[11] [3]Erstes Buch.

Einleitung

1. Deutschen Geistes Wiederkehr
§. 1. Deutschen Geistes Wiederkehr.

Es geht zur Zeit ein eigentümlicher Geist durch alle Deutschen Gauen: der Deutsche kehrt aus der Fremde zurück in sein eigen Haus und schaut sich um wie es bestellt ist und findet, daß gar gut drin wohnen sey. Was er mißachtet hat, lernt er schätzen, was er in den Winkel gestellt, kehrt er hervor und besieht es und erkennt mit Erstaunen, welchen Schatz er vor sich verborgen hatte.

Es weht eine frische heimatliche Luft im weiten Deutschen Vaterlande: die Strömung, welche so lange nach auswärts sich gezogen, wendet um und bewegt sich dahin, von wo sie ausgegangen. Ist es dem harmlosen Geiste etwa draußen unheimlich geworden, daß er sich wieder zurücksehnt nach den Tagen seiner Kindheit und Mannheit, nach den glanzvollen Zeiten der Vergangenheit, wo Er Geschichte gemacht, nach der Wiege, aus der so viel Großes, was die Neuzeit noch aufzuweisen hat, hervorgegangen ist? Ist vielleicht seine Harmlosigkeit draußen [3] im fremden Lande mißbraucht worden, und die Sehnsucht nach Hause aus getäuschten Hoffnungen herausgewachsen oder verzweifelt er, daß er es je über seines Vaterlandes Gränzen zur Geltung bringen könnte, er, der Enkel jener Deutschen, welche die Römische Weltherrschaft umgeworfen und sich auf den Thron der Cäsaren gesetzt haben?

Gewiß ist es nicht das Aufflackern des erlöschenden Lämpchens, in welchem die Niederlage Deutschen Wesens zum letztenmale sich zeigen will. Der ist kein Freund des Vaterlandes, so am Vaterlande verzweifelt. Wer sich aufgibt ist aufgegeben. So wollen wir hoffen! Was der Sonne im Frühjahre nur nach Wochen gelingt, die Eisdecke von der Erde zu heben, bewirkt ein laues Windchen oft in wenigen Tagen.

Seit uns Grimm, ein anderer Prometheus, das Licht auf Deutschem Herde wieder angezündet, brennt es auf allen Feuerstätten Deutscher Heimat. Er hat zugleich uns die Binde von den Augen gezogen, die uns fremde Sprache, fremde Sitte, fremde Natur umgebunden, damit der Riese ja nicht sehe, wie groß er sey und wie gewaltig. Ebenbürtig steht nun Deutsche Sprache neben den klassischen Sprachen, befreyt ist sie aus der Knechtschaft, in der sie als dienende Magd geschmachtet, von den klassischen Philologen mißhandelt war. In der Deutschen Alterthumskunde ist eine neue Wissenschaft gegründet, welche kräftig Wurzel schlägt, zum Trotze jenen Gelehrten, welchen der unbedeutendste griechische Name, das letzte griechische Nest höher gilt als ein Sachsenkaiser oder Köln am Rhein. Selbst des Volkes Sitte wird [4] hervorgezogen unter der Decke einer gegebenen Ordnung, welche niemals im Volke naturgemäß sich entwickeln kann, weil sie auf dessen Natur nicht Bedacht nahm. Vaterländische Altertumsvereine, Zeitschriften, Sammlungen, Abhandlungen und Werke über Deutsches Seyn und Wesen brechen überall hervor; es ist derselbe Geist, der lange zurückgehalten, mit um so größerer Kraft die Fesseln sprengt, je enger sie die Klassizität gezogen hatte. Es ist das Bewußtseyn dessen, was Deutschland war: es ist wieder Deutscher Geist, der uns erfaßt, der uns als Deutsche wieder fühlen, wills Gott auch handeln lehrt, und in der Pflege Germanischer Studien ab Seite der Regierungen seine Nahrung findet.

2. Zwietracht
§. 2. Zwietracht.

Der Grundcharakter Deutschen Wesens, Zwietracht, ist geblieben. Von Armin dem Cherusker herab, bis in die jüngsten Tage, zeigt jedes Blatt Deutscher Geschichte den unseligen Zwiespalt, der Deutschland zur Unmacht verhalf. Er ist auf Deutschem Hause heimatberechtiget. Was Chatten und Hermunduren, Cherusker und Markomannen in heidnischer Zeit, sind Sachsen und Franken, Gibellinen und Welfen, Protestanten und Katholiken in christlicher.

Als die Germanen in das Christentum eintraten, mußte die Kirche die Erziehung der frischen Naturvölker übernehmen; es gelang ihr: aber um den Preis des Rechtssatzes: Clericus vivit lege romana. Damit war [5] Deutschem Wesen eine bedeutende Wunde geschlagen: aber jener Satz verhalf der Kirche zur nothwendigen Einheit, ohne ihn war zu jener Zeit die Kirche in sich zerfallen, machtlos, ihr Wirken ohne Erfolg.

Jede Absonderung in der Gesellschaft gebiert aber Eifersucht, Feindschaft. Schon die Frankenkaiser fanden es bequem, Römisches Recht als Staatsrecht zur Geltung zu bringen; es gewährte Macht; noch mehr die Hohenstaufen: aber da stand der Papst dem Kaiser als Beschützer Deutscher Stammesindividualitäten entgegen; er trat der politischen Centralisation mit allem seinem Gewichte in den Weg, und den Hohenstaufen blieb folgerecht auf ihrer Bahn nichts übrig, als die Herrschaft der Kirche zu brechen zu suchen. Beyderseits entbrannte der Kampf um Seyn und Nichtseyn: beyde Theile gingen geschwächt aus dem unheilvollen Streite; statt vereint die Idee des Reiches Gottes auf Erden auszubreiten und zu verwirklichen über alle Länder, befehdeten sich die beyden Schwerter in unseligem Mißkennen der von Gott gegebenen Aufgabe: beyde verfielen der Nemesis, zuerst aber der Kaiser.

Geschwächt in Deutschland durch die Kraftanstrengung gegen den Süden, war der Kaiser nicht im Stande, den Stammesfürsten, welche sich erblich machten, zu widerstehen.

Der Untergang der Hohenstaufen sicherte noch mehr den errungenen Bestand, und wie später die folgenden Kaiser, waren auch die Fürsten nur darauf bedacht, ihre Hausmacht zu vergrößern und von Kaiser und Reich möglichst unabhängig zu machen.

[6] Mit Erfolg kam den Herzogen Römisches Recht nach unten gegen das Volk zu Hilfe. Der letzte Ritter Maximilian I. gab der faktischen Anwendung Römischen Rechtes nur den formell-gesetzlichen Ausdruck. Damit war der Deutsche um sein altes Rechtsbewußtseyn gebracht.

Aber auch der Papst sollte nicht ungestraft aus dem Kampfe getreten seyn, in welchem er nicht jederzeit sich innerhalb seines Gebietes gehalten hatte. Es kam die Reformation, aus demselbigen Deutschland, von welchem der Kampf ausgegangen war und mehr als die Hälfte Europas war katholischem Glauben entfremdet.

Und wieder kam die Nemesis für diesen Abfall und der Schwedenkrieg verheerte dreißig Jahre lang Deutschlands blühende Gauen und durch den westphälischen Frieden verschwand das Deutsche Reich von der Weltbühne als seitheriger Gebieter Europas.

Franzosentum ward nun Mode und Selbstherrschaft; jede noch so kleine Deutsche Residenz wollte ein Versailles seyn. Doch bewahrte die Vorsehung das arme Reich vor einem ähnlichen Rückschlage, wie ihn die Welt noch nicht gesehen, aber Frankreich in der Revolution erfahren hatte. Indessen hörte damit Französischer Einfluß nicht auf; er wendete sich wie früher an die Fürsten nun an die Völker und das Deutsche Reich brach zusammen. Es war Nemesis. Die Spaltung auf kirchlichem Boden hatte sich auf politisches Gebiet hinübergezogen. Der Westen Deutschlands hing seit 1648 von Frankreich ab, bis mit Napoleon, dem höchsten Ausdruck des widernatürlichen unberechtigten [7] Einflusses, diese Fessen fielen. Aber kaum lag dieser Feind zu Boden, so stand im Osten ein anderer Freund auf, seine hilfreiche Hand herüberzustrecken; bald ward aus ihm der gebietende Rathgeber und mit aller Wucht drückte er auf die östliche Hälfte Deutschlands. Bey dem schneidenden Gegensatz von Slaventum und Germanentum konnte es aber nicht ausbleiben, daß die Anschauungen, welche Rußland über Herrschen und Gehorchen auf Deutschem Boden zur Geltung bringen wollte, dem Deutschen Charakter mehrfach widerstrebten. In jüngster Zeit gebührt wieder der Ostmark der Ruhm, mit Glück, Kraft und Umsicht sich dieser mehr beengenden Freundschaft des östlichen Nachbars entzogen zu haben.

