdes Jochs
Vom kühnen Hals gestürzt und lebtet noch.
Das Glück schützt' ihn zum Unglück seines Landes:
Und fester zog mit neuer Schmach,
Als wäre man zertrümmerten Verstandes,
Der Knoten des verhaßten Bandes,
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Bis der Orkan mit Schrecken brach:
Und nun ward man, doch bald zum Tode, wach.
Man kaufte die erbärmlichen Magnaten
Mit Schmeicheley und Bändern ein:
Für Mädchen und Batavische Ducaten
Wurd' Ehre, Freund und Land verrathen;
Und mancher gab, ein Sclav zu seyn,
Sein schlechtes Wort für eine Flasche Wein.
Mit Einigkeit, wie selten Fürsten zeigen
Als ständ' es alles im Diplom,
Harpunte man, und alles mußte schweigen.
Wer will Cyklopennacken beugen;
Denn ihre Red' ist Lavastrom!
Man nahm und gab vom Schicksal den Prodrom.
Der König weint. Die Thränen wären Ehre
Hätt' er sie als ein Mann geweint.
Ein König steht nur würdig vor dem Heere,
Und wenn auch Tod die Antwort wäre,
Spricht er nur dort mit seinem Feind,
Was er gerecht und was er menschlich meint.
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Noch ein Mahl fuhr der Feuergeist der Väter
In die erwachte Nation.
Das Volk rief laut durch seine Stellvertreter,
Und zeichnete die Missethäter
Zum nahen längst verdienten Lohn,
Und sprach berauscht dem Zorn der Feinde Hohn.
Noch lächelte die Hoffnung, da der Riese
Mit Stambuls Macht des Todes Spiel
Um Schedel warf, als ob zum Paradiese
Das neue Vaterland sich schließe:
Der Riese stand und Stambul fiel;
Und Pohlen that zu wenig und zu viel.
Noch war es Zeit, die Pflichten zu bezahlen,
Die längst der König schuldig blieb.
Mit welchem Strich soll ich die Scene mahlen,
Als ihn zu den Sardanapalen
Des Vaterlandes Engel schrieb,
Und weinete, daß er ihn von sich trieb?
Der Sybarit hat endlich sich entschlossen,
Und ziehet langsam in das Feld;
Die Frauen, die vor ihm in Thränen flossen,
Ziehn nach und halten den Genossen.
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Zwey Stadien, da steht der Held,
Bis weinend er in ihre Arme fällt.
Er eilt zurück auf seine Flaumenbetten:
Hoch zürnend floh vor ihm der Fluß.
Mag, wer nun will, das Vaterland erretten;
Der König liegt in Weiberketten.
Laut libellierte der Verdruß;
Verachtung war nunmehr sein Morgengruß.
Das Gegentheil von Friederich, dem Brennen,
Straft ihn des Irrthums der Sarmat.
Verbrechen ists, hier deine Manen nennen,
Die sich wie Licht vom Dunkel trennen.
Verzeihe, Geist von Wort und That,
Du sprachst zu viel, als er den Platz betrat. 2
Er war so schön, und drehte Antithesen;
Sein Leben war nur Zeitvertreib.
Es mögen die Gardinenrichter lesen,
Ob er bey Weibern Mann gewesen;
Bey Männern war er immer Weib.
Nun setze dich, Geschichte, hin und schreib!
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Schreib, was er that! Er weinte wie ein Knabe,
Und sollte handeln wie ein Mann;
Der Adler ward des alten Reichs Rabe,
Und sang die Nation zu Grabe,
Die noch im Kampf auf Rettung sann:
So viel hat er, und das durch Nichts, gethan.
Die Nachwelt schreibt den Männern ihre Nahmen.
Sie gibt den Edeln ihren Lohn,
Die noch zuletzt zum heilgen Kampfe kamen,
Faßt gleich ihr Bild kein goldner Rahmen.
Vor ihnen steht Kosciusko Phocion,
Des Vaterlandes letzter Sohn.
Wer ein Mahl sinkt, wird immer tiefer sinken,
Der Königsschatten wandert noch,
Den Bodensatz der Hefen auszutrinken,
Nach seines neuen Herrschers Winken,
Bis an die Werkstatt zu dem Joch,
Wo mancher Knecht sich zum Tyrannen kroch.
