[178] 15.

»Unser erster Gedanke war natürlich, die Flüchtigen zu verfolgen – von der Furt abzuschneiden; auch waren wir im Begriff, die Order dazu zu geben, als mehrere der Unsrigen, die die Patrontaschen der gefallenen Infanteristen sowie ihre Musketen untersucht, uns von diesem Beschlusse abzustehen vermochten. Unsere Ammunition war nämlich, wie gesagt, großenteils aufgebraucht und die erbeutete so schlecht, daß sie, wie wir später erprobten, keine Kugel fünfzig Schritte weit trug. Das Pulver, wenig besser als Kohlenstaub, gab uns nicht nur vollkommenen Aufschluß über unsere Unverletzlichkeit, sondern auch einen neuen Beleg – wenn es eines solchen noch bedurft hätte – über John Bulls Rechtlichkeit in seinem Handel und Wandel mit fremden Völkern. Musketen und Patronen trugen die Etiketten von Birmingham und einer ihrer Pulverfabriken, aber mit dem naiven Beisatze: Für Exportation ins Ausland.«

»Seien Sie aber versichert, John Bull würde etwas mehr Schwefel und Salpeter seinem Kohlenstaube beigefügt haben«, bemerkte lächelnd Oberst Oakley, »hätte er sich auch nur im entferntesten einbilden können, er werde auf seinen Bruder Jonathan in Anwendung gebracht werden.«

»Zweifelsohne!« fielen die andern lachend bei.

»Bei alledem aber doch erbärmliche Hasenfüße, diese Mexikaner«, bemerkte mit etwas wie Naserümpfen Oberst Cracker. »Mit zwei Bataillonen und sechs Eskadronen Dragoner keinen Bajonettangriff zu wagen!«

Es war wohl etwas unzeitig Unzartes, Verletzendes in dieser Bemerkung, der Texaser schien sie jedoch ganz und gar nicht übelzunehmen; im heiter artigen Tone versetzte er:

»Dasselbe dachten auch wir, und, die Wahrheit zu gestehen, Oberst Cracker, wunderten wir uns selbst, daß er dieses nicht getan. Auf [179] alle Fälle würde ein Bajonettangriff dem Feinde nicht mehr – wahrscheinlich nicht einmal so viel Leute gekostet, unsere Verteidigung aber um vieles kritischer gestellt haben. Den Mut jedoch hätten wir deshalb so wenig als die Hoffnung auf endlichen Sieg sinken lassen. Einige achtzig tüchtiger, entschlossener und, was die Hauptsache ist, kaltblütiger Scharfschützen bleiben auch selbst für Bataillone und Eskadrons ein nicht zu verachtender Gegner, wie unsere Kriegsgeschichte mehr denn einmal erwiesen. Die Schlacht von Lexington, wo einige hundert Landleute es nicht nur kühn mit mehreren britischen Regimentern aufgenommen, sondern diese mit Extrapost nach Boston zurückgesandt, die Schlacht von Niagara, mit manchen andern, sind dafür Belege. An den Furten aufgestellt, würden wir es ohne Bedenken mit zweien der besten englischen Bataillone aufgenommen haben. Und selbst in der Stellung, die wir innehatten, würde ich nicht anstehen, mit denselben Truppen es gegen denselben Feind zu jeder Stunde wieder zu versuchen.

