[164] 14.
»Der Abend – die Nacht verging, ohne daß ein Feind sich gezeigt hätte. Der Morgen brach an, noch immer kein Mexikaner. Wir trauten jedoch dem verräterischen Landfrieden nicht, ließen die Leute ihr Morgenmahl nehmen und waren eben damit fertig, als das an der obern Furt aufgestellte Pikett mit der Nachricht kam, eine starke Kavallerieabteilung sei im Anzuge, ihre Vorhut bereits im Hohlwege, der zur Furt herabführe.
Einige Minuten später hörten wir das Schmettern ihrer Trompeten, und gleich darauf sahen wir auch die Offiziere den Uferrand herauf- und in die Prärie einsprengen, ihnen nach ihre Eskadrons, deren wir sechs zählten. Es waren die Durango-Dragoner, sehr gut uniformiert, trefflich beritten und vollkommen mit Karabinern und Schwertern ausgerüstet. Ihre Anzahl mochte um die dreihundert herum betragen.
Wahrscheinlich hatten sie vom jenseitigen Ufer aus rekognosziert und so unsere Stellung, obgleich nicht unsere Stärke ausgefunden, da wir etwas dergleichen vermutend unsere Leute so ziemlich in Bewegung erhalten, sie bald auf die Prärie aufspringen, wieder unter derselben verschwinden gelassen. Das war nun alles recht wohl getan, aber andererseits hatten wir uns einen groben Verstoß gegen alle militärische Regel zuschulden kommen lassen, kein Pikett auf das jenseitige Ufer vorgeschoben, das uns von der Annäherung des Feindes, der Richtung, die er nahm, in Kenntnis setzte. Ohne Zweifel würden ein dreißig bis vierzig gute Schützen – und alle die Unsrigen waren es – den Feind nicht nur aufgehalten, sondern ihm höchstwahrscheinlich auch den Übergang ganz verleidet haben. Der Hohlweg, der vom jenseitigen Ufer zur Furt herablief, war eng, ziemlich abschüssig, das Ufer wenigstens sechsmal höher als das diesseitige – und vollkommen im Bereiche unserer Stutzen; Pferd und[165] Mann konnten so paarweise, wie sie aus den Windungen des Passes herauskamen, aufs Korn genommen und niedergeschossen werden. Das wurde uns freilich jetzt, wie die Dragoner in die Prärie hinaussprengten, auf einmal klar, allein der Fehler war begangen, und wir hatten uns mit dem Gedanken zu trösten, daß der Feind unser Übersehen sicherlich nicht der wahren Ursache – unserer Unerfahrenheit im Militärwesen – sondern überströmendem Mute zurechnen würde. Allenfalls beschlossen wir, der guten Meinung, die wir bei ihm supponierten, zu entsprechen, ihn warm zu empfangen.
Die Prärie hinauf und in diese eingeritten, war er eine bedeutende Strecke in westlicher Richtung vorgesprengt, hatte sich dann gegen Süden zugewendet und herüberschwenkend in der Entfernung von etwa fünfhundert Schritten Front gegen uns gemacht. In dieser seiner Stellung nahm er gerade die Sehne des Bogens ein, den der von uns okkupierte Salado hier bildet.
Kaum hatte er sich aufgestellt, so eröffnete er auch sein Feuer, obwohl wir ihm gänzlich unsichtbar in der Wölbung der Flußbank standen, vollkommen geschützt nicht nur gegen Karabiner-, sondern Kartätschen-, ja Kanonenkugeln, die höchstens über unsere Köpfe wegfliegen konnten.
Nach dem ersten Abfeuern sprengte er beiläufig hundert Schritte im Galopp gegen uns vor, hielt dann, zu laden, an, schoß ab und sprengte dann abermals hundert Schritte vor, hielt wieder, lud, schoß ab, sprengte wieder vor und wiederholte die seltsame Herausforderung, bis er etwa hundertundfünfzig Schritte vor uns stand.
Da schien er sich denn doch eine Weile besinnen zu wollen.
Wir hielten uns ganz ruhig. Offenbar trauten die Dragoner nicht, wenigstens schien ihr kriegerischer Mut sehr geschwunden, obgleich die Offiziere sich alle mögliche Mühe gaben, ihn anzufachen endlich aber brachten sie doch zwei Eskadronen vorwärts, denen langsamer die andern folgten.
Auf dies hatten wir gewartet.
Sechs unserer Leute wurden angewiesen aufzuspringen, die Offiziere aufs Korn zu nehmen, und sowie sie abgefeuert, wieder den Prärierand hinabzuspringen.
Mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit führten unsere sechs braven Riflemänner das einigermaßen gefährliche Manöver im Angesichte des nun kaum fünfzig Schritte von ihnen wütend feuernden [166] Feindes aus, sprangen auf, legten ruhig an, schossen ab und sprangen dann den Prärierand hinab.
Wie wir vermutet, so brachte ihre geringe Anzahl den Feind in unsere gewünschte Nähe. Er stutzte zwar anfangs, besonders da ein drei bis vier Offiziere fielen, aber kaum waren die Unsrigen den Prärierand hinab, als auch die Eskadronen wie toll ihnen nachgaloppierten. Aber jetzt sprang Fanning mit dreißig unserer Leute auf, warfen ihre Stutzen vor, legten an, und nacheinander losdrückend brachten sie auch nacheinander Dragoner auf Dragoner von ihren Pferden herab, immer, wie wir sie angewiesen, die vordersten nehmend. Wharton und ich, die mit der Reserve von sechsunddreißig Mann nachsprangen, sowie Fanning abgeschossen, kamen kaum zu zehn Schüssen, als auch die Dragoner wie aufs Kommandowort rechtsum kehrteuch schwenkten – und sämtlich Reißaus nahmen. Unsere Rifles hatten zu grob gewirtschaftet! Wie Schafe, unter die der Wolf gefahren, brachen sie auf allen Seiten aus. Vergebens, daß die Offiziere die Flüchtigen aufzuhalten suchten. Bitten, Drohungen, selbst gezückte Degen und Hiebe vermochten nicht, sie zum Halten zu bringen, da denn dieses Halten, die Wahrheit zu gestehen, sich in der Regel fatal erwies, denn auf hundert Schritte waren die meisten unserer Scharfschützen eines Eichhörnchens, um wieviel mehr nicht eines Durango-Dragoners sicher.
Wir aber hatten langsam abfeuern und nach jedem Schusse den Mann unter die Uferbank springen lassen, um schnell wieder zu laden, so daß von unserer kleinen Truppe immer ein dreißig bis vierzig für den Fall bereitstanden, daß der Feind einen Angriff in Masse unternehme.
Der erste Gruß jedoch hatte ihm die Lust für eine geraume Weile verleidet, einige Zeit blieb es selbst zweifelhaft, ob er überhaupt einen zweiten Angriff wagen würde, obwohl die Offiziere sich alle nur erdenkliche Mühe gaben, ihre Leute zum Vorrücken zu bringen; aber lange waren Bitten, Drohungen und Scheltworte gleich vergeblich. Aus der Ferne gesehen, erschienen ihre Gestikulationen, die furchtbaren Hiebe, die sie gegen uns führten, die Capers, die sie ihre feurigen Rosse springen ließen, drollig genug, eine wahre Theaterszene, aber doch muß ich zur Steuer der Wahrheit auch wieder gestehen, daß die Offiziere in der Tat mehr Mut und Entschlossenheit, ja Ehrgefühl bewiesen, als ich ihnen bisher zugetraut. Sie allein [167] hatten unsere Rifles nicht gescheut, auch waren von den zwei Eskadronen beinahe alle gefallen, und die wenigen, die noch übrig, weit entfernt, abgeschreckt zu sein, bemühten sich nur um so mehr, ihre Leute wieder zum Vorrücken zu bringen.
Endlich schien es ihnen doch gelingen zu wollen. Die Art, wie sie dieses zustande brachten, war seltsam, recht eigentlich mexikanisch! An die Spitze ihrer Eskadronen postiert, waren sie immer ein hundert Schritte oder mehr vor- – und dann wieder zurückgaloppiert, so gewissermaßen ihren Leuten zeigend, daß keine Gefahr vorhanden. Jedes solche Vorgaloppieren hatte nun die Dragoner gleichsam unwillkürlich mechanisch ebenfalls ein dreißig bis vierzig Schritte vorwärts gezogen, worauf sie wieder wie aufs Kommandowort hielten, sich vorsichtig auf allen Seiten umschauten, ob noch keiner der gefürchteten Stutzen zu sehen; dann galoppierten die Offiziere wieder vor, und wieder rückten ihnen ihre Dragoner nach, und so galoppierten und rückten sie wohl zehnmal vor, hielten, schauten, rückten wieder vor, bis sie denn abermals an die hundert Schritte herangekommen waren.
Es versteht sich von selbst, daß sie bei einem jeden solchen Vorrücken auch ihre Karabiner abschossen.
So allmählich mit dem Pulverdampf und unserer Nähe vertraut, begannen sich drei der noch nicht im Feuer gewesenen Eskadronen in Angriffskolonnen zu formieren und sprengten dann etwa fünfzig Schritte vor. Auf einmal kommandierten sämtliche Offiziere mit einer Donnerstimme Vorwärts, setzten ihre Pferde in Galopp, und dem kräftigen Impulse folgend, stürmten auch richtig alle drei Eskadronen mit verhängten Zügeln an uns heran.