War nun links von Mayn und Rhein früher die Franzosenliebe zu großem Unheile ausgeschlagen, so möchte zu dieser Erscheinung das unsichtbare Fortwirken des Kelten- und Romanentums, welches der Germanischen Eroberung vorherging, seinen Theil beigetragen haben. Indessen trug dieser Einfluß theilweise auch gute Folgen: nicht läugnen läßt sich, daß dem Franzosen als Individuum die möglich größte persönliche Freyheit zur Seite stehe, wenn auch bey ihm sonst die Centralisation auf das höchste getrieben ist und der Gesammtorganismus darunter leidet. Der Franzose ist der Civis romanus der Neuzeit, nach seinem Gesetze darf er nicht geschlagen werden. Einem Theile der westlichen Hälfte Deutschlands ist aber diese kurze, feste, kategorische Gesetzgebung aus seiner engen Berührung mit Frankreich geblieben und dem Volke lieb und theuer geworden. Sie gewährt ein[8] beruhigendes Gefühl des Rechtsschutzes und beseitiget alle Furcht vor Willkür.

An der Elbe hinwieder ist das Germanische Blut vielfach mit Slavischem vermischt, oder wenn man lieber will, aufgefrischt. Daher auch auf dieser Seite der Glaube, ohne Bambusrohr nicht regieren zu können; daher die begeisterte Zudringlichkeit, mit welcher auf dem jüngsten Preußischen Landtage ein Theil der Volksvertreter die humanere Regierung zur Wiedereinführung der patriarchalischen Prügelstrafe zu bewegen strebte. Daher auch das Erscheinen eines schwarzen Buches. – Diese Deutsch-Slavische Vermischung ist aber um so gefährlicher als an die Marken Deutschlands der Slavische Weltkoloß stößt und auf Deutsche Slaven wirken kann. –

Zur Ehre des Deutschen Volkes sey aber gesagt, daß gegenwärtig von seiner Seite weder Geneigtheit nach Westen noch nach Osten sich zeigt; sein Blick, sein Hoffen steht auf seine Fürsten, denen es gelingen wird, eine Form der Reichsverfassung zu gewinnen, welche bei möglichster Wahrung der zu freyer Existenz berechtigten Bundesglieder jene Achtung gebietende Machtstellung nach Innen wie nach Außen hervorruft, daß es fremden Beystandes, weder für die Fürsten noch für die Völker, bedarf.

3. Harmlosigkeit
§. 3. Harmlosigkeit.

Dieser Uneinigkeit nach Innen reiht sich nach dem westphälischen Frieden die Eigenschaft der Harmlosigkeit zur Seite. Als der letzte Kaiser des heiligen Römischen [9] Reiches Deutscher Nation seine tausendjährige Krone niederlegte, war der Deutsche Aar schon zur Henne geworden; er hatte die Schwungfedern verloren, die scharfen Krallen der Klauen waren zugeschnitten, der kräftige Hacken seines krummen Schnabels war sorgfältig abgefeilt. In diesem Zustande ist er denn förmlich gerupft worden. Die Deutschen Ostseeprovinzen sind russisch, der kleine Däne hat Deutsche Herzogthümer in seiner Gewalt; England sitzt auf Helgoland und wirkt in Hannover; Holland hat sich losgerissen und das Spanisch-Deutsche Brabant durch Deutsche Diplomaten dazu erhalten, wenn gleich bald darauf durch Eigensinn wieder verloren; Frankreich ist im Besitze der schönsten Deutschen Länder mit Elsaß und Lothringen; die Schweiz frey; nur die Ostmark Deutschen Landes hat sich unverkürzt erhalten und Schweden seine Vorposten auf Deutschem Boden an Preußen abgegeben.

Wohl hat das deutsche Volk im Jahre 1848 einen Anlauf genommen sich zu erheben, aber der Bär ist grob und plump darein getreten und bald wieder zur Ruhe gekommen. Der Deutsche ist seiner Natur nach Freund der Ordnung und rechtlichen Bestandes. Doch hat diese Bewegung die Regierungen überrascht und sie gaben nun mehr oder minder genöthigt was schon längere Zeit her gewünscht wurde und früher mit Dank und vermehrter Liebe wäre empfangen worden. Die Gegenwart schreitet mit Dampfkraft. Jahrzehnte sind wie sonst Jahrhunderte. Dieses schnelle Vorübereilen der Zeit fordert zu großer Umsicht, zeitgemäßem Reorganisiren und verdoppelter [10] Energie auf. Die Verantwortung derer, die auf der Warte stehen, ist daher eine vergrößerte: möchten sie eingreifen, wo es am Orte und so lange es an der Zeit ist und mit Dank geschehen kann. Der Grundsatz: Zeit gewonnen, Alles gewonnen – scheint an praktischem Werthe verloren zu haben, wo das Zeitmaß ein anderes ist und die Ereignisse im raschen Wechsel nicht des Zuwartenden harren. Zu sehr gesteigerte Centralisation, sowohl im Ganzen, wie in den Theilen, ist gegen den Grundcharakter Deutschen Wesens, welches neben der Einheit auch die Vielheit als berechtiget erkennt und bringt doppelte Gefahr in einem Bundesstaate.

4. Unbeholfenheit
§. 4. Unbeholfenheit.

Hiezu gesellt sich noch eine gewisse Unbeholfenheit des Deutschen im öffentlichen Leben, weßhalb die Bevormundung des Individuums wie der Gemeinde zum Gesetze geworden ist. Der Deutsche gilt in mehrfacher Beziehung entweder als Professor oder als Schüler. Bey ihm muß Alles gemaßregelt werden bis in das Innerste der Familie hinein und Selbständigkeit gilt ihm als Auflehnen gegen hergebrachte Schulordnung. Kein anderes Volk schwört so gerne in verba magistri und ist bei angebornem Rechtssinne so leicht zu regieren. Wo Deutsche Sitte vor das Haus tritt, stößt sie auf Anordnungen, welche sie zurückweisen. Die Möglichkeit des Unfuges, und was kann nicht als solcher gelten, genügt zum Erlasse des Verbotes, der Aechtung Deutscher Sitte. [11] Wie könnte auch unten eine gewisse Selbstständigkeit sich entwickeln, wenn oben für Alles gesorgt werden will, dabey aber die leitenden Grundsätze so oft und so leicht gewechselt werden.

Wohl ist Dieses meist nur Nachhall jenes Umschwunges zu Anfange des Jahrhunderts, wo die zersetzenden Ideen der Philosophen zum Durchbruche kamen und antrieben, möglichst schnell die Völker nach ihrer Angabe aufzuklären. Doch ist es zugleich Beweis für Deutsche Zähigkeit, daß ungeachtet alles Verbietens und Strafens dennoch nicht Alles verloren ist, was das Volk aus dem Schwedenkriege sich gerettet hat. Leider ist die Liebe zum heimatlichen, altererbten Herde gewichen. Das Heimat ist zur Waare geworden, die Weihe desselben, seine Heiligkeit beseitiget. Selbstsucht und Rohheit haben die Stelle früheren Gemeinsinnes und nachbarlichen Verkehres eingenommen. Von den Spielen in der offenen Flur ist die Jugend hinweggejagt in die Wirthsstube und weil die ehrbare Sitte der Ahnen ihnen unbekannt geworden oder gar verboten ist, ergeht sie sich in wilder Raserey beym Tanze, in verwegenem Kartenspiele oder politischen Kannegießereien.

Dem Deutschen ist die Liebe Deutscher Erde abhanden gekommen: mißverstandene Aufklärung, zu großer Eifer für ihre Verbreitung trägt größtentheils hieran die Schuld. Wer aber die Stätte nicht liebt, wo er und seine Aeltern geboren worden, wie soll der mit Liebe am Vaterlande hangen? Was macht das Land zum Vaterlande als das Bewußtseyn alten Besitzes? Nun ist dem [12] Deutschen Amerikanischer Boden gleichen Werthes wie sein eigener; ohne Wehmut wandert er aus, denn er zieht ohne glückliche Erinnerung fort, und gleichgiltig ist es ihm, wo der Zug hinführt, wenn er nur zu leben hat.

5. Deutsche Sitte
§. 5. Deutsche Sitte.

Wie zu Anfang dieses Jahrhunderts der Vandalensturm gegen Alles losbrach, was Kirche und Kloster hieß, so auch gegen Alles, was von Deutscher Sitte und Einrichtung unter der Herrschaft von Römischer Gesetzgebung noch geblieben war. Geboren um sich zu nähren, Kinder zu erzeugen und dann ins Grab zu steigen, sollte der Mensch nichts anstreben als was der herrschende Zeitgeist hiefür zu bezeichnen für gut fand. Der Damm, den das Sittengericht der Gemeinde, der Körperschaft gegen jede Art des Abweichens von der Väter Brauch aufgeführt, ist niedergerissen: die Gemeinde kein gesunder Organismus, ein administratives Gebilde, ein Aggregat von Elementen, die nicht Wurzel schlagen können, weil sie keinen entsprechenden Boden finden. Und doch ist es in Bayern viel besser bestellt in dieser Hinsicht als sonst wo. Das Ganze hat sich eben aufgelöst in seine Bestandtheile, jedes noch so kleine Ich sieht nur auf sich und seinen Vortheil; von unten auf ist Alles von Egoismus zersetzt und an die Stelle des alten Gottes der Geldsack auf den Altar gestellt. Jenes Grundelement des Deutschen Wesens, die Körperschaften mit ihrer Autonomie, sind zerstört, nun weichen alle Glieder aus den[13] Fugen, lösen in Individuen sich auf und noch sieht die Staatsweisheit vergebens nach dem Kitte, der sie wieder zu einem lebendigen Ganzen verbinden könnte.

