Das Fräulein, das arm und vernünftig ist, schlägt es ihm ab.
Mein Herr,
Ich muß mich schämen, daß ich noch bis jetzt in einer Sache unschlüssig bin, die mir von einem so vernünftigen Manne und auf so anständige Weise angetragen wird. Ich kenne den Wert Ihres Herzens. Meine Hochachtung gegen Sie ist stärker als eine gemeine Hochachtung. Ich glaube, sie kommt der Liebe sehr nahe. Ich will diese Empfindung für eine Liebe halten, die ich der Tugend schuldig bin. Mit Ihrer Hand bieten Sie mir so viele Vorteile des Glücks an, welche stärker sind, als ich jemals hoffen können, und welche allein stark genug sein würden, ein jedes Frauenzimmer, das nicht reicher ist als ich, zu einem geschwinden Entschlusse zu bringen. Ich kann nicht vernünftiger und zugleich vorteilhafter lieben, als wenn ich Sie liebe, mein Herr. Und dennoch bin ich so schwach, mich durch die kleinen Vorurteile der Welt unschlüssig machen zu lassen, über welche, wie Sie mir schmeicheln, ich erhaben sein sollte.
[148] Meine Begriffe von dem wahren Wert des Adels sind den Ihrigen ganz ähnlich. Der Adel giebt denen, die ihn verdienen, einen ansehnlichen Vorzug, und er vermehrt die Schande derjenigen, welche seiner und – ihrer Ahnen unwürdig sind. Ein Bürger, der durch seine Verdienste um das Vaterland sich selbst diesen Vorzug erworben, hat das Recht, von mir mehr Hochachtung zu fordern als ein adeliger Taugenichts, den ein blinder Zufall aus einem alten Hause hat lassen geboren werden. Auch darin bin ich mit Ihnen einig, daß ein jeder bürgerlichen Standes nicht behutsam genug sein kann, die Rechte des Adels auf sich zu bringen, die ihn weder vernünftiger noch tugendhafter machen. Ich wenigstens würde für Sie, m.H., nicht einen Augenblick mehr Hochachtung haben können, als ich jetzt habe, wenn Sie gleich in diesem neuen Glänze zu mir kämen, in der Hand das kostbare Pergament und auf jeder Seite zwei Ahnen hätten. Da ich vom Adel so billig urteile, so können Sie wohl glauben, daß mir nichts abgeschmackter vorkommt als der lächerliche Hochmut der kleinen adeligen Seelen, welche alle andere verachten, weil sie bürgerlichen Standes sind. Diese Kreaturen haben wohl Ursache, auf die Vorzüge der Geburt zu trotzen. Denn wenn diese nicht wären, so würden sie oft gar nichts haben, womit sie sich von dem niedrigsten und unedelsten Pöbel unterscheiden könnten.
So wahr dieses alles ist, und so gewiß ich von dem überzeugt bin, was ich hier sage, so gewiß ist es doch auch, daß wir in einer Welt leben, die durch Vorurteile regiert wird, und die zu alt ist, als daß sie sich durch uns eines bessern sollte belehren lassen. Diese von Vorurteilen eingenommene Welt ist so unbillig, daß sie die Heirat eine adeligen Fräuleins mit einem aus bürgerlichem Stande schwerlich entschuldigen wird, wenn auch dieser noch so angesehen und der vernünftigste Mann wäre. Ist dieser Mann reich und das Fräulein arm, so wird ein Teil des Vorwurfs mit auf sie fallen, und man wird sich Mühe geben, ihre Absichten verdächtig und wenigstens eigennützig zu machen. Was hat sie alsdann für Mittel in Händen, ihre Unschuld zu verteidigen? Und wie empfindlich muß ein solcher Vorwurf sein, den man nicht ablehnen kann? Werden ihre Verwandten billig genug sein, ihren Entschluß zu rechtfertigen, oder wird es ihnen nicht immer einfallen, daß sie etwas gethan hat, das ein Fräulein von altem gutem Hause nicht hätte thun sollen? Es sind Vorurteile, mein Herr, sehr lächerliche Vorurteile – Sie haben recht! Aber sie sind doch allgemein und um deswillen allemal gefährlich.