Diesmal aber ließen wir statt sechs, dreißig unserer Leute aufspringen, mit dem gemessenen Befehle, ja langsam zu feuern, keinen Schuß zu verlieren. Der Schock des ansprengenden Feindes raubte jedoch der Mehrzahl die Besonnenheit. Eilfertig schossen sie in die Masse hinein und sprangen dann den Prärierand hinab. Bei einem Haar hätte uns diese Eilfertigkeit in die Klemme gebracht. Der Feind schwankte zwar, aber er wich nicht zurück. In diesem kritischen Momente nun sprangen Wharton und ich mit der Reserve nach. Zielt und schießt langsam und sicher, nehmt Mann für Mann, schrien wir beide, Wharton rechts, ich links. Selbst hielten wir unser Feuer zurück. Das wirkte endlich. Schuß fiel auf Schuß; immer die vordersten [168] zu nehmen, mahnte ich nochmals, langsam zu schießen, um Fanning Zeit zum Laden zu geben. Ehe wir noch alle abgeschossen, war Fanning wieder mit einem Dutzend seiner fertigsten Schützen an unserer Seite. Wohl drei Minuten hielt der Feind wie betäubt unser wahrhaft mörderisches Feuer aus, aber da wir, wie gesagt, immer nur die vordersten Dragoner nahmen, die Vorsprengenden auch richtig fielen, wollte endlich keiner mehr vorwärts, die Eskadronen gerieten in Unordnung, die bald zur wildesten Flucht wurde. Wir gaben ihnen einen Denkzettel mit auf den Weg, der noch manches Pferd reiterlos in die Prärie hinaustrieb, luden dann wieder unsere Rifles und zogen in unsere Weinlauben und Grotten zurück, der Dinge, die ferner kommen würden, harrend.
Jetzt war aber dem Feinde die Lust, einen nochmaligen Angriff zu wagen, ganz vergangen. Bis auf etwa dreihundert Schritte wagte er sich zwar heran, das Erscheinen eines Dutzends unserer Leute war aber immer hinreichend, ihn samt und sonders das Weite suchen zu machen. Jedoch drei- oder fünfhundert Schritte – er schoß seine Karabiner nur um so eifriger auf uns ab, was er um so ungestrafter tun durfte, als wir sein Feuer auch mit keinem Schusse mehr erwiderten.
Das Gefecht mochte so eine halbe oder drei Viertelstunden gewährt haben. Noch war unsererseits kein Mann gefallen, nicht einmal verwundet, obwohl wir während der feindlichen Angriffe einen wahren Kugelregen ausgehalten. Wir konnten uns dieses seltsame Phänomen nicht erklären; die Kugeln fielen links und rechts, viele trafen, aber kaum, daß sie die Haut ritzten, einen wunden Fleck zurückließen. Wir waren auf gutem Wege, uns für unverwundbar, den Kampf bereits für entschieden zu halten, als das zweite an der untern Furt aufgestellte Pikett gerannt kam und die einigermaßen beunruhigende Nachricht brachte, bedeutende Infanteriemassen seien gegen die Furt im Anzuge, müßten in wenigen Augenblicken sichtbar werden.
Wirklich ließ sich auch in demselben Augenblick das Wirbeln der Trommeln, das Quieken der Pfeifen hören, im nächsten defilierten bereits die ersten Kolonnen auf die Uferbänke hinauf, in die Prärie hinein, gegen die Musquetinsel zu.
Wie sich Kompanie auf Kompanie nun in der Prärie aufrollte, [169] konnten wir auch leicht ihre Stärke ermessen. Es waren zwei Bataillone – beiläufig tausend Bajonette. Zum Überfluß hatten sie noch ein Feldstück mit.
Das war denn nun freilich mehr als genug für zweiundsiebzig – mit Einschluß von uns drei Offizieren fünfundsiebzig Mann; denn zwanzig hatten wir, wie gesagt, in der Mission und der Musquetinsel gelassen, so daß füglich zwanzig Mexikaner auf einen Amerikaner kamen. Kein Scherz, wenn Sie bedenken, daß der Feind vollkommen gut gerüstet, aus zwei Bataillonen Linieninfanterie und sechs Schwadronen Dragonern bestand, letztere freilich um wenigstens fünfzig gelichtet, aber mit dem frischen Soutien doch auch nicht minder gefährlich.
