6.

Es war einmal ein armer Taglöhner, der hatte viele Kinder und wenig Brod für sie. Einmal als die Noth gar bitter über ihn kam, ging er in den Wald hinaus und setzte sich auf einen Stock und weinte heisse Thränen. Da trat ein Mann zu ihm heran und frug ihn, was ihm fehle, und wie er hörte, daß er nicht Brod habe für seine hungerigen Kinder, erbot er sich, ihm zu geben, daß er genug daran habe für sich und Weib und Kind, wenn er ihm eines seiner Mädchen überlassen wolle; sie solle es bey ihm gut haben. Der arme Vater war des Handels froh und zeichnete seinen Namen in das dargebotene Buch. Mit einem großen Sack Geldes ging er heim und der Noth war ein Ende. [66] Zum Mädchen aber sagte er: »Geh mit mir in den Wald.« Sie gingen, und im Walde angekommen, hieß er sein Töchterlein auf dem Stock, wo er gestern gesessen, niedersitzen und warten, bis ein Herr komme, der sie mitnehmen werde; sie solle es gut bey ihm haben.

So blieb das Mägdlein sitzen und wartete. Da kam eine schöne, große, milde Frau, – es war U.L. Frau – und sagte zu ihr: »Kind, es wird Jemand kommen und dich mitnehmen wollen; erst aber wird er drey Fragen an dich stellen: die Antwort darauf will ich dir sagen, du könntest es nicht wissen. Zum Ersten wird er dich fragen: Was ist süsser als Zucker? darauf antworte: ›Die Brüste meiner Mutter, an denen ich getrunken.‹ Die zweyte Frage wird seyn: Was ist linder als Federflaum? Darauf sage ihm: ›Der Schoos meiner Mutter, auf dem ich gesessen.‹ Das drittemal sollst du ihm Bescheid geben, was härter als Stahl und Eisen? Die Antwort sey: ›Das Herz meines Vaters, der mich dem bösen Feinde verkaufen will.‹«

Damit verschwand U.L. Frau und gleich darauf erschien der fremde Herr und frug sie die drey Fragen, und erhielt vom Kinde die Antwort, wie sie gelernt hatte.

Das hat dir die Blaue Frau gerathen, daß du mir so antwortest, schrie der Herr, sonst wärst du mein Eigen gewesen – und verschwand. Waldmünchen.

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