[149] Opferstunde

Stumm glühte rings die Flur im Mittagsbrande,
Nur fleiß'ge Bienen summten durch die Schwüle,
Als sinnend wir, an stiller Gräber Rande,
Durchschritten eines Friedhofs Schattenkühle.
Die holden Gleichnisse der Erdendinge,
Die Blumen, sah'n wir auf den Hügeln beben,
Und d'rüber hin, mit kaum bewegter Schwinge,
Wie traumverloren müde Falter schweben.
Und leichte Schauer rieselten und wehten,
Des großen Räthsels unsichtbare Boten;
Wir falteten die Hände wie zum Beten,
Mit sanfter Wehmuth denkend an die Todten.
Es war, als glitten leise wir hinüber
Zu Jenen, die schon längst dahin gegangen;
Der bleiche Engel zog an uns vorüber –
Wir hörten fast, wie seine Flügel klangen.
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Doch als wir jetzt, nach ihm empor zu schauen,
Mit sanftem Druck uns aneinander schlossen,
Da fühlten wir, versenkt in Todesgrauen,
Uns plötzlich von dem wärmsten Hauch durchflossen.
Durch uns're Liebe, die wir scheu vergessen,
Dem Dasein wieder ganz zurückgegeben,
Erwachten wir im Dunkel der Cypressen
Und hielten uns und küßten uns mit Beben.
Nun schien ein Opfer uns die stille Stunde,
Dem Tod gebracht, und uns're Wangen glühten,
So wie die Rosen, die, mit uns im Bunde,
Auf Gräbern ihren süßen Duft versprühten.

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