Zwar waren alle unsere Leute vortreffliche Scharfschützen, nebst ihren Stutzen hatten die meisten auch noch Pistolen in ihren Gürteln; aber was waren fünfundsiebzig Stutzen und auch hundert Pistolen gegen tausend Musketen und Bajonette, zweihundertundfünfzig Dragoner und ein Feldstück, mit Kartätschen geladen? Wenn der Feind auch nur einigermaßen militärisch zu agieren verstand, entschlossen vorging, waren wir wie Füchse im Baue gefangen.
Jedoch dieses auch nur einigermaßen militärisch agieren, entschlossen vorgehen – würde fehlen, des waren wir halb und halb gewiß. Wir kannten unsere Gegner so ziemlich, denn sonst würden wir uns doch nicht so weit vorgewagt haben. Alles, was jetzt vonnöten, war prompte Entschlossenheit, unerschütterliche Kaltblütigkeit, die sich durch nichts irremachen, unsern Feind nie zu Atem kommen ließ. Kam er zu Atem, so waren wir verloren.
Mir und Fanning war es indes doch nicht ganz leicht ums Herz. Mit unserer Empfindsamkeit und Sympathie hatten wir die Leute in diese schutz- und haltlose Prärie, gleichsam auf die Schlachtbank, herausgeführt, und das in einer so unüberlegt tollkühnen Weise, daß wir mit einiger Ängstlichkeit nun einander – wieder die Männer anschauten. Aber wie wir sie so schauten, stieg uns auch wieder der Mut, das Vertrauen!
Bei keiner Gelegenheit habe ich diesen – nicht britisch bullenbeißerisch rauflustigen Stieresmut – nein, den stets gefaßten, entschlossenen, ruhig festen, unerschütterlichen amerikanischen Mannesmut so anschaulich, so deutlich, so handgreiflich kennen und schätzen gelernt. Jetzt begreife ich, wie es kam, daß die Briten, selbst wenn sie in ihren [170] Kriegen gegen uns anfangs mit Erfolg kämpften, am Ende richtig auf allen Punkten geschlagen, zu Lande und zur See besiegt wurden.
Was nun diese Mexikaner betraf, so glaube ich fest und sicher, daß, wenn die ganze mexikanische Armee aufmarschiert wäre, sie ebenso ruhig, wohlgemut ihre Rifles geputzt haben würden. Das einzige, was zu hören, war: ›Schont nur euer Pulver und Blei – verschleudert, verliert ja keinen Schuß.‹
Mit solchen Männern aber ist es eine Freude zu kämpfen und, wenn nötig – zu sterben; denn man kämpft und stirbt mit Ehre. Da wir aber letzteres doch lieber nicht wollten, so mußten wir prompt sein. Prompt beschlossen wir demnach unsere Maßregeln zu nehmen. Fanning und Wharton sollten die Infanterie und Dragoner beschäftigen; mir fiel die Aufgabe zu, die Kanone – einen Achtpfünder – zu nehmen.
Das Geschütz war am äußersten linken Flügel, dicht am Rande der Prärie aufgepflanzt, da, wo diese steil zum Flusse sich herabsenkt, den es in seiner ganzen Krümmung vollkommen beherrschte. Dieses Ufer war, wie gesagt, mit einem ziemlich dichten Gewinde von Weinranken überwachsen, die uns nur zur Not dem Feinde verbargen; bereits der erste Kartätschenschuß belehrte uns, daß wir auf diesen Versteck nicht sehr zählen durften.
Es war kein Augenblick zu verlieren, denn ein einziger wohlgerichteter Schuß – und der Kampf war so gut als am Ende. Ein Dutzend Leute zusammengerafft, arbeitete ich mich so schnell, als ich es vermochte, durch das Gewirre der Weinranken und war bereits etwa fünfzig Schritte von der Kanone, als der zweite Schuß ganz in unserer Nähe einschlug; das Schwanken der Ranken hatte uns dem Feinde verraten. Auf diesem Wege durften wir nicht vordringen; so bedeutete ich denn den zunächst dem Prärierand Vordringenden, diesen hinaufzuspringen und vor allem die Artilleristen niederzuschießen. Ich selbst sprang, der dritte oder vierte, nach.
Wie ich aufsprang, die Rifle hob, um anzulegen, sank mir diese, als ob ein Zentnergewicht sich an die Mündung gelegt, eine unsichtbare Gewalt sie niedergedrückt.
Eine lange, hagere Figur mit verwilderten, unkenntlichen Zügen, mehrere Zoll langem Barte, in einer Lederkappe – Wamse und Mokassins, stand keine drei Schritte vor mir. Wie der Mann hieher gekommen, war mir sowie meinen Leuten ein Rätsel, ihre Blicke[171] hingen nicht weniger scheu an ihm. Aber er mußte bereits geschossen haben, denn einer der Artilleristen lag neben der Kanone hingestreckt, und einen zweiten, der den Ladestock eintrieb, schoß er jetzt nieder und lud dann wieder so ruhig handwerksmäßig, als ob er diese Art Schießübung alle Tage seines Lebens getrieben hätte.
