[220] Parentation
Dem Könige Stanislaus Augustus Poniatowsky. 1
Plectuntur Achivi.
Fußnoten
1 Bey allen Kennern und unbefangnen Beurtheilern der Geschichte unsrer Tage ist, hoffe ich, dieses Stück durch sich selbst gerechtfertiget: gegen die Übrigen Beweise zu führen würde freylich schwer werden. Ich glaube an einem andern Orte deutlich gezeigt zu haben, daß sich Katharinens ganze politische Laufbahn, seit ihrer Thronbesteigung, an die Wahl Poniatowsky zum König von Pohlen knüpfte; weil aus diesem Schritt alle ihre, oder doch die meisten äußerlichen Verhältnisse, vorzüglich alle Kriege mit der Pforte entsprangen. Niemand wird zweifeln, daß die Kaiserinn ihren Candidaten hinlänglich gekannt habe, da sie ihn mit ihrem Ansehen und ihrer Macht unterstützte. Man muß jeden, und vorzüglich alle öffentliche Personen, nach den Regeln und Pflichten ihrer Verhältnisse beurtheilen, und auf diese Weise müssen wir gestehen, daß Katharina die Zweyte eben so weise, consequent und standhaft als Kaiserinn von Rußland handelte, als Poniatowsky kurzsichtig, unzusammenhängend und kleinmüthig sich als König von Pohlen benahm. Man mag über die Harmonie, in welcher die Politik und die Moral stehen sollten, sagen so viel man will, so wird doch niemand behaupten, daß nicht in der Verwaltung der Rechte einer Nation und der Verwaltung der Rechte einer Dorfgemeine ein großer wesentlicher Unterschied sey. Diesen wesentlichen Unterschied bestimmt schon die einzige Betrachtung, daß alle Mitglieder des Staats und der Gemeinen durch Gesetze und öffentliche Gewalt, durch Zwang in Ordnung erhalten werden; sie haben keine Selbsthülfe als nur in Nothfällen: aber Staaten unter einander haben nichts als Selbsthülfe, und ihre Sicherheit fordert oft, daß sie damit nicht zaudern. Es sollte mir leicht werden, zu beweisen, wenn die Pohlen in einer gewissen Periode, nähmlich kurz vor dem Congreß zu Reichenbach, die Energie gehabt hätten, die sie einige Jahre nachher zu ihrem Untergange zeigten, daß sie vielleicht die nähmliche Rolle in Moskau hätten spielen können, welche die Russen unter Repnin, Kochowsky, Igelstroem und Suwarow in Warschau spielten. Den Moment zu treffen ist überall die Hauptsache; sie hatten ihn verfehlt. Man sieht aus diesem Glaubensbekenntnisse, daß ich den König für die vornehmste Ursache der Vernichtung des Reichs halte. Die Pholen kannten ihn recht gut, die so heftig gegen seine Wahl arbeiteten. »Mein Gott!« sagte einer seiner alten angesehenen Anverwandten, »ich werde doch meinen Vetter kennen! Wenn er der Mann zu unserm König wäre, ich wollte der erste seyn, der ihm huldigte.« Und als dennoch mit Russischen Bajonetten die Sache durchging, sagte eben derselbe: »Nun, ihr werdet bald sehen, was ihr habt.« Bis dahin konnte man, nach den alten Mißbräuchen, dem Kandidaten es vielleicht nicht verdenken, daß er seine Verbindung mit der Kaiserinn benutzte, um seine Absicht zu erreichen. Aber nunmehr war er König von Pohlen, und es fing für ihn ein neues Leben an, wo er selbstständig für sich und sein Vaterland seyn sollte. Die Klientschaft aber, anstatt hier zu endigen, fing nun erst recht an. Es würde hier zu weitläufig seyn, alle Momente aufzuzählen, wo er – nicht als Mann gehandelt hat. Zeigte er sich nicht in einem traurigen Lichte, daß man in Petersburg es zum Vorwande nehmen konnte, zu seinem