Ich sage, mit denselben Truppen« – fuhr der Texaser im freundlichst heitersten, aber etwas mutwilligen Tone fort – »denn Ihr, Oberst Cracker, scheint unsere Leute mehr vom Exerzierplatze als vom Schlachtfelde her zu kennen, ich aber habe die Ehre, sie von diesem letzteren her zu kennen, und kann Euch deshalb auch versichern, daß ich sie für die besten, besonnensten, kaltblütigsten Truppen der Welt halte, so wie sie gewiß bei weitem die verständigsten, gescheitesten sind. Dieses Verständig-, Gescheitsein aber tut viel, sehr viel; es entscheidet selbst heutzutage noch mehr, als Ihr glaubt, ja so gut, als es zu den Zeiten der Griechen und Römer und den mittelalterlichen der Schweizer entschied. Die Bauern der Schweiz besiegten, ohne gerade besondere Feldherrngenies zu besitzen, die besten Herzöge, Grafen und Ritter ihrer Zeit, und so taten unsere Farmers mit den Briten, ehe noch der große Washington den Oberbefehl über unsere Heere übernahm. Was nun unsere Texaser Generale, Obersten und Stabsoffiziere betrifft, so glaube ich ihrer Selbstliebe auch nicht im geringsten vorzugreifen, wenn ich Euch versichere, daß sich keiner von uns für einen zweiten Friedrich oder ersten Napoleon hielt, ebensowenig für einen Hexenmeister; ja ich gebe Euch noch mehr zu, ich gestehe Euch sogar, daß unsere Leute besser als ihre Offiziere waren, eine Eigenheit übrigens, die, wie Ihr wissen werdet, Oberst Cracker, auch unser Verwandter John Bull mit uns gemein hat, dessen Soldaten [180] auch häufig in Spanien und den Niederlanden die Scharten seiner Generale und Offiziere auswetzen mußten. Ja, Oberst Cracker, was wäre zum Beispiel aus dem ohne Zweifel von Euch über alles gestellten Wellington – by the by! ich bin in diesem Punkte so frei, von Eurer Meinung in betreff dieses gerühmten Herzogs abzuweichen, den ich zwar für einen sehr preiswürdigen Tory, aber sehr mittelmäßigen Feldherrn halte – was wäre aus ihm ohne seine Briten geworden! Wenn Ihr das Terrain von Waterloo mit etwas wie Kenneraugen anschautet, würdet Ihr zugeben, daß nur der britische Stieresmut, geschwängert, wie er war, mit Nationalhaß und souveräner Verachtung der französischen Suppen- und Froschesser – die er schon in den Tagen von Azincourt, Crequi, Poitiers und Blenheim so kapital durchgedroschen –, daß nur dieser britische Stieresmut, sage ich, auszuhalten vermochte, bis – die Preußen kamen. Es tat aber not, höchst not, daß sie kamen, bürg' Euch dafür; eine Stunde später, und es wäre zu spät gewesen. Glaubt mir, Oberst Cracker, die Preußen haben ein ganz so gutes Recht, den Mund ebenso voll von ihrem Belle-Alliance zu nehmen, als es die Briten bis zum Ekel mit ihrem Waterloo tun.«

Es war aber wieder etwas so fein ironisch Mutwilliges und zugleich Liebenswürdiges in der Weise, wie der Oberst die schnöde Bemerkung – nicht zurückwies, sondern parierte, daß alle ohne Ausnahme in die lautesten Bravos ausbrachen.

Oberst Cracker allein biß sich in die Lippen.

»So wie die Dinge standen«, fuhr der Erzähler fort, »blieb uns, wie gesagt, nichts weiter übrig, als den Feind laufen zu lassen. Wir ließen ihn sonach auch laufen. Das einzige, was wir taten, war, daß wir eine kleine Abteilung nach der Musquetinsel sandten, die von da aus mit den zwölf Mann nach der Furt hinabrückte, gegen die wir uns nun auch selbst mit dem Gros unsers kleinen Korps wandten.

Die Demonstration hatte den beabsichtigten Erfolg, daß sie nämlich die Flüchtlinge, die im ersten panischen Schrecken ihr Ziel, die Furt, weit überschossen, dieser wieder zubrachte und so die Prärie mit dem diesseitigen Ufer von ihrer Gegenwart befreite. Roß und Mann stürzten zugleich der Furt und dem Wasser zu, und ehe wir noch bis auf hundert Schritte herangekommen, waren drei Vierteile des Feindes am jenseitigen Ufer – in Sicherheit.

[181] Ein paar hundert waren aber noch zurück und unser, wenn wir wollten; allein jetzt ergab sich einer jener Auftritte, die in unserm politischen sowie Kriegerleben die Geduld der lieben Volksdiener denn so häufig aufs äußerste spannen; wo das souveräne Volk sehr zur Unzeit seinen allmächtigen Willen zu erkennen zu geben, Einspruch in den seiner sogenannten Diener zu tun pflegt.

Wharton war nämlich mit dreißig Mann voran und gab Befehl zu feuern, aber keiner seiner Leute leistete Folge. Er befahl ein zweites Mal – noch immer keine Folge. Wie er jetzt ungeduldig ein drittes Mal kommandierte, trat ein alter wetter- und sonnenverbrannter Bärenjäger kopfschüttelnd an ihn heran, sich mit aller Muße folgendermaßen expektorierend:

›Wollen Euch sagen, Capting!‹ Bei den Worten schob er den Tabaksquid aus seiner linken Barkenhöhle in die rechte über. ›Wollen Euch sagen, Capting! Kalkulieren, lassen für jetzt die armen Teufel, die Dons, in Ruhe!‹

›Die armen Teufel, die Dons, in Ruhe!‹ schrie Wharton in höchster Ungeduld. ›Seid Ihr toll, Mann?‹

Fanning und ich mit unsern Leuten waren jetzt gleichfalls herangekommen, begreiflicherweise nicht weniger ungeduldig, als wir hörten, um was es sich handle.