Man ist auf dem Schlachtfelde, wie Sie leicht denken mögen, eben nicht sehr wählerisch oder skrupulös gestimmt; der angenehmste Nachbar ist immer der, der am meisten Feinde niederwirft – das Totschlagen am erfolgreichsten betreibt; das rohe Bluthandwerk, in dem man begriffen, erstickt für den Augenblick jede zartere Empfindung; aber doch hatte das Wesen des Mannes, seine ganze Art und Weise etwas so Schlächterisches, sein Treiben verriet eine so gefühllose, ich möchte sagen ruchlose Wegwerfung seines eigenen und anderer Menschen Leben, daß ich, so seltsam dieses klingen mag, den Mann empört, ja schaudernd, wie betäubt anstarrte. Und nicht nur ich, auch meine Leute waren nicht weniger ergriffen von seinem wie gespenstischen Wesen. Wohl zwanzig Sekunden standen sie bereits oben auf dem Prärierande, aber noch immer hielten sie wie betäubt die Rifles; statt aber den Feind ins Auge zu fassen, fielen ihre stieren Blicke wieder auf ihn, bis er ihnen mit rauher Stimme zurief. ›Damn your eyes ye staring fools, dont ye see them Art'lery men, why dont ye knock them on their heads 1?‹
Erst da schossen sie – fehlten und sprangen dann so eilfertig, als ob sie getrieben würden, den Prärierand hinab.
Ich vermochte weder ihnen zu folgen, noch den Stutzen zu heben, und wenn der Feind statt siebzig Schritten – sieben von mir gewesen wäre, ich hätte es nicht vermocht. Die Stimme des Mannes hatte mich so entsetzlich durchschauert! Die Augen auf das Gespenst geheftet, stand ich gerade, als ob das Grab eines von mir Gemordeten sich geöffnet, das Opfer meiner Bluttat aus diesem sich erhöbe, mit klaffender Wunde mir entgegenschritte. Das Blut war mir halb erstarrt! Noch immer wußte ich nicht, wer er war; seine Züge schwebten mir zwar dunkel vor der Phantasie, aber zu erkennen vermochte ich ihn nicht. Irgendwo hatte ich sie gesehen, diese Züge, diese Stimme gehört, und zwar unter Umständen, die mir, wie jetzt, das Blut in den Adern erstarrt hatten. Deutlich bewußt war ich mir, dieselben [172] Schauer, die ich jetzt empfand, bereits früher empfunden zu haben, und zwar in seinem Beisein empfunden zu haben, ja, daß er es gewesen, der mir das Herzblut erfroren, mich bis in den innersten Lebensnerv erschüttert; aber wo und wann, konnte ich mich nicht besinnen. Die feindlichen Kugeln fielen wie Hagelkörner vor mir, um mich herum; ich stand wie versteinert, bis endlich einer meiner Leute aufsprang und mich am Arm den Prärierand hinabriß.
Erst da – befreit von dieser schrecklichen Nachbarschaft – kam ich wieder zu mir, konnte mich aber doch nicht enthalten, scheue Blicke hinauf nach der Erscheinung zu werfen, und seltsam! Bei jedem solchen Blicke durchzuckte mich ein Etwas wie ein Verlangen – Wunsch – den Mann fallen zu sehen.
Die Artilleristen hatten, als wir noch auf der Prärie standen, das Stück gegen uns gerichtet; ehe sie es aber loszubrennen imstande – waren wir bereits wieder unter dem Prärierande, und er schoß den dritten weg. Sich ihres furchtbaren Gegners auf alle Weise zu entledigen, brannten nun die beiden noch übrigen das Geschütz auf ihn allein los, aber weder Kartätschen-, noch Musketenkugeln des nun auf weniger denn fünfzig Schritte herangerückten Feindes vermochten etwas über ihn. Mit eiserner Ruhe lud er fort, schoß den vierten – und endlich den letzten nieder und schrie uns dann mit rauher Stimme zu:
›Damn ye for lagging fellows, why dont ye take that 'ere big gun 2?‹
Um alle Welt aber wäre jetzt keiner von uns aufgesprungen. Wir hatten alle geladen, standen aber wie Salzsäulen, ihn anstierend – wieder einander – gleichsam fragend, ob die seltsame Erscheinung denn auch wirklich einer unseresgleichen – ein Erdenbewohner – und nicht vielmehr ein Präriegespenst vor unsern Augen Spuk treibe?