Im schönen Wort erstarben schöne Thaten,
Und jeder Keim von Kraft verdarb.
Was half es euch, unglückliche Sarmaten,
Daß er sich in den fremden Staaten
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Den Ruhm der Zungenkunst erwarb?
Jetzt weinet ihr, daß er nicht früher starb.
Hier sehet her, hier liegt euch ein Exempel,
Ihr Yvetoter Königlein!
Ein solcher Schlag entsteht aus solchem Stempel,
Und wie der Gott ist, ist der Tempel:
Nur Wunder macht aus Wasser Wein.
Erst muß der Mann, dann mag der König seyn.
Begleitet ihn zum Styx, ihr seine Scharen,
Die seine Schwachheit umgebracht;
Er soll mit euch, die alle besser waren,
Zu dem Gericht hinüber fahren:
Und Sobiesky's Blick voll Nacht
Bring' ihm den Spruch, den dort der Richter macht.

Fußnoten

1 Bey allen Kennern und unbefangnen Beurtheilern der Geschichte unsrer Tage ist, hoffe ich, dieses Stück durch sich selbst gerechtfertiget: gegen die Übrigen Beweise zu führen würde freylich schwer werden. Ich glaube an einem andern Orte deutlich gezeigt zu haben, daß sich Katharinens ganze politische Laufbahn, seit ihrer Thronbesteigung, an die Wahl Poniatowsky zum König von Pohlen knüpfte; weil aus diesem Schritt alle ihre, oder doch die meisten äußerlichen Verhältnisse, vorzüglich alle Kriege mit der Pforte entsprangen. Niemand wird zweifeln, daß die Kaiserinn ihren Candidaten hinlänglich gekannt habe, da sie ihn mit ihrem Ansehen und ihrer Macht unterstützte. Man muß jeden, und vorzüglich alle öffentliche Personen, nach den Regeln und Pflichten ihrer Verhältnisse beurtheilen, und auf diese Weise müssen wir gestehen, daß Katharina die Zweyte eben so weise, consequent und standhaft als Kaiserinn von Rußland handelte, als Poniatowsky kurzsichtig, unzusammenhängend und kleinmüthig sich als König von Pohlen benahm. Man mag über die Harmonie, in welcher die Politik und die Moral stehen sollten, sagen so viel man will, so wird doch niemand behaupten, daß nicht in der Verwaltung der Rechte einer Nation und der Verwaltung der Rechte einer Dorfgemeine ein großer wesentlicher Unterschied sey. Diesen wesentlichen Unterschied bestimmt schon die einzige Betrachtung, daß alle Mitglieder des Staats und der Gemeinen durch Gesetze und öffentliche Gewalt, durch Zwang in Ordnung erhalten werden; sie haben keine Selbsthülfe als nur in Nothfällen: aber Staaten unter einander haben nichts als Selbsthülfe, und ihre Sicherheit fordert oft, daß sie damit nicht zaudern. Es sollte mir leicht werden, zu beweisen, wenn die Pohlen in einer gewissen Periode, nähmlich kurz vor dem Congreß zu Reichenbach, die Energie gehabt hätten, die sie einige Jahre nachher zu ihrem Untergange zeigten, daß sie vielleicht die nähmliche Rolle in Moskau hätten spielen können, welche die Russen unter Repnin, Kochowsky, Igelstroem und Suwarow in Warschau spielten. Den Moment zu treffen ist überall die Hauptsache; sie hatten ihn verfehlt. Man sieht aus diesem Glaubensbekenntnisse, daß ich den König für die vornehmste Ursache der Vernichtung des Reichs halte. Die Pholen kannten ihn recht gut, die so heftig gegen seine Wahl arbeiteten. »Mein Gott!« sagte einer seiner alten angesehenen Anverwandten, »ich werde doch meinen Vetter kennen! Wenn er der Mann zu unserm König wäre, ich wollte der erste seyn, der ihm huldigte.« Und als dennoch mit Russischen Bajonetten die Sache durchging, sagte eben derselbe: »Nun, ihr werdet bald sehen, was ihr habt.