[149] Müssen Sie es nicht gestehen, m.H., daß dieser Fehler nicht dem Adel allein eigen ist? Er ist unter denen vom bürgerlichen Stande noch viel starker. Ich will nur ein Beispiel anführen. Ein Doktor ist ein Bürger, ein Handwerksmann auch. Was für Bewegungen erregt das in der bürgerlichen Welt, wenn ein Doktor die Tochter seines Schusters heiratet? Alle Kaffeegesellschaften, alle Wochenstuben schreien Ach und Weh über diese widernatürliche Verbindung. Haben Sie immer die gefällige Nachsicht gegen die Thorheiten meines Standes, welche sich durch die Thorheiten des Ihrigen so lange rechtfertigen, bisbeide vernünftiger denken und urteilen lernen! Es ist einem Fräulein wohl erlaubt, einen Mann bürgerlichen Standes hoch zu achten und seine aufrichtige Freundin zu sein, wenn man ihr gleich nicht erlauben will, sich genauer mit ihm zu verbinden. Ist eine solche Freundschaft ohne Tadel nicht einer Liebe vorzuziehen, welche so bitter getadelt wird? Hat dieser Mann Vermögen, ist er wegen seines ehrlichen Charakters in der Stadt angesehen: wie glücklich kann er ein Bürgermädchen machen, das arm, aber tugendhaft ist! Die ganze Welt wird seinen Entschluß preisen. Adelige und Bürgerliche müssen ihn wegen seiner Großmut hochachten. Die Familie, welche er in so vorteilhafte Umstände gesetzt hat, wird ihn segnen und ehren. Hat ein Fräulein das Glück, seine Freundin zu sein, so wird sie es nunmehr doppelt sein müssen, da ihm seine vernünftige Wahl so viel Ehre macht.
Sehen Sie, mein Herr, das sind ungefähr meine Zweifel, die ich jetzt habe, und die ich Ihnen nicht so offenherzig sagen würde, wenn ich Sie weniger liebte. Lassen Sie mir noch eine kurze Bedenkzeit, ich will mich hernach näher erklären. Das können Sie inzwischen gewiß glauben, daß ich mit der größten Hochachtung unverändert sei
die Ihrige.
N.S.
Führen Sie mich heute in die Komödie. Es wird über unsern Text ein sehr erbauliches Stück gespielt. Ich erwarte Sie gewiß. Sie sollen auf den Abend mit mir speisen und mir sagen, wie es Ihnen gefallen hat. Hier ist der Komödienzettel. Auf Wiedersehen.
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Es ist nicht zu leugnen, daß oftmals ein Frauenzimmer bürgerlichen Standes durch ihre Tugenden und ihre gute Aufführung das Glück verdient, sich mit einem von Adel zu verbinden. [150] Trägt ihre Schönheit etwas dazu bei, so ist es für sie ein Vorzug mehr, und sie verdient doppelte Achtung, wenn ihr Vermögen so ansehnlich ist, daß sie ihren Mann auch auf dieser Seite glücklich machen kann. Die Erfahrung lehrt uns, daß dergleichen Ehen oft der Grund einer dauerhaften Zufriedenheit sind. Wenn beide Teile mit Vernunft wählen und mit Zärtlichkeit sich lieben, so haben sie ein Recht, alle die Spöttereien großmütig zu verachten, welche von dem Pöbel darüber ausgestoßen werden.
Was ich hier angeführt habe, ist die Schutzschrift von dem, wovon nachstehende Briefe handeln. Sie gehen diejenigen nichts an, welche vernünftig sind. Und sie können nur diejenigen beleidigen, welche ein Recht haben, sich für die Originale dazu aufzuwerfen. Sie werden sich wohl selbst melden. Noch zur Zeit kenne ich sie nicht, und ich werde mich sehr freuen, wenn meine Leser sich überzeugen können, daß es dergleichen Originale nirgends gebe. Ich will den Vorwurf gern leiden, daß meine Charaktere unwahrscheinlich sind. Was ich als Autor dabei verliere, das gewinne ich auf der andern Seite wieder als ein aufrichtiger Patriot.