Hymnus
Heilige Tonkunst, göttlichen Stammes!
Gespielin der Engel, Vertraute des Himmels!
Die gefallene Menschheit klagte;
Des Lebens Dornenpfad verwundet' ihre Sohle,
Eine blutige Thräne fiel auf die sengende Nessel:
Da trat'st du, Himmlische, im Schwanenkleide
[466]Vor sie hin und hauchtest ihr Liedergeist ein. –
Nun klang die Saite unter dem ziehenden Bogen,
Nun klang das Goldgeweb der Harfe;
Nun klang der Lyra Silbergewebe;
Nun schmetterte Trompetenklang,
Und es wieherte das Streitroß d'rein.
Nun tönte das schallende Horn,
Nun flisterte die weiche, lydische Flöte;
Nun wirbelte der Tanz,
Nun schmolz der Jüngling in Liebe,
– Zerfloß das bleichere Mädchen in Liebe.
Im Tempel scholl Jehovahs Lob;
Die Hallposaune tönte d'rein,
Und die Asoor und die Githit und die schallende Cymbal.
Der Donner des Hymnus stieg zum Olympus.
Der Psalm flog blitzgeschwingt ins Allerheiligste:
Und Jehovah lächelte Gnade!
Laß mich dich, göttliche Polyhymnia! –
– Denn auch mich hast du in den Stunden der Weihe besucht:
Du gabst mir männlichen Gesang und Flügelspiel,
Daß ich gebiete der Thräne des Hörers zu fließen;
Daß ich färbe das Antlitz des fühlenden Jünglings
Mit der Begeisterung Glut;
Daß ich dem lauschenden Mädchen
Seufzer der Lieb' entlocke;
Daß ich durch Wodansgesang schwelle den Busen des Mannes –
O laß mich dich, göttliche Polyhymnia,
Und deines Geschenkes himmlischen Werth nie entweihen!
Laß mich singen Jehovah –
Der ist, der war, und der kommt!
– Dir, o Tugend, dir, frömmere Liebe,
Dir, traulicher Scherz bei unentweihten Pokalen,
Und, ach dir, o Vaterland, Vaterland,
Das ich liebe, wie der Jüngling die Braut –
Dir, o Vaterland der Helden und der Feuerseelen,
Weih' ich mein Flügelspiel und meinen Sang!
[467]Wenn ich einst schlummere nach meines Lebens Mühen,
Wenn über meinem Gebein sich der Grabhügel thürmt,
Wenn ich meiner Ketten Last
Am Grabgeklüft zurücke ließ:
So weil' ein zärtlicher Jüngling am Grabe,
So weil' ein fühlendes Mädchen am Grabe;
Sie schauen himmelan und sprechen
Mit dem Schimmerblick des tiefsten Herzgefühls:
Weht sanfter Lüfte, um diesen Aschenhügel,
Hier ruht Polyhymnias Freund!
Ihm gab Gott Sang und Flügelspiel,
Doch entweihte er nie die köstliche Gabe.
Die Harfe hing er im Tempel auf;
Und seine Telyn in Thuiskons Hain!