2. Traurige Frühlingsherrschaft
Ihr Vögel, wenn ihr warten wollt mit Singen,
Bis meine Lieder hell wie sonst erklangen!
Ihr Blumen, wenn ihr eh'r nicht wollt entspringen,
Bis Freude blühn ihr seht auf meinen Wangen!
O laßt von mir euch keine Störung bringen,
Euch aufzuhalten ist nicht mein Verlangen;
Singt nur und blüht an aller Ströme Borden
Und wartet nicht, bis Frühling mir geworden!
Da wollten dennoch säumen
Die Blüten an den Bäumen,
Die Vöglein tief in Träumen;
Kann man dem Dichter so viel Recht einräumen?
Ihr Vögel, da ihr doch nicht wollet singen,
Bis mit Gesang ich euch vorangegangen;
Ihr Blumen, da ihr doch nicht wollet springen,
Bis auch die Keim' in meiner Brust entsprangen!
Mein Zaudern soll euch keine Störung bringen,
Und euer Losungswort sollt ihr empfangen:
Auf! singt und blüht an aller Ströme Borden!
Habt Frühling! Frühling ist mir selbst geworden.
Da durften nicht mehr säumen
Die Blüten an den Bäumen,
Die Vöglein auch nicht träumen,
Und Frühling blüht' und tönt' in allen Räumen.
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Ihr Vögel, nun ihr einmal seid am Singen,
Weil euer Sänger euch vorangegangen!
Ihr Blumen, die ihr nun müßt vorwärts dringen,
Von Stuf' auf Stufe, bis zum höchsten Prangen!
Ich kann euch fürder keine Störung bringen,
Fortfahren müßt ihr, wie ihr angefangen;
Singt denn und blüht an aller Ströme Borden
Und wißt, daß Frühling doch mir nicht geworden.
Da konnten nicht mehr säumen
Die Blüten an den Bäumen,
Die Vöglein auch nicht träumen;
Lust floß der Welt, mir sollte Trauer schäumen.