Aber wie er so ganz allein in der Prärie oben stand – mit den verwitterten Zügen – dem zollangen Barte – der wie spanische Moosflocken um Hals und Nacken herum hing – die Zielscheibe von Hunderten feindlicher Kugeln – glich er so ganz und gar einem der unzähligen Kobolde, mit denen der spanisch katholische Aberglaube eben diese Prärie so reichlich ausgestattet, daß mir noch zu gegenwärtiger Stunde, wenn ich ihn mir so recht vor die Augen zurückrufe,[173] unwillkürlich Zweifel aufsteigen, ob es denn doch auch mit ihm geheuer gewesen. Er glich in der Tat weniger einem Erdenbewohner als einem wüsten Wald- oder Präriegespenste, und wie ein solches hätte er bei einem Haare eine arge Teufelei über uns gebracht.
Unsere geringe Anzahl, die im Entsetzen verfehlten Schüsse, vor allem aber die augenscheinliche Furcht, mit der wir unsere Flucht den Prärierand hinab bewerkstelligten, hatte den Feind so über alle Erwartung ermutigt, daß er die hinter der Kanone aufgestellte Kompanie im Doppelschritt vorrücken und unsern Versteck mit einem heftigen Feuer bestreichen ließ. Bereits schwenkte eine Rotte vor, um uns, die wir noch immer wie gelähmt standen, von den Unsrigen abzuschneiden, als – es war die höchste Zeit – Fanning mit dreißig unserer Riflemänner erschien. Dieser Anblick brachte uns mit einem Male wieder zur Besinnung. Ein freudiges Hurra! Und dann waren meine Leute auf der Bank oben; ohne sich jedoch an Fanning anzuschließen – war es Gefühl von Scham, war es der neu erwachende Mut, weiß ich nicht –, rückten sie im Sturmschritt bis auf zwanzig Schritte an den Feind heran, legten auf diesen an und schossen ein Dutzend Infanteristen mit einer, möchte ich sagen, so verzweifelten Ruhe und Kaltblütigkeit nieder, daß die Kompanie entsetzt einen Augenblick schwankte, dann aber im äußersten Schrecken die Musketen wegwarf und mit einem gellenden ›Diablos! Diablos!‹ über Hals und Kopf Reißaus nahm.
Fanning hatte trotz des kritischen Momentes mit wahrhaft bewundernswürdigem Gleichmute seine Leute langsam feuern lassen, so daß, als wir nun von unserm Angriffe zurückkehrten, etwa noch ein halbes Dutzend nicht zum Schusse gekommen war, von Whartons Reserve, die jetzt gleichfalls vorgerückt, gar keiner. Die Kompanie war vollkommen gesprengt und lief bereits dreihundert Schritte von uns, aber statt dieser zeigte sich der Achtpfünder, der mittler weile mit frischer Bemannung versehen und soeben zum Losbrennen gegen uns gerichtet ward. Wäre die Bemannung aus Artilleristen bestanden, sie würden uns wahrscheinlich auf eine Weise begrüßt haben, die dem Kampfe bald ein Ende gemacht haben dürfte; aber so waren es Infanteristen, die mit ihrer Unbeholfenheit nicht eher fertig wurden, als bis wieder die Hälfte weggeschossen, wir unter den Prärierand hinabgesprungen waren.
[174] Der Schuß ging los, wir sprangen wieder auf.
Ein wahrer Waffentanz, bei dem uns denn aber doch allmählich heiß zu werden begann! Es war keine Minute zwischen unserm Hinab- und wieder Aufspringen verstrichen, aber der kurze Zwischenraum hatte doch die der zerstreuten Kompanie zunächst aufgestellten, weiter in die Prärie hinausstehenden Kolonnen um ein Beträchtliches gegen uns vorgebracht. Wir sahen jetzt, daß das zweite en échelon aufgestellte Bataillon gleichfalls im Vorrücken gegen uns begriffen, daß es seine schiefe Stellung so genommen, daß die hinteren Kolonnen die vorderen soutenierten, so daß wir leicht mit einem Dutzend Kompanien nacheinander anzubinden haben dürften, eine Aussicht, die uns denn doch bedenklich erschien: nicht, als ob wir im mindesten besorgt gewesen wären, mit den zunächst avancierten Kompanien nicht ebenso leicht fertig zu werden; aber es stand auch – und das nicht ohne Grund – zu befürchten, daß der Feind, wenn sich der Kampf in die Länge ziehe, allmählich auch den panischen Schrecken, den ihm bisher unsere Rifles eingeflößt, überwinde, sich ermutige, vom sinnlosen Pelotonfeuer, das er der ganzen Linie entlang gegen uns unterhielt, zum