[107] 6.

An L. v. ***.

Nunc in Aristippi furtim praecepta relabor.
Horat.

Was wahres Glück und wahre Tugend sey,
Und ob das Glück mit Tugend sich vertrage,
Das, Freundin, war der Weisen ew'ge Frage,
Doch immer klang die Antwort fremd und neu.
Was du auch thust, sey der Natur getreu,
Und dulde gern, bezwing dich und entsage:
Des Glückes Reiz, des Ruhmes Schmeichelei
Nichts laß sie seyn auf deiner Thaten Wage,
Leb' ohne Schuld und scheide sonder Klage,
Sey reich in Armuth und in Fesseln frei!
So lehrt Cleanth uns aus der Stoa Hallen,
Und demonstrirt mit manchem spitz'gen Schluß:
Der Frösche Lied, das Lied der Nachtigallen,
Und Göth' und Ast, und einer Charis Kuß
Und eine Gunst der alten Vesta muß
Auf gleiche Art dem weisen Mann gefallen;
Denn Glück ist Tand, nur Tugend ist Genuß!
Sey frei wie ich, so ruft aus seinem Fasse
Der Cyniker, und eins mit dir allein;
Wirf Geld und Gut wie Kiesel auf die Gasse,
Und wer dich speist und tränkt, den flieh und hasse;
Denn nicht dein Freund, dein Herrscher will er seyn.
Speusipp entreißt der Geisterwelt das Siegel
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Und zeigt empor zum lichten Sonnenpfad
Und ahnet kaum, daß nicht ein Jeder Flügel
Und Keiner fast die Lust zum Fliegen hat.
Willst du von mir des Räthsels Lösung wissen,
So preis' ich dir der Charis holden Freund,
Der weise stets bei ewigen Genüssen
Und keusch und frei in Lais Arm erscheint.
Glück sey dein Wunsch, Genuß dein ew'ges Streben;
Das schönste Gut schließt auch das höchste ein;
Sey tugendhaft nur um beglückt zu leben,
Und sey beglückt um tugendhaft zu seyn.
Siehst du ringsum die heil'ge Dämmrung schweben,
Wenn kaum im Meer die Sonne sich verhüllt,
Und räthselhaft um's friedliche Gefild
Die Phantasien den duft'gen Schleier weben?
Dies ist des Glücks, der Tugend schönes Bild.
Nimm sie hinweg des Lichtes zarte Wellen,
Die dämmernd noch, gleich einem süßen Traum,
Den Phöbus träumt, die Bahn der Luft erhellen,
Und kalte Nacht umhüllt den öden Raum;
Nimm ihn hinweg des Dunkels leisen Schatten,
Den Schlaf und Traum rings durch den Himmel streun,
So wird dein Herz in schwüler Gluth ermatten
Und kalt dein Geist im ew'gen Lichte seyn.
Was ist das Glück? Ein süßes Wohlbehagen,
Worin das Herz ein geist'ges Leben fühlt,
Das schmeichlerisch, wie in den Frühlingstagen
Gedüft und Glanz, uns um die Seele spielt;
Ein Zustand fern von Furcht und von Begehren,
Worin sich mild, gleich jenem flücht'gen Licht,
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Von dem geküßt die Wellen sich verklären,
Ein leises Bild der körperlosen Sphären
Im zarten Traum der stillen Ahnung bricht.
Das Glück es kennt nicht Ueberdruß noch Reue,
Die Leidenschaft naht seinen Hainen nie;
Der zarte Sinn gab ihm die heil'ge Weihe,
Und liebend hegt's mit felsenfester Treue
Sein schönstes Pfand, des Innern Harmonie.
Wie still und hehr sich durch des Himmels Ferne
Der ew'ge Tanz der wandelbaren Sterne
Durch ein Gesetz auf tausend Bahnen dreht,
So wird das Glück sich manchen Pfad erfinden:
Doch wenn auch oft das Einzelne verschmäht,
Sich an's Gesetz des Einzelnen zu binden,
Zu einem Kranz wird sich das Ganze winden.
Was treibt den Geist mit ungestümem Drang
Sich in das Meer der Leidenschaft zu wagen,
Vor keinem Fels, vor keinem Sturm zu zagen,
Bis er das Ziel, das stets ihn flieht, errang?
Er sucht das Glück? Verblendeter, o kehre
Den schroffen Pfad, den du begannst, zurück!
Nicht in des Sieges blut'gem Augenblick,
Nicht auf dem Thron der schmachbefleckten Ehre,
Nein, wo du bist, da wohnt mit dir das Glück.
Den Kerker wird's dir zum Palast verschönen,
Mit Myrtenlaub dein niedres Haus umziehn,
In jedem Werk, das du vollbracht, dich krönen,
In jedem Baum, den du gepflegt, dir blühn.