6. Die Kirche
§. 6. Die Kirche.

Doch eine Säule steht noch vom großen Bau; die Kirche in ihrer angeerbten Umsicht, ihrem Konservatismus, sorgt nach Kräften wieder aufzubauen, was in chemischer Zersetzung sich gelöst hat, in Atome zerfallen ist. Sie gründet religiöse Vereine und Genossenschaften und nimmt gerade jene Theile des Volkes in Schutz, welche dem hereingebrochenen Uebel den wenigsten Widerstand entgegen zu setzen vermögen. An das Volk wendet sie sich gegenüber den Herren, an die Frauengemüther gegenüber den Männern. Soll noch Rettung möglich seyn, so geschieht es nur durch Wirken auf das weibliche Geschlecht als Träger häuslicher Sitte und Tugend. Nur aus der gesunden Familie baut sich ein kräftiger Staat auf.

Diese religiösen Genossenschaften bilden den Rahmen, in den später die politischen Genossenschaften einzutreten haben: sie bilden den Krystallisationskern, um den neues edles Leben aufschießen wird in natürlicher Entwicklung, dann, wenn Kirche und Staat in jenes Verhältniß getreten seyn werden, wo Eines dem Andern gerecht ist.

Dieses gilt von beyden Konfessionen. Auch auf Seite des Protestantismus nehmen wir ähnliche Thätigkeit wahr, und erfreulich ist es, wie derselbe man che Anstalten der [14] alten Kirche zu sich hinüber nimmt, und bedeutsam, wie jenseits Stimmen an maßgebendem Orte laut werden nach Hierarchie, Cölibat, Ohrenbeicht, Messe, symbolischer Liturgie. Beyderseits hat man Ursache mitsammen in äußerem Frieden zu leben, gegenüber dem gemeinsamen Feinde, dem Unglauben, um diesem die ungeschwächte, ungetheilte Macht ins Feld stellen zu können. Möchte es einmal den Protestanten gelingen, sich von den Vorurtheilen gegen die katholische Kirche frey zu machen und Verleumdungen das Ohr zu verschließen. Wie bedauerlich ist es, wenn so ehrenwerthe Schriftsteller auf dieser Seite, wie ein Hofrath Reichenbach zu Dresden in seinem jüngsten Werke, von einer Anbetung der Jungfrau Maria bey den Katholiken spricht. Tausendmal wurden solche Anschuldigungen widerlegt und tausendmal werden sie wieder gedruckt. Mit gewissenhafter Treue werden die Religionsbücher der Perser, Inder und Chinesen erforscht, nur katholische Religion will man nicht aus der Quelle, aus ihren Gesetzbüchern, kennen lernen: für sie genügt das Urtheil des großen Haufens!

7. Der Oberpfälzer
§. 7. Der Oberpfälzer.

Da nun alte Sitte zu Tode gebracht und auch die Erinnerung daran bey der Richtung der Gegenwart bald begraben seyn wird, die Nachwelt aber unzweifelhaft sich dem zu Danke verpflichtet fühlen wird, der ihr erhält, was ehedem war, eben weil es nicht mehr ist, so habe ich es unternommen, solche Aufzeichnungen aus einem [15] Deutschen Gau zu geben, der vergessen oder verkannt in einer Ecke am Böhmerwalde sich hinzieht. Es ist mein Heimatland, die Oberpfalz, von der ich schreibe, allen seinen Kindern so theuer wie dem Irländer sein grünes Erin.

Die Oberpfalz ist ein Theil des alten Thüringischen Reiches, dann des bayerischen Nordgaues. Reiche Besitzungen der Hohenstaufen waren in ihr gelegen. Bey der großen Trennung des Bayerlandes im Jahre 1329 kam dieser Theil an die ältere oder Rudolphische Linie, die Pfalzgrafen bey Rhein und erhielt seinen Namen im Gegensatze zur unteren oder Rheinpfalz. Noch zu Anfang dieses Jahrhundertes sprach ein Oberpfälzer von der Rheinpfalz nie anders als von der unteren. – Mit Neid sahen die Luxemburger Kaiser aus ihrem Germanischen Midgard auf diesen glücklichen Strich Landes herab, von dem sie der natürliche Wall des Böhmerwaldes schied. Herrlicher Adel blühte auf den zahllosen Burgen: fast jeder Hügel trug eine solche. Dem machte der Schwedenkrieg ein Ende. – Die Oberpfalz kam an Altbayern, dem Winterkönige zur Strafe, dem Habsburger Kaiser zur leichten Abtragung seiner Schuld an das Haupt der Liga. Die Burgen wurden von den Schwedischen Barbaren verbrannt, gebrochen; wo von einer Anhöhe die Trümmer eines Schlosses traurig in die freundliche Landschaft herniederschauen, hat der Schwede gehaust. Klöstern, Kirchen und Pfarrhöfen ging es nicht besser. Damit wurden auch die Archive vernichtet, und was der Schwede verschont, holte der Klostersturm zu [16] Anfang dieses Jahrhunderts und Nachlässigkeit im Laufe desselben getreulich nach. Die Geschlechter sind zumeist verarmt, verkommen, das Volk aber lebt so ruhig dahin, als ginge es die ganze Welt draußen nichts an, und zahlt bei aller Armut gewissenhaft Steuern und Abgaben.

Immer als Anhängsel mächtigeren Stämmen dienend bewahrt der Oberpfälzer eine gewisse Zurückhaltung gegen Fremde, welche von diesen kurzweg mit der Bezeichnung »Falschheit« abgefertiget wird. Mit Leib und Gut dienstbar sollte er auch noch seine Seele zu Pfande geben. Abgeschlossen nach Außen ist er desto offener unter den Seinigen, besonders wenn er in seiner Mundart sich ergeben kann, die er nie vergißt. Doch schleift auch hier die Kultur, welche alle Welt beleckt, allmälig den Charakter der Mundart und damit des Menschen nach den gegebenen Mustern ab. Aber auch dann noch zeichnet ihn der eigentümliche singende Ton als Oberpfälzer.

Ein hervorstechender Zug ist seine Neigung des Wanderns, um Arbeit und Anstellung zu suchen. Alljährlich zieht eine Menge derselben nach Altbayern, um zur Aernte hilfreiche Hand zu leisten. Die Dienstboten aus der Oberpfalz sind wegen ihrer Thätigkeit und Nüchternheit gerne genommen. Noch vor fünfzig Jahren hieß es, Bayern werde durch Oberpfälzer regiert wie Oesterreich durch Böhmen. Jetzt sind Mayn-und Rheinfranken an ihrer Stelle. Die frühere Abneigung zwischen Oberpfälzer und Altbayer ist gewichen: allmälig wird er diesem als ebenbürtig erkannt; die Noth drängt dazu. [17] Die Scheidung, noch mehr die Art der Wiedervereinigung, mag Grund hievon seyn.

Pfälzische Mundart ist Beleidigung für oberbayerisches Ohr; auch liebte der Altbayer den nördlichen Nachbar, den »Pfalzla« als unbeholfen zurechtzuweisen. Noch vor zehen Jahren lockte ein ehrliches Weib dahier meinen ungezogenen Hund mit der Liebkosung: »Du Pfälzerdapp« unter dem Ofen hervor. Wenn der Oberpfälzer sieht, wie oft und wie gut der Altbayer ißt und trinkt, was ihm wohl vergönnt wird, und wie wenig er sich anstrengt, dieses sein reichliches Brod mit Fleisch und Bier zu erwerben, so mußte jener freylich zurücktreten vor einem solchen »Herrn«, er, dem es wohl ergeht, wenn er Salz hat zu seinen Kartoffeln und an den Hochzeiten des Jahres Fleisch genießen darf.

Tag und Nacht arbeiten, schlecht sich nähren und dabey zufrieden seyn, ist Grundzug Oberpfälzischen Lebens. Die Genügsamkeit ist da am Platz, wo der Boden arm und der Verdienst im Handwerke gering ist. Die Weberey war sonst allgemeine Nebenbeschäftigung zum Feldbau: der Zollverein hat diese Quelle aufgetrocknet und nun herrscht größte Noth. Neben dem Flachsbau blühte sonst allerorten der Bergbau auf Eisen: seit dem Schwedenkriege zerfiel auch dieser Erwerbszweig: doch scheint man jetzt dahin wieder zurückzukehren.

Außerdem leidet die Oberpfalz empfindlichst an den Folgen des Vandalismus, mit welchem man vor fünfzig Jahren gegen Alles was Wald hieß, zu Felde zog. Kultur war das Losungswort. Heut zu Tage scheint [18] man durch ganz Deutschland einen förmlichen Kreuzzug gegen das Wasser in Teich und Weiher und See zu organisiren: die Folgen werden noch fühlbarer werden. Nichts straft sich schneller, als Sünde wider die Natur.

Außerdem ist der Oberpfälzer lernbegierig, faßt leicht, hat Ohr für Musik und Sprachen: gesellig und dienstbereit ist er weniger derb als der Bayer. Nachbarschaft und Gevatterschaft steht theilweise noch in altem Ansehen; zur Geselligkeit trägt bey, daß Jeder im Gemeinbräuhause braut und die Nachbarn so lange als Gäste bewirthet, als der Vorrath ausreicht, worauf die Reihe an den Nächsten kommt, bei dem nun er zu Gaste geht. Dieses heißt mern, etwa zu Gothischem merja = austheilen und Schwedischem merja = anstoßen zu halten.