Angriff mit dem Bajonett übergehe. Wenn nur eine einzige Kompanie zu einem solchen Angriff gebracht wurde, mußte unsere Lage schon deshalb gefährlich werden, weil unsere Kräfte dann geteilt waren. Wir bemerkten ferner nicht ohne Unruhe, daß die Kavallerie, die sich bisher ruhig in heilsamer Ferne gehalten, nun gleichfalls in Bewegung geraten, stark gegen die Musquetinsel hinabgedrückt, und daß der äußerste rechte Flügel der Infanterie sich ihr bereits auf Schußweite genähert, zweifelsohne, um ihr die Hand zu reichen und dann vereint gegen uns vorzudringen. Wo waren aber unsere zwölf Mann, die wir in der Insel gelassen? Was war aus ihnen geworden? Waren sie noch da oder hatten sie sich im Schrecken vor der Übermacht zur Mission zurückgezogen? Das wäre nun ein böser Streich gewesen! Es waren treffliche Schützen, alle mit Pistolen versehen, die uns jetzt sehr gut zustatten gekommen, in der Mission aber absolut verloren waren. Wir hatten sie sowohl als die acht Mann der Mission mehr in der Ahnung, daß sie uns da nützlich sein konnten, als mit klarer strategischer An- oder Einsicht zurückgelassen. Aber was vermochten zwölf Mann – wenn auch noch so treffliche Scharfschützen – gegen zweihundertfünfzig Dragoner und eine oder ein paar Kompanien? Wir [175] bedauerten nun, diese zwölf Scharfschützen, die uns gerade jetzt so treffliche Dienste leisten konnten, gleichsam auf den Würfel gesetzt zu haben, – denn was das Allerbedenklichste, so begann unsere Ammunition stark zu schwinden – nur wenige hatten mehr als sechzehn Ladungen Pulver und Blei mitgenommen, die bis auf sechs verschossen waren; Items, die, ich versichere Sie, keine sehr angenehme Musik zu diesem unserm Waffentanze gaben. But a faint heart never won fair bride 3. Einen Augenblick überlegten wir, und im nächsten waren wir entschlossen. Die Tat rasch dem Entschlusse folgen lassend, übernahm ich es mit zwanzig Mann, in die Lücke, die die zerstreute Kompanie in der feindlichen Linie gelassen, vorzudringen, den Feind so in die Flanke, die Kanone aber endlich in unsere Gewalt zu bringen; Fanning und Wharton sollten ihn in der Fronte angreifen.
Die Bemannung dieser Kanone – mittlerweile wieder niedergeschossen – bestand jetzt bloß noch aus einem Offizier, der allein es gewagt, bei ihr auszuharren und sie zu laden. Er fiel gerade, als ich mich zu unsern Leuten wandte, um die zwanzig aufzufordern mir zu folgen. In demselben Augenblicke aber taumelt etwas an meine Seite – ich wende mich: der gespenstisch wilde Mann, den ich während des oberwähnten kritischen Momentes glücklich aus den Augen verloren, fällt mit einem gellenden Schrei an mich an, die losgebrannte Rifle krampfhaft mit beiden Händen erfaßt, die Augen verdreht – wild in den Höhlen rollend – der ganze Mann wie ein mit der Axt vor den Kopf getroffenes Rind vor mir niederschmetternd.
In dem furchtbaren Rollen der Augen, den gräßlichen Blicken erkenne ich ihn.
Bob! – kreische ich.
›Bob!‹ – röchelt er, einen entsetzten und entsetzlichen Blick auf mich werfend – ›Bob! Und wer seid – Ihr?‹
Einen wilden Strahl warfen mir die brechenden Augen noch zu, und dann schlossen sich sich.
Mich aber trieb es fort, als ob wirklich ein Gespenst hinter mir her gewesen wäre. Der Kopf drehte sich mir auf den Schultern, ein entsetzliches Chaos stürmte auf mich ein. In diesem Augenblicke wußte ich nicht, ob ich über – auf – oder unter der Erde war.
[176] Es ist aber ein Schlachtfeld mit dreizehnhundert Feinden zu Gesellschaftern ein gar sehr ersprießliches Ding, einem den Kopf wieder teilweise zurechtzusetzen, das Gedankenchaos zu lichten; bei mir wenigstens war dies der Fall.
Einige meiner Leute waren auf die Kanone zugesprungen, hatten sich an diese, den Ammunitionswagen gespannt, beide vorwärtsgezogen, erstere geladen, während die anderen als Bedeckung sie links und rechts umgaben. Noch waren sie mit dem Laden des Geschützes nicht fertig, als ein verwundertes: ›Seht, schaut doch einmal!‹ mich aufschauen machte.