Es wird dir Muth in jedem Kampf gewähren,
Entsagung selbst dir zum Genuß erhöhn,
Dich Mäßigung, am Ziel der Wünsche lehren
Und lächelnd dir im Schmerz zur Seite stehn.
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Denn sprich, warum soll Schmerz die Brust erschüttern,
Wenn dir entschwand, was dir das Liebste war?
Warum dein Herz im Wogenaufruhr zittern?
Der Schmerz wird dir den Unfall nur verbittern,
Und Schande fügt das Zagen zur Gefahr.
Was frommt es dir in Lust dich zu berauschen
Und das Geschenk durch Mißbrauch zu entweihn?
Ach bitter ist's, die Freude zu bereun!
Nur Sättigung wirst du für Sehnsucht tauschen;
Schmerz wird das Ziel, Genuß das Mittel seyn.
O kannst du je die Tugend noch verkennen,
Wenn dir das Glück in dieser Form erschien?
Kann deine Hand zwei zarte Blüthen trennen,
Die schwesterlich aus einem Halm entblühn?
Wenn angethan mit wolkenloser Helle
Der holde Lenz die Flur mit Leben füllt,
Und jugendlich des Himmels heitres Bild
Durch das Gewand der spiegelreinen Welle,
Wie durch den Flor des Busens Wallung, quillt,
Wird da das Herz dem Niedern nicht entsagen,
Nicht feuriger für alles Schöne schlagen,
Nicht kühn für Recht und feind dem Unrecht seyn?
Wirst du den Freund nicht inniger umschlingen,
Nicht muthiger des Hasses Geist bezwingen
Und milder nicht dem Irrenden verzeihn?
So soll im Glück die Tugend sich verklären,
So soll das Glück durch Tugend sich erhöhn;
Das eine wird erst durch das andre schön,
Und die den Reiz des Glücks dich fliehen lehren,
Die werden auch den Reiz der Tugend schmähn.
Was kann der Spruch der finstern Grübler frommen:
Durch Schmerzen erst sollst du der Tugend nahn,
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Sollst lang dich mühn auf steiler Dornenbahn
Und künftig erst, wenn du an's Ziel gekommen,
Den späten Lohn des ew'gen Kampfs empfahn!
O folg' ihm nicht, er wird dein Herz betrügen;
Der Wandrer, den in wüster Einsamkeit
Kein schattend Dach, kein kühler Quell erfreut,
Der wird zuletzt der langen Qual erliegen,
Und Frevel ist's durch Kampf sich zu ersiegen,
Was gern und leicht der milde Fried' uns beut.
Mit Tugend soll dir auch das Glück beginnen;
Mit jeder That, die auf zum Himmel schwebt,
Soll deine Reis' ein neues Ziel gewinnen,
Das deinen Muth zu läng'rer Müh belebt.
Du sollst am Pfad der Freude Blumen pflücken,
Den Pilgerhut mit frischen Kränzen schmücken,
Sollst in der Freundschaft klarem Silberbach
Die heiße Brust, der Wangen Gluth erquicken
Und fröhlich ruhn im schattigen Gemach.
Die Liebe soll dir Rosenlauben bauen,
Die Phantasie dir bunte Träume leihn,
Das Zartgefühl soll auf die duft'gen Auen
Den milden Glanz des Friedens niederthauen,
Der Geist dein Schutz, das Herz dein Führer seyn.
Die Rose blüht mit unbeflecktem Glanze,
Wenn auch der West ihr leise Küsse beut,
Und fröhlich hüpft der Quell im raschen Tanze,
Vom zarten Bild der Blume nicht entweiht;
So darf auch Lieb' in deinem Herzen wohnen,
Und lächelnd wird mit seinem schönsten Kuß
Dir rein und keusch der Unschuld Genius
Für jedes Glück der holden Schwester lohnen.
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Scheuch' ihn hinweg, den düstern Nebelflor,
Der kalt die Bahn der Tugend dir verdunkelt;
Der Stern der Lust, der hell und freundlich funkelt,
Zeigt dir den Pfad, den Tugend sich erkohr.
In seinem Licht wirst du mit Freuden wallen;
So lange dir sein tröstend Antlitz blinkt,
Wird nie die Bahn des Abgrunds dir gefallen,
Um die der Schmerz die scharfen Dornen schlingt.
Sey schmerzlos, und du wirst die Tugend schauen,
Die lächelnd dir an ihrem Pfade winkt;
Sey glücklich, und du wirst dich ihr vertrauen,
Wenn sich ihr Flug mit dir zum Aether schwingt.

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