[140] Die Sprache der Liebe

Liebe denkt in süßen Tönen,

Denn Gedanken stehn zu fern;

Nur in Tönen mag sie gern

Alles, was sie will, verschönen.

Tieck.

Erste Weise 1

Worte sind nur dumpfe Zeichen
Die Gemüther zu entziffern,
Und mit Zügen, Linien, Ziffern,
Läßt sich Wißenschaft erreichen.
Doch aus den äther'schen Reichen
Läßt ein Bild des ew'gen Schönen
Nieder zu der Erde Söhnen
Nur in Bild und Ton sich schicken:
Liebe spricht in hellen Blicken,
Liebe denkt in süßen Tönen.
[141]
Liebe stammt vom Himmel oben,
Und so lehrte sie der Meister,
Welchen seine hohen Geister
In derselben Sprache loben.
Denn beseelt sind jene Globen,
Strahlend redet Stern mit Stern,
Und vernimmt den andern gern:
Wenn die Sphären rein erklingen.
Ihre Wonn' ist Schau'n und Singen,
Denn Gedanken stehn zu fern.
Stumme Zungen, taube Ohren,
Die des Wohllauts Zauber fliehn,
Wachen auf zu Harmonie'n,
Wenn sie Liebe neu geboren.
Memnons Säule, von Auroren
Angeschienen leis' und fern,
Haucht so aus dem starren Kern
Ihre Sehnsucht aus in Liedern,
Und der Mutter Gruß erwiedern
Nur in Tönen mag sie gern.
Musik ist die Kunst der Liebe
In der tiefsten Seel' empfangen,
Aus entflammendem Verlangen
Mit der Demuth heil'gem Triebe.
Daß die Liebe selbst sie liebe,
Zorn und Haß sich ihr versöhnen,
Mag sie nicht in raschen Tönen
Bloß um Lust und Jugend scherzen:
[142]
Sie kann Trauer, Tod und Schmerzen,
Alles, was sie will, verschönen.

Fußnoten

1 In der Europa, herausgegeben von Friedr. Schlegel, Band 1. St. 1. Ff. 1801 80. S. 80-82 sind die beiden ersten hier aufgenommenen Weisen die zweite und dritte; die hier als dritte bezeichnete geben wir aus des Dichters Handschrift; die erste und vierte in der Europa mitgetheilten Weisen sind von einer Freundin des Dichters, Frau B°. verfaßt, Friedr. Schlegel fügte eine fünfte von ihm verfaßte hinzu. Wir theilen zur Vervollständigung auch diese drei Variationen mit.

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