Der Mann ließ sich jedoch nicht beirren – perorierte weiter.

›Haben ein Sprichwort, Gentlemen‹, wandte er sich nun an uns, ›haben ein Sprichwort, das da sagt, müsse man dem geschlagenen Feinde eine goldene Brücke bauen, und kalkuliere, ist ein gutes Sprichwort das, ein considerabel probates Sprichwort das immerhin, dem Feinde eine goldene Brücke zu bauen.‹

›Was wollt Ihr aber, Mann, mit Eurem goldenen Sprichwort? Wißt Ihr, daß Ihr eine unpassende Zeit gewählt habt zu Eurem Sprichwort?‹ schrie Fanning.

›Was Ihr tut, ist insubordinations-, strafwürdig; Eure Schuldigkeit ist zu feuern, dem Feinde den größtmöglichen Abbruch zu tun, nicht aber zu sprichwörtern!‹ wieder ich.

›Kalkuliere, es ist‹, versetzte der Mann mit empörender Kälte, ›kalkuliere, könnten ihn auch jetzt ohne Gefahr und Mühe niederschießen; kalkuliere aber, wäre das spanisch-mexikanisch, nicht amerikanisch, nicht klug.‹

›Nicht klug?‹ schrie ich.

[182] ›Spanisch-mexikanisch, nicht amerikanisch, den Feind laufen zu lassen, wenn wir ihn in unserer Gewalt haben?‹ Fanning und Wharton.

›Kalkuliere, wäre es. Kalkuliere, würden uns selbst mehr schaden als ihm, wenn wir ihm seine Leute nur niederschössen, sie nicht laufen ließen‹, fuhr der Mann ganz ruhig fort. ›Kalkuliere, würdet Euch selbst den größten Schaden tun, und zwar aus demselben Grunde, vermöge welchem Ihr kommandiert habt, von den angreifenden Schwadronen und Kompanien ja nur die vordersten Reihen und Glieder wegzuschießen. War das ein konsiderabel vernünftiges Commandement, bürg' Euch dafür, von wegen, weil Ihr so dem Feinde handgreiflich dartatet, daß Ihr nur die Übermütigen, Kecken, Verwegenen bestraftet, die Sanftmütigen aber, die Zaghaften, Furchtsamen, die hinten standen und nicht vor wollten, verschontet. War das eine gute Calkilation, wißt Ihr, von wegen, weil Ihr einen Unterschied zwischen Feinden und Feinden, gleichsam eine Prämie für die Feigheit aufstelltet. Hättet Ihr alle ohne Unterschied nehmen lassen, die hinteren so wie die vorderen, hättet Ihr die Feigen tapfer zu sein genötigt, und wäre das ein großer Fehler gewesen.‹

Wir konnten, wie Sie leicht denken mögen, vor Zorn bersten, aber unsere Leute nickten beistimmend, links und rechts.

Der Mann fuhr fort: ›Calkiliere, ist eine große Kurzsichtigkeit, den Feind ohne Unterschied niederzumachen, den Zaghaften ebensowohl als den Herzhaften; heißt das ein Prämium auf die Tapferkeit setzen, und ist das zwar klug, wenn man es bei seinen, aber nicht klug, wenn man es bei des Feindes Leuten tut. Sind die Zaghaften immer die besten Alliierten, sind es diese, die, wenn Ihr sie verschont, bei der nächsten Gelegenheit zuerst Reißaus nehmen, die andern mit sich fortreißen. Und sind die – er wies hier mit der Hand auf die flüchtigen Mexikaner – wohl die Allerzaghaftesten, denn sind im panischen Schrecken am weitesten in die Prärie hinausgesprengt, zuerst ausgebrochen, haben in ihrer Angst die Furt ganz und gar vergessen. Und wenn Ihr jetzt in sie hineinschießt und sie so merken, daß, gleichviel, ob zaghaft oder tapfer, sie doch von uns niedergeschossen werden, je nun, so könnt Ihr sicher sein, daß sie bei der nächsten Gelegenheit ihren Balg teuer verkaufen.‹

So unzeitig das ganze Palaver, um mich eines volkstümlichen Ausdrucks zu bedienen, auch war, so hatte es doch auch wieder viel [183] Beachtungswertes; dann sprach der Mann so simpel naiv schlau, ich mußte lächeln.