Der Feind schien in einem dem meinigen ähnlichen Zustande zu sein. Auch er schwankte, als ob er Geister sähe, die ganze feindliche Linie, Kolonnen und Eskadrons. Noch hatte keiner meiner Leute einen Schuß getan, wohl aber Fanning und Wharton, die etwa zwanzig Schüsse abgefeuert, als sowohl die nächsten Kolonnen sowie die entfernteren in die seltsamste Bewegung gerieten!
Es war ein ordentliches Erzittern, Erbeben, das über sie kam, so auffallend aber, als wenn es von einem Erdbeben herrührte, einem unterirdischen Stoße, einer Erschütterung, die alles durcheinanderwürfe. Wir hielten unsere Rifles zur Deckung der Kanone in Reserve; diese selbst, doppelt geladen, ließ ich soeben mit Zündkraut versehen, als das Schwanken des Feindes so heftig wurde, daß ich den Schützen sich zu beiden Seiten der Kanone anzureihen befahl. Die Kolonnen der Infanterie erschienen gerade wie ungeheure Felsmassen, und in ihren braunen Uniformen glichen sie auch solchen, – wie sie am hohen Berggipfel aus ihren Lagern gerissen einen Augen blick schwanken, ungewiß, auf welche Seite sie gerissen werden.
Ich hatte in Eile die Lunte angeblasen, ließ feuern und brannte dann den Kartätschenschuß ab.
Den letzteren erwartete jedoch der Feind nicht mehr. Gleich den erwähnten Felsenmassen sich plötzlich losreißend, barst die ganze lange Linie auseinander, aber nicht die Kolonnen, die gegen uns standen, zuerst, die des äußersten linken Flügels hatten den Anfang gemacht, dann folgte das Zentrum, der links gegen uns stehende Flügel war der letzte; aber eines hatte das andere mitgerissen. Es war die wildeste, regelloseste Flucht, die ich je gesehen. Infanterie, Kavallerie, alle jagten sich gerade, ich kann es Ihnen nicht besser versinnlichen, [177] als wie Felsmassen, die vom höchsten Berggipfel losgerissen auch alles mit sich fort in den Abgrund reißen.
Wir standen, wir schauten, wir starrten; lange vermochten wir es nicht, den Feind und seine seltsame Flucht zu begreifen. Endlich begannen uns beide klarzuwerden.
Die Infanterie nämlich, ihren linken Flügel an den Salado gelehnt, hatte ihren rechten in die Prärie hinaus gegen die Musquetinsel vorgeschoben, um sich an die vis-à-vis von uns haltenden Dragoner anzuschließen und dann vereint gegen uns vorzudringen, ein Manöver, das, wie gesagt, unsere Aufmerksamkeit und Kräfte teilen, uns so in Verwirrung bringen sollte. Der Plan war nicht übel, bereits hatte sich sowohl Infanterie als Kavallerie gegen die Insel herab- und hinangezogen, natürlich ohne auch nur im geringsten zu argwöhnen, daß diese von uns besetzt sein könnte. Auch zeigte sich da nichts Verdächtiges. Unsere zwölf trefflichen Riflemänner, hinter den Bäumen verborgen, ließen sowohl Eskadrons als Kompanien bis auf zwanzig Schritte an die Insel herankommen, aber als sie so weit herangekommen, öffneten 4 sie plötzlich ihr Feuer, wohlbedacht zuerst die Pistolen und dann die Rifles gebrauchend.
Eine Überraschung aber von einigen dreißig Schüssen, plötzlich aus einem solchen Hinterhalte kommend, dürfte nun wohl die besten Truppen außer Fassung gebracht haben, um wieviel mehr unsere mexikanischen Dons, die kaum von ihrem ersten Schrecken erholt, sich von den eingefleischten Diablos, wie sie uns nannten, auf allen Seiten umzingelt hielten. Ihnen so schnell als möglich zu entgehen, brachen sie daher auch auf allen Seiten aus, die Infanterie unwiderstehlich mit sich fortreißend – Kolonne auf Kolonne, bis sich endlich die ganze Linie in ein endloses Gewimmel Flüchtiger auflöste.
Der Sieg war so gekommen, wir wußten selbst nicht, wie. Fannings und Whartons Leute hatten zweimal, die meinigen nur einmal abgeschossen, als auch bereits die feindlichen Massen sich auflösten, wie wilde Mustangherden von den Lassojägern verfolgt in die Prärie hinausbrachen.«
Fußnoten
1 Verdammt seien eure Augen, ihr gaffenden Toren! Seht ihr nicht die Artilleristen, warum schießt ihr sie nicht vorn Kopf.
2 Verdammte Schlafhauben, die ihr seid! Warum nehmt ihr nicht das große Stück?
3 Ein zaghaftes Herz gewann nimmer die reizende Braut (wer nicht wagt, der nicht gewinnt).
4 to open fire.