Der Wuchs ist hoch und schlank; zu Anfange dieses Jahrhunderts war das Regiment Junker in Amberg aus Oberpfälzern bestehend das schönste des Bayerischen Heeres. Auffallend ist die Bildung des Knies nach Innen, worin eine Aehnlichkeit mit Skandinavischer Körperbildung gesucht werden will. Der Größe entspricht die Kraft. Oberpfälzische Bauern waren es, welche den unbesiegten Hussiten den ersten empfindlichen Schlag beybrachten bey Hiltersried.

Die Haare trägt der Mann vorne kurz abgeschnitten, vom Hinterhaupte bis zum Nacken hin lang abfallend, das Weibervolk nach Germanischer Sitte von Stirne und Hinterhaupt zurückgestrichen und oben auf dem Scheitel in einen Knoten gefaßt. Reiches Haar und weiße Zähne, die bis in hohes Alter bleiben, sind Eigentum der Bevölkerung. [19] Die Frauen haben den Ruf großer Fruchtbarkeit.

Des Haares Farbe ist mehr oder minder blond; schwarzes Haar weist auf Slavische Abstammung; wo dieses vorherrscht, wird blondes mißachtet.

Es wäre wünschenswerth, die Landestheile, wo dieser fremde Stamm sitzt, näher zu erforschen; er findet sich nur eingesprengt, gleich kleinen Eylanden und scharf abgeschnitten von Deutschem Blute. Damit stimmt auch die Kopfbildung. Ueberhaupt möchte kein Deutscher Gau solche Verschiedenheit von Volksstämmen aufzuweisen haben als die Oberpfalz.

Auf einem Umkreise von etlichen Stunden bei Velburg sind drey Stämme zu erkennen, im Westen Wenden, im Osten ein riesiger Schlag mit schwarzen Haaren und Augen, dunkler Gesichtsfarbe, magerem Körperbaue – in der Mitte Deutsche. Die Rötzer hinten am Walde waren sonst meist rothhaarig; sie selber rühmten sich altdeutscher Abkunft. Wo rothes Haar zu Neunburg erschien, mußte es aus Rötz seyn; auch die Mundart dort hat etwas ganz Eigentümliches, besonders reines a statt au und ä statt ei. – Hart daran sind wieder Ortschaften mit schwarzhaariger, andere mit hellblonder Bevölkerung. – Gegenwärtig wird das Haar immer lichter. Ich und meine Geschwister waren als Kinder die einzigen zu Amberg mit Flachshaaren; eine Taglöhnersfamilie zu jener Zeit dortselbst hieß »beym Weißkopf« vom flachshaarigen Hausvater. Jetzo sieht man fast mehr hellblonde Köpfe in den Schulen als dunkle, auf dem Lande [20] wie in der Stadt. Woher rührt diese auffallende Erscheinung? – woher jene andere der Abnahme der Größe und Stärke der Körper? – Unterliegen Volksstämme gleichem Gesetze wie die Familie, wo sich oft entfernte Generationen vollkommen gleichen, nahestehende unähnlich sind? – oder hat der Wechsel in Sitte, Nahrung Klima solchen Einfluß geübt? – Warum werden die Menschen jetzt so frühe alt? – Nur leise darf man die Frage berühren, ob nicht auch das Impfen einen Antheil hieran habe. – Mit dem Haare ist stets auch etwas Abweichendes in Sitte, Tracht, Körperbildung und Mundart zu bemerken. – Erforschen, Zusammenfassen und Vergleichen dieser Faktoren würde manches wünschenswerthe Ergebniß liefern.

Die malerische Tracht, die weitkrämpigen Hüte der Männer, ihre farbigen Röcke und rothen Westen, dann die weißen reinlichen, mit breiten Spitzen beränderten Hauben der Weiber, von denen breite lange Bänder von rother Seide oder blauer den Rücken hinabfallen, die weiten kurzen Röcke aus rothem oder grünem Stoffe, verschwindet immer mehr. Strümpfe mit blauen Zwickeln sind Deutsch, mit rothen Slavisch. Der Bundschuh ist noch in Geltung.

Der alte Styl der Häuser vergeht vor den Gesetzen der bauenden Kunst, die ohne Rücksicht auf Klima, Boden, Sitte, Bedürfniß Alles nach demselben, südländischen Maßstabe uniformirt. Darin liegt ein Grund zu dem Verluste der Individualität. Der Land mann ist in seinem eigenen Hause nicht mehr zu Hause.

[21] Schöne Wohnung verlangt nach schöner Einrichtung, diese nach schönen Kleidern; dann folgt, weil es sich nicht anders ziemt, gut Essen und Trinken, zuletzt die Sucht nach Vergnügen außer dem Hause. So ist der Gang der Welt.

Es steht mir nicht zu, hier zu tadeln: es genügt, daß es so ist. Der Strom wäre ja doch nicht aufzuhalten, in dem das Hergebrachte untergeht.

Noch herrscht Ehrfurcht gegen geistliche wie weltliche Obrigkeit. Religiosität ist tief gewurzelt, wenn gleich zur Zeit der Reformation der Oberpfälzer binnen Einem Jahrhunderte viermal sein Bekenntniß wechseln mußte, nach dem bequemen Satze damaligen Staatsrechtes: cujus est regio, ejus est religio. Durch den Uebergang des Landes an Altbayern kam katholischer Glaube wieder zur Herrschaft, im Geiste damaliger Zeit zum Theile mit Gewalt, woher noch das oberpfälzische Sprichwort: »Wart, ich will dich katholisch machen!«

In den jüngsten Sturmesjahren war die Oberpfalz die ruhigste Provinz: der Eingeborene haßt Schreyen und Kreyschen. Deshalb bringt er es auch nicht zur Geltung. Man ist diese Ruhe an ihm gewohnt, sie versteht sich von selbst. Wenn das Himmelreich Gewalt leidet, steht zu fürchten, daß auch da der Oberpfälzer hinter den Gewaltigen seinen Platz hat. – Die Treue ist ihm angeboren: schöne Züge davon wären zu erzählen: er bleibt treu auch da, wo ihm nicht geschmeichelt wird: seine Liebe ist uneigennützig.

8. Herkunft
[22] §. 8. Herkunft.

Die Bewohner des Landes, welchem Stamme geboren sie an? Doch nicht dem Bojoarischen, auch nicht dem Slavischen, wenn man gleich so gerne die östliche Hälfte von Deutschland zur Slavenheimat todt schreiben möchte. Wohl sind Ableger des Wendischen Stammes im Norden und Westen und Czechische im Osten nicht zu verkennen: doch sind es nur Oasen, die man noch heut zu Tage leicht unterscheiden lernt. Karl der Große verpflanzte unbändige Sachsen hieher nach Morgenländischer Sitte, und Franken waren eingezogen, um zu herrschen. Aber der Kern der Bewohner gehört nach meinem Dafürhalten dem Gothischen Volke an, sey es daß sie von Südost, der Donau, oder von Nordost, aus Skandinavien eingezogen. Eine Menge Wörter, welche in verschlimmerter Bedeutung gehen, weisen unzweifelhaft auf ihre geehrten Brüder im Skandinavischen Norden, und die Gesetze der Mundart lassen sich ohne Gewalt an Gothische Sprache anknüpfen und auffallende Verwandtschaft mit dem Nordischen zu Tage treten. Ich kann hier auf die Begründung dieser Ansicht nicht näher eingehen, nur Einiges will ich vorgreifend anziehen.

Hinter Markomannen und Quaden saßen Gothische Stämme als nothwendiges Bindeglied zwischen Donau- und Ostsee-Gothen: schon Catualda zeugt hiefür. Als die ersten beyden Völker südlich hin über die Donau aus Böhmen auszogen, drangen diese Gothen nach, und selbst bedrängt von nachrückenden Slaven blieb ihnen im Westen [23] der Raum links am Böhmerwalde zwischen Donau, Mayn, Pegnitz und Altmühl. Noch geht die Stammsage, daß die Oberpfalz einstens, von Bewohnern durch ein großes Ereigniß entblößt, ihre neue Bevölkerung aus Böhmen erhalten habe. Eine andere Sage oben am Böhmerwalde weiß von einem Rückfalle der Oberpfälzer in das Heidentum: wir kennen einen solchen in ganz Süddeutschland, besonders in Bayern. Grund ist das Nachrücken heidnischer Germanen von Norden her. Wieder weisen viele Sagen nach Osten, weit nach Böhmen hinein: dort war ein Nationalheiligtum. Die Hexen wissen darum und fahren noch dahin.

Endlich trifft man auch noch auf ein sprachliches Räthsel. »Sam Gôdiga, sam Gôdala« ( – ñ ñ) heißt es, wenn man seine Rede noch durch eine weitere Erklärung verdeutlichen, Deutsch machen will; stellenweise lautet es: »sam goggala« – zusammengezogen aus »sam godigala« mit der Nordischen Adverbialendung. Noch näher wird der Ausdruck erklärt durch das gleichzeitig dafür vorkommende »Godessprich, Gottessprich«. Althochdeutsche Lautverschiebung kann hier nicht gefordert werden, diese ist später. Doch hört man um Falkenstein »zum Kodika«, und weiter unten gegen Straubing »a kôzig Woard«, »a kôziga Moñ« = ein tüchtiger, handfester Mann. Das Wort »sam« entspricht der Bedeutung »so« oder »gleich«; »a daud near sam« = er thut nur so. – Schon jahrelang trage ich mich mit dem Gedanken, daß hinter diesem Worte der Gothe stecken müsse; ich deute es mit »auf Gothisch«, oder »wie der [24] Gothe spricht« – ähnlich unserem »auf Deutsch«. – Auf die Pluralform »Gautigoth« bey Joroandes darf man wohl nicht hinweisen. – Mit diesem Räthsel wäre auch das der Abstammung gelöst.