›Sage Euch, Captings!‹ – schloß er – ›calkiliere, laßt die armen Teufel von Dons. Werden uns so bessere Früchte tragen, die Hasenfüße, wenn wir sie laufen lassen, als wenn wir ihrer fünfhundert niederschössen. Calkiliere, werden das nächste Mal dafür zuerst Reißaus nehmen, uns so den Dank für die bewiesene Großmut abstatten.‹

Und jetzt trat der Mann in die Reihen zurück, und alle nickten und stimmten bei, und kalkulierten, der Zebediah habe ein wahres Wort gesprochen, und mittlerweile war auch der Feind am jenseitigen Ufer und wir – hatten das Nachsehen.


Da haben Sie nun eine unserer volkssouveränen Capers, die, die Wahrheit zu gestehen, einen wohl oft um Sinne und Verstand bringen könnten, wenn man, wie jener Irländer meinte, weder die einen, noch den andern je hatte; sonst aber auch wieder zeigen, daß unsere Leute selbst in der größten Aufregung noch spitzfindig zu räsonieren, jeden möglichen Umstand zu ihrem Vorteil zu benutzen wissen. Freilich erfordern solche Leute wieder eine ganz eigentümliche Behandlung. Unser amerikanische Geist äußert sich zuweilen so quer, beinahe verschroben, tritt so eigentümlich hervor, aber immer finden Sie zuletzt, daß er doch den Nagel auf den Kopf trifft, das Auge des Volkes richtig, ja richtiger als das seiner Vorgesetzten oder vielmehr Diener sieht. Später hatte ich oft Gelegenheit, dies zu bemerken, und jedesmal, wenn ich mich diesem Geiste fügte, drang ich auch glücklich mit meinem Unternehmen durch, so wie andererseits das Überhören der Volksstimme von seiten meines unvergeßlichen Freundes nicht nur seinen Untergang, sondern auch beinahe den unseres neugebornen Staates nachgezogen hätte.

Lästig bleiben aber solche Zwischenspiele in hohem Grade, da sie eine Dosis von Selbstverleugnung bedingen, die man oft bei aller Philosophie nicht immer aufzubringen vermag. Das beste ist jedoch, daß Bruder Jonathan trotz der queren Notions, die ihm zuweilen das Gehirn durchkreuzen, doch das letzte Ziel – seinen Vorteil – nicht leicht aus den Augen verliert, wie wir auch hier erfuhren. Zu schießen weigerten sich zwar unsere Leute, aber nicht, auf das jenseitige Ufer vorzurücken, um den Feind und die Richtung, die er nahm, im Auge zu behalten.

[184] Wir beorderten den alten Bärenjäger mit zwanzig Mann hinüber und zogen uns dann in unsere alte Position zurück.

Ich aber eilte dieser mit einer Hast zu, die wohl das Befremden der Meinigen erregen konnte, denn schon während der letzten Vorgänge war mein Benehmen so seltsam gewesen! Wie ein Betrunkener hatte ich mich umhergetrieben – als ob ich Gespenster gesehen. Aber ich sah sie auch! Wie ein wahres Gespenst war mir das Bild Bobs während des Angriffs – der Flucht des Feindes – die ganze Zeit hindurch vorgeschwebt, ein wirrer Geist in mich gefahren, der mich hinzog und trieb – zu seiner Leiche. Es war mir, als müßte ich seinen Leichnam sehen, als ob davon meine Ruhe, mein Frieden abhinge. Eine fixe Idee, die mich so heftig ergriff, daß ich wie wahnsinnig der Stelle zulief, wo er niedergeschmettert, da angelangt, mit wild rollenden Augen herumsuchte – sprang. Seltsam muß ich zu schauen gewesen sein, denn die Meinigen waren erschrocken herbeigeeilt, zu sehen, was es mit mir und dem wilden Präriemanne gäbe; nirgends aber war eine Spur von ihm zu finden. Ringsum die Stelle, wo er gefallen, suchend, war ich von dieser aufwärts, dem Rande der Prärie, dem Rebengestrüpp entlang – wieder abwärts gelaufen, hatte jeden Infanteristen, Artilleristen, Kavalleristen besehen, aber ihn nicht gefunden. Ein seltsames Gefühl, wie der Verzweiflung, Betäubung, kam über mich, als ich so herumsuchend ihn nicht fand! So drückend war es mir, gerade als ob der Würgengel losgelassen, mich umschwebte, seine Krallen nach mir streckte.