Schutze Truppen in das Reich zu senden, und sie fast ununterbrochen bis zur Vernichtung dort zu lassen? Konnte er die Herzen der Nation nicht gewinnen, so war er eigentlich nicht ihr König. Er war bekanntlich sehr schön, sehr gelehrt, sehr beredt, sehr wohlthätig, sehr großmüthig; überhaupt ein liebenswürdiger Privatmann. Der König, der bloß Krieger und Eroberer ist, ist eine Geißel der Menschheit, und seiner Nation vorzüglich; der König, der in erforderlichen Fällen durchaus nicht Krieger ist, wird bald ihr sicherer Untergang. Poniatowsky übte den Nepotismus mehr, als irgend ein Römling mit der dreyfachen Tiare; wahrlich keine Maßregel, die gute Meinung und Zuneigung der Familien zu gewinnen, an denen ihm gelegen seyn mußte. Seine Unentschlossenheit vermehrte beständig die Verwirrungen, die in einem Staate, wie Pohlen war, häufig ausbrechen mußten. Was auch Pulawskys und seiner Gefährten Anschlag war, Pohlens Schicksal wäre wahrscheinlich noch aufgehalten worden, wenn er durchgegangen wäre. Das Reich brauchte in den traurigen Conjuncturen einen der muthigsten, entschlossensten und standhaftesten Könige, und zum Unglück war Poniatowsky ganz das Gegentheil. Ein Mann, der seinen Werth und seine Pflichten mächtig genug gefühlt hätte, würde auch damahls, als, wie Pfeffel sagt, Therese, Käthe, Friederich die Federn und die Lanzen wetzten, noch Mittel zur Rettung gefunden haben. Aber der König las den Boethius und ließ die neue Gränze berichtigen. In solchen Fällen ist bloße schöne Bücherphilosophie Vorrath an der Würde und Heiligkeit der Menschheit. Sein letztes Leben ist zu neu, als daß darüber commentirt werden dürfte. Er stellte seinen Neffen, einen jungen Mann, allerdings von großen Hoffnungen, aber doch nur einen jungen Mann, an die Spitze der Armee; aber er selbst entschloß sich nur, als es zu spät war, in Person dahin abzugehen. Wenn er auch kein Held war, so konnte doch schon seine Gegenwart und seine Theilnahme an der Gefahr Helden machen. Mein poetischer Aufsatz enthält keine Tiraden, sondern lautere Geschichte. Endlich wollte er ins Feld gehen, zu einer Zeit, wo man von seiner Gegenwart freylich nicht viel mehr hoffen konner, wenn er auch Hannibals und Skanderbegs Geist vereint gehabt hätte. Er kam bis an die Barrieren von Praga, wo Suwarov zwey Jahre nachher an einem einzigen Morgen das Reich zertrümmerte, und vor den Barrieren fand er einige seiner Damen, die vorgeblich von ihm Abschied nehmen wollten und die ihn, weil er ihnen blaß und bedenklich aussahe, wieder mit sich zurück in den Pallast führten. Hier blieb er, links und rechts unsichtbar von Russen umgeben, bis er nachher nach Grodno ging; und der geringste Verdacht während der Reise hätte auf den leisesten Wink des ihn begleitenden ersten Russischen Officiers in einigen Stunden ein Corps Moskowiten um ihn versammelt. Von nun an war er mehr als in seinem übrigen Leben ganz passiv; und, von seinem Charakter ausgegangen, ist ihm nun wohl weiter nichts zuzurechnen, als seine letzte Reise nach Petersburg, wo er seine Jeremiaden schloß. Der alte kaustische Oborsky vermochte nicht, ihn aus seiner Lethargie zu wecken, und dessen Prophezeihungen wurden in sehr reichlichem Maße und sehr bald erfüllt.
2 Man sehe den Brief Friederichs des Zweyten an den König Stanislaus Poniatowsky, bey dessen Thronbesteigung geschrieben.