Ob der Gruß des Oberpfälzers »Zaýges Christes« = Gelobt sey Jesus Christus, worauf »in Aiwikeid« = in Ewigkeit, geantwortet wird, nicht einem »thiuteigs Christus« des Gothen zur Seite steht, kommt hier vorerst nicht in Betracht.

Ich weiß nicht, ob Andere schon darauf aufmerksam gemacht haben, daß Wodans wildes Heer immer von bestimmten Orten in bestimmter Richtung ausgehe; durch die ganze Oberpfalz habe ich nämlich die Beobachtung gemacht, daß das Nachtgejaid stets von N.O. nach S.W. ziehe, und deute es auf Odin, der an der Spitze der wandernden Germanen einherfährt: es ist der Weg, den die einbrechenden Germanen nahmen, über Böhmen her; hätte man alle diese Stellen beysammen, wo die wilde Jagd geht, aus ihrem Zusammenhange würde man auf Weiteres, vielleicht auf den ganzen Zug der Einwanderung schließen können. Wie viel ist noch zur Aufhellung solcher Fragen zu thun! Wo sich solche Sagen vorfinden, sind sie nicht aus phantasiereicher Willkür hervorgegangen; ihnen liegen Thatsachen zu Grunde. Wer nicht auf das Angesicht niederfällt, so der wilde Jäger einherbraust, ist verloren: er wird zerrissen oder mitgenommen. Ungeschraubt läßt es sich dahin erklären, daß die Urbewohner, wenn sie sich den Germanen nicht unterwarfen, dem Schwerte oder der Knechtschaft verfallen.[25] Die Germanen als Sieger wie die Eingeborenen als. Besiegte, beyde hatten Grund die Sage zu erhalten, für beyde ist sie geschichtliche Thatsache. Indem Odin den Sieg verleiht, ist auch die mythische Seite gewahrt. – Sollten die sogenannten Hussitensteine, womit die Hussiten ihren Weg bey den Einfällen in die Oberpfalz bezeichneten, um wieder nach Hause zu finden, nicht noch weiter zurückgehen?

Ich habe ferner nicht unterlassen, mich umzusehen, ob, wenn Gothen in der Oberpfalz sich niedergelassen, eine Erinnerung ihres Namens im Lande erhalten sey, und daher alle Ortsnamen zusammengetragen, worin dorf, ried, reid, heim, stätt, berg, bach, lahn, lohe, hart mit Goden, Gotten, Gozen, Kozen, Götzen, Kötzen, Guten, Gutten, Gützen sich verbindet. Die heutige Schreibung dieser Namen hat mich zur Verzweiflung gebracht: wer sollte hinter Gutendorf und Gutenland ein: Gaydndorf und Gaydnlaun vermuthen! Gaydn ist Ablaut von Gaud und so hätte man, wenn nicht Gotendorf, Gotenlahn doch Götendorf und Götenlahn erwarten sollen. Vorerst stehen mir weder die alten Namen, noch ihre mundartliche Bildung zu Gebote. Doch liegen alle diese Ortschaften mehr in deröstlichen Hälfte des Landes, an Regen, Schwarzach, Naab und Vils und sind in der Zahl wenigstensdreymal so groß, als ihr Vorkommen in allen anderen bayerischen Provinzen zusammen, so daß hier nicht bloßer Zufall waltet.

9. Mundart
[26] §. 9. Mundart.

Das Siegel der Abstammung ist die Mundart: daher werde auch von ihr Einiges hier erwähnt.

Die Oberpfälzische Mundart steht ganz eigentümlich und abgesondert für sich da; wenn sie auch in verschiedenen Landstrichen gewissen Abweichungen sich hinneigt, so herrscht durch sie, von Waldsassen bis hinunter an Paßau, doch nur Ein Grundcharakter. Die Gesetze ihrer Lautlehre sind so bestimmt und natürlich, daß man der zum öfteren gemachten Behauptung, sie wäre verdorbenes Altbayerisch, nicht beytreten kann. Dem Nürnbergischen, einem Ausläufer des Oberpfälzischen, wurde dieser Vorwurf noch nicht gemacht. Das Auszeichnende liegt in der Weichheit ihrer Konsonanten, noch mehr in der Vokalsteigerung, welche unmittelbar an Gothische Lautbrechung sich anschließt und auf ô sich weiter erstreckt.

Beyspielsweise sollen hier jene Gothischen Wörter, welche in Grimm's Grammatik, erstem Theile, dritter Auflage, von Seite 50-65, bey Abhandlung Gothischer Lautlehre besprochen sind, zu Grunde gelegt und mit den entsprechenden Bildungsformen im Oberpfälzischen, wie sie bey Amberg, dem Herzen des Landes, gehen, zusammengestellt werden. Daß dieses Verzeichniß einer weiten Ausdehnung fähig wäre, bedarf keiner Erwähnung, wohl aber zur Vermeidung allen Mißverständnisses, daß Oberpfälzisches unreines r nicht tönt, ebenso nicht als Auslaut der Endsylbe.

[27] 1) Gothisches ê = Oberpfälzisches áu.

Goth.jêr=Oberpf.Gáuar = Jahr

Goth.mêna=Oberpf.Máuñ = Mond

Goth.slêpan=Oberpf.schláuffa = schlafen

Goth.spêdista=Oberpf.spáudast, spáydast = spätest

Goth.lêtan=Oberpf.láuss'n = lassen

Goth.blêsan=Oberpf.bláus'n = blasen

Goth.nêthla=Oberpf.Náudl = Nadel

Goth.hlêthra=Oberpf.láudarn = die Ehrenbank

des Hausherrn, seine Abtheilung

in Zelt oder Hütte.

2) Gothisches áu = Oberpfälzisches áu.

Goth.fráuja, fráujins=Oberpf.Fráuñ, Fráuñberg,

Frohnberg

von Fron = Herr

Goth.dáuns, Geruch=Oberpf.dáunerln = riechen,

Geruch haben, modernden,

Goth.táujan=Oberpf.dáuñ = thun

Goth.láuns=Oberpf.Láuñ = Lohn

Goth.háuhs=Oberpf.háuch = hoch

Goth.ráuds=Oberpf.ráud = roth

Goth.hláuts=Oberpf.Láus = Loos

Goth.skáuts=Oberpf.Scháus = Schooß

Goth.dáuds=Oberpf.dáud = tod

Goth.náuths=Oberpf.Náud = Noth

Goth.láus=Oberpf.láus = los

Goth.ráus=Oberpf.Ráuar = Rohr.

[28] 3) Gothisches aú = Oberpfälzisches aú.

Goth.haúrn=Oberpf.Haúarn = Horn

Goth.kaúrn=Oberpf.Kaúarn = Korn

Goth.thaúrnus=Oberpf.Daúarn = Dorn

Goth.vaúrts=Oberpf.Waúrz = Wurz

Goth.maúrthr=Oberpf.Maúrd = Mord

Goth.ganaúha, Genüge=Oberpf.gnaúch = genug

Goth.saúhts=Oberpf.Saúcht = Sucht

Goth.daúr=Oberpf.Daúar = Thor.

4) Gothisches ái = Oberpfälzisches oi.

Goth.páida=Oberpf.Pfoid = Hemd

Goth.skáidan=Oberpf.schoid'n = scheiden

Goth.váit=Oberpf.wois = weiß

Goth.háitan=Oberpf.hoiss'n = heißen

Goth.máitan=Oberpf.moisseln = meißeln

Goth.gáitei=Oberpf.Gois = Gais

Goth.hváiteis=Oberpf.Woizz = Waizen

Goth.áiths=Oberpf.Oid = Eid

Goth.háithi=Oberpf.Hoid = Haide

Goth.ráis, stand auf=Oberpf.Rois = Reise

Goth.áins=Oberpf.oinar = einer

Goth.hráins, rein=Oberpf.roininga = reinigen

Goth.gamáins=Oberpf.gmoin = gemein

Goth.stáins=Oberpf.Stoin = Stein

Goth.sáinjan,=Oberpf.Soindl = langsame

langsam seynFrauensperson

Goth.qáinôn=Oberpf.woina = weinen

Goth.hláibs=Oberpf.Loib = Leib

Goth.ráip=Oberpf.Roif = Reif

Goth.dáigs=Oberpf.Doig = Teig

Goth.táikns=Oberpf.Zoicha = Zeichen

Goth.bráids=Oberpf.broid = breit.

5) Gothisches aí = Oberpfälzisches aí.