Wharton redete mich an, fragte, ob ich den wilden Präriemann suche. Ich sprang auf ihn zu, forderte ihn auf mir zu sagen. Er schüttelte den Kopf. Er wisse nicht, was aus ihm geworden, noch wohin er gekommen. Nur so viel könne er mir versichern, daß ihn nicht bald jemand so außer alle Fassung gebracht.

Dasselbe bestätigten die Männer, die Wharton umgaben. Sie waren in der Weinrebengrotte etwa fünfzig Schritte hinter Fannings Leuten gestanden, als – gerade wie die Infanterie von der Furt in die Prärie hinaufgerückt – ein Mann von Norden her auf einem Mustang getrottet kam, etwa zweihundert Schritte oberhalb am Prärierande hielt, abstieg, den Mustang an die Weinranken band und dann, seine Rifle im Arme, hastig dem Prärierande entlang auf den Feind zuschritt.

[185] An Whartons Abteilung herangekommen, befahl ihm dieser zu halten, Rede zu stehen, wer er sei, woher er komme, wohin er wolle? Die Antwort des Mannes war: Wer er sei, gehe den Frager nichts an, noch woher er komme. Wohin er gehe, werde er sehen. Er gehe gegen den Feind.

Dann solle er sich anschließen, schrie ihm Wharton zu.

Dieses Ansinnen wies der Mann trotzig zurück: er wolle für sich und seine Rechnung fechten.

Das dürfe er nicht, rief ihm wieder Wharton zu.

Er wolle sehen, wer es ihm verbieten würde. Und mit diesen Worten ging er. Eine Minute darauf schoß er bereits den ersten Artilleristen nieder.

Natürlich ließ man ihn nun auf seine Rechnung fechten.

Was weiter – nach seinem Falle aus ihm geworden, das wußte keiner zu sagen. Zuletzt wollte einer den Bärenjäger um ihn gesehen haben.

Zum Bärenjäger eilte ich sonach.

Der Aufschluß, den ich von ihm erhielt, lautete folgendermaßen:

Kalkulierend – um mich seiner Worte zu bedienen – daß die Rifle des wilden Präriemannes wohl eine so kapitale Rifle, als je Bären kaltgemacht, leicht in unrechte Hände fallen dürfte, habe er es für seine Bürgerpflicht gehalten, einer solchen Gefahr vorzubeugen und die Rifle in seine Verwahrung zu nehmen; weswegen er sich an den toten Präriemann angemacht, obwohl ihn das Frontispiece desselben nichts weniger als einladend gedünkt. Aber wie er sich so an ihn angemacht, willens, die Rifle seinen Händen zu entwinden, habe er für seine Bemühung einen Ruck erhalten, der ihn bei einem Haare neben den wilden Toten hingestreckt hätte, worüber er schier perplex geworden und geschaut, und wie er so geschaut, habe er gesehen, daß der wilde Mann an seinem Hirschfellwamse herumkrabble, auch dieses auftat, wo sich dann eine Wunde an der Brust zeigte. Die Wunde sei aber weder tief noch gefährlich gewesen, und obwohl die Kugel den Mann niedergeworfen und betäubt, sei sie doch nicht in die Brust eingedrungen, vielmehr an das Brustbein angeprallt, so daß er sie selbst herausgezogen. Darauf habe der Präriemann seine Rifle erfaßt, sich, gestützt auf diese, erhoben, und ohne wederthank ye noch damn ye zu sagen, seinen Weg der Weinrebengrotte zu genommen, da seinen Mustang den Prärierand heraufgezogen, [186] diesen bestiegen, worauf er dann langsam in nördlicher Richtung fortgeritten.

Das sei alles, was er von dem Manne wisse, und wolle er auch nichts mehr von ihm wissen noch sehen, denn was er gesehen, sei wahrlich nicht geeignet, ihm Lust zur Erneuerung der Bekanntschaft einzuflößen. Sei das ein Gesicht, das einen wahrlich nicht auf kirchengängerische Gedanken bringe, ein wahres Brudermördergesicht, nicht menschlich anzuschauen, und das ihm vorgekommen, als ob der Mann, dem es gehörte, wenigstens ein dutzendmal vom Galgen gefallen.

