[71] Gebet

Jahr um Jahr hab' ich gerungen
Und erlitten Schmerz um Schmerz;
Aber stark und unbezwungen
Hielt sich mein gequältes Herz.
Wie sich auch die Wolken ballten,
Wie das Leben sich verschwor –
Mit stets reinerem Entfalten
Schwang sich still mein Geist empor.
Treu erglühend für das Ächte,
Hab' ich fast das Ziel erreicht;
Blickt mich an, ihr ew'gen Mächte:
Dieser Scheitel ist gebleicht.
Und die Flamme meines Lebens
Neigt sich mälig zum Verglüh'n –
Gönnt mir noch den Rest des Strebens,
Gönnt mir noch ein letztes Müh'n.
[72]
Laßt mich noch getrost vollenden,
Was ich ernst und fest begann,
Und auf sanften Götterhänden
Traget mich von hinnen dann! –
Also fleh' ich, von den Schwingen
Der Erfüllung leis' umweht –
Und doch fürchtend, daß mein Ringen
Im Verhängniß untergeht!

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