Goth.gaírnan /gernen, /=Oberpf.gaíarn = gerne

wünschen

Goth.háírda=Oberpf.Haíard = Heerde

Goth.vaírdus=Oberpf.Waíard = Wirth

Goth.vaírths=Oberpf.Waíard = Werth

Goth.haírtô=Oberpf.Haíarz = Herz

Goth.aírtha=Oberpf.Aíardn = Erde

Goth.smaírthr,=Oberpf.schmaíarn =

Schmeer=Oberpf.schmieren

Goth.faírzna=Oberpf.Faíarschn = Ferse

Goth.faíhu=Oberpf.Faích = Vieh

Goth.taíhun=Oberpf.zaícha = zehen

Goth.maíhstus=Oberpf.Maíst = Mist


dagegen aber auch

[29]

Goth.sáivs=Oberpf.Sái = See

Goth.snáivs=Oberpf.Schnái = Schnee

Goth.thái=Oberpf.dái = die, ii


ferner

Goth.hváiva= Oberpf.waí = wie


gegenüber von

Goth.vái=Oberpf.wái = wehe Goth.báitrs, bitter=Oberpf.vobáiddarn = verbittern Goth.áivs, Zeit=Oberpf.áiwikeid = Ewigkeit Goth.sái=Oberpf.sái! = sieh da! ecce!

[30] 6) Gothisches íu = Oberpfälzisches aý.

Goth.kníu=Oberpf.Knaý = Knie

Goth.stíurs=Oberpf.Schtaýar = Stier

Goth.líubs=Oberpf.laýb = lieb

Goth.thíubs=Oberpf.daýb = Dieb

Goth.skíuban=Oberpf.schaýbm = schieben

Goth.díups=Oberpf.daýff = tief

Goth.bíugan=Oberpf.baýgn = biegen

Goth.líugan=Oberpf.laýgn = lügen

Goth.síuks=Oberpf.saých = siech

Goth.bíudan=Oberpf.baýdn = bieten

Goth.thíuda=Oberpf.Daýdd in Daýddfurdd

= Dietfurt

Goth.gíutan= Oberpf.gaýssn = gießen

Goth.fríus, Frost=Oberpf.fraýarn = frieren;

gfraýsn = gefrieren u.s.w.

10. Fortsetzung
1.

Der Oberpfälzer liebt die gebrochenen Laute, besonders das mit folgendem u und y gebrochene a und o, das mit vortretendem kurzen a und o gebrochene i. – Der Vokal a ist wie im Gothischen der vorherrschende. –

Darin liegt der bedeutende Unterschied vom Altbayerischen, daß dieses bereits um eine Stufe weiter vorgeschritten ist. Den Lauten des Oberpfälzers áu, aú, ói, aí, áy, aý, ou, öy entspricht in der Regel Altbayerisches [31] o, u oder o, oa, i oder e, ö, ia, ua, üa, so daß von diesen nur mehr die Hälfte gebrochen und von den Brechungen selbst wieder oa undeutsch ist, wie der Uebergang des l in i; z.B. Huiz, Hois, koid für Hulz, Hols, kold = Holz, Hals, kalt. Außerdem geschieht die Steigerung durch a.

2.

Die Verschiedenheit des Gothischen áu und hat sich im Oberpfälzischen noch bewahrt, vollkommen den Gothischen Lauten entsprechend. In áu ist a der gehobene Hauptlaut; indem á auf u übergeht, bildet sich als Bindeglied ein eigentümlicher flüchtiger Mittellaut, so daß man aou zu vernehmen vermeynt. – Umgekehrt wird einem feinem Ohre nicht entgehen, daß in Wörtern wie Saúcht, Gnaúß = Genuß – der Laut u der stärkere sey. – Die Verschiedenheit beyder findet in Sáud = Saat und Saúd = Sud ihren Ausdruck. – Doch wird hie und da auch Gothisches áu zu Oberpfälzischem aú wie eben in Saúd g. Sáuds. Vor Lippenbuchstaben wird áu zu à: hláupan = làffa, laufen; láubs = Làb, Laub. Der gehobene Vokal á, ú hat den doppelten Werth seines Nachbars u oder a.

3.

Dasselbe Lautgesetz ergibt sich bey den Ablauten áy von áu, und aý von aú. Ausdruck der Lautverschiedenheit ist láys'n = lösen und volaýs'n = verlieren. Nordisches hat für beydes ey: leysa von laus = los und neyda von naud = Noth ist genau Oberpfälzisch láys'n und náydn. Merkwürdig ist das Verhältniß von Oberpfälzischem aý zu Gothischem und Nordischemiu und io: letztere werden durchweg durch ersteres ersetzt. Wenn [32] Nordisches neyta neben niota = gnaýss'n, genießen, sioda neben seyda = saýdn vorkommt, so bestärkt es die Vermutung, daß eine schwache Form mit ey sich neben der starken mit io gebildet habe und zwar mittels Umlautes aus dem Präteritum der letzteren. Auch im Oberpfälzischen sind diese Zeitwörter schwache. Nordisches lyg = ich lüge, steht Oberpfälzischem laýg schon näher als Gothisches liuga.

Die Aussprache von áy ist = áij; a hat den Hochten und beherrscht den ganzen Laut. In aý tritt y vor, a zurück; dieses schwächt sich zur Tiefe ohne jedoch zu e zu werden. Die Bezeichnung êi für aý gibt den Oberpfälzischen Laut nicht, wohl den Schwäbischen. Näher käme éij z.B. béi-jgn = biugan, séi-jdn =sioda, séi-jch = siuks, siech.

In gehobener Rede zeigt y auch den Laut von ü, und die Mehrheit von Daúarn, Haúarn etc. bildet Dyrnar, Hyrnar, wo y = ü.

Dieser dem Oberpfälzer recht eigentümliche Laut würde auch dem Umlaute des Präteritallautes áu der Gothischen starken Conjugation, welche die Wörter mit iu umfaßt, zur Seite stehen, wenn es erlaubt wäre, hier unterzustellen. Aber kein Gesetz herrscht so unbeschränkt wie aý für Gothisches iu.

Wohl findet sich von Bärnau gegen Erbendorf, ja selbst noch in Nürnberg der Laut ia, aber er ist anderer Natur. Wenn Glos = Glas in der Mehrheit Gliasar, Ked'n = Kette Kiadna bildet, aus reden riad'n wird, so liegt hier Anderes zu Grunde; dann ist auch diese [33] Erscheinung eine sehr beschränkte, und auf der Gränze gegen Franken gelegen.

4.

So genau Gothisches Lautgesetz sich in áu und aú, dann deren Ablauten áy und aý erhalten hat, ebenso bestimmt wird die Scheidung von ái und aí festgehalten.

Indem Gothisches ái zu Oberpfälzischem oi wird, und somit näher dem a Laute verbleibt, reicht es zu Schwäbischem hinüber. Der Altbayer setzt hiefür oa und dieser Laut ist es, der allgemach das Oberpfälzische oi verdrängt, nicht nur dieses, sondern auch das alte Italiänische a in Màrk, Kàrddn, hàrdd. In einer Anzahl Wörter aber verbleibt sogar reines Gothisches ái, besonders vor v, wie die obigen Beyspiele lehren.

Dagegen erscheint der zweyte Laut, Gothisches aí, rein Oberpfälzisch und dieses umsomehr, als der Oberpfälzer noch jetzt gleich dem Gothen Griechisches e durch ai wiederzugeben sich hinneigt: so hat er Baidar = Peter, Aivangeli = Evangelium, Aipistl = Epistel, Aiva = Eva, Graidl = Gretchen, Abbadaign = Apotheke, Raigiring = Regierung, selbst Braif = Brief, wofür Gothisches Paitrus, Aívaggêljô, Aípistaúlê u.s.w. steht.

5.

Gothisches ei ist meistens gleich Oberpfälzischem und Neuhochdeutschem ei. Hier tritt wieder ein merkwürdiges Verhältniß ein. Im Gothischen erscheint ei neben iu und neben ê, wie speidizei neben spêdizei, fraleitáis neben fralêtáis, uhteigs neben uhtiugs; in gleicher Weise im Oberpfälzischen spáydar neben spáudar, bláys'n neben bláus'n, stáyss'n neben stáuss'n. Wenn es gestattet wäre, Goth. hneivan zu Oberpf. knaýwn = knien, und [34] Goth. heiv = Familie zu Oberpf. Haýwa = Wohnungsrecht im Hause, zu setzen, so wäre ein weiterer Anhaltsrunkt dafür gewonnen, daß theilweise auch Goth. ei dem Oberpf. aý entspreche, in den Fällen nämlich, wo jenes für iu stehen kann und für ê. Das Nebeneinanderstehen von Goth. ê und ei würde auch Oberpf. áu = Goth. ê näher erklären.

6.

Den Laut ui habe ich nirgends gefunden; nur an der Gränze gegen Franken und Niederbayern vernahm ich Fuyar, duyar, huyar für Feuer, theuer, heuer. Doch ist der Ausruf ui! bey Verwunderung ächt Oberpfälzisch.

7.

Wie bey den Vokalen, ist auch bey den Konsonanten Manches beachtenswerth. Die Laute p und t werden durch b und d oder deren Verdoppelung ersetzt. – d hinter n geht öfter in n über: finna = finden, nord. finna, Kinna = Kinder, minnar = minder, annar = ander. – Abgefallenes uraltes w kommt zum Vorschein vor einem Vokale, z.B. wáiw I gsaggd ho = wie ich gesagt habe; auch sonst tritt w hinzu: aizza mouw I gaiñ = jetzt muß ich gehen. – Eine große Rolle spielt r: es dient vorzüglich zur Vermeidung des Hiatus, wie im Griechischen n. – Haupt- und Zeitwörter verdoppeln gerne ihre Konsonanten in der Mehrheit, z.B. I lâf, miar làffa; I souch, miar souchcha. Fous, Föyß; Fós, Fàssar; Flêg, Flègg; Sôg, Ségg; Fisch, Fischsch; blind, blindde. – j behält in vielen Wörtern seinen ursprünglichen Laut, z.B. Gauar = Jahr, Gankl = Jankel, Gôch = Joch, gàmern = jammern. – Im [35] Ganzen sind die Konsonanten von einer besonderen Weichheit, weshalb am Ende b, g, d oft ganz wegfallen.

8.

Von den Fürwörtern fehlt »dieser« und »jener« ganz; dagegen gelten wieder andere Bildungen; ungar = unser habe ich noch in meiner Kindheit gehört. – Das Geschlechtswort besteht aus zwey Stämmen, wovon der eine genau dem Nordischen inn entspricht. In betonter Rede heißt es jetzt noch: în andarn hob I gmoind = den andern habe ich gemeynt. – Das Zeitwort hat als Endung in gehobener Rede ma; z.B. es kindds gaiñ: miar drinkama = wir trinken.

Dieses Wenige mag genügen, die Meynung, für welche man bisher die Begründung schuldig geblieben ist, zu beseitigen, als wäre Altbayerisches auf Oberpfälzischem Boden heimisch und dort verderbt worden. Allerdings ist es schwer für ein fremdes Ohr, Oberpfälzische Mundart aufzufassen: schwerer noch ist es, sie sich anzueignen. Wie sollte ein Fremder zu einem richtigen Urtheile gelangen, wenn es dem Eingebornen nur nach langem, mühevollen Nachdenken gelingt, die Oberpfälzischen Laute sich zum Bewußtseyn zu bringen. Am sichersten zeigt sich die Verschiedenheit ähnlicher Laute in gehobener leidenschaftlicher Rede.

An einem anderen Orte wird mehr von der Mundart die Rede seyn. Ich halte sie für einen Zweig Gothischen Sprachstammes. Jedenfalls bietet sie in ihrer Abgeschiedenheit und ihrem Gegensatze zu anderen Deutschen Mundarten soviel des Interessanten, daß sie für Dialektforschung reicher Boden seyn muß.

11. Art meines Forschens
[36] §. 11. Art meines Forschens.

Was ich nun in vorliegendem Werke biete, behandelt lediglich das Stillleben. Ich habe es vom Munde des Volkes weg geschrieben und mich bemüht, die natürliche Einfachheit in seinen Mittheilungen beyzubehalten. Nicht im Bauernkittel, aber auch nicht in Ballhandschuhen, sondern im ländlichen Sonntagsstaate soll erscheinen, wie das Volk denkt und spricht. Schon viele Jahre her ist es mein Streben, Sitte, Sage und Mundart der Oberpfalz zu erforschen. Seit mir auf der Hochschule Professor Phillips Grimm's Deutsche Mythologie in die Hand gab, geht der Gedanke mit mir, in gleicher Richtung die Oberpfalz, von der nahezu Nichts bekannt ist, zu beschauen. Doch ging es hart, da ich mich seit den Jahren, daß ich zusammentrage, darauf beschränken mußte, meine Landsleute hier in München aufzusuchen und ein inquisitorisches Verfahren mit ihnen anzustellen. Weiber und Weber der Heimat ließen sich gegen kleine Geschenke und Bewirthung in der Regel gerne herbey, sich als Inquisiten mir gegenüber zu setzen und wurden ganz mittheilsam, wenn ich der Erste war, in der heimatlichen Mundart zu erzählen. Es erfordert große Uebung, gerade dasjenige, worauf es ankommt, herauszufragen und an Geduld darf es nicht fehlen. Diese Leute können sich nämlich der Ansicht nicht entschlagen, daß ein Gebildeter unmöglich an solchen »Dummheiten« Gefallen finde und fassen sogleich Argwohn, daß man sie zum Besten haben wolle. – Daß mir vorzugsweise die östliche Hälfte der [37] Pfalz zugänglich wurde, liegt darin, daß dort das Wandern durch die Armut gleichsam geboten ist, ich also aus jenen Gegenden die Mehrzahl dahier traf.

Schriftliche Mittheilungen aus der Heimat, der ich ferne bleiben mußte, gingen mir nur von wenigen Orten zu. – Für sie mein aufrichtiger Dank. – Wer von den Gebildeten sollte auch Sinn haben für das, was er nicht kennt oder gar von vorneherein mißachtet! – So stand ich allein und bin es noch.

Ich habe demgemäß vorerst die drey Hauptabschnitte des menschlichen Lebens, Hochzeit, Geburt und Tod, zu dem Hauptinhalte gegenwärtiger Schrift gewählt, wohl wissend, daß in dieser Richtung noch das Wenigere geschehen ist. Theils besteht das Vorhandene nur in kurzen Bruchstücken, theils ist die Färbung des Dargestellten so eigentümlich, daß die Wahrheit darunter leidet. Der Dichter sieht Alles im rosigen Kleide warmer Phantasie, der Gelehrte aber legt den kalten Maßstab klassischer Bildung an. Was jener mundgerecht macht und damit zu hoch stellt, stößt dieser als üble Auswüchse von sich und erniedriget es unter seinen wirklichen Werth. Außerdem war die Aufgabe um so schwerer, als mir nur zerstreute Anhaltspunkte bekannt wurden, und diese mühselig zusammen gelesen werden mußten, weshalb ich noch ferne stehe, ein abgeschlossenes Ganze, wie ich gewünscht hätte, zu geben. Kraft und Gelegenheit reichen nicht hin, solches in kürzerer Frist zu liefern als in einem Menschenalter. Doch habe ich für meine Landsleute den Anfang gemacht; an ihnen liegt es, durch Mittheilung des ihnen [38] zu Gebote Stehenden aus nächster Nähe mich in den Stand zu setzen, einestheils die Sammlung zu ergänzen, anderntheils aber nach der eigentümlichen Natur der Gebräuche in den verschiedenen Gegenden bey denselben Anlässen das Gewonnene zu scheiden in jene Gränzen, welche zur Erforschung der Stammesunterschiede führen. Ist es nicht möglich, aus den überkommenen geschichtlichen Quellen hierüber klar zu werden, so darf man nicht verzweifeln, daß durch die Erhebung des Eigentümlichen in Mundart, Sitte und Charakter es gelingen werde, einen Schritt weiter zur Wahrheit zu gelangen. Das Volk ist bisher zähe gewesen und hat mit wunderbarer Kraft der Centralisation und Uniformirung widerstanden. Auf wie lange noch?

Jeder dieser Abschnitte, an sich schon reich an mythischen Bezügen oder Verwandtschaft mit altertümlichen Rechtsanschauungen, mußte aber eine eigene Beygabe dadurch erhalten, daß dem Tage die Nacht, dem Lichte die Finsterniß, dem Genusse die Gefahr zur Seite steht. Wenn der Brautstand die eigentliche Hochzeit des Lebens, bis dahin die Bahn eine aufsteigende ist, so sind es dunkle Gewalten, welche in diesen Sonnenschein des Glückes ihren giftigen Mehlthau fallen lassen: der Liebe schließt sich der Liebeszauber an. Kommt der Mensch als Kind zur Welt, so tritt er augenblicklich in Kampf mit finsteren Mächten, welche die Mutter, so das Leben gab, und das Kind, so ins Leben hineintrat, vernichten wollen;Drud und Wechselbutt sind die drohenden Gestalten. Und steht der Mensch an dem Wendepunkte, wo er hinaustreten [39] soll aus dieser Welt, nachdem er seine Aufgabe gut oder übel gelöst hat, so ist es die Ungewißheit des künftigen Schicksales, die Furcht vor einem Richter und einer Strafe, welche den scheidenden Erdensohn mit Bangen erfüllen. Hier tritt dem Menschen die Geisterwelt entgegen, von der ich vorerst eine zwar dunkle aber im Hintergrunde erhellte Seite in der Abhandlung von der armen Seele liefere.

Die Erde wurde von dem Herrn der Welt dem Menschen in Dienstbarkeit gegeben: ihre Erzeugnisse, im Schweiße des Angesichts gewonnen, sollen ihn nähren und kleiden. Diese Seite habe ich in den Abschnitten von den Hausthieren und der Feld frucht behandelt. Aber auch hier drängt sich der Feind ein: was auch der Mensch schaffen will, immer fühlt er, daß er ringen, streiten, siegen müsse, um es hervorzubringen. Feindliche Kräfte stehen auf, wo er sich heimisch macht, und wehren ihm den Raum. Dieses gab Anlaß zur Besprechung der volkstümlichen Anschauungen von Hexe und Bilmesschneider, welche den Menschen am Ende seiner Arbeit und Plage noch um den Genuß des Lohnes, den Nutzen vom Vieh, die Frucht vom Felde zu bringen trachten.