Während der Mann so sprach, hatte sich ein unsäglich widerwärtiges Gefühl, ein wahres Grausen meiner bemächtigt. Von meiner katholischen Amme hatte ich in meiner Kindheit ein Märchen gehört: Ein zwölffacher Mörder, der zwölfmal in den verschiedenen Grafschaften Irlands geköpft, gehängt, gevierteilt, – in der Mitternachtsstunde aber nach der Hinrichtung wieder von einem bösen Zauberer, der in der Gestalt einer schwarzen ungeheuren Katze die zerrissenen, getrennten Körperteile zusammengesetzt und belebt, ward endlich ein dreizehntes Mal mit einem von St. Patrick geweihten Schwerte gerichtet, über das begreiflicherweise der arge Zauberer keine Gewalt mehr hatte, so daß er bloß noch die vom Schwerte nicht berührten Gliedmaßen zusammenfügen konnte, die denn auch noch immer in einem gewissen Teile Irlands ihr Wesen zur Mitternachtsstunde trieben. Das Bild dieses zwölffachen Mörders, werden Sie es glauben, stand jetzt nicht nur in seiner ganzen grausigen Gestalt vor mir, es hatte auch, so absurd Ihnen dieses klingen mag, ganz und gar die Züge Bobs angenommen.

Der Mensch ist ein wahres Rätsel, und noch heute ist mir unbegreiflich, was damals mit mir vorging. So wie nach den Auftritten in der Prärie am Jacinto, fühlte ich mich auch jetzt wieder so stark angegriffen; die Wirkung der Phantasie auf den Körper äußerte sich so heftig, daß mir der Schweiß aus allen Poren drang, das Bewußtsein schwand, ich in einem fieberähnlichen Zustande am Rande der Prärie hinsank.

Fanning, der erschrocken zu meinem Beistande herbeieilte, gelang es endlich nicht ohne Mühe, mich zur Besinnung zu bringen.

Mit ihm war ein Mann, der vom Sergeanten, den wir mit dem kleinen Pikett in der Mission Espado zurückgelassen, gesandt, Erkundigungen [187] über den Stand der Dinge einzuziehen, nun kam, uns zugleich zu benachrichtigen, daß General Austin mit unserer kleinen Armee im Anzuge sei. Auch er hatte den wilden Präriemann gesehen; das erstemal, als er auf dem Kirchturme postiert die Bewegungen des Feindes beobachtete. Da sah er von Conception herüber einen Reiter etwa zweihundert Schritte von der Mission vorbeijagen, der es ganz toll auf seinem Mustang trieb, mit Händen und Füßen, der Rifle, dem bowie-knife focht und sich wie ein Rasender gebärdete. Er ritt gerade auf die obere Furt zu. Vor etwa einer Stunde sah er ihn das zweitemal langsam in nördlicher Richtung fortreitend und kaum imstande, sich im Sattel zu erhalten. Nach seiner Meinung mußte er von der Mission Conception gekommen sein.

Ohne Verzug ließ ich mir eines der erbeuteten Dragonerpferde bringen, bestieg es und jagte der Mission Conception zu.

Von den da befindlichen alten Mexikanern hörte ich nun die seltsame Märe, daß der herege Inglese y Americano, der seit Jahren Jäger der Mission gewesen, nie ein Wort mit irgend jemandem gesprochen, selbst nicht mit den frommen Padres, die öfters – ihn in den Schoß der alleinseligmachenden Religion zurückzuführen – von der Hauptstadt herüber gekommen wären, daß dieser Herege nach einem mehrwöchentlichen Krankenlager vor etwa drei Stunden plötzlich erstanden, seinen Mustang gesattelt, seine Rifle um die Schulter geworfen und in der Richtung, die wir genommen, fortgeritten – aber nicht wiedergekehrt sei.

Ihrer Beschreibung nach blieb nicht der mindeste Zweifel übrig, daß Bob und der herege Americano eine und dieselbe Person waren.

