Auf dem Nil
Welch ein Geheimnis bergen deine Wellen,
O alter Nil, der ferneher,
Wo Tropensonnenstrahlen deine Quellen
Am Gletscherhaupt des Mondgebirgs erhellen,
Du sinnend gleitest in das Meer?
Von deinem Wogenspiele sanft gehoben,
Blick' ich, ans Steuer hingeschmiegt,
Bald auf zur blauen Himmelswölbung droben,
Bald abwärts, wo, aus Silberglanz gewoben,
Ein zweiter Sternenhimmel liegt.
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Bleikuppeln ragen, weißgezinnte Städte
Hervor aus dunklem Palmenwald,
Moscheen und goldne Halbmondminarete,
Von denen oft ein Rufen zum Gebete,
Die Flut im Nachtwind kräuselnd, schallt.
Grabhallen, draus den Staub der Pharaonen
Der Wind der Wüste lang verstreut,
Zertrümmerte Paläste und Pylonen
Bei Hütten Lehms, drin braune Fellahs wohnen,
Das ärmliche Geschlecht des Heut!
Dann Obelisken, noch zur Sonne steigend,
Und Pyramiden von Granit,
Gesunkne Riesentempel, ewig schweigend,
In Bildern noch des Rhamses Kämpfe zeigend,
Wie er das Weltreich sich erstritt!
An Säulenstürzen, die schon Trümmer waren,
Da Nacht Europa noch umschlang,
Zieht mit den hochgehalsten Dromedaren,
Umweht vom Staube von fünftausend Jahren,
Der Karawanenzug entlang.
Vorbei! Stets weiter werd' ich fortgezogen,
Als ende nimmerdar die Fahrt;
Wie traumhaft murmeln um mein Haupt die Wogen,
Und Sterne tauchen auf am Himmelsbogen,
Die nie des Nordens Blick gewahrt.
Welch ein Geheimnis bergen deine Wellen,
O alter Nil, der ferneher,
Wo Tropensonnenstrahlen deine Quellen
Am Gletscherhaupt des Mondgebirgs erhellen,
Du sinnend gleitest in das Meer?