Diese Personifikationen des Uebels, das in der Welt ist und dem Menschen an der Ferse sitzt, sind im Heidentume geboren und entwickelt: eine solche Anschauung des Bösen im Erdenleben war auch geeignet, den Menschen in Verlassenheit zu erhalten. Hoffnung und Trost fehlten. »Der Neid des unerbittlichen Schicksales will es so!« [40] ist Inbegriff heidnischer Weltanschauung. Diesem Schicksale entgehen selbst die Götter nicht: wie sollten sie dem Menschen helfen können! Und doch erscheint das Heidentum in mancher Beziehung so edel, wie in dem Gefühle der Dankbarkeit gegen seine Götter, in dem offenen Bekenntnisse derselben. Weit steht der heidnische Germane dem Christen der Gegenwart voran, dem Dankbarkeit eine unwillkommene Bürde wird. Wo wäre jetzt der Christ zu finden, der wie der Heide bei sei nem Festmahle, beim Zweckessen seines Gottes gedächte, ohne mit Hohn überschüttet zu werden! Diese Scham vor äußerem Bekenntnisse des Glaubens ist das Grundübel, der Wurm, der an dem Baume des Christentums frißt.

Das Licht des Christentumes hat zwar auf die Nacht den Tag und zu der Hoffnung des Judentums die Liebe gebracht, welche die zerrissenen feindlichen Elemente vereinen soll zu gegenseitig ergänzendem Zusammenwirken. Aber der Mensch bleibt auch im Lichte der Sonne Mensch: auch in der Mitte des Tages liegt noch gar Vieles hinter den Bergen seinem forschenden Auge verborgen. In seiner Schwäche will er der Vorsehung vorgreifen und verirrt sich auf gleiche Weise wie der Heide. Er zündet in seiner Befangenheit auch dem Teufel eine Herze an: wer weiß, wozu es gut ist.

Ein guter Freund durchlas das Hauptstück über den Liebeszauber und äußerte mir sein Befremden über die Menge Heidentums, welche im Volke noch vorliege, sowie über den Eindruck des Gelesenen, der ihn auf einige Stunden ins Heidentum zurückgeworfen hätte.

[41] So arg ist es indessen bey unserem Volke nicht bestellt. Wohl ist dasjenige, was neben und im Rücken der Kirche geglaubt und geübt wird, aus heidnischer Zeit überkommen, aber es hat die Spitze verloren; es ist mehr zum Scherze, zum Versuche geworden, wenn sich das Volk solchem Aberglauben hingibt. Als Herkommen, nichts weiter, wird es angesehen und die Tochter thut es nur, weil es die Mutter gethan. Schon weiß der junge Nachwuchs Weniges mehr und dieses nur halb. Der Einfluß von Schule, Heerwesen, Wandern und Auslaufen in die Städte, von Handlungsreisenden und Eisenbahnen, von Fabriken und schriftstellerischem Trödel läßt sich nicht verkennen. Es gleicht sich Alles aus. Der Gott der Zeit ist das eigene Ich, alles Andere ohne Werth, damit zugleich Glaube und Aberglaube abgefertiget. Die Stadt zieht nun aufs Land. Es ist daher die Gefahr des Aber- und Geisterglaubens nicht mehr so nahe und die Zeit nicht ferne, wo das Volk gründlich über seine Interessen belehrt seyn wird, wenn nicht Hilfe von oben, d.h. vom Lenker der Weltgeschicke kommt. Nivelliren von unten auf, und im Gegensatze Uniformiren von oben herab sind die gewaltigen Mühlsteine der Neuzeit, welche Alles zwischen sich zermalmen, was sich nicht auf ein hochgelegenes Gebiet, in die Kirche, zu retten versteht. In ihr findet auch jetzt noch das Volk jene Theilnahme, jenen Schutz, wie es ihn zu jeder Zeit seit ihrer Gründung darin gefunden hat. Sie ist die Arche in den Sturmesfluthen, die da kommen werden, nachdem die Dämme gebrochen sind. Während draußen [42] die Sturmvögel fliegen, Wölfe rennen, die Wasser sich heben und die Berge kreissen, stehen ihre Thore weit geöffnet Allen, welche Rettung suchen.

12. Fortsetzung
§. 12. Fortsetzung.

Jedem Gegenstande, den ich hier behandle, habe ich nicht verfehlt, entsprechende Sagen, so weit sie mir bekannt wurden, anzufügen, und selbst die Verschiedenheit derselben in den einzelnen Landesstrichen hervorzuheben: denn wollte ich mich bloß auf deren Grundbau beschränken, so würde ich umsonst gearbeitet haben, da der Grundstock der Sagen in ganz Deutschland derselbe ist; gerade das Abweichen in den einzelnen Zügen ist das Bedeutungsvolle. Jeder Stamm greift aus der Sage besonders das ihm Zusagende auf, und zeigt dadurch auf seine eigene Natur. Doch waren es weniger die Sagen, wonach ich trachtete, als jene vielen kleinen unscheinbaren Sätze, in denen die Anschauungsweise des Volkes sich ausspricht und die Reste heidnischen Glaubens sich erhalten. Diese sind bisher nicht vollkommen gewürdiget worden und doch enthalten sie reiche Schätze, ja sie bilden das unabweisliche Ergänzungsglied, ohne welches eine Erklärung der Sage unvollständig bleibt. Die Sagen sind dem Oberbau zu vergleichen einer verfallenen Burg; die Trümmer ragen hoch und massenhaft empor aus dem Schutte des Gerölles, welches den Unterbau deckt; wird letzteres hinweggeräumt, dann erst tritt die Führung der Mauern, die Anlage des Ganzen zu Tage. Deshalb [43] habe ich vorzugsweise in diesem Gerölle gesucht und ich vermeyne, manche werthvolle Ausbeute gewonnen zu haben. Was der Schutt verhüllt, ist bewahrt vor der Zersetzung durch äußere Einflüsse.

Die Gränzen der Schrift hätte ich weiter ausdehnen können auf das Innere von Altbayern, von Frankenland; ich hielt es indessen für gerathen, mich einzig innerhalb meiner Heimat zu bewegen und nur stellenweise Ausläufe über die Gränzen zu machen. Franken kenne ich zu wenig, mehr Altbayern durch vieljährigen Aufenthalt. Wer vermöchte das Haus besser zu kennen als der, so darin geboren und erzogen ist? Die Erinnerungen der Kindheit sind sichere Wegweiser: ohne sie ist und bleibt man Fremdling in der Vergangenheit des Hauses. Nur der Eingeborne ist berechtiget und befähiget, hier das Wort zu nehmen; er allein wird die Sache mit Liebe, Pietät und Kenntniß erfassen und aussprechen. – »Das Blut läuft zusammen.«

Erforschen häuslichen Lebens am Herde, auf Feld und Weide gibt zugleich Gelegenheit zum Auffinden jener Spuren, welche auf die Uranfänge des Stammes, sein Ausgehen, seine Verwandtschaft gleichzeitig mit Sage und Glaube leiten. Mundartliche Benennungen der Geräthe, Verrichtungen, der Speise und Kleidung sind vorzüglich beachtenswerth. Würde ich z.B. das einzelnstehende Gothische Wort hôha = Pflug irgendwo auffinden, so hätte ich in dem Dunkel einen weißen Stein gefunden.

Bey Manchem was zur Sprache kommt, wollte ich[44] mich nicht enthalten, zugleich meine Deutung niederzulegen; steht sie auch bisheriger Anschauung entgegen, so glaubte ich doch auf einem Gebiete, das zur Zeit noch freyes Gut ist, andere Pfade als die bisher betretenen einzuschlagen nicht behindert zu seyn. Ferne steht es mir, damit bestimmend einwirken oder nach Neuem haschen zu wollen. Nicht Gelehrter vom Fach habe ich mich zu bescheiden. Vor Allem aber wurde herbeygezogen, was vom Nordischen Gelegenheit zur Vergleichung bot.

Daß der Geisterwelt ein großes Feld eingeräumt worden und dem Zauber, erklärt sich daraus, daß ja heidnischer Glaube besprochen wird. Zu dem Tage des Christentums ist das Heidentum die Nachtseite, in welche nur bleiches Sternenlicht hereinblinkt. Uebrigens geht durch die ganze Menschheit ein dunkles Ahnen von Einflüssen, die durch Wesen außer uns geübt werden: sollte dasselbe denn so gar aller Begründung entbehren? Was allen Völkern aller Zeiten gemeinsam ist, darf wohl auch auf höhere Geltung Anspruch machen und wird nicht durch ein souverängelehrtes Nein beseitiget.

Von der Geschichte hielt ich mich ferne, Anderen überlassend das Viele, was hierin für die Oberpfalz zu thun ist. Die Archive bergen reiche Schätze, noch andere sind zu heben in den vergessenen Registraturen und Speichern der Landgerichte und Rentämter, wenn sie nicht allmälig den Weg aller Makulatur gehen. Oft und an vielen Orten habe ich darauf aufmerksam gemacht, ohne Gehör zu finden. Was man besitzt, verschließt [45] man geheimnißvoll, bis es von einem Verräther an seiner Pflicht verhandelt, oder auch in bester Absicht, um Platz zu schaffen, entfernt wird.


Hiemit übergebe ich einen Theil meiner Forschungen der Oeffentlichkeit. Treue und Natürlichkeit waren die beyden Stäbe, an die ich mich hielt in Darstellung und Erklärung. Hätte ich damit nichts erzielt, als meine Landsleute anzuregen, damit sie noch in eilfter Stunde sammeln was dem Untergange verfallen ist, so fühle ich mich belohnt genug. Der Rahmen liegt nun vor.


München 12. May 1856.

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