Aber wie kam er hierher – wie ward er gerettet? Denn wenigstens waren zwölf bis fünfzehn Minuten verstrichen, ehe der Alkalde ihn vom Lasso geschnitten haben konnte. Er hatte ihn also doch gerettet, ihn vielleicht selbst in die Mission gesandt? Aber derselbe Alkalde hatte ja Johnny vorzüglich deshalb richten lassen, weil er zu Padre José geflüchtet? – Und Bob? War er katholisch geworden? Wie kam es, daß er gegen seine Glaubensgenossen focht? Wenn nicht, warum ließ man ihn so lange in der Mission? Alles Rätsel, die mir den Kopf so verwirrten, daß er sich mir wie im Kreisel herum zu drehen – ich verrückt zu werden zu befürchten begann. In einem nicht zu beschreibenden Taumel kehrte ich zu den Meinigen zurück.

[188] Erst als ich mich an der Seite Fannings befand, schwanden Irrlichter und Nebel. Fanning, als ich ihm das Gehörte mitgeteilt, dachte einen Augenblick nach, und dann schien ihm Licht aufzugehen. Ich schüttelte zwar den Kopf, aber er bewies mir aus mehreren Umständen die Richtigkeit seiner Vermutung, die mir zwar nicht ganz so klar einleuchten wollte, aber doch das Gute hatte, daß sie einen Halt darbot, an den meine Gedanken sich gewissermaßen lehnen, so wieder in ein vernünftiges Geleise zurückkehren konnten.

Worin diese Vermutung bestand, kann ich jetzt nicht sagen, aber sie erwies sich als richtig. Das Seltsamste jedoch ist und bleibt der Umstand, daß mit dem Fingerzeige, den mir der unbefangene Freund gab, alle die phantastischen, die grausigen Bilder auch mit einem Male schwanden, Bob mir wieder wie jeder andere erschien. Das Chaos von wüsten, wilden Phantasiebildern war gewichen. Es begann zu tagen.

Die Stimmung, in der ich unsere Leute fand, die Szenen, die sich meinen Augen darboten, vollendeten meine Genesung.


Es bringt ein Sieg immer ganz eigentümliche Wirkungen an den Siegern hervor. Der Umschwung der Empfindungen ist so gewaltsam, daß ich nun wohl begreifen kann, wie Verwundete, die bereits die Todesnacht umfangen, sich nochmals auf- und ins Leben zurückraffen, um inmitten ihrer Todesqualen noch ein letztes Mal aufzujauchzen. Es ist in der Tat ein berauschendes Gefühl, das wie ein stark berauschendes Getränk auf den Ungewohnten wirkt. Auf unsere Leute wenigstens wirkte es so – beinahe kannte ich sie nicht mehr.

Ein ungeheures Selbstbewußtsein hatte sich eines guten Teiles derselben bemächtigt, sie sprachen jetzt in einem hohen Tone, wie man es mit den Bustamentes, den Santa Annas und so weiter halten müsse; ihr Wesen, ihre Sprache hatten etwas Protegierendes, Hochtrabendes angenommen, eine beinahe spanischegrandezza, die ihnen zu ihren Hirschfellwämsern, ihren Zwillichjacken und Röcken drollig genug ließ! Sie debattierten von Mexiko, als wenn sie bereits vor den Toren seiner Hauptstadt, die Bustamente, Santa Anna mit den Schlüsseln derselben vor ihnen ständen. Andere, und gerade wieder die am mutigsten, hitzigsten gefochten, boten wieder ein ganz entgegengesetztes Schauspiel dar. Bei ihnen hatte die Reaktion der Gefühle gerade die umgekehrte Richtung angenommen. Sie waren ganz [189] Demut, Menschenliebe, ja Zerknirschung, eine beinahe lächerliche Wehmut war an die Stelle der Erbitterung, der Wut, des Blutdurstes getreten, die sich auf eine nicht minder auffallende Weise äußerte. Wie arme Sünder betrachteten sie die gefallenen Mexikaner mit gefalteten Händen, betrübt, das Ebenbild Gottes zerstört zu haben. Dieselben Leute, die eine Stunde zuvor wie Tiger auf ihre Beute losgesprungen, standen jetzt und starrten die gefallenen Infanteristen und Dragoner mit Blicken an, so wehmütig und zerknirscht! Hätten sie die Feinde in diesem Augenblick ins Leben zurückrufen können, ich bin überzeugt, sie würden es getan, sie wie Brüder begrüßt haben.