« Bis dahin konnte man, nach den alten Mißbräuchen, dem Kandidaten es vielleicht nicht verdenken, daß er seine Verbindung mit der Kaiserinn benutzte, um seine Absicht zu erreichen. Aber nunmehr war er König von Pohlen, und es fing für ihn ein neues Leben an, wo er selbstständig für sich und sein Vaterland seyn sollte. Die Klientschaft aber, anstatt hier zu endigen, fing nun erst recht an. Es würde hier zu weitläufig seyn, alle Momente aufzuzählen, wo er – nicht als Mann gehandelt hat. Zeigte er sich nicht in einem traurigen Lichte, daß man in Petersburg es zum Vorwande nehmen konnte, zu seinem Schutze Truppen in das Reich zu senden, und sie fast ununterbrochen bis zur Vernichtung dort zu lassen? Konnte er die Herzen der Nation nicht gewinnen, so war er eigentlich nicht ihr König. Er war bekanntlich sehr schön, sehr gelehrt, sehr beredt, sehr wohlthätig, sehr großmüthig; überhaupt ein liebenswürdiger Privatmann. Der König, der bloß Krieger und Eroberer ist, ist eine Geißel der Menschheit, und seiner Nation vorzüglich; der König, der in erforderlichen Fällen durchaus nicht Krieger ist, wird bald ihr sicherer Untergang. Poniatowsky übte den Nepotismus mehr, als irgend ein Römling mit der dreyfachen Tiare; wahrlich keine Maßregel, die gute Meinung und Zuneigung der Familien zu gewinnen, an denen ihm gelegen seyn mußte. Seine Unentschlossenheit vermehrte beständig die Verwirrungen, die in einem Staate, wie Pohlen war, häufig ausbrechen mußten. Was auch Pulawskys und seiner Gefährten Anschlag war, Pohlens Schicksal wäre wahrscheinlich noch aufgehalten worden, wenn er durchgegangen wäre. Das Reich brauchte in den traurigen Conjuncturen einen der muthigsten, entschlossensten und standhaftesten Könige, und zum Unglück war Poniatowsky ganz das Gegentheil. Ein Mann, der seinen Werth und seine Pflichten mächtig genug gefühlt hätte, würde auch damahls, als, wie Pfeffel sagt, Therese, Käthe, Friederich die Federn und die Lanzen wetzten, noch Mittel zur Rettung gefunden haben. Aber der König las den Boethius und ließ die neue Gränze berichtigen. In solchen Fällen ist bloße schöne Bücherphilosophie Vorrath an der Würde und Heiligkeit der Menschheit. Sein letztes Leben ist zu neu, als daß darüber commentirt werden dürfte. Er stellte seinen Neffen, einen jungen Mann, allerdings von großen Hoffnungen, aber doch nur einen jungen Mann, an die Spitze der Armee; aber er selbst entschloß sich nur, als es zu spät war, in Person dahin abzugehen. Wenn er auch kein Held war, so konnte doch schon seine Gegenwart und seine Theilnahme an der Gefahr Helden machen. Mein poetischer Aufsatz enthält keine Tiraden, sondern lautere Geschichte. Endlich wollte er ins Feld gehen, zu einer Zeit, wo man von seiner Gegenwart freylich nicht viel mehr hoffen konner, wenn er auch Hannibals und Skanderbegs Geist vereint gehabt hätte. Er kam bis an die Barrieren von Praga, wo Suwarov zwey Jahre nachher an einem einzigen Morgen das Reich zertrümmerte, und vor den Barrieren fand er einige seiner Damen, die vorgeblich von ihm Abschied nehmen wollten und die ihn, weil er ihnen blaß und bedenklich aussahe, wieder mit sich zurück in den Pallast führten. Hier blieb er, links und rechts unsichtbar von Russen umgeben, bis er nachher nach Grodno ging; und der geringste Verdacht während der Reise hätte auf den leisesten Wink des ihn begleitenden ersten Russischen Officiers in einigen Stunden ein Corps Moskowiten um ihn versammelt. Von nun an war er mehr als in seinem übrigen Leben ganz passiv; und, von seinem Charakter ausgegangen, ist ihm nun wohl weiter nichts zuzurechnen, als seine letzte Reise nach Petersburg, wo er seine Jeremiaden schloß. Der alte kaustische Oborsky vermochte nicht, ihn aus seiner Lethargie zu wecken, und dessen Prophezeihungen wurden in sehr reichlichem Maße und sehr bald erfüllt.

2 Man sehe den Brief Friederichs des Zweyten an den König Stanislaus Poniatowsky, bey dessen Thronbesteigung geschrieben.

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