[424] Gebet des Künstlers
Neidvollen Blickes
Empor zu euch schau' ich,
Ihr hohen Unsterblichen,
Die ihr auf Himmelsgipfeln,
Einsiedler des Ruhms,
Im ewigen Lichte wohnt,
Und von den strahlenden Scheiteln
Geschlechter auf Geschlechter der Menschen
Mit eurer Werke Glanz erleuchtet!
Weh dem Armen hier unten,
Dem, gleich euch zu den heiligen Höhen zu klimmen,
In die Seele der Trieb gepflanzt ist,
Aber zu schwach die Kraft!
Ewig ihm vor dem Geiste schwebt
Die himmlische Schönheit,
Die er in Formen bannen möchte!
Doch nicht der Prometheusfunke
Glimmt in der Brust ihm,
Daß er das marmorentstiegene Bild
Mit Schöpferglut beseele.
In jeder Frühe
Schwanken Schrittes eilt er zur Werkstatt,
Und im Hoffen und Zweifeln und Zagen
Zittert sein Herz,
Während die Hand den Meißel führt;
Aber starr bleibt der Stein;
Statt daß er des Göttervaters Antlitz
In olympischer Hoheit
Ihm entsteigen sähe,
Blicken verzerrte Züge
Wie zum Hohn ihm entgegen.
Da sinkt ihm ermattet die Hand;
[425]Und seufzend all derer gedenkt er,
Die, wie er, gestrebt und gerungen –
Und ruhmlos ins Grab gesunken.
Ueber sich hin die Scharen
Der Erlesenen sieht er ziehen,
Der Göttersöhne,
Die, von des Genius Flügeln getragen,
Zu den sonnigen Gipfeln eilen;
Aber um ihn hoch und höher
Schwillt der Strom
Des niederen Erdentreibens
Und will hinweg ihn reißen von dem Altar,
An dem er fruchtlos geopfert.
O blickt mild auf ihn herab, ihr Unsterblichen!
Gießt Mut und Kraft ihm ins Herz,
Daß er ausharre im heiligen Amte!
Einen Strahl eures Geistes
Sendet hernieder zu ihm
Und laßt, ob auch spät,
Ein Werk, nur eines, ihm gelingen,
Das ein Denkmal auf Erden ihm sei,
Auf daß er nicht gleich den andern
Kindern des Staubes
In den Wirbeln des Lebens
Spurlos verschwinde,
Und dessen, was er war, nicht alles
Das gierige Grab verschlinge!