Diese seltsamen Sprünge, so mag ich sie wohl nennen, mögen Ihnen absurd und gesetzter vernünftiger Bürger unwürdig erscheinen, aber sie waren wieder ganz natürlich nach einem Sukzesse, wie der es war, den sie soeben errungen. Sie dürfen nämlich nie vergessen, daß wir noch Neulinge im Waffenhandwerke, noch nie einen Kampf im offenen Felde bestanden hatten, denn unsere früheren Unternehmungen waren, wie gesagt, mit Ausnahme des Gefechtes von Nacogdoches mehr Überfälle gewesen. Erst an diesem Tage hatten wir uns von Angesicht zu Angesicht mit dem Feinde gemessen, und so unbedeutend Ihnen der Sieg erscheinen mag, uns war er denn natürlich im höchsten Grade wichtig. Wir hatten es in diesem Zusammentreffen mit Linientruppen der mexikanischen Regierung aufgenommen, namentlich eines ihrer berühmtesten Bataillone, das von Morales, beinahe ganz aufgerieben – ein Glücksfall, der denn allerdings geeignet war, nüchternen Farmers, die bisher höchstens mit Bären, Wölfen und Kuguaren angebunden, die Köpfe um so mehr zu verrücken, als es denn doch einiger Unterschied ist, ein paar Bären und wieder ein paar mexikanische Bataillone, selbst wenn ihr Pulver nichts taugt, niederzuwerfen. Noch ein Umstand trug bei, das Selbstgefühl der Unsrigen möglichst in die Höhe zu schrauben. Unser Verlust betrug nicht mehr als einen Mann, und der war durch seine Schuld geblieben. Er hatte sich wie toll mitten in die Feinde, als diese bereits ausgerissen, gestürzt, so eine Kugel in den Unterleib erhalten, an der er eine halbe Stunde darauf verschied.

Sie sehen – fuhr lächelnd der Oberst fort – daß unsere Texaser, weit entfernt, geborene Eisenfresser gleich vom Anfange her gewesen zu sein, im Gegenteile reichlich mit allen den törichten und wieder[190] menschlichen Gefühlen, Erwartungen, Hoffnungen gesegnet waren; aber nur dieses Mal; später zeigte sich auch keine Spur mehr von solchen sentimentalen Gemütserhebungen, Regungen. Jetzt, bin ich überzeugt, werden Sie unter unsern Farmern und Pflanzern Tausende finden, die ebenso kühl den besten europäischen Bataillonen ins Auge schauen, als sie ungerührt über ihre Leichen schreiten würden. Es ist diese Gemütshärte wohl zuletzt die einzige Beute, die der Krieger aus seinen Schlachten mit nach Hause bringt, die wir aber damals noch nicht gewonnen, denn wie Sie gesehen, benahm sich Bruder Jonathan – um mich eines sehr gelinden Ausdruckes zu bedienen – einigermaßen quer.

Auch der General en chef – derselbe treffliche Stephan F. Austin, der als Repräsentant zu Mexiko im Kerker geschmachtet, bewies seine Zufriedenheit mit der glücklichen Eröffnung des Feldzuges auf eine Weise, die vielleicht Oberst Cracker – es wandte sich mit einem feinen Lächeln an diesen – unpassend gefunden haben dürfte. Er schüttelte nämlich allen den wackeren Bären-, Wolfs- und Kuguarjägern die Hände, trank mit ihnen, stieß auf ihre Gesundheit an. Sehr quer, diese etikettewidrige Herablassung! Finden Sie das nicht, Oberst Cracker?

Wir mußten uns jedoch manches gefallen lassen, unser kleines Heer, das während unserer Trennung mit dreihundert frischen Ankömmlingen verstärkt worden, fröhlich und wohlgemut zu erhalten.

Gerade statteten wir dem Kommandierenden Generale Tagesbericht ab, als ein mexikanischer Priester mit mehreren Wagen und einer weißen Fahne kam, die Verabfolgung der Toten zu erbitten.

Es wurde ihm ohne Widerrede bewilligt.

Was wir von dem schlauen Padre herausbrachten, bewog uns aber, noch denselben Abend gegen die Hauptstadt vorzurücken. Es zeigte sich einige Hoffnung, sie im ersten panischen Schrecken in unsere Gewalt zu bekommen. Zwar war dies nicht der Fall; wir fanden die Tore verrammelt, den Feind auf seiner Hut, aber doch hatte ihn unser Sukzeß so sehr eingeschüchtert, daß er uns ohne den mindesten Widerstand unsere Position nehmen ließ.

Wir nahmen diese an den sogenannten Mühlen, etwa einen Kanonenschuß von der großen feindlichen Redoute, von wo aus wir auch die übrigen Ausgänge der Stadt besetzten. Vor Mitternacht hatten wir sie von allen Seiten eingeschlossen.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek